Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Einige Meilen von der Stadt Southampton liegt ein altes Landhaus, das schon seit Jahrhunderten unter dem Namen Madeline-Hall bekannt und im Besitz der Familie de Versely ist. Es ist ein schönes Gebäude, das sich inmitten eines ziemlich großen, hübsch angelegten Parkes befindet und, was noch wichtiger, als Zugehör ungefähr zwölftausend Morgen Landes besitzt. Zur Zeit des Beginnes unserer Geschichte wohnte in genanntem Landhause eine ältliche Jungfrau von Stande, die ehrenwerthe Miß Delmar geheißen – eine Schwester des verstorbenen Lord de Versely und Tante des gegenwärtigen Grafen und eines ehrenwerthen Kapitän Delmar, welcher der zweite Sohn des hingeschiedenen Edelmanns war. Die Liegenschaften gehörten der ehrenwerthen Miß Delmar eigenthümlich an, so daß sie über dieselben für den Fall ihres Abscheidens nach Belieben verfügen konnte.

Der ehrenwerthe Kapitän Delmar befehligte in der Periode, von welcher ich spreche, eine Fregatte, die zu dem sogenannten Kanaldienst bestimmt war. Damit wollte nämlich in jenen Tagen gesagt werden, daß der Kapitän als Parlamentsmitglied im Unterhause saß und für das Ministerium gestimmt hatte; und um seines Votums versichert zu sein, sobald man dessen bedurfte, stach die Fregatte natürlich nie in die See, als etwa während der Parlamentsferien. Indeß muß man zugestehen, daß Seiner Majestät Schiff, der Paragon, doch hin und wieder unter Segel ging und zwei oder drei Tage im Angesichte des Landes hin- und herkreuzte, bis nämlich etwa der Proviantmeister berichtete, die für des Kapitäns Tafel bestimmte Milch sei sauer geworden. Auf eine solche wichtige Kunde hin mußte freilich das Steuer alsbald in Bewegung gesetzt werden, und die Fregatte pflegte in einem so außerordentlichen Nothfalle im nächsten Hafen unter ihrem Lee Anker zu werfen. Da nun der Paragon beständig zu Spithead lag, so machte Kapitän Delmar seiner Tante, die zu Madeline-Hall wohnte, sehr häufige Besuche, und böswillige Leute wollten wissen, es geschehe dieß aus keinem anderen Grunde, als weil die Dame ein so großes Vermögen besaß. Indeß ist doch so viel gewiß, daß der Kapitän oft wochenweise auf dem Landhause blieb, zur großen Freude seiner alten Tante, die ihren Neffen liebte, gewaltig viel auf Aufmerksamkeiten hielt und im Rufe stand, eine besondere Vorliebe gegen Seeleute zu hegen.

Es muß jedoch auch bemerkt werden, daß sich in dem Landhause noch eine andere Person befand, welche den Kapitän gleichfalls liebte, nicht minder große Stücke auf Aufmerksamkeiten hielt, und ebenfalls den Seeleuten nicht abgeneigt war, und diese war Miß Arabella Mason, ein sehr hübsches junges Frauenzimmer von achtzehn Jahren, das beständig in den Spiegel sah – blos um sich zu überzeugen, ob sie je ein Gesicht gesehen habe, das sie ihrem eigenen hätte vorziehen mögen – und nie eine Novelle las, ohne zu bemerken, daß zwischen der Heldin und ihrem hübschen Ich eine merkwürdige Aehnlichkeit stattfinde.

Miß Arabella Mason war die älteste Tochter des Hausmeisters bei dem alten Lord de Versely, dem Bruder der ehrenwerthen Miß Delmar; und besagter Bedienstete stand bei Seiner Herrlichkeit wegen seiner Treue und seinem Geschäftseifer, in dessen Ausübung er auch fiel (denn er wurde beim Holzfällen durch einen auf ihn stürzenden Baum erschlagen), gar hoch. Seine lebende Hinterlassenschaft bestand aus einer Wittwe und zwei Töchtern, und es geht die Sage, daß Mrs. Mason sich den Todesfall ihres Gatten nicht sehr zu Herzen nahm, da derselbe etwas gar zu vorsichtig mit seinen Ersparnissen umzugehen pflegte. Indeß bestätigte Mrs. Mason diese Angabe nicht, da sie im Gegentheil stets arm zu sein behauptete, und nach Lord de Versely's Tode, der bald nach dem seines Hausmeisters eintraf, schickte die ehrenwerthe Miß Delmar die beiden Töchter nach einer Landschule zweiten Ranges, wo denn natürlich auch junge Damen einen Unterricht zweiten Ranges erhielten. Mrs. Mason wurde oft von der ehrenwerthen Miß Delmar eingeladen, einen Monat nach Madeline-Hall auf Besuch zu kommen, bei welchen Gelegenheiten sie ihre älteste Tochter, die bereits von der Schule zurück war, mitzubringen pflegte. In der letzten Zeit mußte jedoch die Tochter für beständig auf dem Landhause bleiben, und die Einladungen an Mrs. Mason wurden jetzt seltener erlassen. Der Leser fragt vielleicht, in welcher Eigenschaft sich Miß Arabella in der Halle aufhielt? Sie war kein Dienstbote, da ihre Stellung im Leben sie über das Loos dienstbarer Abhängigkeit erhob, hatte aber eben so wenig Zutritt zu dem Salon, da sie denn doch zu niedrig war, um sich unter den Adel und die Gentry zu mischen. Sie stand daher mitten inne als eine Art bescheidener Gesellschafterin in dem Besuchszimmer, etwas höher als die Haushälterin in dem Ruhezimmer, eine bereitwillige Vollstreckerin der Wünsche, welche die ehrenwerthe Jungfrau äußerte, und ein Mittelglied zwischen der hochadeligen alten Dame und ihrer männlichen Dienerschaft, gegen welche dieselbe eine Art jungfräulichen Widerwillens zu hegen schien. Wie angenehm übrigens auch diese Stellung der Gebieterin sein mochte, so muß doch zugestanden werden, daß sie eine höchst unglückliche war für ein junges, gedankenloses und sehr hübsches Mädchen, das noch obendrein bei seiner natürlichen Lebhaftigkeit eine große Freundin von Widerspruch war und es ungemein gern hatte, wenn sie bewundert wurde.

Da der ehrenwerthe Kapitän Delmar sehr häufig bei seiner Tante zu Besuch war, so fügte sich's ganz natürlich, daß er auch der Gesellschafterin einige Aufmerksamkeit schenkte. Die Vertraulichkeit nahm mit der Zeit zu, und endlich ging in der Bedientenhalle das Gerede, man habe den Kapitän und Miß Bella Mason mit einander in dem Fichtenhölzchen spazieren gehen sehen. Die üble Nachrede nahm zu, je öfter der Kapitän in dem Landhause einsprach, und die Leute wurden immer lästersüchtiger. Man hatte gesehen, daß Miß Bella oft weinte, und der alte Kellner, nebst der noch älteren Haushälterin, schüttelten wie responirende Mandarinen ihre Köpfe gegen einander. Das alte gnädige Fräulein war die einzige Person, welcher das gegebene Aergerniß verborgen blieb.

Ich muß jetzt noch einen weiteren Schauspieler aufführen. Der ehrenwerthe Kapitän Delmar reiste natürlich nicht ohne seinen Kammerdiener, und diese wichtige Person war aus dem Marinecorps auf der Fregatte gewählt worden. Benjamin Keene, denn so hieß er, war allerdings mit mehreren Eigenschaften ausgestattet, die für einen Kammerdiener unerläßlich sind: er war nämlich sehr reinlich, sehr respektsvoll in seinem Benehmen, und betrachtete, nach dem König von Großbritannien, den ehrenwerthen Kapitän Delmar als den größten Mann auf der Welt. Außerdem war Benjamin Keene, obgleich nur ein gemeiner Seesoldat, ohne Frage einer der schönsten Männer, die man je gesehen hat, und da hiemit sein ganzer Körperbau und seine militärische Haltung im Einklange stand, so konnte es nicht fehlen, daß er der Gegenstand der Bewunderung für alle junge Frauenzimmer wurde. Indessen hatte es der Mutter Natur, welche sich hin und wieder in scurilen Gegensätzen gefällt, beliebt, ihn fast ohne Hirn zu lassen; auch entbehrte er aller Erziehung, denn da er zu dumm war, Etwas zu lernen, so reichten seine Fähigkeiten eben hin, sich das militärische Exercitium einbläuen zu lassen und mechanisch die Obliegenheiten eines Kammerdieners zu erfüllen.

Ben begleitete seinen Gebieter jedesmal nach der Halle, wo er der ganzen Dienerschaft zu gleicher Zeit einen Gegenstand der Bewunderung und des Gelächters abgab. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die lebhafte Miß Arabella Mason, Ben als weit unter sich stehend betrachtete – das heißt, sie hielt es so bei dessen erster Ankunft zu Madeline-Hall. – Sonderbarer Weise war aber zwei Jahre später – nämlich um dieselbige Zeit, als man sich mit dem Gerüchte trug, daß sie häufig in Thränen entdeckt worden – eine gewaltige Umwandlung in ihrem Benehmen gegen den Kammerdiener vorgefallen. In der That wollten auch einige Leute wissen, daß sie es auf den schönen Seesoldaten abgesehen habe, und obschon dieser Gedanke von der Mehrzahl verlacht wurde, so machte doch die Vertraulichkeit der Beiden rasche Fortschritte. Leute, welche Alles auffinden, wenn es einmal stattgefunden hat, behaupteten nachher, Ben würde es nie gewagt haben, nach einer so ungleichen Mariage zu streben, wenn er nicht durch seinen Gebieter dazu gespornt worden wäre, welcher ihm den Vorschlag machte, das Mädchen zu heirathen. Dieses war allerdings der Fall gewesen, obgleich Niemand davon wissen konnte, und Ben, der die Wünsche seines Kapitäns als Befehle betrachtete, richtete sich und langte zum Zeichen seines Gehorsams mit der Hand an die Mütze, sobald er begriffen hatte, was sein Kapitän eigentlich von ihm verlangte. Bald nachher kam Kapitän Delmar wieder nach Madeline-Hall, wie gewöhnlich von Ben begleitet, und am zweiten Tage nach ihrer Ankunft erfuhren Alle, die sich darum kümmerten, daß Miß Arabella Mason ein heimliches Ehebündniß mit dem schönen Benjamin Keene eingegangen habe.

Natürlich war die ehrenwerthe Miß Delmar die letzte Person, welcher diese interessante Nachricht mitgetheilt wurde, und ihr Neffe nahm es auf sich, sie davon in Kenntniß zu setzen. Anfangs wallte natürlich das gnädige Fräulein in hoher Entrüstung auf und wunderte sich über die Unzartheit des Mädchens, noch mehr aber darüber, daß sie sich so weit erniedrigt habe, einen gemeinen Seesoldaten zu heirathen. Kapitän Delmar versetzte, es sei allerdings wahr, daß Ben nur ein Gemeiner sei, aber Jeder, der den Namen eines Soldaten trage, sei schon um seines Standes willen ein Gentleman. Bella Mason hätte vielleicht eine bessere Wahl treffen können; sie sei indeß die Dienerin seiner Tante und Keene sein Kammerdiener, weßhalb denn eben die Ungleichheit nicht so gar groß genannt werden könne. Er bemerkte dann, daß er lange die zunehmende Neigung beobachtet hatte, sprach über die Gefahr, wenn junge Leute so viel allein mit einander seien, ließ einen Wink von »Gelegenheiten« fallen, und hielt schließlich eine Rede über Moral und Anstand. Die ehrenwerthe Miß Delmar ließ sich durch das gewandte Raisonnement ihres Neffen beschwichtigen, war ganz entzückt, so viel Tugend an einem Seemann zu finden, und ließ dann, nachdem man sich eine Stunde besprochen, das junge Ehepaar rufen, welchem sie gnädigen Pardon ertheilte und Mrs. Keene, nachdem sie ihr eine sehr langweilige Vorlesung gehalten, ein sehr hübsches Hochzeitgeschenk machte. Wenn sich übrigens auch Mrs. Keene's Gebieterin zufrieden gab, so war doch dieß nicht bei deren Mutter der Fall. Sobald die alte Mrs. Mason Kunde von dem Vorgange erhalten hatte, machte sie sich nach Madeline-Hall auf den Weg. Zuerst nahm sie ihre Tochter bei verschlossenen Thüren vor und hielt dann eine ähnliche Zwiesprache mit Kapitän Delmar, nach welcher sie alsbald wieder abreiste, ohne der Dame des Hauses ihre Ehrfurcht zu bezeugen oder mit dem Dienstpersonale eine Sylbe zu wechseln. Dieses Benehmen gab Anlaß zu unterschiedlichen Vermuthungen. – Die Einen schrieben es dem Aerger über die unkluge Mariage ihrer Tochter zu, während Andere bedeutungsvolle Winke wechselten.

Drei Wochen nach vorgenannter Heirath wurde das Parlament vertagt, weßhalb der Admiral des Hafens Anlaß nehmen zu dürfen glaubte, die Fregatte auf einen Kreuzzug auszuschicken. Ben Keene begleitete natürlich seinen Gebieter, und es stand drei Monate an, bis die Fregatte wieder in den Hafen zurückkehrte. Wie gewöhnlich machte der ehrenwerthe Kapitän Delmar, sobald er sich dem Admiral vorgestellt, in Begleitung seines glücklichen Kammerdieners, einen Besuch bei seiner Tante. Bei seiner Ankunft fand er jedoch, daß Alles in große Verwirrung gerathen zu sein schien, und in der That mußte auch Etwas vorgefallen sein, was das ganze Hauswesen in große Aufregung gebracht hatte. Der Kellermeister machte eine tiefe Verbeugung vor dem Kapitän und die Lakaien vergaßen bei seinem Aussteigen ihr gewöhnliches Schmunzeln. Kapitän Delmar wurde unter feierlichem Schweigen nach dem Besuchzimmer geführt, und seine Tante, der seine Ankunft gemeldet worden, empfing ihn mit der steifen, gezierten Miene einer ungewohnten Kälte, indem sie ihre Arme vor der weißen Mousselinschürze kreuzte.

»Was ist vorgefallen, meine theure Tante?« fragte Kapitän Delmar, als sie kalt die dargebotene Hand entgegen nahm.

»Weiter nichts, Neffe«, versetzte die edle Dame, »als daß die Hochzeit deines Seesoldaten und der Bella Mason um sechs Monate früher hätte stattfinden sollen. Es ist eine gottlose Welt, Neffe, und ich fürchte, die Seeleute sind –«

»Seesoldaten, wollen Sie in dem gegenwärtigen Falle sagen, meine theure Tante,« entgegnete Kapitän Delmar mit Nachdruck. »Ich muß zwar gestehen, daß weder Matrosen noch Schiffssoldaten ganz so sind, wie sie sein sollten; indeß hat Ben sie geheirathet. Na, liebe Tante, erlauben Sie mir, das Wort für das Pärchen zu nehmen, obgleich es mich ungemein betrübt, daß etwas der Art in Ihrem Hause stattgefunden hat. Ich glaube,« fügte er nach einer Pause bei, »ich will dem Keene, sobald ich an Bord zurückkehre, für seine Anmaßung sieben Dutzend am Gange aufzählen lassen.«

»Das wird nichts an der Sache ändern, Neffe,« erwiederte Miß Delmar. »Die Person muß mir aus dem Hause, sobald sie fortgeschafft werden kann.«

»Und ich will den Kerl peitschen lassen, sobald ich ihn an Bord habe,« versetzte der Kapitän. »Meine Schuld ist's nicht, daß Ihre Gefühle in dieser Weise verletzt und gekränkt wurden durch eine Ungebührlichkeit von Seite meiner Dienerschaft – schmählich – schändlich – abscheulich – unverzeihlich!« rief der Kapitän, indem er, wie auf seinem Halbdecke, im Zimmer aus und ab schritt.

Die ehrenwerthe Miß Delmar fuhr wohl eine Stunde zu sprechen fort, während der ehrenwerthe Kapitän zu Allem, was sie sagte, seine Zustimmung gab. Läßt man Leute ihrer Entrüstung Luft machen, ohne daß man ihnen auch nur im Mindesten widerspricht, so schwatzen sie dieselbe bald weg, und ein Gleiches war auch bei der ehrenwerthen Miß Delmar der Fall. Als die Jungfrau die erste Kunde erhielt, daß Bella Keene glücklich von einem hübschen Knaben entbunden worden sei, wandte sie sich, ganz entsetzt über diese Kränkung, ab, und als ihr Mädchen zu bemerken wagte, daß es ein liebenswürdiges Bübchen sei, befahl sie demselben, das Maul zu halten. Sie wollte die Wöchnerin nicht sehen, und dem schrecklichen Seesoldaten wurde befohlen, in der Küche zu bleiben, damit sie nicht durch seinen Anblick, wenn er ihr etwa auf der Treppe begegnete, befleckt werde. Ihr Unwille milderte sich jedoch mit jedem Tage mehr und mehr, und ehe zwei Wochen vorüber waren, hatte die ehrenwerthe Miß Delmar den Säugling nicht nur gesehen, sondern sogar bewundert. Endlich entschloß sie sich auch, die Mutter zu besuchen, welche sich jetzt hinreichend erholt hatte, um eine ungefähr zwei Stunden lange Vorlesung mit anzuhören, worin sich das gnädige Fräulein ein Langes und Breites über ihre Unzartheit, Unklugheit, Unüberlegtheit, Unsittlichkeit, Unenthaltsamkeit und Unanständigkeit ausließ, und dabei bemerkte, daß ihr Betragen ganz unentschuldigbar, unverschämt und wahrhaft ungeheuer sei.

Nachdem die ehrenwerthe Miß Delmar ihre lange Liste von Un's abgehandelt hatte, hörte sie endlich auf, weil sie außer Athem war. Bella, welche ein sehr gescheidtes Weibchen war und das gnädige Fräulein geduldig ausreden ließ, ehe sie antwortete, erklärte sodann unter vielen Thränen, sie wisse wohl, daß ihr Benehmen unentschuldigbar sei, indeß sei ihr Fehler unbeabsichtigt gewesen, und ihr Schmerz sei unaussprechlich; sie könne sich mit Nichts als mit ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit entschuldigen; das Unglück, das Mißfallen ihrer Gebieterin auf sich gezogen zu haben, müsse und werde unvermeidlich ihren Schmerz noch vermehren; sie gebe aber die Versicherung, daß sie nicht unverbesserlich sei, und wenn nur ihre Gebieterin nicht unbeweglich bleibe, sondern ihr Verzeihung schenke, so hoffe sie, daß der Himmel unausbleiblich ihr Lohn sein werde; sie selbst aber wolle nie wieder durch eine solche Ungebühr den Zorn ihrer Gebieterin auf sich laden.

Durch diese Versicherung befriedigt, wurde die ehrenwerthe Miß Delmar weicher und verzieh nicht nur, sondern nahm auch das Kind auf ihren Schooß, damit Bella in der Bibel lesen konnte, welche sie ihr mitgebracht hatte. Leser, das Kind, welchem diese große Ehre zu Theil wurde, und das wirklich in dem makellosen Schooße, auf der makellosen und schneeweißen Schürze der makellosen, ehrenwerthen Miß Delmar ruhte, war keine andere Person, als der Erzähler – oder wenn du lieber willst, der Held dieser Geschichte.

Daß meine Mutter in so weit die Sachen recht hübsch beigelegt hatte, muß zugestanden werden; indeß ist vorauszusetzen, daß ihr Gatte von einem so ungewöhnlichen Ereigniß nicht sonderlich erbaut war, wie es denn überhaupt in der Bedientenhalle nicht an Winken und Stichelreden fehlte. Es hat jedoch den Anschein, daß kurz nach meinem ersten Auftreten eine Unterredung zwischen Ben und dem Kapitän Delmar stattfand, von welcher allerdings nichts ruchbar wurde, obgleich so viel gewiß ist, daß der Seesoldat, als er nach Abhaltung derselben in die Küche zurückkehrte, einen der Reitknechte, welcher sich unterfing, ihn zu necken, so tüchtig abdrosch, daß damit allen weiteren Scherzen ein Ziel gesteckt wurde. Da Ben die Sache so ernstlich genommen hatte, so kam man auf die Vermuthung, daß, wenn von einer Anticipation des Ehestandes die Rede sein könne, wohl er selbst der voreilige Theil gewesen, und daß er jetzt entschlossen sei, jede ungebührliche Bemerkung über sein Benehmen zu ahnden. Jedenfalls fand man die Frage jetzt weniger interessant, da der Anstoß von geringerer Bedeutsamkeit erschien, und sobald man einmal wußte, Ben sei bereit, jede Stichelei mit seinen Fäusten heimzusuchen, wurde wenigstens in seiner Gegenwart nicht mehr von der Sache gesprochen.

Als ich im Laufe der Zeit getauft wurde, stand meine Mutter wieder so hoch in Gnaden bei ihrer Gebieterin, daß die ehrenwerthe Miß Delmar (Kapitän Delmar hatte sich freiwillig erboten, mein Pathe zu werden) gleichfalls sich herabließ, die nöthige weibliche Bürgschaft zu leisten. Auf die besondere Bitte meiner Mutter hatte der Kapitän nichts dagegen, daß ich seinen eigenen Taufnamen tragen sollte, weßhalb ich gebührendermaßen als Percival Keene in die Kirchenbücher eingetragen wurde.

Zweites Kapitel

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Es gibt nichts Beständiges auf der Welt. Das Parlament löste sich auf, und bei der folgenden Wahl hielten es die Wähler des ehrenwerthen Kapitän Delmar (nicht ganz zufrieden über die gänzliche Gleichgültigkeit, welche er für ihre Interessen gezeigt hatte) für passend, an seine Stelle ein anderes Mitglied zu wählen, das, wie auch Kapitän Delmar früher gethan hatte, Alles versprach, um wahrscheinlich später dem Beispiel des ehrenwerthen Kapitäns zu folgen – nämlich nichts zu thun. Seinem Durchfallen bei der Wahl folgte auch der Verlust seines Schiffes, denn Seiner Majestät Gouvernement erachtete es nicht für nöthig, daß Kapitän Delmar (nun er Muße hatte, seinen Berufsobliegenheiten nachzukommen) sein Kommando beibehalten sollte. Die Fregatte wurde daher abgelohnt und mit einem andern Kapitän besetzt, der Federn im Parlament hatte.

Da Ben Keene zu dem Marinekorps gehörte, so konnte er natürlich nicht als Kammerdiener bei Kapitän Delmar bleiben, sondern mußte mit der übrigen Abtheilung die Kaserne zu Chatam beziehen, meine Mutter war zwar fest entschlossen, nicht in der Kaserne zu leben, nahm es übrigens doch nicht schwer zu Herzen, die Halle zu verlassen, wo es ihr unmöglich entgehen konnte, daß sie wegen ihres unklugen Betragens nicht länger mit der Achtung und Herzlichkeit behandelt wurde, an die sie sonst gewohnt gewesen. Sie sehnte sich sogar von einem Orte weg, wo ihr Fehltritt so wohl bekannt war. Kapitän Delmar ertheilte ihr einen Rath, der ganz mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmte, und verließ die Halle, nachdem er ihr ein sehr freigebiges Geschenk gemacht hatte, um sie in den Stand zu setzen, eine eigene Haushaltung anzufangen. Als die Räder seines Wagens über den Kiesweg hinrasselten, kehrte sie nach ihrem Zimmer zurück, wo sie viele bittere Thränen über ihrem nichts ahnenden Kindlein vergoß.

Den folgenden Tag wurde sie vor die ehrenwerthe Miß Delmar beschieden, die, wie gewöhnlich, mit einer langweiligen Lektion anfing und mit einem hübschen Geschenke schloß. Tags darauf packte meine Mutter ihre Koffer, nahm mich auf ihre Arme und brach nach Chatam auf, wo wir wohlbehalten anlangten und alsbald eine möblirte Wohnung bezogen. Meine Mutter war eine kluge, thätige Frau, und die Geschenke, welche sie zu verschiedenen Zeiten erhalten, hatten sich zu einer hübschen Geldsumme angehäuft, an die ihr Gatte nie Ansprüche geltend zu machen wagte.

In der That muß ich Ben Keene die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er die Tugend der Demuth besaß. Er fühlte, daß seine Frau ihm in jeder Weise überlegen war, und daß er das Glück, sie heimzuführen, nur der Verkettung besonderer Umstände zu danken hatte. Er unterwarf sich daher in allen Dingen, pflichtete jedem von ihr ausgehenden Vorschlag bei, und ließ sich ganz durch ihre Ansicht leiten. Demgemäß hatte er durchaus nichts einzuwenden, obgleich ihm die Maßregel in Wirklichkeit wie eine ächte und gerechte Trennung a mensa et toro vorkam, als sie ihm nach ihrer Ankunft in Chatham begreiflich machte, wie durchaus unmöglich es für eine Frau von ihrer Erziehung sei, mit den Weibern in der Kaserne Gemeinschaft zu machen, und daß sie es für räthlich halte, irgend ein Geschäft anzufangen, durch das sie sich einen anständigen Unterhalt erwerben könne. Also mit der Einwilligung eines Gatten versehen, der so an ihr hinaufblickte, daß er ihre Ansichten für infallibel hielt, entschloß sich meine Mutter nach reiflicher Erwägung, ihr Kapital auf Errichtung einer Leihbibliothek und eines Schreibmaterialienkrams zu verwenden; denn, raisonnirte sie, Papier, Federn und Siegelwachs seien ein Handelszweig, der ihr Kunden aus der bessern Klasse sichern würde. Sie miethete daher ein Haus neben der Kaserne, in welchem sich unten ein sehr geräumiger Laden befand. Diesen malte und tapezirte sie hübsch heraus, richtete ihn geschmackvoll ein, und obgleich die Kosten und die Miethe des ersten Jahres einen beträchtlichen Theil ihrer Ersparnisse aufzehrten, so stellte sich doch bald heraus, daß sie nicht übel speculirt hatte, denn ihr Laden wurde eine Art Herberge für die Offiziere, welche sich mit dem schmucken und lebhaften Weibchen um so lieber unterhielten, da sie nicht leicht Jemanden eine Rede schuldig blieb – ein Talent, das die Männer an hübschen Frauen gerne sehen.

In kurzer Zeit machte meine Mutter eigentlich Furore, und Niemand konnte begreifen, wie ein so hübsches und elegantes Frauenzimmer einen gemeinen Seesoldaten hatte heirathen können. Indeß schrieb man die Schuld auf die Figur ihres sehr hübschen Gatten, und man war allgemein der Ansicht, daß sie sich in einem Augenblick der Bethörung von ihrem Herzen hatte hinreißen lassen.

Die Damen abonnirten fleißig auf ihre Bibliothek, und Offiziere wie auch andere Männer von Stande, kauften ihr Schreibmaterialien ab. Dann legte meine Mutter ihrem bisherigen Waarenlager auch Handschuhe, Parfümerien, Spazierstöcke und zuletzt auch Cigarren bei, und ehe sie noch ihr Geschäft ein Jahr betrieben, fand sie, daß sie ein hübsches Stück Geld dabei verdiente, und ihre Kundschaft mit jedem Tag zunahm. Meine Mutter hatte viel Takt, denn gegen die Männer benahm sie sich voll Heiterkeit und Laune, wodurch sie sehr beliebt wurde, während sie ihrem eigenen Geschlechte gegenüber das gerade Widerspiel war. Sie beobachtete gegen das letztere ein bescheidenes, ehrerbietiges Wesen, mit einer Vertraulichkeit gemengt, die nie anstößig wurde, und genoß daher auch von dieser Seite einer gleichen Popularität, so daß sie in jedem Sinne des Wortes ein glückliches Auskommen hatte. Wäre ihr Gatte auch nur im Mindesten geneigt gewesen, seine Rechte geltend zu machen, so würde ihre dermalige Lage zugereicht haben, ihn im Stande der Unterwürfigkeit zu erhalten! Sie hatte sich ohne irgend eine Beihülfe weit über ihn emporgeschwungen; er sah sie ohne Unterlaß mit seinen eigenen Offizieren, vor denen er Honneurs machen mußte, wenn sie in seine Nähe kamen, lachen und plaudern; er durfte es nicht wagen, seine Frau anzureden oder auch nur in den Laden zu kommen, wenn seine Offiziere darin waren, da dieß als Achtungswidrigkeit erschienen wäre; und da er nicht außer der Kaserne schlafen durfte, so beschränkte sich sein einziger Verkehr mit ihr darauf, daß er hin und wieder durch den Hof in's Haus schlich, um eine bessere Kost zu finden, als in seiner Menage zu haben war, oder bisweilen einen Schilling von ihr zu erhalten, den er in Bier vertrinken durfte. Der Seesoldat Ben fand endlich, wie so mancher Andere, daß ihm seine Gattin ganz über den Kopf gewachsen, und daß er selbst nicht weiter war, als ein Mensch, der von ihrer Güte abhing, ein Sklave ihrer Wünsche, und ein Vollstrecker ihrer Befehle. Auch fügte er sich ganz ruhig in dieses Schicksal, wie es vor ihm schon bessere Männer gethan haben.

Drittes Kapitel

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Ich denke, der Leser wird mit mir der Ansicht sein, daß meine Mutter in ihrem Benehmen eine große Charakterstärke zeigte. Sie hatte sich genöthigt gesehen, einen Mann zu ehelichen, den sie verachtete, und dem sie sich in jeder Hinsicht überlegen fühlte – sie hatte es gethan, um ihren Ruf zu retten. Allerdings war der Schritt, den sie eingeschlagen, nicht der beste, aber ihre Stellung und die Verhältnisse hatten sich gegen sie verschworen; und als sie den Stolz und die Selbstsucht des Mannes, den sie geliebt und dem sie so viel geopfert, erkannte – als ihr Ohr verwundet wurde, durch den Vorschlag von seinen Lippen, daß sie einen solchen Schritt thun müsse, um das aus ihrem Verhältniß erwachsene Aergerniß zu vermeiden – als in demselben Augenblicke auch der Schleier fiel, der das selbstsüchtige Herz des Mannes verhüllt hatte – kann man sich da wundern, wenn sie mit bitteren Thränen – den Thränen gekränkter Liebe, des Zornes und der Verzweiflung über ihre hoffnungslose Lage – einwilligte? Was kümmerte sie sich um die Zukunft, nachdem sie Alles verloren hatte, was ihr theuer war? Es war nur noch ein weiteres Opfer, ein weiterer Beweis ihrer Ergebung und ihres Gehorsams zu bringen. Indeß gibt es wohl wenige Weiber, die ihre Stellung wieder in einer Ausdehnung zu gewinnen wissen, als dieß bei meiner Mutter der Fall war. Hätte sie nicht so viel Entschlossenheit gezeigt, hätte sie sich darein gefügt, ihrem Gatten nach der Kaserne zu folgen und sich unter die übrigen Soldatenweiber zu mischen, so wäre sie allmälig zu diesen herabgesunken – und ein solches Loos über sich ergehen zu lassen, war ihr unmöglich. Sobald sie sich dieses Joches entledigt hatte, sank ihr Mann alsbald in demselben Grade, als sie sich zu einer Stellung erhob, in welcher sie sich jedenfalls gegen Kränkung und üble Behandlung sicherstellen konnte, wenn sie auch schon im Ganzen weiter nichts als Schutz und Höflichkeit gewann.

So standen die Dinge, als ich – ein fröhlich aussehender, lachender Knirps, gehätschelt von den Offizieren und so voll Bosheit, wie ein Baum von Affen – das bedeutsame Alter von sechs Jahren erreichte. Das Geschäft meiner Mutter hatte sich so sehr erweitert, daß sie es ungefähr ein Jahr früher für nöthig gefunden, einen Beistand einzuthun, weßhalb sie sich entschlossen hatte, ihre Schwester Amelia zu sich kommen zu lassen. Hiezu war jedoch die Einwilligung der Mutter nöthig. Die alte Mrs. Mason hatte ihre Tochter seit der Unterredung, welche kurz nach ihrer Verheirathung mit dem Seesoldaten Ben zu Madeline-Hall vorfiel, nicht mehr gesehen, wohl aber in der letzten Zeit mit derselben correspondirt; denn meine Mutter, welche zu stolz war, um ihre Mutter aufzusuchen, so lange sie weiter nichts war, als das Weib eines gemeinen Seesoldaten, hatte erst jetzt aus ihren blühenden Verhältnissen Anlaß genommen, den Oelzweig darzubieten, der denn auch von meiner Großmutter angenommen wurde, sobald dieselbe die Ueberzeugung gewonnen, daß der Wirklichkeit nach eine Trennung der Tochter von dem Gatten stattfinde. Da meine Großmutter das abgelegene Haus, worin sie wohnten, etwas einsam fand, und Amelia die Erklärung abgab, sie langweile sich hier noch zu Tode, so kam man zuletzt überein, daß Großmutter und Tante ihre Wohnung bei meiner Mutter aufschlagen sollten, was sie denn auch mit der Zeit in Vollzug setzten. Milly, wie meine Tante gewöhnlich genannt wurde, war drei Jahre jünger, als meine Mutter, sehr hübsch und so lebhaft, wie ihre Schwester, vielleicht ein wenig gesetzter in ihrem Aeußeren, aber doch hinsichtlich ihres Charakters weit schalkhafter. Meine Großmutter war eine sehr große, alte Frau von sehr achtbarem Aussehen, dabei aber widerwärtig und hämisch. Ich brauche nicht zu sagen, daß Miß Amelia die Anziehungskräfte der Leihbibliothek nicht minderte, sondern daß dieselbe im Gegentheil nach ihrer Ankunft von den Offizieren noch mehr benützt wurde, als zuvor.

Meine Tante Milly gewann mich sehr bald so lieb, als ich kleine Teufeleien liebte, denn in letzterer Hinsicht war ich ein eigentlicher Teufelsrange. Auch ich liebte sie bald mehr, als meine Mutter, denn sie leistete mir in allen meinen Tücken Vorschub. Meine Mutter machte mir immer ein ernstes Gesicht, und schmählte mich sogar hin und wieder, während die Großmutter unablässig mit mir keifte und mir wohl auch hart mit Schlägen zusetzte. Doch weder Verweis noch Züchtigung von beiden Letzteren waren bei mir angelegt, und wenn Milly irgend einen Possen zu spielen wünschte, den sie selbst nicht auszuführen wagte, so benützte sie mich als ihren Agenten. Die ganze Ehre ihrer Erfindungen, und ich darf wohl beifügen, auch die ganze Schande und Strafe dafür, kam daher in der Regel auf meine Rechnung, wodurch ich mich übrigens wenig anfechten ließ, denn die Liebkosungen, die Kuchen und Zuckerpflaumen der Tante, nebst meinem natürlichen Hang, hielten mich mehr als schadlos für die gelegentlichen strengen Verweise meiner Mutter und die rächenden Streiche, die ich von den langen Fingern meiner würdigen Großmutter erhielt. Außerdem gaben sich auch die Offiziere mit mir ab, und man konnte mich mit Fug ein geistig sehr entwickeltes Kind nennen, obgleich ich mich entschieden weigerte, das ABC zu lernen. Mein Hauptgönner war ein gewisser Kapitän Bridgeman, ein sehr schmächtiger, zierlich gebauter Offizier, der tausend Kunststücke wußte, und zu diesem ging ich hin und wieder, um mit ihm zu diniren, Toaste zu trinken und, auf dem Tische stehend, etliche Schelmenliedchen zu singen, die er mich gelehrt hatte. Bisweilen kam ich vom Zechen etwas lustig nach Hause, worüber sich meine Mutter sehr bekümmerte und die alte Großmutter durch ihre Brille die Zimmerdecke ansehend, die Hände erhob, während Tante Milly ebenso erfreut war, als ich selber. Ehe ich noch acht Jahre zählte, hatte ich mir einen solchen Ruf erworben, daß man jeden Schwank, der in der Stadt gespielt wurde, jeden unentdeckten Possen unabänderlich mir zur Last legte, und meine Mutter wurde vielfach wegen Ersatzes für zerbrochene Fenster und andere Beschädigungen überlaufen – freilich nur zu oft mit gutem Grunde, aber nicht selten auch, wenn ich völlig unschuldig war. Ich galt am Ende als eine allgemeine Stadtplage, und alle Welt, mit Ausnahme meiner Mutter und der Tante Milly, erklärte, es sei hohe Zeit, daß ich in eine Schule komme.

Eines Abends war die ganze Familie in der hintern Wohnstube beim Thee versammelt. Ich saß eben ganz ruhig und gesetzt in einer Ecke – ein sicheres Zeichen, daß ich eben über Unheil brütete, was sich denn auch richtig so verhielt, denn ich mischte eben etwas gemaustes Schießpulver in die Schnupftabaksdose meiner Großmutter, nur damit sie, wie man zur See sagt, »Pulver riechen« möchte, ohne jedoch an Leib und Leben Schaden zu nehmen – als die alte Frau meine Mutter folgendermaßen anredete:

»Bella, soll denn dieser Junge nie die Schule besuchen? Es wird sein Verderben sein.«

»Was wird sein Verderben sein, Mutter?« versetzte Tante Milly; »der Schulbesuch?«

»Schweig' mir mit deinem Unsinn, Kind! Du bist eben so schlimm, als der Knabe,« entgegnete die Großmutter. »Knaben gerathen durch Erziehung nie in's Verderben; nur bei Mädchen ist dieß bisweilen der Fall.« Ob meine Mutter glauben mochte, diese Andeutung beziehe sich auf einen Theil ihres eigenen Lebens, kann ich nicht sagen, denn ich weiß nur, daß sie sehr spitzig erwiederte:

»Meine Erziehung bringt Ihnen keinen Schaden, Mutter, da Sie ohne dieselbe nicht hier sitzen würden.«

»Sehr wahr, Kind,« versetzte die Großmutter; »aber bedenke doch, einen Seesoldaten – einen gemeinen Seesoldaten zu heirathen, Bella, während deine Schwester den Offizieren nachsieht. Ja,« fuhr die alte Frau fort, indem sie ihr Strickzeug niederlegte und ihre Tochter anblickte, »und wahrscheinlich wird sie auch einen kriegen, wenn sie ihre Karten gut zu spielen weiß – der Lieutenant Flat ist ja ohne Unterlaß im Laden.«

Da mir die Großmutter in diesem Augenblick Gelegenheit gab, ihr die Dose wieder zuzustecken, so ermangelte ich nicht, davon Vortheil zu ziehen. Auch bemerkte ich, daß ihre Stricknadel auf den Boden gefallen war; ich steckte sie daher hinten in den Saum ihres Kleides, so daß sie derselben nie ansichtig werden konnte, mochte sie sich auch drehen, wohin sie immer wollte.

»Mr. Flat ist, wie ich höre, von sehr achtbarer Familie,« fuhr meine Großmutter fort.

»Aber ein großer Narr,« unterbrach sie meine Mutter. »Ich hoffe, Milly wird ihn nicht anhören.«

»Er ist ein Offizier,« versetzte die Großmutter, »kein Gemeiner.«

»Gut, Mutter; aber mein Gemeiner ist mir immer noch lieber, denn er muß mir thun, wie ich will. Wenn er ein Gemeiner ist, so bin ich der kommandirende Offizier, und gedenke es zu bleiben, so lange ich lebe.«

»Nun, nun, Bella, schweigen wir von der alten Geschichte; aber der Knabe muß in die Schule gehen. Herr Je, ich habe meine Nadel fallen lassen.«

Meine Großmutter stand auf, drehte sich um und um, und suchte nach ihrer Stricknadel, die sie sonderbarer Weise nicht finden konnte. Sie öffnete daher ihre Tabaksdose und nahm eine Prise, um ihre Sehwerkzeuge zu klären. »Herr Je! Ei, was ist denn mit meinem Schnupftabak vorgegangen, – und wo kann die Nadel sein? Kind, komm' und suche sie; stecke nicht immer dort in jener Ecke.«

Ich hielt es für passend, der Aufforderung zu gehorchen, und that, als suchte ich ungemein fleißig. Als ich Tante Milly's Auge begegnete, deutete ich auf die Stricknadel, welche hinten in der Großmutter Kleidersaum stak, und rutschte dann auf den Knieen weiter, während meine Tante ihr Tuch vor den Mund hielt, um ein Lächeln zu ersticken.

Nach einer Weile klopfte Ben, der Seesoldat, zuerst sachte an, öffnete dann die Thüre und kam herein; denn zu so später Stunde waren die Offiziere bei ihrem Diner und der Laden leer.

»Da sind drei Bücherpackete auszutragen,« sagte meine Mutter. »Es hat jedoch keine Eile. Nimm daher das Theezeug hinunter und trink' deinen Thee in der Küche, eh' du gehst.«

»Hast du keinen Schilling bei dir, Bella? Ich brauche etwas Tabak,« entgegnete Ben in seiner ruhigen Weise.

»Ja, da ist ein Schilling, Ben. Aber trink' nicht zu viel Bier,« entgegnete meine Mutter.

»Herr Je, was kann aus meiner Nadel geworden sein?« rief die Großmutter, sich noch immer umsehend.

»Da ist sie, Ma'am,« sagte Ben, der sie in ihrem Kleidersaume stecken sah. »Ich wette, das ist Percivals Werk.«

Die Großmutter nahm Ben die Nadel ab und wandte sich dann an mich.

»Du junger Taugenichts – du hast sie also hier hineingesteckt, während du dir den Anschein gibst, als wollest du sie suchen? Warte nur, Bürschlein, du sollst und mußt in die Schule.«

»Ihr habt von einer Nadel gesagt, Ahne, und die hab' ich auch gesucht. Ihr sagtet nichts von Eurer Stricknadel, sonst hätte ich Euch wohl sagen können, wo diese steckt.«

»Ja, ja, wer versteckt, kann auch finden. Du sollst mir in die Schule, oder ich bleibe nicht länger im Hause.«

Ben nahm das Theeservice und verließ das Zimmer. Er war sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kaserne gut exercirt worden.

»Ich will in die Küche hinunter zum Vater,« rief ich, denn ich war des Stillsitzens müde.

»Nein, du sollst nicht, Bürschchen,« versetzte meine Mutter. »Die Küche ist kein Platz für dich, du Schlingel, und wenn ich je wieder höre, daß du Tabak rauchst –«

»Kapitän Bridgeman raucht auch,« entgegnete ich.

»Ja, der raucht Cigarren; aber ein Kind, wie du, darf keine Pfeife rauchen.«

»Und nun komme her, Musje,« sagte meine Großmutter, welche ihre Dose offen in der Hand hielt. »Was hast du mit meinem Schnupftabak angefangen?«

»Ei, Ahne, ich habe ja den ganzen Tag Eure Schnupftabaksdose nicht angerührt.«

»Was weiß ich? Ich glaube, ein Junge, wie du, hat an jedem Finger eine Fischangel. Ich wollte nur, ich könnte dich einmal ausheben. Ich habe mir diesen Morgen frischen Schnupftabak holen lassen.«

»Vielleicht hat man sich im Laden vergriffen, Mutter?« sagte Amelia. »Es geht dort oft unachtsam zu.«

»Nun, kann sein. Aber ich muß anderen haben; diesen kann ich nicht schnupfen.«

»Werft ihn in's Feuer, Ahne,« sagte ich. »Ich will mit der Dose fort, und sie auf's Neue füllen lassen.«

»Wohl, ich glaube, es ist das Beste, was ich thun kann,« sagte die Großmutter, welche nach dem Kamin ging, sich darüber hinbückte und den Schnupftabak auf die glühenden Kohlen leerte.

Das Resultat davon war ein lautes Aufzischen und eine Rauchwolke, welche aus dem Kamine in ihr Gesicht schoß, die Flügel ihrer Haube versengte, die Brille in die Höhe schlug und ihr Antlitz so schwarz wie das eines Kaminfegers machte. Die alte Frau schrie, prallte zurück, stolperte über den Stuhl, auf dem sie gesessen, und fiel, ehe ich mich's versah, über mich, so daß ihre ganze Last auf mir lag. Ich hatte eben versucht, während der Verwirrung mich aus dem Staube zu machen – denn meine Mutter und Milly waren gleich erschrocken – als ich mit einemmale fast erstickt wurde von dem Gewicht meiner jetzt fast besinnungslosen Großmutter, die, wie ich schon bemerkte, eine sehr beleibte Frau war. Wäre ich in einer andern Lage gewesen, so hätte ich wohl nicht so viel zu leiden gehabt; so aber war ich unglücklicherweise auf den Rücken gefallen und lag jetzt da mit aufwärts gekehrtem Gesichte, auf welchem der breiteste Theil der alten Frau aufsaß, meine Nase platt drückte und meinen Athem vollkommen hemmte. Wie lange meine Großmutter in einer solchen Position fortgestöhnt hätte, kann ich nicht sagen; aber wahrscheinlich wäre das Ganze darauf hinausgegangen, daß ich den Garaus davon bekommen hätte, da ich ohnehin ein etwas verzärteltes Kind war. Sie wurde jedoch aus dem Zustande der halben Ohnmacht durch einen kräftigen Angriff meiner Zähne geweckt, deren ich mich in der Erstickungsangst mit einem für meine Jugend übernatürlichen Nachdruck bediente. Ich durchbiß alle ihre Kleider, und da meine Sinne im Erlöschen begriffen waren, so konnte man wohl sagen, daß ich mich eigentlich krampfhaft verbiß. Die Großmutter, durch den Schmerz geweckt, kugelte sich auf die Seite, und erst jetzt bemerkte meine Mutter und Tante, welche geglaubt hatten, ich sei aus dem Zimmer entwischt, daß ich leblos und ganz schwarzblau im Gesichte dalag. Sie eilten auf mich zu, aber noch immer hielten meine Zähne fest und waren nicht von meiner schreienden Verwandten zu trennen, bis der Zutritt von frischer Luft und reichliches Besprengen mit kaltem Wasser mich wieder zur Besinnung brachte, worauf ich in völliger Erschöpfung auf das Sopha gelegt wurde. Das hieß in der That mit knapper Noth entkommen, und beinahe hätte sich das Sprüchwort: »wer den Andern eine Grube gräbt« an mir erwahrt. Was meine Großmutter betraf, so erholte sie sich zwar von ihrem Schreck und half sich wieder auf ihre Beine, aber nur um in einen gewaltigen Zorn zu gerathen. Viele Tage konnte sie nicht ohne ein Kissen in dem Stuhle sitzen, und obgleich man mir wegen der persönlich ausgestandenen Gefahr wenig sagte, so bemerkte ich doch bei der alten Frau einen unverkennbaren Widerwillen, bei meiner Mutter ein ruhiges Wesen und bei meiner Tante so wenig von ihrer gewöhnlichen Heiterkeit, daß mir nicht das Beste ahnete. Nach einigen Tagen trat das Resultat unterschiedlicher flüsternder Berathungen an's Licht. An einem schönen Montag Morgen erschien Ben zu einer ungewöhnlich frühen Stunde. Man setzte mir meine Mütze auf und warf mir meinen Mantel um, worauf Ben, der einen bedeckten Korb am Arme hatte, mich bei der Hand faßte, und ich wie ein Lamm zum Schlächter fortgeführt wurde. Als ich das Zimmer verließ, stand eine Thräne in den Augen meiner Tante Milly, ein melancholischer Zug lag in dem Antlitze meiner Mutter, und in den Augen meiner Großmutter zuckte sogar durch die Brille durch ein Ausdruck von Freude. Die Sache verhielt sich nämlich so, daß meine Großmutter triumphirt hatte und ich zur Schule gehen sollte.

Viertes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Sobald ich mit Ben die Hausthüre im Rücken hatte, blickte ich zu ihm auf und fragte: –

»Vater, wohin gehen wir?«

»Ich bringe dich in eine Schule,« lautete seine Antwort.

»Schule? Warum soll ich denn in eine Schule gehen?« versetzte ich.

»Erstlich, glaube ich, weil du deine Großmutter gebissen, und dann, damit du ein Bischen lernest und tüchtig gepeitscht werdest, wenn anders wahr ist, was die Leute sagen; ich selbst bin nie in einer Schule gewesen.«

»Was lernt man denn da, und warum soll man gepeitscht werden?«

»Man lernt lesen, schreiben und rechnen – Dinge, von denen ich leider nichts verstehe; und gepeitscht wird man, weil ohne die Peitsche kleine Knaben nichts lernen können.«

Dieß war eine sehr befriedigende Erklärung. Ich stellte keine weiteren Fragen, sondern ging an Ben's Seite schweigend meines Weges, bis wir an der Thüre des Schulhauses anlangten, in dessen Innerem ein gewaltiges Getümmel war. Ben klopfte, worauf die Thüre aufging und ein Qualm heißen Dunstes herausbrach, da alle frische Luft in Wiederholung der neuen Aufgaben für den Tag verzehrt worden war. Ben ging zwischen den Subsellien vorwärts und stellte mich vor den Schulmeister, einen armen irischen Gelehrten, der Thadeus O'Gallagher hieß und eine Anstalt für Tagschüler eröffnet hatte, in der vierteljährig eine halbe Guinee für den Kopf bezahlt werden mußte. Er galt als ein sehr strenger Herr, und die Kinder wurden in seinem Institute besser in Ordnung erhalten, als in irgend einer andern derartigen Anstalt der Stadt. Ich vermuthete daher, daß meine Großmutter zuvor die geeigneten Erkundigungen eingezogen hatte, denn es befanden sich ein paar ähnliche Schulen weit näher bei der Wohnung meiner Mutter. Ben, der wahrscheinlich nur deßhalb einen so großen Respekt vor der Gelehrsamkeit hatte, weil er selbst nichts gelernt hatte, machte vor Mr. O'Gallagher eine militärische Salutation und sprach, die Hand noch immer am Hut belassend:

»Ich bringe einen neuen Knaben in die Schule.«

»Oh, alle Welt! Sollte ich den nicht kennen?« rief Mr. O'Gallagher. »Ja, es ist das junge Herrlein, das seiner Großmutter ein Loch in den Leib gebissen hat – Master Keene heißt er, glaube ich. Hat jedenfalls kühne Zähne. Lassen Sie ihn nur hier – und da in dem Korb ist vermutlich sein Mittagbrod? Lassen Sie auch dieß da. Er wird bald ein guter Knabe sein, oder es gibt ein Platzen.«

Ben setzte den Korb nieder, machte rechts um und verließ das Schulzimmer, während ich vor dem Throne meines künftigen Pädagogen stehen blieb – ich sage Thron, weil er nicht, wie in der Regel bei anderen Schulmeistern, ein Pult, sondern eine Art viereckigen, etwa achtzehn Zoll hohen Trippels hatte, auf welchem sich ein anderer länglichter Ueberbau von gleicher Höhe befand, der zum Sitze diente: diese beiden Stücke waren mit geflicktem und zerrissenem alten Drogett bedeckt, und bei einer späteren Untersuchung fand ich, daß das Ganze aus drei alten Weinkisten ohne Deckel bestand, die er wahrscheinlich irgendwo sehr wohlfeil an sich gebracht hatte – zwei so gestellt, daß sie das unterste Viereck bildeten, während die dritte in derselben Weise darüber aufgestellt war. Mr. O'Gallagher saß mit großer Würde auf der oberen Kiste, während er seine Füße auf den unteren ruhen ließ, und war in dieser Weise hinreichend erhaben, um die Gesammtheit seiner Zöglinge in jedem Theile der Schule überschauen zu können. Er war eben nicht groß, aber doch sehr vierschrötig gebaut, und hatte gelbrübenfarbiges Haar mit sehr buschigem rothen Ohrenbart. Auch kam er mir als eine ganz entsetzliche Person vor, namentlich wenn er seinen großen Mund öffnete und seine Zähne blicken ließ, da ich dadurch lebhaft an das Schild des rothen Löwen dicht neben meiner Mutter Haus erinnert wurde. Allerdings war ich in der Zeit meines kurzen Daseins nie von so tiefer Ehrfurcht durchdrungen worden, als bei dem Anblick meines Pädagogen, der ziemlich in der Weise eines römischen Tribuns vor mir saß und zum Zeichen seines Amtes ein kurzes, abgerundetes Lineal in seiner Hand hielt. Ich befand mich noch keine Minute in der Schule, als ich ihn seinen Arm erheben sah und das Lineal schwirrte durch die Luft, bis es den Schädel des Jungen, auf den es gemünzt war, an dem andern Ende des Schulzimmers traf. Der Knabe, welcher mit seinem Nachbar geschwatzt hatte, rieb sich den Kopf und greinte.

»Warum bringst du mir mein Lineal nicht zurück, du Galgenstrick?« rief Mr. O'Gallagher. »Geschwind, Johnny Target, oder es gibt ein Platzen.«

Der Knabe, welcher durch den Wurf nicht wenig aus der Fassung gekommen war, hatte sich jetzt so weit wieder gesammelt, um dem Befehle Folge zu leisten; er kam wimmernd heran und händigte Mr. O'Gallagher das Lineal aus.

»Deine Zunge wird dich vermuthlich in weit mehr Ungelegenheiten bringen, als deine Thätigkeit, Johnny Target. Du willst dich nicht in die Linien der Ordnung fügen und brauchst daher beständig das Lineal über dir.«

Johnny Target rieb sich den Kopf und schwieg.

»Mr. Keene,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »hast du gesehen, welch' einen donnerschlächtigen Klapps dieser Junge eben erst an seinen Kopf bekommen hat, und weißt du, warum es geschehen ist?«

»Nein,« versetzte ich.

»Ist das auch eine Manier, du ungezogener Schlingel? Nein! Merke dir für die Zukunft, daß du ›nein, Sir‹, oder ›nein, Mr. O'Gallagher‹ zu sagen hast. Verstanden? Jetzt sage ›ja‹ – was?«

»Ja, was!«

»Ja, was! Du kleiner Ignoramus. Du hast zu antworten: ›ja, Mr. O'Gallagher‹, und merke dir, daß dieß, wie die Küster zu sagen pflegen, das letzte Aufgebot ist.«

»Ja, Mr. O'Gallagher.«

»Ah! Du siehst jetzt, daß nichts über den Schulbesuch geht – du hast bereits Manier gelernt. Um aber wieder auf das Vorige zu kommen, warum hat Johnny Target den Klapps an den Kopf bekommen, der ihm Thränen in die Augen trieb? Ich will dir's sagen – es geschah des Schwatzens wegen. Du siehst, das erste, was ein Junge lernen muß, ist, das Maul zu halten, und dieß soll deine heutige Aufgabe sein. Du setzest dich jetzt gleich dahin, und wenn du während der ganzen Zeit, in welcher du in der Schule bist, nur ein Wort sprichst, so gibt es ein Platzen – das heißt im gegenwärtigen Falle, daß ich dir lebendig die Haut abziehen will, wie den Aalen, und da dieß etwas scharfe Arbeit ist, so wird sie gerade für deine Konstitution passen.«

Ich hatte Verstand genug, zu merken, daß Mr. O'Gallagher nicht mit sich spaßen ließ, weßhalb ich meinen Sitz einnahm und mich damit unterhielt, daß ich den verschiedenen Aufgaben zuhörte, welche die Knaben hersagen mußten, und auf die diversen Strafen achtete, denen nur Wenige entgingen. Endlich kam die Stunde der Erholung, in welcher man sein Mittagbrod einnehmen durfte, und die Knaben griffen nach ihren Körben, worin sich ihr Mundvorrath befand, oder eilten nach Hause, um bei ihren Eltern zu speisen. Ich saß in dem Schulzimmer Mr. O'Gallagher gegenüber, und da ich ziemlichen Appetit hatte, so warf ich einen sehnsüchtigen Blick nach meinem Korb, ohne jedoch ein Wort zu sprechen. Mr. O'Gallagher, der sich in Gedanken vertieft zu haben schien, begann endlich:

»Master Keene, du kannst jetzt hinausgehen und dich ausschreien, bis du heiser bist, um das Verlorene wieder einzubringen.«

»Darf ich mein Mittagbrod mitnehmen, Sir?« fragte ich.