Über das Buch

Bevor Kater Alfie aufkreuzte, war die Edgar Road eine typische Londoner Straße mit Nachbarn, die kaum ein Wort miteinander wechselten. Doch Alfie veränderte das Leben der Bewohner zum Besseren. Als plötzlich eine neue Familie in die Edgar Road zieht, ahnt Alfie, dass auch diese Zweibeiner dringend seine Hilfe benötigen. Oder warum sind die Neuen sonst klammheimlich über Nacht eingezogen und sondern sich ab? Alfies Plan, sich bei den Nachbarn vorzustellen, wird jedoch von deren Katze Snowball vereitelt. Sie ist die schönste Katze, die Alfie je gesehen hat, und plötzlich hat Alfie noch einen weiteren Grund, sich als guter Nachbarskater zu beweisen …

Über die Autorin

Rachel Wells liebt Katzen, solange sie denken kann, und will sich ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen. Selbst die erste winzige Wohnung in London teilte sie mit Albert, einem Kater aus dem Tierheim. Heute lebt mit ihrer Familie und ganz vielen Haustieren im ländlichen Devon.

RACHEL
WELLS

Alfie

Retter auf Samtpfoten

ROMAN

Aus dem Englischen von Sonja Fehling

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Für Xavier –
du bist mein Sonnenschein

Kapitel Eins

Gähnend und mich streckend blinzelte ich in die dunkle Nacht hinein. Der Himmel war klar, nur vereinzelt funkelten ein paar Sterne über uns, und der Mond warf sein Licht auf uns herab wie ein großer Scheinwerfer.

»Ich gehe besser nach Hause, Tiger«, sagte ich ohne rechte Lust. »Wahrscheinlich machen sie sich schon Sorgen.« Es kam nicht oft vor, dass ich so lange draußen blieb, aber Tiger und ich hatten mit einigen Katzen aus der Nachbarschaft herumgetollt, und ich hatte einfach die Zeit vergessen.

»Okay, Alfie, ich bringe dich nach Hause.« Tiger, meine beste Freundin, war zwar eine weibliche Katze, aber ziemlich tough und definitiv furchteinflößender als ich. Und nach allem, was ich durchgemacht hatte, fand ich es ganz schön, sie als Bodyguard zu haben. Obwohl wir nur die Edgar Road hinunterliefen, vorbei an dunklen Häusern, leuchtenden Straßenlaternen und geparkten Autos, erschrak ich hin und wieder vor meinem eigenen Schatten. Die Dunkelheit machte mich immer ein bisschen nervös; dann kamen Erinnerungen hoch – Dinge, die ich am liebsten vergessen würde. Aber wenn Tiger, so wie gerade, schützend neben mir hermarschierte, sagte ich mir, dass diese Dinge der Vergangenheit angehörten und ich mittlerweile in Sicherheit lebte.

»Schau mal, Tiger!«, rief ich und hatte meine Angst völlig vergessen, als wir bei meinem Nachbarhaus stehen blieben: der Nummer 48.

»Huch, das sieht ja so aus, als würde da jemand einziehen«, entgegnete Tiger.

»Um diese Zeit!«, entfuhr es mir. Das war wirklich seltsam – normalerweise schliefen die Menschen nachts, das wusste ich, und ich wusste auch, dass sie für gewöhnlich am Tag umzogen.

Wir schlichen uns in den Vorgarten und versteckten uns hinter einem Busch, den wir gut kannten und von dem aus wir einen perfekten Blick auf das Geschehen hatten.

Tiger und ich hatten dieses Haus schon öfter beobachtet. Tatsächlich kannten wir es fast genauso gut wie unsere eigenen Häuser.

Vor ein paar Monaten waren die damaligen Bewohner ausgezogen und hatten ein »Zu vermieten«-Schild aufgestellt. Ich hatte Tiger schon diverse Male dazu überredet, den Stand der Dinge zu überprüfen; selbst nach so langer Zeit konnte ich den Verlockungen eines leeren Hauses immer noch nicht widerstehen. Vor einigen Jahren, als ich plötzlich obdachlos geworden war, hatte mir ein weiser alter Kater beigebracht, dass leere Häuser neue Menschen bedeuteten und damit auch potenzielle Familien für hilfsbedürftige Katzen. Deswegen zogen sie mich an wie das Licht die Motten, und obwohl ich inzwischen liebevolle Familien gefunden hatte und definitiv kein hilfsbedürftiger Kater mehr war, erlag ich immer noch diesem Reiz.

Draußen vor dem Haus parkte ein weißer Kleintransporter, den zwei Männer entluden. Beide trugen Jeans und Pullover; der eine hatte eine Wollmütze auf, der andere nur sehr wenig Haar. Beide waren groß; einer war schlank, der andere ein bisschen rundlicher. Während sie riesige Kisten aus dem Van hievten und ins Haus schleppten, redeten sie kaum ein Wort miteinander.

Ich schnurrte vor Aufregung. »Neue Bewohner! Ich kann es kaum erwarten, sie kennenzulernen.«

»Ach, Alfie, du bist echt die geborene Haustürkatze. Du kannst dich immer noch nicht zusammenreißen, wenn du eine neue Familie siehst, oder?« Ich schüttelte den Kopf. »Findest du das da nicht irgendwie seltsam?«, fragte Tiger mit Blick auf die Männer.

»Hm, na ja, ein bisschen«, gab ich zurück.

»Wer trägt denn mitten in der Nacht Sachen in ein Haus?«

Sie hat recht, dachte ich, da auch ich mich fragte, wieso um alles in der Welt die Leute bei Nacht und Nebel einzogen.

Als ich vor etwa drei Jahren in die Edgar Road gekommen war, hatte ich, wie gesagt, erfahren, dass Schilder vor Häusern neue Bewohner ankündigten. Nachdem meine vorherige Besitzerin verstorben war, hatte ich keine Ahnung gehabt, wo ich hinsollte. Ich war obdachlos, einsam und ängstlich gewesen, als ich die Straße hier erreicht hatte, und die Schilder hatten mir dabei geholfen, die vier Häuser zu finden, die kurz darauf zu meinem neuen Zuhause wurden.

Ohne es zu merken, war ich zu einem Haustürkater geworden, einer Katze, die in mehreren Häusern lebte oder dort zumindest ab und zu vorbeischaute. Mit so vielen verschiedenen Familien konnte ich sicher sein, immer genug zu essen zu haben und von jemandem geliebt zu werden. Die Erfahrung, plötzlich ganz allein auf der Welt zu sein, ohne ein Frauchen oder Herrchen, war schrecklich gewesen, und ich wusste, dass ich das nie wieder durchmachen wollte.

Ich hatte in der Edgar Road zwar mit vier Häusern angefangen, aber mittlerweile war die Anzahl auf zwei zusammengeschrumpft, weil die Familien umgezogen waren. Deshalb konnte ich nicht anders, als leere Häuser auszukundschaften, trotz meiner guten Absicherung. Alte Gewohnheiten lassen sich eben nicht so leicht abschütteln, und man weiß ja nie, was an der nächsten Ecke auf einen wartet.

»Das ist ein ziemlich großes Haus«, stellte Tiger fest. »Wahrscheinlich zieht dann dort auch eine große Familie ein.« Tiger wohnte nur ein paar Häuser von meinem entfernt, aber ihres war kleiner. Meine Hauptbesitzer, Jonathan und Claire, waren inzwischen verheiratet, nachdem ich die beiden zusammengebracht hatte, und wohnten in Jonathans riesigem Haus, das geradezu nach einer größeren Familie schrie. Für nur zwei Menschen und einen Kater war es einfach zu groß; es wurde Zeit, dass dort endlich Kinder herumliefen. Die beiden wollten auch eins, vielleicht sogar mehrere, aber momentan war ich ihr Baby, das sie verhätschelten. Nicht dass ich mich darüber beschweren würde.

»Ich hoffe, es zieht eine große Familie ein, mit lieben Kindern. Aber ohne Katze.«

»Wieso das?«

»Na ja, ich hab gehofft, sie brauchen vielleicht eine Haustürkatze.«

Tiger legte sich unter dem Busch auf den Boden und sah mich nachdenklich an. »Du hast doch Jonathan und Claire, und Polly und Matt. Findest du nicht, du solltest langsam mal akzeptieren, dass du zwei Familien hast, die dich lieben, und du nicht mehr nach einem neuen Zuhause suchen musst?« Tiger ließ ein langes träges Gähnen hören. Mich zu belehren, schien sie immer sehr zu ermüden.

Tief in meinem kleinen Herzen wusste ich ja, dass sie recht hatte, aber etwas zu wissen und etwas zu fühlen waren zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.

Wir sahen zu, wie die beiden Männer die letzten Kisten aus dem Van luden und dann die Türen schlossen. Anschließend trugen sie die restlichen Kartons ins Haus und kamen wenige Minuten später wieder zurück.

»Ich weiß echt nicht, wie ich dir danken soll«, sagte der schlanke Mann. Er sah traurig aus. Ich hatte mich näher herangeschlichen, damit ich sie besser hören konnte.

»Ach, darüber mach dir mal keine Gedanken. Wozu hat man Familie?«, erwiderte der andere und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken.

»Ich weiß, aber … na ja, in der jetzigen Situation … nach allem, was passiert ist … weiß ich einfach nicht, wie …« Seine Stimme brach. Ich horchte auf.

»Das wäre dann alles?«, wechselte der andere Mann das Thema.

»Jepp. Das ist so ziemlich unser gesamter Besitz. Insofern alles fertig.« Er lachte bitter.

»Ach komm, kleiner Bruder, das wird schon wieder«, entgegnete der erste Mann.

»Ich wünschte, das könnte ich glauben«, sagte der Dünne. Dann stiegen beide in den Van ein und fuhren davon.

»Wow, jetzt bin ich definitiv neugierig«, murmelte ich vor mich hin, während wir dem Wagen hinterhersahen.

»Alfie, ich finde wirklich, du solltest aufhören, dir neue Familien zu suchen«, verkündete Tiger mit einem neuerlichen Gähnen. Ich blickte zu ihr hinüber und stellte fest, dass sie dringend ins Bett musste. Tiger war zwar auch jung, so wie ich, aber ich kannte keine Katze, die so viel Schlaf brauchte wie sie.

»Du hast sicher recht«, stimmte ich ihr daher zu. »Aber andererseits: einmal Haustürkater, immer Haustürkater.«

Kapitel Zwei

Mein Haus lag im Dunkeln, als ich durch die Katzenklappe hineinsprang; wenig überraschend, es war ja schon spät. Ich trank etwas Wasser und schleppte mich dann müde nach oben in mein Katzenbett, das im Treppenflur stand.

Als Claire und Jonathan gerade erst zusammengekommen waren, hatte ich meine Zeit noch zwischen ihren Häusern und den Wohnungen der anderen beiden Familien aufgeteilt. Dass die zwei ein Paar geworden waren, hatten sie mir zu verdanken, schließlich hatte ich sie einander vorgestellt. Das war wirklich witzig gewesen: Ich hatte schon eine ganze Weile vorgehabt, sie miteinander bekannt zu machen, aber dann war es völlig unbeabsichtigt passiert. Ich hatte verletzt in einer Tierklinik gelegen, und als ich nicht mehr zu Jonathan gekommen war, hatte er mich gesucht. Erst da hatte Claire gemerkt, dass ich auch sein Kater war. Die beiden verliebten sich – ich hatte ja gewusst, dass sie perfekt zusammenpassten –, und sechs Monate später zogen Claire und ich bei Jonathan ein. Ein Jahr darauf heirateten sie. Das war meine erste Menschenhochzeit, und ich hatte sogar eine kleine Aufgabe bei der Trauung, die in einer kleinen Kirche in der Nähe der Edgar Road stattfand. Mann, war ich aufgeregt – bis sie mir ein Halsband umlegten und mich an die Leine nahmen. Das war so was von peinlich! Aber ich verzieh ihnen, weil sie mich zu ihrem besonderen Tag mitgenommen hatten. Außerdem bekam ich Sardinen zu essen. Lecker! Als sie einige Zeit weggefahren waren zu etwas, das sie »Flitterwochen« nannten, hatte ich bei meiner anderen Familie gewohnt – Polly, Matt, Henry und Baby Martha –, doch mittlerweile lebte ich fast ausschließlich bei Jonathan und Claire.

Während ich in meinem Bett lag, machte ich mir Gedanken über die neue Familie, und mir fiel einfach kein Grund ein, warum jemand mitten in der Nacht Kisten in ein Haus schleppen sollte. Gleichzeitig musste ich immer wieder daran denken, wie traurig der Mann ausgesehen hatte. Meiner Erfahrung nach verhielt er sich wie jemand, der große Sorgen hatte; jemand, der meine Hilfe gebrauchen konnte. Darüber grübelte ich immer noch nach, als ich schließlich einschlief.

***

Am nächsten Morgen wachte ich später auf als gewöhnlich. Ich streckte mich ausgiebig und machte mich dann auf den Weg in Claires und Jonathans Schlafzimmer. Die beiden lagen immer noch im Bett und schliefen. Es war Wochenende, deshalb mussten sie nicht früh aufstehen, aber ich hatte Hunger, und die Zeit, zu der ich normalerweise frühstückte, war definitiv schon vorüber. Zum Glück hatten sie ihre Zimmertür nicht ganz zugemacht, sodass ich sie mit dem Kopf aufschieben konnte.

Ich sprang aufs Bett, kletterte auf Claires Brust und stieß ein lautes Miauen aus.

»Oh Mann, Alfie!«, rief Claire, als sie sich aufrichten wollte und feststellte, dass ich auf ihr lag. »Wieso setzt du dich immer auf mich und nie auf ihn?« Sie deutete Richtung Jonathan, der eindeutig nur so tat, als würde er noch schlafen.

Ich miaute, um ihr zu sagen, dass ich auf ihr lag, weil Jonathan morgens richtig griesgrämig sein konnte; Claire war einfach die bessere Wahl.

»Schon kapiert«, fuhr sie fort. »Zeit fürs Frühstück.« Sie stand auf, zog ihren Morgenmantel vom Sessel, der neben ihrem Bett stand, und schlüpfte hinein.

»Wenn du schon mal auf bist: Kaffee wäre toll«, sagte Jonathan, der sich immer noch weigerte, die Augen zu öffnen. Ich sprang auf den Bettrahmen hinter seinem Kopf und kitzelte ihn mit meinem Schwanz an der Wange, bis er gezwungen war, die Augen zu öffnen und sich aufzurichten. »Lass das, Alfie, das kann ich nicht ab«, erklärte er und schob mich sanft von sich, während er mich gleichzeitig streichelte.

»Sehr gut, Alfie«, befand Claire kichernd. Dann hob sie mich hoch, klemmte mich unter den Arm und trug mich nach unten.

»Claire, Claire!«, rief Jonathan atemlos, als er einige Zeit später auftauchte. »Hast du meine Joggingschuhe gesehen?« Er stoppte kurz, um mich zu streicheln. Ich hatte mein Frühstück mittlerweile beendet und leckte mich gerade sauber.

»Im Schrank unter der Treppe, da, wo alle Schuhe sind.« Claire schnalzte missbilligend mit der Zunge. Sie war wahnsinnig ordentlich, das Haus war immer makellos aufgeräumt, und trotzdem schien Jonathan nie seine Sachen zu finden. Claire meinte, das sei ein »Männerding«, wobei das auf mich definitiv nicht zutraf. Glücklicherweise war ich ein sehr sauberer, gepflegter Kater, und ich hatte es gern ordentlich, sodass wir alle gut zusammenleben konnten.

»Ich schau noch mal. Du weißt ja, was für ein Blindfisch ich bin.« Jonathan gab Claire einen Kuss, einen von diesen langen Küssen, die man immer in Filmen sieht, deshalb kam ich mir ein bisschen störend vor und hielt mir die Augen mit den Pfoten zu. Als ich sie wieder herunternahm, kniff er Claire gerade in den Hintern und verschwand dann wieder, um weiter nach den offensichtlich schwer zu findenden Schuhen zu suchen. Claire bekam ganz rote Wangen vor Glück. Jedes Mal, wenn ich sie so sah, fiel mir wieder ein, warum ich die beiden damals unbedingt hatte zusammenbringen wollen. Sie waren zwar kein perfektes Paar – ich hatte gelernt, dass es perfekte Beziehungen selten gab, weder für Katzen noch für Menschen –, aber sie machten sich fast die ganze Zeit über gegenseitig glücklich, und so waren wir ein fröhliches Haus voller Liebe. Tiger hatte recht: Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich so ein Leben hatte, und manchmal musste ich mich einfach nur wieder daran erinnern.

»Hab sie gefunden!« Jonathan kam in die Küche zurück und schwenkte triumphierend seine Turnschuhe hin und her. »Okay, Liebling, ich mache mich dann mal auf den Weg ins Fitnessstudio. Sollen wir was essen gehen, wenn ich wieder da bin?«

»Ach, das wäre schön. Und ich lege die Füße hoch, bis du wiederkommst«, entgegnete Claire und nahm ihn in den Arm. »Übrigens: Du weißt schon, was heute für ein Tag ist, oder?«

»Ähm … Samstag?«, erwiderte Jonathan.

»Du weißt genau, was ich meine«, sagte Claire sehr leise. Dabei hätte sie gar nicht zu flüstern brauchen, ich hatte sowieso keine Ahnung, wovon sie sprach.

»Ich hab’s nicht vergessen, mein Schatz.« Er küsste sie lächelnd auf die Wange. »Bis nachher«, verabschiedete er sich, und ich sah, wie er Claire noch zuzwinkerte, bevor er ging.

Menschen sind wirklich komische Wesen, dachte ich oft. Ich liebte sie sehr, und sie kümmerten sich gut um mich, aber ich glaube nicht, dass ich sie je ganz verstehen werde. Nahmen wir zum Beispiel Jonathan und seine Turnschuhe. Er wusste genau, wo sie standen, doch er öffnete den Schrank, sah sie nicht, fragte Claire und fand sie dann genau dort, wo er vorher schon nachgeschaut hatte. Das machte er bei allen Sachen so, und aus irgendeinem Grund schien Claire das witzig und liebenswert zu finden. Mich dagegen nervte es. Er war ja nicht dumm, aber manchmal benahm er sich schon so, als wäre er es.

Und Claire flüsterte oft in meiner Gegenwart, wobei sie nicht ahnte, wie viel ich trotzdem verstand. Eine Menge nämlich. Deshalb war ich mir auch ziemlich sicher, dass sie immer nur so leise sprach, wenn es um ein ganz bestimmtes Thema ging: dass die beiden versuchten, ein Baby zu bekommen. Ich wusste, was ein Baby war, schließlich kannte ich Henry und Martha aus der Nachbarschaft. Außerdem mochten wir Katzen Babys sehr gern – sie waren klein und warm und auf gewisse Weise ein bisschen so wie wir.

Aber Claire war noch nicht schwanger. Sie war deswegen manchmal traurig, das wusste ich, und es machte mir Sorgen, weil sie am Anfang, als ich bei ihr eingezogen war, oft sehr traurig gewesen war. Und obwohl sie jetzt glücklich zu sein schien, war das Leben doch häufig unberechenbar, und die Dinge konnten sich innerhalb von Sekunden ändern.

Eine Weile nachdem Jonathan gegangen war, klingelte es an der Tür, und ich eilte sofort mit Claire nach vorn. Draußen stand Polly aus meinem zweiten Zuhause und begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Claire und Polly waren mittlerweile enge Freundinnen, was ebenfalls mein Verdienst war, weil sich die beiden durch mich kennengelernt hatten.

»Hi!« Claire lächelte fröhlich zurück. Ich fing an zu schnurren und tigerte zu Polly hinüber, um sie mit gleicher Begeisterung willkommen zu heißen. In meiner Anfangszeit hier hatte sie nie gelächelt, doch jetzt tat sie es ständig. Sie war so schön, dass sie jeden mit ihrem Strahlen ansteckte, sogar mich. Alle meine Menschen waren attraktiv, jeder auf seine ganz eigene Weise, aber Polly war atemberaubend. Das sahen alle so, doch sie tat solche Komplimente immer mit einem Lachen ab. Vermutlich war sie die uneitelste Person, die ich kannte. Zumindest machte sie sich weniger Gedanken über ihr Aussehen als ich, das stand fest.

»Ich hoffe, es ist okay, dass ich einfach so hier reinplatze, aber du meintest, Jon würde heute ins Fitnessstudio gehen. Und da Matt gerade mit den Kindern im Park ist, konnte ich mich davonschleichen.«

»Jetzt red doch keinen Quatsch, natürlich ist das okay. Komm rein«, forderte Claire sie auf und trat zur Seite.

»Hi, Alfie.« Polly ging in die Hocke, um mich zu streicheln. Es war zwar ein weiter, beschwerlicher Weg gewesen von unserer ersten Begegnung bis hierher, aber inzwischen waren wir zwei gute Freunde geworden.

Claire machte Kaffee, und als die beiden am Küchentisch Platz genommen hatten, ließ ich mich zu Pollys Füßen nieder und strich gelegentlich mit dem Schwanz über ihre Beine.

»Ich weiß nicht, ob ich wirklich Kaffee trinken sollte«, sagte Claire und nippte an ihrem Becher.

»Bist du etwa …?«, erkundigte sich Polly.

»Nein, ich bin nicht schwanger, aber ich bin in meinen fruchtbaren Tagen.«

»Wenn ich dir einen Rat geben darf, Süße: Versuch, dich ein bisschen zu entspannen. Bevor ich schwanger wurde, hab ich mehr als nur Kaffee getrunken, und zwar bei beiden. Mach dir nicht so einen Druck, und denk nicht so viel darüber nach.« Polly sah auf einmal ziemlich besorgt aus, deshalb rieb ich meinen Kopf an ihren Unterschenkeln.

»Ich versuch’s ja, aber du kennst mich doch. Ich nehme es zu ernst und mache mir über alles Gedanken. Seit wir uns dazu entschieden haben, ein Kind zu bekommen, mache ich mir sogar Sorgen, dass mich das Thema total in Beschlag nimmt, bis es endlich geklappt hat.« Claire wirkte ganz nachdenklich. Mich beunruhigte das Thema auch. Claire war ein ängstlicher Mensch. Genau deshalb war es auch so ein genialer Schachzug von mir gewesen, sie mit Jonathan zusammenzubringen. Jonathan war zwar ein komplizierter Typ – da waren wir uns sehr ähnlich –, aber er behandelte Claire gut. In mancherlei Hinsicht war er altmodisch und kümmerte sich wie ein Gentleman um sie. Gleichzeitig überließ er ihr die Hausarbeit, doch das schien ihr eher zu gefallen. So ganz verstand ich als Kater das noch nicht, aber ich lernte immer mehr dazu. Jonathan war offensichtlich ein starker Mann, bei dem Claire sich sicher fühlte, und außerdem sorgte er dafür, dass sie nicht mehr so nervös und traurig war. Ja, er konnte auch ziemlich griesgrämig sein, aber er hatte ein Herz aus Gold und war ihr treu. Treue war etwas sehr Wichtiges, hatte ich herausgefunden.

»Das ist doch völlig normal«, sagte Polly jetzt. »Wobei ich wirklich glaube, dass du dich ein bisschen davon freimachen solltest. Ich meine, guck dir doch all die jungen Mädchen an, die ungewollt schwanger werden. Ich bin mir sicher, das passiert nur, weil sie nicht die ganze Zeit an Babys denken, wenn sie Sex haben.« Polly lachte.

»Blöderweise kann ich das mittlerweile nicht mehr abstellen«, entgegnete Claire lächelnd. »Wobei du natürlich recht hast: Ich muss lockerer werden.« Sie stand auf, ging zum Küchenschrank hinüber und holte eine Keksdose heraus.

»Was denkt Jonathan denn darüber?«, fragte Polly, während sie sich einen Keks nahm und davon abbiss.

»Er findet, wir sollten das ›Üben‹ einfach genießen und unseren Spaß haben. Typisch Mann.« Wieder lächelte Claire.

»Dann mach das doch. Er hat nämlich recht.«

»Ich weiß, aber im Gegensatz zu mir ist Jon der spontane Typ. Er ist schnell mal auf hundertachtzig, aber er hakt die Sachen auch genauso schnell wieder ab und reitet nicht ewig darauf herum, Gott sei Dank. Ich glaube, er wird ein guter Vater.«

Polly beugte sich über den Tisch und drückte Claire aufmunternd die Hand.

»Ihr werdet beide tolle Eltern sein. Bessere als ich auf jeden Fall«, fügte sie mit einem traurigen Lächeln hinzu.

»Ach komm, Pol, willst du dir das nicht endlich mal verzeihen?«, fragte Claire.

Als ich Polly damals kennengelernt hatte, war es ihr ziemlich schlecht gegangen. Später hatte man festgestellt, dass sie an einer postpartalen Depression litt – das bedeutet, man ist traurig, nachdem man ein Baby geboren hat. In gewisser Weise war ich damals dafür verantwortlich gewesen, dass sie Hilfe bekam. Henry war ein glückliches, gesundes Baby gewesen, und jetzt war er ein sehr zufriedener kleiner Junge, aber es hatte eine Weile gedauert, bis es Polly besser gegangen war. Als sie dann vor über einem Jahr die kleine Martha bekam, hatte sie Angst gehabt, dass sie sich wieder so schrecklich fühlen würde, doch zum Glück war das nicht passiert. Heute sind die vier eine glückliche Familie, und mit Henry und Martha habe ich zwei tolle Spielgefährten gefunden.

»Ich glaube, das werde ich nie. Ich meine, tief in mir drinnen weiß ich, dass es nicht meine Schuld war. Aber dadurch, dass es mit Martha so gut lief, werde ich Henry gegenüber wahrscheinlich immer ein schlechtes Gewissen haben. Aber das muss ich wohl akzeptieren, und darüber musst du dir nicht auch noch Gedanken machen.« Nun sah Polly nachdenklich aus.

»Stimmt, ich habe schon genug damit zu tun, mir Gedanken zu machen, weil ich nicht schwanger werde.« Claire schwieg kurz. »Meine Freundin Tasha bekommt Akupunktur.«

»Au.«

»Na ja, sie behauptet, es tut nicht weh. Sie und ihr Freund versuchen es schon eine ganze Zeit lang, und ehrlich gesagt: Ich spiele mit dem Gedanken, es auch mal auszuprobieren. Jonathan befürchtet allerdings, dass ich mich, wenn ich immer mehr tue, um schwanger zu werden, da total reinsteigere und das Ganze ein Teufelskreis wird.«

»Da bin ich ganz seiner Meinung, aber ich könnte das sowieso nicht. Ich finde ja schon Spritzen furchtbar.« Polly schauderte.

Claire goss ihnen erneut Kaffee ein, und ich tauchte langsam in einen dösenden Zustand ab, während die beiden das Thema Babys endlich ruhen ließen und sich stattdessen über die Arbeit und ihr Zuhause unterhielten.

»Apropos, meine Süße«, sagte Polly irgendwann, als sie ausgetrunken hatte, »ich gehe dann mal besser und mache der Bande was zum Mittagessen. Du denkst dran, dass Franceska und die Jungs morgen zu uns kommen? Die wollen Alfie sehen.«

Sofort öffnete ich die Augen und miaute laut, um ihnen zu verstehen zu geben, dass ich die drei auch sehen wollte.

»Ich schwöre dir, dieser Kater versteht jedes Wort«, meinte Claire und hob mich hoch, damit wir Polly gemeinsam zur Tür bringen konnten.

Also, ich liebte meine Menschen ja wirklich, aber manchmal waren sie nicht besonders schlau. Natürlich konnte ich immer alles verstehen.

Na ja, fast.

Kapitel Drei

Obwohl Tiger sich redlich Mühe gab, mich zu überreden, hatte ich heute wenig Lust auf unseren morgendlichen Fitnessspaziergang, weil ich keine Minute mit Aleksy und dem kleinen Tomasz verpassen wollte. Aleksy war das erste Kind, mit dem ich mich angefreundet hatte; ich hatte ihn kennengelernt, als er in die Edgar Road gezogen war, und seitdem verband uns eine unerschütterliche Freundschaft. Und obwohl ich natürlich auch Henry und Martha gern hatte – und Aleksys jüngeren Bruder Tomasz, der verwirrenderweise genauso hieß wie sein Vater –, war Aleksy mein bester Freund unter den Kindern.

»Wir könnten doch einfach das leere Haus beobachten«, schlug ich Tiger vor. Das Gebäude lag in der Nähe von Pollys Haus, sodass ich gleichzeitig beide im Blick hatte und sehen würde, wenn Aleksy ankäme. Seit den Ereignissen von Freitagnacht hatte sich nichts mehr getan, was das leere Haus noch faszinierender machte. Es schien noch immer niemand dort zu leben.

»Alfie, da passiert doch eh nichts. Dann gehe ich eben allein und schaue mal, was die anderen Katzen in der Straße so treiben«, sagte Tiger beleidigt. Ich sah sie mit meinem charmantesten Gesichtsausdruck an, doch sie würdigte mich keines Blickes.

»Frauen«, dachte ich bei mir – ein Ausdruck, den ich von Jonathan gelernt hatte.

»Okay, wir können ja nachher was spielen«, schlug ich vor in dem Versuch, Tiger zu besänftigen, aber sie stolzierte davon. Ich wusste, sie würde jetzt eine Weile schmollen, dann jedoch wieder vergessen, dass sie sauer auf mich war. Tiger war keine nachtragende Katze, deshalb waren wir auch so gut befreundet. Allerdings konnte sie ganz schön launisch sein. Anscheinend waren das die meisten Frauen, zumindest hatte Jonathan das schon öfter gesagt, und da Claire ihn jedes Mal anschrie, wenn er das tat, hatte er offensichtlich recht damit.

***

So tigerte ich denn allein durch den Vorgarten des leeren Hauses. Die früheren Bewohner, fünf junge Leute, hatten eine Wohngemeinschaft gehabt; »Generation Praktikum«, hatte Claire sie manchmal genannt. Zwar waren sie ganz nett gewesen, aber nur selten daheim, und außerdem hatten sie kein Interesse an Katzen gehabt, deshalb kannte ich mich in dem Haus nicht aus.

Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass irgendjemand hier wohnte; abgesehen von den Kisten und Möbeln war das Haus nach wie vor erstaunlich leer. Ich hatte auch immer noch nicht herausgefunden, warum die Leute zwar ihre Sachen schon hergebracht hatten, noch dazu mitten in der Nacht, aber selbst noch nicht eingezogen waren. Ein Rätsel. Das ergab überhaupt keinen Sinn. Um ganz sicherzugehen, sprang ich auf eine niedrige Fensterbank und blickte in einen der vorderen Räume, doch es hatte sich nichts verändert. Als ich wieder hinuntersprang, ließ ich meinen Gedanken erneut freien Lauf und fragte mich zum wiederholten Male, wer wohl demnächst hier wohnen würde. Ich stellte mir eine liebevolle Familie vor, vielleicht mit älteren Kindern, da ich noch keine kannte. Hoffentlich mochten sie Fisch (also essen, nicht als Haustier), dann konnte ich immer Leckerbissen abstauben. Und ich betete, dass sie keinen Hund hatten.

Lächelnd verließ ich den Vorgarten und schlenderte die Straße hinauf zu Pollys Haus. Als ich sie und Matt kennengelernt hatte, hatte die Familie noch in einer Wohnung gelebt, aber mittlerweile bewohnten sie ein Haus – ein gemütliches, schönes Zuhause. Polly hatte sehr viel Arbeit in die Einrichtung gesteckt, und es gab viele Bilder, Fotos und bunte Kissen im Wohnzimmer. So hatte ich es bei meinen Besuchen immer sehr bequem, und außerdem hatte ich auch ein eigenes Katzenbett. Schließlich war das mein zweites Zuhause.

Ich stellte mich vor die Eingangstür. Natürlich hätte ich auch ums Haus herumgehen können, wo sie extra eine Katzenklappe für mich eingebaut hatten, aber ich wollte Aleksy sofort begrüßen, wenn er ankam. Meine kleinen Beinchen zitterten fast vor Aufregung, während ich wartete. Das Wetter war auch nicht schlecht, angenehme Temperaturen, und ab und zu fielen Sonnenstrahlen durch die Wolken, sodass ich darin baden konnte. Entspannt vertrieb ich mir die Zeit damit, an den Blumen zu riechen, die Polly im Vorgarten gepflanzt hatte: viele rote, gelbe und orangefarbene Blüten. Trotzdem war ich vorsichtig und achtete darauf, nicht zu nahe heranzugehen; letztes Jahr hatte Tiger nämlich die Nase in eine Blüte gesteckt und war von einer Biene gestochen worden. Sie hatte große Schmerzen gehabt und musste zum Tierarzt, wo sie eine fiese Spritze bekommen hatte. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Nachdem ich mein vorsichtiges Schnüffeln aus sicherer Entfernung beendet hatte, suchte ich mir ein sonniges Plätzchen und legte mich hin, um ein bisschen zu entspannen.

»Alfie«, hörte ich weniger später eine vertraute Stimme. Ich öffnete die Augen. Aleksy stand vor mir, in Jeans und Sweatshirt, und lächelte mich an. Mittlerweile war er so groß geworden – sein siebter Geburtstag war noch nicht lange her – und lebte schon seit drei Jahren hier in England. Zwar wusste ich immer noch nicht viel über Polen, wo er ursprünglich herkam, aber es kam mir vor, als würde er von Mal zu Mal englischer werden, wenn wir uns sahen.

Ich stand auf und begrüßte ihn mit einem Schnurren, woraufhin Aleksy mich hochhob. Erfreut kuschelte ich mich an seinen Hals. Der kleine Tomasz fing an, mich zu streicheln, und ich schnurrte erneut, um ihn wissen zu lassen, dass ich mich auch freute, ihn wiederzusehen.

»Okay, Jungs, gehen wir rein. Du auch, Alfie«, sagte Franceska, die Mutter der Jungen, und beugte sich hinunter, um mich ebenfalls zu streicheln. Franceska war eine liebevolle und ruhige Frau, die sich sehr angestrengt hatte, um ihrer Familie die Eingewöhnung in England zu erleichtern. Eine Weile hatte sie in einem Laden gearbeitet, aber mittlerweile half sie ihrem Mann, dem großen Tomasz, in dessen Restaurant, wenn die Jungen in der Schule waren. Ich war noch nie dort gewesen – für einen Kater wie mich lag das Restaurant viel zu weit entfernt von der Edgar Road –, doch meine Familien hatten erzählt, dass es ein tolles und sehr beliebtes Lokal sei. Franceska und Tomasz hatten also viel zu tun. Tatsächlich wünschte ich mir, ich könnte dorthin laufen und sie besuchen, nur um zu sehen, wie sie lebten. Inzwischen waren sie in eine Wohnung über dem Restaurant eingezogen, und ich vermisste sie sehr. Als sie noch in der Edgar Road gewohnt hatten, war ich fast jeden Tag bei Aleksy gewesen; jetzt sahen wir uns nur noch einmal die Woche.

Wir machten es uns alle in Pollys warmem Wohnzimmer bequem. Martha hielt sich an dem dunkelblauen Sofa fest – sie lernte gerade zu laufen. Ich hatte erfahren, dass Menschen länger dafür brauchen, im Gegensatz zu uns Katzen. Wir lernen es innerhalb weniger Tage nach der Geburt. Noch so eine Sache, die in mir die Frage aufwirft, warum es hieß, Menschen seien klüger als Katzen. Mir fallen eine Menge Gründe dafür ein, dass es genau umgekehrt ist, nicht nur die Sache mit dem Laufen.

Henry und Tomasz stürzten sich sofort auf Henrys Eisenbahn. Tomasz war zwar älter als Henry, aber sie spielten gerne zusammen. Aleksy sagte oft, er sei zu groß, um mit den kleineren Jungs zu spielen, aber manchmal merkte ich schon, dass er gerne mitmachen würde. Stattdessen spielte er mit mir. Er bewahrte immer Spielzeug für mich auf, das er mitbrachte, wenn er zu Besuch kam. Das holte er jetzt aus seinem Rucksack, und obwohl ich eigentlich fand, dass diese Art von Spiel für einen sechsjährigen Kater wie mich unter meiner Würde war, tat ich ihm den Gefallen und ließ ihn eine unechte Maus vor meiner Nase herumschwenken und einen Ball rollen. Sogar seinen Schleifchen und Glöckchen jagte ich hinterher. Außerdem hatte Martha ihren Spaß daran. Sie versuchte, die Balance zu halten und gleichzeitig meinen Schwanz zu fassen zu kriegen. Natürlich konnte ich ihr leicht ausweichen, aber ich wusste auch, wenn sie das weiter probierte, würde es nicht gut ausgehen.

Als Polly und Franceska aus der Küche wiederkamen, hatten sie ein Tablett mit Heißgetränken für die Erwachsenen, Fruchtsaft für die Kinder und einen Teller mit Keksen dabei, und die Jungs machten sich sofort über das Gebäck her.

»Jeder nur einen«, sagte Franceska, aber ich sah genau, dass Aleksy sich zwei nahm und dabei in sich hineingrinste.

Polly hob Martha hoch, um ihr ein Fläschchen mit Milch zu geben, und als ich miaute, weil ich mich ausgeschlossen fühlte, lächelte sie.

»Frankie, bist du so nett und gibst Alfie etwas Milch? Anscheinend möchte er auch einen Snack.«

Ich folgte Franceska in die Küche und schleckte die Milch auf, die sie mir hinstellte. Kurz darauf kam Aleksy hinter mir her, und plötzlich waren wir allein. Auf der einen Seite der Küche, im Essbereich, stand ein kleiner runder Tisch mit vier Stühlen, während die gegenüberliegende Wand hinter grauen Holzschränken verborgen lag. Als Kater wusste ich nicht viel über Inneneinrichtung. Das einzige Möbelstück, das ich besaß, war mein Körbchen. Aber Polly hatte definitiv Talent, denn ihr Zuhause sah ein bisschen so aus wie sie; als hätte sie es direkt aus einem der glänzenden Magazine herausgezaubert, die Claire so gerne las. Tatsächlich hatte Claire auch schon ein paarmal gesagt, dass sie Polly bitten wolle, ihr bei der Umgestaltung unseres Hauses zu helfen.

»Ich vermisse dich, Alfie«, sagte Aleksy, als ich mir gerade den letzten Rest Milch schmecken ließ. Während ich mich putzte, blickte ich zu ihm hoch und versuchte, seine Miene zu deuten. Ein Stich fuhr mir durchs Herz: Ich konnte die Traurigkeit in seinem kleinen Gesichtchen sehen, und das verursachte mir körperliche Schmerzen. Die Gefühle meiner Menschen berührten mich immer sehr, aber bei den Kindern – vor allem bei Aleksy – war es am schlimmsten. Um ihm zu verstehen zu geben, dass ich ihn auch sehr vermisste, rieb ich mich an seinen Beinen. »Manchmal wünsche ich mir, wir würden immer noch hier wohnen. Dann könnte ich dich jeden Tag sehen«, sagte er, und ich schnurrte zustimmend.

»Aleksy.« Tomasz kam wie ein Wirbelwind in die Küche gerannt. Das war typisch für ihn: Er war sehr lebhaft und ungestüm, während Aleksy ein eher sensibles Kind war.

»Was ist denn, Tommy?«

»Claire ist hier und hat uns was mitgebracht.« Tomasz zitterte richtig vor Aufregung, und im nächsten Moment stürmte er auch schon zurück ins Wohnzimmer, während Aleksys Augen zu leuchten begannen.

Was auch immer ihn belastete, konnte anscheinend noch warten.

»Alfie!«, rief Claire und nahm mich auf den Arm. »Ich hab dich schon gesucht. Also, dieser Kater verschwindet immer noch genauso oft wie früher. Manchmal frage ich mich, ob er sich noch ein anderes Zuhauses gesucht hat.«

»Meinst du wirklich?«, fragte Franceska.

»Na ja, er ist ständig unterwegs. Wer weiß? Nachts ist er zwar meistens bei uns, aber …«

»Tagsüber ist er fast immer bei uns«, stellte Polly fest.

Ich stieß ein lautes Miauen aus. Ich mochte zwar neugierig sein, wer in das neue Haus einziehen würde, trotzdem wusste ich genau, zu welchen Familien ich gehörte.

Ich machte es mir auf Franceskas Schoß bequem, und während ich den Blick durchs Wohnzimmer schweifen ließ, ging mir mein kleines Herz auf. Die Jungen spielten alle zusammen ein Spiel, das Claire ihnen mitgebracht hatte. Martha lag neben Polly auf dem Sofa und war eingeschlafen. Nur ihre pummligen Beinchen schauten unter der Decke hervor, in die ihre Mutter sie eingewickelt hatte. Claire unterhielt sich angeregt mit Franceska, die mich währenddessen streichelte, und Polly hörte lächelnd zu. Wie gut es mir doch ging. Ja, wirklich.

Mein letzter Gedanke, bevor ich wie Martha ein Mittagsschläfchen hielt, war, wie glücklich es mich machte, hier in diesem Raum zu sein, mit meinen Familien und all der Liebe um mich herum.