Über das Buch
Kann man Liebe säen, wo sie nicht von selbst wächst? Das fragt sich Gartenbauerin Svea, als sie ausgerechnet im Rückenkurs den Landschaftsarchitekten Lars trifft. Nach 45 Minuten Faszienlockerung ist ihr klar: der und kein anderer. Von seiner Seite allerdings: null Interesse. Die Partnerübung mit dem Igelball endet im Desaster, und auch die wissenschaftlich geprüften Flirt-Tipps von Sveas Freundin Elisabeth zeigen keine Wirkung. Oder? Als Lars bei der Stadt Köln die Neugestaltung eines Platzes ausschreibt und Svea sich mit ihrer Firma bewirbt, kommt Bewegung in die Sache …
Über die Autorin
Valerie Korte wuchs im Rheinland auf und lebt nach Stationen in Schottland, Berlin, München und Duisburg inzwischen in Köln – mit Familie und einem wuchernden Garten. Nach dem Studium der Germanistik und BWL arbeitete sie zunächst als Sachbuchlektorin und Social-Media-Managerin. Irgendwann brach sich dann ihre kreative, romantische Seite Bahn, und sie schrieb ihren ersten Liebesroman.
VALERIE KORTE
Liebe treibt die schönsten Blüten
ROMAN
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Einband-/Umschlagmotive: © shutterstock
Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München
eBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-9483-2
luebbe.de
lesejury.de
Das blaßgelbe, befruchtete Weibchen des ZITRONENFALTERS überwintert. Man kann es bei der Frühlingsfeier am blühenden Weidenbusch zwischen Bienen und Hummeln, welch letztere mit ihm in gleicher Lage sind, und zwischen manchen anderen Kerfen teilnehmen sehen, freilich ohne Sang und Klang, sondern stumm wie alle Tagfalter.
Brehms Tierleben, Bd. 9: Insekten, Tausendfüßer und Spinnen, über den Zitronenfalter
Ich erwachte aus meinem Schreibtischnickerchen, weil mir eine Zitrone auf den Kopf fiel. Den Zitronenbaum hatten Elisabeth und ich schon von unserer Vormieterin übernommen. Über die Jahre war er uns dank liebevoller Pflege im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf gewachsen und trug sogar hin und wieder Früchte. Zusammen mit dem gelb blühenden Oleander und zwei stattlichen Palmen verlieh er unserem Wintergarten, der gleichzeitig als Homeoffice diente, das historische Flair eines Gewächshauses in einem botanischen Garten. Die Frucht kullerte über die Tischplatte und kam neben meinem Smartphone zum Liegen.
Wie zur Begrüßung gab das Handy im selben Moment ein Pling von sich. Es war der Signalton der Dating-App, die ich vor ein paar Monaten installiert hatte. Telefon, smart, aber altersschwach, trifft Zitrönchen, knackig, aber leicht angesäuert.
Ich sah nach, wer mir geschrieben hatte. Ron, mein Date für heute Nachmittag. Und er sagte mir nun schon zum zweiten Mal kurzfristig ab. Beim letzten Mal war er vorgeblich krank geworden, heute hielten ihn offenbar grundsätzliche Zweifel ab:
Sorry, bin mir mit uns beiden nicht so sicher. So richtig zeigen willst du dein Figürchen ja auf keinem der Fotos.
Seltsamerweise spürte ich eher Erleichterung als Ärger. Dann musste ich mein Figürchen wenigstens nicht live der Beurteilung des sportbegeisterten Ron, Lehrer, 36, aussetzen. Ich fand mein Figürchen eigentlich ganz okay, aber auf den Profilfotos hatte ich es unabsichtlich einmal unter einem langen Sommerkleid versteckt und ein anderes Mal überhaupt nicht gezeigt – das Bild war ja auch ein Gesichtsporträt.
»Ron sagt mir ab, weil meine Fotos nicht figurbetont genug sind«, rief ich zu Elisabeth hinüber, die in der Küche rumorte. Als ich eingeschlafen war, hatte sie noch mir gegenüber am Schreibtisch gearbeitet.
»Schick ihm doch einen Link zu einem Porno und behaupte, das seist du, auf Finder aber natürlich inkognito unterwegs. Das wäre sein Preis gewesen! Und dann blockierst du ihn«, kam prompt die Antwort vom Profi.
Während ich noch überlegte, ob mir die Sache den Aufwand wert war, stellte ich fest, dass Ron mir zuvorgekommen war. »Leider hat er schon mich blockiert. Aber ist okay. Am Ende wäre der Nachmittag sehr teuer geworden. Ron schreibt nämlich auf seinem Profil, dass die Damen seine Drinks bezahlen müssen, bis sie aussehen wie auf ihren Fotos.«
Aus der Küche kam ein Stöhnen.
Na ja. Immerhin war ich jetzt um die Erfahrung reicher, dass Typen, die sich schon auf ihrem Profil wie ein Idiot präsentierten, es auch in Wirklichkeit waren. Und ich würde nachher zu diesem Rückenkurs gehen können, bei dem ich mich wegen meiner Nackenverspannungen angemeldet hatte.
Elisabeth kam mit einem Tablett aus der Küche und stellte mir ihren selbstgemachten Eistee und einen üppigen Salatteller vor die Nase. Meinen Laptop schob sie damit ein Stück nach hinten. »Sommerlicher Melonensalat frei nach Starkoch Ottolenghi«, erklärte sie, griff sich den Telefonhörer von meinem Schreibtisch und verschwand dann mit ihrem Teller in ihrem Zimmer.
Elisabeth war eine Genießerin mit Hang zum Übergewicht. Da sie aber weder weiter zunehmen noch Abstriche an den Gaumenfreuden machen wollte, perfektionierte sie in unserer WG-Küche die raffinierte leichte Kochkunst. Wovon ich natürlich ebenfalls profitierte.
Ich pickte herzhaft mit der Gabel in den schön angerichteten Teller und drückte die Entertaste, damit mein Bildschirm wieder anging. »Wow!«, murmelte ich, als sich eine wahre Geschmacksexplosion in meinem Mund ausbreitete. Auf meinem Laptop allerdings erschien nur meine Doktorarbeit, an der ich schon seit vielen Jahren schrieb – über die genaue Anzahl der Jahre schwieg ich lieber. Es war ein umfangreiches wissenschaftshistorisches Werk über den Einfluss von Brehms Tierleben auf die entomologische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts. Entomologie war der Fachbegriff für Insektenkunde. Manchmal zweifelte ich am Sinn meines Themas. Wenn es hochkäme, würden zwanzig Leute sich wirklich dafür interessieren. Und das, während draußen das große Insektensterben im Gange war …
Ich trank einen Schluck von dem Eistee und klickte zu Facebook rüber, aber niemand hatte etwas gepostet, das ich nicht schon kannte. Also musste ich wohl selbst ran. Ich schoss ein Handyfoto von der Zitrone und postete es verbunden mit der Frage, was es wohl bedeuten mochte, dass die Frucht mir gerade auf den Kopf gefallen war. Vielleicht würden ein paar witzige Antworten meinen Nachmittag aufpeppen.
Vielleicht ein Kommentar von Jens … Ich hatte schon länger nichts mehr von ihm gehört, und das fühlte sich immer noch komisch an, obwohl wir schon seit einem guten Jahr getrennt waren. Aber er war meine Jugendliebe gewesen und wir ewig zusammen. Zwar war auch mir unser gemeinsames Leben manchmal vorgekommen wie ein Samstagseinkauf in der City mit jemandem, den es immer in die Geschäfte zog, die mich so gar nicht interessierten – aber Schluss gemacht hätte ich trotzdem nie.
Ich hörte Elisabeth in ihrem Zimmer telefonieren.
In den letzten Jahren hatte Jens nur noch für sein Start-up gelebt. Er und ein Kumpel hatten einen hodenfreundlichen Fahrradsattel aus einem kühlenden, ergonomischen Material entwickelt. Inzwischen lief es nicht schlecht, sie belieferten unter anderem Fahrradkuriere europaweit und sicherten deren Fruchtbarkeit. Und Jens hatte offenbar wieder Kapazitäten frei: Um sich etwas auszuprobieren, so hatte er es formuliert, als er mir den Laufpass gab.
Das mit dem Ausprobieren hätte ich ja nun grundsätzlich auch gern gemacht. Nur mit wem? Die Insektenforscherkollegen waren meist eher weniger flotte Bienen, die Typen, die Elisabeth manchmal zu ihren intellektuellen Salons einlud, zu versponnen oder schwafelig. Und beim Onlinedating traf ich zwar zwischen den Reinfällen hin und wieder ganz nette Kerle, aber keinen hätte ich auch nur küssen wollen.
Elisabeth, die ich von der Uni kannte, wo sie als Sozialpsychologin über die Liebe forschte, meinte, ich sei demisexuell veranlagt. Was hieß, dass ich erst eine emotionale Bindung aufbauen musste, um mich körperlich zu jemandem hingezogen zu fühlen.
Es klingelte. Ich nahm die Füße vom Tisch, steckte die Gabel in das letzte Stück Melone und ging zur Wohnungstür. Als ich ankam, stand sie schon offen, und ich hörte Elisabeths Stimme im Treppenhaus. Und schon kam sie mir wieder entgegen, im Arm ein mittelgroßes Päckchen.
»Ich fühle mich wie der Hase in der Fabel vom Hasen und dem Igel. Immer bist du schon da, wenn ich komme.«
Elisabeth lachte. »Das Paket ist für dich, Häschen. Herr Kasch hatte es vorgestern schon angenommen und wollte es jetzt loswerden.« Sie überreichte es mir.
Ich betrachtete den Absender. Das mussten die Belegexemplare für meinen jüngsten Artikel sein! Er war in der Atalanta, einer Fachzeitschrift zur Schmetterlingswanderung, erschienen, und anderthalb Jahre Feldforschung steckten darin.
Während ich noch überlegte, ob die Schere zum Öffnen wohl in der Küche oder im Wintergarten war, kam Elisabeth schon damit an und reichte sie mir.
»Jetzt willst du mich aber veräppeln!«, meinte ich mit gespielter Empörung.
»Überhaupt nicht, ich brenne nur darauf, deinen Artikel zu sehen«, erwiderte Elisabeth.
Sie war einfach in allem schneller als ich. Wenn wir zum Essen einluden, bereitete ich den Nachtisch in der Zeit zu, in der sie die Suppe, Hauptgang und Salat auf den Tisch brachte. (Aus eigenem Antrieb wäre ich natürlich auch nicht so verrückt gewesen, zehn Leute zum Menü zu bitten, muss ich dazusagen.) In der Spanne, in der ich einen Artikel veröffentlichte, publizierte sie sechs. Und während meiner Beziehung mit Jens hatte sie sicher fünfundvierzig wechselnde Partner gehabt.
»Dein Herz schlägt schneller als meins«, stimmte ich Andreas Bouranis Hit mit leicht verändertem Text an, während ich die Magazine aus dem Paket schälte.
»Und doch: Sie schlagen wie eins«, wandelte Elisabeth die darauffolgende Zeile ab. »Jetzt zeig schon.«
Ich merkte ihr an, dass sie sich beherrschen musste, nicht schnell selbst das Inhaltsverzeichnis eines der Hefte zu durchsuchen, um meinen Artikel zu finden.
»Warum bist du bloß mit mir befreundet?«, murmelte ich kopfschüttelnd, während ich blätterte.
»Weißt du doch: Du beruhigst mich«, sagte sie und grinste.
»Dafür hast du doch schon Meyer-Landrut. Dass Katzen und Hunde den Stresshormonspiegel ihrer Halter senken, ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Während es zu mir keine Studien gibt.« Meyer-Landrut war unser Kater, ein dickes, gefräßiges Tier, das Elisabeth als noch junge Katze in dem Jahr zugelaufen war, als die gleichnamige Sängerin den European Song Contest gewonnen hatte. Und weil er so schön miaute und die gleiche Haarfarbe hatte, war er nach ihr benannt worden.
»Dein Fell ist weicher«, sagte sie und tätschelte meinen gewellten, etwas fusseligen rotblonden Schopf. »Außerdem hältst du deine Toilette selbst sauber.«
Da! Mein Artikel. Unser Gespräch bedurfte keiner Fortsetzung, denn natürlich hatten wir es so ähnlich schon tausendmal geführt. Es gehörte sozusagen zu den Ritualen unserer Freundschaft. Meistens versicherte Elisabeth mir am Ende noch mal, dass ich ganz normal war und sie eben hyperaktiv. Außerdem könne ich gut putzen.
Jetzt hielt ich ihr das aufgeschlagene Heft hin. »Alle Grafiken am richtigen Platz, wie es aussieht, und sie haben sogar die ungekürzte Version genommen.«
»Echt gut«, meinte sie im Überfliegen. »Auch stilistisch. Und dann die Forderung an die Kommunalpolitik nach den Blühzonen im öffentlichen Raum. Hoffentlich könnt ihr euch damit Gehör verschaffen. Nur dass du halt nicht Ralf Perscheid heißt …«
»Jaaaa«, antwortete ich gedehnt. Der Artikel war von vorn bis hinten von mir, ich hatte die Forschung geleitet und größtenteils selbst in Feld und Flur durchgeführt. Hatte im Regen gestanden und in der Erde gewühlt. Aber mein Name stand nirgends. Offiziell war der Artikel von dem Professor, für den ich arbeitete. Er dankte am Ende nur seinem anonymen Team für die Unterstützung. »So ist es halt. Dafür sorgt er immer wieder dafür, dass mein Vertrag verlängert wird. Trickst mit den Projektmitteln herum und so weiter. Ohne ihn wäre ich schon längst arbeitslos.«
»Du hättest einen anderen Job. Du bist eine Koryphäe – wenn auch leider nur heimlich.«
»Ja, eben. Und mit einem anderen Job hätten wir es auch nicht so gemütlich, sondern du müsstest immer allein hier sitzen. Anderswo könnte ich bestimmt nicht so oft Homeoffice machen.«
»Es würde ja schon reichen, wenn du nur mal verlangen würdest, dass du als Mitautorin unter deinen eigenen Artikeln genannt wirst … Der Typ braucht dich doch. Er würde sich am Ende bestimmt nicht dagegen sperren.«
»Jahaa …«, machte ich wieder. »Nächstes Mal.«
Elisabeth sah mich zweifelnd an.
Ich schwieg, wollte das Thema lieber nicht weiter vertiefen. Solange ich nicht so viel drüber nachdachte, wurmte es mich weniger, dass die Lorbeeren für meine Arbeit jemand anders kassierte. Und auch, dass ich so ein harmoniesüchtiges, schissiges Weibchen war.
Ausweichend blickte ich auf mein Handy. Es zeigte einen Kommentar unter meinem Zitronenposting an. Er war allerdings nicht von Jens, sondern von Elisabeth, die vermutete, dass die Zitrone mich weiterarbeiten sehen wollte. Sie grinste mich an, und ich sah es ein. Bis es Zeit für den Rückenkurs war, widmete ich mich noch mal meinem Forschungsthema.
Der schöne Argus, Adonis, ist entschieden der prächtigste unserer deutschen BLÄULINGE, denn das Blau seiner Flügel wird in Feuer und Glanz von keinem anderen erreicht.
Brehms Tierleben, Bd. 9: Insekten, Tausendfüßer und Spinnen, über den Bläuling
Draußen hatte der Dauerregen der letzten Tage nachgelassen, es nieselte nur noch ein bisschen. Ich inhalierte die kühle, feuchte Frühlingsluft und bemerkte, dass die Kastanie vor unserem Haus leicht zu grünen begonnen hatte. Ich hatte auch gestern nicht die Wohnung verlassen, sondern bei geschlossenem Wintergarten über dem Laptop gebrütet und war nur gelegentlich zum Klo oder in die Küche getrottet. Umso schöner war es jetzt, mit ein paar ausgreifenden Schritten in Bewegung zu kommen. Am liebsten wäre ich kurz gerannt, aber mit meinen Gummi-Clogs und dem Schirm war das ungünstig und hätte vielleicht auch etwas komisch ausgesehen. Also hielt ich nur mal eben den Schirm von mir weg, um ein paar Regentropfen mit dem Gesicht aufzufangen.
Hinter der nächsten Straßenecke hörte ich von ferne Hildegard Knef rote Rosen und all die anderen Wunder besingen, die das Leben ab jetzt für sie bereithalten sollte. Ich konnte zwar nicht ausmachen, aus welchem Haus die Musik kam, aber bei dem Wunsch ging ich mit. Nach anderthalb Jahren Singledasein und davor bestimmt sieben mit Jens ohne jegliche Romantik fand ich schon, dass ich damit mal wieder an der Reihe war.
Die Schulturnhalle, in der der Rückenkurs oder genauer gesagt das Faszientraining für den Rücken stattfinden sollte, war an ihren typischen großen, quadratischen Glasbausteinfenstern zu erkennen und in einem langgezogenen Nebengebäude untergebracht. Als ich die stickige Umkleide betrat, in der sich der Geruch alten Gemäuers mit einem Hauch jugendlichen Fußschweißes mischte, bedauerte ich kurz, hergekommen zu sein. Vielleicht hätte es eine Joggingrunde durch den Lohsepark auch getan. Aber nein, ich wollte ja speziell etwas für meinen Nacken tun. Ich stellte Schirm und Schlappen in der Umkleide zu einigen anderen Schuhen und Taschen, die so aussahen, als gehörten sie eher älteren Semestern. Meine Jacke, unter der ich schon die Sportkleidung trug, hängte ich an die Garderobe.
Als ich die Halle betrat, wurde die Musik, die in der Umkleide kaum zu vernehmen gewesen war, wieder lauter. Das kleine Grüppchen Teilnehmer, zwei Männer in ihren Fünfzigern und drei Frauen, die sicher auch ein gutes Stück älter waren als ich, saßen alle mit etwas Sicherheitsabstand zum jeweiligen Nachbarn auf der Turnhallenbank aufgereiht. Einige hatten begonnen, sich zu unterhalten, und fragten sich offenbar ebenfalls, woher der Sound kam. In dem Moment, als ich mich zu ihnen auf die Bank setzte, ging er allerdings auch schon aus.
Dafür öffnete sich die Tür der Herrenumkleide, und ein Mann trat heraus. Er kniff die Augen zusammen, als wäre es ihm zu hell in der Halle, dann schaute er sich mit etwas angestrengtem Gesichtsausdruck um. Zögerlich ging er schließlich auf unsere Bank zu, nickte einmal in die Runde und setzte sich neben einen der Herren. Schade eigentlich, er hatte ganz niedlich ausgesehen in seinen Joggingshorts und dem labbrigen blauen T-Shirt.
Kurz schaute ich an mir herab. Ein sexy Outfit sah anders aus, aber immerhin konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass wir vom Stil her ganz gut zusammenpassten. Labbriges T-Shirt konnte ich auch. Außerdem waren wir beide ungeschminkt. Vielleicht fiel es ihm auf.
Allerdings wirkte ich ohne Mascara immer, als wäre ich bei der Verteilung der Wimpern gerade auf dem Klo gewesen. Elisabeth hatte mal gesagt, ich hätte ein Gesicht wie aus einem anderen Jahrhundert. Und tatsächlich hingen im Amsterdamer Rijksmuseum so einige Ölschinken, auf denen die Kaufmannsgattinnen mit ihren runden Gesichtern, der hellen Haut und den großen, ein bisschen glupschigen blauen Augen einem ganz ähnlichen Phänotyp angehörten wie ich.
Verstohlen guckte ich noch mal zu dem Typ hinüber, aber er hatte die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt und schaute zu Boden. Wie ein trauriger, verletzter Nationalspieler auf der Ersatzbank.
Jetzt trudelte noch eine Frau in meinem Alter ein, die ziemlich abgehetzt wirkte und sich sogleich auf die Bank plumpsen ließ. Nach ihr erschien eine jüngere mit einem auffälligen Lidstrich und langen schwarzgefärbten Haaren, die zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden waren.
»Hallo zusammen, ich leite diesen Kurs heute«, rief Letztere gut gelaunt, während sie federnden Schrittes auf uns zukam. Gekleidet war sie in einen eng anliegenden schwarzen Catsuit. Das sah eher nach Aerobic als nach Rückenkurs aus, aber vielleicht unterrichtete sie ja beides. Jedenfalls gab es in diesem Moment sicher niemanden in der Halle, der nicht ihre hübsche Silhouette bewunderte. Der Typ sah auch hin, wie ich mit einem Seitenblick feststellte.
»Entschuldigt die Verspätung, ich musste den Hausmeister erst noch bitten, seine Partymusik leiser zu stellen. Die hört er sonntags immer gerne, aber wir kommen bei der Lautstärke ja nicht in die Entspannung, und die ist für den Rücken das A und O. Jetzt setzen wir uns erst mal in einen Kreis. Am besten alle im Schneidersitz – dabei nehmen wir ganz automatisch eine bessere Haltung an.« Unsere Kursleiterin selbst saß, nachdem sie sich elegant niedergelassen hatte, aufrecht da wie eine Balletteuse.
Einige Teilnehmer brauchten ziemlich lange, um ihre Beine einzufalten, und die resolut wirkende Frau neben mir mit ihrem sorgfältig gebügelten T-Shirt und der rot getönten Kurzhaarfrisur entschuldigte sich, sie könne seit ihrer Meniskusoperation das Knie schlecht knicken.
»Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir uns hier duzen. Hat jemand was dagegen?«, fragte unsere Lara Croft für den Rücken. Niemand widersprach, auch wenn die beiden älteren Herren guckten, als ginge ihnen das nun doch zu weit. »Wunderbar, ich bin also die Pia und ausgebildete Fitnesstrainerin und Physiotherapeutin. Manche kennen mich aus der Praxis am Heumarkt.« Sie nickte zu einer der älteren Damen hinüber. »Der Rücken ist mein Schwerpunkt.«
»Mit Schwerpunkt im Rücken muss dat Leben ja ’n Balanceakt sein«, murmelte einer der Griesgrame in seinen Schnauzer.
Pia lächelte künstlich und zog es ansonsten vor, die Bemerkung zu ignorieren. Außerdem wurde es jetzt spannend, denn sie hatte eine Mappe aus ihrer pinkfarbenen Sporttasche hervorgekramt und kündigte an, die Teilnehmerliste durchzugehen.
»Ich rufe euch alle nacheinander auf, und jeder erzählt mir dann ein bisschen, warum er hier ist, ob es akute Beschwerden gibt und was er von diesem Kurs erwartet. Dann kann ich auch darauf achten, dass ihr keine Übungen mitmacht, die nicht gut für euch sind. Die Erste auf meiner Liste ist Carla.«
»Hier«, meldete sich die jüngere Frau, die zuletzt gekommen war, und hob kurz die Hand. Hektisch begann sie mit ihrer Vorstellung, als gäbe es keine Zeit zu verlieren: »Also, warum ich hier bin: Ich hab vor ’nem guten halben Jahr Zwillinge bekommen, und die beiden wollen die ganze Zeit über getragen werden. Ich hab dann immer die Marie vor dem Bauch und die Juna auf dem Rücken in der Babytrage. Sie schlafen auch nur in der Trage, jedenfalls tagsüber. Abends tun mir die Schultern weh, und ich hab fast den Eindruck, dass ich etwas verkrampfe.«
Den Eindruck hatte ich auch, und ich konnte nur hoffen, dass meine Kinder, falls ich welche bekommen sollte, hintereinander statt gleichzeitig kämen. Auch Pia nickte mitfühlend.
Carla plapperte weiter. »Außerdem steht überall in den Ratgebern, man soll als Mutter auch mal was für sich tun. Ich hab also heute 750 Milliliter Milch abgepumpt und portioniert und beschriftet in den Kühlschrank gestellt und der Oma eine Anleitung geschrieben, auch wie das mit den drei Breien funktioniert, die sie zusammenmischen muss, damit Juna den isst – die ist da ein bisschen wählerisch. Ich hab die beiden dann noch mal gewickelt und mich fertig gemacht – und dann kam also meine Mutter zum fliegenden Wechsel, die stand vorher noch im Stau. Jetzt bin ich also hier. Mal ein bisschen entstressen. Hab aber das Handy hier bei mir. Falls was sein sollte.« Sie lächelte erschöpft in die Runde. »Tschuldigung, ich hab seit vorgestern mit niemandem mehr als einen Satz gesprochen. Hab ein bisschen Nachholbedarf.«
Von den Frauen kam ein verständnisvolles Murmeln. »Das ist nur eine Phase, musst du dir immer sagen«, meinte meine Nachbarin. »Es wird wieder besser.«
»Ach wat. Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen.« Das war wieder der Griesgram mit dem Schnauzbart.
Carla schaute ihn erschreckt an und sagte nichts mehr. Mir fiel auf, dass sie es fast geschafft hatte, sich die Fingernägel zu lackieren. Nur Mittel-, Ring- und kleiner Finger rechts fehlten noch.
»Das hört sich sehr fordernd an, Carla«, schaltete sich Pia mit warmer Stimme ein. »Aber auch erfüllend.«
»Ja, total«, bestätigte Carla, aber klang dabei weit weniger überzeugt. »Sie geben ja so viel zurück«, setzte sie noch tapfer hinzu.
»Das will man aber auch nicht immer haben.« Der Schnauzbart schien aus Erfahrung zu sprechen.
»Du wirst hier ganz bestimmt etwas Ausgleich finden, auch für deine Schultern«, übernahm wieder Pia. »Am Ende jeder Kursstunde machen wir eine Entspannungseinheit. Und vorher werden wir uns einige sehr wirksame Regenerationsübungen erarbeiten.« Sie zwinkerte Carla zu und schaute dann wieder in ihre Mappe. »Die Nächste auf meiner Liste ist Cornelia.«
Das war die Kurzhaarige neben mir, deren T-Shirt intensiv nach Weichspüler duftete. Sie sprach laut und frei von der Seele weg. »Ach, was soll ich sagen, seit der Sache mit dem Meniskus ist irgendwie der Wurm drin. Es zwickt und zwackt an allen Ecken und Enden, besonders am Rücken, und mein Hausarzt meint, ich muss was tun. Diese Faszien sind ja im Moment der letzte Schrei und klingen wie die Lösung aller Probleme, und da dachte ich, das probiere ich mal aus.«
»Tatsächlich ist es so, dass die Faszien, das Bindegewebe, das unseren ganzen Körper zusammenhält, zwar schon lange bekannt sind, aber man erst seit Kürzerem dabei ist, ihre Bedeutung für den ganzen Stütz- und Bewegungsapparat zu erfassen. Und ihr werdet ihre Bedeutung in den nächsten Wochen am eigenen Leib erfahren.« Auch Cornelia bekam ein Zwinkern von Pia.
Während Ronald – das war der Schnauzer – und sein Kollege Rainer verlesen wurden, die beide von der Stadtreinigung waren und nicht freiwillig, sondern aufgrund einer Verschwörung ihrer Ehefrauen hier, begann mein Herz ein bisschen schneller zu schlagen. Ich wäre ja jetzt zwangsläufig eine der Nächsten. Der Typ fehlte noch, ich und eine andere Frau. Zwar war ich mittlerweile daran gewöhnt, an der Uni Seminare zu geben. Aber in fremder Umgebung über mich selbst zu sprechen, das war mir immer noch nicht angenehm. Zumal ich hier nicht richtig wusste, was ich sagen sollte. Die anderen hatten so prominente Beschwerden. Andererseits wollte ich vor dem Typ, der mit konzentrierter Miene die Vorstellung der anderen begleitet und einige Male an den richtigen Stellen sehr nett gelacht hatte, auch nicht total unfit rüberkommen.
Das Los ging noch ein weiteres Mal an mir vorüber. Aufatmen. Und hinhören! »Lars«, las Pia nämlich nun mit dem french manikürten Finger auf ihrer Liste vor.
Lars also. Mit seinem dicken dunkelblonden Haar hatte er auch ein bisschen was Skandinavisches. Jetzt strich er es sich aus der Stirn. Vielleicht war er auch etwas nervös. »Das bin dann ich«, meinte er überflüssigerweise, denn alle anderen Männer waren ja schon dran gewesen. »Ich hatte vor einiger Zeit zwei Bandscheibenvorfälle.« Seine Stimme klang ein bisschen rau, lässig. Mit so einer Stimme ausgesprochen klangen zwei Bandscheibenvorfälle wie etwas, das jeder Mann haben sollte. Wie zwei Millionen auf dem Konto oder zwei Groupies im Bett.
»Damit bist du für heute unser Sieger«, scherzte Pia, die das womöglich genauso sah, und schenkte nun auch Lars ihr Zwinkern, was mir irgendwie nicht passte. »Leider gibt es das gar nicht mal so selten im jüngeren Alter. Am besten sprechen wir beide nachher noch darüber, welche Bandscheiben genau betroffen sind. Dann kann ich dir beim nächsten Mal ein, zwei maßgeschneiderte Übungen mitbringen.«
»Danke. Ich bin jedenfalls top motiviert«, meinte Lars und lächelte etwas gequält, während er wiederum mit diesen angestrengt zusammengekniffenen Augen in Pias Richtung schaute. Als er dann ein wenig sein Gewicht verlagerte, zuckte er prompt zusammen.
»Ich sehe schon, da haben wir einiges zu tun«, antwortete Pia und lächelte warmherzig.
Als sie ihren Blick wieder der Liste zuwandte, war ich an der Reihe. »Svea.«
»Hier!« Ich winkte etwas albern in die Runde.
»Hallo, Svea«, winkte Cornelia zurück, und Ronald und Rainer feixten.
»Also, ich habe hin und wieder Nackenschmerzen.« Und als diese Worte so unabgeschlossen in der Luft hingen, fügte ich noch hinzu: »Wenn Mails von meinem Chef kommen.« Tatsächlich hatte ich da einen Zusammenhang festgestellt.
Ich erntete einen Lacher, den ich so nicht geplant hatte, und wagte es nicht, in Lars’ Richtung zu gucken.
Pia aber nahm mich ernst. »Da sprichst du etwas ganz Wichtiges an, das du offensichtlich schon intuitiv erkannt hast. Rückenprobleme haben sehr oft eine psychische Komponente. Wenn man sich die nicht ansieht, kann man meist nur Teilerfolge erzielen. Das können wir hier im Kurs nicht leisten, aber ich kann euch nur immer wieder ermutigen, diesen Aspekt für euch selbst anzuschauen. Danke, Svea!« Pia nickte mir zu, und jetzt war ich fast ein bisschen stolz. Verstohlen schaute ich zu Lars hinüber, der aber nach unten auf seine gekreuzten Beine in den dunkelgrünen Sweat-Shorts sah und vielleicht schon begonnen hatte, seine Psyche zu befragen. Was ihm wohl nach Pias Theorie seine Bandscheibenvorfälle beschert haben mochte?
Als wir gerade noch Miriam und ihren Ischias kennenlernten, sah Lars plötzlich auf und in meine Richtung. Ich konnte nicht rechtzeitig wegschauen, und so begegneten sich unsere Blicke. Mein ertappter und sein etwas angespannter. Er lächelte nicht und strich sich wieder die Haare aus der Stirn.
Und in diesem Moment geschah etwas. Es war, als seien alle meine Nervenenden auf Empfang gestellt worden. Ich konnte ihn nur weiterhin anstarren, während er unverwandt zurückblickte. Mir wurde schwindelig, und ich musste mich mit den Händen auf dem Boden abstützen.
Pia hatte offenbar angeordnet, dass wir aufstehen sollten, denn alle erhoben sich, auch Lars. Wie gebannt verfolgte ich seine Bewegungen. Wie er seine Füße aufsetzte, sich streckte. Erst als er sich umgedreht hatte und mir den Rücken zuwandte, stand ich mit Pudding in den Beinen auf. Die Gruppe strömte zu einem Schrank hinter einem der Rolltore, aus dem wir uns wohl jeder eine Matte nehmen sollten, außerdem eine der Faszienrollen. Zu Lars hielt ich verwirrt Abstand, aber als wir uns alle einen Platz suchen sollten, wählte ich den hinter ihm.
Pia begann nun, die Übungen jeweils erst zu erläutern und dann zu demonstrieren, aber ich konnte ihr beim besten Willen nicht folgen. Mit Blick auf meine Mattennachbarn, vor allem aber auf meinen Vordermann, turnte ich mehr schlecht als recht und immer etwas zeitverzögert hinterher. Ich hatte das Gefühl, dass eine Wärme von diesem Lars ausging, die wie eine Infrarotlampe auf mich gerichtet war und mich magisch anzog.
Am liebsten wäre ich aufgestanden, hätte ihn von hinten umarmt und meine Wange an seinen geschundenen Rücken unter dem verwaschenen T-Shirt gelegt. Wie er wohl roch? Seltsamerweise hatte ich bereits eine Vorstellung davon. Waldig irgendwie. Mit einer kuscheligen Kokosnote.
Nach einiger Zeit kam Pia, die reihum bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorbeiging, Tipps gab oder Fragen stellte, bei Lars an. Ich rollte gerade in halb sitzender, halb liegender Position auf der harten Styroporrolle nach hinten. Als Pia sachte ihre Hand auf Lars’ Wirbelsäule legte, hielt ich den Atem an und stoppte in der Bewegung.
»An welcher Stelle waren denn die Vorfälle, und wo hast du noch Schmerzen?«, fragte Pia leise, während sie mit einem professionellen Handstreich Lars’ Bandscheiben nach oben folgte.
Ich wünschte mir, sie zu sein.
»Ganz unten«, antwortete Lars mit dieser Bandleaderstimme, während Pias Hand zu der besagten Stelle fuhr. »Zwischen Kreuzbein und Lendenwirbel und eins darüber«, setzte er hinzu, aber ich meinte zu bemerken, dass er unauffällig ein bisschen von Pias Hand abrückte. »Die Schmerzen strahlen von dort bis in die Hüfte und die Beine.« Pia nahm ihre Hand weg, und ich hatte keine Ahnung, ob ich das bedauern oder begrüßen sollte.
Dann sagte sie: »Du solltest den Bereich nicht aussparen, auch wenn es etwas weh tut. Durch die Schonhaltung ist jetzt alles völlig verspannt, und das ist auch der Hauptgrund für die Beschwerden. Schau nur, dass du mit der Rolle nicht direkt auf die Wirbelsäule drückst, ja? Und wenn der Schmerz schussartig kommt, dann hör auf.«
»Okay«, antwortete der Patient und ließ seinen breiten Problemrücken gehorsam weiter über die Rolle gleiten. Die Körperbeherrschung, die er dabei an den Tag legte, verriet, dass er wohl im Grunde nicht unsportlich war. Und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich wirklich so demisexuell war.
Aber es war nicht nur das. Lars strahlte so etwas Vertrauenerweckendes aus. Oder sollte ich sagen: Vertrautes? Ich hätte ihm sofort einen Gebrauchtwagen abgekauft. Obwohl ich hier in der Stadt kein Auto fuhr. Aber auch jede andere Frage von ihm hätte ich wohl gerade ohne zu zögern mit Ja beantwortet.
Doch jetzt kam Pia erst mal zu mir herüber, und ich bemühte mich, so zu wirken, als sei ich ernsthaft bei der Sache. Aufmunternd lächelnd korrigierte sie meine Haltung. Dann legte sie ihre heilende Physiotherapeutinnenhand für wenige Sekunden auf meinen Nacken, bevor sie weiter zu Rainer oder Ronald ging. Zwar war ich ein bisschen neidisch, weil Pia mit so großer Selbstverständlichkeit einen Catsuit mit Spaghettiträgern trug, und vor allem, weil sie Lars einfach so anfassen durfte. Aber sie war als Kursleiterin echt gut, das musste ich ihr lassen. Selbst wenn das Faszientraining an sich keinen Effekt hätte, so würde sich dank ihrer sachkundigen Zuwendung sicher bei jedem eine Placebo-Wirkung einstellen.
Halbherzig setzte ich die Übungen fort, immer darauf bedacht, keine allzu schlechte Figur abzugeben für den Fall, dass Lars sich mal umdrehen würde. Sofern meine Position das erlaubte, beobachtete ich ihn und versuchte, mir jedes Detail einzuprägen. Schließlich würde ich ihn bald eine Woche lang nicht sehen. Die Silhouette seines blassen Nackens. Seine etwas verhaltene Art, sich zu bewegen. Seine Schulterblätter unter dem blauen T-Shirt und die durch zahlreiche Waschgänge spröde gewordene Schrift darauf. Wie er hin und wieder seine gleichwohl jugendlich wie kraftvoll wirkende Hand mit den paar Sommersprossen darauf in den Rücken drückte. Das Muster, in dem die Venen die Hand durchzogen. Und dann sein solidarisches Lächeln in Richtung Rainer, der neben ihm saß und jedes »Spürt der Zugspannung nach!« oder »Das ist nicht angenehm, aber sehr wirksam!« von Pia mit einem lauten Ächzen quittierte.
Nach der Abschlussentspannung, während derer Pias sanfte, gurrende Anweisungen uns das Gehirn massierten, verstauten wir alle ziemlich benommen unser Material in den Schränken. Nur Carla war schon am Handy und eilte in Richtung Ausgang. Die beiden Herren von der Stadtreinigung wirkten etwas versöhnt, Lars in sich gekehrt. Zu einem weiteren Blickkontakt kam es nicht, und mir war das auch genug für heute.
Draußen regnete es inzwischen nicht mehr. Als ich auf dem Rückweg an einem Vorgarten vorbeikam, in dem die Buschwindröschen in Hülle und Fülle blühten, schaute ich mich kurz um und brach dann eine der kleinen weißen Blüten ab. Sie hatte ihren Zenit schon überschritten, aber für heute wollte ich sie noch auf meinen Schreibtisch stellen.