
ISBN: 978-3-7357-5011-2
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
1. Auflage (2014)
Copyright: Heiko Hansen
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung von Heiko Hansen und Claudia Grosser reproduziert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Bevor Sie damit beginnen dieses Buch zu lesen und Ihren Erziehungsstil zu erweitern, ist es sinnvoll einen Enneagrammtest zu absolvieren. Sie lernen dadurch Ihre eigene Enneagramm-Charakterstruktur kennen und haben so ein aktuelles Ergebnis für dieses Buch.
Ich empfehle Ihnen, den Test von Markus Becker „Enneagramm Typen-Test“ zu verwenden.
Formulieren Sie vor dem Test Erziehungsfragen und Aspekte zu Ihrem Erziehungsstil und zu Ihrer Erziehungsphilosophie. Dadurch werden sich beim weiteren Studieren dieses Buches Ihre Fragen über die verschiedensten Charaktere beantworten. Ebenso erschließt sich Ihnen auf diese Weise, welcher der neun Charaktere Ihr „Experte“ für das Beantworten Ihrer speziellen Fragen sein wird.
Frage 1
Frage 2
Frage 3
Die schöne Geschichte von dem Wunsch einer Eichel, mag Sie und Ihre „Kleinen“ auf das Spiel der Charaktere und die damit verbundenen Emotionen einstimmen:
„Es war einmal eine schöne, perfekte Eichel. Sie war gerade von ihrem Baum gefallen und war auf der Suche nach einem schönen Platz, wo sie ihre Wurzeln in die Erde schlagen könnte, um eine schöne Eiche zu werden. Da begegnete sie einem Redwood-Baum. Das sind die riesigen Bäume, die über 2000 Jahre alt werden und über 100 Meter hoch sind. Die Eichel war fasziniert von der Erscheinung und beschloss, auch ein Redwood-Baum zu werden. Sie ging zu einem Trainer, um zu lernen, ein Redwood-Baum zu werden.
Der Trainer freute sich über den neuen Kunden und machte mit der Eichel alle möglichen Übungen. Er gab der Eichel Bücher zu lesen und Tonbänder zu hören und Videos zu sehen. Ihre Titel waren: „Das positive Denken von Redwood-Bäumen!“ „Berühmte Redwood-Bäume und ihre Geschichte“ „Das Glück, ein Redwood-Baum zu sein“ usw. Der Trainer empfahl der Eichel auch den Umgang mit Redwood-Bäumen und so kam es, dass die Eichel in der Nähe der Redwood-Bäume einen Platz fand, den sie für sich ideal ansah, um ihre Wurzeln in den Boden zu senken.
Was ist wohl aus dieser Eichel geworden? Ein Redwood-Baum? Natürlich nicht: Es wurde eine Eiche daraus. Eine schöne, starke Eiche – aber eine unglückliche, unsichere Eiche voller Minderwertigkeitskomplexe, denn sie vergleicht sich noch heute mit einem Redwood-Baum. (Quelle: Martens/Kuhl, Die Kunst der Selbstmotivierung).
Möchten Sie, dass aus Ihrem Kind ein Redwood-Baum wird? Es möglichst schnell lernt, größer und stärker ist als die anderen zu werden? Erziehen Sie Ihr Kind nach den Erwartungen, die in der Wirtschaft gefordert werden oder ist das Kriterium, was wohl die Nachbarn denken könnten wichtig? Schneller zu wachsen als andere, früh mehr zu verlangen, schnell auszubilden ohne geeignete Mentoren? Eine gute Chance, die Lust am Lernen zu verleiden.
Wenn Eltern den Charakter ihres Kindes und natürliche Entwicklungsprinzipien nicht verstehen und versuchen - wie in der kleinen Geschichte - aus einer Eiche einen Redwood-Baum zu formen, dann werden sie ein verzweifeltes, schwieriges Kind erziehen, weil es die Anerkennung für sein Selbst möchte und zu wenig erhalten hat.
Wahrscheinlich fragen Sie sich verunsichert: „Von wem hat er das? Ich will doch nur das Beste! Frau Erzieherin, Herr Lehrer. Da stimmt was nicht.“ Ein Ruf nach Unterstützung. Ich möchte Sie mit diesem Buch dazu einladen, die Bildung von Charakteren und ihre Prägungen auf der Basis des Enneagramms genauer zu betrachten. Und ebenso wie Ihre Charaktermuster die erzieherische Arbeit Ihrer Kinder beeinflusst und prägt. Mit Fragen und Tipps entwickeln Sie interessante Aspekte und Strategien für Ihre Erziehung und Pädagogik.
In dieses Praxisbuch fließen zudem aktuelle neurobiologische sowie Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie ein.
Die aktuellen Erkenntnisse der Neurobiologie geben uns diverse neue Hinweise auf die Wichtigkeit der ersten Lebensjahre. Insbesondere für die Prägung unseres Charakters, z.B. wie wichtig Emotionen zur Bildung unserer Persönlichkeit mit entsprechenden Verhaltensmuster sind. In den ersten fünf Lebensjahren bilden sich ca. 90 Prozent der stabilen Emotionsreaktionen ab. Sie bilden den Kern unseres Charakters. Auch wenn wir uns im Laufe unseres Lebens weiterentwickeln, so bleibt die Neigung in gewissen Situationen doch so zu reagieren, wie wir es uns in den ersten 5 Lebensjahren antrainiert haben bzw. antrainiert wurde. Nur zu ca. 10 Prozent wird es überhaupt noch zu größeren Veränderungen im Charakterkern kommen. Diese Veränderungen sind am stärksten, wenn man sein Selbst entwickelt. „Endlich darf ich so sein und leben wie ich bin und immer gefühlt habe, dass es so richtig ist.“ Kein Wunder, dass viele den Eindruck haben, dass man für eine Persönlichkeitsentwicklung schwer an sich arbeiten muss.
Kinder kommen mit einem unfertigen Prozessgehirn auf die Welt, d.h. die Überlebensinhalte müssen durch Eltern etc. vermittelt werden. Durch das individuelle Genprogramm steht sozusagen eine Basissoftware zur Verfügung. Kinder lernen sehr gerne und viel, um die einzelnen Inhalte, die es braucht um zu überleben, schnell und qualitativ hochwertig zu bekommen. Für dieses Trainingsprogramm sind in erster Linie Eltern verantwortlich: Aufbau, Planung, Orientierung, Handlung, Korrekturen, andere Trainer sind involviert (Verwandtschaft, Kitas, Schulen, Freundesgruppe) – das ganze (gesellschaftliche) Erziehungsprogramm.
Beginnen wir mit dem Startpunkt: Erst während der Schwangerschaft bilden sich verschiedene Gehirnteile heraus. Zunächst bildet sich das Stammhirn. Es ist zuständig für alle körperlichen Vorgänge und Verbindungen. Schon in der Entwicklung bilden sich stabile Lernverbindungen mit Netzwerken (Nervenzellverbände) des Mittel- und Zwischenhirns. Sie sind für neuronale Regelsysteme mit den Organen und Stoffwechselleistungen zuständig sowie für einfache Bewegungs- und Reaktionsabläufe. Die von den Sinnesorganen aus in den mittleren Hirnbereichen eintreffenden Informationen werden zu typischen Erregungsmustern kombiniert. Diese vorgeburtlichen Verschaltungsmuster bleiben ein Leben lang erhalten und bestimmen alle unbewussten Eindrücke. Die Erregungsmuster werden aktiv, wenn der Körper aus seinem Umfeld Signale bekommt, die etwas Entscheidendes verändern können. Ein Bestandteil des sogenannten „Bauchgefühls“.
Das Stammhirn hat eine primäre Verbindung zum Limbischen System. Hier werden alle Erfahrungen, insbesondere die, die emotional tief berühren, mit den entsprechenden Emotionen gemarkert, für das Großhirn (Kortex) vorsortiert und auch vorentschieden. Anschließend werden die Informationen und Strategien mit dem Frontalhirn, u.a. zuständig für bewusste Entscheidungen und Bewertungen, koordiniert.
Erfahrungen, die häufiger vorkommen, also zu einer Gewohnheit geworden sind, werden als nützliches und schnell zur Verfügung stehendes „Standardprogramm“ priorisiert. Je häufiger diese Erfahrung wiederholt wird bzw. Strategien angewandt werden, umso höher wird der Stellenwert in der Nutzen- und Sinnhierarchie. Diese Hierarchietabelle ist sehr individuell. So wird aus einem Feldweg (erste Erfahrung, erste Trainingseinheit) durch häufige Wiederholungen eine Autobahn (xxxte Erfahrung). Man spricht folglich von einer Gewohnheit, einem Muster oder einem Engramm. Diese Engramme werden samt den gemarkerten Emotionen im Kortex (Bewusstsein) abgelegt und gesammelt. Durch das Anlegen von neuralen Netzwerken speichern wir unsere Identität und damit verbundenen Glaubenssätze und Überzeugungen, speichern das Laufen, das Sprechen, Wörter, Fertigkeiten etc. ab. Wenn wir handeln, aktivieren wir diese neuronalen Netzwerke.
Schon die frühesten Erfahrungen werden im Frontallappen oder präfrontalen Kortex abgespeichert. Da das Kind zunächst über wenige Erfahrungen verfügt, greift es immer wieder auf die ersten (emotionalen) Erfahrungen zurück und bestätigt diese durch die Wiederholung, solange es nicht korrigiert wird. Reagieren die Eltern ängstlich oder sind die Gefühlsbindungen zu einem oder beiden Elternteilen gestört, so wirkt es sich direkt auf die Erfahrungsspeicherung aus. Darum trainieren ängstliche, schamvolle Eltern verstärkt mit Angst und Scham, u.a. weil sie es von ihren Eltern gelernt haben. Die Lernprogramme werden weitergegeben, auch traumatisierte Programme. Die gelebten und vermittelten Emotionen beeinflussen die haupttragenden Emotionen des Kindes. Manche Kinder wehren sich mittels einer anderen Emotionen, z.B. Wut, Zorn, dagegen. Diese Erfahrungen und (emotionalen) Strategien formen das Gehirn. Wenn wir uns bewusst entscheiden müssen, Handlungen planen und die Konsequenzen der Handlung abschätzen, dann wird dieser Gehirnteil mit der emotionalen Strategie aktiv. So werden im Frontalhirn alle Einstellungen und inneren Haltungen durch komplexe Nervenzellverknüpfungen verankert. Unser Erfahrungsschatz wird größer, unsere Handlungsalternativen und intuitiven Entscheidungen somit qualitativer.
Jedes Gehirn will sich weiter entwickeln. Lernen, Bindungen einzugehen, Lernen, um zu handeln, Lernen, zu verstehen. So findet das Gehirn inkl. Erfahrungen und Lernprozessen, die bestmögliche Überlebensstrategie. Dafür sind als Haupttrainer primär die Eltern verantwortlich. Sie schaffen ein wichtiges und prägendes Lernklima. Sind die Eltern in ihren Erziehungsansätzen und Trainingsmöglichkeiten begrenzt und zu negativ, weicht das kindliche Gehirn zu einer Notfallstrategie aus. Es entstehen aus dieser Strategie unterschiedliche Charaktere mit differenten Überlebens-, Denk- und Verhaltensaktionen. Ist das Beziehungs- und Lernklima positiv, d.h. können Kinder sich ausprobieren, Erfahrungen sammeln, ihre Stärken durch sinnvolle Wiederholungen trainieren, ihre Potenziale entfalten, ihre Welt entdecken, werden sie gelobt, bekommen sie Anerkennung, Respekt und eine balancierte Aufmerksamkeit, dann stärken Kinder ihr Selbstwertgefühl. Für dieses Lernklima sind Eltern, Erzieher und Lehrer verantwortlich, nicht das junge Gehirn.
Wir haben das Gehirn eines Wirbel- und Raubtieres. Es hat die natürliche Eigenheit und die Potenziale sowie die Fähigkeiten, um Überlebensstrategien Schritt für Schritt zu erlernen. Es wird aufbauend gelernt, d.h. wenn ein Baustein vorher nicht gelernt wurde, dann kann der Mensch keinen weiteren notwendigen Lernbaustein aufsetzen. Folglich fällt uns der nächste Lernschritt schwer. Wir lernen eins nach dem anderen. Unser Gehirn lernt „entschleunigt“, weil es Überlebensprogramme und Handlungsstrategien erlernen muss, die genetisch nicht als Programm implantiert sind. Erst durch eine hohe Wiederholungszahl mit positiven Handlungsausführungen, automatisiert der Mensch seine Lerninhalte. Jeder von uns hat sein eigenes, altersgerechtes Tempo und Zeitfenster. Und genau dieses Lerntempo ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Gehirne sind in diesem Sinne nicht gleich, u.a. auch weil unsere Wahrnehmungsprioritäten different sind. Ein Mensch der nah sieht, lernt in Nuancen und am Start des Lernens anders, als jemand, der einen weiten Wahrnehmungsfokus hat. Auch die Links- und Rechtsdominanz der Augen spielt eine Rolle.
Manchmal verzweifeln wir, weil es nicht klappt, dann geht es auf einmal. Wir haben den Bogen raus. Das zeigt deutlich, wie das Gehirn in Schüben das zu Lernende automatisiert. Manches kann und muss folglich in einem bestimmten Zeitfenster erlernt werden. Zu frühes Erzwingen von Lerninhalten, wie auch zu spätes, führt ins Leere. Die Lerninhalte müssen ineinander greifen. Die Ungeduld mancher Eltern ist völlig kontraproduktiv, ebenso das Bewahren vor Erfahrungen. Ein Kind (sprich sein Gehirn) kann nur in der Erfahrung lernen und Handlungen automatisieren. „Learning by doing“ und „Begreifen“ heißt das Naturrezept. Eltern sowie Pädagogen müssen junge Menschen bei Lernerfahrungen begleiten und sich als Mentoren beweisen.
Ein weiterer Vorteil des „entschleunigten Lernens“ ist, dass Genauigkeit und komplexere Lerninhalte wesentlich besser erlernt werden. Die sinnesspezifische Wahrnehmungsaufnahme lernt langsamer, aber dafür detaillierter. Die richtige Lerngeschwindigkeit, der richtige Zeitpunkt, die richtige Motivation ermöglicht es, Lerninhalte stabil zu erlernen. Zu schnelles und ungeduldiges Lernen erhöht die Vergesslichkeit des Erlernten.
Es gibt noch einen weiteren Grund für das richtige Lerntiming. Wir wissen aus der Hirnforschung, dass man einem Kind, einem Erwachsenen nur einen neuen Lerninhalt verankert, wenn das was verbunden werden soll, bereits vorhanden ist. Das Kind und sein Gehirn über Vorwissen, motorische Fähigkeiten und Vorerfahrungen verfügt. Man lernt halt von klein auf. Erwachsenen ergeht es nicht anders. Im Gehirn entsteht ein Geflimmer, wenn eine neue Wahrnehmung im Gehirn weitergeleitet wird und neue synaptische Verbindungen erzeugt werden. Das erzeugt im Gehirn eine gewisse Unruhe. Der Routineablauf wird gestört. Durch die Störung geht das Gehirn mit der neuen Wahrnehmung aufmerksamer, sprich neugieriger, um. Das Erinnerungsbild wird mit dem neuen Erregungsmuster bzw. Wahrnehmungsbild verglichen. Ist kein Erinnerungsbild vorhanden, dann erleben wir das Lernen als mühselig und fragen uns, was das soll und halten es oft für Unsinn. Das Gehirn tut hinterher so, als sei nichts passiert. Je nach Lernerfahrung reagieren Menschen auf das „Geflimmer“ (die Störung) mit Freude/Wut (ich traue mich) oder Angst/Scham (ich traue mich nicht oder nur sehr vorsichtig). Das gilt auch für Bewegungsabläufe und ihren Gleichgewichtssinn. Komplizierte Bewegungsabläufe lernen sie Schritt für Schritt und es beginnt mit dem Beherrschen einfacher Bewegungen.
Die neuen Wahrnehmungsinhalte werden im Limbischen System mit Emotionen verbunden. So lernen wir schneller und können das Erlernte schneller abrufen, besonders wenn wir es mit visuellen Bildern verbinden und diese Bilder positiv, sinnvoll emotionalisieren. Das kann auch die Emotion Angst sein, um zu lernen, nicht wild und unbedacht über die Straße zu gehen.
Das Lernrezept der Natur hat eine weitere wichtige Grundvoraussetzung gesetzt, die von den Eltern bzw. den Trainern möglichst gut angeboten werden müssen. Das Kind, wie auch Erwachsene, benötigt für optimales Lernen eine enge Verbundenheit (Nähe) und Geborgenheit. Jeder möchte mit anderen Menschen (Familien, Gruppen) verbunden sein. Für sein Dasein anerkannt, respektiert und durch das richtige Loben gestärkt zu werden. Um das Erfahren zu können, muss es handeln und ausprobieren können. Eltern als begleitende und reflektierende Trainer erleben, damit es zukünftige (gefährliche) Situationen richtig (Entscheidungen) einschätzen kann. Das kann das Kind nur entwickeln, wenn es Raum für Erfahrungen, Erlebnisse hat, sich aus probieren und über-sich-hinauswachsen (Grenzen erweitern) darf. D.h. nicht, dass sinnvolle Grenzen nicht gesetzt werden dürften (und auch müssen, z.B. vor lebensgefährlichen Aktionen und Absichten), es heißt aber, dem Kind Mut zu geben statt es, aus zu großem Sicherheitsgefühl (Angst, Scham), vor allem behüten zu wollen. Das Leben birgt Gefahren und das Kind kann es nur im Handeln (in der Situation selbst) und mit anschließender Reflektion (Gespräch) lernen, was die beste Überlebensstrategie ist und wie sie am besten funktioniert.
Jeder von uns hat ein Bedürfnis nach Autonomie, Freiheit, Entfaltung. Es sind zwei elementare Grundbedürfnisse, das jedes Kind hat. Hand auf Ihr Herz: Das gilt auch für Sie. Mit einem positiven Selbstwertgefühl und dem Wissen, dass man stark genug ist und eine bewährte Strategie hat, Probleme zu lösen, reduziert sich die Angst oder der Zorn vor kritischen Situationen. Wir verfügen über wissendes Denken, empathisches Fühlen und starkes Handeln, um innere und äußere Einflüsse, z.B. Störungen, regulieren zu können. Das beruhigt und kräftigt mein Selbst (-vertrauen, -sicherheit, -bewusstsein, -wertgefühl). Mit einem starken Selbst muss ich keine schwierigen Situationen erzeugen, um wahrgenommen zu werden. Übrigens, eine bewährte Strategie von schwierigen Kindern/Jugendlichen/Eltern/Mitarbeitern/Führungspersonen.
Trainieren Sie diese beiden natürlichen Lerngrundbedürfnisse (Autonomie und Geborgenheit) ab, lassen Sie keine wichtigen Trainingssituationen zu, z.B. durch Überbehütung oder fehlende emotionale Nähe oder übertreiben sie bestimmte Inhalte (Indianer kennt keinen Schmerz), dann verhindern Sie eine wichtige Lernentwicklung des Kindes. Das Versäumte wird es nicht so schnell nachholen können. Aus einem ängstlichen Menschen wird so schnell kein Abenteurer und aus einem cholerischen Menschen so schnell kein in sich ruhender Buddhist. Aber, jeder hat seinen Weg, seine Motivation und seine Chance es zu lernen.
Kinder brauchen Aufgaben und zum Alter passende Herausforderungen. Mutige Spielsituationen, die für das Kind auch eine zumutbare Anstrengung bedeuten, die Herausforderung erreichen zu können. Kinder wollen lernen, Probleme zu lösen. Daran kann es sich selbst erfahren, wachsen und ist gewappnet für zukünftige Aufgaben. Es gibt in dieser Welt so unglaublich viel zu entdecken, zu erfahren, zu erleben. Als Elternteil haben Sie die Rolle eines Mentors, eines Trainers, das seinem Kind mit Rat und bewährten Strategien zur Seite steht, ohne dabei zu besserwisserisch zu sein oder aus eigener Ängstlichkeit zu sehr zu blockieren oder mit zu starkem Dominanzaspekt zu übertreiben (Sei stark, das macht dir gar nichts). In einer Lerngemeinschaft, dazu gehört auch der Kindergarten mit gleichaltrigen Kindern, fühlt sich das Kind aufgehoben. Das Gefühl von Geborgenheit, sich verlassen können, Sicherheit und Stimulanz erfahren, ist die wirkliche Basis für menschliche, charakterliche Entwicklung, und nicht das mit Spielzeug abgefüllte Kinderzimmer oder das Desinteresse der Eltern. Die wichtigsten Erfahrungen sammeln Kinder im Spiel, im sich miteinander messen und kreativen Gestalten mit anderen Kindern. Kinder tun und wollen das, weil unser Gehirn Reize braucht und will, um zu lernen. Ergo, hat jedes Gehirn eine Motivation, eine Umgebung mit Lernreizen aufzusuchen, mit seinen Sinnen zu erleben und zu bewerten (Sinn, Nutzen, Leidenschaft). Nur so kann es seine Potenziale erweitern. Über die Sinne kann es eine Wechselwirkung und einen Lernaustausch zwischen „innen“ und „außen“ herstellen. Zum Teil bieten wir allerdings Methoden und Reaktionen an, die das natürliche Lernen verleiden, z.B. nur aus Büchern lernen, wenig visualisieren, auslachen, aus der Hand nehmen, negativ kommentieren.
Das wichtigste Sinnesorgan ist unsere Haut. Ohne Haut können wir nicht überleben. Mit unserer Haut können wir Berührungen wahrnehmen, körperlich empfinden und seelisch fühlen. Kinder suchen instinktiv Berührungsreize. Das machen Babys schon im Mutterleib. Berührungskontakte spielen bei der Identitätsbildung und Selbstwahrnehmung, inkl. der eigenen körperlichen Grenze, eine wichtige Rolle. Berührungskontakte sollten feinfühlig sein und auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt sein. Werden Kinder hierin gut „genährt“, gehen sie im Leben feinfühlig und empathisch mit Menschen und Lebenssituationen um. Entsprechend brauchen Kinder stabile und feinfühlige Beziehungen zu ihren Eltern. Mit „feinfühlig“ ist hier nicht gemeint, das Kind stets nachgiebig zu erziehen, sondern der Situation angemessen und kommunikativ (auch Fragen zu stellen, Interesse zu zeigen).
Zeitlebens ist es die wichtigste Aufgabe des Gehirns, Beziehungen herzustellen, zu stabilisieren und zu gestalten. Allein das bewusste Denken ist es nicht. Im Gegenteil, das Gehirn lernt, weil es Beziehung knüpft, es lernt mit Gefühl. Was wir als Gefühl bezeichnen, ist ein Mechanismus, der eintritt, wenn uns etwas gelingt oder misslingt. Diese Emotionen und Erfahrungen werden zu inneren Bildern, Wahrnehmungs- und Erregungsmustern miteinander verknüpft. Es entstehen typische Verhaltens- und Denkmuster (Charakter). Dieser Prozess geschieht u.a. im Limbischen System. So kann es schneller handeln, schneller entscheiden – innerhalb und im Austausch mit der Umwelt. Schrittweise werden diese Prozesse erweitert und effektiviert. Man wird besser. Der Meister, der noch nicht vom Himmel gefallen ist.
Das Frontalhirn lernt in erster Linie und liebend gerne durch Erfahrungen, nicht durch „Wissen pauken“. Ein Grund, warum so viele den Schulstoff wieder verlernt haben, weil wir es nicht anwenden. Nett zu wissen, aber für mich nicht brauchbar. Ohne häufige Anwendung kein Ausbau des Feldweges zur Autobahn. Alles Unwichtige, d.h. nicht angewandte, wird bewusst vergessen. Prof. Hüther (Uni Göttingen) vergleicht in seinem sehr lesenswerten Buch „Gehirnforschung für Kinder“ das Frontalhirn „mit einem Beobachter, der ständig prüft, was das, was wir erleben, mit uns selbst und mit bisher gesammelten Erfahrungen zu tun hat.“ Jetzt ist klar, warum wir uns bei manchen Fächern gefragt haben, was das Fach mit mir zu tun hat. Und weiter schreibt Hüther: „Je nachdem, ob ein Kind sich mit all dem, was es denkt oder tut, in seiner jeweiligen Lebenswelt als passend, als angenommen und wertgeschätzt, als gesehen und beachtet erlebt, stabilisieren sich in dieser präfrontalen Rinde entsprechende Nervenzell-Verschaltungen. Und die lenken und steuern dann all das, was ein Kind an den eigenen Überzeugungen über sich selbst, über seine Bedeutung und seine Rolle in der Welt entwickelt; ob es zu der Überzeugung gelangt, in seiner jeweiligen Lebenswelt etwas bewirken zu können oder nicht, ob es sich gesehen oder angenommen fühlt oder nicht, ob es sich als einzigartig und wertvoll erkennt oder nicht. Diese im Frontallappen verankerten inneren Haltungen und Einstellungen…sind es, die darüber bestimmen, ob ein Kind gern in die Schule geht, sich zu Hause fühlt, mit anderen Kindern spielen und lernen kann, Verantwortung für sich und andere übernimmt, ob es eine starke, souveräne oder eine schwache, abhängige Persönlichkeit wird.“
Überlegen Sie kurz, wie viele Gesellschaftspiele Sie privat haben und mit welchen Spielen Sie lieber spielen. Oder spielen Sie lieber allein, z.B. am PC. Wie oft spielen Sie? Keine Materie allein wird Ihnen das gleiche Glücks- und Zufriedenheitsgefühl von Liebe, Anerkennung, Zufriedenheit und Geborgenheit geben wie ein positives Selbstwertgefühl mit Menschen, die Sie lieben und von denen Sie Geborgenheit und Wertschätzung bekommen. Sie lernen lieber von Menschen, die Ihnen sympathisch sind, als von unsympathischen. Und findet Ihr Kind Sie sympathisch? Nach Anerkennung hungern wir alle täglich – seit unserem ersten Schrei ins Leben. Bekommen wir es nicht auf menschlicher Ebene, dann eben durch Materie und überzogenen Leistungsanspruch, inkl. Gier- und Neiderfahrungen wie die Bankenkrise und andere Fehlentwicklungen es widerspiegeln. Dann schreien wir eben nach PC-Spielzeug, Geld und anderen emotionserlebenden Süchten, damit unser Belohnungssystem inkl. sofortiger positiver Gefühle des Augenblicks zu seinem täglichen Moment kommt.
Können wichtige Lerngrundbedürfnisse nicht angeboten werden, dann entsteht ein Mangel. Das Kind wird automatisch zu einer Notstrategie greifen und nach Ersatzbefriedigungen und Ersatzstrategien suchen. Viele kreative Verhaltensweisen sind möglich: stur und bockig, viel schreien, haben wollen (inkl. Essen), nichts sagen und schüchtern, schnell wütend werden, durch angeben Anerkennung bekommen, andere Kinder schnell manipulieren, wegnehmen (Ich-Haben statt Ich-Sein) etc.. Insbesondere durch Missachtung und Abwertung können Eltern und Pädagogen das Grundvertrauen für Geborgenheit und Wachstum erschüttern, z.B. durch Verwöhnung, aus der Hand nehmen (Ungeduld), Verbote überall, nicht kommunizieren, nicht erklären können oder wollen – nur funktionieren, immer lieb und artig sein, kleine Prinzen und Prinzessinnenwelten schaffen, zu hohe Erwartungen und Herausforderungen, kein oder zu ehrgeiziger Sport, keine Raufereien, kein Einfühlungsvermögen oder durch das Schaffen von Angstsituationen aus eigenen Angstreaktionen heraus. Eine positive Lernmotivation wird dem Kind geraubt. Es fühlt sich den zukünftigen Herausforderungen nicht gewachsen und agiert ergo blockiert, handelt emotional überreagierend oder reagiert umfunktioniert (das darf ich nicht, dann eben das).
Das Fatale ist, dass derartiges Trainerverhalten von Eltern oder Lehrern, wie z.B. starke psychische Belastungen oder Lerndruck, die Synapsenbildung im Gehirn reduziert bzw. abbricht. Zudem lernen Gehirne sehr unterschiedlich. Schulen bieten oft genug nur eindimensionale Lernmethoden und Lernstrategien an. In der Folge ist nur ein kleines neuronales Netzwerk vorhanden. Das bewirkt, dass das Kind weniger zur Verfügung hat, um aus weiteren Erfahrungen zu lernen und dieses in das Bisherige einbetten zu können. Es kann buchstäblich die aktuellen Erfahrungen nicht aneinanderreihen, weil eine wichtige Vorlernerfahrung nicht vorhanden ist. Es fehlen sozusagen die richtigen Puzzleteile. Das Kind kann nicht oder nur erschwert weiterlernen, es kommt nicht mehr mit. Geschieht dies schon in den ersten Lebensjahren muss das Kind später umso mehr tun, um die fehlenden neuronalen Netzwerke (Lernwissen) aufzuholen. Gerade am Ende des ersten Lebensjahres verfügt das Gehirn über so viele Synapsen (Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen), wie niemals wieder.
Das Kind lernt, „nicht zu lernen“. Es verliert die Lust am Lernen und am Entdecken der Welt. Es zieht sich zurück, wird weniger neugierig. Wird schlaff und träge oder wild und zickig oder, oder… Das Kind resigniert, zeigt negative, ängstliche, selbstzweifelnde Reaktionen, vermeidet Neues und Herausforderungen. Macht darum einen Bogen. Findet Ausreden, warum es nicht geht. Seine Erwartungen sind bereits negativ ausgeprägt. Das Kind empfindet schneller Angst und Stress. Stress behindert den Hippocampus (Lernspeicher und Koordinator) im Limbischen System enorm. In Stresssituationen setzt sich das Stresshormon Cortisol an die Rezeptoren des Hippocampus und verhindert die effektive Verarbeitung von Gelerntem. In Prüfungen als „Blackout“ bekannt. Sehr schnell entstehen resignierende Glaubenssätze wie: „War klar, dass ich es nicht konnte oder mich wieder nicht traute etc.“. Das Gehirn hat gern Recht, schafft sein Recht (Willen) und sucht nach Bestätigungen für die eigene Annahme. So sucht es mit der Zeit Situationen, die das eigene Versagen bestätigen. Man nimmt sich zu viel vor, die Hürde ist zu hoch. Oder die Aufgabe ist zu einfach und wenig motivierend. Die Strategie der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ wirkt.
Es sind verschiedene Faktoren und Erfahrungen, die einen Menschen prägen und seine Verschaltungsmuster (Denkweisen und Verhalten) in typischer Weise aktivieren. Je besser das Fundament gelegt und somit der individuelle Erfahrungsschatz prall gefüllt wird, umso besser wird das Kind lernen, sich positiv zu entfalten. Denn seine Persönlichkeit ist dadurch mit einem effektiven Selbstbild und Selbstwirksamkeitskonzept gut ausgestattet.
Engramme
Wir bilden sehr schnell stabile Gewohnheiten, die wir nur ungern verändern. Meistens nur dann, wenn die Veränderung meiner Gewohnheit durch eine starke Notwendigkeit ausgelöst wird. Gewohnheiten sind in einem gewissen Sinne die berühmten „Schubladen“, die wir anlegen, um uns schnell zu orientieren, auf Ereignisse reagieren und mit gesichertem Handlungsprogramm agieren zu können. Sie sichern einen gewohnten Ablauf unseres Alltags. Sonst stünden wir vor dem Problem, vieles wieder neu lernen oder absprechen zu müssen, was schon geklärt wurde. Kommt es zu solchen Prozessen, empfinden wir es schnell als chaotisch und unzuverlässig. Mögen Sie das? Zudem wäre ein Mensch für uns nicht mehr einschätzbar. Nicht einschätzbaren Charakteren gehen wir nicht ohne Grund gern aus dem Weg. Erinnern Sie sich, wie Sie sich fühlen, wenn Ihnen diese Persönlichkeiten begegnen?
Die Neurobiologen bezeichnen das Anlegen von habituellen (stabil wiederholbaren) Verhaltensmustern und Gewohnheiten, von Erinnerungsspuren von Neigungen, Vorlieben mittels arbeitsteiliger Verarbeitung im Gehirn als Engramme. Das Gehirn legt Engramme mit der Geburt an, emotionale Priorisierungen schon vor der Geburt im Mutterleib. Lernbasis für die Prägung der später beschriebenen neun Charaktere sind neben den drei Grundmotivationen (Beziehung, Dominanz, Erkenntnis/Leistung) emotional belastende Ereignisse, die Werteerziehung meiner Eltern und ihre Wertschätzung/Achtsamkeit/Empathie. Wir lernen von unserem Umfeld, reagieren und agieren darauf.
Das Limbische System
Das Haus unserer Emotionen und Gefühle sowie Erst- und Hauptverarbeitung von Informationen (Wahrnehmungsaufnahme über Sinne und Automatismen/Bauchgefühl) ist das Limbische System und mesolimbische System (u.a. Freude). Die Wahrnehmungsinhalte (und hinterlegte Erregungsmuster) werden im Limbischen System mit Emotionen, früheren Erfahrungen und bewährten Strategien verbunden. Frühere Lernerfahrungen haben einen primären Einfluss. Neue Wahrnehmungsinhalte werden zuerst mit abgespeicherten Erinnerungen verglichen. Kann das Erinnerungsbild mit dem Wahrnehmungsinhalt verbunden werden, löst sich die innere Unruhe auf. Bei diesem Prozess werden Botenstoffe eingesetzt. Bei der Entspannung werden zur inneren Harmonisierung endogene Opiate, Endorphine und Enkephaline frei. Ist das neue Erregungsmuster angepasst und gefestigt, wird das entstandene gute, befriedigende Gefühl durch Katecholamine (wie Dopamin, Nor-Adrenalin, Vasopressin und andere Neuropeptide) hergestellt.
Das Limbische System besteht aus dem Thalamus, der Amygdala und dem Hippocampus.
Thalamus
Es ist der größte Teil des Zwischenhirns, hat direkte Verknüpfungen zum Großhirn und ist die erste Anlaufstation für sensorische Informationen unserer Umwelt. Anschließend werden die sinnesspezifischen Wahrnehmungen gefiltert, u.a. welche Informationen für den Organismus wichtig sind und welche Informationen an die Großhirnrinde (Frontallappen, Bewusstwerdung) und an die Amygdala weitergeleitet werden. Man nennt den Thalamus auch „das Tor zum Bewusstsein“. Schädigungen des Thalamus führen zu Störungen im Bewegungsapparat, Lähmungen und Sensibilitätsausfall.
Amygdala
Die Amygdala ist der Gefahrendetektor unseres Gehirns. Sie bestimmt sehr stark, was wir tun. Sie interpretiert die Gefahr, bewertet sie mit Emotionen, kombiniert es mit Erinnerungsbildern (Erfahrungen) und sendet entsprechende „Handlungsanweisungen“ an weitere Areale unseres (bewussten) Gehirns, die u.U. zeitlich stark verzögert korrigiert werden können, wenn man „sich im Griff hat“.
Die Amygdala nutzt eine schnelle Reizbahn: 12 Millisekunden dauert die grobe Information über eine Ratte. Die zweite, langsamere dauert fast doppelt solange bis sie eintrifft. Beide werden zusammengeführt und interpretiert. Weil wir in Gefahren schnell reagieren müssen, nimmt die Natur auch mal einen Fehlalarm in Kauf.
Unsere Sinne aktivieren die Neuronen der Amygdala. Die wiederum aktivieren entsprechende Bereiche unserer Großhirnrinde, in denen diese Erfahrungen verarbeitet und gespeichert werden. Sie springt besonders dann stark an, wenn die Gesichter anderer Menschen Gefahr anzeigen. „Die ursprüngliche Aufgabe der Gefühle war, rasch vor Gefahr zu warnen oder Vertrautheit zu signalisieren.“ (Büchel)
Im Wesentlichen entscheiden die Gefühle und bisherige Lernerfahrungen, was wir tun und das was sich bewährt hat. Das meiste geschieht unbewusst (S. 73, Die Macht der Emotionen). Man geht heute davon aus, dass bis zu 95% aller Entscheidungen unbewusst getroffen werden. Das Limbische System ist die entscheidende Schaltstelle für die Stabilisierung der Gemütslage, für Aggression, Freude, Handlungsstrategien und Sozialverhalten.
Parallel hierzu laufen Information auf einem zweiten Weg quer durch das ganze Gehirn, bis zur Sehrinde am Hinterkopf. Hier wird der Reiz genauer interpretiert. Die Auswertung erfolgt in drei verschiedenen visuellen Hirnrindengebieten:
In dieser Zeit hat die Amygdala bereits Blutdruck, Herzfrequenz, Muskelanspannung, Schweißproduktion und Stresshormone aktiviert. Der Schreck sitzt uns in den Gliedern.
Das ist evolutionsgeschichtlich die Funktion unserer Emotionen. Sie bahnen Handlungstendenzen und lösen Reaktionsmuster zum Überleben (mit Interpretationsspielraum) aus. Sie treten auf, wenn etwas wichtig für uns ist und geben Hinweise, in welche Richtung wir uns bewegen sollen.
Zudem ist unser Gehirn darauf programmiert, auf wichtige Situationen in einer festgelegten Weise automatisch zu reagieren. Daher können emotionale Reaktionen ohne andere Verarbeitungssysteme des Gehirns erfolgen.
Emotionen
Emotionen sind in Konflikten der Steuermann. Der Kapitän ist das Limbische System, das unbewusst agiert. Ein vernünftiger Gedanke ist der Navigator. Jeder von uns hat zur Orientierung seine innere(n) Seekarte(n), die emotional gekoppelt sind. Es sind sehr individuelle „Charakterteilpläne“. Auf der Seekarte ist auch das Thema Streit und Konflikte abgebildet.
Das Haus unserer Emotionen und Gefühle ist das Limbische System. Emotionen unterstützen die Erst-, Warn- und Erinnerungsverarbeitung von Informationen sowie die richtige Entscheidungsfindung für Handlungen. Das Limbische System besteht aus mehreren Hauptbereichen, die miteinander agieren. Der Thalamus nimmt zuerst Wahrnehmungen über vorhandene Sinne auf. Die Informationen werden mit Mandelkern (Amygdala) emotional (insbesondere mit der Emotion Angst) kombiniert und mit erlernten Automatismen oder früheren Erfahrungen im Hippocampus miteinander vergleichen und ausgewertet. Es besteht eine direkte Verbindung zum bewusst agierenden Kortex und eine zum „Bauchgefühl“. Die sinnlich aufgenommenen Wahrnehmungsinhalte werden mit Emotionen kombiniert, um sich schnell erinnern zu können. Ohne Emotionen wäre das nicht effizient möglich. Die Amygdala ist sehr schnell reizbar und zuständig für die Emotionen Angst, Wut, Ekel und Trauer. Im angrenzenden mesolimbische System ist Freude angelegt. Freude agiert mit dem Belohnungssystem des Gehirns.
Frühere bzw. erste Lernerfahrungen haben einen primären Einfluss. Daher reagieren wir, nicht nur im Streit, wie wir es gewohnt sind. Alles muss nützlich, sinnvoll und leidenschaftlich sein. Neue Wahrnehmungsinhalte werden zuerst mit abgespeicherten Erinnerungen verglichen und auf ihre Brauchbarkeit hinterfragt.
Im ersten Schritt sind Emotionen nicht zu kontrollieren. Sie sorgen durch Freude, Trauer, Wut etc. für schnelle Handlungen. Durch Emotionen können wir miteinander nonverbal kommunizieren, uns motivieren, uns begeistern und uns bewegen. Im Guten wie im Schlechten – verliebt, begeistert oder im Streit sich unwohl fühlen.
Ohne Emotionen sind keine guten Entscheidungen möglich, lässt sich kein Konflikt klären. Konflikte speisen sich aus Emotionen und sie beruhigen sich durch Emotionen, gesteuert durch das Limbische System. Wir alle kennen das berühmte Bauchgefühl. Oder Leidenschaften, die unser Herz höher schlagen lassen. Jede Emotion hat ihren Sinn, ihren Nutzen und ihre Aufgabe. Weltweit sprechen wir in allen Kulturen, nach einem international anerkannten Forschungsergebnis von Prof. Ekman, das weltweit durchgeführt wurde, eine gemeinsame Emotionssprache. Sechs bzw. sieben Emotionen werden von allen Menschen gleich interpretiert: Freude, Trauer, Wut, Angst/Überraschung, Scham und Ekel. Wir können die begleitende Körpersprache, Mimiken und Stimmlagen mühelos interpretieren. Sie sollen signalisieren, wie es mir geht, was ich meine, was ich brauche.
Freude
erleichtert soziale Bindungen. Dadurch bekommen wir Hilfe, stabile Kontakte, Unterstützung. Freude zu zeigen ist ansteckend, empathisch und hat eine friedliche, entspannende, gesundende Wirkung. In der Erziehung entsteht Freude bei einer Win-win-Vereinbarung. Sie zeigt die Güte und die Haltbarkeit von Bindungen an. Freude zeigt uns mimisch, wie auch als emotionaler Marker (siehe Damasio), was uns wirklich begeistert und welche Leidenschaft uns motiviert. Freude ist eine sehr schnelle Emotion. Sie verschwindet auch schnell. So wie sie kommt, so geht sie.
Trauer
spielt eine Schlüsselrolle bei Empathie, Sympathie, altruistischem Verhalten und beim Verarbeiten von belastenden Ereignissen. Trauer zeigt an, dass etwas nicht in Ordnung ist. Das Menschen von etwas enttäuscht sind oder etwas verloren haben, z.B. einen geliebten Menschen oder an Vertrauen eingebüßt haben. Trauer reduziert die Geschwindigkeit, um nachzudenken und den Verlust intensiv verarbeiten zu können. Es führt uns zu genauerem Hinsehen bei Enttäuschungen, bei Verlusten und bei Versagenserlebnissen.
Trauer ist eine verlangsamende Emotion. Auch im Sport gut nach Niederlagen oder misslungenen Aktionen zu beobachten. Man schleicht mit hängendem Kopf vom Platz. Die Körpersprache ist schlaff und eher nach unten gerichtet bzw. gekrümmt.
Wut (Ärger/Zorn)
mobilisiert Kräfte, um auf notwendige Veränderungen in der Handlungsqualität hinzuweisen oder gewollte Handlungen durchzuführen. Ich benötige diese Emotion, um mutig zu agieren oder auch deutlich auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Ich zeige meine Unzufriedenheit. Etwas Bestimmtes muss sich verändern. Wiederholen sich die negativen Erfahrungen, dann steigert sich sukzessive die Wut. Sie ist eine schnelle Emotion. Die Körpersprache zeigt sich stark aufbauend und nach vorne gerichtet, ebenso die Lippenstellung (Entschlossenheit).
Ärger muss nicht automatisch mit Aggression einhergehen. Ein ärgerlicher Gesichtsausdruck soll Aggression vermeiden. Daher baut sich Wut über Phasen zur ungesteuerten Aggression auf. Die Natur hat uns Schutzhürden eingerichtet, wie Deiche, die verhindern, dass die Wut gleich überschwappt oder zu einer Sturmflut ausartet.
Wut benötige ich auch für Provokationen, um herauszufinden, ob mein Gegenüber die „Wahrheit“ sagt, ob er stark ist, ob er sich wehrt. Daher nutzen Menschen mit dieser emotionalen Ausrichtung diese Methode sehr, sehr gerne. Man stänkert ein wenig, man schießt in den Busch, um zu sehen, was passiert.
Hierzu gehört auch der direkte Augenkontakt. Die Machtprobe ist beliebt, um das Standhalten zu testen, die Motivationen zu klären und die gegenseitigen Stärken und Schwächen auszutesten. Letztes „sich messen“ vor dem großen Fight – oder besser die Ausfahrt wählen.
Ganz wichtig: Laut muss es dabei zugehen. Die Wut und der Mut mögen laute Stimmen und Einläutendes vor Aktionen, z.B. das berühmte auf die Schilder schlagen vor der Schlacht. Man muss es hören. Hier ist was los. Wir sind stark. So kann man seine Armee der Freunde sammeln und supporten, damit sie für die „richtige“ Seite Partei ergreifen. Zumindest animiert es, alles zu geben. Jetzt erst recht und mit der ganzen Kondition.
Ekel
ist der natürliche Schlüsselreiz als Hinweis auf Unsauberkeit und schlechtem, verdorbenem Essen.
Ekel wird in Konflikten regelmäßig insbesondere von Wut-Menschen eingesetzt. Das Stänkern und Streiten wird mit „ekeligen“ Worten, die im lauten Ton nur so in die Ohren fliegen, begleitet. „Tja, jetzt steckst du in der Scheiße. Jetzt hast Du Angst. Du stickendes Etwas.“ Oder was immer Ihre Kreativität zulässt.
Konflikte können Sie auch riechen. Gehen Sie mal in einen Raum, wo gerade miteinander gestritten wurde. Das archaische Eau de Toilette hat seine eigene Kreation. Die Luft wird schnell dünn.
Ekelreaktionen können Sie intensiv bei Entscheidungsprozessen sehen. Wenn Ihr Chef bei Ihrem Urlaubsantrag mit der Nase rümpft, ist er garantiert nicht hocherfreut.
Ekel ist eine schnelle Emotion, die eine Verlangsamung bzw. ein Stoppen der geplanten Handlung bewirken soll.
Scham
verstärkt sozial erwünschtes Verhalten. Scham zeigen wir in Situationen, die als unangemessen, nicht erlaubt empfunden werden oder durch Gebote geregelt sind. Scham reduziert unseren Mut, Grenzen zu überwinden. Es lässt einen Mangel (Gewissen) empfinden, weil wir etwas tun wollen oder getan haben, was nicht den Regeln entspricht. Die Regelinhalte müssen vorher festgelegt, anerkannt und trainiert sein. Menschen empfinden manchmal andere Menschen als schamlos. Zugleich motiviert Scham zur Kompetenzerweiterung und zum Perfektionismus. Fehler empfinden viele als schamvoll („Wie peinlich“).
Scham ist ein zwillingshafter Treiber, Dinge nicht anzusprechen und unter den Teppich zu kehren. Man kehrt lieber vor der Tür des Nachbarn, als vor der eigenen Tür. Zeigt auf und verdeckt unter Umständen zur gleichen Zeit.
Scham ist eher eine verlangsamende Emotion und unterstützt meine Selbstdisziplin. Ich soll mich kontrollieren. Dafür benötige ich die Verlangsamung.
Die Empfindung „des peinlich Berührt seins“ steigert ggfs. den Konflikt. Ich gebe es nicht zu, ich darf es nicht zugeben und projiziere meine Fehlerhaftigkeit auf Andere, auf mein Umfeld. Zeige ich mit dem Finger auf andere, sind die Zuschauer von mir abgelenkt und man beschäftigt sich (zunächst) mit dem Menschen, der den Finger vor sich sieht oder gar spürt. „Du hast wieder….“ „Du darfst das nicht…“ „Du….“ In Kombination mit dem „heiligen Zorn“ bekommt es was religiös Fundamentalistisches.
Angst/Überraschung