Essays
Hedwig Dohm
Inhalt:
Hedwig Dohm – Biografie und Bibliografie
Die wissenschaftliche Emancipation der Frau
Der Frauen Natur und Recht
Die Eigenschaften der Frau
Das Stimmrecht der Frauen
Die Antifeministen
Einleitung
Vier Kategorien der Antifeministen
Zwei Altgläubige
Drei Ärzte als Ritter der mater dolorosa
Weib contra Weib
Von der alten und der neuen Ehe
Der Missbrauch des Todes
Essays, H. Dohm
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849655082
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Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, eigentlich Marianne Adelaide Hedwig Dohm, geboren am 20.September 1831 in Berlin, gestorben am 1.Juni 1919 ebenda. Drittes von insgesamt 18 Kindern des Tabakherstellers Gustav Schlesinger und dessen Frau Wilhelmine Jülich. Nach abgebrochener Schulausbildung mit 15 heiratet sie mit 22 Jahren Ernst Dohm, Chefredakteur der Satire-Zeitschrift "Kladderadatsch". Die Eheleute bekommen fünf Kinder. Unter den Kindeskindern findet sich auch Katia Mann, später Ehefrau des Schriftstellers Thomas Mann. Ab 1870 schreibt Dohm einige feministische Schriften, nach dem Tod ihres Manns 1883 dann Novellen und Romane.
Wichtige Werke:
In Deutschland für die politischen Rechte der Frauen zu kämpfen, mag vorläufig eine Thorheit, eine radikale Anticipation der Zukunft sein. Neue Gedankensaaten, in einen Boden gestreut, der nicht vorbereitet ist, sie zu empfangen, tragen keine Frucht, und wer die Früchte seines Strebens und Kämpfens erndten will, der befolge den Grundsatz praktischer Leute: nur das Erreichbare zu wünschen.
Für die Anhänger des Frauen-Stimmrechts mag die Erkenntniß ein Trost sein, daß diejenigen Reformen, diejenigen socialen Umgestaltungen, welche die eine Generation mit Widerwillen von sich stößt, oft schon die nächste mit Begeisterung willkommen heißt.
Weil wir nun gern zu den praktischen Leuten zählen möchten, wollen wir heute nicht an die Pforten der Parlamente klopfen, sondern an ein anderes Thor: an das Thor des Tempels der Wissenschaft, der Universität.
In welchem Maße Deutschlands Männer der Vorstellung eines mit politischen Rechten bekleideten Volkes (die Frauen eingeschlossen) abgeneigt sind, mag folgendes Beispiel beweisen:
Kaum hatte meine letzte Schrift, die unter Anderem vom Stimmrecht der Frauen handelt, den Druck verlassen, so erschien in einer gelesenen Leipziger Zeitung, »Leipziger Tageblatt«, eine kurze Besprechung derselben von einem Herrn Wistling, in der folgender Passus vorkommt: »Im Anhange tritt die Schrift ein für das Stimmrecht der Frauen. Seit den Tagen, wo ein volksthümlich drastisches Räuberstück über Deutschlands Bühnen ging, das eine Hedwig zur Heldin hatte, dürfte keine Trägerin dieses Namens mit solchem Eclat in die Oeffentlichkeit getreten sein, wie unsere Berliner Pamphletistin.«
Aus dem Buch, das Herr Wistling bespricht, weiß er, daß im englischen Parlament, dem Aufenthalt ernster Staatsmänner, die Forderung des weiblichen Stimmrechtes von Jahr zu Jahr an Boden gewinnt und zwar vorzugsweise unter der conservativen Partei; er weiß, daß der Premierminister Gladstone dieser großen Reform zugeneigt ist; er weiß, daß in einigen Staaten Nord-Amerika's die Frauen bereits Stimmrecht erlangt haben und daß in anderen Staaten, wie in Massachusets, z. B. die großen republikanischen Parteien das Stimmrecht der Frauen in ihr Programm aufgenommen haben. Ferner: sollte man nicht glauben, daß ein deutscher Journalist schon irgendwo einmal den Namen Stuart Mill's gehört haben müßte? Und hat er diesen Namen gehört, so weiß er auch von einem Werke Mill's, das rückhaltlos die politischen Rechte der Frauen vertritt.
Alle Kundgebungen englischer Zeitungen, welche nach Mill's Tode, der ganz England erschütterte, erschienen sind, haben anerkannt, daß unter den englischen Zeitgenossen sich nicht Einer befunden habe, der auf die lebende Generation einen größeren Einfluß geübt habe, als er.
»Wenn ein Geschwornengericht«, sagt Buckle in einem seiner Essay's, »der größten europäischen Denker ernannt und angewiesen würde, durch seinen Wahrspruch zu erklären, wer unter unsern lebenden Schriftstellern am meisten für den Fortschritt der Wissenschaft geleistet hat, so könnten sie kaum beanstanden, den Namen Stuart Mill auszusprechen.«
Eine ganze Nation, Mill's politische Gegner nicht ausgeschlossen, errichtet in Ehrfurcht dem Todten ein Monument zum Gedächtniß aller Zeiten.
Indem ich mir die Größe Mill's vergegenwärtige, bin ich weit entfernt, Herrn Wistling gegenüber etwa der Vorstellung Raum zu geben, daß der höhere Denker eher Recht habe als der kleine Literat; denn daraus, daß Herr Wistling bis jetzt der Nation unbekannt ist, folgt nicht, daß er von Natur zur Verborgenheit bestimmt sei. Nicht jeder gewaltigen Denkkraft ist es vergönnt, an der Oberfläche zu erscheinen. Doch, däucht mir, sollte die Denkweise eines Mannes wie Stuart Mill von Niemandem, auch nicht von einem deutschen Journalisten ignorirt werden, ja, ich möchte behaupten, daß, wo es sich um die reifen Anschauungen eines solchen Denkers handelt, diese Anschauungen von demjenigen, der sie zu bekämpfen unternimmt, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden müßten.
Indessen mag Herr Wistling wohl die Meinung derer theilen, die den Philosophen oder Stubengelehrten von vorn herein einen unpraktischen Kopf schelten, und Mill, in seiner Auffassung von der Hälfte des menschlichen Geschlechts, mag ihm und seinen Gesinnungsgenossen (und dazu gehören mit wenigen Ausnahmen alle Männer, die über die deutsche Männererde wandeln) als ein philosophischer Grillensänger erscheinen, ein methaphysischer Robinson Crusoe oder als ein enfant terrible in der schönen stationären Weltordnung.
Nun schließt sich aber unglücklicherweise für Herrn Wistling diesem Philosophen ein Mann an, der schwerlich bei irgend Jemandem den Verdacht, ein unpraktischer Philosoph zu sein, erregen kann. Ich meine den conservativen Premierminister Disraeli.
Dieser praktische Staatsmann hat stets die Bill Jacob Brigth's unterstützt. Im Jahre 1866 sprach er im Hause der Gemeinen zu Gunsten des Frauenstimmrechts. Im vergangenen Jahre wurde ihm von Georg Langton eine von 11,000 Frauen unterzeichnete Denkschrift überreicht. Seine Antwort darauf lautet wörtlich: »Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, aus Ihren Händen eine von 11,000 Frauen (berühmte Namen finde ich darunter) unterzeichnete Denkschrift zu empfangen, in der mir der Dank ausgesprochen wird für die Dienste, die ich bei dem Versuch geleistet habe, die Ungesetzmäßigkeit auszutilgen, welche die Ausübung des Stimmrechtes, welches an Eigenthum und Haushalt gebunden ist, den Frauen, die diese Qualifikation besitzen, vorenthält, obwohl wohl ihnen bei gleicher Qualifikation in allen Angelegenheiten lokalen Gouvernements die Ausübung dieses Rechtes gestattet ist. Da ich dafür halte, daß diese Ungesetzmäßigkeit die höchsten Interessen des Landes verletzt, so hoffe und erwarte ich, daß die Weisheit des Parlaments dieselbe entfernen werde.«
Aber noch mehr. Selbst ein conservativer deutscher Professor, ein in Bezug auf die Frauenfrage altgläubiger Herr, der Professor Sybel, giebt zu, daß, wer überhaupt das »suffrage universel« auf sein Programm schreibt, keinen vernünftigen Grund habe, die Frauen auszuschließen.
Und trotz aller dieser Zeichen der Zeit erscheint dem deutschen Literaten die Erörterung des Frauenstimmrechts von so frappanter Lächerlichkeit, daß er sich dabei melodramatischer Schauergefühle und eines ästhetisch-moralischen Gruselns nicht erwehren kann.
Es fiel mir bei der Lecture des »Tageblattes« eine Stelle aus einer englischen Zeitung ein, die, wenn auch in herber Uebertreibung, ein Körnchen Wahrheit enthält: die Wahrheit, daß unter den Frauen aller civilisirten Nationen die deutschen Frauen die ungünstigste Stellung einnehmen. Die Stelle, die ich zur Schonung patriotischer Gemüther nicht übersetzen will, lautet: »Germany in spite of its military successes, and the splendour of its triumphs in the realms of science, stands lower in the scale of civilization than any other European country, exept Turkey; for in no other country does woman occupy so ignoble and servile a position. In England women are treated with respect. In France and America, so lang as they are young and pretty, they are worshiped. In Germany they are simply utilized.«
Die Frage, ob Weiber zum Studiren berechtigt seien, ist nicht neuen Datums. Nicht nur viele Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert discutiren diese Frage, sie findet noch öfter eine Illustration durch Thatsachen. In allen Zeiten, bis an die Schwelle unseres Jahrhunderts haben Frauen Lehrstühle der Wissenschaft inne gehabt, vornehmlich in Italien. Wer diese Angaben bezweifeln sollte, blättere in der »Geschichte der Frauen von Klemm« nach, eines absoluten Gegners der Frauenemancipation, und er wird erstaunt sein über die große Zahl weiblicher Individuen, die in allen Ländern und in jedem Zweige der Wissenschaft Anerkennung und Ruhm unter ihren Zeitgenossen erworben haben.
In Bezug auf das Studiren der Frauen werde ich mir und meinen Lesern zur Beantwortung folgende drei Fragen vorlegen:
Ob Frauen studiren dürfen?
Ob Frauen studiren können (im Sinne ihrer Befähigung)?
Ob Frauen studiren sollen?
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte Jemand fragen: darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen? u. s. w. Da aber vorläufig die Majorität meiner deutschen Zeitgenossen das Recht der Frau an wissenschaftlichem Beruf leugnet, so dürfen wir kleine Minorität nicht müde werden, für unsere Ueberzeugung zu kämpfen, wenn es auch absolute Gewißheit für uns ist, daß dasjenige, was heut sonderbar und paradox erscheint, in Kurzem für eine der trivialsten Wahrheiten gelten wird.
Um mir nicht den Vorwurf der Willkür zuzuziehen, oder mich dem Verdacht auszusetzen, als unterschlüge ich kräftige und Hauptgründe gegen das wissenschaftliche Wirken der Frau und begnügte mich mit der Widerlegung leichten, oberflächlichen Geschwätzes, will ich die Meinungen geschätzter und bekannter Professoren gegen mich aufrufen, die Meinungen von Männern der Wissenschaft, von denen man annehmen muß, daß ihre Gründe wohl durchdacht und tiefsinnig seien. Sind dennoch ihre Argumente leicht zu widerlegen, so wird es nicht an der Schwäche der Deduktionskraft der Professoren liegen, sondern an der Stärke der Sache, gegen die sie ankämpfen.
Wenn ich in dieser Schrift dem Frauenstudium im Allgemeinen das Wort rede, so werde ich doch meine specielle Aufmerksamkeit dem medicinischen Studium zuwenden. Vielseitige Erfahrungen haben mir die Ueberzeugung aufgedrängt, daß die Gesundheit der Frau und somit des Menschengeschlechtes wesentlich von der Einführung der Frau in die ärztliche Praxis abhängt. Ich habe mir deshalb zu meinem Hauptgegner einen geschätzten Physiologen und Anatomen, den Professor Bischof von der Universität in München, ausersehn, und ich werde mich wiederholentlich auf seine kleine Schrift: »Das Studium und die Ausübung der Medicin durch Frauen« beziehen.
Ein namhafter Professor der Philosophie aus Bonn, ein milder und wohlwollender Mann, der für ein bekanntes Journal eine Reihe von Artikeln über Frauenbildung geliefert hat, wird Herrn von Bischof secundiren.
Einige einleitende Worte über Frauenarbeit im Allgemeinen gestatte man mir vorauszuschicken.
Die genannten Professoren, wie überhaupt alle Gegner der Frauenfreiheit, pflegen stets in aller Bestimmtheit und Schärfe männliche und weibliche Arbeit zu unterscheiden, gewissermaßen einen Sanitätscordon zwischen Mann und Frau auf dem Gebiete der Arbeit zu ziehen.
Herr v. Bischof sagt an einer Stelle: Jedes Geschlecht habe seine besonderen Funktionen, Frauen könnten nicht leisten, was Männer leisten, und umgekehrt, Männer nicht, was Frauen. – Ist das wahr? Nein!
Wer nennt mir eine einzige Hantierung (die an den Körper gebundenen Funktionen selbstverständlich ausgenommen), eine einzige Form der Arbeit, die sich auf Frauen beschränkt, und an denen zu participiren den Männern durch Sitte oder Gesetz verboten wäre?
Es giebt keine!
Männer nähen, kochen, waschen, bügeln, führen Wirthschaften u. s. w. In vornehmen Häusern findet man anstatt Köchin und Wirthschafterin Köche und Wirthschafter. Das sind unbestreitbare Thatsachen, die wegzuleugnen unmöglich ist. Es muß also heißen: Nur den Frauen sind bestimmte Beschäftigungen zugewiesen; die Männer aber leisten Alles, was Menschen überhaupt zu leisten im Stande sind und wozu sie Lust und Neigung haben.
Ich hoffe im Laufe meiner Abhandlung beweisen zu können, daß die Frauen zu Arbeiten gezwungen werden, für die sie nicht geeignet sind, und ausgeschlossen von solchen, die ihrer Natur zusagen.
Ich hoffe beweisen zu können, daß zwei Grundprincipien bei der Arbeitstheilung zwischen Mann und Frau klar und scharf hervortreten: die geistige Arbeit und die einträgliche für die Männer, die mechanische und die schlecht bezahlte Arbeit für die Frauen; ich glaube beweisen zu können, daß der maßgebende Gesichtspunkt für die Theilung der Arbeit nicht das Recht der Frau, sondern der Vortheil der Männer ist, und daß der Kampf gegen die Berufsarbeit der Frau erst beginnt, wo ihr Tagelohn aufhört nach Groschen zu zählen.
Zuverlässige Schriften über deutsche Frauenarbeit aufzutreiben, ist mir nicht gelungen. Entweder fehlt es an solchen Schriften, oder sie herbeizuschaffen ist für eine Frau, die öffentliche Bibliotheken nur mit einem unverhältnißmäßigen Aufwand von Energie und Unbescheidenheit benutzen kann, allzu schwierig. Ich mußte mich mit französischen und vornehmlich englischen Schriften begnügen, die glücklicherweise ein ausreichendes und zuverlässiges Material liefern.
Die ökonomischen Verhältnisse, die Anschauungen über Frauenwesen und Frauennatur sind im civilisirten Europa ziemlich überall dieselben; so werden auch die daraus resultirenden Thatsachen keine wesentlichen Abweichungen zeigen, und was in England und Frankreich an der Tagesordnung ist, wird auch in Deutschland üblich sein.
Alle mir über diesen Gegenstand (die Frauenarbeit) vorliegenden Schriften lassen darüber keinen Zweifel: Nie und nirgend hat man die Frau von den mühsamsten und widerwärtigsten Beschäftigungen fern gehalten, etwa auf Grund ihrer zarten Constitution oder ihrer Schamhaftigkeit – Schranken, die aufzuführen man niemals versäumt, wo es sich um höhere und einträglichere Arbeitsgebiete handelt. Im Gegentheil, für die unteren Stände scheint der Grundsatz zu gelten: je gröber, je anstrengender die Arbeit, desto besser für die Frauen. Einige Stellen aus zuverlässigen Berichten bewährter englischer Schriftsteller über Frauenarbeit in England mögen das Gesagte bestätigen.
In einigen Distrikten in England finden wir die Frauen mit Bereitung der Ziegelsteine beschäftigt. Sie legen die gekneteten Steine zum Behuf des Trocknens auf dem Boden in Reihen aus, sie helfen bei dem Prozeß des Feststampfens und gehen mit nackten Füßen über den nassen Thon und zuweilen auch über heiße Röhren. Tausende von Frauen sind bei Fabrikarbeiten an der Tyne in chemischen und Schnurfabriken, in Glashütten, Papiermühlen, Leimsiedereien, in Geschirr- und Tabaksfabriken beschäftigt; sie arbeiten in Baumschulen und als Feldarbeiterinnen, und stets fallen ihnen die niedrigsten, schwierigsten und schmutzigsten Arbeiten zu.
Im Distrikt um Vigan ist das Verfertigen der Nägel eine den Frauen sehr geläufige Beschäftigung. In jener Gegend sieht man auch Frauen an den Canalbooten bauen, die Schleusen öffnen, die Pferde treiben, ja man sieht sie mit den Schiffstauen über der Schulter.
In den glühenden Räumen der Baumwollenmühlen werden Frauen beschäftigt. Um die heiße Luft ertragen zu können, müssen sie halb entkleidet arbeiten. Das Schwingen der Mühlräder wirbelt eine so dichte Wolke von Staub und Schmutz auf, daß diese Frauen, um einer langsamen, aber sicheren Erstickung zu entgehen, sich gezwungen sehen, Mund und Nase mit Lumpen und Baumwolle zu verstopfen. Wenn sie ihre Arbeit verlassen, sind sie mit einer Lage fettigen Staubes und Schmutzes bedeckt.
In Liverpool und Dublin verdienen Frauen täglich 6 d dadurch, daß sie ungeheure Lasten von Sand durch die Straßen karren, bis sie dieselben verkauft haben. Ungefähr 50,000 Frauen hökern mit Fischen, Früchten und Eisenwaaren durch die Straßen, ohne daß man ihre Lust am Handel zu erschüttern versuchte durch jenen bekannten Schrei sittlicher Entrüstung gegen das öffentliche Auftreten der Frau. Niemand findet sich, der ihr zuruft: Hebe dich weg von deinen Fischen und Radieschen, gehe heim und thue Buße, lege dich auf's Stroh und verhungre! Eine große Zahl Frauen graben und hacken Kartoffeln, jäten das Unkraut, stechen Steine aus dem Boden, breiten den Dünger über das Land, schneiden Getreide während der Erndte und beladen die Wagen in jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Nach dem letzten Census waren in jener Gegend 43,964 Frauen als Feldarbeiterinnen angemeldet.
Ehe die Bill für die Regulation der Bergwerke und Kohlengruben in Kraft trat, waren Tausende von Frauen und Mädchen an die Arbeiten in den Bergwerken dergestalt gewöhnt, daß sie diese Beschäftigung für den eigentlichen Zweck ihres Lebens hielten.
In den Flachsspinnereien sind die Verhältnisse von der traurigsten Art. Der Flachs wird bei einer sehr hohen Temperatur bereitet, und die Arbeit ist mit dem Verbrauch einer großen Quantität Wassers verbunden. Die Arbeiterinnen müssen den größten Theil ihrer Kleider ablegen und stehen oft bis zum Knöchel im Wasser. Die Unglücklichen, welche bei diesen Arbeiten beschäftigt werden, sterben größtentheils im Alter von 28–30 Jahren an langsamer Abzehrung oder auch wohl zwischen dem 18. und 20. Lebensjahre an der galoppirenden Schwindsucht, die sie oft in wenigen Tagen hinrafft. Viele kennen das Schicksal, das sie erwartet, und weihen sich dem Tode, um die fabelhafte Summe von 1 Fr. 50 Ct. pro Tag zu verdienen.
Es giebt Werkstätten und Fabriken, wo diejenigen Arbeiterinnen bevorzugt werden, welche Kinder zu versorgen haben. Der reiche Fabrikherr weiß, daß sie Brod schaffen müssen für ihre Kinder um jeden Preis, und darum vor keiner Arbeit zurückschrecken. Sie lassen sich eine Verlängerung der Arbeitszeit gefallen, die in kurzer Zeit ihre Kraft und ihr Leben aufreibt.
Ein Einblick in französische statistische Berichte bestätigt lediglich die Resultate der englischen Untersuchungen.
Die Durchschnittsziffer des Arbeitslohnes in Paris beträgt für Männer 4 Fr. 41; für Frauen 2 Fr. 41. Der Hauptgrund ihrer Inferiorität liegt in ihrer mangelhaften professionellen Ausbildung.
Paris hat mehr als 14,000 Lehrjungen aufzuweisen und nur 5500 Mädchen, von denen der weitaus größte Theil sich mit einer Lehrzeit von kurzer Dauer begnügen muß. Mädchen, die eine dreijährige Lehrzeit durchmachen, gehören zu den Ausnahmen.
Weisen wir die Lohndifferenz aus der Statistik einzelner Gewerbe nach.
Beim Anfertigen der Kleider, eine Industrie, die mehr Männer als Frauen beschäftigt, beträgt der Arbeitslohn der Letzteren die Hälfte oder den dritten Theil desjenigen der Männer. Eine zu kurze Lehrzeit ist ein Hinderniß, ihre Geschicklichkeit zu entwickeln.
Nach der letzten Statistik der Posamentier-Industrie ist der tägliche Arbeitslohn für Männer auf 1 – 9 und 10 Fr. festgesetzt, der der Frauen in demselben Erwerbszweig auf 1-5 und 6.
Die Handschuhmacherei in Leder beschäftigt ungefähr ebenso viel Frauen wie Männer. Der Lohn der Arbeiter schwankt zwischen 3-10 Frs., der der Arbeiterinnen zwischen 1-4 Frs. Der Mangel professioneller Ausbildung macht sie unfähig für das Zuschneiden und Glätten der Handschuhe. Nur das Nähen, Steppen und Sticken bleibt ihnen überlassen. Seit 1845 ist der Lohn der guten Handschuhmacher um 35 Procent gestiegen, der der Handschuhmacherinnen ist stehen geblieben, so daß der Durchschnittslohn für sie sich nur auf 1 Fr. 90 Centimes beläuft.
Der Juwelenhandel und die Goldschmiedekunst in Paris, welche verschiedene Specialitäten umfassen, beschäftigen mehr als 4000 Arbeiterinnen; aber die höheren Lohnsätze der Former, Ciseleure, Graveure und Emaillirer sind für die Frauen nicht vorhanden, die sich fast ausschließlich mit dem Poliren und Glätten beschäftigen. Die Lehrlingsschaft dieser Industrie zählt 2000 Knaben und nur 100 und einige Mädchen.
Beim lithographischen Zeichnen kommt auf 36 männliche Lehrlinge 1 weiblicher. In den Buchbindereien verdienen die Männer täglich 3 – 8 Frs., die Frauen 1 – 3.
Verschiedene typographische Gesellschaften erlauben ihren Prinzipalen nicht, eine Setzerin in Arbeit zu nehmen, selbst dann nicht, wenn er ihr denselben Lohn wie dem Arbeiter bewilligen wollte.
Im Jahre 1860 autorisirte der Kaiser selbst eine Gesellschaft, deren Statuten jedem strikenden Setzer pro Tag 2 Frs. Schadenersatz zuerkannten, einzig und allein um die Einführung der Frauen in die Werkstätten zu verhindern.
Die französischen Steinschneider beschäftigen eine große Zahl von Menschen beim Schneiden der Krystalle, der Brillen, beim Schleifen der Diamanten u. s. w. Auch hier sehen wir die mühsamsten und schlechtest bezahlten Arbeiten einigen Polirerinnen und Einfasserinnen aufgebürdet. Tag für Tag drehen sie mit dem Fuß das Rad, auf dem sie das einzusetzende Glas schleifen. Die Krystallschleiferinnen arbeiten, über das Schleifrad gebeugt, mit den Händen im Wasser.
In allen Gewerben, welche Kenntnisse und eine gründliche Lehrzeit erfordern, sind die Frauen untergeordnet, in den ungesunden Gewerben dagegen, welche kurze Lehrzeit beanspruchen, herrschen sie vor. In Wollkämmereien und Strohflechtereien, in Garnfabriken und Wirkereien ziehen die Fabrikanten, um der billigeren Production willen, die Frauen vor. In und um Lyon arbeiten in den Fabriken tausende von Frauen täglich 14 Stunden lang gleichzeitig mit Händen und Füßen am Webestuhl. In den Kattundruckereien versehen die Männer diejenigen Arbeiten, welche Geschicklichkeit erfordern und einträglich sind. Die mit der Appretur beschäftigten Frauen arbeiten täglich 12 Stunden bei einer Temperatur von 26-40 Grad, und ihre Gesundheit wird durch die plötzlichen Uebergänge von Hitze zur Kälte untergraben.
Es giebt Fabriken, in denen die Frauen zu jeder Jahreszeit täglich 12 Stunden mit den Füßen im Wasser stehend arbeiten.
Wir wollen von weiteren Ausführungen auf diesen Gebieten der weiblichen Arbeiten Abstand nehmen; leicht ließe sich ein Buch damit füllen. Dieselben ökonomischen Erscheinungen wiederholen sich überall: die niedrigsten und schlechtest bezahlten Arbeiten für die Frau!
Nur noch einige Worte über die Näherin – einen Stand, zu dem nicht nur die unteren, sondern auch die mittleren Klassen ein nicht unbeträchtliches Contingent stellen.
Der Engländer James Clark berichtet, daß die Untersuchungen, die Lage der Näherinnen betreffend, viel erschreckendere Resultate geliefert haben, als selbst die der Manufaktur-Kommission.
Es stellte sich heraus, daß 18 Stunden täglich die für Näherinnen übliche Arbeitszeit sei, und daß nur starker Kaffee sie befähigte, ihre Nadeln so lange zu halten. Diese Frauen, meist im Alter von 16-30 Jahren, arbeiten sich buchstäblich zu Tode. Sie arbeiten Jahr ein, Jahr aus, fest auf ihren Stühlen angeschmiedet, vom Morgen bis in die Nacht, in der Kälte des frühen Wintermorgens, in der Mittagsglut des Sommers, rastlos, ohne Abwechselung, ohne Lebensfreude, um, wenn sie geschickt sind, täglich 2 Frcs. zu verdienen. Ihr Auge und ihre Brust leidet; ihr Leben ist ein langsames Sterben, ein allmäliges Verhungern – und wehe ihr, wenn sie krank wird! Die Näherinnen von London sind, zum größeren Theil, entweder mit unbeschäftigten oder kranken Ehemännern belastet oder sie sind Wittwen und die Ernährerinnen ihrer Kinder.
Der Bericht einer Vorsteherin der Nationalwerkstätten zu Paris giebt uns einen erschreckenden Einblick in das Elend dieser Arbeiterinnen. Als die Regierung 1848 einige Werkstätten eröffnete, drängten sich mehr als 12000 armer Frauen nach Paris. Unter andern nahm ein enges, nicht genügend ventilirtes Lokal ihrer 1200-2000 auf, die hier in der glühenden Hitze der Sommermonate fast erstickten. Viele von ihnen, krank und gebrechlich, hatten eine Familie zu erhalten und verdienten 6 Sous täglich; bei Andern, die Hemden nähten, betrug der Lohn 12 Sous.
Der Engländer Wakley, der für eine beachtenswerthe Autorität auf diesem Gebiete gilt, hält dafür, daß nicht weniger als 6000 Kinder alljährlich in Folge der schlechtbezahlten Frauenarbeit in's Grab sinken.
Mit Fingern müde und dürr,
Mit Lidern schwer und roth,
In Lumpen saß und nähte ein Weib
Und nähte auf Leben und Tod.
Stich! stich! stich!
In Hunger, Schmutz und Noth.
Die Stimm', die mit dem Schmerze rang,
Sang »von dem Hemde« den Gesang.1
Wahrlich nicht seiner hohen poetischen Schönheit wegen ist das Lied »vom Hemde« weltberühmt geworden, nein, um der furchtbaren Wahrheit willen, mit der Thomas Hood den öden, hoffnungslosen Jammer einer Menschenklasse bloßlegt, – dieses »Lied vom Hemde«, die Marseillaise des Weibes von der Nadel. Aber nein, keine Hymne, ein Todtenlied, ein Grabgesang über dem Abgrund des Volksschmerzes!
Wenn Frauen der mittleren und höheren Stände als vermögenslose Wittwen oder Unverheirathete sich nach Existenzmitteln ausschauen, so bieten sich ihnen nur die Erwerbszweige dar, die bereits von Unglücklichen überfüllt sind. Diese Arbeitsgebiete werfen nur so viel Gewinn ab, als für ihre Lebensfristung unumgänglich nothwendig ist – wenn sie mit Fleiß und gutem Willen die Kunst erlernt haben, mit wenig Nahrung auszukommen.
Die weiblichen Zöglinge von St. Denis in Frankreich sind Töchter oder Waisen höherer Offiziere. Diese Anstalt ist vollständig in Verruf gekommen, ja man ist so weit gegangen, zu behaupten, daß sich unter den Gefangenen von St. Lazare 20 frühere Schülerinnen dieser Anstalt befunden. Das Unterrichts-Programm der Anstalt enthält alle für eine zukünftige Hausfrau nothwendigen Kenntnisse: die Küche, die Arbeiten des Waschhauses, das Kleidermachen u. s. w. Die Wäsche des Etablissements wird von den Schülerinnen selbst verfertigt. Gewiß schätzenswerthe Kenntnisse für die Frau, die am häuslichen Heerde leben kann. Man vergißt, daß ein großer Theil der Mädchen der mittleren und höheren Stände, die sich mit ihrem Vermögen keinen Mann kaufen können, für ihre Existenz auf ihre eigene Thätigkeit angewiesen ist. Wenn der männliche Freischüler die Anstalt verläßt, öffnet sich ihm eine ehrenvolle, auch wohl glänzende Laufbahn. Mit 18 Jahren muß die weibliche Freischülerin die Anstalt verlassen; sie wird in die Welt gestoßen mit ihren Näh- und Kochkenntnissen zu ihrem Unterhalt. Es verfertigt aber keine Frau ein Kleid, es sei denn, sie habe den Stoff dazu; es kocht keine Frau, es sei denn, man liefere ihr die Materialien zum Kochen. Erziehung und sociale Stellung verhindern sie, als Köchin oder Näherin ein Unterkommen zu suchen. Was bleibt ihr? Elend, Verzweiflung, Corruption. Die Frauen werden zur Abhängigkeit erzogen; ob sich aber in der Noth des Lebens Jemand findet, von dem sie abhängen, darum bekümmert man sich nicht! Die 20 Gefangenen von St. Lazare dürfen uns nicht wunder nehmen.
Ich möchte fast glauben, daß es eine nationalökonomische List war, die den indischen Frauen die Ueberzeugung in das Herz wachsen ließ, daß sie nach dem Tode ihrer Versorger sich aus dem Leben zu empfehlen hätten. Ein staatsmännischer Kniff war es, der diesen Opferlämmern den Scheiterhaufen als die Vorhalle zum Himmel pries. Unsere Wittwen verbrennen sich nicht mehr; nichtsdestoweniger verzehren sie sich in Kummer und Noth. Jules Simon, ein energischer Gegner der Frauenfreiheit, sagt: »Une course rapide à travers les professions exercées par les femmes, va nous donner la preuve irréfragible, que leur salair n'est presque jamais égal à leurs besoins.«
Geringgeschätzte und halbbezahlte Arbeit ist eine Sclaverei in milderer Form, und das ist die allgemeine Lage der Frauen auf all' den Gebieten, die wir freie Arbeit nennen.
Ich verstehe von Staatswesen und Politik nicht allzuviel, das aber weiß ich: jegliche Gesetzgebung muß, oder müßte, auf einer sittlichen Basis ruhen, auf der Basis der Gerechtigkeit und Menschenliebe.
Versagt Sitte und Gesetz den Frauen diejenige Arbeit, die sie in den Stand setzt, sich und ihre Kinder zu ernähren, so muß der Staat und die Gesellschaft nach den einfachsten Begriffen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit vermögenslose Wittwen und Unverheirathete standesgemäß erhalten. Erkennt er aber eine solche Verpflichtung nicht an und beschränkt er dennoch die Frauen auf ein kleines Gebiet unzureichender Arbeit, so zeigt eine solche Gesetzgebung Spuren von Barbarei, sie vergewaltigt die Frau und privilegirt die eine Hälfte der menschlichen Gesellschaft auf Kosten der andern.
Weist man wieder und wieder auf die Ehe als die große Versorgungsanstalt der Frauen hin, so mögen statt meiner – Zahlen antworten, Zahlen, die unwiderleglich sind und die keine Phrase und keine Lüge dulden. Wo es sich um Millionen handelt, hören die Ausnahmen auf. Auf Preußen allein kommen mehr als 11/4 Millionen unverheiratheter Frauen.
Uebrigens könnte man ebenso gut behaupten, daß die Ehe eine Versorgungsanstalt für Männer sei; denn was für einen anderen Sinn hat dieses Wettrennen nach der Hand von Erbinnen, von dem wir täglich Zeuge sind?
Daß die Frage der Concurrenz, die Furcht vor Concurrenz bei der Einschränkung der Frau bewußt oder unbewußt eine große Rolle spielt, ist für mich zweifellos. Die Majorität der Menschen urtheilt nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Magen. Ein Beweis dafür ist der Umstand, daß jeder Mann das unermeßlich wichtige Geschäft, das er gerade betreibt, für denjenigen Beruf hält, den auszufüllen Gott und die Natur der Frau versagt habe. Herr v. Bischof glaubt, daß die Frau alles Andere eher leisten könne, als die Ausübung der Medicin. Unter den schädlichen Folgen der medicinischen Studien der Frauen hebt er hervor: »die unausbleibliche Verdrängung männlicher Aerzte«. Er giebt aber den Frauen seinen Segen für irgend welche Beschäftigung beim Post- und Telegraphendienst, und die unausbleibliche Verdrängung männlicher Postbeamten vergißt er dabei. Der Herr General-Postdirektor Stephan dagegen ist der Ansicht, daß die Frau zu allem Anderen eher geeignet sei, als zum Postdienst. Wiederum Professor v. Sybel behauptet, sie könne eher Medicin studiren, als irgend eine andere Wissenschaft. Eine Empörung entstand unter den Schneidermeistern, als die ersten Schneiderinnen sich zeigten. Es gehöre nicht zum Beruf der Frauen, meinte man, Kleider für Ihresgleichen anzufertigen.
Der hochgebildete Philologe nickt freundlich und leutselig der dürftigen Seminaristin zu, die die kleinen Kinder in der Schule unterrichtet, an welcher er den großen Mädchen für ein angemessenes Honorar höhere Weisheit beibringt. Wollte die mit monatlich 20 Thalern begnadigte Seminaristin aber in der ersten Klasse als Physik- oder Geschichtslehrerin Gehalt und Ehre mit ihm theilen, er würde vielleicht vornehm, sehr vornehm die Achseln zucken über diese »unsittliche Neuerung«.
Arbeiten, die umsonst geleistet werden, lassen sich die Männer schon eher von den Frauen gefallen. Man ließ Miß Nightingale gewähren; hätte sie aber ein paar hundert Pfund Gehalt als Hospital-Direktorin verlangt, wer weiß – das massenhafte Hinsterben der Kranken hätte vielleicht mit Gottes und der männlichen Aerzte Hülfe seinen ungeschwächten Fortgang genommen!
Schlimm ist es, wenn, wie es gemeiniglich geschieht, die Leute ihre Vorurtheile für sittliche Gesinnung halten; wenn sie aber ehrlose Regungen und Triebe wie die Concurrenzfurcht als sittliches Gefühl anerkannt wissen wollen, so erwehren wir uns schwer des Zorns und der Verachtung.
Wie sonderbar diese Concurrenzfurcht ist! Sind die Männer wirklich das höhere Geschlecht, das heißt, mit höheren Kräften für alle die Fächer begabt, von denen sie die Frauen ausschließen, so brauchen sie doch die Concurrenz nicht zu fürchten, im Gegentheil, die Frauen werden ihnen zur Folie dienen; sind ihre Kräfte aber nicht höher, so setzen sie sich dem Verdacht aus, daß sie die Frauen einsperren, damit dieselben ihnen die Preise nicht verderben, und ihr Verhalten wird zur Gewalthat, zur widerrechtlichen Aneignung eines Monopols.
Handel, Geschäft, Handwerk und Wissenschaft ist den Frauen verschlossen. Unterricht und Lehrlingsschaft verweigert man ihnen theilweise oder ganz. »Sie qualificiren sich für diese Beschäftigungen nicht!«
Wofür qualisiciren sie sich denn? Für den Hunger, für den Selbstmord, für die Prostitution?
Ich ziehe das Facit meines Berichtes und wiederhole: Der maßgebende Gesichtspunkt bei der Frauenarbeitsfrage ist nicht das Recht der Frauen, sondern der Vortheil der Männer. Man zwingt die Frauen zu Arbeiten, für die sie nicht geeignet sind und versagt ihnen diejenigen, für die sie sich ungleich besser qualificirten. Man raubt ihnen ein menschliches Anrecht, das Recht der Existenz.
Aber es wird ein Tag kommen, wo die Frau, der Nadel und des Kochlöffels überdrüssig, diese Geschlechtssymbole von sich wirft, wo sie, müde der abgedroschenen Phrasen, mit denen sie bisher betrogen worden, dem Despoten »Mann« den Gehorsam kündigen und Gehorsam fordern wird von denen, die ihr unterthan im Geiste.
Kommen wird der Tag, wo sie in die Tempel der Männer dringen, ihre Kanzeln besteigen und ein neues Evangelium predigen wird, die frohe Botschaft von der Menschwerdung des Weibes. Doch nicht braucht ihr zu erschrecken, ihr ehrsamen Familienhäupter und Männer, bis dahin ist's noch lange Zeit. So lange ihr lebt und eure Söhne und eures Sohnes Söhne, wird das Weib fortfahren zu säumen und zu kochen und zu backen und zu vegetiren und sich auszulöschen als Individualität. Sie wird fortfahren Euch zu beglücken und sich zu degradiren durch ihre Magdseligkeit.
Ob Frauen studiren dürfen? Ob es ihnen erlaubt war und erlaubt ist?
Meine Gegner bejahen diese Frage, ich verneine sie.
Die Professoren sind der Meinung, daß von jeher den Frauen Nichts im Wege gestanden, sich wissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben. Meine Meinung geht dahin, daß von jeher Vorurtheil und Gewohnheit, Gesetz und faktische Verhältnisse die Frauen am Studiren gehindert haben. Hören wir zuerst den Herrn Professor der Philosophie aus Bonn!
»Viele Beispiele«, sagt er, »lehren uns, daß die geistige Entwickelung begabter Frauen unter dem herrschenden Einsluß der Männer selten gehemmt worden ist, sondern weit häufiger die größtmögliche Begünstigung erfahren hat. Die Culturgeschichte weiß Nichts davon, daß begabte wißbegierige Frauen von der rauhen Männerwelt schon an den Pforten des Heiligthums zurückgewiesen sind. Die äußeren Verhältnisse also bieten keine Anhaltspunkte zur Erklärung der Thatsache, daß nur wenig schöpferische Leistungen der Frauen vorliegen.«
Und wüßte wirklich die »Culturgeschichte« Nichts davon – wenn ich nur davon weiß, das genügt mir vollkommen. Und in der That, ich spreche hier aus eigenster Erfahrung, die dem Herrn Professor nicht zur Seite stehen kann. Auch ich gehörte zu jenen wissensdurstigen Frauen, die an die Pforten des Heiligthums klopften, um – ausgelacht zu werden. Und ich war nicht die Einzige zu jener Zeit.
In einem für das spanische Collegium an der Universität Bologna aus dem Jahre 1377 herrührenden Statut heißt es (lateinisch): »Und weil das Weib das Haupt der Sünde, die Waffe des Teufels, die Ursache der Vertreibung aus dem Paradiese und das Verderbniß des alten Gesetzes ist, und weil deswegen jede Unterhaltung mit derselben eifrigst zu vermeiden, so verbieten und untersagen Wir ausdrücklich, daß irgend Einer sich unterfange, irgend ein Weib, und sei dasselbe auch noch so ehrbar, in das genannte Collegium einführe. Und wenn solches Einer dennoch thut, so soll er von dem Rektor schwer bestraft werden.«
Aber die »Culturgeschichte« weiß nichts davon, daß man Frauen an den Pforten des Heiligthumes zurückgewiesen hat!
Als im 16. Jahrhundert Françoise de Saintonge Mädchenschülen in Frankreich zu gründen versuchte, wurde sie öffentlich auf den Straßen verhöhnt und verspottet, und ihr Vater rief vier Doktoren herbei, in der Kunst erfahren, um zu entscheiden, ob seine Tochter vom Dämon besessen sei: »pour s'assurer, qu'instruire des femmes n'était pas un oeuvre du démon.«
Aber die »Culturgeschichte« weiß nichts davon!
Als Miß Garet im Jahre 1860 anfing, Medicin zu studiren, ging sie von einer Schule und Universität Englands zur andern, um Aufnahme bittend. Ueberall abgewiesen, fand sie schließlich, daß die Apothekerzunft die einzige Körperschaft war, welche ihrer Urkunde nach (indem anstatt des Wortes »vir«, Mann, »homo«, Mensch, gebraucht war), kein Recht hatte, die Prüfung irgend eines Kandidaten, der die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllte, zurückzuweisen.
Sie studirte nun fünf Jahre und erhielt im Jahre 1865 ihr Diplom. Eine Reihe von Vorträgen hatte sie privatim gehört und bisweilen 50 Guineen für einen Cursus bezahlen müssen, für den die gewöhnlichen Gebühren in den Klassen, von welchen sie ausgeschlossen war, nur 2 Guineen betrugen.
Mit der Auflage dieser direkten enormen Geldsteuer waren indessen die Schwierigkeiten nicht beseitigt. Jetzt, nach Vollendung ihrer Studien, setzten die Autoritäten die junge Dame von einem Gesetz in Kenntniß, welches den Studenten verbot, sich irgend einen Theil ihres medicinischen Unterrichtes auf Privatwegen anzueignen. Dieser Einwand war öffentlich von einem leitenden medicinischen Journale angerathen worden, als ein sicherer Weg, den Verpflichtungen jener Statuten zu entgehen und den Frauen die einzige ihnen gebliebene Chance zu zerstören.
»Aber die Culturgeschichte weiß Nichts davon, daß jemals eine geistige Expropriation der Frau stattgefunden!«
Der Professor W ..... in Berlin hatte vor einigen Jahren, – ob stillschweigend oder nach mündlicher Verabredung, weiß ich nicht – einem Dutzend Damen die Zuhörerschaft bei seinen Vorträgen über Shakespeare gestattet. Als aber eines Tages die Damen, nichts Böses ahnend, wie gewöhnlich vor dem Heiligthum erscheinen, siehe – da steht an der Pforte der treue Universitäts-Eckart, der Pedell, und jagt sie fort.
Der Professor hatte es nicht einmal der Mühe werth gehalten, die Damen zu benachrichtigen, daß er in Zukunft auf das Vergnügen verzichten müsse, sie zu sehen. Herr Professor in Bonn, wollen Sie nicht Ihre »Culturgeschichte«, die von der Zurückweisung wissensdurstiger Frauen an den Pforten des Heiligthums nichts weiß, mit diesem Dutzend Damen confrontiren? Die »Culturgeschichte«, die zu kennen Sie das zweifelhafte Vergnügen haben, scheint nicht nur, wie Amor, eine Binde vor den Augen, sondern auch Baumwolle in den Ohren zu tragen; denn sie sieht und hört nicht. Ich möchte Ihnen rathen, künftighin, wo es sich um Aufklärung der weiblichen Studienrechte handelt, nicht die »Culturgeschichte« zu fragen, sondern die – Pedelle.
Meines Wissens steht den Mädchen im Großen und Ganzen für ihre Ausbildung nur die »höhere Töchterschule« zur Verfügung. Vielleicht kennt aber der Herr Professor diese wundervollen Anstalten nicht und glaubt, daß hinter ihren Mauern geheimnißvolle wissenschaftliche Dinge vor sich gehen.
Wie systematisch das Denkvermögen in den Mädchenschulen untergraben wird, davon reden laut die Schulaufsätze der Kinder, denen ich gelegentlich eine besondere Besprechung widmen werde.
So z. B. lautete eines der neusten Themata meiner vierzehnjährigen Tochter: »Der culturhistorische Gegensatz zwischen China und Nordamerika« – ein Thema, welches wohl die jahrelange Arbeitskraft eines tüchtigen Gelehrten und Denkers in Anspruch nehmen dürfte.
»Die merkwürdige Raschheit, mit der Frauen denken,« sagt Buckle in einem seiner Essay's, »wird durch das elende, verächtliche, abgeschmackte System, das man Mädchenerziehung nennt, bei welchem werthvolle Dinge sorgfältig vorenthalten und geringfügige sorgfältig beigebracht werden, abgestumpft, bis ihr feiner und lebhafter Geist nur zu oft unwiederherstellbar geschädigt ist.«
Viel energischer als der Bonner Professor stellt Professor v. Bischof seine Behauptungen auf.
»Es ist nicht im entferntesten möglich«, meint er, »nachzuweisen, daß das weibliche Geschlecht durch äußere Einflüsse, Gewalt oder List daran gehindert worden wäre, sich in gleichem Grade an diesen geistigen Arbeiten zu betheiligen, wie das männliche. Aber auch die Möglichkeit einer solchen Behinderung ist durchaus nicht vorhanden. Ich halte fest an der Ueberzeugung, wären die Frauen von der Natur befähigt, an der Cultur der Wissenschaften Theil zu nehmen, längst ständen sie den Männern gleich oder über ihnen.«
Das kommt mir vor, als sagte Jemand: wären die Proletarier von der Natur befähigt, Austern zu essen und Champagner zu trinken, so würden sie längst ebenso viel oder mehr Austern essen und mehr Champagner trinken als die Gründer.
Herr v. Bischof fährt fort: »Die Frauen sind nicht zur Pflege der Wissenschaft berufen, darüber kann kein Zweifel mehr herrschen. Jeder der Culturgeschichte nur einigermaßen Kundige weiß, daß diese angebliche Unterdrückung seit dem letzten Jahrtausend bei den Culturvölkern des christlichen Europa's gar nicht vorhanden war. Nicht in äußeren Zuständen, im Wesen des weiblichen Geistes liegt diese Unfähigkeit.«
»Die Möglichkeit, die Frauen am Studiren zu hindern, ist durchaus nicht vorhanden,« meint Herr v. Bischof.
Wir trauen unseren Augen nicht, indem wir Solches lesen. Das schreibt ein Mann, der in demselben Athem ausspricht (Seite 41 seiner Broschüre): »Ich bin fest entschlossen, weiblichen Zuhörerinnen zu meinen Vorlesungen niemals den Zutritt zu gestatten,« und der noch hinzufügt, daß er nicht zum Unterricht von Mädchen genöthigt werden könne.
Er selbst beweist die Ausschließung durch sein Thun, stellt dieses Thun als das einzige normale und richtige hin, nährt Verachtung gegen diejenigen Professoren, die den Frauen die Theilnahme an ihren Vorlesungen gestatten, und knüpft daran die Schlußfolgerung, daß gar nicht die Möglichkeit einer Behinderung des Frauenstudiums existire! Solchen Aussprüchen haben wir Nichts entgegenzusetzen, als maßloses Staunen. Sind denn wirklich gesunder Menschenverstand und Gelehrten-Verstand etwas diametral Entgegengesetztes?
»Nicht durch äußere Einflüsse, nicht durch Gewalt oder List sind sie gehindert worden, sich in gleichem Grade an der geistigen Arbeit zu betheiligen wie der Mann.«
Wenn eine Frau Jura studiren wollte – nicht wahr, Herr v. Bischof, so stand ihr Nichts im Wege, später einmal als Geheimräthin oder Präsidentin eine ihren Leistungen entsprechende Stellung zu finden?
Nach Absolvirung diplomatischer Studien durfte sie auf einen Gesandtschaftsposten rechnen, als Anatomin war ihr etwa eine Professur in München sicher – nicht so?
Wissen Sie, wie die Gewalten oder die Listen oder die äußeren Einflüsse heißen, die von jeher die Frauen von den Studien ausgeschlossen haben und sie noch heut ausschließen und ausschließen würden, selbst wenn die Universitäten ihnen ihre Pforten öffnen wollten?
Es sind deren viele; nur der vornehmsten unter ihnen will ich gedenken.
Die eine Form der Gewalt lautet: Die Frau kann ihre wissenschaftlichen Kenntnisse für ihre materielle Existenz nicht verwerthen. (Ausnahmsfälle kommen nicht in Betracht). Der Ausübung dieser Gewalt leihen Gesetz und Staatseinrichtung ihre volle Mitwirkung.
»Nichts hindert die Frau am Studiren, keine List, keine Gewalt u. s. w.«
Das ist genau dieselbe Vorstellungsweise, wie sie in jenem Gesetz der alten Aegypter in Bezug auf die Frauen zu Tage trat. Jenes Gesetz heißt:
Erster Artikel. Die Frau ist berechtigt, zu gehen und zu kommen, wohin sie will.
Zweiter Artikel. Ohne Schuhwerk darf sie aber nicht ausgehen.
Dritter Artikel. Jedwedem Schuhmacher wird verboten, Schuhwerk an eine Frau zu verkaufen.
Ein analoges Gesetz à la Bischof müßte folgendermaßen abgefaßt sein:
Erster Artikel. Frauen dürfen studiren, was sie wollen und so viel sie wollen.
Zweiter Artikel. Die Universitätspedelle aber sind angehalten, sie von den Thüren der Universitäten und Akademien fortzujagen.
Dritter Artikel. Auf eine ihren Kenntnissen entsprechende Anstellung im Staate haben sie keinen Anspruch, dürfen sich aber in ihren Mußestunden durch Nähen, Frisiren u. s. w. die Mittel zu ihrer Existenz verschaffen.
Eine zweite Form der Gewalt, welche die Frauen in ihr geistiges Ghetto bannt, heißt: die Sitte.
Sitte und Gewohnheit sind mächtiger selbst als das Gesetz. Leichter wird Letzteres übertreten, als Erstere. Stehlen gehört, trotz der strengen Gesetze, die es verpönen, zu den beliebtesten sittlichen Extravaganzen der »niederen Klassen«.
Wann aber hätte man je gehört, daß in unserm Jahrzehent ein Mann mit einem leichten seidenen Rock, der doch in den Sommermonaten viel bequemer wäre als der tuchene, und dem an und für sich durchaus keine ausfallende oder provocirende Eigenschaft innewohnt, über die Straße gegangen wäre?
Sitte und Tradition heißt die dämonische Kraft, die seit Jahrtausenden schon die Frau in jenen engen Kreis bannt, den heut erst die Muthigsten zu überschreiten wagen.
Die Gewohnheit oder die Tradition ist ein Vampyr, der an der Brust der Menschheit ruht und ihr das beste Lebensblut fortsaugt. Ihr zaubergewaltiger Bann ist ein narkotisches Gift, dem selbst die freiesten Geister erliegen.
Was ist öffentliche Meinung? Wer fabricirt sie? – Die Menge, die Majorität, die Mittelmäßigkeit.
Und hätte es nicht in jedem Zeitalter kühne Geister gegeben, die sich losgerungen von dem Despotismus der Tradition und neue Adern des Denkens geöffnet, wir würden heute noch in den Pfahlbauten hausen.