Sommernachtsblau

 

 

 

 

 

 

 

 

Sommernachtsblau

LAINI OTIS

 

Blue



Es war einer dieser Abende. Die Luft war stickig und durch die Nebelschwaden von Zigarettenrauch und Bühnenlichtdunst konnte man kaum seine eigene Hand vor Augen sehen. Ich schob mich durch die Flut tanzender Leute.

Verschwitzte Arme, durchtränkte T-Shirts.

Irgendein Möchtegern-Cooler brüllte sich gerade die Seele aus dem Leib, indem er versuchte, The Kill von Thirty Seconds to Mars nachzuahmen.

Erfolglos.

Es war einer dieser Abende, die dem davor glichen. Und wahrscheinlich vielen anderen danach. Mit dem Unterschied, dass heute alles schief ging. Mir dröhnte der Kopf und ich konnte das Ende meiner Schicht kaum erwarten.

»Drei Shots, einen Sunrise und ein Lagerbier«, rief ich den Barkeepern zu, als ich mich hinter die Theke drückte. Ich räumte die leeren Gläser in die Spüle, die Flaschen in die Kiste und band mir dann meine langen Haare zu einem hohen Zopf zusammen.

»Bestellung«, brüllte Paks – mein Boss, und ich klaubte das vollbeladene Tablett vom Tresen, um mich zu meinen Tischen vorzuarbeiten. Ich wollte mich nicht beklagen, denn ich war verdammt froh, diesen Job zu haben, aber am Karaoke-Donnerstag platzte das Black Rain aus allen Nähten. Es wäre für uns Bedienungen angenehmer, wenn es für diesen Abend Selfservice geben würde, anstatt dass wir uns durch den Laden quälen mussten, um mehr schlecht als recht unseren Job machen zu können.

Ich teilte die Getränke aus, tackerte die Karten ab und ignorierte, dass mir heute bereits zum zehnten Mal an den Hintern gefasst wurde. Für gewöhnlich durfte ohne meine Erlaubnis keiner auch nur einen Finger an mich legen, aber diese Arschlöcher wussten genau, dass es in dem Gedränge unmöglich war, den Schuldigen zu finden und ich ins Blaue hinein niemand verdächtigen konnte.

Doch bevor ich mich umdrehte, um mich an den nächsten Tisch zu hangeln, spürte ich eine starke Männerhand langsam von meinem Po zur Mitte meiner Beine rutschen. Schwungvoll wirbelte ich herum und schubste den Kerl, der mir am nächsten stand. »Finger weg, Arschloch.«

Tiefbraune Augen funkelten mich an, der linke Mundwinkel des Kerls zuckte auf. Unter dem gedimmten Licht erkannte ich nicht, ob er belustigt wirkte, aber seine nachfolgenden Worte beantworteten mir meine Frage ziemlich eindeutig. »Das hättest du wohl gern. An Clubpersonal mache ich mir meine Finger ganz sicher nicht schmutzig.«

Der arrogante Blick, den er mir zuwarf, sah ich bedauerlicherweise umso genauer. Etwas grollte in mir. So herablassend hatte noch kein Mann mit mir geredet. Ich wandte mich ab, obwohl meine Hand deutlich bebte. Aber ich brauchte den Job, und selbst wenn Paks uns Mädchen schützte und die Kerle hochkant aus dem Laden schmiss, wäre er sicherlich kaum angetan davon, wenn ich jemandem eine Ohrfeige verpasste, ohne zu wissen, ob derjenige mich wirklich berührt hatte.

Resigniert arbeitete ich weiter, drehte meine Runden, nahm Bestellungen auf, räumte Gläser und Flaschen weg, während der Druck in meinem Kopf stieg. Zwei Cocktailkelche gingen mir zu Bruch, mein Arsch war Angriffsfläche für weitere Tatschereien und einer der Besucher knallte mir seinen Ellenbogen beim Pogen so heftig in meine Rippen, dass sie nun wie Feuer brannten.

»Ich mach ’ne Pause«, informierte ich den Boss, schmiss meine Schürze auf die Theke, schnappte mir meine Tasche und verließ den Club. Unweit der Eingangstür lehnte ich mich gegen die Steinmauer mit dem teilweise abgeplatzten Putz und schob mir zwei kaubare Kopfschmerztabletten in den Mund. Die Luft strich kühl über meine nackten Arme. Ich atmete tief den Spätsommer ein, dessen Temperatur selbst weit nach Mitternacht noch angenehm war. Zumindest, wenn man direkt aus dem Club kam. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen, in der Hoffnung, dem Bumbadabum in meinem Kopf Herrin zu werden. Los. Beeilt euch, feuerte ich die zwei Tabletten an. Tut euren Dienst.

Was für ein ätzender Abend. Noch knapp sechs Stunden musste ich durchhalten; ich hörte mein Bett bereits rufen. Manchmal war sich schlafen zu legen die beste Möglichkeit, einem bescheidenen Tag ein Ende zu setzen.

Die Stahltür schwang auf und laute Musik durchbrach in rhythmischen Fetzen die Stille. »Was für eine Arbeitsmoral.«

Erschrocken riss ich die Augen auf und starrte in das Gesicht des Kerls, der sich so daneben benommen hatte. Er war mindestens einen Kopf größer und doppelt so breit wie ich. Mit hochgezogenen Augenbrauen glitt sein Blick von meinem Gesicht an meinem Körper hinunter und wieder hinauf, wobei er einen Tick zu lang an dem Schriftzug des Black Rain, der sich genau über meine Brüste spannte, ruhte. Unglaublich! Mühevoll presste ich die Lippen aufeinander. Alles was ich zu sagen hatte, würde diesem Arsch nur Zündstoff geben und für einen verbalen Abklatsch fehlte mir die Energie.

Wie jemand derart geschniegelt und gestriegelt und in einem teuren Maßanzug in so einen Club gehen konnte, blieb mir ein Rätsel. Er drehte sich um und steuerte lässig den gegenüberliegenden Parkplatz an. Die Lichter eines metallicschwarzen Lexus‘ blinkten kurz auf und ohne mich noch einmal zu beachten, setzte er sich in den Wagen und brauste davon.

Ich stieß mich von der Wand ab und ging zurück in den Club. Hoffentlich war das der erste und letzte Besuch von diesem niveaulosen Idioten gewesen.

»Blue, kommst du mal?« Paks deutete hinter sich und ich folgte ihm in sein Büro. »Was gibt’s?«

Er setzte sich halb auf den Rand seines Schreibtischs und fuhr sich fahrig mit der Hand über sein Gesicht. »Es tut mir leid, Kleines, aber ich muss dich rausschmeißen. Du kannst nicht länger hier arbeiten.«

»Was?«, rutschte es mir überrascht heraus. »Ich bin eine deiner besten Bedienungen, Paks. Was soll der Scheiß? Du weißt, dass ich auf diesen Job angewiesen bin.«

Er seufzte schwer. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten und tiefe Furchen zeichneten sich in seinem Gesicht ab. Mit knapp sechzig war er nicht mehr der jüngste Barbesitzer, aber zweifellos der gediegenste. Was es mir umso unbegreiflicher machte, warum er mir plötzlich kündigte.

»Ja, ich weiß. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut.« Er ging um den Schreibtisch herum und zerrte seine Schublade auf, aus der er ein Geldbündel hervorholte. »Hier«, sagte er und hielt mir daraus einen Stapel zwanzig Dollar Scheine entgegen.

Tränen stiegen in meine Augen. Er meinte das tatsächlich ernst. Das war kein Spaß. Ich leckte mir über meine trockenen Lippen. »Sagst du mir auch, warum ich, mir nichts dir nichts, meinen Job verliere?«

Paks packte meine Hand und drückte das Geld in meine Handfläche. Seine schwieligen Finger streiften rau über meine Haut. »Ich hab den Laden verkauft. Schon vor einer ganzen Weile.«

»Was? Warum? Das Black Rain läuft doch super.«

»Das tut es, und deswegen war es der richtige Zeitpunkt zu verkaufen. Der Gewinn, den ich dadurch erzielt habe, sichert mir und Annie ein sorgenfreies Rentnerleben.«

Er entließ mich aus seinem Griff und ich steckte das Geld in meine Jeanstasche. »Warum hast du denn nichts gesagt, und wem gehört der Club jetzt?«

»Ich wollte euch mit einer riesigen Abschiedsfeier am Ende des Monats überraschen und meinen Ausstieg bekannt geben. Bis dahin war es mir wichtig, keinen Wind aufzuwirbeln ... vielleicht –« Er seufzte. »Ich bin egoistisch, Blue. Ich habe mir gewünscht, dass die letzten paar Tage so bleiben, wie es immer war. Ein bisschen alten Glanz bewahren.«

Mit den Händen an den Magen gedrückt, plumpste ich auf den Holzstuhl, der vor dem Schreibtisch stand. »Was passiert mit dem Club und den Mitarbeitern?«

»Nichts. Zumindest die nächsten zwei Jahre nicht. Das ist vertraglich festgelegt. Danach wird der neue Besitzer entscheiden, was er aus dem Club macht und wie es mit den Mitarbeitern weitergeht.«

»Ja, aber, warum kündigst du mir dann?«

»Der neue Besitzer«, entgegnete Paks und setzte sich in seinen Bürostuhl, »war heute Abend hier, um sich ein Bild vom Personal zu machen.«

Scheiße. »Der Kerl in dem sauteuren Anzug, richtig?«

»Ja. Charles Sutton. Ein Unternehmer, der ursprünglich von der Ostküste stammt. Seine Familie ist steinreich, macht in Öl oder so.«

Ganz großes Kino. Dieser Arsch. »Was ist mit der vertraglichen Regelung?«

»Das ist der Vorbehalt, eine Zusatzklausel. Sollte einer der Mitarbeiter Grund für geschäftsschädigendes Verhalten geben oder mit Drogen oder Alkohol zu tun haben, greift eine fristlose Kündigung.«

Ich lachte trocken. »Geschäftsschädigendes Verhalten? Was? Dass ich mich gewehrt habe, weil dieser Idiot mir an den Arsch gefasst hat und zwischen meine Beine gehen wollte?«

»Laut seiner Aussage war er das nicht gewesen. Mister Sutton fand dein Verhalten unprofessionell. Du kannst nicht einfach den Nächstbesten angreifen und ihn beschuldigen. Außerdem ist dir einmal das Tablett runtergefallen, einige Gäste mussten dich mehrmals rufen, bis du reagiert hättest und du würdest ein Gesicht ziehen, als kämst du von einer Schädel-OP.«

Angewidert massierte ich mir die Nasenwurzel. Zum Glück begannen die Tabletten bereits zu wirken, sonst wäre jetzt der Zeitpunkt, wo mein Kopf platzte. Definitiv.

»Es tut mir wirklich verdammt leid, Kleines. Dass er ausgerechnet am Karaoke-Donnerstag aufkreuzt ...« Paks schüttelte den Kopf. »Ich hätte es euch sagen sollen. Euch vorwarnen. Ich wusste noch nicht mal, dass er hier war, weil ich ihn nie zuvor gesehen habe. Die Verhandlungen hatte ich nur mit seinen Anwälten geführt.«

»Das ist ganz großer Scheiß, Paks.«

»Ich weiß, Kleines. Ich weiß.«

 

***

 

Die Sonne knallte heiß auf meinen Kopf. Genervt setzte ich die Sonnenbrille auf, bevor ich mich auf mein Fahrrad schwang. Dass ich wegen diesem miesen Anzugträger gezwungen war, meine Zeit zu verplempern, anstatt sie sinnvoll zu nutzen, drückte meine Laune ziemlich in den Keller. Nicht, dass ich nach der schlaflosen Nacht und dem bescheidenen Morgen überhaupt gut gelaunt war ...

Ich bog schwungvoll in die 2nd Street ein und radelte am Hudson Park vorbei, bis in den östlichen Teil der Stadt. Ein Gebiet, welches ich nur selten zu sehen bekam. Das Territorium der Upperclass. Reiche, versnobte Bankiers, Oscarpreisträger, Politiker und all die anderen, deren Seelen sich dem materialistischen Scheiß verteufelt hatten. Gebohnerte Gehwege, plastisch aussehende Blumenbeete und selbst die Temperatur schien hier maschinell gesteuert zu sein.

Ich hielt neben einem Café mit dem wohlklingenden Namen La Perla und zog die Wegbeschreibung aus meiner Jeansshorts hervor. Ein Handy mit Navigationssystem besaß ich nicht, aber einen Computer, der mir die Route angezeigt und die ich mir abgemalt hatte. In der nächsten Seitenstraße lag die Firma, die diesem Idioten gehörte. Sutton Perfections.

Ich lehnte mein Fahrrad gegen die Wand des Gebäudes und schloss es ab. So etwas wie Fahrradständer oder überhaupt verpestungsfreie Fortbewegungsmittel, schien die High Society nicht zu kennen.

»Miss, es tut mir leid, aber Sie können hier nicht parken.«

Ich drehte mich um und schaute in das ernste Gesicht eines älteren Mannes, der sich als Portier des Sutton Perfections erwies.