KINDHEIT, DIE MAGIE

KINDHEIT, DIE MAGIE

der Worte, abends,

neben Hof und Stall

Und am Rand der Heide sang

der Ziegenmelker laut sein Lied

EINST SAMMELTE ICH

kleine Sonnen auf

der Wiese vor dem Haus

Milchig wie Nebellicht klebte

ihr Blut zwischen Fingern

BÄUME IM JUNI

Abends saß ich im Laub

und still stieg der Mond zu mir,

verharrte einen Moment,

bevor er tauchte ins Blau

GEWÖLBT DER GARTEN

Auf gläserner Murmelhaut

am Erdrand ein Zaun

Doch der Himmel: friedensstill,

der Himmel darüber: nicht laut

DIE KASTANIE – GEFÄLLT

Ich zähle die Jahre

zurück in die Kindheit

sehe

die rostigen Splitter im Holz

DAMALS,

das Tackern seines Stocks

an unserer Hauswand entlang

Kriegsblind, sagten die Leute

über den, der ihn einst sah

AN SONNTAGEN, DAMALS

Großvater und

der einarmige Nachbar

erschufen aufs Neue

die Welt

IN EINEM

der hinteren Zimmer

meiner Erinnerung liegt

Großvaters Brotbüchse

Er öffnet den Duft

DEM MANN BELEGTE SCHEIBEN

Brot für den Tag in der Fabrik,

dem Jungen die Milch von Minka im Stall

Das war ihr Glück

im Jahrzehnt nach dem Krieg

KOMM! SCHNELL VORBEI!

Am Hackklotz glitzernde Tropfen,

fror rot das Blut

der zum Fest

geköpften Hühner

FLEISCHEREI SCHUMBELT

Über der Ladentür, starr,

der Kopf eines Schweins,

die Augen sah ich im Schlaf

Ich war ein schlechter Esser

DIE GASSE ZUM MARKT

Kopfsteinpflaster, Widerhall

vom Amboss des Schmieds

Bälger, schalt er, zischte Bier,

laut wie Eisen heiß auf Horn

TISCHLEREI LANGE

Wie verwundete Tiere

schrien die Stämme,

doch alle Möbel rochen

damals noch nach Märchenwald

BÄCKEREI MINKE

In rauchtrüber Frühe schon

wuchs eine Schlange

Bis in die Heidedörfer, hieß es,

dufte das Brot

BEI BUDERS WILLEM,

Barbier und Friseur,

hielt ich den Kopf immer still

hin und im weißen Eimer,

Murawa, wachte nie auf.

DER ALTE BAHNHOF

Hier stand ich als Kind,

zählte die Wagen

Rost frisst

das Gleis zur Ferne

NACHTS, UNTERM STELLWERK,

fuhren die Züge ins All

Sterne zerstoben

Tante Helgas Hebelarm

strich mir in Pausen durchs Haar

VOLKSFEST, EIN KUTSCHER

schlägt auf sein Pferd ein –

wie damals

brennt auch

mein Rücken

JAHRMARKT

Ich drehte am Rad,

gewann einen Bären

Noch immer brummt er

wie ich

GROSSMUTTER,

kam sie vom Markt,

glich einer Waage – austariert

die Gewichte der Taschen,

fast

SCHEIBEN, WRASENBESCHLAGEN,

im Kessel brodelte Lauge

Wunde Hände

strichen am Abend

des Waschtags sanft durch mein Haar

DIE GUTEN SCHUHE, KIND

sollen doch lange halten

Ich lächle mich an

im Spiegel der Pfütze,

springe

AUS DER SCHWÄRZE NEBEN DER HAND

schimmerten erste Worte,

knirschte, so schien es,

die Schiefertafel wie ich

mit den Zähnen

DAS FENSTER ZUM HOF

Der Spielmann, abends

ließ er tanzen den Mond,

sammelte langsam

Sterntaler auf

DAS KLEINE KINO AM BAHNHOF

Die Angst, nicht alt genug auszusehn

Nach jedem Film

ritt ich gegen Unrecht,

siegte

NUN KANNST DU SCHWIMMEN,

sagte Großvater – und

ich schwamm

Ganz ohne Angst

summte das Meer

GEZÜGELT, ARTIG