Die Autorin

Julie Heiland – Foto © heike ulrich fotowork

JULIE HEILAND arbeitet als Autorin und Journalistin (u.a. für die Süddeutsche Zeitung). Neben dem Schreiben gilt ihre Leidenschaft dem Reisen. Während eines längeren Aufenthalts in Großbritannien wurde ihre Faszination für Diana entfacht, und sie entwickelte den Wunsch, deren bewegende Geschichte zu erzählen.

Das Buch

Diana hielt sich am weiß lackierten Holzzaun fest, der das Spielfeld abgrenzte. Mit ihrer gelben Latzhose und der lockeren Strickjacke passte sie nicht zu den Damen in schicken Cocktailkleidern mit extravaganten Hüten. Während die Pferde über den weiten Rasen galoppierten, wurde im Pavillon mit Champagner angestoßen. Und während die Reiter hochkonzentriert spielten, lachte und plauderte man dort bei Häppchen. Diana wollte die Sonne im Gesicht spüren, das frische Gras riechen und die von den harten Hufschlägen aufgewühlte Erde. Sie wollte die Rufe der Reiter hören und das Schnaufen der Pferde, nicht das Klirren der Champagnergläser. Noch nie zuvor war ihr ein Polospiel so faszinierend erschienen, und das, obwohl sie nicht mal wusste, wie es stand! Sie hatte nur Augen für Charles.

Julie Heiland

Diana

Königin der Herzen

Ullstein

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www.ullstein.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Dezember 2021
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München
Titelabbildung: © SZ Photo / Teutopress / Bridgeman Images
(Prinzessin Diana); www.buerosued.de (Stadt)
Autorenfoto: © heike ulrich fotowork
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ISBN 978-3-8437-2569-9

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Disclaimer

Auch wenn dieser Roman auf wahren Begebenheiten basiert, handelt es sich um eine fiktionale Erzählung von Lady Dianas Geschichte. Nicht alle Szenen, die geschildert werden, sind auch so passiert. Manche Ereignisse sind in der Realität anders verlaufen oder wurden von der Autorin dem Roman zuliebe angepasst. Ebenso sind die Dialoge weitgehend erfunden.

 

»Für die wunderbaren gefühlsbetonten,
unkonventionellen, warmherzigen,
rebellischen und leidenschaftlichen
Frauen dort draußen.
Ihr alle tragt eine Krone.«

Prolog


1996

Wie anders London am späten Abend doch war. Wenn die Metropole nach einem langen Tag langsam zur Ruhe kam. Hier und da ein paar Menschen. Junge Leute, auf dem Weg zu einem Restaurant oder einer Bar. Eine Dame, die mit ihrem Hund Gassi ging. Ein Geschäftsmann, der ein Taxi herbeipfiff. Vorhin hatte es ein bisschen geregnet. Diana liebte den goldenen Schimmer der Straßenlaternen auf dem feuchten Asphalt und das leise Rauschen, wenn ein Wagen an ihrer Limousine vorbeifuhr. Manchmal erhaschte sie einen Blick in eine Wohnung, sah Menschen, die vor dem Fernseher saßen, Sport machten, kochten oder am offenen Fenster eine Zigarette rauchten. Auch in den eleganten Wolkenkratzern brannten noch vereinzelt Lichter. Ja, in diesen Stunden wurde London magisch.

»In etwa zwei Minuten sind wir da«, sagte ihr Chauffeur.

Diana dankte ihm und versank wieder in Gedanken. Warum lastete der Druck auf ihrer Brust so schwer, wo sie doch nun endlich von den Fesseln der letzten Jahre befreit war? Und wie konnte etwas, das so wundervoll begonnen hatte, so wehtun?

»Das ist das Paradoxon der Natur.« So ungefähr hätte Charles auf diese Frage geantwortet.

Diana schmunzelte. Auch dafür hatte sie ihn mal geliebt. Für diese Art, selbst große Gefühle rational erklären zu wollen.

Es hatte keine drei Minuten gedauert, die Ehe des Jahrhunderts in einem kleinen Gerichtssaal in Somerset House zu beenden. Was für eine Ironie, dass das Gebäude weniger als drei Kilometer von der St. Paul’s Cathedral entfernt lag, wo sie einst an jenem unvergesslichen Julitag dem Prinzen von Wales das Jawort gegeben hatte.

Vieles tat noch weh, aber allmählich heilten die Wunden. Dass ihr Traum nicht mehr in Erfüllung gehen würde, wusste sie schon lange, und auch ihr Leben hatte sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Aber der heutige Tag setzte einen endgültigen Schlusspunkt. Und einen Neuanfang.

Vordergründig ging Diana nur zu einem Dinner mit Mitgliedern des Englischen Nationalballetts. Doch es war kein Zufall, dass dieses Treffen genau an dem Tag stattfand, an dem ihre Scheidung mit Charles besiegelt worden war. Sie wollte der Welt zeigen, dass sie auch als geschiedene Frau glücklich sein konnte und sich nicht verbittert und frustriert zu Hause verkroch. Ihr Outfit hatte sie bewusst gewählt: ein schicker Hosenanzug, in dem sie elegant und selbstbewusst wirkte. Das Blassblau erinnerte an einen grenzenlosen Sommerhimmel.

Der Wagen hielt.

Zwei, drei Kameralichter blitzten hinter den verdunkelten Scheiben auf.

»Einen Moment noch«, sagte sie zum Fahrer.

Sie würde sich niemals daran gewöhnen, ihr Leben mit der Öffentlichkeit zu teilen. Aber inzwischen wusste Diana die Presse für ihre Zwecke zu nutzen. Sie stieg auf der linken Seite der Limousine aus, sodass die Fotografen sie besser ablichten konnten. Ihr glückliches Lächeln sollte auf allen Titelseiten zu sehen sein.

Von überallher hagelte es nun Lichtblitze. »Diana, wie geht es Ihnen als geschiedene Frau? Was haben Sie nun vor? Diana!«

Bewusst hielt sie ihre Tasche in der linken Hand. So würde man sehen, dass sie nicht nur ihren Ehering trug, sondern auch den mit Diamanten und Saphiren besetzten Verlobungsring. Auf diese Weise wollte sie die Welt an die Versprechen in der St. Paul’s Cathedral erinnern, die Charles und sie sich dort gegeben hatten.

Nie würde sie ihn vergessen, diesen Tag im Juli vor sechzehn Jahren, als sie, die scheu lächelnde zwanzigjährige Braut, in einem wogenden weißen Kleidertraum auf ihren Prinzen zuschritt, der sie am Altar erwartete.

Egal, was die Zeitungen schrieben, egal, was die Leute redeten, egal, was Charles behauptete: Er hatte sie geliebt, das hatte sie in seinen Augen gesehen. Und sie hatte ihn geliebt. Mit jeder Faser ihres Herzens. Und trotz allem, was er ihr angetan hatte, würde sie ihn immer in ihrem Herzen tragen. Dagegen wehrte sie sich schon lange nicht mehr, das tat nur unnötig weh. Schließlich war er der Vater ihrer Kinder. Und sie wollte endlich Frieden finden. Deshalb würde sie ihn als den zurückhaltenden und melancholischen jungen Mann in Erinnerung behalten, der er bei ihrer ersten Begegnung gewesen war.

Teil 1


1


1977

»Sie können sich auf mich verlassen«, sagte er.

Ein einziger Satz und dahinter eine ganze Welt.

Er kam an einem Samstagvormittag. Sarah hatte seinen Besuch groß angekündigt. »Halte dich tagsüber von ihm fern«, hatte sie Diana befohlen. »Sei froh, wenn du beim Dinner dabei sein darfst. Wie siehst du überhaupt schon wieder aus?«

Diana trug eine weiße blickdichte Strumpfhose, dazu einen schwarzen Body und einen federleichten Seidenschal. Ihr Ballett­outfit.

Sie hätte alles dafür getan, mit dem Prinzen und ihrer Schwester ausreiten zu dürfen. Sogar gebettelt hatte sie. Aber das hatte Sarah nur darin bestätigt, dass ihre kleine Schwester viel zu kindisch für den Prinzen war. Also hatte Diana eine große Portion Milchpudding für sich und die Bediensteten gekocht, sich damit in ihr Zimmer aufs Bett verkrochen und sich in einem der Schmachtfetzen von Barbara Cartland verloren.

»Es schwang so viel Zärtlichkeit in seiner Stimme, dass sie ihre Wange an seine Schulter presste … Dann sagte er: ›Heute Nacht, mein Liebling, bist du nur ein Kind und noch keine Frau, und darum möchte ich für dich der Prinz deines Herzens sein, so wie du die Königin des meinen bist.‹

›Ich liebe dich‹, flüsterte sie, und ihr Kopf fiel auf die weichen Kissen zurück.«

Diana rollte sich auf den Rücken, legte Bride to the King auf ihrem Bauch ab und schob eine Hand unter den Kopf. »Wie wundervoll es sein muss, eine Prinzessin zu sein«, seufzte sie. »Finden Sie nicht auch, Ms Harmony?«

Ms Harmony war ein rosafarbenes Meerschweinchen und Teil von Dianas riesiger Stofftierfamilie, die nahezu den gesamten Kopfteil des Betts beanspruchte.

In den Romanen von Barbara Cartland war das Leben immer so herrlich leicht. Die Heldinnen waren wunderschön, nur ein wenig einsam. Doch dann begegnete ihnen die Liebe ihres Lebens, sie blühten auf, und nach ein paar dramatischen Höhen und Tiefen fanden die beiden endlich zusammen und waren glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Glich ihr eigenes Leben nicht vielleicht auch ein bisschen einer dieser literarischen Seifenopern? Oder vielleicht eher einem unglücklichen Märchen?

Wie auf Kommando schrillte Raines Stimme den Flur entlang. »Nun passen Sie doch auf! Das ist eine Kommode aus der georgianischen Epoche! Wissen Sie eigentlich, was die wert ist?«

Raine, die böse Stiefmutter, die mit den Hausangestellten schimpfte. Und Diana war Aschenputtel, ein sechzehnjähriges Mädchen, das eigentlich ein Junge hätte werden sollen. Nach zwei Töchtern hatte sich die Familie Spencer sehnlichst einen Stammhalter gewünscht. Stattdessen hatte Diana das Licht der Welt erblickt. Eine herbe Enttäuschung. Das konnte auch ihr kleiner Bruder Charles nicht mehr gutmachen, der drei Jahre später geboren wurde. Und so ließen ihre Eltern sich vier Jahre später scheiden.

Diana schwang sich aus ihrem Bett und schaute nachdenklich hinaus. »Traumhaft«, schwärmte ihr Vater oft, wenn er beim Ausreiten den Blick über die weite, leicht hügelige Ackerlandschaft schweifen ließ. Im Herbstlicht leuchteten die Bäume rostrot und gelb. Weit und breit nichts als kleine Cottages und Schafe.

»Ach, und dieses furchtbare Gemälde dort drüben können Sie auch für die Auktion mitnehmen.«

Seit Dianas Vater Raine im letzten Jahr geheiratet hatte, spielte sie sich als Herrin von Althorp House auf. Alles, was ihr in die Finger kam, verhökerte Raine auf Auktionen. Möbel, die seit Generationen im Besitz der Spencer-Familie waren, ersetzte sie durch glänzenden Kitsch. Diana hasste Raine wie die Pest – obwohl sie die Tochter ihrer Lieblingsautorin Barbara Cartland war. Wie konnte ihr Vater es seinen Kindern nur antun, diese schrille und lächerliche Frau heimlich zu heiraten?

Da war es wieder, dieses Gefühl … Als würde sich eine eiserne, kalte Faust um Dianas Herz schließen. Als hätte sie gar keinen richtigen Platz auf dieser Welt. Die leuchtenden Herbstfarben verschwanden hinter dem grauen Dunst, der von den halb gefrorenen Feldern aufstieg, und der Palast aus dem 16. Jahrhundert mit seinen insgesamt 121 Zimmern erschien ihr erdrückend groß und wie eine einsame Insel mitten im Nirgendwo.

Immer wenn dieses Gefühl Diana befiel, tanzte sie. Denn wenn sie tanzte, schüttelte sie allen Ballast ab. Dann vergaß sie Raine, vergaß ihre schlechten Schulnoten, vergaß sogar, dass Sarah ihr unter Androhung der Todesstrafe verboten hatte, ihr Zimmer zu verlassen. In dem endlos langen Flur drehte sie Pirouetten und streckte vor lauter Übermut ihren Ahnen, die von den Gemälden streng auf sie herabblickten, die Zunge heraus. Ihre Mutter Frances hatte sich in Althorp House nie wohlgefühlt, wie sie Diana mal gestanden hatte. »Es ist dort wie in einem Museum nach Ende der Öffnungszeiten«, hatte sie gesagt.

In der hohen, eindrucksvollen Wootton Hall, deren schwarz-weiß gefliester Boden an ein Schachbrett erinnerte, tanzte sie am liebsten. Vor allem Stepptanz, denn der Lärm, den Diana damit machte, trieb Raine in den Wahnsinn.

Das Schnurren eines Motors ließ Diana innehalten. Leicht außer Atem trat sie ans Fenster. Zwei Wagen kamen vorgefahren. Ein schwarzer Jaguar sowie ein schicker Sportflitzer. Er stieg aus.

Seine verwegenen Abenteuer an Skihängen, seine Fallschirmsprünge und seine Erfolge beim Polo bewunderte Diana regelmäßig am Bildschirm.

Sein Foto hing in ihrem Internatszimmer über dem Spiegeltisch.

Der wohl begehrteste Junggeselle der Welt stieg vor ihrem Elternhaus aus seinem Wagen.

Sarah begrüßte ihn mit einem koketten Knicks. »Eure Königliche Hoheit.«

Sie sah gut aus in ihrer eng anliegenden Reithose und dem figurbetonten Jackett darüber, das für November eigentlich zu dünn war. Endlich ging es ihr wieder besser. Vor zwei Jahren war sie unerwartet von ihrem Freund verlassen worden, seitdem hatte sie kaum noch etwas gegessen. Nun aber hatte sie genug Selbstvertrauen zurückerlangt, um den Prinzen von Wales zu einem Jagdausflug auf dem Familienanwesen einzuladen.

Sarah führte den Prinzen in das Landgut. Schnell huschte Diana in die benachbarte Galerie.

»Warten Sie bitte in der Eingangshalle«, hörte sie Sarah sagen. »Ich gebe dem Stallburschen Bescheid, die Pferde zu satteln.«

Statt sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, wie sie es ihrer Schwester versprochen hatte, warf Diana einen Blick um die Ecke. Der Anblick des Prinzen übte eine magische Anziehungskraft auf sie aus.

In seinem edlen Tweedsakko hatte er etwas von einem Land­edelmann aus dem vergangenen Jahrhundert. Interessiert betrachtete er die Gemälde, die die Wände vom Fußboden bis zur Decke schmückten und die allesamt dasselbe zeigten: die Fuchsjagd. Er wandte sich dem nächsten Kunstwerk zu, sodass Diana nun sein Profil sehen konnte. Sie wusste, sie sollte jetzt schleunigst verschwinden, aber sie konnte nicht. Etwas an ihm ließ sie nicht los. Wie er so dastand, eine Hand auf den Rücken gelegt, vor diesem wuchtigen Ölbild, auf dem ein Reiter einen Fuchs verfolgte, wirkte er irgendwie … einsam. Verloren. Sogar traurig.

Auf einmal, als hätte er Dianas Anwesenheit gespürt, drehte er sich zu ihr um und sah sie an.

Weil der Blick seiner blauen Augen Diana bis ins Mark traf, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, und weil Sarah sie umbringen würde, sah sie keine andere Möglichkeit, als zu fliehen. Sie hastete die breite, mit rotem Teppich ausgelegte Treppe hinauf, deren Stufen lauter knarzten als je zuvor.

Vielleicht hätte Diana entkommen können, hätte sie sich etwas mehr beeilt.

Doch da wurde sie von seiner Stimme gebremst. Eine Stimme, die sie schon Hunderte Male im Fernsehen oder Radio gehört hatte, die aber hier und jetzt noch viel aufregender klang, obwohl er nur ein Wort sagte. »Hallo?«

»Ich bin’s nur«, antwortete sie. »Diana. Sarahs kleine Schwester.« Sie wagte nicht, ihn anzusehen, sondern senkte den Blick auf ihre Ballettschuhe – zumindest, bis sie sich siedend heiß daran erinnerte, dass sie vor einem Mitglied der königlichen Familie zu knicksen hatte. »Eure Königliche Hoheit.«

Er lächelte ein bisschen.

»Bitte tun Sie so, als wäre ich gar nicht hier.«

»Warum sollte ich?«, fragte er.

»Das darf ich nicht verraten«, erwiderte sie und legte den Kopf dabei leicht schräg.

»Auch nicht, wenn ich Ihnen dafür Ihren Schal wiedergebe?«

Überflüssigerweise fasste Diana sich an den Hals, obwohl er ihren Schal in den Händen hielt. Vielleicht hatte sie ihn sogar absichtlich verloren, aber das würde sie natürlich niemals zugeben.

»Also?«, sagte er.

»Versprechen Sie mir, dass es unser Geheimnis bleibt, wenn ich es Ihnen verrate?«

»Sie können sich auf mich verlassen.« Und auf einmal war sein Blick gar nicht mehr einsam und traurig, sondern einladend wie eine Blumenwiese im Frühling, in deren weiches Gras man sich fallen lassen konnte. Seine warme Stimme und der klare Blick seiner Augen beruhigten sie, sodass alle Befangenheit von ihr abfiel.

»Ich musste meiner Schwester schwören, dass ich mich tagsüber nicht blicken lasse«, gestand sie. »Sie hatte Angst, dass ich Sie verschrecken könnte.«

»Wie könnten Sie mich verschrecken?«, fragte er.

»Indem ich beispielsweise in der Galerie Ballett übe. Aber ich tanze hier gerne. Oder in der Eingangshalle. Oder draußen auf den Mauern.« Wie um es zu beweisen, drehte sie eine Pirouette, was ihn zum Lachen brachte. »Tanzen Sie gerne, Sir?«

»Wenn ich rhythmische Musik höre, kann ich mich kaum halten«, antwortete er. »Nur kann ich es mir leider nicht erlauben, auf Mauern zu tanzen.«

»Sie sollten es mal versuchen. Es ist wundervoll.«

Sie sahen einander an, und auf einmal wurde sie sich all ihrer Schwächen bewusst. Wie kindisch sie in der Strumpfhose und dem Body auf ihn wirken musste und mit ihren geröteten Wangen.

»Ich übe für eine Schulaufführung«, erklärte sie hastig. »Wir führen ein Stück von Shakespeare auf.«

»Shakespeare ist einer meiner liebsten Dramatiker. Und auch Theaterspielen hat mich immer gereizt.«

»Ehrlich?«

Auf einmal machte er einen Buckel und verzog sein Gesicht zu einer schauerlichen Grimasse. »Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter kann kürzen diese fein beredten Tage, bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden!«, zitierte er und fügte lachend als Erklärung hinzu: »Einmal habe ich im Schultheater den Herzog von Gloucester gespielt, den missgestalteten Thronfolger aus dem 15. Jahrhundert. Vielleicht sollte es mir zu denken geben, dass der Regisseur diese Rolle mit mir besetzt hat.«

Diana war ganz bezaubert davon, wie er sich selbst auf die Schippe nahm, und kicherte hinter hervorgehaltener Hand.

»Welches Stück führen Sie auf?«, fragte er.

»Romeo und Julia.«

»Und bestimmt spielen Sie die Julia.«

Schmeichelte er ihr? Oder war er nur höflich? Diana hatte keinerlei Erfahrungen mit Männern. Aber ihr Bauch kribbelte, und ihre Knie wurden weich.

»Nein, ich stehe nicht gerne im Vordergrund«, gestand sie. »Ich mache bei den Aufführungen nur mit, wenn ich keinen Text sprechen muss. Ich bewundere Sie dafür, wie souverän Sie in der Öffentlichkeit auftreten. Sie wirken immer so selbstbewusst und gelassen. Sie scheinen nie vor etwas Angst zu haben.« Diana dachte an das Fallschirmspringen und die riskanten Abfahrten und seine Karriere als Polospieler. Er war eine perfekte Kombination aus Action-Held und Prinz.

»Nun, es ist die Angst, die Grenzen setzt. Und wenn man mit dem Presserummel aufgewachsen ist, kennt man es nicht anders«, sagte er bescheiden und sah sich um. »Dann ist das also die berühmte Galerie von Althorp House, von der alle schwärmen?«

Diana nickte.

Er kam ihr zwei Stufen entgegen und reichte ihr den Seidenschal. Doch als sie ihn nehmen wollte, hielt er ihn fest. »Vielleicht hätten Sie ja Lust, mir nach dem Dinner die Galerie zu zeigen?«

Nur zu gerne, hätte sie erwidert, aber sie kam nicht dazu, denn auf einmal stand ihre Schwester im Raum. Wie hatte Diana sie überhören können, so laut wie die Absätze ihrer Reitstiefel auf den Boden hämmerten? »Hier stecken Sie, Sir. Die Pferde …« Sarahs Lächeln verschwand, als sie Diana entdeckte. »Das hätte ich mir ja denken können.« An den Prinzen gerichtet, sagte sie: »Verzeihen Sie, wenn meine kleine Schwester sich aufgedrängt hat. Manchmal weiß sie nicht, wo ihre Grenzen sind. Sie hält sich für was Besseres, deshalb nennen wir sie auch ›Die Herzogin‹.«

»Ich halte mich nicht für was Besseres!«

»Wolltest du nicht in deinem Zimmer in einem dieser Liebesromane lesen?«

Diana himmelte ihre Schwester an und hatte gleichzeitig einen Heidenrespekt vor ihr. Deshalb war sie selbst überrascht, als sie stolz ihr Kinn reckte. »Der Prinz hat mich darum gebeten, ihm die Galerie zu zeigen.«

2


Als Diana am Sonntagabend die Stufen zu ihrem Schlafzimmer im West-Heath-Mädcheninternat in Kent hochstieg, hatte sie ein kleines bisschen das Gefühl zu schweben.

Wenn die Anzahl der Stufen gerade ist, dann denkt Prinz Charles an mich.

Oder hatte sie am Ende alles nur geträumt?

Zweiundzwanzig Stufen. Diana lächelte.

Ohne anzuklopfen, betrat sie den Raum. Carolyn saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und war umgeben von Süßigkeiten. »Drei Tafeln Schokolade, eine Packung Gummibärchen und zwei Packungen von diesen unglaublich leckeren Pralinen«, zählte sie auf.

»Was machst du denn da?« Dianas Grinsen wurde noch breiter.

»Man könnte es Inventur nennen. Wenn die teuren Pralinen von meiner Mutter sind – heißt das, dass sie mich lieber mag als mein Vater?« Carolyn tat so, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken, und riss dann die Packung Gummibärchen auf. »Entweder, meine Eltern wollen mich mästen, oder sie sind tatsächlich der Meinung, dass ihr Scheidungskrieg mir nichts ausmacht, wenn ich genug Schokolade in mich reinstopfe.«

Vielleicht war es nur ein Zufall gewesen, dass man Carolyn zu Diana ins Schlafzimmer gesteckt hatte. Vielleicht hatte sich aber auch irgendein Pädagoge gedacht, dass sie gut zusammenpassen würden, wo sie doch die einzigen Scheidungskinder im Internat waren. Seit sie mit Carolyn befreundet war, fühlte Diana sich nicht mehr wie eine Außerirdische unter ihren Schulkameraden. Caro­lyn wusste, wie es sich anfühlte, wenn man immer wieder zwischen die Fronten geriet und mit Geschenken überhäuft wurde, als könnten Eltern sich auf diese Weise die Liebe ihres Kindes erkaufen.

»Viel wichtiger ist aber die Frage, warum du grinst wie ein Honigkuchenpferd«, sagte Carolyn und sah Diana aus zusammengekniffenen Augen an, als würde sie versuchen, ihre Gedanken zu lesen.

»Ich habe ihn getroffen!«, rief Diana aus, drehte sich einmal und warf dabei ihre kleine Handtasche aufs Bett. »Endlich habe ich ihn getroffen!«

Carolyns Augen wurden groß. »Ihn? Sag bloß!«

Ihr Blick fiel auf das Foto, das die Mädchen eines Nachts im Zuckerrausch aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und über den weiß lackierten Spiegeltisch geklebt hatten. Das Foto zeigte den stolzen Prinz Charles nach einem Polospiel auf einem galoppierenden Pferd, den Schläger wie eine Lanze erhoben. Es war eine ungemein starke, männliche und heldenhafte Aufnahme. Darunter standen zwei gerahmte Fotos von Dianas Hamstern Little Black Muff und Little Black Puff.

Carolyn konnte es kaum glauben. »Du hast wirklich Prinz Charles getroffen?«

»Ja, endlich! Er stand direkt vor mir!« Diana ließ sich neben Carolyn auf deren Bett fallen, das mit seinem weißen verschnörkelten Gestell nicht mädchenhafter hätte sein können. Vorhänge, Bettwäsche, ja sogar die Tapete waren geblümt. Wir behüten eure Töchter!, versprach die Einrichtung des West-Heath-Mädcheninternats den Eltern. Hier wird kein Rock’n’Roll gehört, hier gehen die Röcke noch übers Knie, und hier lernen die Mädchen, ihrem zukünftigen Gatten ein saftiges Cordon Bleu zuzubereiten!

»Und beim Dinner saßen wir am selben Tisch. Wir haben dieselbe Luft geatmet! Er … Ich kann gar nicht beschreiben, wie toll es war. Er hat einfach eine ganz besondere Ausstrahlung!«

»Ich kann dir ganz genau sagen, was er ausstrahlt«, meinte Carolyn trocken. »Nämlich, dass er der zukünftige König Großbritanniens ist.«

»Das ist es nicht …«, sagte Diana. »Er ist in echt noch viel beeindruckender als auf den Fotos in all den Zeitungen und Zeitschriften. Einfach alles an ihm ist beeindruckend!«

»Auch seine Segelohren?«

»Es sind perfekte Segelohren«, seufzte Diana und ließ sich von Carolyn die Packung Gummibärchen in die Hand drücken.

»Mal von vorne: Wo hast du ihn überhaupt getroffen?«, fragte Carolyn, die von ihrem Bett aufgesprungen und darunter abgetaucht war.

Diana erzählte ihrer Freundin, dass Sarah den Prinzen zu einem Jagdwochenende eingeladen hatte. »Er wollte, dass ich ihm die Galerie zeige, aber Sarah hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie meinte, er sei ihr Gast, also würde selbstverständlich sie ihn durch die Galerie führen.«

»Und das hast du zugelassen?«

»Was sollte ich denn tun? Aber ich konnte es mir nicht verkneifen zu sagen: ›Lass mich dir wenigstens zeigen, wo du die Lichtschalter findest.‹«

Diana hörte Carolyn unter dem Bett kichern. »Geschieht ihr recht! Aber mach dir nichts draus. Sarah hat bloß Angst, dass der Prinz sich am Ende für dich interessieren könnte. Sie weiß genau, wie hübsch du bist. Nicht mehr lang, und du wirst sämtlichen Männern den Kopf verdrehen.«

Diana richtete sich im Bett auf, legte den Kopf schief und betrachtete sich im Spiegel. Im Vergleich zu ihren schönen, talentierten und lustigen Schwestern fühlte sie sich wie das hässliche Entlein.

»Guck nicht so.« Carolyn war mit einem Stapel Zeitschriften, die sie unter ihrem Bett sammelte, wieder aufgetaucht. »Schau dich doch mal an! Deine blauen Augen lassen sämtliche Herzen schmelzen. Mein Gott, was würde ich für deine Pfirsichhaut geben! Und immer hast du diese leicht geröteten Wangen, als kämst du gerade von einem Spaziergang.« Stöhnend tauchte sie ein zweites Mal ab. »Hast du die beiden wenigstens belauscht, als Sarah ihm die Galerie gezeigt hat?«

Diana musste grinsen. »Natürlich! Ach, Carolyn … Er ist ja so gebildet! Er kannte jeden Künstler in der Galerie! Er wusste, welches Bild von diesem … van Dyck ist oder wie der heißt.«

»Na klar, er ist ja dreizehn Jahre älter als du. Mein Vater weiß auch total viel.«

»Aber im Vergleich zu ihm bin ich doch dumm wie Bohnenstroh. Meine Noten sind miserabel.«

Diana war nicht so fleißig wie ihre Schwester Jane oder so zielstrebig wie Sarah. Anstatt die Tage im stickigen Klassenzimmer zu verbringen, machte sie lieber Schulausflüge nach Darenth Park, in ein Krankenhaus für geistig und körperlich Behinderte.

Erneut wuchtete Carolyn einen Stapel Zeitschriften aufs Bett. Sie sah Diana eindringlich an. »Dass deine Noten schlecht sind, heißt nicht, dass du dumm bist. Du bist einfach nur faul. Dafür hast du mehrere Schwimm- und Stepptanzpokale gewonnen.«

»Was bedeutet das schon?«

»Viel! Das heißt, dass du – wenn es dir um etwas geht – sehr ehrgeizig sein kannst. Außerdem kenne ich niemanden, der so wunderbar mit Menschen umgehen kann wie du.« Carolyn setzte sich ans Kopfende, schnappte sich eine der Zeitschriften und begann, darin zu blättern, als würde sie etwas ganz Bestimmtes suchen. »Sind Sarah und der Prinz denn jetzt zusammen?«

Dianas verträumtes Lächeln bröckelte. »Ich weiß nicht. Sie wirkten nicht so. Sie haben zwar miteinander geflirtet, aber verliebt wirkten sie nicht. Vor allem Charles nicht. Er wirkte eher …« Diana zuckte mit den Schultern, » … traurig.«

»Traurig? Prinz Charles ist definitiv kein Kind von Traurigkeit. Hat nicht erst letztens sein heiß geliebter Großonkel Lord Mountbatten in einem Interview gesagt, dass sein Neffe mit nichts anderem beschäftigt sei, als von einem Bett ins nächste zu hüpfen?«

»Selbst wenn, Männer können sich ändern«, sagte Diana halbherzig, denn eigentlich hatte sie absolut keine Ahnung von Männern. »Was machst du da überhaupt?«

»Ich bin dir einen Schritt voraus und recherchiere«, murmelte Carolyn, die hoch konzentriert weiter in der Zeitschrift blätterte und Schlagzeilen wie »Skandal um die Rolling Stones: Keith Richards wegen Drogenbesitzes verhaftet« oder »Mamma Mia! ABBA begeistern auf ihrer Welttournee!« überflog. Manchmal, wenn die Nachmittage im Internat lang waren, kuschelten sich Diana und Carolyn zusammen in eines ihrer Betten und lasen in Klatschblättern. »Wusste ich’s doch, dass der Tag kommen wird, an dem ich froh bin, all diese Zeitschriften aufgehoben zu haben. Da gibt’s doch nämlich diese eine … Wie heißt sie noch mal?«

»Fiona Watson?«, schlug Diana vor.

»Nein … Die war doch so dumm und hat in einem dieser Männermagazine eine schlüpfrige Fotostrecke von sich veröffentlichen lassen.«

»Stimmt. Und was ist mit der Prinzessin von Luxemburg?«

»Vergiss es. Die ist römisch-katholisch. Die darf er gar nicht heiraten, das erlaubt das Gesetz nicht. Nur eine protestantische Braut kommt infrage. Da!« Carolyn deutete auf ein Foto. Es zeigte den Prinzen in seiner Polokleidung sowie eine eher herbe Schönheit vor einem Baumstamm mit eingeritzten Initialen. Sie schien sich nicht sonderlich viel aus Mode zu machen, trug ein schlichtes rotes Shirt und hatte die Hände in ihren Hosentaschen versenkt.

»Camilla Parker-Bowles«, sagte Carolyn.

»Die beiden sind doch nur miteinander befreundet«, sagte Diana. »Ist sie nicht verheiratet? Ich glaube, sie hat sogar schon Kinder!«

»Na und? Charles’ Onkel Edward VII. hat sich doch auch an seine Liebe zu einer verheirateten Frau geklammert und das Königshaus in eine Krise gestürzt. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass sowohl Camillas Mann als auch sie selbst es mit der Treue nicht so ernst nehmen. Und genau das wird von Anfang an das Problem gewesen sein: Camilla hat schon Erfahrungen gesammelt und sich ausgetobt. Die Krone wünscht sich für Charles aber ein Mädchen, das nicht nur jung und hübsch ist, sondern auch protestantisch, von adeliger Abstammung und jungfräulicher als die Jungfrau Maria. Die interessiert nicht die Bohne, dass wir im Jahr 1977 leben, wo Frauen keine BHs mehr tragen und die Nächte auf Konzerten der Rolling Stones durchtanzen! Die Krone sucht eine Märchenprinzessin für den Thronfolger.«

Dianas Blick fiel erneut in den Spiegel.

3


1979

An ihrem achtzehnten Geburtstag ließ Diana die Bombe platzen. Beim nachmittäglichen Kuchenessen verkündete sie, dass sie gemeinsam mit ihren Freundinnen aus dem Internat nach London ziehen wolle.

»Kommt nicht infrage!«, polterte Johnnie Spencer, legte seine Serviette auf seinem Teller ab und erklärte Diskussion und Kuchenessen damit für beendet. Diana vermutete, dass er deshalb so streng reagierte, weil sie zweimal durch alle fünf Abschlussprüfungen gefallen war und er befürchtete, sie würde auf der Straße landen, hätte er nicht ein Auge auf sie. Doch dann dämmerte ihr, dass er nur so eilig den Sonnenschirm einklappte, um zu verbergen, dass Tränen in seinen Augen standen. Hatte er am Ende Angst, auch noch Diana zu verlieren? Seit Jane und Sarah in London lebten, bekam er die beiden kaum noch zu Gesicht.

Letztendlich willigte er zähneknirschend ein. Vielleicht war ihm klar geworden, dass Diana sich in Althorp nicht mehr zu Hause fühlte, seit Raine alles im Palast an sich gerissen hatte. Vielleicht hatte es Raine ihm auch schöngeredet, um Diana endlich los zu sein.

Gemeinsam mit ihren Freundinnen Carolyn, Virginia und Anne bezog Diana in South Kensington ein herrschaftliches Apartment, das ihrer Mutter gehörte. Der Wohnkomplex hatte Mahagoniaufzüge, und es gab sogar einen gemeinschaftlich genutzten Garten. Mit vereinten Kräften richteten sie das Apartment in einem einfachen ländlichen Stil ein und strichen die Wände pastellfarben. Diana nahm eine Stelle als Kindergärtnerin an, um etwas Geld zu verdienen. Wie viel Spaß es machte, mit den Kleinen herumzualbern! Kinder verstellten sich nie und sagten ehrlich, was sie dachten. Abends, wenn Diana nach Hause kam, legte sie als Erstes eine Platte auf. Manchmal kochten ihre Freundinnen und sie gemeinsam, um aufzufrischen, was man ihnen in langweiligen Kochkursen beigebracht hatte. Ihre Eltern hatten Diana dazu angemeldet. Ein anständiges Mädchen musste doch wissen, wie man Roastbeef und Yorkshire Pudding zubereitete! Diese Kurse waren Diana ein Graus gewesen, und sie hatte die anderen Mädchen mit den samtenen Haarbändern und dem falschen Lächeln nicht sonderlich leiden können. Letztendlich war sie jedes Mal verwarnt worden, weil sie ständig ihre Finger in den Soßentöpfen gehabt hatte.

Mit ihren Freundinnen ernährte Diana sich fast ausschließlich von Schokolade und Cornflakes. Nicht selten machten sie sich den Spaß und riefen Leute aus dem Telefonbuch mit verrückten Namen an. Aber meistens kuschelten sie sich aufs Sofa, guckten romantische Komödien wie Grease oder Saturday Night Fever und schwärmten für John Travolta, während es draußen Herbst wurde und schließlich die ersten Schneeflocken fielen. Hin und wieder gingen sie aus, und die Mädels verloren ihre Herzen und durchlebten all die Dramen, die die erste Liebe mit sich brachte. Auch Diana hatte Verehrer, und ein paarmal ging sie sogar mit einem aus. Aber sie bemühte sich jedes Mal zu zeigen, dass sie eigentlich kein Interesse hatte.

Doch auch sie hatte ihr Herz verloren, und zwar an London. Diana liebte es, in den Menschenstrom einzutauchen, in das sonore Rauschen des Stimmendurcheinanders, dann und wann durchbrochen von Bauarbeiten, Straßenmusik oder dem Brummen der Doppeldeckerbusse, die die Touristen zum Big Ben oder zum Buckingham Palace kutschierten. Sie liebte die weihnachtlich dekorierten Schaufenster mit der neuesten Mode. Oder mit ihren glatten Sohlen über die feuchten Pflastersteine zu schlittern. Hier der deftige Geruch von Fish and Chips auf einem Markt, dort ein angenehmer Hauch aus einer Parfümerie, ein Stück weiter der unwiderstehliche Duft aus einem Teehaus, vermischt mit der Süße von Scones, Marmelade und Clotted Cream. Diana liebte sogar die vollgestopften U-Bahnen oder die Hupkonzerte, wenn sie mit dem kleinen roten Flitzer ihrer Mutter im Londoner Stau stand.

Die Zeit verging nur so im Flug, der Schnee schmolz, die ersten Blumen sprossen im Vorgarten, und endlich konnte Diana wieder mit den Kleinen im Kindergarten draußen spielen. Noch nie hatte sie sich so frei, so unbeschwert gefühlt.

Irgendwie wurde es ihr zur Angewohnheit, sich früh hinzulegen. Dann zog sie ihren Pyjama an, kuschelte sich ins Bett und blätterte ein paar Zeitschriften durch.

Eines Freitagabends klopfte Carolyn an ihre Zimmertür. »Wir wollen noch was trinken gehen. Es hat eine neue Bar aufgemacht. Kommst du mit?«

»Das nächste Mal.«

Carolyn lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was ist denn?«, fragte Diana, als Carolyn nicht aufhörte, sie anzustarren.

»Du hast so viele Verehrer, aber du lässt sie alle abblitzen. Ich verstehe einfach nicht, wieso du dich so … Ich weiß auch nicht …«

Diana ließ die Zeitschrift sinken. »Was mache ich?«

»Manchmal habe ich den Eindruck, als würdest du dich … aufbewahren.«

Diana lachte. »Aufbewahren? Weil ich abends lieber lese?«

Carolyn runzelte die Stirn. Sie wollte sich abwenden, hielt aber noch mal inne und sagte dann: »Ist es wegen des Prinzen?«

»Was meinst du?«

»Denkst du noch an Charles?«

»Nein!«

»Du blätterst jede Zeitschrift, die du in die Hände bekommst, nach ihm durch.«

Diana mochte es, sich Bilder von ihm anzuschauen und neue Details an ihm zu entdecken, wie beispielsweise, dass seine Wangen genau wie ihre oft leicht gerötet waren oder wie perfekt stets sein Scheitel gezogen war. Am liebsten sah sie Fernsehinterviews mit ihm und lauschte seiner tiefen, warmen Stimme. Er wählte seine Worte mit Bedacht, und um ihnen Nachdruck zu verleihen, verschränkte er oft die Hände, wenn er sprach, oder gestikulierte mit dem rechten Zeigefinger.

Trotzdem sagte sie zu ihrer Freundin: »Tue ich nicht. Ich habe keine Ahnung, was in seinem Leben los ist.«

»Ach nein?« Carolyn setzte sich ans Fußende von Dianas Bett. »Ist er nicht gerade mit dieser Sabrina Guinness zusammen?«

»Ach, doch schon eine ganze Weile nicht mehr. Sie war wohl seinen Eltern ein Dorn im Auge, weil sie im Tross der Rolling Stones mitgefahren ist und eine Affäre mit Mick Jagger hatte. Außerdem war sie mal mit Jack Nicholson und Rod Stewart zusammen.«

»Ach ja, stimmt. Ich meinte auch eigentlich Anna Wallace …«

»Sie haben sich getrennt.«

Auch das undefinierbare Techtelmechtel von Dianas Schwester Sarah mit dem Prinzen war vorbei gewesen, nachdem Sarah in einem Interview mit zwei Boulevardreportern behauptet hatte, nicht in den Thronfolger verliebt zu sein.

Carolyn zog die Augenbrauen hoch. »Die Platte, die da läuft … Sind das nicht die Three Degrees?«

»Ja, und?«

»Das ist doch die Band, die auf Charles’ dreißigstem Geburtstag gespielt hat, wie du erzählt hast. Ehrlich, die Beweislage gegen dich ist erdrückend.«

Diana hatte ihr Glück kaum fassen können, als sie eine Einladung zu Charles’ dreißigstem Geburtstag erhalten hatte. Immerhin war ihre Begegnung in Althorp House zu diesem Zeitpunkt schon ein Jahr her gewesen. Sarah hatte das natürlich gar nicht gepasst. »Warum hat er dich auch eingeladen?«

Diana hatte mit den Schultern gezuckt. »Ich weiß nicht. Aber ich würde wirklich wahnsinnig gerne hingehen.«

»Na schön, von mir aus«, hatte Sarah herablassend erwidert.

Doch abgesehen von den leckeren Häppchen und den Three Degrees, zu deren rockiger Livemusik Diana wunderbar getanzt hatte, war die Party für sie ein Reinfall gewesen. Charles war die ganze Zeit über nur von Schönheiten umgeben gewesen, deren Gesichter man auf Werbeplakate für Perlen oder Parfüm hätte drucken können. Abgesehen von »Alles Gute zum Geburtstag« hatte sie kein Wort mit dem Prinzen gewechselt und war schließlich maßlos enttäuscht nach Hause gefahren. Warum war sie nicht einfach zu ihm gegangen und hatte ihn zum Tanzen aufgefordert? Danach hatte sie zwei Tage lang im Bett gelegen und zu nichts Lust gehabt. Dieses Stechen in ihrer Brust, dieses Gefühl, versagt zu haben, wollte sie nie wieder spüren.

»Kommst du, Carolyn?«, rief Virginia. »Die Jungs warten schon unten.«

»Ich fürchte, du musst gehen«, sagte Diana und grinste.

»Einmal noch lasse ich es dir durchgehen. Aber das nächste Mal entkommst du mir nicht. Versprichst du mir, dass du James Gilbey eine Chance gibst? Er ist nämlich ganz verzaubert von dir.«

»Ich verspreche es«, erwiderte Diana.

»Gut. Denn ich begreife einfach nicht, wie du dich der Welt vorenthalten kannst.«


Diana begriff es selbst erst, als sie ihn an einem Wochenende im Juli 1980 wiedersah. Ihren Prinzen. Einer der Typen aus ihrer Londoner Clique, Philip de Pass, hatte Diana für ein Wochenende auf den Wohnsitz seiner Eltern in New Grove eingeladen. Zu einem Polospiel. »Auch der Prinz wird anwesend sein«, hatte er beiläufig gesagt.

Diana hielt sich am weiß lackierten Holzzaun fest, der das Spielfeld abgrenzte. Mit ihrer gelben Latzhose und der lockeren Strickjacke passte sie nicht zu den Damen in schicken Cocktailkleidern mit extravaganten Hüten. Während die Pferde über den weiten Rasen galoppierten, wurde im Pavillon mit Champagner angestoßen. Und während die Reiter hoch konzentriert spielten, lachte und plauderte man dort bei Häppchen. Diana wollte die Sonne im Gesicht spüren, das frische Gras riechen und die von den harten Hufschlägen aufgewühlte Erde. Sie wollte die Rufe der Reiter hören und das Schnaufen der Pferde, nicht das Klirren der Champagnergläser. Noch nie zuvor war ihr ein Polospiel so faszinierend erschienen, und das, obwohl sie nicht mal wusste, wie es stand! Sie hatte nur Augen für Charles. Für die Anspannung seines Körpers. Die Kraft seiner Bewegungen. Wie er das Pferd mit der linken Hand antrieb, in der rechten Hand den Schläger hielt, ausholte und – die Menge jubelte! Ein Treffer! Diana hüpfte vor Begeisterung, und ebenso ihr Herz.

Kaum hatte Charles das Spielfeld verlassen, wurde er von der Presse belagert. Höflich und charmant stand er Rede und Antwort. Die Aufmerksamkeit schien ihm zu schmeicheln.

Diana seufzte und zog die Ärmel ihrer Strickjacke über die Handgelenke. Es war wie auf der Party zu seinem dreißigsten Geburtstag. Stunden hatte sie mit Carolyn vor dem Spiegel verbracht und hin- und herüberlegt, was sie anziehen sollte. Und am Ende hatte der Prinz sie kaum wahrgenommen.

Nun bot sich ihr eine zweite Chance. Beim anschließenden Barbecue zog Charles sich unauffällig aus dem Trubel zurück und ließ sich auf einen der Heuballen nieder, die etwas abseits lagen. Wahrscheinlich wollte er in Ruhe durchatmen, aber es würde ohnehin keine zwei Minuten dauern, bis ihn wieder jemand belagerte. Es war ihre Chance. Sie erneut verstreichen zu lassen, würde Diana sich nicht verzeihen.

Doch was, wenn er sich am Ende schon gar nicht mehr an sie erinnerte?

Und dann stand sie vor ihm. »Eure Königliche Hoheit«, sagte sie und machte einen Knicks. Ihr Herz schlug so heftig und laut in ihrer Brust, dass sie kaum ihre eigene Stimme hören konnte.

»Sie haben so einsam ausgesehen, da dachte ich, ich leiste Ihnen etwas Gesellschaft«, fuhr sie fort.

»Ich hatte gehofft, hier jemanden zu treffen«, antwortete er und klang erschöpft, »aber diese Hoffnung wurde nicht erfüllt.«

Charles sah sie an. Sein Blick wanderte an ihr hinab und wieder hinauf. Er öffnete den Mund, wie um noch etwas zu sagen, und schwieg dann doch.

»Diana«, sagte sie tapfer. »Ich bin Sarah Spencers kleine Schwester. Wir haben uns vor etwa drei Jahren kennengelernt, als Sie unser Anwesen in Althorp besucht haben. Sie hatten mich auch auf Ihren Geburtstag eingeladen.«

»Ich weiß«, erwiderte er. »Sie … Sie sehen nur so verändert aus.«

Schon ein paarmal hatten ihre Freundinnen Diana gesagt, dass sie aufgeblüht war, seit sie in London lebte. Doch wenn Diana in den Spiegel blickte, wollte sich ihr nicht erschließen, was die Mädels meinten. Sie selbst sah nur, dass ihren blauen Augen der freudige Glanz fehlte. Und wie sie sich für ihre stets leicht geröteten Wangen schämte.

»Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist auch viel Zeit vergangen«, sagte Diana. »Es ist einiges passiert. Ich wohne jetzt in London. Und meine beiden Schwestern haben geheiratet. Janes Ehemann ist Robert Fellowes, er ist …«

» … der stellvertretende Privatsekretär meiner Mutter«, vollendete er den Satz für sie. »Ein netter Mann.«

»Und Ihr Großonkel Lord Mountbatten ist gestorben«, sagte sie nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Mein Beileid.«

Lord Mountbatten war bei einem Attentat der irischen Terrororganisation IRA ums Leben gekommen. Sein Fischerboot war gerade am Hafen ausgelaufen, als eine an Bord versteckte Bombe per Fernsteuerung gezündet wurde. Sein vierzehn Jahre alter Enkel Nicholas Knatchbull, Charles’ Patenkind, und der fünfzehnjährige Bootsmann Paul Maxwell waren ebenfalls sofort tot gewesen.

Charles war bemüht, sich seinen Schmerz nicht anmerken zu lassen, doch seine Augen konnten Diana nicht täuschen. »Danke«, sagte er.

Deshalb fuhr sie fort. »Sarah hat erzählt, dass Sie Ihrem Großonkel sehr nahestanden.«

Diana wagte es, sich neben ihn zu setzen.

»Wie schrecklich das für Sie gewesen sein muss. Sie haben so traurig gewirkt, als Sie bei der Beerdigung in der Kirche nach vorne gegangen sind. Das hat mich sehr berührt.«

»Dabei habe ich mich bemüht, mir meine Trauer nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Hätte ich geweint, hätte mein Vater das nur als erneuten Beweis meines schwachen Charakters ausgelegt. Mit Onkel Dickie konnte ich ganz offen über alles reden, ohne Angst haben zu müssen, dass er mich verurteilt oder auslacht.«

»Sie müssen schrecklich einsam sein. Ich denke oft an Sie.« Diana spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Ich meine, wir alle tun das.«

»Sir.«

Diana errötete. »Das ist sehr freundlich. Sie sind ein wahrer Gentleman.«

»Prinz«, wiederholte sie und lächelte entschuldigend, um sich dann von dem Heuballen zu erheben. »Das nächste Mal vielleicht.«

»Gibt es denn ein nächstes Mal?«, fragte er und stand ebenfalls auf.

»Wie kann ich Sie erreichen?«

»Ich bin mir sicher, Sie finden einen Weg«, sagte sie und ging. Jedoch nicht, ohne ihm einen letzten koketten Blick über die Schulter zuzuwerfen.