Frauen. Macht. Karriere.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Copyright: FAZIT Communication GmbH
Frankfurter Allgemeine Buch, Frankenallee 71–81,
60327 Frankfurt am Main
Umschlag, Layout und Satz: Zarka Ghaffar
Titelgrafik: © Franz Grünwald
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
1. Auflage, Frankfurt am Main 2020
ISBN: 978-3-96251-079-4
eISBN: 978-3-96251-089-3
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.
Unter Mitarbeit von Dr. Petra Begemann,
Bücher für Wirtschaft + Management, www.petrabegemann.de
Vorwort von Tina Müller (CEO Douglas GmbH)
DIE GENERATION GOLFPLATZ GEHT, DIE STUNDE DER FRAUEN KOMMT
Als Löwin gestartet, als Kätzchen gelandet?
Willkommen in der Teilzeitfalle!
Wendepunkte und Spielregeln einer Karriere
01
EINSTIEG
STARK STARTEN: DIE ENGAGIERTE
Die Gunst der Stunde
KARRIEREVERSPRECHEN: „DIE WELT STEHT DIR OFFEN“
Wie der Blick zurück den Blick nach vorn verstellt
Retraditionalisierung oder zurück in die Zukunft
KARRIEREALLTAG: GESCHICHTEN AUS DEM WIRKLICHEN LEBEN
Ausflug? Nur für Männer!
Na, Prinzessin? Bikini nicht vergessen!
Wie man Alphatiere zähmt
WELCHES VERHALTEN BEIM JOBEINSTIEG WEITERBRINGT
Engagiert, ergebnisorientiert, im Unternehmen sichtbar
Karrierekiller: „Arbeitsbienchen“, „Bescheidene“, „Nette Kollegin“
GASTBEITRAG Philip Missler
(Country Manager, Pinterest Northern Europe):
Härter arbeiten als die Kollegen – und Diskriminierung ertragen
DIE BESTEN KARRIERESTRATEGIEN BEIM EINSTIEG: SICH AUSPROBIEREN UND DAZULERNEN
WAS UNTERNEHMEN JETZT TUN KÖNNEN, UM FRAUEN VORANZUBRINGEN
Gute Absichten reichen nicht
Konkrete Maßnahmen
AM WENDEPUNKT:
BEHERZT DEN SCHRITT INS MITTELMANAGEMENT TUN
STATEMENTS „Wenn Sie jungen Frauen zum Karrierestart nur einen Tipp geben dürften – wie würde der lauten?“
Dorothee Bär (Digitalministerin)
Stefanie Kuhnhen (Grabarz & Partner)
Maria Gräfin von Scheel-Plessen (Montblanc)
02
MITTLERES MANAGEMENT ERFOLGE EINFAHREN: DIE KÄMPFERIN
KARRIEREVERSPRECHEN: „DIE BESTEN KOMMEN WEITER“
Die entscheidenden Jahre: Kämpfen oder frustrierter Rückzug?
„Fixing the women“: Anpassung an die Männerwelt als Ausweg?
KARRIEREALLTAG:
GESCHICHTEN AUS DEM WIRKLICHEN LEBEN
Frauen machen die Arbeit, Männer machen Karriere
Bitte gut aussehen, lächeln und schweigen
„Niemand mit Verstand ist authentisch!“
Die Feindschaft der Frauen
WELCHES VERHALTEN IM MITTLEREN MANAGEMENT WEITERBRINGT
Selbstbewusst, taktisch klug, öffentlich präsent
Karrierekiller: „Mannweib“, „Sensibelchen“, „Mutter der Kompanie“
DIE BESTEN KARRIERESTRATEGIEN IM MITTELMANAGEMENT: SICH SELBST MANAGEN UND DURCHHALTEN
WAS UNTERNEHMEN JETZT TUN KÖNNEN, UM FRAUEN VORANZUBRINGEN
Ohne Männer geht es nicht oder: Diversity als Gemeinschaftsprojekt?
Notorischer Aufreger oder: Was für eine Quote im Topmanagement spricht
AM WENDEPUNKT: MUTIG DAS TOPMANAGEMENT EROBERN
STATEMENTS „Worauf kommt es Ihrer Erfahrung nach vor allem an, wenn man im Mittelmanagement weiterkommen will?“
Susanne Aigner (Discovery)
Jan Ising (Accenture)
Marianne Stroehmann (Google)
GASTBEITRAG Antje Neubauer (ehem. CMO Deutsche Bahn):
Pausentaste. Auf dem Höhepunkt – Ausstieg als Option
UNTERNEHMERTUM ALS ALTERNATIVE?
STATEMENTS „Was hat Sie als Gründerin/Unternehmerin erfolgreich gemacht?“
Anna Alex (Planetly)
Gaby Gassmann (Magnus Mineralbrunnen)
Kasia Mol-Wolf (EMOTION)
03
TOPMANAGEMENT
GRÖSSE ZEIGEN: DIE ERHABENE
KARRIEREVERSPRECHEN: „STARKE PERSÖNLICHKEITEN SETZEN SICH DURCH“
Machtfragen und wie sie entschieden werden
Exotinnen-Malus: Das Leben der „Onlys“
KARRIEREALLTAG: GESCHICHTEN AUS DEM WIRKLICHEN LEBEN
„Das glaubt mir keiner!“ – leiden und schweigen
Es hört nicht auf! – Topkarriere als Marathon
WELCHES VERHALTEN SICH IM TOPMANAGEMENT BEWÄHRT
Machtbewusst, souverän, diplomatisch
Karrierekiller: Einzelkämpferin, Quereinstieg ohne Hausmacht, Himmelfahrtskommando
DIE BESTEN KARRIERESTRATEGIEN IN DIESER PHASE: SICH EINE HAUSMACHT SICHERN UND TAKTISCH VORGEHEN
WAS UNTERNEHMEN JETZT TUN KÖNNEN, UM FRAUEN VORANZUBRINGEN
Türen öffnen statt versteckte Barrieren aufrecht erhalten
Für mehr generelle Diversity sorgen
Den professionellen Austausch von Topfrauen fördern
ANGEKOMMEN: DIE NEUE ROLLE MIT FREUDE AUSFÜLLEN
STATEMENTS „Wie dünn ist die Luft an der Spitze wirklich?“
Ralf Belusa (Hapag-Lloyd
Wybcke Meier (Tui Cruises)
Manuela Rousseau (Beiersdorf)
Petra von Strombeck (New Work)
Zum Schluss
Dank
DIE INTERVIEWPARTNER/INNEN UND BEITRÄGER/INNEN
Literaturverzeichnis
ÜBER DIE AUTORIN & ÜBER MISSION FEMALE
Anmerkungen
Personenverzeichnis
Bildnachweise
Meine erste Begegnung mit einer erfolgreichen Managerin fällt in das Jahr 1989. Im Unternehmen, in dem ich mein erstes Praktikum absolvierte, arbeitete eine Marketingleiterin – versiert, durchsetzungsstark, mit toller Ausstrahlung. Sie war damals die einzige Frau auf diesem Karrierelevel und beeindruckte mich tief. Mit dem Übermut der Abiturientin dachte ich: So etwas würde ich auch gerne machen! Dass dieser Wunsch tatsächlich in Erfüllung ging, hat viele Ursachen. Ohne Leistung, hohes Engagement und Willensstärke steigt niemand auf. Man braucht Fürsprecher, ein Netzwerk, das Türen öffnet, Gelegenheiten, zu denen man sich präsentieren kann. Nicht zuletzt braucht man den Mut, sich immer wieder neuen, herausfordernden Aufgaben zu stellen.
Jeder, der Karriere macht, muss Gegenwind aushalten. Doch auch heute noch, über 30 Jahre nach meiner ersten Begegnung mit einer leitenden Managerin, bläst dieser Gegenwind Frauen mitunter heftiger ins Gesicht als ihren männlichen Kollegen. Streben Männer nach oben, feiert man sie als Macher. Tun Frauen dasselbe, gelten sie als ‚besonders ehrgeizig‘ und werden kritisch beäugt. Das trifft umso mehr zu, je höher eine Frau steigt und je exponierter sie ist. Was bei einem Mann an der Unternehmensspitze als Stärke interpretiert wird, gilt bei einer Frau schnell als persönliche Härte, selbst wenn die wirtschaftlichen Beweggründe sich gleichen. Ändern wird sich dies erst, wenn Frauen auf allen Unternehmensebenen Normalität sind. Viele Organisationen befinden sich bereits auf einem guten Weg dahin, denn langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Vielfalt im Management handfeste ökonomische Vorteile hat. „Diversity“, ob bei Alter, Ethnie, Geschlecht und weiteren Kriterien, ist keine Managementmode, sondern der Schlüssel zu besseren Lösungen. Wie wollen Unternehmen mit personellen Monokulturen zeitgemäße Antworten auf Kundenbedürfnisse in einer globalisierten, vielfältigen Welt finden?
Doch bis Frauen in Führungspositionen wirklich Normalität sind – bis sie tatsächlich an ihren Ergebnissen gemessen werden und nicht daran, was sie „als Frau“ tun oder nicht tun –, braucht es Bücher wie dieses. Frederike Probert zeichnet den Weg einer Frauenkarriere vom Einstieg bis ins Topmanagement nach. Sie tut dies kenntnisreich und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Laufbahn. Ihr besonderes Verdienst ist, dass sie den Blick darauf lenkt, wie sich in unterschiedlichen Karrierephasen verschiedene Herausforderungen stellen, und strategische Hinweise gibt, wie ambitionierte Frauen ihnen begegnen. Unternehmen sollten Frauen in diesem Prozess stärken, wenn sie es ernst meinen mit der gleichberechtigten Teilhabe. Auch hierzu hält dieser Band zahlreiche Anregungen bereit. Als Gründerin und CEO der Netzwerkorganisation Mission Female weiß Frederike Probert zudem, wie zentral eine professionelle Vernetzung für jede Frau ist, die „nach oben“ will: Es reicht nicht, kompetent zu sein. Man (bzw. frau) muss auch sichtbar sein. Ich empfehle dieses Buch allen Leserinnen, die das Abenteuer Karriere wagen.
„Es ist gut zu wissen, dass man eigentlich alles machen kann. Man muss nur damit anfangen.“
Julie Deane
Unternehmensgründerin
Die Stunde der Frauen kommt? Zugegeben: Das wurde auch schon vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren behauptet, meist verbunden mit einem Loblied auf die sozialen Kompetenzen der Frauen (etwa Teamorientierung, Einfühlungsvermögen, Multitasking), die am Arbeitsmarkt wichtiger seien als je zuvor – gerade in der Führung! Bisher kommen etliche Führungsetagen allerdings noch ganz gut ohne Frauen aus. Knapp die Hälfte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hierzulande ist weiblich.1 Doch je höher es auf der Karriereleiter geht, desto geringer wird der Frauenanteil. Das Wirtschaftsmagazin brand eins illustrierte den Verlauf von „Männer- versus Frauenkarrieren“ einmal kommentarlos durch eine Reihe von Tortendiagrammen. Beim Hochschulabschluss stehen Frauen noch gut da (51 Prozent), doch dann schrumpft ihr Stück vom Kuchen kontinuierlich: 2015 besetzten sie ein rundes Drittel aller Führungspositionen, aber nur 15 Prozent im mittleren Management und 10 Prozent aller Aufsichtsratsposten. In den Vorständen entfielen zu dieser Zeit auf die Frauen mit 3 Prozent nur noch ein paar magere Krümel, um im Tortenbild zu bleiben.2 Doch langsam aber sicher kommen die Dinge in Bewegung. Im September 2019 meldete die Deutsch-schwedische AllBright Stiftung einen Frauenanteil von immerhin 9,3 Prozent in den Vorständen der börsennotierten Unternehmen. In den Aufsichtsräten war es dank der Ende 2014 beschlossenen 30-Prozent-Quote sogar ein knappes Drittel.3 Es gibt also Anlass zu verhaltenem Optimismus.
Zum Gesamtbild gehört allerdings auch, dass sich 58 aller 160 DAX-Unternehmen auch 2019 noch die „Zielgröße Null“ für ihren Vorstand gesetzt hatten, darunter klingende Namen wie BayWa, Deutsche Wohnen, Fielmann, Jenoptik, Klöckner, Rhön Klinikum, RWE, Südzucker, Varta und Zalando.4 Zur Erinnerung: Seit 2016 ist das „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen“ in Kraft. Es sieht eine 30-Prozent-Quote in den Aufsichtsräten börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen vor. Zusätzlich müssen Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern seitdem eine verbindliche Zielgröße von Frauen im Vorstand definieren. Dort, also im operativen Management, verzichten etliche Unternehmen quer durch alle Branchen mit der Zielgröße Null komplett auf Frauen. Das gilt selbst in Bereichen, in denen Frauen in der Belegschaft oder als Kundinnen stark vertreten sind oder sogar dominieren. Ein Selbstläufer ist „Gender Diversity“ also nach wie vor nicht, denn auch der Gesamtanteil von Frauen in Führungspositionen stagniert und wird von der Bundesagentur für Arbeit für 2018 sogar nur noch mit 27 Prozent beziffert.5 Mit Blick auf individuelle Karriereverläufe lässt sich also zusammenfassen: Frauen starten stark, mit guten Noten und hohen Bildungsabschlüssen.6 Doch dann fallen sie nach und nach aus dem System. Sie starten als Löwin und landen als Kätzchen – in der Sachbearbeitung und überproportional häufig in der Teilzeit. 48 Prozent aller Frauen, aber nur 11 Prozent aller Männer arbeiten Teilzeit. In Haushalten mit minderjährigen Kindern sind es sogar rund elf Mal so viele Frauen wie Männer (66 Prozent gegenüber knapp 6 Prozent).7
Auch im 21. Jahrhundert sind Kinder überwiegend Frauensache, und die Schalthebel der Macht bleiben ganz überwiegend in männlicher Hand. Das mag zum Teil mit unterschiedlichen Lebensmodellen zusammenhängen. Nicht jede und jeder – auch nicht jeder Mann – will schließlich Karriere machen, und das ist ganz okay. Das allein erklärt jedoch nicht, warum die ehrgeizigen Schülerinnen, Studentinnen und Jobeinsteigerinnen in den Unternehmen plötzlich in so großer Zahl zu bescheidenen Sachbearbeiterinnen mutieren. Auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen, wie die nach wie vor lückenhafte Kinderbetreuung oder ein Steuersystem, das mit dem Ehegattensplitting die Teilzeit- oder Hausfrauen- (und zumindest theoretisch auch) Hausmann-Ehe belohnt, sind aus meiner Sicht unzureichende Erklärungsansätze. Über 15 Jahre in Unternehmen diesseits und jenseits des Atlantiks, in unterschiedlichen Funktionen und Karrierestufen von der Mitarbeiterin im Sales über die Key Account-Managerin, Regionaldirektorin und Country-Managerin bis zur eigenen Unternehmensgründung haben mir die Augen geöffnet für die Tücken und Fallstricke einer Frauenkarriere. Ich habe selbst Lehrgeld bezahlt, daraus meine Schlüsse gezogen und nebenbei rechts und links viele Frauen erlebt, die sich müde kämpften und irgendwann das Handtuch warfen. Dabei gibt es meiner Beobachtung nach zwei entscheidende Wendepunkte – kritische Schwellen, an denen sich der weitere Karriereverlauf entscheidet: erstens den Übergang von der Einstiegsposition und erster Führungsverantwortung (etwa einer Team- oder Gruppenleitung) ins Mittelmanagement und zweitens den Aufstieg von dieser Managementposition an die Unternehmensspitze, ins Topmanagement (also in die Geschäftsführung, den Vorstand oder Aufsichtsrat).
An den Wendepunkten „Aufstieg ins Mittelmanagement“ und „Aufstieg ins Topmanagement“ ändern sich die Spielregeln im Job, und das ist es, was viele Frauen stolpern lässt. Das soll nicht heißen, dass Männer bei diesen Karriereübergängen nicht auch stolpern können. Doch solange Männer die überwiegende Mehrheit auf den mittleren und oberen Unternehmensetagen stellen und sich dabei in einer langen Tradition wissen, besitzen sie einen entscheidenden Vorteil: Männer scheitern immer als Einzelne, Frauen scheitern immer „als Frau“. Oder haben Sie schon einmal die Frage gehört, ob „ein Mann das denn könne“, diese oder jene Managementposition bekleiden? Mir fällt da allenfalls der Posten des Frauenbeauftragten ein. Und selbst wenn man die Frage nach der grundsätzlichen Eignung von Frauen in der Führung heute nicht mehr laut stellt – schließlich leben wir in Zeiten der Political Correctness –, die klassischen Geschlechterstereotype sitzen tief, und das nicht nur bei Männern. Einem „Unconscious Bias“ der Selbststereotypisierung unterliegen auch viele Frauen, wie wir im Verlauf des Buchs noch sehen werden. Das alles macht es für Frauen nach wie vor schwieriger, nach der Macht zu greifen. Denn welches Spiel gespielt wird, bestimmt die Mehrheit, daran ändern auch wohlklingende Leitbilder und hehre Absichtserklärungen in Sachen Diversity wenig. Während junge Frauen in Schule und Ausbildung und auch noch beim Jobeinstieg für ihren systemkonformen Fleiß belohnt werden, werden spätestens bei der Besetzung der Abteilungsleitung die Karten neu gemischt. Fleiß ist hier nicht nur kein Primärkriterium, sondern womöglich sogar kontraproduktiv. Welche Führungskraft möchte schon qua Beförderung jemanden verlieren, der ihr Tag für Tag klaglos Berge von Arbeit wegschafft?
Ich spreche da durchaus aus eigener Erfahrung. Am Anfang meiner Karriere konnte ich schnell Erfolge erzielen. Ich war fleißig, zuverlässig, ehrgeizig und konnte zudem sehr gut mit Kunden umgehen. Alles typisch weibliche Eigenschaften. Im Laufe der Jahre realisierte ich aber, dass es auf diese Eigenschaften nicht mehr ankommt, wenn man über die fachliche Entwicklung hinaus auch aktiv die Karriereleiter erklimmen will. Hier zählen selbstbewusstes Auftreten, Handlungsorientierung und Durchsetzungsstärke, das energische Anmelden von Ansprüchen. Leider alles Eigenschaften, die Frauen nicht unbedingt zum Vorteil gereichen. In diesem neuen System fühlen Männer sich pudelwohl, und ihnen kreidet auch niemand ein dominanteres Auftreten an. Wenn man sich vom mittleren Management ins Topmanagement entwickeln will, kommen wieder andere Qualitäten ins Spiel. Man muss gut vernetzt sein, taktisch versiert, im Hintergrund die Strippen ziehen und Unterstützer gewinnen können. Viel deutet darauf hin, dass die erste Generation von Frauen, die in den Jahren 2010 bis 2015 in die Vorstände berufen wurde und in jedem zweiten Fall schon nach zwei Jahren das Unternehmen wieder verließ,8 an dieser Klippe gescheitert ist: als Neuling ohne Hausmacht, von außen auf ein Querschnittsressort (gern: Personal oder Kommunikation) berufen, als Frau sehr kritisch beäugt und überdies abhängig von der Unterstützung der anderen Ressorts. Wenn dann noch eine „unweibliche“ Vorliebe der neuen Vorständin für klare Worte hinzukommt, ist ihr Schicksal schnell besiegelt (vgl. dazu Teil III: „Größe zeigen: Die Erhabene“).
Abbildung 1 verdeutlicht den typischen Karriereverlauf von der Einstiegsposition über das Mittelmanagement und von dort an die Unternehmensspitze sowie die kritischen Übergänge dazwischen. Damit ist zugleich die Grundstruktur dieses Buchs beschrieben. Es geht den karriereentscheidenden Faktoren der verschiedenen Abschnitte nach und gibt Frauen Handlungsempfehlungen für das Meistern der kritischen Übergangsphasen. Denn nur, wer die Regeln kennt, kann erfolgreich mit ihnen umgehen, sie situativ für sich nutzen und vielleicht auch mal geschickt unterlaufen. Gleichzeitig fragt das Buch danach, was Unternehmen tun können, um Frauen tatsächlich das Einbringen ihres Engagements und ihrer Ideen zu ermöglichen. Es geht hier nicht um „Frauenförderung“ – ein Begriff, der auch so verstanden werden kann, als müsse man einer weniger begabten Gruppe mühsam aufs Pferd helfen. Dass ein höherer Frauenanteil in den Unternehmensspitzen sich auch wirtschaftlich auszahlt, haben verschiedene Studien längst eindrucksvoll belegt, etwa McKinsey unter dem Stichwort „Women matter“ kontinuierlich seit 2007 und 2018 unter dem Titel „Delivering through Diversity“. Wenn die angeblich sachorientierten und rein rationalen Entscheidungsgremien dem zum Trotz nicht mehr Frauen in Toppositionen bringen (Stichwort „Zielgröße Null“), spricht das erneut für das Beharrungsvermögen tradierter Rollenklischees, Führungsbilder und Machtverhältnisse. Das Ziel muss sein, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der sich sowohl Männer als auch Frauen voll entfalten und ihre Stärken einbringen können. Und dies im Zusammenspiel miteinander, um den höchstmöglichen Nutzen für das Unternehmen zu erzielen.
Abbildung 1: Karrierephasen und kritische Übergänge
Was spricht bei alledem dafür, dass nun tatsächlich die Stunde der Frauen gekommen ist? Ein mächtiger Faktor ist schlicht die Demografie. 2018 war ein knappes Drittel der Führungskräfte in Deutschland zwischen 51 und 60 Jahre alt (32,8%), ein Sechstel war zwischen 61 und 70 (17,1%), knapp 7 Prozent saßen sogar mit 71 und mehr Jahren noch auf dem Chefsessel.9 Knapp die Hälfte der Generation Golfplatz (wie ich sie nenne) wird sich in den nächsten Jahren in den Ruhestand verabschieden: Die Babyboomer der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge 1946 bis 1964 ziehen sich aus dem Berufsleben zurück. Gleichzeitig stehen die Millennials, also die Männer und Frauen, die zwischen 1981 und 1996 geboren wurden, am Scheideweg ihrer Karriere. 2020 sind sie zwischen 24 und 39 Jahre alt, also im Jobeinstieg oder schon auf dem Sprung ins Mittelmanagement. Bis 2030 werden die Ehrgeizigsten von ihnen Ambitionen auf das Topmanagement anmelden. Aufgrund der seit 1964 stetig sinkenden Geburtenraten hinterlässt die Nachkriegsgeneration zudem eine große Lücke. Das gilt übrigens auch für den inhabergeführten Mittelstand, der häufig händeringend nach einem Nachfolger (oder einer Nachfolgerin) sucht, weil die Chefriege auch hier in die Jahre gekommen ist. Allein bis Ende 2020 sollten laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) weit mehr als 200.000 Unternehmen in neue Hände gegeben werden.10 Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Enkelinnen und Enkel der Babyboomer dem klassischen Karrieremodell vielfach skeptisch gegenüberstehen. Diese Alltagsbeobachtung wird von einer groß angelegten Untersuchung der Manpower Group untermauert. 2016 befragte der Personaldienstleister 19.000 berufstätige Millennials in 25 Ländern weltweit (Europa, Asien, Australien, Nord- und Südamerika). Nur 13 Prozent der Befragten in Deutschland nannten in der Studie „Millennials im Karriere-Marathon“ dabei die Übernahme einer Führungsrolle als Karriereziel, 33 Prozent wollten vor allem „mit tollen Menschen zusammenarbeiten“. Weltweit zählt Deutschland damit zu den Ländern mit der niedrigsten Neigung zu Führungspositionen.11
In Summe bedeutet all das: Immer mehr ausscheidenden Führungskräften stehen immer weniger führungswillige Nachwuchskräfte gegenüber. Kein Wunder, dass die ersten Arbeitsmarktexperten nach dem Fachkräftemangel nun auch den Führungskräftemangel zum Thema machen.12 Der Firmen Leid könnte der Frauen Freud sein, denn wo mehr Bedarf ist, sollten auch ihre Chancen steigen. Das gilt aber nur, wenn diejenigen unter ihnen, die Lust auf Karriere, Führung und Verantwortung haben, ihre Ansprüche anmelden und sich von zählebigen Rollenmustern sowie männlich dominierten Führungskulturen nicht ausbremsen lassen. Es funktioniert, wenn Nachwuchskräfte nicht blauäugig in die Unternehmen stolpern, weil sie überzeugt sind, die Gleichberechtigung sei doch längst verwirklicht und die Geschlechterfrage nur etwas für verbitterte Feministinnen über 50, die nicht geschnallt haben, dass sich ihr Anliegen längst erledigt hat. Es gilt, wenn Frauen im Mittelmanagement sich nicht länger erfolglos verschleißen, weil sie unbeirrt glauben, fachliche Erfolge sprächen für sich, und darüber das Netzwerken und die Eroberung der Unternehmensbühnen versäumen. Und es funktioniert, wenn Frauen im Topmanagement nicht mehr einsame Kämpferinnen (englisch „Onlys“) bleiben, die von einer Männerriege misstrauisch beäugt und gern mit Querschnittsressorts wie Personal abgespeist werden. Leider sind wir auf all diesen Ebenen noch nicht so weit, sonst sähe es auf den Teppichetagen der Unternehmen anders aus. Dann würde nicht jede Frau, die es an die Spitze schafft (wie etwa Jennifer Morgan bei SAP im Herbst 2019 als erste Vorsitzende eines DAX-Konzerns*), in der Wirtschaftspresse als Sensationsmeldung gehandelt.
Heute werden die Weichen gestellt, wer zukünftig die Wirtschaft lenkt. In meiner Vorstellung sind das Teams aus Männern und Frauen verschiedenster Herkunft, die ihre Stärken einbringen können, ohne dass eine Gruppe oder eine Seite einseitig die Regeln diktiert. Das ist kein Gefallen an die Frauen oder andere „Minderheiten“, sondern ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft: Nur Unternehmen, die Vielfalt und Inklusion nicht nur im Leitbild führen, sondern unterschiedliche Kompetenzen und Blickwinkel integrieren können, werden langfristig am Markt erfolgreich sein. Die Unternehmen müssen auch in ihren Entscheidungsgremien so vielfältig werden wie ihre Kunden. Wir sollten jetzt die Organisationskulturen schaffen, in denen Frauen sich in ihrer Karriere respektiert fühlen und nicht politische Kämpfe in Bezug auf ihr Geschlecht führen müssen. Das kostet nur unnötig wertvolle Energie und nützt weder ihnen noch den Unternehmen.
Was diese ganz konkret tun können, um Karriere und Aufstieg für Frauen ebenso selbstverständlich zu machen wie für Männer, ist daher ebenfalls Thema des Buchs. Solche praktischen Maßnahmen bewähren sind zugleich als Nagelprobe für gelebte Chancengleichheit. Neben einem Blick auf die augenblickliche Besetzung der Chefposten können sie jeder Frau als Messlatte dienen: Ist „Diversity“ in dieser Organisation gelebter Alltag oder doch nur ein Thema für Reden auf der Weihnachtsfeier und in Recruiting-Werbebroschüren?
*Am 21. April 2020 teilte SAP mit, dass Jennifer Morgan das Unternehmen zum Ende des Monats verlässt. Der Aufsichtsratsvorsitzende Hasso Plattner hatte dem Modell einer Doppelspitze überraschend nach nur einen halben Jahr angesichts der Krise eine Absage erteilt.
»Stehvermögen ist mindestens genauso wichtig wie kreatives Potenzial.«
Seit der Gründung von „Mission Female“ 2019 gebe ich regelmäßig Interviews in der Wirtschaftspresse zur Zielsetzung des von mir initiierten Business-Netzwerks. Bei uns unterstützen sich Führungsfrauen tatkräftig gegenseitig und verhelfen sich so zu mehr beruflichem Erfolg, immer mit der Mission, die Anzahl von Topmanagerinnen im deutschsprachigen Raum signifikant zu erhöhen. Davon profitieren auch Mitarbeiterinnen im unteren und mittleren Abschnitt der Karriereleiter durch aktive Förderung und eine heterogene Arbeitskultur, nicht zuletzt auch durch weibliche Rollenvorbilder. Role Models zeigen, was möglich ist in einer männlich dominierten Führungswelt, in der es für Frauen noch viele Hürden zu überwinden gilt. All das erkläre ich im Interview einer jungen Journalistin Mitte 20. Sie zeichnet meine Ausführungen pflichtschuldig auf, runzelt dabei gelegentlich die Stirn. Schweigt. Am Ende des Interviews legt sie ihr Aufnahmegerät beiseite, schaut mich an und sagt: „Aber das stimmt doch alles gar nicht! Mein Chef ist nett, und ich kann machen, was ich will. Ich werde in meinem Job nicht benachteiligt. Und schon gar nicht, weil ich eine Frau bin.“
Die Redakteurin, in ihrem ersten Job beim Kundenmagazin eines DAX30-Unternehmens, ist kein Einzelfall. Viele junge Frauen reagieren ähnlich skeptisch, wenn es um Chancengleichheit geht. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert, Gleichberechtigungsdiskussionen haben sich aus ihrer Sicht längst erledigt. Die spätere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder schrieb schon Ende der Neunzigerjahre in der Abiturzeitung ihrer Schule, sie wolle „Ehe, Kinder und Karriere unter einen Hut bringen, ohne dass irgendein Teil darunter leidet und ohne jemals zur Feministin zu werden“.1 Spreche ich dagegen mit Frauen ab Mitte 40, Anfang 50, ernte ich ganz andere Reaktionen. „Ich kann es manchmal nicht fassen, dass wir heute noch über dieselben Fragen diskutieren wie vor 25 Jahren: Ob Frauen nicht führen können oder nicht führen wollen. Ob die Quote gerecht ist. Wie Frauen Karriere und Kinder verbinden. Männer fragt das nach wie vor niemand“, so eine erfolgreiche Managerin aus dem Mittelstand: „Es ist erschreckend, wie wenig sich faktisch geändert hat.“ Zwischen der hoffnungsfrohen Jobstarterin und der desillusionierten Managerin liegen 30 Jahre Erfahrung, Platz genug für viele Erlebnisse, die das eigene Weltbild verändern und Zweifel aufkommen lassen, ob Gender-Diskussionen wirklich in die feministische Mottenkiste gehören. Eine Ärztin Anfang Dreißig, die nach Bestnoten im Abi, im Studium und erfolgreicher Promotion an einer großen Klinik arbeitet, erfährt, dass sie und andere Frauen im „gebärfähigen“ Alter sich von einem 6-Monatsvertrag zum anderen hangeln, während die männlichen Kollegen gleich zum Jobstart einen 3-Jahresvertrag bekommen. Sie spricht davon, dass ihre „feministische Wut“ erwacht sei und ergänzt: „Ich dachte immer: Solange ich mich ins Zeug lege, kann ich alles erreichen, was ich will. Dass mein Geschlecht einen Einfluss auf meine Zukunftschancen haben könnte, insbesondere in der Arbeitswelt, der Gedanke war mir total fremd.“2
Wer wollte jungen Frauen von heute ihren Optimismus verdenken? Leistungsorientiert, fleißig und ohne groß anzuecken sind die meisten von ihnen bis zum Jobeinstieg durch die Bildungsinstitutionen marschiert. In der Schule trafen sie überwiegend auf Lehrerinnen und Lehrer, die froh waren über die im Schnitt ruhigeren Mädchen und ihre Leistungen angemessen honorierten. Mit guten Noten in der Tasche haben sie in den letzten Jahrzehnten die Universitäten erobert. Waren bis 1960 noch über drei Viertel der Studierenden Männer, ist das Geschlechterverhältnis heute ausgewogen, wenn auch nach Studienfächern sehr unterschiedlich.3 Praktika, Auslandsaufenthalte, Erasmus-Programme oder die Ausbildung in einem renommierten Unternehmen, die Welt steht dem weiblichen Nachwuchs offen. Diskussionen darüber, ob ein Mädchen überhaupt die höhere Schule besuchen oder gar studieren solle, weil es „ja doch heiratet“, kennen sie allenfalls aus Erzählungen ihrer Großmütter. Bisher war alles leicht. Warum sollte es so nicht weitergehen? Sicher, dass auch in Schulen mit fast rein weiblichem Kollegium sehr häufig ein Mann im Direktorenzimmer sitzt, oder dass zwar rund 50 Prozent der Studierenden, aber weniger als 12 Prozent der Lehrenden an den Universitäten in der höchsten Gehaltsstufe C4 weiblich sind, könnte stutzig machen.4 Aber all das ist im Zweifelsfall weit weg und berührt den eigenen Alltag kaum. Manche Erfahrungen muss man selbst machen, und es ist nur menschlich, dass der Blick nach vorne vom Blick zurück geprägt wird, wie Konfuzius schon vor 2.500 Jahren feststellte: „Erfahrung ist wie eine Laterne im Rücken. Sie beleuchtet stets nur das Stück Weg, das wir bereits hinter uns haben.“
Und doch hat diese Haltung ihre Tücken, denn sie programmiert ein böses Erwachen förmlich vor. Wie wird der nette Chef der enthusiastischen Nachwuchsjournalistin wohl reagieren, wenn sie erst Karriereansprüche anmeldet und in Konkurrenz zu männlichen Kollegen oder sogar zu ihm selbst tritt? Warum hat eine ambitionierte Politikerin und Ministerin wie Kristina Schröder ihren Abi-Traum begraben und sich nach dem zweiten Kind aus dem Bundestag zurückgezogen? Und wird die junge Ärztin mit den Kettenverträgen womöglich frustriert irgendwann dem Lob eines Oberarztes folgen, der ihr jüngst empfahl, mit ihrer hohen Kompetenz und Ruhe bringe sie doch die „besten Eigenschaften“ dafür mit, „Mutter zu sein“.5 Würde er einen fähigen Nachwuchsarzt wohl ebenfalls in die Familienpause komplimentieren, statt ihn zu seinem Nachfolger aufzubauen?
Kristina Schröder ist kein Einzelfall. Spätestens, wenn die Familiengründung naht, wird es schwierig für die karrierebewussten Frauen. Und auch hier starten viele von ihnen mit einer Illusion – dem Glauben, dass sie es selbstverständlich anders halten werden als ihre Mütter und sich nicht in die Hausfrauen- und Mutterrolle mit Teilzeitjob verabschieden. In der Praxis beobachten Wissenschaftler jedoch eine „Retraditionalisierung“ der Geschlechterrollen. Die Genderforscherin Professor Paula-Irene Villa Braslavsky bezeichnet es als „Paradoxie“, die in zahlreichen Studien belegt sei: Junge Männer und Frauen sagen übereinstimmend, beide wollten sich um die Familie kümmern und das Geschlecht spiele dabei keine Rolle. Wenn es dann aber so weit ist, sind es auch heute noch fast nur Frauen, die zugunsten der Familie zurückstecken. Junge Paare gingen in Deutschland „als modernes Paar in den Kreissaal hinein und kämen als Fünfziger-Jahre-Paar wieder heraus“, so der Schriftsteller Jakob Hein, ehemaliger Väterbeauftragter der Berliner Charité.6 Teilzeitquoten belegen dies ebenso wie die Aufteilung der Elternzeit in zwölf plus zwei Monate, die verräterischerweise „Vätermonate“ heißen, obwohl natürlich auch Mütter für einen Kurzausstieg optieren können (mehr dazu in Teil II – der Karrierephase, in der viele Frauen sich erneut zwischen weiterem Aufstieg oder Ausstieg entscheiden). Zu diesen Befunden passt ein Ergebnis der Ernst & Young (EY) Studentenstudie 2018, für die 2.000 Studenten in 27 Universitätsstädten befragt wurden. Danach zählt bei der Wahl des künftigen Arbeitgebers die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bei den Frauen zu den Top 5 der Entscheidungskriterien (auf Platz 2 hinter „Jobsicherheit“). Bei den männlichen Studenten schafft es dieser Punkt gar nicht erst unter die ersten Fünf.7 Kein Wunder, dass von vagen Absichtserklärungen zur Aufteilung der Familienarbeit wenig übrigbleibt, wenn es irgendwann hart auf hart kommt. Vor diesem Hintergrund ist die Warnung der Co-Geschäftsführerin von Facebook, Sheryl Sandberg, nur zu berechtigt: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die mit Abstand wichtigste Karriereentscheidung, die eine Frau trifft, diejenige ist: ob sie einen Lebenspartner haben möchte und wer dieser Partner sein soll. Ich kenne keine einzige Frau in einer Führungsposition, deren Partner nicht voll und ganz – und damit meine ich voll und ganz – hinter der Karriere steht.“8
Damit wir uns nicht missverstehen Ich bin natürlich dafür, dass jedes Paar selbst entscheidet, wie es seine Familie organisieren will. Ich bin allerdings dagegen, dass Frauen sich mit fadenscheinigen Argumenten in eine traditionelle Rolle drängen lassen. Zu diesen Argumenten gehört beispielsweise, dass der Mann ja mehr verdiene und sich angesichts des Ehegattensplittings bei der Steuer und angesichts der Kinderbetreuungskosten das Weiterarbeiten für die Frau somit finanziell ohnehin kaum lohne. Sandberg weist zu Recht darauf hin, dass diese Kalkulation kurzsichtig ist, denn sie beschränkt sich auf wenige Lebensjahre und vernachlässigt den Einkommensverlust, der bezogen auf die Lebensarbeitszeit entsteht, weil Teilzeitarbeit oder jahrelanger Komplettausstieg die Karriere der Frauen insgesamt bremst und ihr Einkommen dauerhaft senkt.9 Wie schon betont: Eine Frau, die Karriere nicht oben in ihrer Lebensplanung hat und gerne in die Familienrolle schlüpft, verdient ebenso viel Respekt für dieses Modell wie die Kollegin, die Kinder und Karriere verbinden will, oder die Frau, die auf Kinder verzichtet. In einer idealen Welt könnten Männer wie Frauen unter diesen drei Modellen wählen, ohne sich dafür vor irgendwem rechtfertigen zu müssen. Doch Frauen müssen sich bis heute für jedes dieser Modelle erklären, sind wahlweise Heimchen am Herd, Rabenmutter oder selbstbezogen und karrieregeil. Die wenigen Hausmänner dagegen werden bewundert – man denke nur an den Pressehype um den „Spitzenvater des Jahres 2019“, Daniel Eich, der für die drei gemeinsamen Kinder in Elternzeit ging, damit seine Frau Insa Thiele-Eich als erste deutsche Astronautin 2020 ins Weltall fliegen konnte. Diese Großtat wurde mit 5.000 Euro Preisgelt belohnt. Ja, was ist schon ein Flug ins Weltall gegen einen Windeln wechselnden Mann!? Und während gebärfähige Frauen und Mütter als Risikokandidatinnen gelten, sammeln Familienväter bis heute im Recruiting Seriösitätspluspunkte. Hat ein verheirateter Mann keine Kinder, muss er sich kaum wie viele Frauen Egoismus und einen übertriebenen Hang zur Selbstverwirklichung vorwerfen lassen.
An all dem sind nicht nur die Männer „schuld“. Frauen wählen in der Regel Partner, die besser ausgebildet und älter sind und eben darum fast immer mehr verdienen. Das Modell „Krankenschwester heiratet Arzt“ greift bis heute, hat die Wirtschaftspsychologin Melanie Steffens festgestellt, die die Fachliteratur zum Thema Geschlecht und seine Auswirkung im Arbeitsumfeld umfassend durchforstet hat. Wer unter diesen Voraussetzungen zurücksteckt, wenn Kinder da sind, ist vorhersehbar. Geschlechterstereotypen greifen eben auf beiden Seiten, bei Frauen wie Männern. Steffens Rat, karrierestrategisch müsse man Frauen raten, „einen jüngeren Mann zu wählen, der etwas weniger gebildet ist als sie oder ein Fach mit geringeren Verdienstmöglichkeiten gewählt hat“, dürfte daher in der Praxis auf wenig Gegenliebe stoßen. Bis heute übernehmen Frauen auch in Doppelverdienerhaushalten zudem das Gros der Hausarbeit. Verdienen sie mehr als ihre Ehemänner, legen sie sich im Schnitt sogar noch stärker ins Zeug und der Mann beteiligt sich kaum noch. Steffens deutet das als „eine Kompensation für das männliche Ego“.10
Die Welt ist wirklich kompliziert, und wir alle scheinen Gefangene uralter Muster und Rollenerwartungen. Gerade vor diesem Hintergrund kann man jungen Frauen nur raten, sich schon früh Gedanken über ihre Lebensprioritäten zu machen und die Aufgabenteilungen mit ihrem Partner gründlich zu klären, bevor es ernst wird mit der Familiengründung. Wer ist bereit, sich zurückzunehmen? Muss es wirklich das Eigenheim sein, oder investiert man vorläufig mehr gemeinsames Geld in gute und zuverlässige Kinderbetreuung? Häufig passiert genau diese Klärung nicht, in der Hoffnung, es werde sich schon alles regeln, wenn es so weit ist. Und dann schrumpft die eigene Welt sehr schnell von „Alles ist möglich“ auf ein Eigenheim im Grünen oder die Dreizimmerwohnung in einem teuren Großstadtviertel mit guten Schulen für den Nachwuchs. Und das „Projekt Kind“ ersetzt frühere Karrierepläne vollständig, statt – wie eigentlich geplant – beides miteinander zu verbinden.