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© 2021 herausgegeben von Dirk Bertram, Ennigerloh (NRW) Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7534-8932-2

Diese Ausgabe basiert auf:

Driesch, Hans, „Parapsychologie“, Kindler Verlag GmbH, München, ISBN 3 463 18030 8

INHALTSVERZEICHNIS

ÜBER HANS DRIESCH

von Dr. J. B. Rhine, Professor der Psychologie an der Duke University in Durham

Mit warmer Zuneigung und hoher Achtung denke ich an Hans Driesch zurück. Er war eine der internationalen Leuchten der Wissenschaft und Philosophie, als er mir, der ich damals erst Student war, mit großzügiger Freundlichkeit begegnete.

Zum erstenmal traf ich Hans Driesch im Jahre 1926, und das war wegen einer recht heiklen Sache. Ich studierte damals an der Harvard-Universität, und Driesch war zum Internationalen Philosophenkongreß nach Harvard gekommen. Er war gerade mit einer der hauptsächlichen Abendvorlesungen fertig geworden. Einer meiner jungen Freunde und ich stürzten zum Katheder; wir wollten seine Aufmerksamkeit erregen, bevor dies einigen der anderen Wartenden gelänge, die dann mit ihm zu irgendeinem Vortrag oder einem Empfang verschwunden wären. Wir hatten eine sehr eilige Mitteilung für ihn und wußten keineswegs, wie er sie aufnehmen würde; wir kamen uns anmaßend, ja sogar ein wenig lächerlich vor.

Es lag uns daran, ihn vor der Falle zu warnen, die nach unserer Kenntnis ihm und anderen bedeutenden Philosophen gestellt worden war, und zwar durch das Medium Margery und seinen Mann, Dr. L. R. G. Crandon, gerade gegenüber in Lime Street 11 in Boston. Wir hatten keinen Ausweis, der uns bei Professor Driesch einwandfrei legitimiert hätte. So mögen wir ihm wohl als zwei ernsthafte, eher nervöse und ein wenig stotternde junge Männer erschienen sein, als wir ihm da hastig unsere Warnung auseinandersetzten. Ich entsinne mich, daß Professor Driesch uns nach unserem ersten Ausbruch antwortete, Schwindelmethoden im Mediumismus seien keineswegs unbekannt und er pflege in diesen Dingen auf der Hut zu sein. Wir versicherten ihm eilends, das wüßten wir, aber bei der Crandon-Technik liege ein besonderer Plan vor, der dazu bestimmt sei, auch aus einer völlig neutralen Haltung Kapital zu schlagen und sogar die bestüberwachte Haltung zu täuschen, die ein Teilnehmer nur haben könnte.

Ich brauchte nicht auf die Crandon-Technik einzugehen; vom Standpunkt des Geschäfts und der Publizität aus war sie sicher geschickt. Wir legten sie Dr. Driesch in kurzen Worten dar und baten ihn sehr ernsthaft, nichts zu unterschreiben, nicht einmal die harmloseste Feststellung, sondern darauf zu bestehen, daß sein Name nicht gebraucht werde. Er war ein gütiger Mensch, und wohl mehr aus Sympathie zu uns, als weil wir ihm mit unseren Warnungen Bedenken eingeflößt hätten, versprach er, unserer Bitte entsprechend vorsichtig zu sein.

Wir sprachen noch andere bedeutende europäische Besucher an und warnten sie auf die gleiche Weise, aber ich kann mich nicht entsinnen, daß einer von ihnen mit mehr Duldsamkeit und Zustimmung als Professor Driesch zugehört hätte. In späteren Jahren kamen wir nie mehr auf diese ein wenig anrüchige Angelegenheit des Mediums Margery zurück, doch ich bin sicher, daß Dr. Driesch für jede Sicherungsmaßnahme im Verkehr mit ihm dankbar sein mußte. Er ging zu Margerys Vorstellung und wurde nicht von ihr überzeugt.

Hans Drieschs Haltung gegen eine physikalische Interpretation von Leben und Entwicklung forderte mich heraus, der ich selbst Biologie studierte und lehrte. Ich war dazu erzogen, den lebendigen Organismus nur unter physikalischen und chemischen Gesichtspunkten zu betrachten, und so kämpfte ich hart mit dem Fall, den Professor Driesch darstellte. Mehr als einmal las ich seine Schriften und hörte seine Vorlesungen. Wenngleich ich bekennen muß, daß ich den Schlüssen, die er aus seinen biologischen Erkenntnissen (auf dem Gebiet der Embryologie des Seeigels) zog, nicht völlig zu folgen vermochte, so tat er mir doch den großen Dienst, in mir die Frage lebendig zu machen, und mich zur Suche anderer Beweise eines extraphysikalischen Faktors im Leben zu veranlassen.

Hans Driesch, ebenso wie William McDougall und Henri Bergson, mit dessen Name der seine in mancher Hinsicht verknüpft ist, haben viel dazu getan, daß ich aktive Forschungen auf dem Gebiet der Parapsychologie unternahm. Sein Buch über Parapsychologie machte es einigen von uns leichter, die Schritte zu unternehmen, welche nötig waren, um später den größten Teil unserer Energie und unserer Zeit eingehenden Untersuchungen und einer Reihe von Versuchen auf diesem Gebiet zu widmen.

Als 1937 mein eigenes Buch, New Frontiers of the Mind, in den Vereinigten Staaten erschien und Professor Driesch sich anerbot, es ins Deutsche zu übersetzen und sogar eine Einleitung zu der deutschen Ausgabe (Neuland der Seele) zu schreiben, war ich tief dankbar und geehrt. Ich hätte nie mit diesem außerordentlichen Glücksfall gerechnet. Über Hans Drieschs großen Beitrag zur Wissenschaft zu urteilen, steht mir nicht zu, aber dessen bin ich sicher: wäre seine Lebensanschauung zur beherrschenden unserer Zeit geworden und der wissenschaftliche Materialismus, gegen den er stand, völlig aus dem Feld geschlagen worden, die umfassende Desillusionierung der Worte durch die Nazibewegung in Deutschland wäre nie geschehen. Und ebenso hätte sich die geistige und seelische Verzweiflung nicht entwickelt, die in unseren Tagen, einer Fünften Kolonne gleich, die Türen des Geistes für die falsche Heilsbotschaft des Kommunismus öffnet.

Duke University, Durham (North Carolina)

J.B. Rhine

VORREDE

Diese Schrift soll nicht ein »Lehrbuch« der Parapsychologie sein. Für ein eigentliches Lehrbuch, das in systematischer Form und Strenge ein gesichertes Wissensgut, den Tatsachen und den Erklärungsversuchen nach, zusammenfaßt, ist auf dem Gebiet, mit dem diese Schrift sich abgibt, die Zeit noch nicht gekommen. Außerdem haben wir an guten vorläufigen Zusammenfassungen der einigermaßen gesicherten Dinge − leider freilich bisweilen ohne hinreichend scharfe Abgrenzung gegen die nicht gesicherten, sondern nur behaupteten − eine ganze Menge.

Ein Wegweiser für solche zu sein, die selbst mit Aussicht auf Erfolg auf dem Gebiet der Parapsychologie arbeiten wollen, das allein ist die bescheidene Absicht dieser Schrift, und zwar sowohl nach der Seite der eigentlichen Tatsachenerforschung wie nach der der Theorienbildung. Wie kann man entscheiden über die Sicherung des Tatsächlichen einerseits, andererseits aber über die Annahme einer bestimmten unter den vielen möglichen theoretischen Deutungen? Das zu untersuchen ist die Aufgabe. Mit anderen Worten also: Zum ersten, wie vermeidet man absichtliche oder unabsichtliche Täuschung, zum anderen, was wäre wohl ein experimentum crucis für theoretische Festlegung?

Der theoretische Teil untersucht also Möglichkeiten für künftige Festlegung, ohne sich selbst festzulegen; allenfalls äußert er sich im Sinn eines verschiedenen Grades von Wahrscheinlichkeit. Er selbst zerfällt wieder in zwei Teile, deren erster die Frage nach der Zahl der »Urphänomene«, und damit die Möglichkeit der Reduktion mehrerer auf den ersten Blick verschiedener Erscheinungen auf nur eine, behandelt, während der zweite die eigentliche letzte Theorie angeht. Für beides wird die Frage des experimentum crucis, d. h. des entscheidenden Sachverhaltes, aufgeworfen.

Das eigentlich Tatsächliche, das als gesichert anzusehen ist, spielt, wie gesagt, als solches in dieser Schrift eine Nebenrolle, obwohl es natürlich erwähnt wird: Es ergibt sich stets aus der Behandlung der Frage nach der »Sicherung«. Wenn in bezug auf irgendein Phänomen alle sehr streng aufgezählten und behandelten Sicherungen erfüllt waren und sich dieses Phänomen dann doch einstellte, dann ist es eben »gesichert« und kann als Tatsache gebucht werden.

Würde ich nicht überzeugt sein, daß es Gewisses, wenn auch nicht eben Zahlreiches, an solchem ganz gesicherten Gute gibt, so hätte ich diese Schrift nicht geschrieben, sondern die »Okkultisten« sich selbst und ihrem Schicksal überlassen.

Die Stellung der »offiziellen« Wissenschaft den parapsychischen Dingen gegenüber ist noch immer, leider ganz besonders in Deutschland, so, daß sie einer künftigen Zeit als ganz unverantwortlich erscheinen wird.

Man verwechselt fortwährend Parapsychologie mit »Spiritismus« und sieht nicht, daß der erste Name ein nach seinen Untersuchungsgegenständen gegen andere abgegrenztes Forschungsgebiet bezeichnet, der zweite eine besondere auf diesem Gebiet erwachsene Hypothese, deren Richtigkeit oder Falschheit die Ergebnisse der eigentlichen Sachforschung gar nicht berührt. Man darf aber doch auch die allgemeine Deszendenzlehre nicht mit der besonderen Form, die ihr Darwin in seiner Lehre von der zufälligen Variabilität mit nachfolgender »Zuchtwahl« gab, verwechseln!

Man glaubt stets sehr »aufgeklärt« zu sein und ist gerade das Gegenteil, nämlich dogmatisch festgelegt. Man glaubt zu wissen, »was es geben und nicht geben kann«. Dabei haben meist die, welche am schärfsten absprechen, ihr Wissen aus irgendeinem Zeitungsartikel. Das aber genügt doch wahrlich nicht, selbst wenn der Artikel in seiner Art gut war. Was würde man von einem sagen, der über Chemie so ein bißchen aus Zeitungen weiß und nun den Chemikern in ihre Arbeit hineinreden will? So aber, wahrlich, ist es auf unserem Gebiet. Man ahnt gar nicht, was es an gediegener Literatur gibt. Wer unter den Absprechenden kennt denn auch nur die Schriften der britischen Society for Psychical Research; ja, wer von ihnen weiß auch nur von der Existenz dieser Schriftenreihen und der großen wissenschaftlichen Gesellschaft, die sie herausgibt? Von anderem gar nicht zu reden.

Des äußersten bedenklich für das Ansehen deutscher Wissenschaft ist dieser Zustand, denn er hat eben sehr bedauerliche praktische Folgen: Unter der Jugend gibt es heute viele, die offenen Geistes dem neu erschlossenen Wissensgebiet entgegentreten und sich auf ihm betätigen möchten. Was soll man so einem jungen Mann, der begabt, kritisch und voll ehrlichen Strebens ist, sagen? Die allein mögliche Antwort muß leider lauten: Folge deiner Berufung, wenn du geistige Kraft in dir fühlst, aber wisse, daß du dir deine »Karriere« damit verdirbst!

Diese unerträgliche Sachlage mußte wirklich einmal mit klaren, dürren Worten gekennzeichnet werden. Universitäten sollen gewiß kritisch eingestellt sein allem Neuen gegenüber; aber sie sind doch nicht bloße Konservierungsanstalten, die tun dürfen, als wisse man alles» Wesentliche« eigentlich schon und habe sich nur mit Kleinausführungen abzugeben.

Daß man sich gegen neue »Wesentlichkeiten« sperrt, das gerade ist das Unerträgliche an dem heutigen Zustand. Umlernen, sein Weltbild ganz grundlegend umgestalten, das will man nicht.

Und, freilich, angesichts der Parapsychologie steht man vor einer möglichen Weltbildungsgestaltung, die überhaupt nicht ihresgleichen hat oder je gehabt hat. Hier ist wirklich ein Schatz zu finden − und nicht nur Regenwürmer.

Eine besondere Schwierigkeit für den kritischen Parapsychologen besteht darin, daß er stets gegen zwei Fronten geistig zu kämpfen hat: gegen die negativen Dogmatiker und gegen die allzu Gläubigen. Wohl verstanden: Ich habe nicht den gesunden Skeptiker zu den Gegnern gezählt. Ein solcher glaube ich selbst zu sein, denn ich selbst lasse mich sehr schwer und immer nur Schritt für Schritt, das heißt immer nur jeweils im Hinblick auf eine bestimmte Tatsachengruppe, die da behauptet wurde, überzeugen. Nehme ich eine solche Gruppe als echt an, so ist damit über meine Annahme anderer Gruppen noch nicht das mindeste ausgemacht. Denn wahrlich: Die Vorsicht kann auf einem so mit Täuschungsmöglichkeiten durchsetzten Gebiet wie dem unseren gar nicht weit genug getrieben werden. Doch davon wird ja der Text zu reden haben.

Denen, die ich die »Gläubigen« nenne, möchte ich aber doch auch in dieser Vorrede − der Text wird ebenfalls davon reden − besonders ans Herz legen, die Rolle des »Beleidigten« ein für allemal zu verabschieden und erst recht Beleidigungsprozesse!

Es ist nämlich kein Vorwurf gegen jemanden, ein moralischer schon gar nicht, aber auch kein intellektueller, wenn der Verdacht ausgesprochen wird, er sei »hineingefallen«. Die Dinge liegen so fabelhaft schwierig, zumal auf dem »physischen« Gebiet, daß wohl jeder Forscher hier gelegentlich getäuscht werden wird. Ideale Sicherungsbedingungen herzustellen ist eben, da ja Menschen die Untersuchungsobjekte sind, eine Aufgabe, die fast über die Kraft des Forschers geht. Angesichts des ganz Neuen, um das es sich handelt, müssen aber die Bedingungen »ideal« sein, wenn wirklich eine Tatsache soll registriert werden können.

Auch ein »Medium« sollte sich nie beleidigt fühlen; selbst dann nicht, wenn der Verdacht bewußten und nicht nur somnambulen, also unterbewußten Betrugs geäußert wurde. Der Ernst der Sache erfordert es, auch diesen Verdacht aussprechen zu dürfen. Ich meine, gerade ein subjektiv ehrliches Medium, dem an der Sache gelegen ist, wird das ja auch nicht tun. Als Märtyrer mag es sich fühlen; Märtyrer sein und sein Martyrium geduldig tragen, ist etwas sehr Hohes! Die Aufgabe sowohl der Versuchsleiter wie der Medien aber sollte darin bestehen, gerade die schärfsten Skeptiker, ja gerade solche, die den Verdacht des Betrugs aussprachen, zu überzeugen, indem man sie immer und immer wieder zu Versuchen einlädt. Denn eben die müssen ja überzeugt werden. Leider ist neuerdings das Gegenteil üblich geworden − man schließt solche, die sich ablehnend oder auch nur zweifelnd äußerten, für die Zukunft als »störend« aus, nicht ahnend, wie sehr man die Sache selbst dadurch schädigt!

Voraussetzung für einen stetigen Fortschritt gediegener parapsychologischer Arbeit in Deutschland ist erstens die Gründung einer großen »Gesellschaft für psychische Forschung« nach dem Muster der entsprechenden britischen und zweitens die einer Forschungsstätte, wie sie heute in Frankreich, seit einigen Jahren als Staatsinstitut, besteht.

Die Gesellschaft muß theoretisch neutral sein, sie muß ernste Skeptiker und Überzeugte, Animisten, Spiritisten, Mechanisten und wen sonst aufnehmen. Ernstes Arbeiten im Dienst der Wahrheit, gegründet auf Erziehung zu wissenschaftlicher Methodik, muß die einzige Bedingung für diese Aufnahme sein; »von Klinckowström bis Mattiesen« hat man wohl, und mit Recht, gesagt.

Vor der Gründung einer Forschungsstätte, die wir fordern, braucht man nicht etwa Angst wegen der Kosten zu haben. Ein teures Laboratorium, ja überhaupt ein eigentliches Laboratorium mit Apparaten braucht sie, zunächst wenigstens, nicht zu besitzen; ein solches wird sich wohl langsam, stets angesichts der besonderen Fälle, entwickeln, was ökonomisch zu tragen wäre. Zunächst sind nur gewisse Räume erforderlich; besonders erforderlich ist, was wieder mit der so sehr erwünschten »Gesellschaft« zusammenhängt, ein gewisser Stab von Forschern, die zur Untersuchung von Spukhäusern, von auswärtigen Medien usw. zur Verfügung stehen, also das, was die Angelsachsen als »research officers« bezeichnen. Zu vermeiden wäre die Herausgabe einer Zeitschrift, die an feste Termine gebunden ist. Die kommt zu leicht in die Lage, Gleichgültiges, Phantastisches oder Bedenkliches aufnehmen zu müssen, bloß um das Monats- oder Vierteljahresheft gefüllt zu bekommen. Ganz frei, nur wenn Gutes da ist, müssen die Hefte erscheinen, etwa wie die »Bulletins« der Bostoner Gesellschaft. Und als Hauptwahlspruch für alles muß gelten: Zuerst die Tatsachen; und in ihrer Erforschung ein Gang, von dem es heißt: »Langsam, aber sicher«.

An letzter Stelle sei in diesen einleitenden Worten noch eines betont: Mit den »mystischen«, »irrationalen« Neigungen der Gegenwart hat die Parapsychologie gar nichts zu tun. Sie ist Wissenschaft, ganz ebenso, wie Chemie und Geologie Wissenschaften sind. Unmittelbar »schauen« tut sie gar nichts, sie arbeitet positivistisch und induktiv. Sie findet Typen oder Formen des Weltgeschehens wie jede andere Wissenschaft; ihre Arbeit ist durchaus »rational«, wenn anders man das Auffinden solcher Typen rationales Arbeiten nennt. Parapsychologie steht somit im Dienst echter Aufklärung, denn rational arbeiten heißt »aufklärend« arbeiten.

Eben weil die Parapsychologie echte Aufklärungsarbeit leistet, sollte man aufhören, sie »Okkultismus« zu nennen.

Leipzig, den 10. Juli 1932. Hans Driesch

ERSTER TEIL

DIE METHODIK DER PARAPSYCHOLOGIE

I. DIE MÖGLICHKEIT DER TÄUSCHUNG AUF DEM BODEN DER PARAPSYCHOLOGIE

Es gibt keine Wissenschaft, die nicht den Gefahren der Täuschung, ja des bewußten Betruges ausgesetzt wäre. Auf dem Boden der Biologie haben wir es im Lauf der letzten zwanzig Jahre ein paarmal erlebt, daß sehr bedeutsam erscheinende Forschungsergebnisse über die sogenannte »Vererbung erworbener Eigenschaften« dadurch völlig wertlos wurden, daß sich an bestimmten Stellen begründeter Verdacht eines Betrugs einstellte. Vielleicht betraf dieser Betrug nur diese Stellen; abgelehnt werden mußte, aus Gründen wissenschaftlicher Sauberkeit, vielleicht zu Unrecht, das Ganze. Es ist nicht gesagt, daß der eigentliche Autor der in Rede stehenden Arbeiten betrog, vielleicht tat es ein Assistent oder ein Diener. Genug, es wurde betrogen; und das kann auf jedem Gebiet der Wissenschaft geschehen. Denn »der Mensch« ist leider ein der unbewußten und der bewußten Täuschung fähiges Wesen.

Aber auf dem Boden der eigentlichen Naturwissenschaft ist die Möglichkeit einer Täuschung doch immer nur einseitig, mag sie auch auf der einen allein in Frage kommenden Seite mehrere Personen, den eigentlichen Autor und die, welche ihn bei der Arbeit unterstützen, angeben können. Das Gebiet, von dem wir hier reden, die Parapsychologie, ist dagegen in der wenig erfreulichen Lage, mit einer zweiseitigen Täuschungsmöglichkeit, sei sie bewußt oder unbewußt, rechnen zu müssen: Der Autor der Untersuchung und seine Helfer können, wie bei jeder wissenschaftlichen Arbeit, täuschen; täuschen kann aber auch das Untersuchungsobjekt, also der Sensitive, das »Medium«, der »Metagnom« oder wie wir dieses Objekt nennen wollen. Täuschung seitens des Autors, zumal bewußte, wird ebenso selten sein wie auf naturwissenschaftlichem Gebiet engeren Sinnes; jedenfalls muß es ethisches Prinzip sein, jeden Autor für ehrlich zu halten bis zum ausdrücklichen Beweis des Gegenteils. Täuschung beider Art, bewußte und unbewußte, seitens des Untersuchungsobjekts ist aber leider schon häufig dagewesen, und sich gegen sie mit allergrößter Strenge zu schützen, muß eine der Hauptaufgaben einer Parapsychologie sein, die sich »Wissenschaft« will nennen dürfen.

Gewiß ist es für einen Untersuchungsleiter unangenehm, wenn ihm ein Getäuscht-, wohl gar ein echtes Betrogensein seitens seines Untersuchungsobjektes nachgewiesen, ja, wenn auch nur der Verdacht dieser Dinge ausgesprochen wird. Er fühlt sich dann ein wenig »blamiert«. Zu Unrecht, meine ich, tut er das. Sein guter Glaube wird ja doch nicht angezweifelt; nur daß er eben ein des Getäuschtwerdens fähiger Mensch ist, wird behauptet. Welcher Mensch aber wäre trotz größter subjektiver Gewissenhaftigkeit nicht fähig, getäuscht zu werden? Selbst die größten Forscher haben gelegentlich geirrt, was doch heißt, daß sie eben trotz ihrer Gewissenhaftigkeit einer Täuschung, im allgemeinsten Sinn des Wortes, zum Opfer fielen. Auf parapsychischem Gebiet aber, wo das Untersuchungsobjekt selbst aktiv zur Täuschung beitragen kann, wo nicht, wie in den normalen Naturwissenschaften, ein schlichter »Sachverhalt« zur Untersuchung steht, der der aktiven Täuschung unfähig ist, ist alles so unendlich viel schwieriger, daß es wahrlich kein schwerer Vorwurf ist, wenn einem Autor gegenüber der Verdacht des Getäuscht-, ja des Betrogenwordenseins laut wird. Unangenehm bleibt es, das gebe ich gern zu; die Selbstgefälligkeit wird ein wenig verletzt. Aber sollte die Wahrheitsliebe nicht mehr gelten?

Von einigen Seiten ist jüngst die Ansicht ausgesprochen worden, alle »Medien« sollten sich zusammentun und scharf gegen alle, wohl gar mit Prozessen, vorgehen, die es sich erlauben, Verdachtsmomente zu äußern. Das wäre der Tod einer wissenschaftlichen Parapsychologie. Die wahrhaft streng wissenschaftlich Denkenden würden ein Mitglied des Medien-»Verbandes« einfach ausschalten, seine Leistungen, mögen sie echt sein oder nicht, grundsätzlich nicht weiter beachten. Und für »Beleidigungs«-prozesse ist hier wahrlich nicht der Ort, zumal die Äußerung eines Verdachtes ja doch nie ohne weiteres die Vermutung bewußten Betrugs bedeutet. Wissen wir doch, wieviel in dem unterbewußten, halb somnambulen Zustand, in dem sich die »Medien« während ihrer Leistungen meist befinden, getäuscht werden kann; gewissenhafte Medien haben oft selbst darum gebeten, normale »Nachhilfen« unterbewußter Art, für die ihr bewußtes Ich ja verantwortungsfrei ist, nach Kräften unmöglich zu machen. Aber freilich muß, wenn die Verdachtsmomente sehr stark sind, auch die Möglichkeit bewußten Betrugs, ohne die Gefahr eines Prozesses zu laufen, ausgesprochen werden dürfen. Das wirklich ethisch reine Medium wird sich gar nicht getroffen fühlen dadurch; es wird sein Kreuz zu tragen wissen in der Überzeugung, daß ja die Wahrheit doch einmal an den Tag kommen werde.

Freilich richte ich nun an die andere Seite die ebenso dringende Aufforderung, maßvoll zu sein in »skeptischen« Angriffen und von bewußtem Betrug nur zu reden, wenn gar keine andere Möglichkeit, nach gewissenhafter Selbstprüfung, für den Angreifer übrigbleibt. Und auch dann sollten höhnische Äußerungen über den Versuchsleiter streng unterbleiben.

Vorbildlich im »Stil« ist hier alle Polemik seitens der Briten. In Deutschland ist aber, sowohl auf seiten der »Gläubigen« wie auf seiten der Skeptiker, eine Verwilderung des Stils eingetreten, die beinahe der auf politischem Gebiet leider bei uns üblichen gleicht und nicht gerade dazu beiträgt, das Ansehen der deutschen Parapsychologie besonders zu heben.

Das Wort »fortiter in re, suaviter in modo« sollte wenn irgendwo, dann auf diesem schwierigsten aller Forschungsgebiete gelten.

Ich dachte bisher an die Möglichkeit von Täuschung oder gar Betrug im Rahmen der eigentlichen Tatsachenforschung. Daß auf theoretischem Gebiet, wo nur der reine Irrtum in Frage steht, die Forderung gegenseitigen Anstandes erst recht gilt, sollte eigentlich keiner Worte bedürfen. Wenn »Animisten« und »Spiritisten« auf einem ganz und gar in den Kinderschuhen steckenden Wissensgebiet einander grob oder höhnisch anfahren, so wirkt das einfach lächerlich!

Viel könnte auf dem gesamten Gebiet der Parapsychologie die Presse zur Wahrung des polemischen Anstandes beitragen. Leider tut sie es nicht immer; gibt es doch Blätter, welche ganze Kübel des Spottes ausgießen, sobald von Parapsychologie − die sie meist mit der spezifischen spiritistischen Hypothese verwechseln − auch nur die Rede ist, häufig ohne sich mit der ernsten Literatur des Gebietes beschäftigt zu haben, und bisweilen sogar aus »politischen« Gründen.

II. DIE FORMEN MÖGLICHER TÄUSCHUNG

Ich komme zum eigentlichen Gegenstand des ersten Abschnittes dieser Schrift, der Darlegung der mannigfachen Täuschungsmöglichkeiten, gegen die sich der strenge Parapsychologe zu sichern hat. Sehr streng werde ich hier vorzugehen haben: selbst die kleinste Lücke, durch die ein Getäuschtwerden sich einschleichen könnte, gilt es zu verstopfen.

An erster Stelle werde ich von Täuschungsmöglichkeiten im Rahmen der Tatsachenerforschung, an zweiter von theoretischen Irrtumsmöglichkeiten reden. Der erste Abschnitt ist bei weitem der wichtigste.

Britische Forscher haben gelegentlich gesagt, der Parapsychologe habe über die Eigenschaften des Naturforschers, des Psychologen, des Psychiaters, des Untersuchungsrichters und des Taschenspielers gleichermaßen zu verfügen. Das ist richtig. Es zeigt aber auch, wie schwierig unsere Aufgabe ist; und ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß alles Folgende nur gleichsam eine Abschlagszahlung, ein »Minimum« an Sicherung darstellen kann, aber absolut nicht auf Vollständigkeit Anspruch erhebt. Für jede Art von Ergänzung zu meinem Täuschungskatalog werde ich aufrichtig dankbar sein.

1. ALLGEMEINES

a) Experiment und Beobachtung

Alle Tatsachenforschung hat zwei Quellen des Wissenserwerbes: die bloße Beobachtung und das Experiment, d. h. die Beobachtung unter, wenigstens dem Wesentlichsten nach, »willkürlich« und absichtlich gesetzten bestimmten Bedingungen.

Bei Erörterungen der Sicherungsmöglichkeiten gegen Täuschung müssen nun, wie stets in der Wissenschaft, zunächst einmal Beobachtung und Experiment gesondert behandelt werden. Des weiteren aber kann eine ergebnisreiche Untersuchung auf unserem Gebiet überhaupt erst einsetzen, nachdem gerade über das parapsychologische Experiment und die parapsychologische Beobachtung einiges Allgemeine gesagt worden ist. Denn die Dinge liegen hier etwas anders als in den normalen Naturwissenschaften.