Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urhebergesetz zugelassen ist, bedarf vorheriger Zustimmung des Autors. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in elektronische Medien.
© 2021 Manfred Schmid
www.schmidmanfred.de
Lektorat: Miriam Rosenlehner
Coverrealisation: Popp Medien
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-753-43089-8
Die moderne Gesellschaft befindet sich in einem großen Umbruch. Die Industrialisierung wird durch die Digitalisierung abgelöst. Durch diese und andere Entwicklungen sieht sich die heutige Geschäftswelt vor allem zwei Herausforderungen gegenüber: Sie wird immer komplexer und die Geschwindigkeit aller Abläufe erhöht sich kontinuierlich.
Trends wie Agilität versuchen, darauf eine Antwort zu geben. Um im zunehmenden Wettbewerbsdruck zu bestehen, kann „immer noch schneller“ nicht die alleinige Lösung sein. Wendigkeit und Flexibilität in Unternehmen zu etablieren, agil zu sein ist eine mögliche Lösung dafür, effizientes Hasten durch effektives Vorankommen zu ersetzen.
Dieses Buch will noch einen Schritt weitergehen, es will den Bereich Beschaffung neu denken.
Neu denken bedeutet:
Die Welt der Beschaffung hat, was die Vielzahl der Tools, Trends und Theorien betrifft, eine Dimension angenommen, die man mit einem Buch nicht vernünftig abdecken kann. Deshalb ist eine Einordnung der Vielzahl der Themen notwendig, um damit Übersichtlichkeit und Verständnis herzustellen. Hier finden Sie die dazu nötigen Systematiken. Einfachere statt immer komplexerer Strukturen ermöglichen schnelleres und effektiveres Arbeiten.
Kundenorientierung wird neu gedacht. Statt uns dem Kunden des Unternehmens zu widmen, wollen wir uns den Lieferanten zuwenden und der Frage, wie sie uns als Kunden und Geschäftspartner wahrnehmen. Deshalb werden wir die Einkaufsorganisationen und hre Prozesse immer wieder aus dem Blickwinkel des Verkaufs erfassen und bewerten. Die Motive werden hinterfragt und damit für das eigene Unternehmen, aber auch für die Partnerschaft ein Mehrwert geschaffen.
Der Schwerpunkt liegt im B2B – Ein- und Verkauf, allerdings wollen wir uns immer auch wieder dem B2C-Bereich zuwenden. Neue Blickwinkel und Analogien werden neue Einsichten und Ansätze gewähren.
Nicht alles wird neu sein. Aber Beschaffung aus mehreren Perspektiven zu betrachten soll Ihnen möglichst viele neue Impulse geben.
Manfred Schmid, Februar 2021
Das Beschaffungswesen ist aufgrund seiner Inhalte, Aufgabenstellungen und Schnittstellen eine vielschichtige und abwechslungsreiche Einheit im Unternehmen. Bereits für kleinere Betriebe ist es Alltag, mit einer Vielzahl unterschiedlicher Technologien und Warengruppen und daher mit einer großen Auswahl an Lieferanten umzugehen. Zum Beispiel gibt es in der Warengruppe Drehteile allein in Europa über 10.000 Hersteller. Diese greifen auf unterschiedliche Herstellungsverfahren und Materialien zurück. Sie produzieren in Ländern mit anderer Gesetzgebung, Sprache und Kultur. Das Schnittstellenmanagement ist komplex. Es sind unterschiedliche Kommunikationswege, zum Teil über mehrere Wertschöpfungsstufen hinweg, zu meistern. Die Vielschichtigkeit selbst kleiner Einkaufseinheiten erzeugt daher eine hohe Komplexität in der Supply Chain.
Die Dichte und Frequenz an Informationen über Markt und Methoden werden kontinuierlich höher. Auch deren Komplexität steigt, das werden wir nicht verhindern können. Ein Charakteristikum der Komplexität ist die pure Masse an Informationen, Aufgabenstellungen, Varianten und Problemen. Ein weiteres ist die Unübersichtlichkeit dieser Masse, das Fehlen von Mustern oder Strukturen. Dazu kommt, dass die Bestandteile des Systems miteinander interagieren. Die Vielfalt des Zusammenwirkens führt dazu, dass die Folgen und Wirkungen des Zusammenspiels immer wieder variieren. Es lassen sich wenig feste Regeln ableiten.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit der Komplexität umzugehen. Wir können sie reduzieren. Das kann bedeuten, Varianten zu reduzieren oder bestehende Prozesse zu vereinfachen. Besonders aber heißt es, Probleme und Varianten von Beginn an zu vermeiden. Das ist der Versuch, die Masse klein zu halten. Die zweite Möglichkeit ist, sich darauf einzustellen und die Komplexität zu beherrschen. Dann müssen wir uns mit der Unübersichtlichkeit der Masse auseinandersetzen. Unübersichtlichkeit entsteht durch das Fehlen von Struktur oder Mustern. Ein Problem, das man bei manchen Experten beobachten kann: Wissen und Informationsfülle führen dazu, sich im Detail zu verlieren. Der Blick für das Ganze und das Wesentliche in ihm geht verloren.
Komplexität reduzieren
Für die Reduktion des gesamten Systems, bestehend aus der Lieferantenstruktur, der Prozesslandkarte und den handelnden Personen, benötigt man vor allem Vertrauen, Mut und Verständnis für die Sache. Es braucht Mut, um sich zu verkleinern, Dinge wegzulassen, Prozesse aufzugeben. Damit geht man Risiken ein, man könnte das Richtige nicht tun. Um diese Risiken eingehen zu können, benötigt man Know-how über das Thema. Und nicht zuletzt braucht es Vertrauen in die Menschen und in die Beziehungen zu ihnen.
Waren und Dienstleistungen zu beschaffen bedeutet, Schnittstellen mit anderen Unternehmen und im eigenen Betrieb zu managen. In der Regel sind diese Schnittstellen Menschen. Es ist leichter, wenn man Vertrauen in diese Menschen hat. Vertrauen reduziert Komplexität in sozialen Systemen. Deshalb ist in Asien ein geschäftlicher Abschluss größeren Umfangs kaum möglich, wenn man nicht zuvor gemeinsam essen gegangen war und damit Vertrauen aufgebaut hat.
Komplexität neu denken
Komplexität zu reduzieren erfordert:
Wenn man etwas vereinfachen will, muss man es verstanden haben. Man muss das Muster, die Struktur kennen, sonst kann aus Vereinfachung Zerstörung werden. Man kann nicht einfach Dinge weglassen, man muss wissen, was unnötig ist oder welche Risiken man eingeht, wenn man etwas nicht mehr ausführt, nicht mehr montiert oder nicht mehr kontrolliert. Deshalb ist einfach nicht trivial, sondern ganz im Gegenteil, es zeugt von umfassendem Wissen und von Verständnis einer Sache.
Kann man schlichtweg Dinge weglassen oder nicht tun und damit die Komplexität reduzieren? Riskiert man damit nicht, dass wesentliche Dinge nicht vorankommen oder Probleme nicht gelöst werden? Das Pareto-Prinzip besagt, dass aus 20 % der Maßnahmen 80 % des Erfolges entstehen. Natürlich müssen im Einkauf 100 % der geforderten Waren beschafft werden. Aber wenn 20 % der Einkaufsverhandlungen 80 % der Preisreduzierungen ergeben würden, muss man sich Gedanken machen, ob wirklich die anderen 80 % der Preisverhandlungen Sinn ergeben und Ergebnisse liefern.
Im Schnitt werden 80 % der Qualitätsprobleme von 20 % der Ursachen ausgelöst. Wenn man sich intensiv zuerst mit den richtigen 20 % auseinandersetzt und nicht alle Ursachen gleichzeitig angeht, ist der Maßnahmenkatalog übersichtlicher und die ersten 80 % der Probleme sind schneller gelöst.
Das Pareto-Prinzip ist ein wesentlicher Schritt zur Komplexitätsreduzierung. Auch wenn man es auf den Einkauf überträgt, geht es um die Auswahl der richtigen 20 %. Dazu braucht es profundes Wissen über Märkte, Technologien, Abläufe und Menschenkenntnis.
Ein Beispiel für die Konzentration auf das Wesentliche ist Jack Welch. Er war von 1981 bis 2001 der CEO von General Electric. Welch machte das Unternehmen zum wertvollsten Unternehmen der Welt und gilt als einer der erfolgreichsten Manager des letzten Jahrhunderts. Er konzentrierte sich in seiner 20-jährigen Tätigkeit als CEO auf nur vier Initiativen. Erweiterung und Konzentration auf Dienstleistungen, Globalisierung, E-Business und Six Sigma, die Qualitätsoffensive von GE. Aufgrund seiner Reduzierung auf nur vier Schwerpunkte, die „GE Corporate Initiatives“, gelang es ihm, den gesamten Konzern nachhaltig auf diese Themen auszurichten. Das war ein Schlüssel für Welchs Erfolg.
Komplexität beherrschen
Die Entscheidung ist nicht, ob man Komplexität reduziert oder beherrscht. Man muss beides tun. Wenn die Reduktion weniger gut gelingt, bleibt eben mehr, das man beherrschen muss.
Die Perspektive des Verkaufs
Ein komplexer Kunde und seine Beschaffungsorganisation sind immer eine Herausforderung. Sie kann aber auch intern leichter ausgespielt werden. Die Möglichkeiten, sich jenseits von Preis und Qualität durchzusetzen, sind größer.
Ein Baustein, um Komplexität zu verstehen, ist, Strukturen und Muster zu erkennen. Und falls notwendig, diese selbst einzuführen. Deshalb widmet sich Kapitel 2 zuerst einem ganzheitlichen Überblick über das Thema Einkauf. Hier wird das Wesentliche dargestellt. In Kapitel 3.1 „Die Positionierung am Markt“ wird die gesamte Masse des Einkaufsvolumens und der Lieferanten aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert und strukturiert.
Unternehmer versuchen, die Komplexität in Form von Handbüchern oder Manuals zu beherrschen. Sie wurden zwar nicht zu diesem Zweck geschrieben, aber zeigen die Komplexität des gesamten Betriebs oft schnell auf. Ein Beitrag zur Reduktion oder Bewältigung der Komplexität sind diese Werke nicht. Der Aufwand für Abgleich und Aktualisierung ist vielmehr ein weiterer Beitrag dazu.
Generell können Manuals durch Checklisten ersetzt werden. Checklisten zeigen stets das Muster in einem Vorgang oder Bereich auf. Sie geben Struktur und sind von Natur aus einfach gestaltet. Eine gute Checkliste zeigt auch in komplexen Situationen die entscheidenden Variablen und Hebel. Eine Checkliste kann bei Routinetätigkeiten helfen, nichts zu vergessen, sie kann aber auch in Krisensituationen dazu beitragen, den Überblick zu behalten. Checklisten sind ein Beitrag dazu, den Ausgleich zwischen gebotener Einfachheit und notwendiger Vollständigkeit zu meistern.
Einfachheit ist das Resultat der Reife.
Friedrich Schiller, Dichter
Die Produktvielfalt nimmt weiter zu, ebenso steigen die Varianten an Methoden und die Möglichkeiten im Markt. Die Wertschöpfung verschiebt sich fortlaufend. Wir werden daher auch im Einkauf nicht zu früherer Einfachheit zurückkehren. Aber wir können durch unsere Herangehensweisen und unser Denken die Komplexität beeinflussen und zu unseren Gunsten nutzen.
Die Komplexität im Einkauf hat sich, wie bei vielen unternehmensrelevanten Themengebieten, in den letzten Jahrzehnten exponentiell entwickelt. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Komplexität führt aber zu Fehleranfälligkeit und hohem Aufwand. Dieses Buch soll durch einfache Strukturen den Blick aufs Wesentliche lenken. Mögliche zukünftige Entwicklungen werden in ein Schema eingebunden, mit dem man diese zielgerichteter erschließen kann.
Bei dem Blick auf das Thema Beschaffung und die Themen, mit denen man sich in Einkaufsorganisationen auseinandersetzt, lassen wir uns von 4 Treibern leiten, den vier Ws des Einkaufs:
Einkauf neu denken
Diese vier Bereiche umfassen die relevanten Themengebiete, die im Einkauf eine Rolle spielen. Es werden jeweils die fünf wichtigsten Hebel für Kostenreduzierung und guten Einkauf des jeweiligen Bereichs betrachtet. Diese einfache Herangehensweise will das weite Feld der Beschaffung auf das Wesentliche reduzieren.
Es geht hierbei um die Themen, Aufgaben und Herangehensweisen im Beschaffungswesen. Im Gegensatz dazu will eine Spend-Cube-Analyse mit der Fragestellung „Wer kauft was, bei wem, zu welchem Preis ein?“ alle Ausgaben bei den Lieferanten über alle Geschäftseinheiten oder Kostenstellen erfassen.
Abbildung 1: Alle Themenfelder des Einkaufs in 4 Quadranten
Der Quadrant WAS beschäftigt sich mit der Wertschöpfung und den damit verbundenen Herstellungskosten, die eine Beschaffungsorganisation zukauft und ins Unternehmen bringt. Es geht hier also um die Güter und Dienstleistungen selbst, welche beschafft werden.
Wir setzen uns mit den Herstellungskosten der Produkte auseinander, wir wollen in Funktionen und Werten denken. Nicht der Preis steht im Vordergrund, sondern, welche Funktion, die erfüllt wird, kostet welchen Betrag. Es werden die wesentlichen Verursacher von Kosten angegangen und der Blick nicht nur auf die Verhandlung, bei der es letztendlich doch nur um die letzten Prozente geht, geworfen. Der Einkauf betreut die Technologien, die außerhalb der eigenen Organisation für die Wertschöpfung von Bedeutung sind, und damit einen wesentlichen Teil der gesamten Herstellungskosten.
Einkauf, Beschaffung, Supply-Chain-Management
Einkauf ist das Bestellen von Waren und die damit verbundenen operativen Tätigkeiten. Beschaffung ist der übergeordnete Begriff. Beschaffung ist beispielsweise Beschaffungsmarketing, Marktanalysen und letztendlich der konkrete Bestellprozess.
Supply-Chain-Management umfasst alle Vorgänge in der kompletten Lieferkette, in Zusammenhang mit Beschaffung wird es verwendet, um Logistik und Beschaffungswesen zusammenzufassen.
Der Quadrant WIE setzt sich mit den Vorgängen rund um diesen Beschaffungsvorgang auseinander. Letztendlich geht es um die Frage, welcher Aufwand notwendig ist, um Güter und Dienstleistungen im Unternehmen an der richtigen Stelle zu haben. Grundlage für diese Prozesse ist die Organisation, die der zweite Baustein des WIE ist. Daneben sind in diesem Quadranten alle Bereiche der Logistik angesiedelt.
Der Quadrant WO spiegelt den Markt wider. Natürlich spielt der Lieferant die wesentliche Rolle, er ist die Grundlage, dass Güter geliefert und Dienstleistungen realisiert werden: der wesentliche Sparringspartner für den Einkauf. Der Lieferant ist auch für die Qualität der Wertschöpfung verantwortlich, Qualitätssicherungs- und Einkaufsabteilung können nur eine unterstützende Rolle wahrnehmen, gute Qualität entsteht vor Ort beim Lieferanten. Die Risiken, mit denen sich der Einkauf auseinandersetzen muss, kommen meist vom Markt oder von einzelnen Lieferanten, verursacht zum Beispiel durch Unzuverlässigkeit in der Belieferung oder durch den Konkurs einzelner Unternehmen. Die Ergebnisse, die wir aus dem Markt erhalten, sind oftmals die Kernursache vieler unserer Störungen und Probleme, also ein wesentlicher Treiber, mit dem man sich fundiert auseinandersetzen muss.
Eine wesentliche Rolle spielt natürlich nicht zuletzt der Preis. Das „Wie viel bezahlen wir dafür?“ bildet den vierten Baustein des Einkaufs. Wesentliche Grundlage für Preise ist das Spiel von Angebot und Nachfrage. Im Einkauf bildet der Wettbewerb die Basis für gute Preise. Nachdem die Macht des Preisvergleichs und des Wettbewerbs ausgeschöpft ist, folgt die Königsdisziplin des Einkaufs: die Verhandlung. Aber auch andere Werkzeuge, um den Preis zu bearbeiten, wie Kostenanalysen und Auktionen, werden betrachtet.
Dieser Bereich unterstützt Sie, nach der Betrachtung der Kosten und des Aufwands, auch noch den besten Preis für Ihr Unternehmen zu realisieren.
Es gibt nicht immer eine klare Zuordnung zu den vier Quadranten. Beispielsweise ist der Begriff Wettbewerb eine Basis für die Preisgestaltung im Einkauf und deshalb dem „Wie viel“ zugeschlagen. Aber natürlich ist er auch im Bereich „Wo“, also bei den Lieferanten, und im Markt anzusiedeln. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird aber immer eine eindeutige Zuordnung zu einem Quadranten vorgenommen.
In den folgenden Kapiteln werden nun die wesentlichen Werkzeuge und Hebel, die jeweils in den einzelnen Quadranten der vier Ws zur Verfügung stehen, erläutert. Es geht nicht darum, noch eine weitere Methode kennenzulernen und die Lieferanten oder die eigene Organisation damit zu konfrontieren. Es geht darum, die Kernelemente der vier Treiber im Einkauf zu kennen, sie aus einem etwas anderen Blickwinkel zu betrachten und damit die Gesamtheit des Themas Einkauf im Überblick zu haben.
Abbildung 2: Die 4 Treiber – Leistung, Aufwand, Lieferant, Preis
Die einfachen W-Fragen werden eine Einordnung in eine Struktur ermöglichen. Sie können schnell abbilden, ob es um die Kosten, den Aufwand der Beschaffung, die Marktgegebenheiten, einen Preiskampf oder eine Kombination daraus geht. Sie können helfen, die richtigen 20 % der Aufgaben herauszufiltern, indem sie die möglichen Resultate daraus darlegen und vor überzogenen Erwartungen abwenden.
Die Kosten eines Produktes, das ein Unternehmen produziert, werden bis zu 70 % bereits in der Entwicklung festgelegt. Das bedeutet, dass die Wertschöpfung innerhalb und außerhalb des eigenen Unternehmens zum Zeitpunkt, an dem wir mit der Planung der Produktion beginnen, zu einem überwiegenden Teil bereits vorgegeben ist. Für den Einkauf heißt das, dass man sich rechtzeitig einbringen muss, um diesen wesentlichen Teil der Kostenentstehung nicht außer Acht zu lassen.
Entwicklung oder Konstruktion ist sicherlich nicht im Aufgabenbereich des Einkaufs angesiedelt. Aber die Gestaltung des Know-how-Transfers vom Markt ins eigene Unternehmen ist in Zukunft neben der Lieferantenentwicklung einer der wichtigsten Bausteine erfolgreicher Einkaufsstrategien.
Abbildung 3: Was – Hebel des Einkaufs
Das „Was“ des Einkaufs bedeutet, in Funktionen und Anforderungen zu denken. So werden die Kosten an der Wurzel gepackt. Bei Bedarf, Technologie und dem Herstellprozess werden grundsätzlich Ansätze, mit denen wir die Kosten reduzieren können, verfolgt. Dabei sollte man an mehr denken als an Produkte, Anlagen und Dienstleistungen. Wir werden fünf Themen aus diesem Bereich beleuchten.
Eine für den Einkauf fast schon unerhörte Frage sollte man immer mal wieder stellen: Benötigen wir das? Natürlich müssen die Fachabteilungen die Budgethoheit haben, die Bestellung muss derjenige, der den Bedarf hat, im Rahmen seiner Freigaben auslösen können. Der Einkauf ist der Dienstleister für die Beschaffung der Leistung, aber es ist dennoch Service am Unternehmen, die Grundsatzfrage nach dem Bedarf kontinuierlich zu stellen.
Es wird nur in den wenigsten Fällen auf die Frage „Benötigen wir das?“ eine binäre Ja/Nein-Antwort geben. Normalerweise geht es darum, den Bedarf und damit die Ausgaben zu reduzieren, selten wird es möglich sein, eine Ausgabe vollständig zu vermeiden. Im Bereich der indirekten Beschaffung kann eine Diskussion über Bedarfsreduzierung notwendig und sinnvoll sein. Um den Bedarf für direktes Material, das Produktivmaterial, zu reduzieren, muss man intensiv in die Konstruktion über Instrumente, wie beispielsweise die Wertanalyse, eingreifen. Einen einfachen Weg dafür gibt es nicht, dazu später mehr.
Nachfragereduktion im indirekten Bereich sollte kontinuierlich im Auge behalten werden.
Beispiel Reinigungsleistungen
Was wird in welchem Rhythmus gereinigt? Muss wirklich jedes Besprechungszimmer jedes Mal komplett gereinigt werden oder konzentriert man sich auf das Besprechungszimmer für externe Besucher, während interne Räume nur wöchentlich grundgereinigt werden müssen? Es geht darum, die Diskussionen über Notwendigkeiten im Unternehmen anzuregen und ein Bewusstsein für die Kosten der Selbstverständlichkeiten zu schaffen.
Einen effektiveren Weg zur Kostenvermeidung als die Verbrauchsreduzierung gibt es nicht. Auch wenn Bedarfsvermeidung schwer erscheint, einfacher wird es nicht mehr.
Die Erhöhung der Mengen, um damit bessere Preise zu erzielen, sollte immer eine Idee des Einkäufers sein. Dies kann über die Erhöhung der Einzelteilmenge erfolgen, sodass auch tatsächliche Kostenreduzierungen im Herstellungsprozess entstehen. Es kann aber auch eine Bündelung über Teilefamilien oder sogar Warengruppengrenzen hinaus bei einem Lieferanten erfolgen. Sodass damit bessere Konditionen über einen reinen Mengenrabatt erzielt werden.
Beispiel: Beschaffung von Spritzgussteilen mit spezifischem Vormaterial
Für charakteristische Kunststoffspritzgussteile, die in unterschiedlichen Abmessungen aus verschiedenen Werkzeugen bezogen werden, wurde eine Bündelung des Vormaterials durchgeführt. Das Vormaterial, ein Spezialgranulat, ist einheitlich in der Spezifikation festgelegt. Aus Gründen des Wettbewerbs, der Kapazitäten und der Risikominimierung werden die Spritzgussteile von mehreren Lieferanten bezogen. Die formgebenden Werkzeuge sind auf mehrere Spritzgussfirmen verteilt. Durch einen Rahmenvertrag mit dem Vormateriallieferanten, auf den alle Bauteillieferanten zugreifen, können Bündelungseffekte für einen erheblichen Teil der Herstellkosten, der Materialkosten, realisiert werden. Zum Teil konnten Zwischenhändler, auf die die Spritzgussfirmen aufgrund ihres geringen Bedarfes zugreifen mussten, eliminiert werden. Bei weiteren Ausschreibungen zu dieser Teilefamilie wird der Preis des Kunststoffgranulats in Euro pro Kilogramm vorgegeben, sodass Preisunterschiede aufgrund unterschiedlicher Preisniveaus im Vormaterial ausgeschlossen werden.
Beispiel Großserienfertigung Zerspanung
Für ein breites Spektrum an unterschiedlichen Hydraulikzylindern mit identischem Durchmesser sind zahlreiche Aufträge für die Deckel und Böden der Zylinder bei mehreren Drehteileherstellern platziert. Diese Produkte laufen auf zahlreichen CNC-Automaten mit Stückzahlen von 5.000 bis 50.000 Stück pro Jahr und pro Identnummer. Die Aufträge für die Deckel und Böden wurden nach und nach mit dem Anlaufen der Endprodukte vergeben, sodass sich durch eine CNC-Fertigung jeweils der beste Preis realisieren ließ.
Die Umstellung der gesamten Jahresmenge von ca. 1.000.000 Stück auf einen Rundtaktautomaten brachte eine Preisreduzierung von ca. 30 %. Die Nachteile dieser Fertigungsmethode liegen in der begrenzten Flexibilität und dem hohen Rüstaufwand. Durch die hohe Vergleichbarkeit der Drehteile sind nur Rüstvorgänge in kleinem Umfang nötig. Durch die hohe Stückzahl über den Bündelungseffekt wurde die Maschine nur durch diese eine Teilefamilie belegt, sodass nur ein einmaliges Einrüsten anfiel.
Mengensteigerungen über Standardisierung und die Bündelung über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus durch Einkaufsgemeinschaften werden wir später genauer betrachten. Eine Übersicht der Bündelungsvarianten kann man der Checkliste 1 „Volumeneffekte durch Bündelung“ entnehmen.
Bündelung ist Komplexitätsreduzierung, unerheblich, ob technisch, durch Standardisierung oder beim Einkauf von Baugruppen. Insbesondere bei der Bündelung über mehrere Wertschöpfungsstufen hinweg entsteht die Kostenreduzierung vor allem durch die Reduzierung der Komplexität. Sie bestellen ein Bauteil mit einer Identnummer, das möglicherweise mehr kostet als die Summe der Einzelteile. Aber es sind weniger Bestellvorgänge, weniger Materialnummern und weniger Lagerplätze erforderlich. Logistik, Montage und administrative Prozesse werden einfacher. Einfacher geht es anders kaum.
Checklisten
Eine kurze Anmerkung zu Checklisten: Wann immer sich ein Vorgang wiederholt, kann eine Checkliste Sinn machen. Das Erstellen einer Checkliste bringt meist schon mehr Klarheit in einen Prozess als das mehrfache Durchführen desselben.
Ein häufig gehörter Einwand gegen Checklisten ist: Ich bin Profi, ich kenne die Prozesse, das mache ich individuell und aus Erfahrung. Dem ist entgegenzuhalten: Möchten Sie in einem Flugzeug sitzen, in dem der Pilot vor dem Start die Checkliste nicht durchgeht? Vermutlich sind wir uns einig, dass Piloten echte Vollprofis sind. Deshalb: Eine Checkliste ist ein Werkzeug für Profis. Checklisten entlasten die endliche Ressource Aufmerksamkeit. So haben Sie den Kopf frei für die Sachen, bei denen Sie schnell und kreativ denken müssen.
Checklisten sollten möglichst kurzgehalten werden, sie müssen nicht alle Positionen enthalten. Punkte, die bereits in Fleisch und Blut übergegangen sind, können natürlich entfallen. Die folgenden Checklisten enthalten die wesentlichen Punkte, streichen Sie einfach einige davon und fügen Sie Ihre branchenspezifischen oder ganz persönlichen Highlights dazu.
Anlagen und Maschinen optimal auszulasten ist das Ziel jedes Unternehmens und ein Baustein für Wettbewerbsfähigkeiten und gute Ergebnisse. Dies durch Zusammenfassen und geschickte Auftragsvergaben durch den Einkauf zu realisieren wird helfen, einen Teil der Kostenreduzierungen abzuschöpfen.
Beschaffung über mehrere Ebenen der Beschaffung, Zukauf kompletter Baugruppen oder Module. Die Kosteneffekte spielen sich oftmals hauptsächlich im einfacheren Beschaffungsvorgang ab und weniger in den konkreten Bauteilkosten.
Durch ein Konsignationslager oder auch durch ein System des Vendor Managed Inventory – VMI, also lieferantengesteuerten Bestand, lassen sich getrennte Lagervolumen beim Lieferanten und beim Kunden zusammenführen. Konkret handelt es sich nicht um Preisreduzierung aufgrund von Volumeneffekten, sondern durch Reduzierung des erforderlichen Gesamtlagervolumens. In einem Konsignationslager werden die Waren mit den Herstellkosten des Lieferanten und nicht mit den Einkaufspreisen des Kunden geführt, sodass sich in einer längeren Supply Chain eine beachtenswerte Reduzierung des Kapitalbedarfs ergeben kann.
Wie stark soll oder muss sich der Einkauf in die technischen und konstruktiven Belange eines Unternehmens einbringen? Sind dafür überhaupt die notwendigen Fähigkeiten vorhanden? Der Einkauf beschäftigt sich mit den kaufmännischen Auswirkungen der Technik, die Motivation, sich auf diese Ebene zu begeben, ist manchmal andernorts weniger stark ausgebildet. Deshalb muss es ein Anliegen der Beschaffungsabteilungen sein, diese Belange im Auge zu behalten, allerdings liegen die Aufgaben des Einkaufs vor allem in Motivation und Moderation dieser Prozesse.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Aristoteles, Universalgelehrter