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Walter G. Pfaus

Mörderkarussell

Mörderkarussell



Kriminalroman



Walter G. Pfaus




IMPRESSUM


Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Titelbild: Nach einem Motiv von Pixabay mit Steve Mayer, 2017

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de





Klappentext:

Nadine war jung und schön und mit einem reichen, alten Mann verheiratet, den sie loswerden wollte. Leo hatte einige Jahre Knast hinter sich. Er war der ideale Partner für Nadine. Schon nach wenigen Wochen war beiden klar, dass Nadines Mann sterben musste. Sie hatte auch schon den perfekten Plan, und Leo stieg sofort darauf ein. Doch dann lief einiges aus den Fugen und das Mörderkarussell begann sich zu drehen.







1



Leo Kampen hatte genug gesehen. Er verließ das Kaufhaus durch den Haupteingang und sah sich auf dem Parkplatz nach dem weißen Alfa Romeo um. Er ging langsam durch die Reihen der geparkten Autos, konnte den Alfa aber nirgends entdecken. Erst als er sich an die Parkbuchten seitlich des langgestreckten Gebäudes erinnerte, fand er den weißen Sportwegen mit den roten Sitzen und dem schwarzen Dach.

Grinsend blieb Leo vor dem Alfa stehen. Rechts neben dem Alfa „Spider 2000“, stand ein alter Opel, links davon parkte ein kleiner Lieferwagen. Leo blickte durch das Seitenfenster in das Innere des Wagens. Auf dem Beifahrersitz lag eine teure Sonnenbrille mit großen Gläsern, und auf dem Rücksitz lag ein schwarzer Damenhut. Er sah sehr teuer aus, wie alles, was die Frau trug.

Es war nicht das erste Mal, dass er die Frau sah. Er kannte sie seit etwa zehn Tagen. Genau gesagt, war es das dritte Mal, dass sich ihre Wege kreuzten.

Schon bei der ersten Begegnung war ihm klar gewesen, dass sie entweder eine Tochter aus gutem Hause oder reich verheiratet war. Leo tippte auf letzteres, was ihm auch am liebsten gewesen wäre. Er war damals gerade aus dem Arbeitsamt gekommen, und sie hatte Ecke Olgastraße und Wichernstraße gestanden und einem Taxi gewunken. Sicher wäre sie ihm nicht aufgefallen, wenn sie nicht so wunderschönes, goldblondes Haar gehabt hätte. Er hatte sie damals ja nur von hinten gesehen. Und sie hatte einen sehr teuren Pelzmantel getragen. Einen Ozelot. Von Pelzen verstand Leo eine Menge. Wegen seiner Vorliebe für Pelze hatte er zuletzt ein Jahr und vier Monate abgesessen, ehe er wegen guter Führung auf Bewährung rausgelassen wurde.

Leo war bis auf wenige Meter an die Frau herangekommen, ehe ein Taxi anhielt. Sie hatte ihn vermutlich gar nicht gesehen oder zumindest nicht beachtet. Dafür hatte er sie umso eingehender betrachtet.

Die Frau war hübsch, ausnehmend hübsch sogar. Sie hatte ein ovales Gesicht, mit hochstehenden Backenknochen, kleinem herzförmigem Mund und glatter, fast durchscheinender Haut. Sie war nicht sehr groß, knapp eins sechzig. Unter dem dicken, teuren Pelzmantel konnte man ihre Figur nur erahnen. Aber Leo hätte damals schon gewettet, dass sie sehr schlank, fast zierlich war. Genau seine Kragenweite, auch vom Alter her. Sie mochte etwa zwischen fünfundzwanzig und dreißig sein.

Aber dann war sie in das Taxi eingestiegen und abgefahren, ohne Leo überhaupt gesehen zu haben. Leo hatte sich die Nummer des Taxis notiert und vier Tage lang versucht, den Taxifahrer ausfindig zu machen. Aber es war ihm nicht gelungen. Er tröstete sich damit, dass der Taxifahrer ihm ja doch nicht gesagt hätte, wohin er die Frau gefahren hatte.

Fünf Tage nach diesem ersten Zusammentreffen, sah er sie zum zweiten Mal. Es war am Münsterplatz, und sie war in diesem weißen Alfa an ihm vorbeigefahren. Es war ein wunderschöner Apriltag gewesen, und sie hatte das Verdeck zurückgeschlagen. Ihre Kleidung hatte sie dem Wagen angepasst. Sie trug ein rotes Trägerkleid mit tiefem Ausschnitt. Um ihren Hals hatte sie einen weißen Schal geschlungen.

An der Einmündung zur Hirschstraße musste sie am Fußgängerüberweg anhalten, und Leo war gerade rechtzeitig hinzugekommen, um einen Blick auf ihre Figur zu werfen. Sie war so schlank, wie er es sich vorgestellt hatte. Im tiefen Ausschnitt ihres Kleides waren die Ansätze von relativ großen Brüsten zu sehen.

Sie war natürlich der Blickfang aller Männer. Von allen Seiten wurde sie angestarrt, was sie sehr nervös werden ließ. Sie gab im Stand Gas, dass der Wagen laut aufheulte, und eine alte Frau, die gerade dicht an der Motorhaube vorbeiging, zuckte erschrocken zusammen.

Als der Strom der Fußgänger nicht abreißen wollte, ließ sie den Wagen langsam auf den Zebrastreifen rollen. Ungeduldig drängte die sich durch die Fußgänger, und als sie den sehr belebten Fußgängerüberweg endlich hinter sich hatte, gab sie Gas und schoss um die Kurve Richtung Neue Straße.

Leo hatte jedoch Zeit genug gehabt, sich die Nummer des Wagens zu notieren. Aber anfangen konnte er damit auch nichts. Ohne Beziehungen war es nicht möglich, den Halter eines Fahrzeugs an Hand der Nummer herauszufinden. Beziehungen hatte Leo keine. Keine solchen. Er hätte in den „einschlägigen Kreisen“, wie er die GanovenSzene bei sich nannte, herumfragen können. Einer hätte sicher gewusst, wer die Frau war. Aber das wollte Leo nicht. Er hatte gelernt, dass man in diesen Kreisen keinem trauen konnte.

Und es war auch nicht notwendig gewesen, irgend jemanden nach der Frau zu fragen, denn dann war der heutige Tag gekommen, der erste wirkliche Glückstag in Leos Leben. Vorher hatte er eigentlich noch keine so rechte Vorstellung, was er von der Frau wollte, außer mit ihr ins Bett zu gehen. Aber jetzt wusste er es.

Der Tag hatte schon so wunderbar begonnen. Er war um halb neun aufgestanden und hatte sofort beschlossen, nach Senden zu fahren, um den dortigen Kaufhäusern seinen Besuch abzustatten. In den Kaufhäusern in der Ulmer City kannte man ihn schon viel zu gut.

Es war die beste und glorreichste Idee gewesen, die er je in seinem Leben gehabt hatte. Nicht dass er hier in Senden zum ersten Mal gewesen wäre; er hatte auch hier schon zweimal abgesahnt. Aber dass er gerade heute beschlossen hatte, hierher zu fahren, war sein Glück gewesen, denn er hatte das Kaufhaus kaum richtig betreten, da war sie schon an ihm vorbeigerauscht, eine herrliche Duftwolke hinter sich lassend.

Leo hatte sie sofort wiedererkannt, und er war ihr ganz automatisch gefolgt. Er wollte den richtigen Moment abpassen, um sie anzusprechen.

Aber dann war es gar nicht mehr notwendig gewesen, sie anzusprechen. Es wäre auch völlig falsch gewesen. Also hatte er sich damit begnügt, ihr zwanzig Minuten lang nur zu folgen und sie zu beobachten, und er war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen.

Und jetzt stand er hier neben ihrem Wagen und wartete auf sie, und zum ersten Mal hatte er das Gefühl, eine Glücksträhne erwischt zu haben. Die Frau sah verdammt gut aus, und sie war reich. Er hatte noch nie eine so gutaussehende Frau in seinem Bett gehabt. Und er hatte noch nie eine reiche Frau gebumst. Die hier war beides, gutaussehend und reich, und Leo würde seine Chance zu nutzen wissen.

Bislang hatte die Glücksgöttin nicht viel für ihn übrig gehabt. Eigentlich gar nichts. Sie schien ihn bisher permanent übersehen zu haben. Solange er zurückdenken konnte, hatte er immer nur Pech gehabt in seinem Leben. Das hatte schon mit seiner Geburt begonnen. Er hatte nämlich das Pech, einen Mann zum Vater zu haben, der eine zweite Tochter wollte. Aber das zweite Kind war ein Sohn gewesen, und sein Vater hatte dieses Kind, das kein Mädchen war, vom ersten Schrei an gehasst. Das wurde schon bei der Taufe deutlich. Er hatte seinem Sohn den Namen gegeben, den er am meisten hasste: Leo. Der Name Leo war für seinen Vater der Inbegriff des Bösen gewesen. In den Jahren 1941 bis 1943 hatte Leos Vater einen Lehrer gehabt, der Leo geheißen hatte. Der Lehrer war ein Teufel gewesen, und Edwin Kampen, Leos Vater, hatte bei dem Lehrer die Hölle gehabt. Die nächste Hölle hatte Edwin Kampen erwartet, als er mit sechzehn Jahren noch in den Krieg ziehen musste. Der Unteroffizier, zu dem Edwin kam, hatte Leo geheißen, und der hätte ihn vier Tage vor Kriegsende fast in den Tod geschickt. Seitdem hatte Edwin Kampen den Namen Leo gehasst, und er hatte seinem Sohn den Namen gegeben, um seine Wut besser an ihm auslassen zu können.

Leo hatte keine schöne Kindheit gehabt. Kaum ein Tag war vergangen, ohne dass er nicht Prügel bezogen hätte. Seine Schwester dagegen, hatte das schönste Leben. Sie konnte tun und lassen was sie wollte, und sie bekam auch alles, was sie wollte. Leo bekam nur das Nötigste. Was er am Nötigsten hatte, laut seinem Vater, waren Prügel, und darin war sein Vater nicht gerade zimperlich gewesen.

Als Leo zwölf war, hatte er ein Gespräch zwischen seinem Vater und dessen Freund belauscht. Sein Vater hatte gesagt: „Weißt du, am liebsten hätte ich einen ganzen Stall voll Mädchen gehabt. Fünf oder sechs; es hätten meinetwegen auch sieben sein können. Aber als dann als zweites dieser Unfall passierte, habe ich mich nicht mehr getraut. Ich wollte nicht noch so einen Bastard großziehen.“

Und erst als Leo vierzehn war, wurde ihm durch eine Beobachtung klar, warum sein Vater nur Mädchen haben wollte. Leo sah, wie sich sein Vater an seiner damals 17jährigen Tochter verging.

Später erfuhr Leo von seiner Schwester, die mit neunzehn Jahres das Elternhaus verlassen hatte, dass sich der Vater zum ersten Mal an ihr verging, als sie zehn war.

Das war Leos Elternhaus gewesen. Er hatte keine schöne Kindheit gehabt, und die Jugendzeit war nicht besser gewesen. Was immer er in die Hand genommen hatte, war schief gelaufen. Aber jetzt sah er einen Hoffnungsschimmer. Zum ersten Mal war ein Wunsch von ihm in Erfüllung gegangen. Er hatte sich gewünscht, die Frau wiederzusehen, unter Bedingungen, die es ihm ermöglichen würden, sie anzusprechen. Und schon wenige Tage später heute, an einem regnerischen Tag im April, hatte sich sein Wunsch erfüllt. Und es war sogar noch besser gelaufen, als er je zu hoffen gewagt hatte. Im Moment war jedenfalls nicht abzusehen, was seine Beobachtungen wirklich wert waren. Man würde abwarten müssen, was da alles rauszuschlagen war. Eine flotte Nummer mit einer hübschen Blondine auf jeden Fall. Und Geld sicher auch.

Es dauerte noch etwa zehn Minuten, bis die Blonde endlich auftauchte. Sie schien es nicht sehr eilig zu haben.

Leo bewunderte ihren auserlesenen Geschmack, was ihre Kleidung betraf. Die Frau hatte einfach Klasse. Sie war mit einem schwarzen, knielangen Rock aus Kalbsveloursleder und einem dazu passenden Blazer aus gleichem Leder bekleidet. Darunter trug sie eine weiße Bluse mit schwarzen Streifen. Das blonde, schulterlange Haar trug sie offen.

Leos Herz klopfte laut, als sie langsam näher kam. Sie beachtete ihn gar nicht, obwohl er nicht zu übersehen war. Sie suchte in ihrer großen, weißen Umhängetasche nach ihren Autoschlüsseln.

Ungeniert trat Leo jetzt hinter sie, wartete, bis sie den Wagen aufgeschlossen hatte und berührte sie dann leicht an der Schulter.

„Gestatten Sie?“ sagte Leo. Er drängte sich an ihr vorbei, setzte sich hinein und rutschte auf den Beifahrersitz durch. Dann beugte er sich nach links und lächelte die Frau an. „Bitte, setzen Sie sich doch.“

„Also, das ist doch...“ Die Frau sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an. „Das ist die größte Frechheit, die mir je untergekommen ist.“

„Wirklich?“ tat Leo erstaunt. „Da sehen Sie mal, dass Sie noch nicht sehr viel erlebt haben. Was glauben Sie, was mir schon alles passiert ist.“

„Raus!“ zischte die Frau. „Machen Sie sofort, dass Sie aus meinem Wagen kommen, oder ich schreie!“

„In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie das nicht tun“, sagte Leo freundlich. „Setzen Sie sich in Ihren Wagen und lassen Sie uns darüber reden.“

„Reden?“ Die Frau tippte sich an die Stirn. „Sie scheinen was am Kopf zu haben. Ich wüsste wirklich nicht, worüber ich mit Ihnen reden sollte.“

„Worüber wir beide reden müssen, ist so wichtig, dass wir nicht einmal Zeugen dafür brauchen können“, sagte Leo. „Hauptsächlich in Ihrem Interesse. Also setzen Sie sich jetzt in den Wagen und machen Sie die Tür zu.“

„Nicht, so lange Sie in meinem Wagen sitzen.“

„Wetten, dass Sie es tun?“

„Das wollen wir doch mal sehen.“ Sie zieht ihr Handy aus der sehr teuer aussehenden Handtasche.

„Wen wollen Sie anrufen? Die Polizei? Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Es ist besser, Sie setzen sich jetzt in Ihren Wagen, und wir tun, was ich vorher schon gesagt habe: Wir reden miteinander.“

„Ich wüsste wirklich nicht, worüber wir beide reden sollten.“

„Ich habe Sie da drinnen eine Weile beobachtet. Und über das, was ich da drinnen alles gesehen habe, reden wir jetzt.“

Die Frau zögerte noch einen Augenblick. Dann setzte sie sich hinter das Steuer und zog die Tür zu

Leo beugte sich zu ihr hinüber. Sie wich sofort zurück. Aber Leo hatte nicht die Absicht, sie zu küssen. Noch nicht. Seine Hand fuhr blitzschnell unter ihren Rock.

„Darüber möchte ich mich mit Ihnen unterhalten“, sagte Leo.

„Sie...Sie wollen mich vergewaltigen?“ Die Frau wagte sich einen Moment nicht zu rühren.

„Für was halten Sie mich eigentlich?“ Leo lachte. „Ich habe noch nie einer Frau Gewalt angetan. Lieber Gott, wozu denn? Das habe ich wirklich noch nie nötig gehabt.“

„Aber was wollen Sie dann von mir?“ Sie versuchte, seine Hand wegzuschieben.

„Ich möchte mich mit Ihnen über den Hamsterbeutel unter Ihrem Rock unterhalten.“

„Über meinen Hamsterbeutel?“ Sie wurde um einen Schein blasser. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Mein Gott, jetzt stellen Sie sich nicht so an“, seufzte Leo. Er zog seine Hand unter ihrem Rock hervor und strich dabei sanft über ihre Schenkel. „Ich habe Sie da drin mindestens eine Viertelstunde lang beobachtet. Sie haben geklaut, was Ihnen in die Finger kam. Sie haben alles unter den Bund Ihres Rockes gesteckt, und da unten nichts heraus fiel, müssen Sie logischerweise da drunter einen Sack, eine Tasche oder irgendeinen Beutel hängen haben, der jetzt ganz schön voll sein muss. Ist Ihnen jetzt klar, worüber ich mich mit Ihnen unterhalten möchte?“

„Sind Sie der Kaufhausdetektiv?“ fragte sie plötzlich kleinlaut.

Leo gab ihr darauf keine Antwort.

„Wenn Sie mich anzeigen, kann ich mich gleich aufhängen“, sagte die Frau.

„Na, na. Wegen Kaufhausdiebstahl ist noch niemand gehängt worden.“

„Aber mein Mann bringt mich um, wenn er davon erfährt.“ Ihre Hände spielten nervös mit dem Lenkrad. Ihr Blick war auf ihre Beine gerichtet.

„Dann sollte man Ihren Mann umbringen“, sagte Leo leichthin. „Wenn er imstande ist, Ihnen auch nur ein Haar zu krümmen, ist er Sie nicht wert.“

Sie schwieg eine Weile. Dann sah sie ihn an. „Was wollen Sie jetzt machen?“

„Müssen wir das hier besprechen?“

„Können Sie denn weg?“

„Ich kann weg“, grinste Leo. „Ich kann weg, wann immer ich will.“

„Wohin soll ich fahren?“ fragte sie knapp.

„Fahren wir doch raus zu den Baggerseen, wenn wir schon hier in Senden sind“, schlug Leo vor. „Im April ist da noch kein Badebetrieb. Wir werden dort also ungestört sein.“

„Gut, dann rutschen Sie runter auf den Boden. Ich möchte nicht mit Ihnen gesehen werden.“

„Sehe ich so schrecklich aus?“

„Im Gegenteil. Deshalb sollen Sie ja abtauchen. Es gibt so viele geschwätzige Menschen...

„Okay, okay, ich bin schon unten.“ Leo schob den Beifahrersitz ganz nach hinten und setzte sich davor auf den Wagenboden. Es bereitete ihm etwas Mühe, seine Beine unterzubringen. Aber nach einigen vergeblichen Versuchen, klappte es doch noch.

Die Frau breitete über ihm einen leichten Mantel aus, startete den Wagen und fuhr los. Sie fuhr sehr schnell. Nach etwa zehn Minuten bremste sie ab und bog in eine schmale Seitenstraße ein.

Leo schob den Mantel ein Stück zur Seite und sah von unten herauf in ihr Gesicht. Es war starr wie eine Maske. Nichts regte sich darin. Sie schien zu ahnen, was auf sie zukommen würde.

„Sie sind eine gute Fahrerin“, lobte Leo, einfach um etwas zu sagen.

Sie gab ihm keine Antwort. Sie schaltete auf den zweiten Gang herunter und lenkte den Wagen auf einen unbefestigten Weg. Leo merkte es an der holprigen Fahrt.

Zwei Minuten später hielt sie an. „Wir sind da. Sie können hochkommen.“

Stöhnend richtete Leo sich auf. Inzwischen taten ihm alle Knochen im Leib weh. Überrascht sah er sich um. Sie hatte vor einer etwa eineinhalb Meter hohen Hecke angehalten, in die ein breites Holztor eingelassen war. Dahinter befand sich ein ziemlich großes Grundstück mit einem gepflegten Rasen und einem kleinen Garten. Mitten im Rasen stand ein kleines, aber hübsches Holzhaus.

„Wem gehört das Haus?“ fragte Leo.

„Meinem Mann.“ Sie öffnete das Tor. „Fahren Sie den Wagen herein und machen Sie dann das Tor wieder zu.“

Ohne Widerspruch setzte sich Leo ans Steuer des Alfas und fuhr ihn durch das Tor. Es war das erste Mal, dass Leo hinter dem Steuer eines solchen Wagens saß. Es war für ihn ein erhebendes Gefühl. Von so einem Wagen hatte er schon immer geträumt.

Er stieg aus, ging die paar Schritte zurück, schob das Tor zu und folgte der Frau in das kleine Holzhaus. Sie war schon drin. Sie hatte ein Fenster geöffnet und die Läden zur Seite geschoben, um ein wenig Licht hereinzulassen. Die Frau schloss das Fenster wieder und wandte sich ihm mit unbewegtem Gesicht zu.

„Verriegeln Sie die Tür.“

Leo warf die Tür zu und schob den Riegel vor. Dann standen sie sich eine Weile schweigend gegenüber. Die Frau zitterte, aber in ihren Augen stand keine Angst.

„Sie sind kein Kaufhausdetektiv, nicht wahr?“ fragte sie mit leicht erregter Stimme.

„Ich habe nie behauptet, dass ich einer bin“, antwortete Leo ruhig.

„Sie haben mich ganz zufällig beobachtet?“

„Nicht ganz“, gab Leo zu. „Ich habe Sie vorher schon ein paar Mal gesehen, und Sie haben mein Herz zum Rasen gebracht. Als ich Sie dann im Kaufhaus wiedersah, bin ich einfach hinter Ihnen hergegangen. Ich wollte auf eine Gelegenheit warten, um Sie anzusprechen. Und dann bin ich aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. So was habe ich noch nie zuvor gesehen. Sie haben geklaut, was Ihnen in die Finger kam. Völlig wahllos, ohne auf den Wert zu sehen.“

Sie senkte den Blick, wandte sich langsam um und setzte sich auf einen der vier Eichenholzstühle. Der Tisch war ebenfalls aus geschliffenem und lackiertem Eichenholz. Das Haus bestand nur aus diesem einen Raum. Außer dem Eichentisch und den Stühlen gab es noch drei offene Regale an den Wänden, in denen Geschirr stand. Auf einer Kommode stand ein kleiner Gaskocher; links daneben befand sich ein Sofa. Vorne an der Tür lehnten ein paar RelaxLiegen. Daneben lagen zwei Angeln auf dem Boden.

„Ich kann nichts dafür“, sagte die Frau leise. Sie saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl und blickte auf ihre schlanken, braungebrannten Hände auf ihrem Schoß. „Es kommt manchmal einfach über mich... Es ist wie ein Zwang. Dann muss ich stehlen... Ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll...“

„Haben Sie’s schon mal mit einem Psychiater versucht?“ Leo setzte sich auf das Sofa.

„Das kann ich nicht!“ wehrte sie entsetzt ab. „Das ist völlig unmöglich! Mein Mann würde es sofort erfahren, und dann müsste ich ihm sagen, weshalb ich einen Psychiater aufsuche. Er würde mir sofort verbieten, weiterhin zu dem Arzt zu gehen, und er würde selbst versuchen, mich davon zu heilen... Mit Prügel.“

„Das darf doch nicht wahr sein“, sagte Leo ungläubig.

„Es ist aber so. Glauben Sie mir.“

„Warum verlassen Sie ihn dann nicht?“

Sie gab ihm darauf keine Antwort. Stattdessen fragte sie: „Was wollen Sie für Ihr Schweigen haben?“

Leo war noch ein wenig verwirrt von ihrem Geständnis.

„Was... haben Sie anzubieten?“ fragte er plump.

„Alles!“ Sie stand hastig von ihrem Stuhl auf. „Alles was Sie wollen. Sie wollten doch mit mir schlafen, nicht wahr? Bitte, ich bin einverstanden. Wir können es hier tun, sofort. Jetzt kommt niemand hierher. Oder wollen Sie lieber Geld? Ich habe zwar keines bei mir, aber ich besorge Geld, wenn Sie ein wenig Geduld haben und wenn es nicht zuviel ist. Ich tue alles, was Sie wollen, wenn Sie mich nicht verraten und wenn Sie mich nicht anzeigen...“

Sie zog ihren Blazer aus, hängte ihn über einen Stuhl und knöpfte langsam ihre Bluse auf. Sie schien wirklich zu allem bereit zu sein.

Leo sagte nichts. Er ließ sie machen. Sein Blick war auf ihre Bluse gerichtet. Er war richtig gespannt, was drunter hervorkommen würde.

Es war überwältigend, was er zu sehen bekam. Ihre Brüste waren noch schöner, als er es sich vorgestellt hatte. Er wollte sie ganz nah vor seinen Augen haben, er wollte sie fühlen und streicheln, und er streckte die Arme nach ihr aus.

Sie kam langsam näher. Zögernd ließ sie sich neben ihm auf das Sofa nieder, und Leo nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie zart auf den Mund, die Stirn, die Augen und ließ seine Zunge um die zarten Knospen ihrer Brüste kreisen.

Anfangs lag sie steif in seinen Armen. Aber dann kam sie ihm nach und nach entgegen, und ihr Mund öffnete sich ihm, und sie zog ihn immer ungestümer an sich. Bald lagen sie beide völlig nackt auf dem Sofa, und sie gab sich ganz dem sanften Spiel seiner Hände hin.

Dann drang er langsam in sie ein.


2


Später lagen sie schwer atmend nebeneinander auf dem engen Sofa. Sie hielt ihn fest umschlungen, und Leos Hände streichelten sanft über ihren Körper.

Die Frau brach als erste das Schweigen.

„O Gott, wie ich das gebraucht habe“, flüsterte sie nah an seinem Ohr. „Es war so wunderschön... unsagbar schön. Ich wusste gar nicht mehr, wie es ist, von einem Mann so behandelt zu werden... Halt mich fest. Halt mich ganz fest und lass mich nie wieder los.“

„Ich lass dich nie wieder los“, versprach Leo. Er bog den Kopf zurück und sah ihr in die Augen. „Ich weiß nicht mal deinen Namen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mit einer Frau geschlafen, von der ich nicht einmal den Namen weiß.“

„Ich heiße Nadine.“

„Nadine“, flüsterte Leo. „Was für ein schöner Name. Ein Name wie Musik. Nadine...“. Er schwieg ein paar Sekunden. Dann sagte er: „Damit kann ich nicht konkurrieren. Ich heiße einfach Leo, Leo Kampen.“

„Gefällt dir der Name nicht?“

„Nein, er gefällt mir nicht. Er klingt so einfach, so simpel. Hunde nennt man Leo.“

„Wie würdest du gern heißen?“

„Ich weiß nicht... Christian vielleicht.“

„Nein, nicht Christian!“ Ihre Stimme klang hart und abweisend, und ihr Gesicht wirkte von einer Sekunde zur anderen verschlossen und starr. Durch ihren Körper lief ein Zittern.

„Was ist los?“ fragte Leo verwundert. „Was hast du gegen den Namen?“

„Er heißt so!“

„Wer? Dein Mann?“

Sie nickte.

„Wer ist dein Mann?“

„Christian Karmann.“

„Karmann? Der Karmann?“

„Ja, der Karmann mit der Waffenfabrik.“

„Großer Gott!“ stöhnte Leo. „Auch das noch. Den fürchten sogar die Ganoven aus Ulms Unterwelt.“

„Jetzt weißt du, warum ich mich fürchte.“

„Ja, jetzt ist mir alles klar. Karmann ist ein Schwein, das weiß sogar ich. Und ich weiß, dass er jede Menge Frauen um sich herum hat. Wozu braucht er dann dich?“