Die Autorin

Cerstin Gammelin – Foto © Catherine Hess

Cerstin Gammelin, geboren 1965, war vom Mauerfall und dem gesellschaftlichen Wandel so fasziniert, dass sie sich nach ihrem Maschinenbau-Diplom an der TU Chemnitz dem Journalismus zuwandte. Nach Stationen bei der Financial Times Deutschland und DIE ZEIT wurde sie für die Süddeutsche Zeitung 2008 Europa-Korrespondentin in Brüssel und ist seit 2015 Vize-Redaktionsleiterin der Parlamentsredaktion in Berlin. Sie ist Co-Autorin des Spiegel-Bestsellers Die Strippenzieher und von Europas Strippenzieher.

Das Buch

Eine Frau aus dem Osten als Kanzlerin, und dann noch 16 Jahre? Bundesweit Recycling und flächendeckend frühkindliche Betreuung, Medizinische Versorgungszentren und vollzeitarbeitende Mütter? Kenia-Koalitionen und ein moderierender Politikstil? Cerstin Gammelin, selbst DDR-sozialisiert, findet viele Anzeichen für eine Emanzipation des Ostens, ja gar eine »Veröstlichung« der Bundesrepublik. Sie hat sich umgeschaut zwischen Greifswald und Erzgebirge und viele Gespräche geführt: mit den Regierenden der neuen Länder, mit Unternehmern, Kreativen, Wissenschaftlern, Menschen wie du und ich. Die Unterschätzten bürsten die Geschichte gegen den Strich und streiten dafür, dass die Realität im Land neu erzählt wird: nicht vom Westen aus gedacht, sondern paritätisch. Die bestehenden Ungleichheiten im Osten müssen beendet werden durch Förderung von Eigentum und eine gerechte Steuerpolitik sowie eigene Eliten in Wirtschaft und Wissenschaft, Kultur und Behörden.

Cerstin Gammelin

Die Unterschätzten

Wie der Osten die deutsche Politik bestimmt

Ullstein

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© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
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ISBN: 978-3-8437-2581-1

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Widmung

Gewidmet meiner weitverzweigten Familie

Vorbemerkung

In diesem Buch werden die Begriffe Ostdeutschland und Westdeutschland verwendet, ebenso Osten und Westen. Diese Begriffe dienen als Hilfskonstruktionen, um wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Unterschiede zwischen den Regionen herauszuarbeiten. Ostdeutschland und Westdeutschland sind, anders als die Begriffe suggerieren mögen, keine monolithischen Blöcke, sondern Regionen, reich an Traditionen und Unterschieden. Die dort lebenden Menschen sind – auch untereinander – unterschiedlich und individuell. Saßnitz ist anders als Suhl oder Pirna oder Castrop-Rauxel oder Bad Kreuznach oder das Allgäu. Dennoch verlaufen Trennlinien durch Ost und West, sie markieren zwei Gebiete mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Im Osten wohnen überwiegend Menschen, die existenzielle Umbrüche erfahren haben und durch deren Bewältigung miteinander verbunden sind. Diese Erfahrungen haben viele als gravierend erlebt und über Erzählungen an ihre Kinder und Enkel weitergegeben. Zugleich sind 1990 durch den Einigungsvertrag und in der Zeit danach etwa durch die Treuhand Trennlinien gezogen worden, die gewichtige, die Lebensumstände bestimmende Dinge wie Eigentum und Vermögen, Stimmrechte und gesellschaftliche Diskursmacht betreffen. Sie leben diese Erfahrungen und Erzählungen über Generationen weiter fort.

Einige Gesprächspartner, die in diesem Buch zu Wort kommen, haben darum gebeten, ihren Namen nicht vollständig anzugeben oder zu ändern. Es war selbstverständlich, diesem Wunsch nach persönlicher Diskretion zu entsprechen.

Mit meinem Text sind alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen, auch wenn das nicht immer explizit vermerkt sein sollte.

Vorwort

Dies ist ein persönliches Buch. Ein Buch, von dem ich nicht gedacht hätte, dass ich es mal schreiben werde. Über Ostdeutschland? Echt jetzt?

Ich lebe länger unter wiedervereinten Bedingungen als mit Todesstreifen. Der Mauerfall hat mir Freiheiten gebracht, von denen ich kaum zu träumen gewagt hatte. Ich habe über Umwege meinen Traumberuf gefunden, nach der rechtselbischen Jugend gerne linksrheinisch gelebt und als Europa-Korrespondentin das Lebensgefühl im Westen unseres Kontinents erkundet. Ich bin fasziniert von diesem quirligen Europa und wie es immer wieder gelingt, verschiedene Kulturen von Lissabon bis Sofia an einem Tisch zu versammeln, um Kompromisse zu finden. Ich arbeite für eine überregionale Zeitung, deren Hauptredaktion in München sitzt. Ich habe großen Respekt vor allen, die an demokratischen Prozessen engagiert mitarbeiten. Aber Ost-Aktivistin? Sicher nicht.

Zugleich bin ich tief im Inneren bis heute glücklich und stolz darüber, dass 1989 so viele Menschen so mutig waren, offen gegen das Unrechtssystem zu rebellieren. Noch heute gibt es Momente, in denen mir krass unwirklich erscheint, was damals gelungen ist. Erst kam der Nachbar, mit dem man flüsternd in der Küche beratschlagte, ob man diesen Aufruf für das Neue Forum unterzeichnen sollte. Dann folgten die Demos, auf denen alle für etwas gekämpft haben und nicht gegen etwas. Es gab diese verbindende Zuversicht, etwas Neues zu wagen und dafür vieles zu riskieren, die Liebsten, das Leben. Noch heute berührt mich diese irre ur-demokratische Kundgebung am 4. November 1989, als vom Geheimdienstchef Markus Wolf bis zur Schriftstellerin Christa Wolf jeder, der reden wollte, auf einen Kleinlaster der Marke Barkas klettern konnte und sich das Mikrophon nehmen; als völlig Unbekannte anderen Unbekannten, Sympathisanten oder Gegnern zuhörten und gemeinsam darum rangen, wie es weitergehen sollte. Auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin schien es möglich zu sein, eine neue Gesellschaft bauen zu können, mit Reisefreiheit, freien Wahlen, selbstbestimmt. Man hätte die Welt umarmen können.

Dann übernahm der Markt. Fortan hatte alles einen Preis. Der Traum von Reformen, getragen von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit, wurde von der Notwendigkeit verdrängt, ruckzuck zu lernen, wie man in einem kapitalistischen System (über)lebt. Die Gemeinschaft zerbröckelte, jeder hatte für sich damit zu tun, für sein Auskommen zu sorgen. Ich zählte zu den Glücklichen, denen der gerade erworbene Berufsabschluss anerkannt wurde. Maschinenbau hatte nichts Ideologisches an sich. Drehmomente, Festigkeiten und Strömungen basieren auf Naturgesetzen – die ja, wie sich später herausstellen sollte, auch in der Politik ihre Wirkung entfalten. Aus meiner Abiturklasse mussten viele neu anfangen. Wer Außenhandel studiert hatte, Ökonomie oder Lehramt, hatte plötzlich ein wertloses Diplom. Menschen aus dem Westen kamen in die Betriebe im Osten und lasen die Namen der Personen vor, die entlassen wurden. 1995 waren vier von fünf Ostdeutschen nicht mehr auf dem Arbeitsplatz, den sie 1990 gehabt hatten.1 In meiner Familie verloren fast alle ihren Job.

Das Virus hat diese Zeit wieder aufleben lassen in den Erinnerungen. Damals war alles ungewiss. Und auch in der Pandemie weiß niemand, wie es sein wird, wenn das Virus besiegt ist. Ob das überhaupt gelingt. Es drängen sich Parallelen zu den Neunzigerjahren auf, wie die Sorge um Arbeitsplätze oder der Wegfall des Alltags. Für viele Ostdeutsche fühlt es sich falsch an, dass die Bundeskanzlerin die Pandemie zur größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg ausgerufen hat. Nie habe die Deutschen seither ein schwererer Schlag getroffen. Wirklich? Ja, im westlichen Teil Deutschlands hat es nach 1945 keine gravierenden Umbrüche mehr gegeben. Siemens, Bayer, Volkswagen und andere Unternehmen haben Generationen von Familien ein Auskommen ermöglicht; gute Einkommen, Farbfernseher, Italienurlaub und gar Weltreise schienen selbstverständlich zu sein. Dass aber die aus dem Osten stammende Kanzlerin keine Referenz hinbekommt auf die Umbrüche, die in ihrer Heimat in den vergangenen dreißig Jahren bewältigt wurden, das gibt so einen kleinen Stich. Die bundesdeutsche Wirtschaft ist 2020 um fünf Prozent eingebrochen? Waren es im Osten nicht dreißig Prozent? Eine Million Menschen haben jetzt den Job verloren? Musste sich damals nicht aus jeder Familie mindestens eine Person arbeitslos melden, die Hälfte der Entlassenen einen neuen Job lernen, sich auf die neue Karriereleiter kämpfen? In der Pandemie zahlt der Staat Hunderte Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen. Damals gab es für die Betroffenen weder KfW-Kredite noch Übergangsfristen. Das Startkapital der Ostdeutschen wurde abgewickelt und verscherbelt.

Schon als Europa-Korrespondentin war mir aufgefallen, wie schwer sich die Gründungsmitglieder der EU gelegentlich getan hatten, Beitrittsländer als gleichberechtigt zu akzeptieren. Formal war das natürlich gegeben, alle haben eine Stimme. Tatsächlich wurde aber oft erwartet, dass die Dazugekommenen den Erfahrenen folgten. Der Osten war die verlängerte Werkbank der westeuropäischen Industrie und der große Absatzmarkt für Konsumketten von Mediamarkt bis Brico.

Den europäischen Ost-West-Konflikt habe ich in der deutsch-deutschen Wohngemeinschaft wiedergefunden. Man lebt zusammen, mit gemeinsamer Küche, in der die Rezepte und Konzepte für das wiedervereinigte Land entstehen. Und geht sonst seiner Wege. Das gegenseitige Interesse ist überschaubar, stereotype Bilder sind unverwüstlich.

Angela Merkel wird im Herbst 2021 das Kanzleramt verlassen und auch ein Kapitel des Einigungsprozesses beenden. Man wirft der in Ostdeutschland sozialisierten Kanzlerin oft vor, sie habe keine Visionen gehabt. Womöglich aber war ihre größte Aufgabe, innerdeutsch gesehen, sowieso eine andere: Sie hat ermöglicht, dass sich das Land modernisiert, dass auch Dinge, die in der DDR schon mal funktioniert haben, in den gesamtdeutschen Alltag diffundiert sind. Das Problem aus ostdeutscher Sicht ist, dass sie es vermieden hat, diese auch beim Namen zu nennen und damit den Osten zum bundesdeutschen Maßstab zu machen. Warum eigentlich?

Dreißig Jahre nach der Wende hat eine Reflexion begonnen, in der endlich auffällt, dass gesamtdeutsche Entwicklungen gespiegelt werden an der Referenzgröße alte Bundesrepublik. Die politische Schwarz-Weiß-Fotografie dominiert – dass die Grautöne fehlen, ganz abgesehen von bunten Bildern, scheint kaum jemanden zu stören. Die medialen und politischen Multiplikatoren sind überwiegend westdeutsch sozialisiert, ihre intuitive Sicherheit, dass der Westen die Norm ist und der Osten die Abweichung, spiegelt sich nicht nur in Beiträgen über Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, sondern generell in der immer wieder aufgeworfenen Frage, wie der Osten tickt. Und wie tickt der Westen?


Ich habe beschlossen, dieses Buch zu schreiben, weil es an der Zeit ist, die Debatte offen, bunt und auf Augenhöhe zu führen. Man sollte an den Stereotypen rütteln, weil die Mitbestimmung und Repräsentation der Ostdeutschen in demokratischen Prozessen und in der Wirtschaft organisiert werden muss. Weil die strukturellen Defizite des Einigungsvertrags ausgebügelt werden müssen, um die Demokratie weiter zu verankern. Der Osten besteht nicht nur aus Nazi-Nestern, Stasi-Überwachung oder Ostalgie. Es überwiegt deutlich das Leben dazwischen. Das Leben der übergroßen Mehrheit, die jeden Tag morgens aufsteht und abends noch in den Spiegel schauen kann, deren Alltag genauso lustig, fröhlich oder trist sein kann wie anderswo. Das mag manchen langweilig erscheinen, aber tatsächlich sind diese Menschen zwischen den politischen Rändern die Träger der Demokratie. Das sind drei Viertel der Gesellschaft. Es rächt sich politisch und gesellschaftlich, wenn sie nicht im großen Diskurs vorkommen.

Und, sind wir nicht alle müde von den alten Diskussionen und den vielen Studien? Die Bundesregierung könnte das Papier für jeden weiteren Armuts- und Reichtumsbericht sparen, wenn sie, statt darin vor der Gefahr der Ausgrenzung der Ostdeutschen zu warnen, diese Ausgrenzung zu beseitigen hülfe. 133 Abteilungsleiter aus den westlichen Ländern arbeiten in Bundesministerien, vier aus dem Osten. Keine Bundesbehörde im Osten wird von einem Ostdeutschen geleitet. Der Ossi schweigt verdruckst und verkrümelt sich, weil er meint, sowieso untergebuttert zu werden. Und der Westen vermeidet, die eigene Reformunfähigkeit zu reflektieren. Es läuft nicht rund in der Familie. Besonders schwierig macht den Familienkrach, dass er mit einer Pandemie und einem Superwahljahr zusammenfällt, mit der Bundestagswahl als Höhepunkt Ende September 2021.

Der Ausgang ist so offen wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Kanzlerin tritt nicht wieder an, das Virus wird nicht bezwungen sein, die Berichterstattung ist zuweilen hart und aufgeregt polarisierend. Die Wählerbindung der traditionellen Volksparteien wird überall schwächer. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist der große politische Gegner die AfD. Das hat auch mit den Neunzigern zu tun. »Ich sehe in der Mehrheit der östlichen AfD-Wähler vor allem abgewiesene Liebhaber und sitzengelassene Bräute des Westens«, sagt der Schriftsteller Ingo Schulze.2 Sie seien bereit gewesen, alles aufzugeben für den Westen, ohne Ehevertrag zu vertrauen. Der Vertrag zum Beitritt sei dann allerdings kühl ausgefallen, »der Angehimmelte, der alles wusste und konnte (…), behandelte einen ganz anders, als er es versprochen hatte«.

Rein rechnerisch sind die Bürger im Osten eine kleinere Gruppe. Nordrhein-Westfalen hat allein mehr Einwohner als die fünf neuen Länder zusammen. Die Zahl der Wähler ist jedoch nicht allein entscheidend. Ausschlaggebend ist, ob von diesen Regionen Veränderungen ausgehen können, die das ganze Land beeinflussen. Nach dem Mauerfall ist Helmut Kohl dank des Ostens Kanzler geblieben. Gerhard Schröder hat hier die entscheidenden Stimmen geholt. Der Osten ist ein Seismograf für bundesdeutsche Entwicklungen. Er bestimmt nicht, wer Kanzler oder Kanzlerin wird. Aber gegen ihn kann kaum eine/r Kanzler/in werden.

Ob sich die Parteien gut vorbereitet haben? SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz weist stolz einen Wohnsitz in Potsdam vor – einer Stadt, die westlicher erscheint als manche Stadt im alten Bundesgebiet. CDU-Chef Armin Laschet schlägt den Bogen vom Kohlebergbau im Ruhrgebiet in die Lausitz, wird damit aber ebenso wenig überzeugen können wie mit Versprechen, abgelegenen Dörfern des Erzgebirges oder im Thüringer Wald eine Bahn- oder Bus-Haltestelle zu spendieren. Wer sich die Zeit nimmt und von Berlin nach Greifswald mit dem Zug fährt, eine Doppelstock-Regionalbahn, sieht viele neue Haltestellen aus glänzenden Stahlrohren und Glas, die vor vernagelten backsteinernen Bahnhofsgebäuden stehen, die vor sich hin bröckeln. In der Stadt Anklam fällt vor der Bahn-Haltestelle die neue, moderne Zuckerfabrik auf. Und auch eine gemauerte alte Halle, »VEB Zuckerproduktion«, ist in riesigen Buchstaben noch zu lesen. Allenthalben schimmert Unverarbeitetes durch. Die Grünen legen in den neuen Ländern überraschend zu – aber ob das so bleibt?

Bei der Recherche ist aufgefallen, dass die meisten Gesprächspartner, ehemalige Mitschüler aus Freiberg, ostdeutsche Regierungschefs und Regierungschefinnen, einstige Wahlkämpfer, aktive Politiker in Bund und Ländern, Ökonomen, Soziologen, Wissenschaftlerinnen, fast darauf gewartet haben könnten, dass mal jemand nachfragt. Über den Osten und den Westen hat jeder was zu sagen, Erlebtes wie Genervtes oder Fröhliches. Was da alles zum Vorschein kommt!

Aus diesen Gesprächen, kombiniert mit Recherchen und eigenen Erfahrungen, ist eine persönliche Streitschrift entstanden. Lasst uns streiten, wie der Osten die gesamtdeutsche Politik beeinflusst. Wie Strukturen, die mit der Wiedervereinigung geschaffen wurden, aufgebrochen werden können. Dieses Buch soll auch ein Angebot sein für Leser und Leserinnen in den alten Ländern, einzutauchen in den östlichen Landstrich zwischen Darß und Fichtelberg.

»Die Unterschätzten« spiegelt auch das Lebensgefühl der Generation wider, die zum Mauerfall 10 bis 25 Jahre alt waren, die in die Welt zogen und zurückgekehrt sind und sich jetzt sicher genug fühlen, über den Osten reden zu können – ohne als »Ost-Pocke«3 abgetan zu werden. Die deutsche Geschichte ist unvollständig, solange die Geschichten aus und über Ostdeutschland nicht erzählt sind, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit gesagt. Voilà.


Berlin, im Juni 2021
Cerstin Gammelin