Eine Weihnachtsgeschichte
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-2607-8
© 2021 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
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Autorenfotos: © Jens Oellermann
Titelabbildung: © Gerhard Glück (Illustration), © FinePic®, München (Schild)
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»Mei, wie die Plätzle wieder duften, Erika. Brutal!« Kluftinger konnte kaum sprechen, denn er schob sich gerade den dritten der legendären Spitzbuben seiner Frau in den Mund. Irgendetwas stellte sie mit diesem Gebäck an, was niemand sonst machte. Aber er hatte noch nie nachgefragt – schließlich wusste er gar nicht, wie bei anderen Leuten Plätzchen gebacken wurden.
»Mich freut’s ja, wenn sie dir schmecken, aber ein paar dürftest schon noch für Weihnachten aufheben. Wenn Markus und Yumiko mit dem kleinen Butzele kommen, will ich ja keinen leeren Teller hinstellen müssen.«
»Früher war ich noch dein Butzele«, brummte der Kommissar. »Und da durfte ich auch noch essen, was ich wollte.«
»Früher hat’s auch noch geschneit an Weihnachten.«
»Was soll das denn jetzt heißen?«
Erika drückte den Arm ihres Mannes. »Du bist doch immer noch mein … also komm, du wirst ja wohl nicht eifersüchtig werden auf dein Enkelkind.«
»War bloß eine Feststellung. Ich will auch nicht streiten, heut am vierten Advent. Aber es wär doch sowieso das erste Mal, dass du nicht vor Weihnachten noch mal nachbacken müsstest.«
Ein metallisches Klingeln ließ ihn innehalten. »Was bimmelt denn da? Hast du schon wieder was im Ofen?« Seine Augen leuchteten.
»Nein, das war mein WhatsApp.«
»Wer?«
»Mein Handy.«
»Was denn jetzt?«
»Mein Mo-bil-te-le-fon hat ge-läu-tet«, rief sie so laut, als wäre er schwerhörig.
»Ah, sag’s doch gleich. Schicken die vielleicht ein Bild von unserem Enkel? Wär ja ganz nett, wenn sich schon die Kinder nicht mal am Sonntag herbequemen. Lassen sich ja gar nimmer sehen.«
»Die drei waren doch gestern erst da«, sagte Erika mit gerunzelter Stirn.
»Ja, aber das war ja Samstag …«
»Fehlt dir dein kleiner Schatz so arg?« Dabei tätschelte Erika ihm die Hand.
Kluftinger blies die Luft aus. »Fehlen, mein Gott, ich find’s halt wichtig, dass das Kind schon in einem frühen Entwicklungsstadium auf seine engsten Bezugspersonen geprägt wird. Und wer außer uns sollt das wohl sein, hm?«
»Seine Eltern vielleicht?«
»Jaja, die auch. Aber sonst …«
»Seine Großeltern in Japan.«
»Außer denen.«
»Seine Urgroß…«
»Du weißt doch genau, was ich mein. Was war jetzt das für ein Handygebimmel?«
Erika stand auf. Vor ein paar Wochen hatte sie das alte Smartphone ihrer Schwiegertochter Yumiko bekommen, damit sie endlich auch aktuelle Bilder von ihrem ersten Enkelkind empfangen konnte. Und damit sie besser erreichbar war, wenn sie als Babysitterin gebraucht wurde, argwöhnte der Kommissar, hatte diese Vermutung jedoch nie geäußert. Schließlich genoss er es am meisten, wenn das Kind zu Besuch kam.
»Ach, das gibt’s ja gar nicht!«, vermeldete Erika aufgeregt. »Jetzt rat mal, von wem die WhatsApp ist!«
»Die was?«
»Die Nachricht.«
»Wahrscheinlich vom Doktor Langhammer, so wie du schaust«, stichelte er. »Will er wieder Tipps zur gesunden Ernährung im Advent geben, oder wie? Vegane Plätzle kommen mir nicht ins Haus, und damit basta!«
»Schmarrn, Yumikos Vater hat geschrieben.«
»Heu, der Joschi?« Kluftinger war gleichermaßen verwundert wie erfreut. Beim Besuch der Japaner anlässlich der Hochzeit von Markus und Yumiko hatten er und sein »Co-Schwiegervater« Yoshifumi Sazuka fast so etwas wie Freundschaft geschlossen.
»Genau der.«
»Aber warum schreibt der jetzt dir?«
»Warum denn nicht?«
»Ja …« Der Kommissar dachte nach, wie er die Antwort am besten formulieren sollte. »Weil für dich doch eher die Frau … also zuständig ist. Die Dings … Katinka, oder wie die heißt.«
»Kanako. Wenn du willst, dass der Joschi dir öfter schreibt, dann musst du halt mehr als einmal im Monat in deine Mails schauen. Er sagt nämlich, es eilt. Stell dir vor, er ist auf Geschäftsreise in Europa und überlegt, ob er über München fliegt und einen kurzen Zwischenstopp macht.«
»Ah, der will bestimmt ins Hofbräuhaus und auf den Weihnachtsmarkt am Marienplatz. Aber ich schreib ihm nachher eine Mail, dass er da lieber nicht hingeht, da verkaufen sie eh bloß ein Huraglump. Schad eigentlich, wenn wir jetzt zufällig in München wären, könnte man sich mit ihm direkt auf einen Kaffee treffen.«
Erika sah ihren Mann mit gerunzelter Stirn an. »Wie, zufällig in München? Wir müssen ihn zu uns einladen, das ist ja wohl klar, oder? Drum schreibt er doch.«
»So ein Schmarrn, dann tät er’s schon sagen.«
»Du weißt doch, wie die sind.«
Kluftinger nickte: Die Japaner sagten eigentlich nie, was sie meinten. »Aber einladen? Jetzt? So weit käm’s noch! Sind bloß noch zwei Tage bis Heiligabend.«
»Und?«, hakte Erika nach.
»Und … was ist mit den Weihnachtsvorbereitungen?«
»Als ob du da jemals was gemacht hättest.«
»Nicht direkt, aber … ich denk da bloß an dich«, erklärte Kluftinger. Eigentlich mochte er den Japaner ja, aber eher als eine Art Brieffreund, ein Besuch würde alles wieder schrecklich kompliziert machen. Und darauf hatte er jetzt, so kurz vor Weihnachten, überhaupt keine Lust. »Und wenn der Joschi vielleicht bei Markus und Yumiko … ich mein, schließlich ist es ja seine Tochter, und er will bestimmt lieber Zeit mit ihr verbringen als mit uns.«
»Also, Butzele, wo soll er denn da schlafen, in der winzigen Wohnung? Ist doch eh schon so schrecklich eng bei denen, dass sie nicht mal einen Christbaum unterbringen.«
»Mei, wir hätten ja noch das Feldbett auf dem Dachboden. Wenn sie ihm das in den Gang stellen täten …«
Mit einem »Nix da, wir laden ihn ein« beendete Erika jedoch die Diskussion. »Ob er dann kommt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Was soll ich schreiben? Mein Englisch ist doch so schlecht.«
»Also gut«, lenkte der Kommissar zähneknirschend ein, »dann schreib: Dear Joschi, from us out can you immer come when you will. Wir … täten uns enjoyen.«
Erika sah ihn zweifelnd an, er aber nickte ihr zu: »Das ist unsere spezielle Art der Verständigung.«
Sie zuckte die Achseln und tippte umständlich auf dem kleinen Display.
»Das letzte Wort … mit Y oder J?«
Kluftinger lächelte milde. »Vorne J, hinten Y«, dozierte er und ließ es sich nicht nehmen, noch anzufügen: »Vielleicht wär so ein Englischkurs an der Volkshochschule doch mal was für dich, Schätzle.«
»Gibst du mir mal die Spitze?« Erika stand auf der Leiter und streckte die Hand aus. Die Tanne neben ihr sah trostlos aus, so ungeschmückt, wie sie war. Sobald ein Nadelbaum seinem Lebensraum entrissen im Wohnzimmer stand, wirkte er ohne glitzernden Weihnachtsschmuck nackt und deplatziert.
Um diesen Zustand zu ändern, vollzog sich bei Kluftingers gerade ein bis ins kleinste Detail festgelegtes, sich alljährlich wiederholendes Ritual: Zunächst wurde der Baum, der von Kluftinger Ende November kostengünstig in einem Baumarkt erstanden worden war, auf seinen traditionellen Platz gestellt. Dort versperrte er zwischen Balkontür, Fernsehkommode und Heizkörper zwar den Weg nach draußen – war dafür aber von jeder Position im Raum aus gut zu sehen. Dieser Tatsache hatten Erika und ihr Mann schon vor Jahrzehnten die Möglichkeit geopfert, das Wohnzimmer über die Balkontür lüften zu können, ohne sich dabei an den Tannennadeln aufzukratzen und mindestens eine Christbaumkugel zu zerstören. Zwar häuften sich mit dem Fortschreiten der Feiertage Kluftingers Flüche, wenn er doch einmal nach draußen musste, etwa um das Altusrieder Silvesterfeuerwerk zu bestaunen. Das bedeutete jedes Mal, sich an der Wand entlang um den Baum herumzupressen, wobei mit zunehmender Standzeit auch immer mehr Nadeln zu Boden fielen. Dennoch war die Platzwahl nie infrage gestellt worden. Es schien, als wäre das ganze Haus um diesen Standort herumgebaut worden.
Nach dem Aufstellen des Baumes sah die Tradition vor, das Netz um die Zweige feierlich aufzuschneiden. Inzwischen tat Kluftinger das meist alleine, denn es hatte schon böse Überraschungen gegeben, wenn sich das vermeintliche Schmuckstück nach der Entfaltung als krummer, welker Vertreter seiner Spezies präsentierte. Oft half es aber schon, den Baum ein bisschen zu drehen, die Äste etwas zu drapieren und hie und da mit ein wenig grüner Lackfarbe nachzuhelfen, um die Defizite der Billigware nicht allzu augenfällig werden zu lassen. Schließlich wurde das gute Stück aufwendig geschmückt, und zwar von oben nach unten, was weit weniger Kollateralschäden bei den Kugeln verursachte als umgekehrt. Das bedeutete allerdings auch, dass das vermeintliche Finale furioso, das Applizieren der goldenen Spitze, gleich zu Anfang kam, womit sich der Kommissar nie so recht hatte anfreunden können.
»Butzele? Die Spitze …«, wiederholte Erika etwas fordernder, weil ihr Mann keine Antwort gegeben hatte.
Dessen Blick haftete am Fernseher, in dem gerade das Weihnachtsspecial seiner Lieblingsserie Feuer der Leidenschaft lief. Sie war bereits abgesetzt worden, doch zahlreiche Anrufe und Briefe an den Sender – ein nicht unbeträchtlicher Teil davon von ihm selbst – hatten zu einem Umdenken geführt und die Serie vor dem Aus gerettet.
Nun wurde Kluftinger Zeuge, wie Graf Egbert von Schillingsberg-Zieselheim seiner aus jahrelangem Koma erwachten Mutter die Mitteilung machte, dass er Gut Halderzell in Zukunft einem arabischen Ölmulti …
»Würden eure Grafschaft die Güte besitzen, mir die Christbaumspitze anzureichen?«, ätzte Erika, und endlich drang sie zu ihrem Mann durch.
»Hm?«, fragte der, weiterhin ein Auge auf den Bildschirm gerichtet, wo Graf Egberts Mutter Erdmute Adelgunde die Dritte gerade dabei war, nach der schrecklichen Enthüllung zurück ins Koma zu gleiten.
»Pass auf, nicht dass du noch runterfällst«, sagte Kluftinger, gebannt auf den Bildschirm starrend.
Jetzt erst wandte er den Kopf. »Mein Gott, Erika, was ist denn passiert?«, rief er erschrocken.
»Ach, jetzt bin ich schuld, dass du zu …« Er hielt inne. Er wusste nicht, wie er den Satz zu Ende bringen sollte, ohne sich in größte Schwierigkeiten zu manövrieren.
»Nix. Ich mein: Ist dir was passiert?« Er kniete sich neben sie, wusste aber nicht, ob und wo er anfassen sollte.