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Titel

Inhaltstext

Qindie

Das Keinhorn

Weitere Geschichten aus dem Pärloniversum

Die Frösche vom Finsterteich

Die Herrin der Messingfestung

Pongo und die Elfenverschwörung

Lisa-Marie Reuter

Impressum

Lisa-Marie Reuter

 

 

DAS KEINHORN

Eine Kurzgeschichte aus dem Pärloniversum

Das Keinhorn

 

Ein Einhorn ohne Horn, das hat es im Allwald noch nie gegeben! Als »Keinhorn« fristet die junge Stute Freistern ein tristes Dasein. Eines Tages trifft sie ein vorlautes Wildschwein mit einem ganz speziellen Problem – und erkennt, dass es im Leben Wichtigeres gibt als Äußerlichkeiten.

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DAS KEINHORN

 

 

»In der Nacht, als du geboren wurdest, schaute jedes Einhorn im Allwald gebannt hinauf zum Himmel«, erzählte Freisterns Mutter oft. »Nie zuvor hatten wir eine solche Konstellation beobachtet. Die strahlende Freya stand hoch am Firmament und alle benachbarten Gestirne umringten sie wie eine Königin. Große Dinge passieren in solchen Nächten.«

Selbst nach unzähligen Wiederholungen lauschte Freistern der Geschichte noch voller Ehrfurcht. Sie schmiegte ihr zierliches, hornloses Köpfchen an den warmen Leib ihrer Mutter und spürte die Worte wie eine Liebkosung über sich hinwegstreichen.

Im Glanz eines solchen Wunders geboren zu werden, verhieß ihr eine goldene Zukunft, darin waren sich die Einhörner im Allwald einig. Ein Fohlen, auf das Freyas gunstvolles Licht gefallen war, würde unter seinesgleichen hervorstechen wie ein feuriger Diamant unter matten, kühlen Mondsteinen. Der Schwung seines Halses würde Schwäne vor Neid erblassen lassen und seine Mähne würde sich wie ein schimmernder Wasserfall bis zu den schlanken Beinen ergießen. Sein Fell würde dicht und seidig wachsen, die Hufe blitzen wie poliertes Silber. Und erst sein Horn! Sein Horn würde sich in einer makellosen Helix zum Himmel recken und das Sternenfunkeln von dort auf die Erde holen.

Als Freistern vom Fohlen zur jungen Stute heranwuchs, bewahrheiteten sich viele dieser Prophezeiungen. Sehnsüchtige Blicke schmolzen auf ihrer schneeweißen Gestalt. Sie lernte, ihren Quastenschweif mit den Schmetterlingen in der Brise tanzen zu lassen und welken Blüten mit einem Schnauben neues Leben einzuhauchen.

Als für Freistern und ihre Altersgenossen die Zeit des Sprießens kam, spekulierten die älteren Einhörner voller Vorfreude darüber, mit welcher Art von Horn Freya das Glückskind segnen würde.

»Perlmutt«, mutmaßte ihre Tante Sonnenstaub. »Diese Farbe stünde ihr vortrefflich.«

Goldmond, der Leithengst, schnaubte skeptisch. »Elfenbein, sage ich. Das vertrüge sich besser mit dem Teint ihrer Mähne.«

»Wie lang es wohl werden wird?«, fragte eines der Fohlen.

Sonnenstaubs Tonfall ließ keinen Zweifel zu. »Lang und schmal wie das ihrer Mutter. Das liegt in der Familie, müsst ihr wissen.« Und dabei hielt sie ihren Kopf wie zufällig so, dass das Abendlicht ihre Hornspitze zum Leuchten brachte.

Ein Jungtier nach dem anderen in Freisterns Jahrgang begann nun mit dem Sprießen. Jeden Morgen betrachteten diejenigen, deren Stirn noch glatt war, ihr Spiegelbild im Wasser des Beerenbachs und suchten nach Beulen oder winzigen Spitzen unter der Mähne.