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Über die Autorin

Veronika Smoor, Jahrgang 74, ist Autorin, Referentin und Bloggerin. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern auf dem Land in der Nähe von Heilbronn. Von Selbstoptimierung und Glaubensenge hält sie nichts und findet Gott in den Ecken und Winkeln ihres Alltags.

„Entwaffnend ehrlich“, seufze ich nach dem Lesen. Veronika Smoor erzählt von Herzen. Wie sie sich Zwänge, Drohen, Selbstsabotage abgewöhnte. Sie lädt ein, radikal abzurüsten. Uns zu umarmen. Unser Leben zu lieben. Unserem Körper keine Gewalt mehr anzutun. Zorn als Energie zu nutzen für notwendige Veränderungen. So findet, so stiftet sie Frieden. Ihr Buch liest sich wie der Brief einer Freundin. Wie eine sehr persönliche Einladung, unser vielschichtiges Selbst glückselig zu bejahen.

Christina Brudereck – Theologin, Autorin, Poetin und ein Flügel des Duos „2Flügel“

BÄM! Veronika Smoor schafft es, ein Buch zu schreiben, das endlich Antworten auf die große Sehnsucht nach Selbstliebe bereithält. Mir laufen Tränen der Freude und Erleichterung über mein Gesicht, während ich die Geschichte von Veronika und ihre ermutigende Wahrheit lese. Noch nie war Selbstliebe so sehr zum Greifen nah.

Priska Lachmann – Theologin, Autorin und Bloggerin

An Veronika Smoors Buch reizte mich der Titel sofort. Freundlich, reflektiert und emanzipiert nimmt Veronika mich in ihrem Buch mit auf eine Reise durch ihre Problemzonen in die Freiheit. Eine Freiheit, die leider für mich – und viele Frauen heute – noch keine Selbstverständlichkeit ist. Aber die Freiheit ist zum Greifen nah und dieses Buch lässt sie mich sehen! Deshalb ist es so wichtig, dass es dieses Buch gibt, dass es gelesen und gelebt wird. Eine absolute Empfehlung. Ein Must-Read heutiger Tage!

Sarah Kesthkaran – Theologin, Autorin und Bloggerin

Stimmen zum Buch

Vorwort

Problemzonen

Bin ich irgendwann zu Ende optimiert oder möchte ich den Wahnsinn endlich beenden?

Der Anfang

Körper

Pubertätswahnsinn und Sex

Verschwenderisch großzügige Frauensolidarität

Scham

Gott hatte auch einen Körper

Korsetts

Lebensdieb Diätkultur

Die Diäten versagen. Nicht wir.

Deprogrammierung

Selbstmitgefühl

Bodyshaming

Me Too!

Böses Blut

Gute Hoffnung

Menopause

Das Alter rocken

Geist

Neue Aufbrüche

Der Makel der Ursünde

Eine fremde Kultur

Will ich eine nette Frau sein?

Von struktureller Ungerechtigkeit

Die Frauenstimme ist nicht nur zum Lobpreis da

Aus der Reihe tanzen

Der missverstandene Paulus

Entflechtung

In das eigene Leben hineinhorchen

Die neuen Frauen

Das ärgerliche Ding mit der Unterordnung

Planänderungen

Am Fundament rütteln

Seele

Hunger nach Anerkennung

Ein Hoch auf die Mittelmäßigkeit

Perfektionismus

Born this way

Parfüm und Zerbruch

Das Herz von der Leine lassen

Disney-Prinzessinnen-Theologie

Jasagen und Neinsagen

Veilchen oder Rose?

Epilog

Danke

Anmerkungen

Ich bin sommersprossiger und schöner denn je. Wenn das so weitergeht, werde ich direkt unwiderstehlich.

Pippi Langstrumpf

Ich wünsche für die Frauen keine Macht über Männer, aber die Macht über sich selbst.

Mary Wollstonecraft

von Veronika Schmidt

Tief in uns Frauen sitzt es: Das Gefühl, nicht „richtig“ zu sein. Vererbt von Generation zu Generation. Womöglich schon seit dem Missverständnis um Eva, sie habe die Menschheit ins Verderben gestürzt, sie sei an allem schuld.

In jeder Lebensphase kann uns dieses Gefühl, nicht zu genügen, aufs Neue überfallen. Auch ich selbst bin nicht davor gefeit. Doch je älter ich werde, je mehr Lebenserfahrung mir zur Verfügung steht, desto mehr packt mich auch die Empörung über dieses verdrehte Frauenbild, dem ich mich nicht mehr länger fügen möchte. Die typisch weibliche Vorstellung, nicht zu genügen, ist nicht die wahre Botschaft der Bibel. Und die Unterordnung von uns Frauen ist weder unsere göttliche Wesensbestimmung noch unser biologisches Schicksal, sondern ein historisches Produkt der Beschämung der Frau. Dass Frauen sich selbst abwerten oder sich von anderen degradieren lassen, ist Ausdruck davon.

Es sollte uns also nicht verwundern, dass wir keinen Körper lieben können und auch nicht die Person, die in diesem Körper steckt, wenn wir uns Tag für Tag selbst mit subtiler Selbstverachtung strafen. Diese Haltung beeinflusst uns allerdings nicht nur persönlich. Stark sein – auch für andere relevante gesellschaftliche Themen – kann man nämlich erst, wenn man es aufgegeben hat, gegen sich selbst anzukämpfen. Ich wage sogar zu behaupten: Selbst wirkliche Freiheit, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung werden wir Frauen nicht erlangen, solange wir uns über das Äußere beurteilen lassen und es sogar ständig selbst tun. Stellen wir uns doch einmal einige entscheidende Fragen: Wer hat etwas davon, wenn wir die Zahl auf der Waage als Messinstrument für unseren Selbstwert benutzen? Was bedeutet das für die Gesellschaft, wenn sich Millionen Frauen nicht hübsch und fähig genug fühlen, die Welt aufzumischen? Was macht das mit unserem eigenen Leben, wenn wir uns selbst Knüppel zwischen die Beine werfen?

Wie verzagt und gebunden uns das Frauenbild macht, das uns gegen eigene Erwartungshaltungen und solche von außen ankämpfen lässt, und wie unschön sich das anfühlt, das fasst Veronika Smoor in lustvolle und leichtfüßige Worte. Voller Erzählfreude und mit mutiger Ehrlichkeit, mit Geschichten und Metaphern nimmt sie sich der großen Bögen eines Frauenlebens an und packt ihr eigenes Erleben hinein. Beim Lesen entdeckt man nicht nur Veronikas Herzschlag, sondern von den ersten Seiten an auch den eigenen. Das hier ist nicht nur Veronika Smoors Geschichte, sondern zu einem großen Teil auch die eigene – obwohl die jeweiligen Lebenswege natürlich ganz individuell sind. Nahbar und ergreifend schreibt sie an gegen die Scham vieler Frauen und gegen den Wahn, es immer allen „recht“ machen zu müssen, dem wir uns oft unbewusst beugen. Sie nimmt uns nicht nur mit auf ihre eigene lange Reise zu einem selbstbewussteren Körpergefühl, sondern vor allem auf ihren inspirierenden Weg als Frau zu sich selbst. Dabei schreibt sie unumwunden direkt, schont sich nicht und spart auch Peinliches nicht aus. Charmant fordert sie auf zum Ausstieg aus der Problemzone Frau, raus aus der Opferrolle – frei nach dem Motto: „Spiegel, Waage, Konventionen, ihr könnt mich mal!“

Gott steh uns bei, wir Frauen haben die Veränderung unseres Selbstbilds tatsächlich auch selbst in der Hand! Wir sollten also schleunigst aufhören, uns ständig selbst zu dissen – unter anderem, weil uns die Welt braucht. Denn diese steckt in großen Schwierigkeiten. Und große Schwierigkeiten bewältigen, das kann Frau! Das hat sie in den Krisen und Kriegen der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Wenn es uns braucht, blühen wir Frauen auf und sind fähig, unglaubliche Ressourcen freizusetzen. Aber dazu müssen wir über unsere vermeintlichen Problemzonen großzügig hinwegschreiten!

Das sollten wir wirklich tun, und dazu macht dieses Buch Mut. Denn wir können mehr als Optimierungswahn. Streifen wir die auf uns gelegte, kulturell erlernte Scham ab. Gott hat uns Frauen nie diskreditiert. Die weibliche Beschämung ist eine Erfindung der Menschen, und unter den Folgen leiden die meisten Männer übrigens mit. Gehen wir den ersten Schritt in Richtung Versöhnung mit uns selbst! Danach muten wir uns und unsere Kompetenz der Welt zu. Und haben Spaß daran. Viel mehr Spaß. Ein buntes, fröhliches, ansteckendes Leben! Seien wir individuelle, originelle, unangepasste, unbequeme und herausfordernde Frauen nach Gottes Herzen. Oder – in Anlehnung an Astrid Lindgren –: Seien wir doch endlich so „frech, wild und wunderbar“, wie unser Schöpfer uns gemeint hat.

Veronika Schmidt – Systemtherapeutin, Sexologin und Autorin des Buches „Endlich gleich!“

Bin ich irgendwann zu Ende optimiert oder möchte ich den Wahnsinn endlich beenden?

Es ist wieder einer dieser typischen Dienstage. Dienstage sind anstrengend: Der Wecker klingelt gefühlt drei Stunden zu früh. Ich werde unsanft aus einem weichen Traum gerissen und wäre noch gerne verweilt. Draußen ist es oktoberdunkel; ich habe das Fenster die ganze Nacht geöffnet, denn ich bin bekennende bei „Offenem-Fenster-Schläferin“. Mein Mann ist bis zur Nasenspitze in seinem dicken Federbett eingemauert.

Ich bin noch gar nicht richtig bei mir, aber Füße und Hände finden automatisch ihren Weg. Anziehen. Feuer machen. Müsli auf den Tisch stellen, Schüsseln und Löffel dazu. Tee kochen. Pausenbrote richten. Mädchen wecken. Katze füttern. Endlich halte ich eine Tasse heißen Kaffees in der Hand. Neuronen im Hirn und Muskeln im Körper laufen warm. Das ist auch gut so, denn ausgefeilte Erziehungstechniken sind vonnöten. Wir müssen ein Bekleidungsproblem lösen, gefolgt von einem trotzigen Tränenmeer. „Machst du mir bitte noch eine Thermoskanne Tee für die Schule?“, so die Frage eine Minute, nachdem die Kinder eigentlich aus dem Haus hätten sein müssen. Ja, mache ich.

Aufatmen. Betten abziehen. Frühstücks-Chaos beseitigen. Dann kurz unter die Dusche. Zum Föhnen ist keine Zeit, aber für fünf Minuten Stille auf meinem Lieblingssessel mit Lieblingsworten meines Lieblingsautors (momentan Henri Nouwen).

Dann springe ich ins Auto; ich bin der Abholdienst für einen Schauspieler, der heute an unserer Grundschule das Magische Baumhaus lebendig werden lassen soll. Warum ich den Abholdienst mache? Weil mich die Rektorin gefragt hat. Denn als freischaffende Künstlerin ist man ja jederzeit verfügbar.

Daheim warten die Handwerker. Sie wollen unsere Fassade verputzen und haben tausend Fragen, die ich alle kompetent beantworte. „Das Kabel da? Ist aus den 50er Jahren. Ja, da könnte Strom drauf sein. Oder auch nicht. Schneiden Sie es ruhig ab.“ An den Laptop. Meine Schreibarbeit wartet. Wie immer kommt sie kläglich zu kurz. Kaum habe ich mir fünf Sätze aus meinen Gehirnwindungen geleiert, steht das Kochprogramm an. Ich muss als nachhaltige, ökologische Hippiemutter ein ausgewogenes Bio-Essen auf den Tisch bringen. Hirseauflauf. Meine Töchter sind neuerdings Vegetarier.

Nächster Fahrdienst. Kind Nr. 1 vom Schwimmunterricht abholen. Mittagessen. Hausaufgaben. Klavierüben. Ein bisschen bei Tee und Strickzeug durchatmen. Dann wieder ins Auto. Reitunterricht. Kind Nr. 2 von der Schule abholen. Auf dem Rückweg zur Bank. Und zur Post. Dann wieder Kind Nr. 1 vom Reiten abholen. Beim Absatteln helfen und mir vom Pferd meinen einzigen noch sauberen Pulli vollsabbern lassen. Abendbrot auf den Tisch werfen. Mein Mann kommt nach Hause und wird von den Kindern empfangen wie der Messias persönlich. Ich freue mich auch, aber weniger Fangirl-mäßig. Einen Kuss bekommt er natürlich von mir. Schnell einen Happen essen. Blick in den Spiegel. Augenbrauen nachziehen. Zweimal mit der Bürste durchs Haar. Ich will mich von meiner Familie verabschieden, denn der Elternabend steht an. „Mama, willst du dir nicht noch ein anderes Oberteil anziehen? Da klebt Pferdesabber auf deiner Brust.“

Und dann der Elternabend. Höhepunkt der Woche. Ich kenne hier noch fast niemanden. Die Lehrer wirken alle so kompetent, dass ich es fast nicht wage, die Hand zu heben, um ein paar Anfragen loszuwerden. Ich leide immer noch unter einem weiblichen Minderwertigkeitskomplex, vor allem in Gegenwart sehr intelligenter Männer. Dann traue ich mir nicht zu, dass meine Beobachtungen und Eindrücke wichtig und richtig sein könnten. Und: Ich will ja nicht gleich am ersten Elternabend als „schwierige Helikopter-Mutter“ abgestempelt werden.

Ich bekomme Antworten, die mir mehr Klarheit verschaffen. Und schüttele innerlich meine Ängste ab. Wieder und wieder. Ich brauche eine Haut wie ein Regenschirm, an der das Wasser abperlt. Vielleicht werde ich sie nie in vollem Umfang haben. Aber manchmal, ja, da zeigt sie sich.

Später dann noch eine Stunde mit meinem Liebsten auf der Couch. Ich erzähle. Er hört zu. Wir beschließen den Abend mit ein paar YouTube-Videos. Leichte Unterhaltung nach einem pickepackevollen Tag.

Ja, so sind meine typischen Dienstage. (Nicht, dass immer Elternabend wäre – der Herr sei gelobt!)

Jetzt bin ich abgeschweift. Eigentlich wollte ich von einem anderen Dienstag erzählen. Einem, der ein paar Monate zurückliegt. An jenem Morgen quälte mich eine Frage. Eine, die immer nach einem abgeschlossenen Buchprojekt im Raum steht: Worüber möchte ich als Nächstes schreiben? Was bewegt mich?

Das Problem an diesen typischen Dienstagen ist nämlich folgendes: Ich verliere den Kontakt zu mir selbst, spüre mich selbst nicht mehr. Und das ist nicht nur an Dienstagen der Fall. Er ist nämlich lediglich eine Blaupause für meine Montage und Mittwoche, Donnerstage und Freitage.

Die Fragestellung bezüglich meiner nächsten Buchidee heftete sich an die Ränder meines Herzens und Denkens. Was ist dein Thema? Sie folgte mir in den Keller zum Katzefüttern und in die Küche zum Gemüseschnippeln. Sie marschierte mit mir ins Badezimmer, obwohl ich flink hineinhuschte und hinter mir sofort die Tür verriegelte. Hartnäckig war sie und sah mir dabei zu, wie ich mich auszog und unter die Dusche begab. Die Frage scheute weder Nässe noch Nacktheit. Mein Blick wanderte nach unten. Dort, wo eigentlich meine Zehen sein sollten, wo aber stattdessen mein Bauchansatz in mein Blickfeld rückte. Er machte mich müde und traurig. So ein richtig rundes Bäuchlein. Auf meine letzte Schwangerschaft vor neun Jahren kann ich ihn leider nicht mehr schieben. Ob das auch meine Mitmenschen langsam ahnen? Ich könnte nun die einsetzenden Wechseljahre dafür verantwortlich machen. Der Blick wanderte weiter und blieb an meinen Beinen haften. Ich bin mit besonders starkem Haarwuchs gesegnet. Ein Vermächtnis meiner Vorfahren an mich. Und jetzt, Anfang Herbst, lasse ich der haarigen Verwahrlosung freien Lauf. Warmes Wasser mit Schaumkrönchen umspülte meine Füße. Abblätternder Nagellack und rissige Hornhaut waren die letzten Überbleibsel des Sommers.

„Ich bin eine wandelnde Problemzone“, schoss es mir durch den Kopf. Sicherlich nicht zum ersten Mal. Das Wasser rauschte ungerührt weiter über meinen Körper, suchte sich seinen Weg durch ergrauende Haare, stoppelkurze Wimpern und unrasierte Achselhöhlen. „Problemzone Frau?!“ johlte die Frage. Und in diesem Moment fielen alle Teilchen an ihren Platz. „Problemzone Frau!“ Das ist es, was mich bewegt, seit ich 13 bin. Das ist es, was viele andere Frauen bewegt. Es sind ja nicht nur die schwarzen Haare auf den Zehen und der Bauchansatz. Oder die molligen Schenkel mit ihren Cellulite-Dellen. Es sind nicht nur die in die Jahre gekommenen Brüste und ergrauenden Haare. Unsere Problemzone reicht ja bis in die tiefsten Tiefen. Sie macht noch nicht mal Halt vor vermeintlich perfekten Frauen, die eben auch am Dienstagmorgen unter ihrer Dusche stehen und Dinge an sich entdecken, die sie zu hassen gelehrt wurden.

Wir Frauen stecken in einem System aus Erwartungen und Wahnsinn, das bereits in unserer Kindheit begann. Unsere Selbstwahrnehmung basiert häufig auf Lügen, die uns wieder und wieder eingetrichtert werden. Manchmal sehr subtil, ganz häufig sehr offensichtlich. Und dann übertreffen wir uns darin, uns selbst schlechtzumachen, kleinzuhalten und jeder Diät hinterherzurennen. Als Frau scheinen wir eine einzige Problemzone zu sein. Angefangen bei unseren Oberschenkeln über die Gender Pay Gap bis hin zu strukturellem Sexismus in christlichen Gemeinden. Wir wollen einen guten Lebensentwurf für uns selbst und unsere Familien leben und doch werden wir oft innerlich zerrissen, weil wir aus Unsicherheit den „breiten Weg“ gehen. Den, den viele andere Frauen auch wählen (und der für manche von uns passt, aber für andere eben nicht). Selbstbestimmte Entscheidungen in Freiheit, die es uns ermöglichen, unseren eigenen Weg durch die Wildnis des Lebens zu schlagen – und dabei auf die gesellschaftliche Meinung zu pfeifen –, das fällt vielen von uns schwer. Wir wollen weniger sein, hungern uns schlank, machen uns dünn. Denn Frauen, die ihren Raum mit Lachen und Selbstverständlichkeit einnehmen, sind ein Anstoß. Egal ob es die Frau mit 20 Kilo Übergewicht und knallbuntem Bikini im Schwimmbad ist, oder die Frau, die ihre Wahrheit laut in die Welt trägt. Sind wir jedoch leise und zurückhaltend, dann wirft man uns mangelndes Durchsetzungsvermögen vor. Tun wir aber genau das – uns durchsetzen und Gehör verschaffen, wenn wir aus der weiblichen Opferrolle treten – dann trifft uns der Vorwurf, „schwierig“ zu sein. Eine Bitch. Oder gar Feministin! Und das ärgert mich, denn kaum ein anderes Wort triggert konservative Christen so sehr wie das F-Wort. Dabei ist doch der Kern des Feminismus (der so viele verschiedene Gesichter trägt wie die christliche Tradition) die Auffassung, dass Frauen auch Menschen sind, wie es Sarah Bessey so schön kurz und knapp in ihrem Buch Jesus Feminist auf den Punkt bringt. (Übrigens würde ich ohne die Errungenschaften des Feminismus sicherlich nicht hier sitzen und schreiben können. Ein Salut an unsere tapferen Vorfahrinnen an dieser Stelle!)

Manche meiner Freundinnen sind Mitte 30 und Single. „Du strahlst wahrscheinlich zu viel Selbstbewusstsein aus“, so erklären manche deren Singlestatus. Trostworte können manchmal Faustschläge sein. Trägt meine Nichte selbstbewusst ein kurzes Kleid für einen Mädelsabend in der Stadt, mache ich mir Sorgen, ob Männer übergriffig werden könnten. Und dann schäme ich mich für diesen Gedanken. Er zeigt, wie sehr die Täter-Opfer-Umkehr in unseren Köpfen verankert ist. Selbst in meinem scheinbar so aufgeklärten Kopf! Das kurze Kleid ist nicht das Problem, sondern der Täter, der die Kontrolle über sein Denken und Handeln aufgibt. Würde meine Nichte in langer, körperverhüllender Kleidung das Haus verlassen, so hätte ich Sorge, dass sie sich einem körperfeindlichen Kult angeschlossen hätte.

Ginge ich als Mutter einer Erwerbsarbeit nach, dann würde man mir in manchen Kreisen vorwerfen, eine Rabenmutter zu sein. Entscheide ich mich für ein traditionelles Familienleben, dann werde ich auch dafür kritisiert und belächelt. Als Frau wählen wir gerne den möglichst breiten Weg, um möglichst wenig Kritik abzubekommen. Aber die Geschosse treffen uns trotzdem, egal welche Route wir einschlagen.

Die Schönheits- und Modeindustrie, die Müttermafia, unausgesprochene Rollenzuweisungen, joviale Altherrenmentalität, verstaubte Gemeindestrukturen, Victim Blaming und unsere eigenen Erwartungen an uns selbst legen uns ein Würgehalsband an, das wir nicht so gerne spüren wollen. Und wir wundern uns, warum wir so schlecht Luft bekommen und doch das Gefühl an uns nagt, dass wir noch immer nicht genug geben. Wir fragen uns verzweifelt – während wir tausend Bälle in der Luft halten – warum wir eine wandelnde Problemzone sind, obwohl wir doch bereits Weight Watchers oder vergleichbaren Abnahmeprogrammen genug Geld in den Rachen gestopft haben, drei Mal die Woche aufs Laufband gehen, uns jedes überflüssige Kohlenhydrat verwehren, erst vorgestern beim Frisör waren, den Kindergottesdienst machen, Kuchen für den Basar backen und alles, wirklich alles tun, was man von uns erwartet.

Es ist an der Zeit, dass wir uns freischwimmen. Es ist an der Zeit, dass wir uns das Würgehalsband abnehmen, die Waage in die Mülltonne kloppen, unsere gottgewollte, wilde Weiblichkeit entdecken, uns mit ihr versöhnen und uns bei der nächsten Dusche wohlwollend betrachten. Es ist an der Zeit, nicht nur selbst die Muskeln spielen zu lassen, sondern genau hinzusehen und zu entdecken, dass Jesus mit Frauen absolut inklusiv umging. Er scheuchte sie nicht weg. Er ekelte sich nicht vor ihren Krankheiten. Er redete mit ihnen auf Augenhöhe, führte theologische Gespräche ohne genervte Herablassung und Dominanzgehabe. Jesus zeigte sich nach seiner Auferstehung zuerst den Frauen und sie waren seine ersten Evangelistinnen. Und das alles zu einer Zeit, in der Frauen nicht zählten. Für Gott sind wir keine Randfiguren, keine Problemzonen, an denen rumgeschraubt werden muss, bis wir klein und hübsch und fügsam sind, sondern seine freien, wilden Geschöpfe, geformt nach seinem Ebenbild.

Ich bin sicher, dass auch du in so manchen Punkten eine Gefangene bist. Ich kenne nur eine oder vielleicht zwei Frauen, die ganz mit sich versöhnt sind. Und selbst sie müssen sich diese Versöhnung immer wieder neu erkämpfen. Oft genug stehen Frauen an meinem Büchertisch und lassen mich kurz in ihr Leben blicken. Sie erzählen von Selbstzweifeln, obwohl sie unter ihrem Arm bereits einen Stapel der neuesten christlichen Frauen-Ermutigungsliteratur tragen und ihr Bücherregal daheim ganz gewiss ähnliche Titel beherbergt. Wir lesen und lesen Buch um Buch und doch tönt am Ende die Waage im Bad, die Geringschätzung in unserer Gemeinde oder der Mangel an Gesehenwerden lauter als der Inhalt der Ermutigungsliteratur.

Ich schreibe hier also weder einen Ratgeber noch ein blumenberanktes Ermutigungsbuch. Keine zehn Schritte hin zur befreiten Weiblichkeit mit Erfolgsgarantie. Alles, was ich möchte, ist, dich mit hineinzunehmen in meine eigene Geschichte, mit dir zu weinen und zu lachen, zu beten und zu toben. (Ok, ich gebe es zu: Ein paar Ratschläge konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.) Und dich mit Freiheit zu segnen. Dieses Buch enthält keine magische Zauberformel, die dein Selbstbewusstsein stärkt, aber es ist hoffentlich ein Brückenpfeiler hin zur Versöhnung mit dir selbst. Echte Heilung vom Druck der Diätkultur, von frauenfeindlichen Botschaften und Selbstoptimierungsappellen braucht ihre Zeit, aber ich hoffe, dass ich mit meinen Worten und meiner Geschichte ein kleines bisschen zu dieser Heilung beitragen oder zumindest den Samen dafür legen kann.

Lass uns der Sehnsucht nachjagen, ganz versöhnt mit uns selbst und unserem Schöpfer zu werden. Lass uns unsere eigenen Klage- und Jubelpsalmen schreiben. Der erste Schritt ist, unserer Scham den Schleier wegzureißen. Und dazu gehört gnadenlose Ehrlichkeit. Wir befreien andere, es uns nachzumachen, wenn wir den ersten Schritt gehen. Also tue ich meinen ersten Schritt und werde über meine Problemzonen schreiben. Glaube mir, das fällt mir nicht leicht, und ich hoffe, dass bestimmte Menschen dieses Buch nie lesen werden, wie z. B. meine Eltern (Hi!) oder ehemalige Klassenkameraden oder Chefs. Aber hier bin ich. Mit allem, was ich bin und nicht bin.

Wollen wir uns heilen lassen und hinaustreten aus unseren vermeintlichen Problemzonen, die doch meist nur Systeme sind – geschaffen, um uns Frauen unserer Freiheit und unserer Relevanz zu berauben?

Lass mich dazu eine Geschichte erzählen:

Vor ein paar Jahren war ich bei The Voice of Germany. Oh nein, nicht als Teilnehmerin – das hätte die Einschaltquoten vermutlich in den Keller sacken lassen –, sondern als Begleiterin meiner Freundin Sally, von Beruf professionelle Rockröhre und Künstlerin. Da saß ich also mit hundert anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und deren Begleitern in einer kalten nüchternen Halle mitten in Berlin. Im Raum summten Adrenalin, Stimmübungen und Kaffeegeruch. Es war halb sieben am Morgen. Das würde sicher noch eine Weile dauern, vermutete ich, und zog mein Nagellackfläschchen aus meiner Handtasche. Noch nie in meinem Leben war eine Fernsehkamera auf mich gerichtet und ich wollte nicht unlackiert vor die Nation treten. Ihr kennt die übliche Nagellackierproblematik: Die linke Hand ist ein Kinderspiel, die rechte wird zum Massaker. Just in dem Moment, in dem sich meine zitternde Linke dem rechten Daumennagel näherte, betrat ein Hipster mit Klemmbrett und Headset den Raum und bellte: „Sally Grayson und Begleitung bitte zur Aufnahme!“ Meine Reaktion: „Aber ich muss noch meine Nägel zu Ende lackieren!“ „Selbstverständlich! Die Fantastischen Vier und Andreas Bourani warten sehr gerne darauf, bis du dein Schönheitsprogramm beendet hast!“ Gut, das antwortete der Klemmbrett-Hipster natürlich nicht, sondern winkte stattdessen genervt. Mit halblackierten feuchten Nägeln, einer aufgeregten Sally und den anderen Begleitern machten wir uns auf den Weg zu den Aufnahmen. Ein surreales Erlebnis für uns alle. Ich war darauf konzentriert, meine Hände vor den Kameras zu verstecken.

Dann wurden wir hinter die Bühne geführt. Sally war als erste an diesem Morgen an der Reihe, den Coaches ihr Können unter Beweis zu stellen. Die Menge feierte trotz früher Stunde auf der Tribüne. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf die Drehsessel und die Moderatoren, die gerade die Menge einheizten. Vorne die große Bühne und die Band. Alles war in goldenes und blaues Licht getaucht. So, wie es mir es aus dem Fernsehen vertraut war. Was ich nicht kannte, war die Unterseite, sozusagen das „Eingeweide“ der Tribüne: nüchternes Stahlgestänge, Kabelgewirr am Boden, hektische Klemmbrett-Hipster. Keine strahlenden Promis, sondern eine Yvonne Catterfeld im Eiltempo, hinter ihr her die Visagistin mit dem Puderpinsel. Bildschirme, Dunkelheit, der Geruch von zu viel billigem Deo. Zwar wusste ich, dass alles nur Show war, trotzdem war ich überrascht von der Gewöhnlichkeit hinter den Kulissen.

Es gibt das Leben auf der Bühne und das Leben hinter den Kulissen. Beides ist so weit voneinander entfernt wie der Mars von der Erde. Hinter den Kulissen sind wir ungeschminkt, hektisch und nicht ordentlich ausgeleuchtet. Hier regieren Chaos und halblackierte Nägel. Hinter der Kulisse stolpern wir über Kabel und Boxen, machen nervöse Stimmübungen und wischen unsere nass geschwitzten Hände am Hosenboden ab. Und auf der Bühne dann der große Auftritt, das zur Perfektion eingeübte Stück, die tobende Menge, die gutgelaunten Moderatoren, die gestylten, smoothen Coaches.

Die Bühne ist ein Konstrukt, und die Aufrechterhaltung des Scheins benötigt unendlich viel Arbeitseinsatz. Aber das wahre, echte, verschwitzte, ungeschminkte Leben findet hinter den Kulissen statt.

Man brauchte nur ein paar wenige Meter zu gehen, um die Welten zu wechseln. Auf der Bühne strahlten Promis und erfolgreiche Sänger, hinter der Bühne gingen sie aufs Klo, waren genervt, klebten sich schlecht haftende Wimpern wieder an, zitterten, futterten Kohlehydrate und tranken mehr Kaffee als ihnen guttat.

Das Leben auf der Bühne ist es, was uns angepriesen und als echt verkauft wird. Ein Leben im künstlich geschaffenen Konstrukt. Das Scheinwerferlicht strahlt uns an: Schaut her! Aber es zeigt auch gnadenlos hart, wenn etwas nicht stimmt. Wenn wir uns nicht genug Mühe geben. Wenn wir uns selbst vernachlässigen und nach der Geburt unserer Kinder nicht mehr in unseren alten Körper zurückfinden. Wenn wir zu laut oder zu leise sind. Wenn wir die Töne nicht treffen. Es zeigt unsere Eigenarten und schlecht lackierten Nägel. Unsere peinliche Unbeholfenheit, unsere großen Nasen und kleinen Busen, unsere knubbeligen Knie und unsere leider wieder mal völlig falsche Fashionwahl.

Genau die Punkte, die bei uns am meisten schambehaftet sind, werden hier voll ausgeleuchtet. Auf der Bühne werden wir nie lernen, mit uns selbst versöhnt zu leben, sondern erst dahinter.

Unsere Problemzonen sind nur so lange Problemzonen, bis wir den Zirkus auf der Bühne verlassen und erkennen, dass die Scheinwerfer nur seelenlose, tote Maschinen sind und dass die Bühne nur ein künstliches Konstrukt ist.

Auf der Bühne singen wir die Lieder, die man uns vorgibt (glaube ja nicht, dass die Teilnehmer bei The Voice of Germany freie Songauswahl haben!). Aber wenn wir hinausgehen ins Freie, in die Freiheit, dann können wir unsere ganz eigene Musik machen, losgelöst von einengenden Bühnenvorschriften.

Und dann, wenn wir von der Bühne treten, nehmen wir unsere Schwestern mit an die Hand und ermutigen sie, dasselbe zu tun. Gehen wir hinaus ans Tageslicht, singen wir unsere eigenen, neuen Lieder! Werfen wir die Diäten, Selbstoptimierungsversuche, fromme Genderklischees und unseren Perfektionismus in die Tonne! Schreien wir „MeToo, essen wir, was uns schmeckt (ja, auch Kohlenhydrate!), leben wir unser Leben, ziehen uns bunte Klamotten an, ringen falsche Schuldgefühle nieder und glauben von ganzem Herzen und ganzem Verstand, dass die liebevollen Augen unseres Schöpfers auf uns ruhen. Wenn wir dann zurückblicken, werden wir darüber lachen, dass wir uns jahrelang von einem Konstrukt haben steuern und quälen lassen.

Ich möchte dich an die Hand nehmen, meine liebe Schwester. Darf ich mit dir durch die Jahre meines Lebens gehen und dir zeigen: „Ich auch!“? Lass uns hinter die Bühne gehen, uns ein stilles Eckchen unter dem Stangengewirr der Tribüne des Lebens suchen und uns gegenseitig erzählen, miteinander lachen und weinen. Und dann gehen wir raus ins Freie. In die Freiheit. Und blicken nicht mehr zurück. Sondern gehen hinein in ein Leben, das keine Problemzone ist, sondern unsere Geschichte, die Gott mit uns schreibt.

Kinderland, du Zauberland,

Haus und Hof und Hecken.

Hinter blauer Wälderwand

spielt die Welt Verstecken.

(Detlev von Liliencron)

Ich war ein Wunschkind. Das fünfte meiner Eltern. Ich wurde in eine laute, quirlige und traditionelle Familie hineingeboren. Meine große Schwester ist 12 Jahre älter. Als ich kam, war sie an der Schwelle zur Pubertät und hatte damit ganz andere Lebensthemen. An vielen Tagen war sie gezwungen, mich spazieren zu schieben, damit meine Mutter den restlichen Zirkus bändigen konnte, der sich nie wirklich zähmen ließ. Meine Schwester war wenig erfreut über ihre neue Aufgabe. Ihre Wut ließ sie beim Laufen aus. Hätte es damals bereits Jogger gegeben – sie wäre einen Marathon mit mir und dem Wagen gelaufen. Aber so rollte sie den schaukeligen 70er-Jahre-Kinderwagen zornig und in hohem Tempo über Felder und durch Wälder. Ich selbst fand es grandios und krähte ihr fröhlich ins bockige Teeniegesicht.

Anders hingegen mein großer Bruder. Er wich in den ersten Wochen und Monaten nicht von meiner Seite. Wenn ich gewickelt, gefüttert und bespielt werden musste, war er da. Meine Mama war eine pragmatische Mutter ohne Schnickschnack. Das hochgepriesene Milchpulver der 60er und 70er Jahre ließ sie mit strafender Nichtbeachtung links liegen und tat zu einer Zeit, in der Müttern ihre jahrtausendealte Intuition aberzogen wurde, das, was all ihre Vorfahrinnen auch getan hatten: Sie stillte. Ohne sich dafür zu entschuldigen, wählte sie den schmalen Weg. Obwohl man zuweilen hinter vorgehaltener Hand munkelte, sie wolle ihr Kind „umbringen“, stellte sie den Kinderwagen samt Baby ungerührt fürs Schläfchen in die dezemberliche Eiseskälte. Gut eingepackt natürlich. Ich hatte selten Schnupfen als Kind. Und dann der nächste Skandal (zumindest nach heutigem Standard): Damit ich auch endlich mal länger als zwei Stunden am Stück schlief, gab sie mir bereits mit acht Wochen Beikost in Form von zerdrückten Bananen. Den Job übernahm mein großer Bruder liebend gerne, während ich begeistert versuchte, ihm den bananenverklebten Löffel zu entreißen und in mein Auge zu stechen. So jedenfalls wurde mir berichtet.

So wuchs ich in unserem Zirkus auf. Zu ihm gehörten auch Katzen, immer haufenweise Katzen, die in schrecklicher Regelmäßigkeit überfahren wurden. Und Hühner, Traktoren, ein ganzer Maschinenpark, ein großer Gemüsegarten, Obstbäume und der Holzschuppen, in dem ich mich gerne mit einer Cornflakes-Packung versteckte und diese leerknusperte. Süßigkeiten waren Mangelware.

Viele Gäste gingen auf unserem Gutshof ein und aus. Und ich hängte mich an jeden, um Geschichten zu hören. Geschichten waren meine Lebensader. Ich saß still bei der Kaffeetafel und ließ mich von Gesprächen berieseln. Auf dem grünroten Sessel mit seinen wuchtigen Holzarmlehnen im Wohnzimmer trank die alte Oma Junk aus zarten Porzellantassen Tee. Sie schaute mit mir Bücher an und erzählte mir davon, dass sie als kleines Kind bei einer Parade dem letzten deutschen Kaiser zugewunken hatte. Aufrechtstehende und gehende Baroninnen, Pfarrersfrauen und Bäuerinnen hinterließen den Duft von 4711, Kompetenz und Witz in unserem Haus. Zwei Frauen aus Tansania wohnten ein paar Wochen bei uns. Sie waren Landwirtschaftsschülerinnen, die in unserem Betrieb lernen sollten. (Wie sich das Gelernte dann auf die so ganz anderen Agrarbedingungen in Tansania übertragen lassen sollte, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben.) Die stille Tula war hochgewachsen und dünn. Joyna war genau das Gegenteil. Klein und rund und fröhlich laut. Ich war fasziniert von der Welt, die zu uns nach Hause kam, und die so ganz anders war als das, was ich kannte. Vor meinem inneren Auge erhoben sich steile grüne Hänge, üppig bewachsen mit Tee, und die Weite der Savanne mit Zebraherden. Tula und Joyna trugen ihre Khangas, traditionelle farbenfrohe Tücher, die sie als Kopftuch oder Wickelrock verwendeten und neben denen die deutsche Kittelschürze wie ein hässliches Entlein wirkte. Aufrecht trugen sie ihre Tracht, ihre Cornrows, ihre Geschichte, während sie Hühner fütterten und Eier für den Verkauf wogen. Ich sollte erst sehr viele Jahre später lernen, dass Frauen in vielen Kulturen, in denen sie geringgeschätzt, massiv ausgebremst, diskriminiert oder sogar ermordet werden, tatsächlich die Lösung für eine ganze Reihe gesellschaftlicher Probleme sind. Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen von 1997 bis 2006, sagte, dass Frauen die Lösung für globale Armut wären. Die Lösung!

Zu meinen weiblichen Bezugspersonen gesellten sich Heldinnen aus Büchern und Fernsehserien: Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter, Nesthäkchen, Anne auf Green Gables, Hanni und Nanni, Luzie, Heidi, die Rote Zora. Was alle meine realen Vorbilder und die Heldinnen der Geschichten gemeinsam hatten: Sie drehten sich nicht um ihr Aussehen, und sie missachteten Regeln, wie man sich als Mädchen und Frau zu verhalten hätte. Falls sie überhaupt jemals von Selbstzweifeln geplagt waren, überwanden sie diese, stemmten Pferde in die Höhe und verprügelten freche Jungs mit Kreidetafeln.

Nicht ein einziges Mal hörte ich als Kind eine Frau über ihr Gewicht klagen. Nicht einmal wurde mir vermittelt, dass es als Mädchen wichtig sei, immer hübsch auszusehen. Heute zucke ich jedes Mal zusammen, wenn ich im Schreibwarenladen an Topmodel-Malblöcken vorbeigehe und dem ganzen anderen hypersexualisierten und gegenderten Müll. Leider verpassen zu viele Mädchen, die durch dieses Frauenbild geprägt wurden, die Ausfahrt Richtung schöpferische Weiterentwicklung.

Idealisiere ich meine Erinnerungen und Prägungen? Bin ich in einer Power-Landfrauen-Blase groß geworden? Oder haben wir tatsächlich einen großen Rückschritt gemacht und Mädchen werden deutlich stärker als zu meiner Kindheitszeit auf ihre Äußerlichkeiten reduziert?

Nicht zum Sexysein, sondern zum Bravsein wurden wir Mädchen damals angehalten. „Willst du nicht ein braves Mädchen sein?“, war eine der Standardfragen von Erwachsenen. Bravsein bedeutete, niemandem zur Last zu fallen und niemandem Kummer zu machen (denn Kummer hatten die Erwachsenen genug mit den Altlasten aus dem Krieg). In den Köpfen und Lebensspuren der Menschen war der unbedingte Gehorsam den Eltern, den Lehrern und überhaupt allen Erwachsenen gegenüber noch tief verankert. Der Gehorsam auch gegen den eigenen inneren Instinkt. Wenn andere dich ärgern, dann halte still. Sei für andere kein Anstoß, kein Ärgernis, keine Peinlichkeit. Bravsein bedeutete, die eigenen Grenzen einzustampfen, und anderen zu erlauben, über dein eigenes Gelände zu trampeln und dort Schaden anzurichten. Bravsein bedeutete, dem eigenen Instinkt zu misstrauen. Im Patriarchat sind die Tugenden Bescheidenheit und Bravsein für Mädchen reserviert. Aber ich spürte die herannahende Bruchlinie zwischen der traditionellen Welt meiner Eltern und der Moderne sehr deutlich, was so manches Mal zur Zerreißprobe wurde.

Meine Eltern waren und sind tiefgläubige, praktizierende Christen. Eine eigenwillige Mischung aus nüchterner, intellektueller, evangelischer Landeskirche mit einer dreifachen Prise charismatischer Freikirchlichkeit mit all ihren typischen Begleiterscheinungen: Freies Beten, Handauflegen, Segnen, Lobpreis, der Einsatz der Geistesgaben, missionarischer Lebensstil.

Erst sehr viel später würde ich schockiert feststellen, dass in vielen christlichen Traditionen und Kulturen den Frauen untersagt ist zu lehren, zu prophezeien, zu leiten, das Wort zu erheben und – in ganz krassen Fällen – Hosen zu tragen. Ich hörte, dass Frauen das Einfallstor für die Sünde sind und dem Manne untertan sein müssen. Doch hatte ich das große Glück, fern solcher Gesetzlichkeiten und Glaubenstraditionen in einer Gemeinschaft von Christen aufzuwachsen, in der Frauen Leitungsämter und die Gabe der Prophetie und der Lehre ausübten. In unserer kleinen evangelikalen Nische wurden die kritischen Bibelstellen als historisch-kulturelle Besonderheiten durchgewunken. Sie waren unbedeutend. Sonst wären viele Ämter unbesetzt geblieben. Dafür waren andere Lehren von entscheidender Wichtigkeit: Niemals Sex vor der Ehe. Keine Scheidung und Wiederheirat. Und das große Modethema der 80er: Die Angst vor der Verseuchung durch New-Age.

Ich wuchs auf in Freiheit und Enge zugleich. Aber niemals, wirklich niemals redete jemand Weiblichkeit klein oder reduzierte die Frauen um mich herum auf gehorsame und stille Anhängsel.

Ich war ein unbekümmertes Mädchen, das lieber speckige Jeans als Rüschen trug, die Nachbarsjungen vermöbelte, mit seiner Mutter Marmelade einkochte und die Natur liebte. An unserem Hof führte ein Gehweg vorbei, auf dem sich Käfer und Kinder tummelten. Einmal zertrat ein Dorfjunge mit Genuss einen großen Käfer und ich war Augenzeugin. Empört baute ich mich vor ihm auf und verpasste ihm die Gardinenpredigt seines Lebens. Als Trumpfkarte spielte ich Gott als den großen Richter aus, der ihm für seine Untat die Hölle heißmachen würde. An mir ist eine großartige Theologin verloren gegangen. Um Worte war ich nicht verlegen. Und Mut war mir in die Wiege gelegt. Niemand in meiner Familie dachte daran, ihn mir wegzunehmen und kleinzureden. (Nur hätte ich vielleicht an meiner Wortwahl feilen können!)

Ich war umgeben von Frauen, die ihre Weiblichkeit lebten, aber nicht überbetonten, die tüchtig arbeiteten, sich wenig aus schicken Klamotten, Make-up und Frisuren machten, nachmittags mit herzhaftem Appetit Kuchen aßen und abends vor dem Fernseher, in dem gerade die Tagesschau lief, mit ihren Stricknadeln klapperten. Diese Frauen hatten ihren eigenen Schmerz in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins gepackt, wo sie hofften, dass er nicht im Wege sei. Wirklich körperfreundlich waren sie nicht, aber ihnen war auch jeder Kult um die perfekte Figur fremd. Sie krempelten täglich die Ärmel hoch, um die Arbeit zu tun, die getan werden musste. Keinen einzigen Gedanken verschwendeten sie an so etwas wie Haare unter den Achseln (die waren halt einfach da). Sie waren gepflegt, aber das Einzige, was du in ihren Badezimmern gefunden hast, waren Nivea-Creme und Odol-Mundwasser und gelegentlich vielleicht noch ein Lippenstift von Avon. Diese Frauen erinnern mich an Grandmam aus Wendell Berrys großartigem Buch Hannah Coulter: „Und jetzt, nach all den Jahren, nach Schwangerschaften und Muttersein und harter Arbeit war sie langsam und üppig geworden und sie erinnerte sich an ihre verloren gegangene Geschmeidigkeit und Schönheit mit Rührung, aber ohne Trauer. Sie betrauerte sich selbst nicht.“.1

Wenn man als kleines Mädchen von Frauen, die ihr Älterwerden und ihre verschwundene Taille nicht betrauern, umgeben ist, macht man sich selbst auch keine Gedanken um sein eigenes Äußeres. Ich dachte kein einziges Mal über meine Beine nach, über meinen Bauch, meine Haare oder meine Kleidung. Meine Beine trugen mich, mein Bauch freute sich über Milchreis mit Zimt, meine Haare hingen mir in zwei langen Zöpfen über den Rücken und ich trug das, was gerade im Schrank war. Heute weiß ich, welche Macht wir Frauen haben, weil wir die nach uns kommende Generation genauso prägen, wie uns einst unsere pragmatischen Mütter, Großmütter, Tanten und Nachbarinnen beeinflussten.

Was geben wir der nächsten Generation mit? Unsere Selbstzweifel? Unseren atemlosen Perfektionismus? Den Hass auf unseren Körper und unser Älterwerden? Eine verdrehte und reduzierte Version von Weiblichkeit?

Wenn wir lernen – befreit in Körper, Geist und Seele – ganz wir selbst zu sein, dann befreien wir damit auch die nachrückende Mädchengeneration. Also, auf Ladies, krempeln wir die Ärmel hoch und machen uns an die Arbeit.