Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorinnen
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Widmung
  7. EINS Nutze den Augenblick
    1. Hannah
    2. Kirsty
  8. ZWEI Kostbare Zeit
  9. DREI Was wir nicht behalten dürfen
  10. VIER Such nach der Liebe
  11. FÜNF Magie liegt in der Luft
  12. SECHS Lebe das Leben, das du liebst
  13. SIEBEN Alle sind gleich
  14. ACHT Das Recht zu wählen
  15. NEUN Stell dich deinen Ängsten
  16. ZEHN Kenne deine Stärken
  17. ELF Das Geschenk des Lebens
  18. ZWÖLF Ein neuer Anfang
  19. Dank

Über dieses Buch

Hannah könnte ein ganz normales, glückliches Kind sein – wären da nicht die schlimmen Krankheiten, von denen sie immer wieder geplagt wird. Als es endlich so aussieht, als würden ein paar gute Jahre folgen, wird bei ihr mit zwölf ein schwerer Herzfehler festgestellt. Nur ein Spenderherz kann ihr helfen. Aber Hannah ist sich nicht so sicher, ob sie wirklich noch die Kraft hat, um weiterzukämpfen. Sie und ihre Familie wissen nur eins: Diese Entscheidung über Leben und Tod kann nur Hannah selbst treffen. Sie ganz allein …

Über die Autorinnen

Hannah Jones wirkt auf den ersten Blick wie jedes andere junge Mädchen: Sie schwärmt für Zac Efron, liebt ihren Nintendo DS und alles, was pink ist. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied: Schon zwei Mal musste Hannah um ihr Leben kämpfen. Als kleines Kind erkrankte sie an Leukämie, die sie nach langem Kampf besiegte. Doch die Behandlung führte zu einer schweren Herzerkrankung, die Hannah fast das Leben gekostet hätte. Im August 2009 wurde ihr erfolgreich ein Spenderherz transplantiert.

Kirsty Jones, Hannahs Mutter, ist ausgebildete Krankenschwester. Sie und ihr Mann leben mit ihren vier Kindern auf einer Farm in Herefordshire.

Hannah und Kirsty Jones

Die letzten glücklichen Tage

Ein kleines Mädchen. Eine unmögliche Entscheidung. Die Liebe einer Mutter

Aus dem Englischen von Sabine Schäfer

Der gesamten Belegschaft in der kindermedizinischen Abteilung des Kreiskrankenhauses von Hereford gewidmet.

EINS
Nutze den Augenblick

Hannah

Also, was sind die wirklich wichtigen Dinge, die man über mich wissen muss? Tja, erstens ist da die Tatsache, dass ich, wenn ich jemals einen Freund haben werde, will, dass er aussieht wie Zac Efron. Im Moment will ich aber keinen Freund. Meine Freundin Simone hat einen, der Tiago heißt, und ich habe ihnen die Spitznamen Barbie und Ken gegeben. Ich habe aber kein Interesse daran, weil ich nicht will, dass sich jemand an mich hängt. Ich habe wichtigere Dinge zu tun.

Simone ist eine meiner Freundinnen aus der Schule, und die anderen sind Laura, Becky, Kelcea, Brigitta und Zoe. Sie sind alle Spinnerinnen, und wir sind immer in Kontakt, auch wenn ich sie nicht so häufig sehe, weil es mir im Moment oft nicht gut genug geht, um zur Schule gehen zu können. Wenn ich zu Hause bin, schreiben sie mir aber Nachrichten, um herauszufinden, wie es mir geht, oder um mir mitzuteilen, was so los ist, denn gewöhnlich ist immer etwas los – wie bei der Gelegenheit, als zwei von ihnen aufhörten, miteinander zu reden, und ich am liebsten ihre Köpfe zusammengeklatscht hätte. Doch ich musste warten, bis ich wieder in die Schule kam, und bis dahin hatten sie sich wieder vertragen. Meistens jedoch kommen wir alle sehr gut miteinander aus und machen Mädchensachen, wie Make-up aneinander ausprobieren oder Pyjamapartys veranstalten. Einmal bin ich an einem Schultag bis um elf Uhr abends aufgeblieben und fühlte mich am nächsten Tag wie ein Zombie.

Dann ist da meine Familie. Zuerst einmal ist da mein Dad Andrew, der dreiundvierzig ist und wirklich groß und rund, wodurch das Knuddeln schöner mit ihm ist. Meistens lächelt er und zieht mich auf, indem er Witze macht. Doch manchmal geht er in die Luft, wenn er ärgerlich wird, und brüllt das ganze Haus nieder, sodass wir ihn in Ruhe lassen, bis Mum mit ihm redet und ihn wieder auf Kurs bringt. Das passiert jedoch nicht oft, weil er normalerweise in guter Stimmung ist. Er ist ein wirklich netter Dad.

Meine Mum Kirsty ist zweiundvierzig. Sie ist klein, hat langes rotes Haar und funkelnde Augen, und sie liebt Pferde beinahe genauso sehr, wie sie meinen Bruder, meine Schwestern und mich liebt. Sie ist eine wirklich gute Mum, und an Tagen, an denen ich mich gut fühle, machen wir Sachen wie Kuchen und Kekse backen. Aber wenn ich müde bin, gehen wir es ruhig an, und manchmal geht sie sogar in den Laden und holt mir Saft und Magazine. Die beste Sache jedoch, die sie in letzter Zeit gemacht hat, war ihre Entscheidung, eine Woche lang nicht ans Telefon zu gehen. In unserem Haus geht es manchmal wirklich drunter und drüber, und ich wollte einfach nur ein bisschen Ruhe, weil ich so müde war. Da hat Mum das Telefon danebengelegt, und ich habe das wirklich genossen.

Dann sind da mein jüngerer Bruder und meine jüngeren Schwestern. Zuerst kommt Oli, der zwölf ist und einen haut, wenn er in schlechter Stimmung ist. Doch wenn er in guter Stimmung ist, hilft er einem, die wirklich schweren Level auf der Nintendo DS zu überwinden – sitzt eine Ewigkeit lang da und findet heraus, wie man an Hindernissen vorbeikommt, oder setzt Cheat-Codes ein, wenn er das nicht kann –, was mir wirklich gefällt. Meistens ist Oli ruhig und schüchtern, aber bei mir kann er auch gesprächig sein, wenn er das will.

Als Nächstes kommt Lucy, die zehn ist. Sie ist kontaktfreudig, will immer besser in allem sein als alle anderen und ist beinahe so pferdeverrückt wie Mum. Tatsächlich ist sie im Springreiten so gut, dass sie hofft, eines Tages an den Olympischen Spielen teilnehmen zu können. Sie ist viel unterwegs, weil sie an den Wochenenden an Reitturnieren teilnimmt, und ich vermisse sie, weil ich nicht mitkann. Es gibt keine Heizung im Pferdeanhänger, und mir würde zu kalt werden, was nicht gut ist, wenn man herzkrank ist.

Doch wenn Lucy zu Hause ist, reden wir die ganze Zeit über Pferde – sehen uns Pony-Magazine an und entscheiden, welches wir kaufen würden, wenn wir eine Menge Geld hätten –, und ich liebe es, wenn ich tatsächlich mit zu einem Turnier kann, weil wir dann jede Menge Burger essen. Ich habe selbst auch versucht zu reiten, aber ich habe Höhenangst und ein schwaches Fußgelenk, was eine ungünstige Kombination ist, wenn man auf einem Pferd sitzt.

Schließlich ist da noch Phoebe, die vier ist und wild. Mum sagt manchmal, sie könne schwören, dass man ihr im Krankenhaus das falsche Baby gegeben hat, weil Phoebe ständig im Haus herumrennt und niemals müde wird. Sie bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von achtzig Kilometern pro Stunde – und knallt die Wohnzimmertür, daher weiß man, wo sie gerade ist –, was erstaunlich ist, weil sie weniger als zwei Pakete Zucker wog, als sie geboren wurde, und jetzt kann man sie nicht mehr übersehen. Auch Phoebe liebt Reiten, doch während die meisten Mädchen in ihrem Alter sich am Zügel herumführen lassen, ist das bei ihr nicht der Fall, weil sie so mutig ist. Sie streitet immer gerne mit mir, aber sie ist auch freundlich und teilt ihre Schokolade mit mir oder gibt mir eine Ein-Pence-Münze, was ihrer Meinung nach viel Geld ist.

Dann sind da unsere Tiere, und davon gibt es jede Menge. Wir haben einen Hund namens Ted, eine Katze namens Tails McFluff, ein paar Goldfische (obwohl Tails einmal ein paar von ihnen gefressen hat) und Ponys mit den Namen Roxie, Buddy und Mr Minty, die von Mum, Lucy und Phoebe geritten werden. Wir haben außerdem Hühner, wegen der Eier, dürfen aber nicht mit ihnen spielen, weil wir mal eins auf das Trampolin im Garten gesetzt und darüber gelacht haben, wie es auf und ab hüpfte – bevor es wegflog. Mum hat wirklich mit uns geschimpft, daher wussten wir, dass wir das nicht mehr tun konnten.

Dann gibt es mich. Ich bin dreizehn, und ich verbringe nicht annähernd so viel Zeit damit, herumzurennen wie Oli, Lucy und Phoebe, weil ich ein schwaches Herz habe und schnell müde werde. Darum gehe ich nur morgens in die Krankenhausschule und komme dann mittags nach Hause, um mich auszuruhen. Ich verbringe auch viel Zeit im Bett, weil ich mir immer jede kleine herumschwirrende Infektion, wie eine Erkältung oder Magenverstimmungen, einfange, was wirklich langweilig werden kann, weil mich all meine Energie verlässt, wenn ich mich wirklich krank fühle, und alles, was ich dann noch tun kann, mich auszuruhen ist.

Die Filme, die mir gefallen, sind Verwünscht und High School Musical, obwohl ich natürlich weiß, dass es für jemanden, der so alt ist wie ich, nicht cool ist, Spaß an solchen Filmen zu haben. Deshalb erzähle ich es auch nicht meinen Freundinnen, die alle auf Bands wie Evanescence und Paramore stehen, für den Fall, dass sie denken, ich bin kindisch. Doch ich bevorzuge glückliche Geschichten, und darum mag ich diese Filme und die Musik in ihnen. Im Fernsehen sehe ich mir gerne Von Lark Rise nach Candleford an und Detektivserien wie Poirot, weil ich versuche, den Fall zu lösen, bevor es die Polizei tut. Manchmal gucke ich auch EastEnders, obwohl es Mum nicht wirklich gefällt, aber nicht allzu oft, weil die Leute vom Albert Square immer in heftige Streitereien geraten und es deshalb ein wenig vorhersagbar sein kann.

Mir gefällt auch The Apprentice, wenn Sir Alan den Kandidaten sagt, was sie falsch machen, und Strictly Come Dancing. Ich liebe Anton, weil er so viel lächelt, und Brendan, der immer Wutanfälle bekommt. Bruce Forsyth ist ziemlich alt, aber gut, und Tess ist auch nett, obwohl sie manchmal seltsame Kleider trägt. Ich ziehe Strictly dem X Factor vor, weil die Leute nicht wissen, ob sie tanzen können, und manche von ihnen werden richtig gut, wohingegen andere furchtbar sind, während beim X Factor die Leute wissen, dass sie singen können und einfach nur besser werden. Die andere Sache, die ich gucke, ist Masterchef, weil es mich zum Lachen bringt. Wie das eine Mal, als John ein Stück schwarzen Lachs hochhob und sagte: «Das ist aber ein wirklich gut durchgebratenes Stück Fisch.« Was für eine Untertreibung.

Aber die Sache, die ich vielleicht am allerliebsten mag, ist ein Spiel, das sich Boggle nennt. Es ist eine Form gefüllt mit Buchstaben, die man durcheinanderschüttelt, um Worte zu bilden, und ich liebe es, weil ich dabei das Gefühl habe, jede Menge davon in mir zu haben, die ich in dem Spiel sehen kann. Das ist der Grund, warum ich auch gerne lese, weil Bücher voller Wörter sind, in denen man sich verlieren kann. Ein Buch, das ich wirklich mag, ist Enid Blytons Der Wunderweltenbaum. Es ist eigentlich für jüngere Kinder gedacht, aber es ist großartig, weil es die Geschichte einer Gruppe von Freunden erzählt, die auf einen verzauberten Baum klettern und jedes Mal ein anderes Land in seiner Krone vorfinden. Daher besuchen sie Orte wie das Land der Zaubersprüche, wo sie aus Versehen ein Kind schrumpfen lassen, das Land der magischen Medizin, wo sie eine Arznei für ihre Mum kaufen, die krank im Bett liegt, und das Land der Geschenke (was ziemlich offensichtlich ist).

Der Ort jedoch, der für mich am besten klingt, ist das Land Tu-was-du-willst, wo die Kinder tun können, was auch immer sie wollen – wie etwa einen Zug fahren, auf Elefanten reiten und im Meer schwimmen. Viele Leute denken, dass man aufhört, Spaß zu haben, wenn man krank wird, was bedeutet, dass man nie in das Land Tu-was-du-willst kommt. Doch ich weiß, dass es nicht so ist. Manchmal muss man auf andere Art Spaß haben, aber meistens hat man ihn auf genau die gleiche Weise wie die anderen Kinder.

Es ist wirklich wichtig, Spaß zu haben, und ich verstehe die Erwachsenen nicht, die denken, dass ihr Leben wirklich schlecht ist. Man hat nur eins, und wenn man das nicht genießt, dann hat man es vergeudet. Das ist der Grund, warum ich so oft wie möglich versuche, in das Land Tu-was-du-willst zu gelangen (obwohl es mithilfe einer Nintendo-Konsole oder der High-School-Musical-DVD oder so etwas viel leichter ist). Was mir gefallen würde, wäre, nur einen Tag zu erleben, an dem ich nicht aufhören und mich ausruhen muss, wenn mein Herz müde wird: Ich würde rausgehen und einfach meine Energie verschwenden – Lucys Pferde besuchen, überall hinschwirren, Sachen mit meinen Freundinnen machen und zu Mamma Mia tanzen.

Doch das kann ich nicht tun, und ich musste lernen, dass es Zeitverschwendung ist, sich deswegen unglücklich zu fühlen. Glücklich zu sein gibt mir viel mehr Energie – so viel, dass ich manchmal ein Rad schlagen möchte, obwohl ich das eigentlich nicht schaffe. So versuche ich mich also jeden Tag zu fühlen, und ich denke, dass ich schon immer so gewesen bin. Doch ich kann mich nicht wirklich so weit zurückerinnern, daher wird Mum mehr darüber erzählen müssen, wie alles anfing.

Kirsty

Ich weiß nicht, warum ich wusste, dass dies der Tag war, an dem unsere Welt zusammenbrechen würde. Egal, ob man es nun auf meine mütterliche Intuition, meine medizinische Ausbildung oder einfach nur auf Glück zurückführt, an jenem Tag im Dezember 1999 wusste ich, dass ich nicht noch einem weiteren Arzt zuhören konnte, der mir sagte, mit Hannah sei alles in Ordnung.

»Ich will eine zweite Meinung«, sagte ich zu dem jungen Arzt der Notaufnahme, der im Krankenhaus von Worcester vor mir stand.

Hannah lag auf einem Bett zwischen uns. Sie war blass und teilnahmslos und sehr ruhig. Nicht die quirlige, gesprächige Vierjährige, die ich so gut kannte. Es war etwa elf Uhr abends, und sie war ein paar Stunden vorher aufgewacht, hatte geweint und über Bauchweh geklagt.

Während der Arzt mich ansah, erschien ein Ausdruck der Verzweiflung auf seinem Gesicht.

»Sie müssen ihr nur ein wenig Calpol geben«, sagte er.

»Das habe ich bereits«, log ich.

Ich wollte nicht mit Paracetamol entlassen werden. Ich war nicht einfach irgendeine überängstliche Mutter. Jemand musste mir zuhören. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Ich wusste es.

»Ich denke, Sie sollten sie mit nach Hause nehmen und sehen, wie es ihr am Morgen geht«, antwortete der Arzt langsam. »Sie können immer noch zum Hausarzt gehen, wenn sie sich morgen nicht gut fühlt.«

Ich starrte den Mann an, wollte mich auf ihn stürzen und schreien.

»Ich will eine zweite Meinung«, sagte ich mit leiser Stimme und versuchte, meine Wut zu beherrschen.

»Tja, ich fürchte, heute Nacht hat kein Kinderarzt Dienst. Sie müssten sie nach Birmingham oder Hereford bringen, wenn sie untersucht werden soll.«

»In einem Krankenwagen?«

»Nein.«

Ich hatte keine Zeit, mich mit ihm zu streiten. Ich hob Hannah hoch und rannte aus der Notaufnahme Richtung Auto. Ich setzte sie auf den Sitz, rannte um das Auto, stieg ein und startete den Motor. Hereford war näher – fünfundvierzig Autominuten entfernt.

»Mein Bauch tut weh, Mummy«, stöhnte Hannah.

»Ich weiß, Schatz, und wir werden dafür sorgen, dass es besser wird«, sagte ich leise.

Hannah schloss die Augen, als ich losfuhr. Die Minuten vergingen, während ich wieder und wieder über alles nachdachte. Warum wollte der Arzt nicht auf mich hören? Warum hatte ich bisher nicht mehr getan? Hannah ging es seit ein paar Wochen schon nicht gut, aber der Hausarzt hatte mir gesagt, es sei bloß ein Virus, und ich hatte auf ihn gehört und mir selbst gesagt, dass sie am Ende ihres ersten Schulhalbjahres einfach müde war. Als sie nicht wieder munterer geworden war, war ich wieder zu dem Hausarzt zurückgegangen, und mir wurde dieselbe Sache gesagt, sie habe einen von diesen unspezifischen Kinderinfekten, die jedes Kind unter fünf bekommt, und sie würde bald damit durch sein.

Daher hatte ich Hannah ausgeschimpft, als sie sich bei einem Besuch bei meiner Großtante Kitty geweigert hatte zu essen. Als blaue Flecken auf der Oberseite ihrer Füße aufgetaucht waren, hatte ich sie damit wegerklärt, dass sie sich beim Öffnen der Schranktür gestoßen hatte. Ich sagte mir, dass ich übertrieb – die Art von Mutter, die nicht auf einen guten medizinischen Rat hört, wenn sie einen bekommt. Die Art von Mutter, die ich nicht sein wollte. Doch was für eine Art von Mutter war ich jetzt? Ich hatte tief in meinem Inneren gewusst, dass etwas nicht stimmte, und meinem eigenen Urteilsvermögen nicht vertraut. Jetzt wusste ich, dass ich es musste.

Furcht stieg in mir auf, während ich fuhr und das Gaspedal durchdrückte. Hecken und Bäume rasten in der Dunkelheit vorbei, während wir uns Hereford näherten.

»Beinahe da, Han«, sagte ich mit der Singsangstimme, die Mütter benutzen, um Furcht, Wut und alles dazwischen zu besänftigen.

Doch Hannah antwortete nicht, und ich wandte den Kopf und blickte sie an. Sie sah aus, als würde sie schlafen. Ich streckte die Hand aus, griff nach ihrem Bein und schüttelte es.

»Han?«, sagte ich. »Han?«

Sie öffnete die Augen nicht. Ich drückte meinen Fuß noch fester nach unten und versuchte, die aufkommende Panik zu bekämpfen, die mich erfasste. Atmete sie noch? Sollte ich anhalten und nachsehen? Nein, dafür hatte ich keine Zeit. Ich musste sie zum Krankenhaus bringen. Dort konnten sie mehr für sie tun als ich.

Ich fuhr in die Einfahrt zum Krankenhaus in Hereford und Richtung Kinderabteilung. Ich hatte einige Schichten als Krankenschwester dort gearbeitet, daher wusste ich, wo sie lag. Das war schneller, als wenn ich versucht hätte, die Notaufnahme zu finden. Hannah lag schlaff in meinen Armen, als ich sie aus dem Auto zog. Schnell, schnell. Beeilt euch. Lasst mich rein.

Ich drückte auf die Türklingel, aber nichts passierte, daher blickte ich mich um, bereit loszuschreien. Doch plötzlich öffnete sich die Tür, und ich schoss hinein. Während ich den Korridor entlangrannte, konnte ich fühlen, wie Hannah in meinen Armen lag. Mein Baby. Mein kostbares Mädchen.

Ich flog geradezu Richtung Kinderabteilung, drückte auf die Klingel einer weiteren Tür und wartete auf die knisternde Stimme aus der Sprechanlage. Es schien ewig zu dauern, bis sie sich öffnete und ich den langen Korridor hinunterrannte.

»Ich brauche Hilfe«, sagte ich flehend, als ich die Schwesternstation erreichte. »Bitte. Meine Tochter ist bewusstlos.«

Krankenschwestern erwachten vor mir zum Leben, und Hannah wurde mir aus den Armen genommen. Ich folgte ihnen, während sie in einen Raum getragen wurde. Sie war sehr blass, die Atmung schnell und flach, als ein Arzt anfing, sie zu untersuchen. Bitte, bitte, lass sie in Ordnung sein. Mach sie wieder gesund.

»Wir müssen einen Zugang legen«, sagte der Arzt, während die Schwestern den oberen Teil von Hannahs cremefarbenem Schlafeinteiler herunterzogen.

Ich starrte entsetzt auf ihren winzigen Körper. Er war bedeckt von winzigen roten Flecken – und mit jeder Sekunde erschienen mehr davon –, wütende Flecken tauchten unter ihrer Haut auf, als würde sie von einer unsichtbaren Person gekniffen werden. Der Arzt drückte eine Nadel in ihren rechten Arm, um etwas Blut abzunehmen.

»Das schicken wir sofort ins Labor«, sagte er, während er die Spritze in eine Plastiktüte schob.

Hannah war immer noch halb bewusstlos, als sie an einen Infusionsständer mit Kochsalzlösung angeschlossen wurde. Jetzt war alles, was wir noch tun konnten, auf das Ergebnis des Bluttests zu warten. Zeit wurde bedeutungslos, während ich an ihrem Bett saß und wartete. Sie sah so winzig aus – ihr blondes Haar klebte an ihrem Kopf, und ihre Atmung war immer noch flach und schnell. Ihre Haut war so blass, dass sie beinahe grau aussah. Ich wollte etwas tun. Das musste doch möglich sein. Ich war ihre Mutter, der Mensch, der sie immer beschützen würde. Doch obwohl ich mir sagte, dass dies irgendeine alltägliche, gewöhnliche Krankheit war, spürte ich, wie sich ein Funke der Furcht in mir entzündete, der von dem Tag an in jeder Mutter schlummert, an dem ihr erstes Kind geboren wird.

»Mrs Jones?«, sagte eine Stimme. »Der Arzt möchte mit Ihnen sprechen.«

Ich wurde in einen Raum gebracht, in dem der Arzt mit einer Krankenschwester wartete. Sie ging auf mich zu, als wollte sie ihren Arm um meine Schultern legen, hielt aber inne, als ich sie anstarrte. Ich wusste, was das bedeutete. Ich hatte es während meiner zwölf Jahre als Krankenschwester häufig gesehen. Doch vorher war ich immer auf der anderen Seite gewesen – einer von den Menschen, die darauf warteten, einem fassungslosen Verwandten sanft die schlechte Nachricht beizubringen.

Ich setzte mich dem Arzt gegenüber.

»Wir haben das Ergebnis bekommen«, sagte er. »Leider geht es Hannah sehr schlecht. Haben Sie irgendeine Ahnung, was mit ihr nicht stimmt?«

Ich sah ihn an. Ich war es in Gedanken durchgegangen und wusste es – die blauen Flecken, die Müdigkeit, die Appetitlosigkeit. Es hätte mir schon vorher klar sein müssen.

»Ich denke schon«, antwortete ich.

Der Arzt sah mich an.

»Hannah hat Bauchschmerzen, weil sie Blutungen in ihrem Magen hat, die sich jetzt überallhin ausbreiten. Wir müssen jetzt schnell sein, wenn wir ihr das Leben retten wollen.«

Ich hörte schweigend zu.

»Es ist sehr ernst, Mrs Jones«, fuhr der Arzt leise fort. »Hannah ist ein sehr krankes kleines Mädchen. Wir glauben, dass sie Leukämie hat.«

*

Es war nach Mitternacht und ruhig auf der Station, als ich meine Augen öffnete und zu Hannah blickte. Eine kleine Lampe über ihrem Bett warf weiche Strahlen und Schatten darüber. Ich stand auf und steckte ihre gelbe Strickdecke um sie fest. Wir hatten sie von zu Hause mitgebracht – etwas Vertrautes, inmitten von all dem Neuen.

Ich drehte mich um und starrte auf den Plastikstuhl, den ich vor einiger Zeit flach ausgeklappt und um den ich ein Krankenhauslaken und eine Decke gewickelt hatte. Das war jetzt mein Bett, aber ich wusste, dass ich nicht in der Lage sein würde, abzuschalten, wenn ich mich hinlegte und die gedämpften Geräusche des Krankenhauses bei Nacht hörte – das Klappern der Schritte der Krankenschwestern, das Rumpeln von Rollwagenrädern und das leise Piepsen der Maschinen. Ich fühlte mich wie in den ersten Wochen, nachdem ich Mutter geworden war – zu ängstlich, um richtig schlafen zu können, während ich auf Hannahs Atem lauschte. Wie bei allen frischgebackenen Müttern war mein Schlaf vor all den Jahren eher ein Wachen gewesen, bis ich gelernt hatte, der Tatsache zu trauen, dass sie in Sicherheit war. Jetzt war diese Sicherheit verschwunden.

Nur Stunden nach unserer Ankunft in Hereford waren wir in das Kinderkrankenhaus in Birmingham verlegt worden, und unsere Welt war bereits nicht mehr wiederzuerkennen. Vorbei waren das Abholen von der Vorschule und der Kindertagesstätte, Badezeiten und Gutenachtgeschichten. Stattdessen gab es jetzt Lumbalpunktionen und Zentralvenenkatheter, HB-Gehalt und Blutplättchen.

Wir hatten uns während unseres ersten Treffens mit Hannahs Onkologen Dr.Williams in dieser neuen Welt wiedergefunden. Jung, lächelnd und angenehm rundlich, hatte er uns gesagt, sie habe wahrscheinlich akute myeloische Leukämie – eine aggressive und seltene Form von Blutkrebs. Von diesem Augenblick an war da ein Wirrwarr an Aktivitäten, Fragen und Tests. An diesem Morgen war Hannah in den Operationssaal gebracht worden, um für eine Lumbalpunktion betäubt zu werden, die die Diagnose bestätigen und den speziellen Typ von Leukämie bestimmen sollte, indem Rückenmarkflüssigkeit entnommen wurde, um sie auf Krebszellen zu testen. Außerdem war ein Zentralvenenkatheter gelegt worden – ein intravenöser Katheter, der sich durch ihre Brustwand und in ihre Halsvene schlängelte, um Chemotherapiemedikamente direkt in ihr Herz abgeben zu können.

Andrew und ich hatten ruhig dagesessen, als Mr Williams uns AML erklärt hatte. Bei gesunden Erwachsenen und Kindern produziert das Knochenmark rote Blutzellen, die Sauerstoff durch den Körper transportieren, weiße Blutzellen, die Infektionen bekämpfen, und Blutplättchen, die das Blut zusammenhalten und Blutungen unter Kontrolle halten. Doch bei Hannah war dieses System außer Kontrolle geraten, wie eine Achterbahn, die aus ihren Schienen ins Unbekannte ausbricht. Tief im Kern ihrer Knochen sorgte ihr Knochenmark für eine Überproduktion an imperfekten Zellen. Das bedeutete, dass kein gesundes Blut produziert wurde, was der Grund war, warum Hannah angefangen hatte, innere Blutungen zu bekommen. Ohne Behandlung würde sie mit Sicherheit sterben. Mit Behandlung hatte sie noch eine Chance.

Einen Augenblick lang, während der Arzt redete, hatte mich Furcht überwältigt – ein bitteres, drückendes Entsetzen, das meinen Bauch erfüllte. Doch ich hatte es weggeschoben, während ich jedes Wort hörte, das er sagte, weil ich wusste, dass ich ruhig bleiben musste, während wir uns auf den Kampf um Hannahs Leben vorbereiteten. Viele Jahre Erfahrung bei der Arbeit am extremen Ende der Krankenpflege – auf Intensivstationen und in Herztransplantationsabteilungen, Stationen für Schwerstverletzungen und Kinderintensivstationen – hatten mich gelehrt, wie man das macht. In der Hektik und Panik der akuten Medizin hatte ich gelernt, mich im Auge des Sturms ruhig zu verhalten. Ob krank und gebrechlich, oder jung und fit, der Tod war immer ein willkürlicher Feind, der keine Rücksichten kannte, wenn er Leben nahm. Doch erst jetzt, als er versuchte, sich mein eigenes Kind zu nehmen, wusste ich wirklich, wie Furcht sich anfühlte.

In jenen ersten ängstlichen Stunden im Krankenhaus von Hereford hatte sich alles so unwirklich angefühlt, während wir darauf warteten, mit einem Krankenwagen mit Blaulicht nach Birmingham verlegt zu werden. Nachdem der Arzt mit mir gesprochen hatte, hatte ich Andrew angerufen, und er war mit dem dringenden Bedürfnis nach Neuigkeiten und mit nassen Tränenspuren auf den Wangen erschienen, während wir beide versuchten, das zu verarbeiten, was gerade passierte. Bis dahin hatten wir ein normales Leben geführt: Andrew arbeitete als Wirtschaftsprüfer und ich zwanzig Stunden die Woche als Nachwuchskrankenschwester in einer Koronarstation in Worcester, während ich mit meinen Schichten jonglierte, um unsere drei Kinder, die Babysitter und die Krankenpflege unter einen Hut zu bringen. Wir lebten in einem neuen Haus in einer kleinen Siedlung und fuhren jedes Jahr in Urlaub. Es war ein geschäftiges, normales Leben, bis wir zum ersten Mal aus dem Aufzug in den langen Korridor traten, der durch die Abteilung für Pädiatrische Onkologie des Krankenhauses in Birmingham führt, und ich wusste, dass nichts jemals wieder so wie vorher sein würde.

Hannah lag auf einer Rolltrage, und ich blickte hoch und sah ein kleines Mädchen auf uns zukommen. Sie muss um die zehn gewesen sein und spindeldürr – eine Shorts hing ihr von der Hüfte, ein weißes T-Shirt fiel in Falten über ihren Körper, und ihr Kopf war völlig kahl. Sie sah aus wie ein Geist und schob einen Infusionsständer vor sich her, und mir stockte der Atem, als ich sie anstarrte. Vor einem Tag erst hatte ich angefangen, für Weihnachten zu planen, weil es nur noch eine Woche bis dahin war. Welche Spielzeuge sollte ich kaufen? Was sollte ich kochen? Hatte ich genug, um die Strümpfe der Kinder zu füllen? Hatte ich zu viel? Doch jetzt war diese Welt völlig verschwunden, und es hatte nur eines Wortes bedurft, sie zu zerschmettern. Drei Silben. Leu-kä-mie.

Während Mr Williams mit uns Hannahs Diagnose und Behandlung durchsprach, hatte er uns eine rote Akte gezeigt, die Seiten mit winzigen maschinengeschriebenen Worten enthielt, die all die unterschiedlichen Formen von Chemotherapie und ihre Nebenwirkungen auflisteten. Hannahs Leukämie würde mit sechs Durchgängen Chemotherapie behandelt werden, von denen jeder etwa einen Monat dauern würde, und alle würden demselben Muster folgen – nach einer anfänglichen Gabe von intensiven Medikamenten über mehrere Tage würde Hannah danach für weitere zehn Tage ein leichterer Cocktail von Medikamenten verabreicht werden, bevor sie eine Ruhepause von weiteren zehn Tagen bekommen würde, die es ihrem Körper erlauben sollte, sich von dem Ansturm zu erholen. Es war wie im Krieg: eine Periode intensiver Gefechte, gefolgt von Rückzug und Neuaufstellung, bevor die Kämpfe erneut begannen. Alles, was wir tun konnten, war, abzuwarten und zu sehen, ob es ausreichen würde, um Hannahs Leben zu retten.

»Wir hoffen, dass Hannah schnell in Remission gehen wird«, hatte Mr Williams uns gesagt. »Aber selbst wenn sie das tut, wird sie alle sechs Chemodurchgänge abschließen müssen, damit sie die bestmögliche Chance auf Langzeitremission hat.«

Andrew und ich hatten zugehört, als Mr Williams uns vor den möglichen Nebenwirkungen gewarnt hatte, die die starken Chemomedikamente auslösen könnten, weil sie die gesunden, schnell wachsenden Zellen in Hannahs Haut und Verdauungstrakt genauso angreifen würden, wie die Krebszellen. Die Chemo konnte alles verursachen, von Haarausfall und Übelkeit bis zu Hautveränderungen und Müdigkeit. Hannahs Immunsystem würde von den hochtoxischen Medikamenten so angegriffen sein, dass jede kleine Infektion ernst werden könnte.

Es bestand außerdem die Möglichkeit von extremeren Nebenwirkungen, wie einem erhöhten Risiko für Thrombose oder Herzschäden. Doch das war weit weg – die Art von Warnung wie auf den Sicherheitskarten eines Flugzeugs, auf die man kaum einen Blick wirft, während man sich auf seinem Sitz zurücklehnt. Wir hatten keine Wahl. Wir mussten den Feind bekämpfen, der jetzt da war. Falls Hannah die Medikamente nicht bekäme, würden wir sie mit Sicherheit verlieren.

»Ich fühle mich nicht gut, Mummy«, hatte sie geweint, als sie aufgewacht war, nachdem Andrew und ich an ihr Bett zurückgekehrt waren. »Mein Bauch tut weh.«

Sie war seit letzter Nacht kaum wach gewesen. Zu krank und schläfrig, um zu wissen, was vor sich ging.

»Wir sind im Krankenhaus, Schatz«, sagte ich leise, während ich mich zu ihr beugte. »Dir geht es nicht gut.«

Sie starrte mich an.

»Da sind Bazillen in deinem Blut, und die Ärzte werden dir spezielle Medikamente geben, um sie zu bekämpfen.«

Hannah blickte Andrew und mich an, ihre Augen erschienen riesig in ihrem weißen Gesicht.

»Werden sie gut schmecken?«, fragte sie.

»Das sind spezielle Medikamente, die du nicht schlucken musst«, antwortete ich.

»Werden sie dafür sorgen, dass es mir besser geht?«

Ich zögerte einen Augenblick. Ich hatte jetzt die Wahl: die Wahrheit mit ungewissen Hoffnungen zu verschönern oder sie ihr sanft, aber ehrlich zu sagen, mein erster Schritt ins Unbekannte mit meiner Tochter. Hannah musste mir völlig vertrauen können. Ich konnte jetzt nicht anfangen, sie anzulügen.

»Wir wissen es nicht mit Sicherheit, aber wir hoffen es, Han.«

Andrew und ich sahen einander an. Es gab nichts, was wir sonst noch hätten sagen können.

*

Sobald Hannah mit der Chemotherapie anfing, wurde schnell klar, wie sehr die Behandlung sie beeinträchtigen würde. Die Chemotherapiemedikamente mussten Tag und Nacht über zwei Beutel, die mit Worten wie »giftig« beschriftet waren und an Infusionsständern neben ihr hingen, verabreicht werden. Jeder von ihnen führte wiederum durch den Zentralvenenkatheter in Hannahs Herz, der jedes Mal, wenn die Medikamente gewechselt wurden, mit Kochsalzlösung gespült wurde, um sicherzustellen, dass sie sich nicht vermischten. Innerhalb weniger Tage fing sie an, Blutgerinnsel auszuscheiden oder zu erbrechen, als die Haut über ihrem inneren Verdauungstrakt sich auflöste.

Es ist eine Sache, zu wissen, dass das eigene Kind eine lebensrettende Behandlung braucht, aber eine ganz andere, dabei zuzusehen, wie es sie bekommt. Die Schreie von Kindern, die zu jung waren, um zu verstehen, was passierte, schnitten in mich wie Rasiermesser, und in den Nächten verschwand die Hektik des Tages, und leises Schluchzen erfüllte die Stille. Doch Hannah schrie nur, wenn die Infusionsschläuche, die in ihre Venen führten, sich verfingen, wenn sie bewegt wurden. Sonst lag sie still da, und ihr Schweigen war beinahe noch schlimmer als Schreie. Es war, als wäre sie zu krank, um auch nur einen Ton von sich zu geben, zu schwach, um in irgendeiner Weise ihren Schmerz auszudrücken, und ich wünschte, ich könnte in ihren Geist gelangen, um zu wissen, was sie dachte.

Zeit wurde unwichtig. Ich dachte nicht an die nächste Chemo-Runde, den nächsten Monat oder auch nur die nächste Woche. Ich wusste, dass Andrew und seine Eltern sich zu Hause um Oli und Lucy kümmerten, deshalb konzentrierte ich mich völlig auf Hannah. Meine Tage verbrachte ich mit dem Warten auf ihre neuesten Blutergebnisse: die Zahl ihrer weißen und roten Blutzellen, Thrombozytenwerte und HB-Einstufungen. Leukozyten, Basophile, Eosinophile, Kreatininwerte, die Liste der Blutzellen und anderen physiologischen Marker war endlos. Jeden Morgen wurde eine Blutprobe genommen, und nachdem die Ergebnisse bald nach dem Mittag zurückkamen, schrieb ich die Zahlen in ein Buch im Taschenformat – Zeilen mit Nummern, die wie chinesische Shupai die Seiten bedeckten, die mir die winzigsten Details des Kampfes meines Kindes mit der Krankheit in seinem Inneren verrieten.

Die winzigen Zahlen wurden zu meinen Talismanen, und ich wartete jeden Tag sehnsüchtig darauf, dass der kleine Zeiger auf dem Zifferblatt meiner Uhr die Zahl zwei erreichte und es Zeit war, zur Schwesternstation zu gehen und nach Neuigkeiten zu fragen.

»Es muss heute viel zu tun sein im Labor«, sagte dann jemand lächelnd. »Sie werden bald da sein.«

Ich schob dann meine Ungeduld beiseite und ging zurück zu Hannahs Bett. Doch in meiner verzweifelten Hoffnung nach Neuigkeiten war ich nicht anders als jede andere Mutter in dieser Abteilung, die über den Zahlen brütete, sobald sie sie bekam. Hatte ihr Kind eine Infektion? Wurde sein rotes Blutbild wieder besser? Oder ging die Zahl seiner weißen Blutzellen zurück? Einige konnten die Liste mit den komplizierten Zahlen nicht entziffern und baten mich, sie ihnen zu erklären, nachdem ihnen klar geworden war, dass ich helfen konnte. Ich verstand, warum sie wissen wollten, was die endlosen Zahlenreihen bedeuteten: Sie waren, inmitten von so viel Ungewissheit, die einzigen Tatsachen, an denen wir uns festhalten konnten, und die Zahlen zu verstehen, gab uns, in einer Zeit, in der es so wenig anderes gab, was wir tun konnten, das Gefühl, eine kleine praktische Möglichkeit zu haben, unseren Kindern zu helfen.

Ansonsten verbrachte ich Stunden damit, neben Hannahs Bett zu sitzen, sehnte mich danach, auf ihr Bett zu klettern und mich neben sie zu legen, wie es andere Eltern bei ihren Kindern taten, konnte es aber nicht, weil sie nicht berührt werden wollte. Hannahs Sinne waren so geschärft, dass ihre Haut unglaublich empfindlich geworden war, und es fiel mir schwer, sie nicht körperlich zu trösten. Ich wollte sie wiegen, wie ich es getan hatte, als sie ein Baby war, ihr Gewicht an mir spüren und sie beruhigen. Doch Hannah wollte nicht umarmt werden, und sie rief auch nicht nach mir. Sie lag in einem Kokon aus Stille, als würde sie sich mit Willenskraft am Leben erhalten, während ich in Reichweite saß, nah genug, dass sie meine Anwesenheit spüren konnte. Die Stunden vergingen, während der Fernseher leise lief und sie schlief, und wenn sie aufwachte, dann malte ich ein Bild mit Farben aus, damit sie es sich angucken konnte, oder las ihr eine Geschichte vor.

Da sie zu krank zum Essen war, wurde Hannah mit kalorienreicher Spezialnahrung versorgt, die langsam aus einem anderen Beutel an einem Infusionsständer neben ihrem Bett in ihre transnasale Magensonde tropfte. Die Nahrung war dick und klebrig und musste in braunes Papier eingewickelt werden, um sie vor der Sonne zu schützen, weil Licht ihr empfindliches, chemisches Gleichgewicht verändern konnte, und wir gewöhnten uns schnell an diese seltsame Art der Ernährung, genauso wie an den Rest unseres neuen Lebens. Nach diesem ersten schockierenden Anblick des kleinen Mädchens, das auf mich zugekommen war, wurde es bald normal für mich, Kinder ohne Haare zu sehen. Nach ein paar Nächten auf dem Stuhl neben Hannahs Bett wusste ich, dass in der Abteilung auch andere Eltern genau wie ich wach lagen, und gelegentlich konnte ich ihr gedämpftes Schluchzen hören. Während des Tages lächelten wir einander zu, und bei Nacht akzeptierten wir schweigend den Kummer der anderen.

*

Das Leben auf der Station war nicht nur von Traurigkeit geprägt – es gab auch Licht und Hoffnung. Die Ärzte liefen in weißen Kitteln herum, die mit Wasser aus Wasserpistolen bespritzt waren, von Kindern, denen es gut genug ging, um zu spielen, und die Krankenschwestern, die härter arbeiteten als alle, die ich jemals gesehen hatte, waren immer fröhlich. Weihnachten übte ebenfalls seinen Zauber auf die Station aus, genauso wie an jedem anderen Ort voller Kinder. Festschmuck wurde über Wände gespannt, Schwestern spielten Weihnachtslieder im Radio, und der Weihnachtsmann besuchte die Kinder jeden Tag, um ihnen Geschenke auszuhändigen. Wenn Hannah schlief, wenn er kam, wachte sie auf und sah ein Barbie-Auto oder ein Malbuch, eine Puppe oder einen Zauberstab auf dem Stapel mit Geschenken, die sich allmählich neben ihrem Bett ansammelten.

Mir gefiel die Tatsache, dass den Ärzten, die sich jeden Morgen um sie scharten, um ihre Fortschritte einzuschätzen – der Onkologe Dr. Williams, ein Registrar, führende und untergeordnete Assistenten und verschiedene Medizinstudenten –, ein Mann mit einer roten Jacke und einem breiten Lächeln folgte. Genau wie jede andere Vierjährige liebte Hannah den Weihnachtsmann, und obwohl sie zu krank war, um ihrer Begeisterung Ausdruck zu verleihen, wusste ich, dass seine täglichen Besuche ihr Freude machten. Er war etwas beruhigend Vertrautes – genau wie die Decke, die Laken und Kissen, die Andrew von zu Hause mitgebracht hatte, nachdem Hannah mir gesagt hatte, die aus dem Krankenhaus seien ihr zu kratzig. Um das Infektionsrisiko auf einer Station voller Kinder, die so schwach waren, zu minimieren, musste ich die Bettwäsche jeden Tag waschen, um die Entstehung von Bakterien zu stoppen, und mir wurde bald klar, dass wir mehr Vorrat brauchten, um den ständigen Nachschub mit frischer Wäsche aufrechterhalten zu können. Doch ich wusste, dass der vertraute Geruch unseres Waschpulvers Hannah trösten würde, genau wie der Weihnachtsmann es tat – ein Lichtblick während des Tages, ein paar Augenblicke, in denen sie alles vergessen konnte.

Doch nach beinahe einer Woche im Krankenhaus kam eine Schwester und überbrachte schlechte Nachrichten, genau in dem Moment, als Andrew mit Oli und Lucy eintraf.

»Es wird diesen Nachmittag keinen Besuch von Sie-wissen-schon-wem geben«, sagte sie mit leiser Stimme. »Es ist unglücklicherweise niemand da, der es übernehmen kann.«

Ich sah Andrew an – mit seinem großen Bauch und den lächelnden Augen würde er perfekt für die Rolle sein.

»Wird mir das Kostüm denn auch passen?«, fragte er, während er die Schwester ansah.

»Sind Stiefel der Größe dreiundvierzig okay?«

»Ich werde mich hineinquetschen.«

Die Krankenschwester nahm Andrew mit, damit er sich umziehen konnte, während ich mich Oli und Lucy zuwandte und ihren tröstlichen Geruch einatmete, als ich sie drückte – Oli, ein Kleinkind von beinahe drei Jahren, und Lucy, ein lebhaftes Baby von fünfzehn Monaten. Ich hatte sie so vermisst, und die Energie und das Leben in ihnen zu sehen war wie das Glitzern von Licht auf Wasser – es verwandelte etwas Alltägliches plötzlich in etwas Magisches.

»Wo ist Daddy?«, fragte Oli, als er von dem Malbuch aufblickte, das er gefunden hatte.

»Er ist zum Auto gegangen, um etwas zu holen. Er wird nicht lange weg sein. Wollen wir ein Bild für ihn malen?«

Oli hob ein paar Buntstifte auf, während ich Lucy herumschwenkte, froh, sie wieder in meinen Armen zu spüren, und darauf wartete, dass Andrew wieder auf die Station kam. Doch als ich ihn zu dem ersten Bett gehen sah, wurde mir klar, dass ich vielleicht einen Fehler gemacht hatte. Würde Hannah ihren Vater erkennen? Sie war ein intelligentes Kind, in vielerlei Hinsicht reif für ihr Alter, nachdem bei ihr Dyspraxie diagnostiziert worden war, als sie zweieinhalb war. Diese Schwäche war ein wenig wie Legasthenie, beeinträchtigte aber Beweglichkeit und Koordinationsvermögen. Es bedeutete, dass Hannah spät laufen und sich anziehen gelernt hatte, ihr Sprachvermögen sich jedoch, wie zur Kompensation, schnell entwickelt hatte, und sie war außerdem sehr sensibel in Bezug auf die Gefühle anderer Leute. Hannah konnte schon vor ihrem ersten Geburtstag »Oktopus« sagen und lange Unterhaltungen über die Pflanzen im Garten führen, als sie vier war. Als meine Oma eines Tages gestürzt war, während sie draußen spazieren gingen, hatte sie gegenüber einem Vorbeigehenden sogar ganz ruhig darauf bestanden, dass sie sich um sie kümmern konnte.

Doch jetzt war es zu spät, um noch etwas zu unternehmen, denn Andrew ging bereits zu Hannahs Bett, und alles, was ich tun konnte, war zu hoffen, dass sie ihn nicht erkannte, während er »Ho, ho ho!«, gluckste.

»Der Weihnachtsmann!«, quietschte Oli und sprang auf.

Ich stand mit Lucy auf, als Andrew sich auf den Stuhl neben Hannahs Bett setzte und Oli auf sein Knie kletterte und die Geschenke aufzählte, die er wollte, während Lucy auf meinem Arm saß und sich weigerte, auch nur in die Nähe dieses seltsamen Mannes in Rot zu kommen. Als Andrew mit Oli fertig war, wandte er sich Hannah zu und hielt ihr seine linke Hand hin. Sie sah ihn schweigend an, und ich hielt den Atem an.

Ganz langsam hob sie ihren rechten Arm und schob ihre Hand in den Zwischenraum zwischen Bett und Stuhl, wo die Hand ihres Vaters auf sie wartete. Ihre Finger trafen sich in der Luft.

»Du bist ein sehr braves kleines Mädchen«, sagte Andrew leise.

Hannahs Mund verzog sich zu einem winzigen Lächeln, während sie den Weihnachtsmann ansah, und ich wusste, dass dieser Zauber bei ihr noch wirkte.

*

Es war Silvester 1999 – die Jahrtausendnacht –, und vor ein paar Tagen war die intensive Phase von Hannahs erstem Durchgang mit Chemotherapiemedikamenten nach zwei Wochen im Krankenhaus zu Ende gegangen. Doch während ich hören konnte, dass die Leute draußen auf den Straßen von Birmingham sich bereit machten zu feiern, war im Krankenhaus alles ruhig, während Hannah beinahe bewusstlos dalag. Vor zwei Tagen hatten die Schwestern bemerkt, dass ihre Vitaldaten nicht normal waren, als sie wie üblich ihren Zustand überprüften – ihr Puls stieg, ihr Blutdruck und ihre Sauerstoffsättigung fielen. Die Ärzte wussten sofort, dass Hannahs Herz Probleme hatte, und ein Kardiologe, der sie untersucht hatte, hatte mir gesagt, dass sie an einer temporären Nebenwirkung der Chemo leiden könnte. Man hatte ihre Medikation verändert, aber Hannah war immer noch sehr krank und bekam jetzt Morphin, um ihre Schmerzen zu lindern.

Als das leise Bummern von Musik von draußen in unsere gedämpfte Welt drang, dachte ich an all die Menschen, die sich auf Mitternacht vorbereiteten, und wünschte, Hannah könnte unter ihnen sein, lächelnd und rotgesichtig. Dann dachte ich an Andrew und die Kinder zu Hause, und Traurigkeit erfüllte mich, dass wir diesen Meilenstein nicht als Familie zusammen feiern würden. Stattdessen waren wir weit voneinander entfernt, und Hannah lag mit geschlossenen Augen im Bett, kaum noch bei Bewusstsein, ohne sich der Nasenkanüle bewusst zu sein, die unter ihrer Nase entlanglief, um sie mit Sauerstoff zu versorgen, des Zuführschlauchs, der an ihr entlanglief, oder des Zentralvenenkatheters, der an ihrer Brust befestigt war. Drei selbstklebende Elektrodenpads waren an ihren Herzmonitor angeschlossen, der leise piepte, und ein Puls-Oximeter an ihrem Finger überprüfte ständig ihre Sauerstoffwerte.

Alles, was ich tun konnte, während ich neben ihr saß, war, zu beten, dass sie das Bewusstsein wiedererlangen würde. Ich war wütend und enttäuscht. Wieso war Hannah das passiert, obwohl sie bereits so viel anderes hatte, mit dem sie zu kämpfen hatte? Nach dem Trubel, dem Hochbetrieb in der Notfallmedizin, nachdem wir zum ersten Mal ins Krankenhaus gekommen waren, fühlte sich die jetzige Stille überwältigend an, und all die Fragen, die mir seit jenem Tag gestellt worden waren, gingen mir beständig im Kopf herum.

Es waren so viele gewesen. Hatte ich sie gestillt? Welche Art von Flaschenmilch hatte ich benutzt? Hatte ich sie in der Mikrowelle aufgewärmt? Nichts davon hat einen bewiesenen Zusammenhang mit Leukämie, doch als ich nach einem Grund suchte, warum Hannah jetzt sogar noch kränker war, konzentrierte ich mich auf die Fragen, die mir gestellt worden waren und warum. Ich hätte doch sicherlich in der Lage sein sollen, den unsichtbaren Feind aufzuhalten, der sich in unser Leben geschlichen hatte. Ich musste irgendeinen Fehler gemacht und ihn hereingelassen haben. Hannah war mein Kind. Meine Aufgabe war es, sie zu beschützen.

Die Fragen verzehrten mich beinahe – meine Gedanken überschlugen sich, während ich auf unser Leben zurückblickte und versuchte, festzustellen, wo ich etwas falsch gemacht hatte. Ich erinnerte mich daran, dass ich Hannah, nachdem sie geboren worden war, nur ein paar Wochen gestillt hatte, weil ich zur Arbeit zurückgekehrt war. Ich hatte keine Wahl gehabt, doch jetzt fragte ich mich, ob ich ihr in irgendeiner gedankenlosen Weise schon am Beginn ihres Lebens geschadet hatte.

Als ich Andrew acht Jahre zuvor begegnet war, hatte ich mich danach gesehnt, Mutter zu werden. Ich war fünfundzwanzig gewesen und hatte gewusst, dass ich, nachdem ich ein Jahr in Australien herumgereist war, bereit war, mich zu verlieben und meine eigene Familie zu gründen. Ich war von meiner Großmutter aufgezogen worden, nachdem meine Mutter gestorben war, als ich fünf war, und obwohl meine Kindheit streng, aber liebevoll gewesen war, hatte der Verlust in mir das Bedürfnis verankert, mir das rege Familienleben zu erschaffen, das ich nicht gehabt hatte. Meine Kindheit war von solcher Stille und Routine gewesen, dass ich mich nach einer großen, chaotischen Familie voller Leben und Lachen sehnte.

Ich war Andrew in einem Dorfpub begegnet, wo er in seinem Anzug ziemlich aufgefallen war. Er war ruhig und freundlich, ein großer Mann, der mir ein Gefühl von Sicherheit gab, und als ich nach unserer ersten Verabredung nach Hause kam, sagte ich meiner Großmutter, ich würde ihn heiraten – obwohl er noch nichts davon wusste. Ich machte ihm vier Monate später einen Antrag, aber Andrew lehnte ab, weil es zu früh war, und ich zu impulsiv, was typisch für mich war. Also warteten wir ein weiteres Jahr, bevor wir uns verlobten, und ich war überglücklich, als wir anfingen zu versuchen, ein Baby zu bekommen.

Doch zwei Jahre vergingen, und ich war nicht schwanger geworden. Niemand konnte sich erklären warum, und ich verspürte zum ersten Mal in meinem Leben Hoffnungslosigkeit, während die Monate zu Jahren wurden. Da ich mich immer überwältigter fühlte, gab ich meinen Job auf und blieb wochenlang im Bett, bis mir klar wurde, dass ich nicht ewig dort liegen bleiben konnte. Also zwang ich mich, wieder in die Welt hinauszugehen, wo ich einen Job am Fließband in einer Kuchenfabrik bekam – eine monotone, anspruchslose Tätigkeit, über die ich mir keine Gedanken machen musste –, und sagte mir, dass ich schwanger werden würde, wenn die richtige Zeit dafür gekommen war. Zwei Monate später wurde ich schwanger, und ich war überglücklich. Endlich begann ich mit der Gründung meiner Familie, und ich wusste, dass ich alles tun würde, um sie zu beschützen.

Daher hatte ich mir, nachdem Andrew wenige Wochen vor Hannahs Geburt entlassen worden war, einen Job gesucht, um uns zu ernähren, und war, als sie erst dreieinhalb Wochen alt war, wieder arbeiten gegangen. Doch sie zu verlassen war sogar noch schlimmer, als ich erwartet hatte, denn ich wurde von dem Pharmakonzern, für den ich arbeitete, bald zu einer Konferenz nach Kanada geschickt. Ich sehnte mich jeden Tag nach Hannah, die von Andrew und meiner Großmutter betreut wurde, und war überglücklich, als er einen neuen Job fand. Das bedeutete, dass ich wieder zu Hause bleiben konnte, und das hatte ich seitdem getan – zuerst mit Hannah, dann Oli und Lucy. Ich hatte ich mich auf unser Familienleben konzentriert und in Teilzeit als Krankenschwester gearbeitet, um beim Bezahlen der Rechnungen zu helfen.

Doch nun, als ich an diese wenigen Wochen ihres Lebens zurückdachte und versuchte, einen Sinn in dem zu finden, was passierte, fragte ich mich, ob Hannah zu verlassen nur der erste Fehler gewesen war, den ich unwissentlich gemacht hatte.

*

Die Welt verengte sich auf Hannah und mich – nur sie und ich zusammen in einer stillen Blase, während wir gegen ihre Krankheit kämpften und einem Pfad folgten, der immer dunkler zu werden schien. Drei Tage nach Neujahr wurde sie in die Überwachungsstation verlegt – einem Zwischending zwischen den Onkologiestationen und der Intensivstation.

Ich lebte mit Hannah, die nur halb bei Bewusstsein und immer noch auf Morphin war, im Halbdunkel, bei geschlossenen Jalousien, und spielte Wellengeräusche ab, um sie zu beruhigen. Viele verschiedene Arten von Therapien wurden von Aromatherapeuten und Reflexologen für Kinder angeboten, die auf die Station kamen. Doch alles, was sie für Hannah tun konnten, war, ihr Kristalle zu geben – Steine, glatt wie Kiesel, die wir ihr in die Handflächen legten, während sie im Bett lag und sich kaum bewegte.

Wir standen näher am Abgrund der Dunkelheit als jemals zuvor, und zum ersten Mal hörte ich am Rand meines Bewusstseins das geflüsterte Wort »sterben«. Bis dahin hatte ich mich geweigert, es zu denken, es weggeschoben, während ich mich auf Hannahs Behandlung konzentrierte. Doch jetzt, während sie so still dalag, wusste ich, dass ich es nicht läöä–üüö