Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Berlin
Dieter Thomä, St. Gallen
Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de
© 2014 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelbild: Mobilier et Thonet, © Célia Persouyre
E-Book-Ausgabe September 2019
ISBN 978-3-96060-098-5
Basierend auf Printausgabe
ISBN 978-3-88506-086-4
2., korrigierte Auflage 2016
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
… hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.
Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Reihe Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vismann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verantwortet wurde.
Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt politik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich produktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kompetent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leisten vermag.
Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.
Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.
Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Übersichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netzpublikationen vertraut.
Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.
Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä
1.Prolog: Mystery of our civilization
1.1 Nail-Design oder anthropologisches Prinzip?
1.2 Zum Verhältnis von Designtheorien und -praxis
1.3 Theorien des Designs statt Designtheorie
2.Design / Entwurf / Gestaltung
2.1 Definitionen und Perspektiven
2.2 Entgrenzung des Designbegriffs
2.3 Vom Disegno in die Fabriken des 19. Jahrhunderts
2.4 Gestaltung: ein holistisches Prinzip
2.5 Zum Wandel von Begriffen und Konzepten
3.Form-Funktion-Relationen
3.1 Funktionalismus zwischen Stil und Doktrin
3.2 Von Apfelblüten und Hochhäusern
3.3 Ornament und Verbrechen
3.4 Bauhaus-Funktionalismus und Semantik des Industriellen
3.5 Schönheit aus der Funktion
3.6 Postmoderne Kritik am Funktionalismus
3.7 Erweiterung des Funktionsbegriffs
4.Zur Bedeutung gestalteter Dinge
4.1 Von der Funktion zur Bedeutung
4.2 Strukturalistische Einflüsse
4.3 Semiotik und Designtheorien um 1960
4.4 Produktsemantik und semantische Wende
4.5 Mensch-Computer-Schnittstellen
4.6 (Visuell-verbale) Rhetorik des Designs
4.7 Materielle Kultur – Dinge als Akteure
5.Wissenskulturen des Designs
5.1 Kulturtechnik ›Entwerfen‹
5.2 Wissenschaftliche Disziplinierung des Designs
5.3 Das Design Methods Movement
5.4 Die Wissenschaften vom Künstlichen
5.5 Bösartige Probleme in der Planung
5.6 Implizites Wissen – reflektierte Praxis
5.7 Design und ›Modus 2‹-Wissensproduktion
6.Epilog: Transformation und Krise
6.1 Ethisch-moralische Implikationen
6.2 Sozio-Design und Partizipation
6.3 Krisenkompetenz, Kritik und Spekulation
Anhang
Danksagung
Anmerkungen
Literatur
Bildnachweis
Über die Autorin
No Watson, this was not done by accident, but by design.
Sherlock Holmes
Diese Einführung widmet sich einem aktuellen und in den unterschiedlichsten Bereichen intensiv diskutierten Thema, das bis vor kurzem durch eine auffallende Paradoxie gekennzeichnet war: Obwohl nämlich die immense kulturelle Bedeutung von Designobjekten und -praktiken – ebenso wie die Kritik an ihnen – kaum zu ignorieren ist, haben Theorien des Designs in der akademischen Landschaft lange Zeit ein eigentümliches Schattendasein gefristet. Auf diesen Umstand wies etwa der Planungs- und Designwissenschaftler Horst W. J. Rittel in den 1980er Jahren hin: »It is one of the mysteries of our civilization that the noble and prominent activity of design has found little scholarly attention« (Rittel 1988: 1). Gegenwärtig lässt sich jedoch – davon zeugt auch der vorliegende Band – ein wachsendes Interesse an den theoretisch-methodischen Grundlagen des Designs beobachten. Zahlreiche Studien und Publikationen haben sich in den letzten Jahren der systematischen Erschließung dieses Forschungsfeldes gewidmet, sei dies aus einer historischen, kultur- oder technikanalytischen, epistemologischen, soziologischen oder praxisgeleiteten Perspektive.1
Der Herstellungs- und Wirkungsbereich von Design, der in diesem Zusammenhang behandelt wird, umfasst dabei keineswegs nur industriell erzeugte Konsumgüter. Vielmehr sind sämtliche artifiziellen und bisweilen auch ›natürlichen‹ Artefakte, mit denen wir uns umgeben, die wir benutzen, umnutzen, aufbewahren oder entsorgen, auf die eine oder andere Weise geplant, entworfen und gestaltet – und somit potenzieller Gegenstand von Theorien des Designs. Der Technikphilosoph Bruno Latour konstatierte unlängst, dass sich das Wort ›Design‹ auf immer größere Produktionsgefüge anwenden lasse und längst nicht mehr auf Gebrauchs- oder Luxusgüter beschränkt sei (Latour 2009: 357). Der Designbegriff taucht zunehmend auch in ungewöhnlich anmutenden Wortkompositionen auf – wie Service-Design, System-Design, Gen-Design oder Neuro-Design.2
Neben den zahlreichen Anwendungsfeldern von Design ist die Art und Weise, wie Dinge geplant, entworfen, konstruiert und gestaltet werden, also die Ebene der Entwurfsprozesse und -praktiken selbst, von großer designtheoretischer Relevanz. Hier entscheidet sich nicht nur, welches Wissen, welche Interessen und Präferenzen in den Entwurf eines Designartefakts einfließen, sondern auch, ob daraus – wissentlich oder unwissentlich – Hindernisse und Hürden im späteren Umgang mit den Dingen resultieren. Denken wir dabei etwa an die Bedienbarkeit von technischen Apparaten und digitalen Kommunikationsgeräten, die Lesbarkeit von Orientierungssystemen und Bedienungsanleitungen oder die symbolische Bedeutung von Markenartikeln – stets bestimmt das Design dieser Dinge mit, wie wir mit ihnen umgehen und wie wir uns an ihnen orientieren. Design eröffnet nicht nur Handlungsmöglichkeiten, sondern kann diese ebenso gut beschneiden oder ganz versperren. Der Soziologe Lucius Burckhardt spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Design »unsichtbar« sei, da es sich um »unsichtbare Gesamtsysteme« handle, »bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen«, die es im Entwurf idealerweise zu berücksichtigen gelte (Burckhardt 1995: 24). Als Beispiel für unsichtbares Design nennt Burckhardt die Nacht: »Die Nacht also, die ursprünglich wohl einmal etwas mit Dunkelheit zu tun hatte, ist ein menschengemachtes Gebilde, bestehend aus Öffnungszeiten, Schließzeiten, Tarifen, Fahrplänen, Gewohnheiten und auch aus Straßenlampen.« (Ebd.: 17) Gegenstand des Entwurfes sind so gesehen nicht Einzelobjekte, sondern ganze Infrastrukturen und Systeme, die im Hinblick auf ihre »mögliche Verwendung«, »Einsatzfähigkeit«, »vielfache Brauchbarkeit« und »Nicht-Verwendbarkeit« konzipiert werden (Burckhardt 2012: 11f.). In einer verwandten Weise spricht die Kulturwissenschaftlerin Yana Milev davon, dass wir heutzutage Design in Begriffen wie »design of searches, knowledge, and behaviour« denken müssen (Milev 2013: 18). Durch die Brille eines derart weitreichenden Designbegriffs, der selbst Infrastrukturen und Verhaltensweisen einschließt, werden letztlich die politischen Dimensionen der Design- und Entwurfstätigkeit deutlich – und damit möglicherweise auch ihre Grenzen.
Unter dem programmatischen Stichwort eines design turn ist der Designbegriff mittlerweile auch in den Geistes-, Natur- und Technikwissenschaften angekommen und leitet dort die Erforschung von Herstellungs- und Fertigungsverfahren wissenschaftlicher Wissensproduktionen aus einer Entwurfs- und Gestaltungsperspektive an. Der Designbegriff wird im Kontext von »interdisziplinären Wissenslaboren«3 ebenso intensiv diskutiert wie in Bezug auf rezente Entwicklungen in der Nanotechnologie oder der synthetischen Biologie. Er rückt damit von einem peripheren »Paradigma moderner Entwurfs- und Fertigungsverfahren […] in den Kern der Forschung selbst«4. Mehr noch: Mit dem Designbegriff geht die Forderung nach einer Transformation kultur- und geisteswissenschaftlicher Methoden einher – hin zu den Materialien und Praktiken der Wissens gestaltung und zu einer Wissensproduktion in the making. Die mit Michel Foucault begonnene »Wende zu einer Analyse der Praktiken und materialen Kultur des Wissens und der Kulturtechniken« müsse sich, so fordert Wolfgang Schäffner, »um einen weiteren Schritt verlängern zur Beteiligung an der Realisierung und Gestaltung neuer Praktiken« (Schäffner 2010: 37). In »der technisch hochgerüsteten Wissensgesellschaft« sollen gestalterische Prozesse als »genuine Forschungsleistung« begriffen und »Forschung ihrerseits als Gestaltungsprozess« ernst genommen werden.5 Schäffner, der den Ausdruck design turn prägte, begründet das wachsende Interesse an Entwurfs- und Gestaltungsfragen mit einem tiefgreifenden Wandel, der sich derzeit in den Naturwissenschaften beobachten lasse:
»Die Analyse der Natur ist an einen Punkt angelangt, an dem sich die Richtung der Forschung umkehrt. Nun handelt es sich nicht mehr darum, die Prozesse der Natur zu erforschen, sondern darum, wie man mit deren Basiselementen in anderer Weise verfahren kann. Und dabei geschieht etwas Eigentümliches: Denn man beginnt von ›Ziegelsteinen‹, von ›Fenstern‹ und ›Maschinen‹ zu reden, als befänden wir uns in der künstlichen Welt der Architektur und des Designs. Der Wissenschaftler als Beobachter und Analytiker der chemischen, physikalischen und biologischen Elemente der Natur verwandelt sich in einen Gestalter von etwas, das vorher nicht existierte.« (Schäffner 2010: 33)
Mit noch weiter reichender Bedeutung wurde diese Ansicht vor einigen Jahren bereits von dem Designtheoretiker Ranulph Glanville vertreten. Dieser postulierte, dass Forschung letztlich als eine Subkategorie des Entwerfens betrachtet werden müsse: »(Wissenschaftliche) Forschung (sei dies Experiment oder Theorie) ist eine Entwurfsaktivität. Wir entwerfen Experimente, wir sind aber auch Designer in der Art und Weise, wie wir innerhalb dieser Experimente agieren.« (Glanville 1999: 88) Forschung wird in diesem Zusammenhang als Aktivität verstanden, in der, wie Joseph Vogl sagt, »jeder epistemologischen Klärung« stets auch »eine ästhetische Entscheidung« vorausgeht (Vogl 1999: 13f.). »Mediale Praktiken, ästhetische Präferenzen, handwerkliche Fertigkeiten und implizites Erfahrungswissen konstituieren in dieser Lesart nicht nur auf entscheidende Weise das Design von Wissen, sondern Design und Wissen gehen dabei als analysierte und zugleich konstruierte Gegenstände ineinander auf.« (Mareis/Windgätter 2013: 12)
Ob man einer so radikalen Sichtweise auf Design (und Wissenschaft), wie Glanville sie vertritt, folgen mag oder nicht, so wird an ihr doch deutlich, dass sich die Auffassungen und Konzepte von Design in den letzten Jahrzehnten massiv verändert und geöffnet haben. Designdiskurse haben sich weit von den traditionellen Ausbildungskontexten des Kunstgewerbes und von den kommerziellen Anwendungskontexten der Produkt- und Werbeindustrie entfernt. Sie werden in neuartigen Aufgaben- und Wirkungsbereichen erprobt und haben einen grundlegend inter- und transdisziplinären Charakter angenommen. Fraglich bleibt dennoch, welche Gegenstände und Aufgaben unter dem Begriff ›Design‹ sinnvollerweise subsummiert werden sollen, ohne dass dieser der völligen Beliebigkeit verfällt. Die Offenheit des Designbegriffs, mehr noch aber seine gegenwärtige Omnipräsenz in Gesellschaft und Medien, werden durchaus kritisch gesehen. Kritisiert wird ein »inflationärer Gebrauch« des Designbegriffs, der von »Hair-Design, Nail-Design, Drogen-Design bis hin zum Hundehütten-Design« alles umfassen will (Eisele/Bürdek 2011: 4).
Nichtsdestoweniger fassen Theorien des Designs den Designbegriff in der Regel viel weiter, als dies im umgangssprachlichen Gebrauch der Fall ist. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verfestigte sich durch Designtheorien und -methodologien ein Begriff von ›Design‹ – oft verstanden im Sinne von ›Entwurf‹ –, der die gesamte von Menschen geschaffene, artifizielle Welt als seinen Gegenstand postulierte. Otl Aicher spricht in diesem Zusammenhang von der »welt als entwurf«. Man könne die Welt als einen Prozess der Entwicklung verstehen, in den man hineingeboren sei, ebenso könne man die Welt aber auch als Entwurf sehen, »das heißt als produkt einer zivilisation, als eine von menschen gemachte und organisierte welt« (Aicher 1991: 185). Besonders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde unter dem Einfluss von Kybernetik, Systemtheorie, Informatik, Ergonomie, Planungstheorie, aber auch Umwelt- und Gesellschaftsdiskursen eine Vielzahl neuartiger, erweiterter Designmodelle zur Debatte gestellt. Namentlich geschah dies durch Personen wie den bereits genannten Horst Rittel, der Design mit Konzepten aus der System- und Planungstheorie in Verbindung brachte, oder den ›Künstliche Intelligenz‹-Forscher und Sozialwissenschaftler Herbert A. Simon, der Design als einen Modus des Problemlösens im Kontext künstlicher Welten und in diesem Sinne als eine »allgemeine Wissenschaft des Künstlichen« beschrieb (vgl. Kapitel 5.4 und 5.5). Ebenso können die Versuche, Design als eine wissenschaftlich-theoretische Disziplin zu etablieren, auf die Nachkriegszeit datiert werden. Anfänge eines systematisch geführten Diskurses zu Designmethodologie und -theorie sind spätestens seit den 1960er und -70er Jahren zu beobachten – zur selben Zeit etwa, in der sich auch Fächer wie die Informatik oder die Medienwissenschaften an den Universitäten zu formieren begannen.6 Unter dem Einfluss der Designmethodenbewegung der 1960er Jahre bildete sich ein Designbegriff heraus, der weit über das tradierte Verständnis von Design als kunstgewerbliche Tätigkeit, angewandte Kunst oder dekorative Oberflächenverschönerung hinausging und neue Methoden und Konzepte, vor allem aber interdisziplinäre Anwendungsfelder umfasste (vgl. Kapitel 5.3).
Jüngere designtheoretische Beiträge – wie etwa Klaus Krippendorffs Arbeiten zur semantischen Wende im Design (Krippendorff 2006), Yana Milevs Grundlegung einer transdisziplinären Designanthropologie (Milev 2013) oder Tony Frys provokante Ausführungen zu Design as Politics (Fry 2011) –, verdeutlichen, wie weit sich das Forschungsfeld Design mittlerweile erstreckt und dass es sich kaum abschließend fixieren lässt. Design sei eine Disziplin, die sich nicht disziplinieren lasse, meint Krippendorff: Das Design »stellt neue unerwünschte Konventionen, zu Unrecht bestehende Regelmäßigkeiten und zweifelbare Autoritäten durch konkrete Vorschläge in Frage. Eine wichtige Aufgabe einer Wissenschaft für das Design besteht daher in der Suche nach Variabilität.« (Krippendorff 2013: 265) Zugespitzt formuliert, will Design nicht nur als Dienstleitung Artefakte für andere entwerfen, sondern auch seine eigenen Aufgabenstellungen und Inhalte immer wieder neu erfinden und transformieren: »Ein besonderes Potential des Entwerfens besteht in seiner Eigenart, sich selbst ständig mit und in unterschiedlichen Entwurfstechniken neu zu entwerfen«, so Daniel Gethmann und Susanne Hauser (2009: 10).
Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen im 20. Jahrhundert können die Theorien des Designs heute vom handgefertigten Unikat bis zur seriellen Massenware, von »Design als Prozess bis zum menschlichen Tun allgemein« alles umfassen (Hirdina 2010: 44). Einen derart offenen, nachgerade universalistischen Designbegriff verwenden etwa Harold Nelson und Erik Stolterman. Sie sehen in der Entwurfspraxis eine zeitgemäße Form der praktischen Philosophie: »Als menschliche Wesen kreieren wir andauernd Dinge, die dabei helfen, die Welt, wie wir sie kennen, zu formen und zu gestalten. Wenn wir solche neuen Dinge kreieren – Werkzeuge, Organisationen, Prozesse, Symbole und Systeme – beschäftigen wir uns mit Design. Eine Idee zu entwickeln und dieser eine Form, Struktur und Funktion zu verleihen ist der Kern von Design als menschlicher Aktivität.« (Nelson/Stolterman 2003: 1) Auch Klaus Krippendorff versteht Design als »eine Praxis und Aktivität, die generell für alle menschlichen Lebewesen konstitutiv« sei (Krippendorff 2006: o.S.). Allerdings öffnen und nobilitieren solche Aussagen den Designbegriff nicht nur. Sie suggerieren auch auf problematische Weise, die Fähigkeit zum Entwerfen sei ein anthropologisches Prinzip, das Menschen ›von Natur‹ gegeben sei und sie kategorisch von ›Tieren‹ oder ›Maschinen‹ unterscheide (siehe Cross 2006: 100). Wie alle kategorischen Behauptungen und vermeintlichen anthropologischen Prinzipien, so sind auch diese mit Vorsicht zu behandeln. Zum einen führt ein derart weites Verständnis von Design zu Beliebigkeit und Unbestimmtheit. Es gehen wichtige »Differenzen zu den Begriffen Kunst, Plan, Arbeit oder Machen« verloren, wie Heinz Hirdina kritisiert (Hirdina 2010: 42). Zum anderen blenden universalistische Designmodelle aus, dass Entwerfen als Kulturtechnik nicht zu jeder Zeit, an jedem Ort und für jede Person auf die gleiche Weise ›funktioniert‹. Vielmehr hat sich das Entwerfen, wie jede andere kulturelle Praxis auch, erst im Rahmen spezifischer Lehr- und Lernprozesse, in unterschiedlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Kontexten über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg herausgebildet. Insofern ist es auch nicht korrekt, von dem Entwerfen im Singular zu sprechen, da wir es stets mit einer Vielzahl von Entwurfspraktiken, -kulturen und -artefakten zu tun haben. Schließlich unterliegt auch deren Beurteilung sozial- und kulturhistorisch ausdifferenzierten Kriterien, die einem Verständnis von Design als einer universellen menschlichen Aktivität entgegenstehen. Heinz Hirdina zufolge kann in der Begriffsgeschichte des Designs, trotz konkurrierender Begriffe und Konzepte, allerdings ein semantischer »Kern« identifiziert werden, »um den sich Bedeutungen historisch angelagert haben«; nämlich »das ästhetisch bestimmte Entwerfen von industriell reproduzierbaren Gebrauchsgegenständen, die sich auch für symbolischen Gebrauch eignen« (Ebd.: 44).
Die industrielle Herstellung und die mit ihr einhergehenden Reproduktionsmöglichkeiten von Produkten der Gebrauchskultur sollen demnach die Besonderheit von Design im Unterschied zu handwerklichen oder künstlerischen Praxen kennzeichnen (vgl. Kapitel 2.3). Aber selbst wenn man diese (eher konventionelle) Sichtweise auf Design als gemeinsamen Ausgangspunkt von Designtheorien nehmen will, stellt sich auch hier die Erforschung industrieller Massenkultur als ein Desiderat dar. Wolfgang Ruppert etwa konstatiert, dass die Geschichte der industriellen Massenkultur bis heute paradoxerweise weitgehend unbeachtet geblieben sei (Ruppert 1993: 9). Die Gründe dafür sieht er erstens im Umstand, dass Wissenschaftler/innen oft zu sehr mit den »Selbstverständlichkeiten des eigenen Alltagslebens verflochten« seien, als dass sie genügend Distanz zu diesem Themenbereich herstellen könnten (ebd.). Ein zweiter Grund bestehe in der »Spezialisierung des Wissenschaftsbetriebs und den daraus resultierenden Begrenzungen der Gegenstandsfelder der Fächer«, welche die Komplexität im menschlichen Umgang mit den Dingen der industriellen Kultur nicht angemessen habe erfassen können (ebd.).
Womöglich erschweren aber auch Vorbehalte gegenüber dem kapitalistisch-industriellen Ursprung der professionellen Designpraxis und deren enge Verbindung zu Industrie und Wirtschaft, dass sich Forschende ernsthaft mit dem Thema ›Design‹ auseinandersetzen. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang ein Einwand von Victor Papanek aus den 1970er Jahren. Dieser monierte, dass es nur wenige Berufsbilder gebe, die schädlicher und unnützer seien als diejenigen des Industriedesigners und des Werbegrafikers. Designer/innen versuchten, so Papanek, Menschen davon zu überzeugen, Konsumgüter zu kaufen, die sie weder bräuchten, noch sich leisten könnten (Papanek 2000: ix). Andere Autoren üben Kritik an einer »ästhetischen Ökonomie und einer ästhetisierten Politik« durch Design, der es nur noch um den bloßen »Inszenierungswert von Waren«, nicht jedoch um deren Gebrauchswert gehe (Böhme 2001: 160). Und Yana Milev problematisiert, dass selbst innovative Designverständnisse im Bereich der »Industrie, der Wissenschaft, der Informatik und im Entertainment-Management« bloße Neuinterpretationen konventioneller Konzepte seien: »Design ist auf der Schnittstelle von Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft einem neobehavioristischen Forschungsverständnis, einem neokonservativen Gesellschaftsbegriff, einem neodarwinistischen Gesellschaftsbegriff und einem neoliberalen Wirtschaftsverständnis verpflichtet« (Milev 2011: 39). Diese kritischen Sichtweisen verunglimpfen jedoch nicht Design per se als Gegenstand der Forschung und Theoriebildung. Sie zeigen vielmehr auf, dass die gesellschaftlichen und technoökonomischen Produktionsverhältnisse und Strukturen, in denen sich Designpraktiken und -artefakte reproduzieren, auch im Nachdenken über Design ihren Niederschlag finden müssen. Im Hinblick auf die Theoriebildung zum Design gehen damit weitere interdisziplinäre Zusammenschlüsse sowie die Ausarbeitung neuartiger Forschungsfelder des Designs einher. In Zukunft werde, so Milev, »in zunehmendem Maße von einem Designbegriff im Untersuchungsfeld der Cultural Studies als auch der Ethnologie, Anthropologie und Lebenswissenschaften oder der Ökologie die Rede sein, so dass Begriffe wie Designsoziologie, Designethnographie, Designpolitik, Designökologie oder Designanthropologie relevant werden« (ebd.: 20).
Zusammenfassend zeichnet sich für Theorien des Designs heute die Problematik ab, dass ihr Gegenstand äußerst weit gefasst ist, einen inter- und transdisziplinären Geltungsbereich sowie einen hohen Anwendungsbezug hat. Die zunehmende Ausdifferenzierung bestehender Fächer erschwert es ihnen zudem, einen eigenständigen Platz im Gefüge der wissenschaftlichen Disziplinen zu finden und diesen zu behaupten. Während die Architektur, als vergleichbar praxisorientierte Entwurfsdisziplin, traditionell einen eigenen theoretisch-systematischen Diskurs pflegt, werden Designtheorien und -wissenschaft immer noch als Rand- oder besser Zwischenerscheinungen im wissenschaftlichen Fächerkanon aufgefasst. Theorien des Designs werden heute zwar an unterschiedlichen Orten unterrichtet und entwickelt, aber nur selten werden diese multidisziplinären Gegenstandsbereiche integrativ zusammengeführt und vernetzt. Namentlich werden sie an Kunst- und Designhochschulen gelehrt, daneben auch in der Architektur, im Ingenieurwesen oder in Fächern wie Kunst- und Kunstgewerbegeschichte, Kultur- und Medienwissenschaft, Informatik, Psychologie, Kognitionswissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Arbeitswissenschaft, Ergonomie, Planungswissenschaft, Wissenschaftsgeschichte. Schließlich finden sich designtheoretische Ansätze auch in praktischen Anwendungsfeldern wie Werbung, Marketing oder Management. Susanne Hauser weist in diesem Zusammenhang darauf hin, Gestaltungsprozesse zeichneten sich gerade dadurch aus, »dass sie aus allen möglichen Wissensbereichen Elemente und Strukturen aufnehmen« und es »keine prinzipielle Abhängigkeit von einzelnen Wissenstypen oder Disziplinen« gebe (Hauser 2013: 372). Dieser Umstand spiegelt sich auch in der inter- und transdisziplinären Verfasstheit von Designtheorien wider, die, simplifizierend gesagt, überall und nirgends, irgendwo dazwischen verortet sind.
Klaus Krippendorff sieht eine Ursache der mangelnden akademischen Etablierung und Sichtbarkeit von Design in dem Umstand, dass der »Designdiskurs sich seiner eigenen Grenzen nicht sicher« sei (Krippendorff 2013: 63). »Ein Student der Physik oder der Medizin findet die Grenzen seiner Disziplin in vorgeschriebenen Lehrveranstaltungen und in offiziellen Lehrbüchern. Designer haben kaum Standardwerke, auf die sie zurückgreifen können«, so Krippendorff (ebd.). Auch Bernhard Bürdek problematisiert, dass die interdisziplinäre Verortung und Ausrichtung von Designtheorien für eine deutliche Konturierung und Abgrenzung des Faches hinderlich sei. Aus seiner Sicht kann »nur fundiertes Wissen über Gestaltung selbst, das Entwerfen, die Produkte, die Interfaces und die Services« dabei helfen, »Design als Disziplin inhaltlich voranzubringen« (Bürdek 2011: 20). Erst auf dieser Grundlage könne »die vielbeschworene Interdisziplinarität des Designs ernsthaft und fundiert praktiziert werden« und »die Leere«, die das interdisziplinäre »Dazwischen« bedeute, ausgefüllt werden (ebd.: 21). Bürdek sieht darin die »eigentliche Aufgabe von Designwissenschaft, Designtheorie und erst recht Designforschung« (ebd.).
Gerade das Fehlen einer eigenständigen Theoriebildung, die sich »aus dem Kern« des Designs heraus entwickeln soll, »so wie das bei jeder wissenschaftlichen Disziplin üblich und richtig« sei (Bürdek 2013: 18), wird heute von vielen Designtheoretiker/innen beklagt. Bemängelt wird, dass die aus anderen Fächern stammenden Untersuchungen über Design für die Designpraxis zu wenig Relevanz hätten und »losgelöst von der Realität« existierten (Findeli 2004: 43) oder dass sie dem »unscharfen, besonderen Gegenstand« Design, »der niemals vollständig greifbar« sei, nicht gerecht werden könnten (siehe Jonas 2004: 26f.). In ambivalenter Manier kritisieren Designtheoretiker/innen deshalb einerseits den fehlenden Theorie- und Wissenskorpus zum Design, befürchten aber andererseits auch eine akademische ›Überfremdung‹ und ›Annexion‹ durch andere Disziplinen. Die »Gefahr einer ›feindlichen Übernahme‹ des Designdiskurses« sei »allgegenwärtig«, klagt Klaus Krippendorff (2013: 63). Vielleicht mag diese Befürchtung berechtigt sein, die Metaphern allerdings, die Feindbilder in Gestalt anderer Disziplinen oder gar der Wissenschaft als solcher evozieren, erscheinen für einen reflektierten Diskurs, der sich um Selbstkritik und Differenziertheit bemüht, nicht angemessen.
Wir haben gesehen, dass Designtheorien in der Wissenschaftslandschaft eher eine Rand- oder Zwischenstellung zugeschrieben wird. Diese Sichtweise vernachlässigt jedoch die Tatsache, dass innerhalb des Fachs Design schon seit vielen Jahrzehnten Debatten zur methodischen und inhaltlichen Ausrichtung von Designtheorien, -methodologien und -forschung geführt werden. Die nicht selten geäußerte Skepsis, es gebe kein konsistentes Fach ›Designtheorie‹, mag zwar im Hinblick auf die fehlende akademische Sichtbarkeit und eindeutige disziplinäre Verortung gelten. Aber gemessen daran, wie umfangreich das Korpus an designtheoretischen Ansätzen, Modellen, Studien und Projekten ist, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, ist diese Aussage schlicht falsch. Verkannt wird dabei auch der Umstand, dass Theorien des Designs in ihrem durchaus nicht unproblematischen Bemühen, Theorie und Praxis konsequent miteinander zu verzahnen, tradierte Vorstellungen von Wissenschaft und Forschung strapazieren und herausfordern. Dies mag – zusammen mit ihrem unerhört weiten Gegenstandsbereich – ein weiterer Grund sein, warum sich diese nur schwer in ein traditionelles Verständnis von Theorie, Forschung oder Wissenschaft fügen.
Theorien können bekanntlich auf viele Weisen definiert werden. Sie stellen Versuche der Strukturierung, Verallgemeinerung, Modellierung von Phänomenen und Gegenständen dar, die man besser verstehen und durchdringen möchte. Theorien sind aber auch Instrumente der Disziplinierung und Beherrschung, und nicht selten ist die Suche nach theoretischer Struktur und Ordnung mit dem Streben nach Idealisierung, Abstrahierung und Purifizierung verbunden.7 Auch im Falle von Theorien des Designs werden ideale und erwünschte, in der Regel systematisch verlaufende Entwurfsprozesse und -artefakte theoretisch abgebildet. Weitaus seltener jedoch sind die Schattenseiten von Design, seine Brüche, Ambivalenzen, Tabus und Grenzüberschreitungen, Inhalt von designtheoretischen Überlegungen.
Daneben ist auch in Designtheorien das implizierte Verhältnis von Theorie und Praxis für das jeweilige Theorieverständnis zentral. Nach einer gängigen Definition, wie sie die Brockhaus Enzyklopädie anbietet, wird Theorie als »rein gedankliche Betrachtungs- und Erklärungsweise im Unterschied zur praktischen Anwendung beziehungsweise im Gegensatz zur Praxis als tätig veränderndem Bezug zur Wirklichkeit« verstanden.8 Für die Theorien des Designs trifft eine solche Definition jedoch nur sehr bedingt zu. Vielmehr wird die strikte Trennung zwischen Theorie und Praxis von vielen designtheoretischen Autoren/innen abgelehnt. Sie vertreten nicht nur die Ansicht, Designtheorien seien vorrangig der Designpraxis verpflichtet, sondern sie verstehen die Praxis auch als eigenständigen Modus der Erkenntnisproduktion. Für Siegfried Maser dient Theorie im Wesentlichen »der Verbesserung von Praxis«, weshalb sich Designtheorien vornehmlich »an den Praktiker« richten sollen (Maser 1976: 42). Die Designpraxis sieht er als die eigentliche »Kontrollinstanz« von Designtheorie (ebd.). In dieser und ähnlich lautenden Aussagen manifestiert sich eine spezifische Sichtweise auf das Entwerfen, aber auch auf Theorie und Wissenschaft, die sich bereits im Kontext der Designmethodenbewegung in den 1960er Jahren herausbildete (vgl. Kapitel 5.3). Die Entwurfstätigkeit, verstanden als Methode der Konstruktion und Synthese, wurde in der Designmethodologie kategorisch von der wissenschaftlichen Tätigkeit der Analyse unterschieden und die wesentliche Differenz in den unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Bereiche gesehen (Cross 1993: 18). Man ging davon aus, dass die »wissenschaftliche Methode« dazu da sei, Dinge zu entdecken und zu analysieren, die es bereits gebe, »während die Methode des Entwerfens« dazu dienen sollte, Dinge »zu erfinden, die noch nicht existieren« (Gregory 1966: 6). Aus dieser Gegenüberstellung von Entwurf und Wissenschaft resultiert ein idealisierendes Bild des Entwerfens, das über Theorie und Praxis hinausgehen und durch den Entwurf »neue einsichten« eröffnen sollte (Aicher 1991: 196). Zugleich geht damit aber auch eine schier unauflösliche Verstrickung von Theorie- und Praxisverständnissen einher.
Aus heutiger Sicht muss ein solch stereotypes, verlockend einfaches Bild von Entwurf und Wissenschaft, wie es die Designmethodenbewegung zeitweise vertrat, in vielerlei Hinsicht als veraltet und überholt gelten. Mit dem heutigen Wissensstand ist davon auszugehen, dass es in der wissenschaftlichen Praxis gleichermaßen konstruktive und entwerferische Momente gibt, wie sich auch das Entwerfen intensiv mit der Analyse von Bestehendem auseinandersetzt. In diesem Sinne ist das Entwerfen vielmehr als Prozess des Redesigns, also der kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung zu sehen statt als Prozess der radikalen Neuschöpfung. Nichtsdestoweniger haben sich viele Theorien des Designs in den letzten Jahrzehnten hartnäckig an den Idealen und Normen, aber auch den Mythen der wissenschaftlichen Wissensproduktion abgearbeitet. Auch spielt das Motiv des ›Neuen‹ dort bis heute eine wesentliche Rolle, um das Entwerfen als projektive, auf die Zukunft gerichtete Praxis zu charakterisieren und so von anderen Praktiken abzugrenzen. Klaus Krippendorff sieht die wohl wichtigste Aufgabe von Designschaffenden in der Hervorbringung von bislang ungeahnten gestalterischen Möglichkeiten (Krippendorff 2007: 71). Wolfgang Schäffner führt in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen ›Objekt‹ und ›Projekt‹ ein: »Das Projekt oder der Entwurf ist noch kein Objekt und es ist unklar, ob und welches es werden wird. Das ›projicere‹, projizieren, Projektil, Projekt sind auf die Zukunft orientiert. Ganz im Unterschied zum Gegen-Stand, dem ›objicere‹, dem Objekt als etwas Gegenwärtigem und Widerständigem.« (Schäffner 2013: 56) Nur selten jedoch wird in designtheoretischen Texten auch die Ambivalenz und Problematik aufgegriffen, die dem Motiv des ›Neuen‹ innewohnt. Denn Neuerungen entstehen in den wenigsten Fällen voraussetzungs- und bedingungslos. Sie sind vielmehr Resultat komplexer Dynamiken, die sich zwischen Tradition, sozial verankerter Konvention und deren Bruch, zwischen Intention und Serendipität, zwischen bewussten und impliziten Handlungsformen entspinnen.
Mit der um 1970 einsetzenden Kritik an der Designmethodologie löste sich die beschriebene polarisierende Sichtweise auf Design und Wissenschaft keineswegs auf, sondern entwickelte sich vielmehr zu einem bis heute persistenten Topos der Designtheorie und -forschung. So schlug der Designtheoretiker Nigel Cross in den 1980er Jahren vor, man möge endlich von simplifizierenden Vergleichen zwischen Design und Wissenschaft absehen, denn vermutlich müsse nicht das Design von der Wissenschaft lernen, sondern umgekehrt die Wissenschaft vom Design (Cross 2001: 51). Doch auch dieses etwas prätentiös anmutende Ansinnen lässt die Frage offen, wie sich Design und Wissenschaft zueinander verhalten (sollen) und welchen Ort Designtheorien innerhalb dieses Verhältnisses beanspruchen. Zu beobachten ist freilich, dass alle Bemühungen der letzten Jahrzehnte, Design als eigenständige akademische Disziplin zu etablieren, mit einer schier unauflöslichen Verstrickung zwischen den Bereichen Theorie und Praxis, zwischen wissenschaftlicher Disziplin und praktischer Aktivität einhergingen.
Parallel zu dem gängigen Begriff ›Designtheorie‹ zirkuliert eine verwirrende Vielzahl weiterer Begriffe, die auf den ersten Blick dasselbe Themenfeld zu benennen scheinen, aber durchaus andere Geltungen beanspruchen. So existieren im deutschsprachigen Raum auch die Begriffe ›Designforschung‹ und ›Designwissenschaft‹. Im anglophonen Sprachraum wird zusätzlich zwischen design science, science of design und design as a discipline unterschieden. Ohne im Detail auf die damit verbundenen Argumente und Differenzierungen eingehen zu können, soll hier wenigstens kurz eine Begriffsauslegung von Nigel Cross vorgestellt werden (Cross 2001). Als scientific design bezeichnet Cross zunächst einmal den historischen Umstand, dass die professionelle Designpraxis bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wissenschaftliches Wissen genutzt habe – zum Beispiel aus der Materialwissenschaft, dem Ingenieur- und Bauwesen oder der Verhaltenswissenschaft – und es auf diese Weise »sichtbar« gemacht habe (ebd.: 51f.). Der Begriff design science, der auf Buckminster Fuller zurückgeführt wird, ist im Deutschen am ehesten als ›Konstruktionswissenschaft‹ zu verstehen und wäre somit im Feld des Ingenieurwesens anzusiedeln (ebd.: 52). Cross resümiert, dass design science auf einen »explizit organisierten, rationalen und durchwegs systematischen Zugang verweist, in dem nicht nur wissenschaftliches Wissen über Artefakte verwendet wird, sondern das Entwerfen selbst in gewissem Sinne als wissenschaftliche Aktivität« gesehen wird (ebd.: 53). Der Ausdruck ›science of design‹ hingegen ist laut Cross als eine metatheoretische Reflexion über das Design zu verstehen, in der die Methoden, Konzepte und Kriterien von Design definiert und bestimmt werden sollen (ebd.). Eine Wissenschaft des Designs entspricht demnach in etwa dem Verhältnis von Wissenschaftstheorie zu Wissenschaft.
Als Erweiterung der genannten Begriffe, oder vielmehr als Gegenprogramm, schlägt Nigel Cross schließlich seinerseits vor, Design als eigenständige Disziplin, design as a discipline, aufzufassen, die ihr Wissen aus einer »reflektierten Praxis« (Donald Schön) gewinne und nicht per se wissenschaftlich sein müsse: »Design as a discipline, therefore, can mean design studied on its own terms, and within its own rigorous culture. It can mean a science of design based on the reflective practice of design: design as a discipline, but not design as a science« (ebd.: 54). Die einer solchen Disziplin zugrunde liegende Annahme lautet, dass es unabhängig von den unterschiedlichen Berufsfeldern Wissensformen gebe, die spezifisch für die Erkenntnisse und Fähigkeiten von Designern/Designerinnen seien (ebd.). Dazu gehören für Cross ein besonderes Wissen über die menschgemachte ›artifizielle Welt‹ und die Fähigkeit, diese Welt zu erweitern und zu verändern (ebd.). Für dieses designspezifische Wissen prägt Cross den etwas sperrigen Ausdruck designerly ways of knowing (Cross 2001, 2006).
Das bis hierhin diskutierte Verhältnis von Design und Wissenschaft und die damit verbundenen, bisweilen verwirrenden (Begriffs-)Debatten machen deutlich, dass sich Design nicht einfach in eine praktische und in eine wissenschaftlich-theoretische ›Seite‹ unterteilen lässt, sondern dass diese beiden Perspektiven im Selbstverständnis der Disziplin untrennbar miteinander verflochten sind. Die Auffassung, dass Design- und Entwurfsprozesse genuine Formen des Wissens ausbilden, ist heute sowohl in Theorien des Designs wie auch in der Designforschung geläufig – wobei sich auch diese beiden Bereiche unscharf überlappen. Die Designforschung sieht sich, im Kontrast zu Theorien des Designs, expliziter noch einer projektbasierten Arbeitsweise verpflichtet.9 Mit Bezeichnungen wie ›praxisbasierte‹ oder ›praxisgeleitete‹ Designforschung fordert sie zudem den Praxisbezug noch deutlicher ein. In diesem Sinne könnte die Designforschung gewissermaßen als konsequente, aber auch durchaus problematische Form einer zirkulären Designtheorie verstanden werden, deren Ausgangs- und Endpunkt in der Designpraxis liegt. Auch in jüngeren Texten zur Designforschung ist die Rede davon, Design als »autonome wissenschaftsanaloge«, »nicht wissenschaftliche/wissenschaftsbasierte« Disziplin zu verstehen (Jonas 2004: 32). Autoren/Autorinnen, die diese Sichtweise vertreten, sehen für die Untersuchung von Fragen der Designpraxis nicht vorrangig die Wissenschaften zuständig, sondern diese Praxis selbst – oder zumindest eine Designforschung, die eine so große Nähe zur Praxis aufweist, dass die Unterschiede zwischen den beiden Bereichen beinahe hinfällig werden.
Die skizzierten Charakteristiken und Befindlichkeiten von Designtheorien und -forschung machen die ganze Komplexität und Ambivalenz, aber auch das Potenzial und die Grundproblematik des Feldes sichtbar. Zum einen ermöglicht die ausgeprägte Orientierung an der Dimension der ›Praxis‹ eine durchaus auch für andere wissenschaftliche Disziplinen erwünschte Nähe zu konkreten gesellschaftlichen Fragestellungen und Problemen. Explizit an der Praxis ausgerichtete Designtheorien und -forschung machen es sich zur Aufgabe, ›reale‹ Bedürfnisse zu erkennen und der Theoriebildung einen konkreten Zweck und Nutzen zu geben. Sie zeigt sich in dieser Hinsicht als ein unverhohlen normatives und wertegeleitetes Unterfangen, als konsequenter, wenngleich schwieriger Versuch, Wissensproduktion im Zeitalter von Wissenschaftsskepsis und der Ökonomisierung von Wissen weiter zu betreiben.
Die geforderte Praxisnähe und der normative Anspruch, den sich Designtheorien und -forschung auf die Fahne schreiben, kann aber ebenso als ihr größter ›blinder Fleck‹ und ihre größte Schwachstelle gesehen werden. Durch die forcierte Verzahnung von Theorie und Praxis werden all diejenigen Fragen ausgeklammert oder ignoriert, die für die Praxis angeblich keinen Nutzen, Zweck oder Wert haben. Doch an wem ist es letzten Endes, über diese Frage zu entscheiden? Sind es nicht sehr unterschiedliche Perspektiven und Kriterien, die über den ›Nutzen‹ oder ›Wert‹ einer Theorie oder eines Wissens bestimmen – womöglich auch solche, die sich erst nach einer gewissen Zeit, im Nachhinein herausbilden? Fraglich ist auch, ob mit einem derart starken ›Praxiskorrektiv‹ nicht bloß der Status quo von Designpraxis unhinterfragt in Theorien des Designs weitergeführt wird und ob damit womöglich einseitige, marktwirtschaftliche Interessen der Designpraxis bedient werden. Schließlich fehlt durch den Praxisbezug vielfach auch jene Distanz und Objektivität, die es – ebenso wie die Nähe und subjektive Erfahrung – braucht, um eine theoretische, vor allem kritische und distanzierte Sichtweise auf Phänomene und Gegenstände zu entwickeln. Aus Sicht des Designtheoretikers Clive Dilnot leidet die Designtheorie nicht nur an einem »generellen Widerstand der Kultur«, die dem Design den Wert als eigenständige Disziplin und Wissenskultur abspricht, sondern auch »am Widerstand der Designpraktiker« selbst, die Design lediglich als das verstanden wissen wollen, »was Designer tun« (Dilnot 1989: 233).