Ein offenes Buch
Von idealen Körpern, perfektem Sex und anderen Mythen
LAPPAN
„Schon einmal zur Vorwarnung: Wer allein mit der Aussage ,Hallo, ich menstruiere übrigens‘ ein Problem hat, wird mit diesem Buch nicht gut zurechtkommen. Umso wichtiger wäre es vielleicht, es zu lesen.“
Lara Ermer lädt ein, über sich selbst zu lachen. Sie erzählt von den faszinierenden Eigenheiten von Körpern und Sex, vom Sexting in der Kunstgeschichte und von flauschigen Fußrücken.
Endlich sagt das alles jemand! Und GOTT SEI DANK ist es Lara Ermer!
Sandra Da Vina
Meiner Familie
Guckt mal, ich hab’ ein Buch geschrieben! Es wäre voll okay, wenn ihr ab hier nicht weiterlest. Es geht ziemlich viel um Sex.
„Lustig ist sie nicht so, schlafen würde ich mit ihr trotzdem gerne.“
Kommentar von A.S. Cirillo
unter dem Video „Origami auf dem Klo“
„Was regt ihr euch auf, warum muss man so offen über solche Sachen reden, als ob ihr euch ’ne Medaille verdient hättet, weil ihr aus der Pussy blutet?“
Kommentar von Ginga Hagane
unter dem Video „Erdbeerwoche“
„Was ist ihr Problem, schämen
sollte man sich für so etwas.“
Kommentar von Simon Bauer
unter dem Video „Erdbeerwoche“
„Schon etwas schamlos.“
Kommentar von Michael Zutz
unter dem Video „Erdbeerwoche“
HÄTTE MAN meinem dreizehnjährigen Ich erzählt, dass ich eines Tages Buchautorin sein würde, ich wäre vor Freude ausgerastet. Hätte man mir anschließend gesagt, dass es in meinem ersten eigenen Buch um Körper und um Sex gehen würde, wäre ich vermutlich in Ohnmacht gefallen. Wir hatten im Informatikunterricht an der Schule sehr viele Aktionstage, an denen man uns eingebläut hat, bloß niemals problematische Dinge ins Internet zu stellen. Jahre später habe ich mich auf eine Bühne gestellt und Witze übers Menstruieren gemacht. Mehr als eine Million Menschen haben ein Video davon gesehen und einige davon fanden es offenbar doll problematisch. Tschuldigung, Herr Informatiklehrer. Die Reaktionen auf den Text waren teilweise völlig absurd. Da war von Ekel über Anklage bis hin zu Drohungen alles dabei. Ein Mann fand sogar, man solle mich abstechen. Das ist doch eine recht drastische Maßnahme für jemanden, der offenbar nicht gerne Geschichten über Blut hört.
Viele dieser Kommentare, Nachrichten und Begegnungen haben mich vor allem amüsiert und verwundert. Schon einmal zur Vorwarnung: Wer allein mit der Aussage „Hallo, ich menstruiere übrigens“ ein Problem hat, wird mit diesem Buch nicht gut zurechtkommen. Umso wichtiger wäre es vielleicht, es zu lesen. Daran, dass jemand über die eigene Menstruation lachen kann, sollte eigentlich nichts Problematisches sein. Trotzdem wäre es gelogen zu sagen, dass ich mich nicht manchmal gefragt habe, ob ich zu weit gegangen bin. Es gab aber auch ganz andere, wunderbare Reaktionen. Junge Frauen, die von mir inspiriert angefangen haben, Perioden-Partys zu feiern, inklusive Erdbeersahnetorte mit einer Gebärmutter aus Smarties obendrauf. Senioren, die sagen, sie hätten trotz zigtausend Lebenserfahrung noch etwas von mir lernen können. Eine Frau, die nach einem meiner Auftritte berührt und amüsiert zu mir kam und sagte, dass sie das Gefühl habe, dass ich einen Auftrag hätte. Diese Menschen haben sehr dabei geholfen, die negativen Kommentare auszublenden.
Auf einen bestimmten Vorwurf mag ich tatsächlich eingehen: Mir wurde oft gesagt, dass ich schamlos sei. Das ist schlichtweg Quatsch. Ich bin nicht schamlos. Klar finde ich es auch nicht geil, auf der Bühne eines ehrwürdigen Opernhauses zu stehen und vor Hunderten Leuten im Publikum zuzugeben, wie furchtbar asymmetrisch meine Schamlippen sind. (Das passierte wirklich. Nochmals: Tschuldigung, Herr Informatiklehrer. Immerhin gab es Standing Ovations dafür!) Solange ich mich für diese Themen in den Augen mancher Menschen schämen sollte, müssen wir aber weiterhin darüber reden. Vielleicht können wir auf diese Art wirklich noch etwas von unserer Scham loswerden.
Viele der Geschichten in diesem Buch sind mir selbst so oder so ähnlich passiert. Einiges haben auch Bekannte beigesteuert, für deren Offenheit und Vertrauen ich tief dankbar bin. Natürlich habe ich Einzelheiten verdichtet, Erlebnisse miteinander verwoben und teilweise Dinge erfunden, die etwas repräsentieren wollen. Die wenigen Namen, die vorkommen, sind selbstverständlich geändert. Alle Erzählungen haben etwas gemeinsam: meine persönliche Perspektive. Ich bin eine Frau mit Uterus, Vagina und Brüsten und um all das wird es in diesem Buch ausführlich gehen. Trotzdem kann und möchte ich weder für alle Frauen sprechen noch für alle Menschen mit Gebärmüttern, Brüsten oder Vaginen. Ich kann es selbst nicht leiden, wenn einzelne Personen meinen, sich im Namen ihres ganzen Geschlechts äußern zu können. Von wegen „uns Mädels/Frauen/Ladyyyyyes“ geht es so und so. Ist ja schön und gut, dass du mit deinen Girls gerne shoppen gehst und dass ihr euch ausschließlich von Sekt ernährt. Aber das gilt nicht für mich. Ich trinke keinen Sekt. Unter Champagner fange ich gar nicht erst an!
Obwohl dieses Buch also keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit hat, hoffe ich, dass es für den einen oder die andere immer wieder Aha-Momente bringt und die Gewissheit, mit dem eigenen Körper, der eigenen Sexualität, Gefühlen, Erfahrungen und vielleicht auch unangenehmen Dingen nicht allein zu sein. Es ist eine Einladung, über sich selbst zu lachen, eine Liebeserklärung an die Eigenheiten von Körpern und eben im wahrsten Sinne des Wortes: Ein offenes Buch.
Erdbeerwoche
Let’s talk about Sex
Muschimalkurs
Kleiner Muschimalkurs
Pferdemädchen
Tod dem Basilikum
Pizza Funghi
Vor dem Sturm
Bis auf die Haut
Zwei unschlagbare Argumente
Das Höschendilemma
Toy Story
Augen auf, sie kommt!
Ohne Worte
Eine ganz besondere Phase
EIN EXFREUND, bei dem ich damals frisch eingezogen war, empfand meine Tampons als Zumutung. Er wollte partout nicht, dass Gäste, die das Bad betreten, „das sehen müssen“. Ich möchte betonen: Ich bin kein Monster. Es ging nicht darum, dass ich benutzte Tampons in irgendeine Ecke werfen würde. Nein, wir reden von einer Tamponpackung. Ein erwachsener Mann, der Angst vor einem Karton hat. Dieser Ex hat mir dann allen Ernstes ein Schatzkästchen geschenkt, in dem ich meine o.b.s verstecken sollte. Dieses Kästchen war lila, mit Schnörkeln verziert und hatte sogar ein Schloss. Was hätte ich tun sollen, mir etwa ganz romantisch den Schlüssel um den Hals hängen? Ich habe mir dieses Kästchen sehr genau angeschaut. Und dann habe ich den Mann verlassen.
Niemand würde auf die Idee kommen, sein Klopapier wegzusperren, bevor Besuch kommt. Wenn ich bei jemandem auf die Toilette gehe, freue ich mich doch zu sehen, dass sich die Leute auch hier offenbar den Arsch abwischen. Da hat man direkt was gemeinsam. Genauso dankbar sollte man mir sein, dass ich Tampons benutze. Das Versteckspiel geht allerdings auch außerhalb des Badezimmers weiter. Wer mal keinen o.b. dabeihat, darf diskret danach fragen, aber bitte ohne die Wörter „Menstruation“, „Periode“ und „Blut“ zu verwenden. Ich nenne das Erdbeerwochen-Activity. Tampons werden auch immer schön unauffällig weitergegeben, unter dem Tisch, im Vorbeilaufen oder gar in einem Taschentuch versteckt. Vermutlich wären alle menstruierenden Menschen fantastische Dealer. Als ich mich mal auf einen Job bewerben wollte, der laut Ausschreibung „ein hohes Maß an Diskretion“ erforderte, war ich kurz davor, mein Bewerbungsschreiben zu ergänzen: „Ich bin für Ihre Anforderungen höchst qualifiziert. Immerhin habe zehn Jahre Menstruationserfahrung und niemand hat’s gemerkt.“
Ich verstehe nicht, warum diese Sachen so versteckt werden. Bis vor Kurzem musste man in Deutschland auf Menstruationsprodukte den Mehrwertsteuersatz von 19 % für Luxusgüter zahlen und obwohl das gekippt wurde, sind Binden und Tampons immer noch ganz schön teuer. Eine Befragung einer britischen Zeitung hat ergeben, dass Menstruierende in ihrem Leben circa 21.000 € für ihre Periode ausgeben. Davon kaufen sie sich Periodenartikel, aber eben auch Schmerzmittel, Wärmflaschen und was sonst noch alles gebraucht wird, wenn man einmal im Monat vor sich hin blutet. Um das in Relation zu setzen: Von dem Geld könnte man sich einen nigelnagelneuen, prolligen Jetski kaufen oder auch in etwa 16.000 Kugeln Eis, zwei Drittel einer kleinen, bewaldeten kanadischen Insel oder sogar neun echte, flauschige Esel. Meine Menstruation ist demnach ein verdammtes Statussymbol. Warum darf ich nicht lauthals damit angeben? Wo bleiben die Rap-Videos von Menschen, die mit dicken Tamponketten behängten sind? Ich schmeiß o.b.s durch den Club und schrei boah, boah! Scheiß auf jedes Lacoste-Logo, ich kleb mir eine Slipeinlage aufs T-Shirt und trage ab jetzt High Fashion von Louis Tampón.
Das Schwierige an Luxusprodukten ist, dass nicht alle sich das leisten können. Nachdem die Steuern für Periodenartikel in Deutschland gesenkt wurden, haben viele Firmen die Preise einfach direkt erhöht. So teuer wie Menstruationsprodukte sind, kann man sich fast schon Geldscheine in die Unterhose stopfen. Es ist wohl kein Weltuntergang, dass wir nicht alle einen Jetski oder neun Esel haben dürfen. Aber etwas für die eigene Hygiene zu tun, sollte wirklich kein Investment sein. In Schottland wurde 2020 beschlossen, dass in öffentlichen Gebäuden kostenlose Menstruationsartikel zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch in Deutschland werden mittlerweile Forderungen danach laut. Einige Männer im Internet finden das sehr furchtbar. (Männer im Internet finden überhaupt sehr vieles im Internet sehr furchtbar.) Jedenfalls kommentierten einige Günthers und Peters, es wäre unfair, dass Menstruierende etwas „geschenkt bekommen“, was sie selbst nicht haben dürfen.
Liebe nicht menstruierende Männer! Folgendes Angebot: Natürlich dürft ihr von den kostenlosen Tampons etwas abhaben. Steckt sie euch, wohin ihr wollt. Falls ihr neugierig seid und Lust auf eine Runde „Planspiel Periode“ habt, fülle ich auch gern etwas von meinem Menstruationsblut ab. So für das authentische Feeling. Ich protestiere doch auch nicht dagegen, dass es auf Männertoiletten kostenlose Urinale gibt. Wenn ich alle zwei Jahre mal wieder betrunken bin und mir die Schlange vor dem Damenklo zu lang ist, marschiere ich einfach rein und benutz selbst so ein Pissoir. Ja, das geht. Man muss mit dem Rücken zur Wand stehen, gut balancieren können und sich extrem konzentrieren. Auf Pissoirs pissen können ist zwar weder lecker noch geil, aber in dringenden Fällen ist es meine geheime Superkraft.
Manche dieser besagten kommentierenden Männer meinten, dass es als Ausgleich für die Periodenprodukte kostenloses Essen für Männer geben müsste, weil sie schließlich mehr essen müssten. Ich finde es in Ordnung, wenn jemand über sein Essen reden möchte, wenn es gerade eigentlich um Menstruation geht. Der Fairness halber würde ich in Zukunft einfach beim Essen über meine Menstruation reden, okay?
Nicht nur der finanzielle Aufwand ist krass, auch die Logistik einer Monatsblutung ist erstaunlich. Ständig muss man sich um sein Blut kümmern. Natürlich sind nie brauchbare Toiletten in der Nähe, wenn man sie mal braucht. Da hilft mir leider nicht einmal ein Pissoir. Deshalb lernen wir unser Leben lang die verrücktesten Stunts. Den Tampon auf dem Rücksitz im Auto wechseln? Kein Problem! Egal, ob auf irgendwelchen Festival-Dixiklos oder im Stehen im Gebüsch, wir lösen das. Es ist eine Art Formel-1-Boxenstopp-Reifenwechsel, kombiniert mit einem blutigen Massaker. Das klingt nach einem fantastischen Konzept für ein Videospiel, macht aber nur mittelmäßig Bock, wenn es im eigenen Höschen stattfindet.
Um mit der eigenen Periode umzugehen, braucht es manchmal Superkräfte. Doch es gibt einen Endgegner, der alle in die Knie zwingt: Badezimmer ohne Mülleimer. Meistens sind das Bäder in irgendwelchen WGs und meistens bemerke ich das erst, wenn mein Tampon schon über der Kloschüssel baumelt, wie ein sehr blutiges, unförmiges Damoklesschwert. WGs besitzen schwachsinnigen Kleinkram für alle Fälle, To-Go-Beerpong-Sets, Einhornschlauchboote, aufblasbare Sumoringerkostüme und penisförmige Flaschenöffner, aber an den Badezimmermülleimer denkt keiner. Manche supercoolen Männerhaushalte machen das sogar mit Absicht. Da ist es vollkommen okay, dass bei jeder Hausparty irgendwer ins Waschbecken kotzt, aber Gott bewahre, wenn da jemand seinen Tampon auf der Toilette wechseln will. Ich habe mir fest vorgenommen, eines Tages in so einer Situation mit baumelndem Blut-o.b. um den Ringfinger ins Wohnzimmer zu stapfen und zu fragen, wo ich denn nun damit hin soll.
Zwei Startup-Gründer haben dieses Problem erkannt und wollten es ritterlich für uns lösen. Deshalb haben sie pinke Einweg-Handschuhe auf den Markt gebracht. Die Idee: In diese Barbie-Handschuhe können Tampons oder Binden eingewickelt und somit auslaufsicher transportiert werden. Wer möchte, kann die Handschuhe auch vorher anziehen, um nicht mit blanken Händen im eigenen Blut herumzuwühlen. Das ist erst einmal ein okayer Ansatz. Nur war das leider nicht ihr Hauptgedanke. Denn auch, falls ein Mülleimer vorhanden ist, wünschen sich die beiden Marketing-Füchse, dass man Periodenprodukte hübsch pink verpackt, bevor man sie wegwirft. Das ganze Projekt wurde losgetreten, weil sie eine Weile mit Frauen zusammengelebt haben. Dabei hätten sie hin und wieder Tampons im Badezimmermülleimer vorgefunden und sich laut eigener Aussage darüber „gewundert“. Wie habe ich mir zwei Typen vorzustellen, die vor dem Badezimmermüll stehen und sich wundern? In meinem Kopf sehen sie dabei aus wie Oskar, das schlecht gelaunte Müllmonster aus der Sesamstraße. Mein praktischer Tipp wäre ja: Wenn dich etwas im Mülleimer wundert, mach ihn am besten zu. Notfalls bring den Müll runter oder so, ich weiß ja auch nicht, wie Erwachsene das so machen.
Es ist komplett in Ordnung, falls jemand für das eigene Wohlbefinden gerne Handschuhe tragen mag während der blutigen Angelegenheiten der Periode. Auch dann würde ich nicht zu den vollkommen überteuerten pinken raten. Aber Geld daraus zu schlagen, dass man der Welt erzählt, Menstruation sei so eklig, die dürfe man nicht einmal im Mülleimer erahnen? Bei mir im Müll fliegt alles Mögliche rum, wofür ich mich schämen sollte. Das T-Shirt, das ich mal aus der Fundgrube im Schulsport gefischt und jahrelang getragen habe, das Chilipulver, das offen rumstand und nun krabbelt irgendetwas darin, die offizielle Post, die ich mich nie getraut habe zu öffnen und jede Menge Ohrenschmalzstäbchen. Meine Menstruation ist in Mülleimerangelegenheiten wirklich mein geringstes Problem.
Für die Müllfrage gibt es doch längst viel praktischere Lösungen als die pinke Version von Hundekackbeuteln. Menstruationstassen zum Beispiel. Die können nämlich einfach wiederverwendet werden. Dadurch spart man enorm viel Geld und gesünder sollen sie auch noch sein.
Weil das insgesamt ein überzeugendes Konzept ist, habe ich mir auch so eine Tasse zugelegt. Schließlich saß ich da, mit der Menstruationstasse in der einen und dem Handy in der anderen Hand, auf dem Klo, und habe verzweifelt versucht, anhand äußerst verstörender YouTube-Tutorials zu lernen, wie man sich eigentlich verrenken muss, um dieses Ding in sich reinzubekommen.