Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Mit dem Teufel verbündet
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Kapitel 5
  8. Kapitel 6
  9. Kapitel 7
  10. Kapitel 8
  11. Kapitel 9
  12. Kapitel 10
  13. Kapitel 11
  14. Kapitel 12
  15. Kapitel 13
  16. Kapitel 14
  17. Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Mit dem Teufel verbündet

1

Als sie die alte verlassene Hütte erreichen, halten sie an und blicken wachsam in die Runde. Nach einer Weile sagt James, der älteste der Dee-Brüder: »Das ist es. Hier kann Sally auf uns warten, bis wir mit dem Sack voller Dollars zurückkommen. Dieses winzige Tal wurde vor vielen Jahren schon verlassen. Seitdem fand niemand mehr her. Ja, hier können wir abwarten, bis sie die Jagd abgebrochen haben. Seht, da sind noch einige Wildrinder. Heute noch werden wir uns mächtig große Steaks in die Pfanne hauen.«

Kevin und Clint grinsen verwegen und nicken. Alle drei Dee-Brüder wirken verwegen und irgendwie hungrig – so hungrig wie Wölfe nach einem langen Blizzard.

Und dann ist noch das Mädchen bei den drei Dee-Brüdern, Sally Dee.

Sie ist eine wilde Schönheit, dunkelhaarig und mit grünen Katzenaugen. Noch ist sie ein Mädchen, aber bald wird sie wie eine Frau aussehen, die ein Mann niemals mehr vergisst.

Sie sieht die drei Brüder an.

»Warum soll ich hier auf eure Rückkehr warten? Warum lasst ihr mich nicht mitreiten? Reite und schieße ich vielleicht schlechter als ihr?«

Sie hocken noch in den Sätteln und betrachten das Mädchen grinsend. Es ist ein bewunderndes und stolzes Grinsen. Man sieht ihnen an, wie stolz sie auf ihre Schwester sind.

Nach einer Weile spricht Kevin: »Sag es ihr, James, sag es ihr.«

James hebt auch sofort achtungsheischend seinen rechten Zeigefinger und beginnt mit den Worten: »Also hör mir gut zu, Schwesterchen. Es ist ganz leicht und einfach zu verstehen. Du reitest nicht mit, weil du ein Mädchen bist und eines Tages eine vornehme Lady sein sollst. Dafür machen wir das alles. Als wir im Krieg waren, musstest du verdammt bittere Wege gehen, um für Mom sorgen zu können. Das ist jetzt vorbei. Nur noch ein paar Tage, dann beginnt unser neuer Weg. Also wirst du hier brav und geduldig warten, bis deine drei großen Brüder mit einem Sack voller Dollars wieder bei dir sind. Basta!«

Sie möchte aufbegehren, ihm trotzig widersprechen, doch weil sie in seine Augen blickt, lässt sie es bleiben. Denn sie kennt seinen Jähzorn noch gut genug. Wenn James etwas entscheidet, duldet er keinen Widerspruch.

Er trägt noch die alte Uniform der Konföderierten-Armee.

Es ist eine Offiziersuniform, an der die Rangzeichen abgetrennt wurden.

Ja, er war einst einmal Captain, Kevin und Clint brachten es in den fünf Jahren, die sie als Texas-Freiwillige dienten, nur bis zum Sergeanten.

Und dann kamen sie als Verlierer bettelarm und zerlumpt heim und fanden ihre Mutter sterbend in einer zerfallenen Hütte, die so war wie diese hier.

Denn die Dee-Ranch war versteigert worden.

Ein Steuereintreiber der Yankees hatte dafür gesorgt. Sally konnte es nicht verhindern.

Sie schweigt also zu James Worten.

Und dann sitzen sie ab, um die alte Hütte zu besichtigen und eines der Wildrinder zu töten.

Denn sie haben Hunger nach Steaks – aber nicht nur nach Fleisch, nein, nach allem, was zu erobern ist auf dieser Erde. Sie wollen endlich mal wieder Gewinner und Sieger sein.

Die Tage vergehen für Sally so langsam, als wären sie kriechende Schnecken. Sie zieht diesen Vergleich, weil sie einmal einer kriechenden Schnecke zusieht und ihn deshalb sehr treffend findet.

Immer wieder versucht sie auszurechnen, wann die Brüder zurück sein könnten. Aber sie weiß nicht genau, wie weit die kleine Stadt entfernt ist, zu der sie ritten, um dort die Bank auszurauben. Sie weiß auch nicht, ob sie dies sofort tun konnten oder aus irgendwelchen Gründen warten mussten.

Und schließlich weiß sie auch nicht, was für Umwege ihre Brüder machen mussten, bis sie die Verfolger abgeschüttelt hatten und endlich geradewegs zu ihr und dieser jämmerlichen Hütte zu reiten wagten. Überhaupt diese Hütte hier …

In solch einer Hütte lebte sie zuletzt einige Monate mit ihrer schwerkranken Mutter und wartete auf die Heimkehr ihrer Brüder.

Man hatte ihnen die Ranch weggenommen, weil sie die Steuern für die letzten fünf Kriegsjahre schuldig blieben. Der Steuereintreiber der Yankees war gnadenlos. Und bei der Versteigerung bekam ein anderer Yankee für ein Spottgeld den Zuschlag.

Doch das war überall in Texas so.

Texas war arm geworden. Der ganze Rindersegen war noch nichts wert. Es gab keine Absatzmärkte. Niemand in Texas konnte die rückständigen Steuern zahlen. Und so kam überall alles unter den Hammer.

Die Mutter starb drei Tage vor der Heimkehr ihrer Söhne in solch einer jämmerlichen Hütte wie dieser hier.

Sally Dee hasst solche Hütten.

Und sie will nie wieder so leben müssen. Sie will wohlhabend … nein, reich, sehr reich will sie eines Tages sein. Dafür will sie alles tun, und wenn sie sich mit dem Teufel verbünden müsste.

Je mehr Tage vergehen, umso ungeduldiger wird sie. Und plötzlich beginnt sie instinktiv zu ahnen, dass nicht alles so glatt vonstattenging, wie es geplant war. Ja, sie verspürt nun eine zunehmende Sorge um die Brüder.

Immer wieder denkt sie: O Himmel oder Hölle, sie ritten fünf lange Jahre durch den Krieg und kämpften in vielen Schlachten. Dennoch kamen sie davon, blieben am Leben. Sollten sie jetzt …

Sie wagte nicht weiterzudenken; nein, an dieser Stelle in ihren Gedanken zögert sie stets.

Und so wartet sie mit immer größerer Sorge. Hätte sie nicht längst den Glauben an das Gute verloren und wäre sie nicht der Meinung, dass auf dieser Erde das Unrecht zumeist Sieger ist, so hätte sie vielleicht Gebete gen Himmel gesandt.

Aber die Zeit, da sie an einen guten Gott im Himmel glaubte, ist längst vorbei.

Es ist dann an einem späten Abend, als sie einen Reiter kommen sieht. Sie kann ihn nicht sogleich erkennen, denn die Schatten der heranziehenden Nacht holen ihn ein. Doch es dauert nicht lange, dann ist er bei der Hütte und hält das schnaufende und schweißbedeckte Pferd an.

Sie sieht, dass James gekommen ist, der älteste ihrer drei Brüder.

Ja, es ist James, der einst Captain in der Rebellenarmee des Südens war.

Er hockt zusammengesunken im Sattel, umklammert das Sattelhorn mit beiden Händen. Sein Atem geht schwer, stöhnend.

»James …« Mehr bringt Sally nicht hervor. Und sie sieht, dass er nicht mehr der alte James ist, der stets so stolz und geschmeidig im Sattel saß.

Sie tritt an das Pferd heran, legt eine Hand auf den Oberschenkel des Bruders und fühlt das klebrige Blut.

In der nun fast vollkommenen Dunkelheit starrt sie zu ihm empor, versucht etwas zu erkennen. In diesem Moment hört sie James mühsam sagen: »Hilf mir vom Pferd, Schwester. Ich habe eine Kugel im Leib und reite schon einen langen Tag damit. Hilf mir, Sally.«

Sie tut es schweigend, aber in ihrem Kopfe jagen sich die Gedanken.

Die Angst um ihre zwei anderen Brüder steigt in ihr auf, doch noch will sie die Hoffnung nicht verlieren. Und so fragt sie, indes der Bruder neben ihr steht und sie ihn festhält, weil er sonst wie ein Betrunkener schwanken würde: »Wann kommen Kevin und Clint? Habt ihr euch getrennt, um es den Verfolgern schwerer zu machen?«

Nein, sie fragt nicht nach der Beute. Die Sorge um ihre Brüder verdrängt alles andere.

James stöhnt schmerzvoll.

»Lass mich drinnen in der Hütte erst ausruhen. Du musst meine Wunde versorgen und die Kugel herausholen. Hilf mir, Sally.« Sie hilft ihm schweigend in die Hütte und auf das Lager und zündet die Kerze an. Bitter macht sie sich an die Arbeit.

***

Eine halbe Stunde später wissen sie beide, dass sie die Kugel nicht herausholen kann. Sie sitzt zu tief in seiner Brust, irgendwo neben dem Herzen. Nur ein Chirurg, der den Bruder aufschneiden und dann wieder zunähen müsste, könnte dies bewältigen.

Überdies hat der Bruder schon so sehr viel Blut verloren, dass er ausbluten würde, schnitte sie die Wunde tief auf oder versuchte sie mit einer dünnen Klinge die Kugel mit der Spitze herauszuhebeln.

Sie begreift, dass James verloren ist.

Auch er weiß es nun sicher, als sie sagt: »James, ich kann es nicht. Es geht nicht.«

Sie spricht es kehlig, so wie jemand der sich keine Illusionen mehr macht und deshalb ohne Hoffnung den Dingen entgegensieht.

Er stöhnt schmerzvoll.

Dann sagt er mühsam: »Das war’s wohl. Es hat nicht geklappt. Wir haben verloren, wir Dee-Brüder. Du nicht, Sally, du aber nicht. Draußen am Pferd hängen zwei Satteltaschen voller Dollars. Nimm sie und verstecke sie gut. Sie sollen dir zu einem völlig neuen Leben verhelfen. Das haben deine Brüder und ich immer für dich gewollt. Geh hinaus und versteck die Beute! Los, sofort!«

Sie erhebt sich folgsam vom Rande seines Lagers, verharrt dann jedoch.

»Geh!« Er befiehlt es ihr mit letzter Kraft.

Und sie gehorcht.

Als sie nach einer Weile wieder in die Hütte tritt, liegt er still da, doch er ist wach. Im Scheine der Kerzen sieht sie seine funkelnden Augen. Es ist immer noch eine wilde Energie in ihm. Sein eiserner Wille beherrscht ihn noch.

Sie setzt sich wieder zu ihm und gibt ihm stumm einige Schlucke Wasser zu trinken.

»Und nun?«, fragt sie schließlich. »Willst du mir nicht endlich alles berichten, Bruder?«

Wieder stöhnt er bitter.

Dann beginnt er heiser flüsternd: »Der Überfall klappte gut. Die Bank hatte eine Menge Geld im Tresor. Wir holten es heraus. Doch dann kamen wir nicht mehr heil aus der Stadt. Irgendwie hatten sie mitbekommen, was in der Bank geschah. Wir ritten von der Hauptstraße in eine Gasse, um nicht von rechts und links heißes Blei zu bekommen. Auch sollten sie nicht hinter uns herschießen können. Doch am Ende der Gasse war plötzlich ein Heuwagen. Jemand wollte von den Wiesen mit einer Fuhre Heu in die Stadt herein. Der Wagen verstopfte die enge Gasse. Und da bekamen wir es. Ich entkam allein, und bald waren sie hinter mir her. Kevin und Clint sind tot.«

Er verstummt erschöpft.

Sally schweigt mit geschlossenen Augen.

Sie sieht wieder jenes Bild vor fünf Jahren, als die damals noch so jungen Brüder wie fast alle Texaner freiwillig in den Krieg ritten. Clint war damals erst achtzehn, Kevin zwanzig und James dreiundzwanzig. Und auch ihr Vater lebte noch. Er wurde erst ein Jahr später von einem Pferdedieb erschossen.

Nun sind Kevin und Clint tot. Auch James wird sterben an der Kugel.

Und sie waren Banditen geworden, Bankräuber, weil sie sich als Verlierer etwas vom sogenannten großen Kuchen abschneiden und nicht länger mehr Verlierer sein wollten.

Sally begreift jetzt in diesem Moment, dass sie bald allein sein wird.

James beginnt wieder heiser zu flüstern: »Sie haben bei Nachtanbruch meine Fährte verloren und mussten anhalten. Sie kennen dieses kleine Tal mit der Hütte gewiss nicht. Also kommen sie erst morgen gegen Mittag. Ich will ausruhen bis zum Morgengrauen. Dann reite ich weiter. Sie werden meiner Fährte folgen. Du kannst unbesorgt hier in der Hütte bleiben. Sie können und werden dir nichts tun. Denn du warst ja nicht mit uns in Hope City. Sie können dir nichts anhaben. Dass du die Schwester von Banditen bist, ist nicht strafbar. Geh hinaus und versorge mein Pferd gut. Es muss morgen wieder frisch sein. Also, Sally …«

Er spricht nicht weiter, sondern fällt in einen Schlaf, der wahrscheinlich zugleich auch eine Bewusstlosigkeit ist.

Sally verharrt noch einige Atemzüge lang. Sie möchte weinen, doch sie kann es nicht. Alles, was sie fühlt, ist ein maßloser Hass gegen die ganze Welt.

Ihre drei Brüder waren wieder einmal mehr die Verlierer. Zwei sind bereits tot. Und bald wird es auch James nicht mehr geben.

Soll sie mit ihm reiten und an seiner Seite kämpfen?

Verdammt, sie will leben! Sie will nicht sterben, nicht verlieren, sondern gewinnen. Sie weiß, irgendwie und irgendwo kann diese verdammte Erde sehr schön sein, und es gibt glückliche Menschen, die sich alles gönnen können, weil das Schicksal von Anfang an auf ihrer Seite war.

Aber sie lebte auf einer einsamen Ranch in den Antelope-Hügeln und wartete auf das Ende des Krieges, hoffte auf eine neue und bessere Zeit und die Heimkehr ihrer Brüder.

Alle Menschen sagten von ihr, dass sie auf eigenwillige Art schön sei.

Verdammt, warum brachte ihr diese Schönheit bisher nichts ein?

Sie bewegt sich plötzlich und geht hinaus, um das Pferd des Bruders zu versorgen. Ja, sie wird es abreiben, durchmassieren und auch füttern. In den vergangenen Tagen machte sie Heu mit einer alten Sense.

Indes sie sich um das erschöpfte Pferd kümmert, denkt sie darüber nach, was sie tun wird.

Doch die Zukunft kommt ihr wie ein dunkles Loch vor, durch welches sie gehen muss, um herauszufinden, was dahinter auf sie wartet.

Einige Male denkt sie während der Arbeit am Pferd: Vielleicht schafft es James zu einem richtigen Doc. Irgendwo muss es doch eine andere Stadt mit einem Doc geben. Und wenn James sich eine ganze Nacht lang ausgeruht hat, kann er vielleicht noch einen langen Tag im Sattel bleiben. Ja, das wird er gewiss tun, um das Aufgebot weit von hier wegzulocken, sodass ich ungehindert mit der Beute verschwinden kann. Ich habe die beiden Satteltaschen gut versteckt.