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Das Buch

So viel Spaß hatten sie noch nie! Davon sind Hugo, Betty, Camille und Theo Sommerfeld überzeugt. Denn seit das Kindermädchen Frau Honig mit ihrem Bienenschwarm bei ihnen eingezogen ist, ist jeder Tag ein Abenteuer! Wo Frau Honig geht und steht, sprießen duftende Blumen, der Kühlschrank füllt sich ganz von allein mit den allerfeinsten Köstlichkeiten und alle bösen Worte verschwinden schwuppdiwupps in einer Böse-Worte-Schublade. Doch am schönsten ist es abends, wenn sie auf einem fliegenden Teppich ins Bett gebracht werden. Auch Papa Sommerfeld merkt bald, was er an diesem ganz besonderen Kindermädchen hat, das alle verzaubert.

Ein wunderschöner honiggelber und unvergesslicher Sommer beginnt ...

Die Autorin

© Christian Hartmann

Geboren wurde Sabine Bohlmann in München, der schönsten Stadt der Welt. Als Kind wollte sie immer Prinzessin werden. Stattdessen wurde sie (nachdem sie keinen Prinzen finden konnte und der Realität ins Auge blicken musste) Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin und durfte so zumindest ab und zu mal eine Prinzessin spielen, sprechen oder über eine schreiben. Geschichten fliegen ihr zu wie Schmetterlinge. Überall und zu allen Tages- und Nachtzeiten (dann eher wie Nachtfalter). Sabine Bohlmann kann sich nirgendwo verstecken, die Geschichten finden sie überall. Und sie ist sehr glücklich, endlich alles aus ihrem Kopf rausschreiben zu dürfen. Auf ein blitzeblankes, weißes – äh – Computerdokument. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

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Viel Spaß beim Lesen!

Für Jakob und Paulina, die mit mir unzählige Male auf dem fliegenden Teppich geflogen sind!

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Frau Honig

»Ja bitte?«

Julius Sommerfeld öffnete die Tür.

Davor stand eine zierliche Gestalt. Etwa einen Meter siebenundsechzig groß. Vielleicht auch einen Meter achtundsechzig. Julius Sommerfeld wollte sich nicht so genau festlegen, da er nicht wusste, ob die braunen Gummistiefel vielleicht über einen klitzekleinen Absatz verfügten. Was er sicher wusste, war, dass es sich um eine Frau handelte.

Gelber Mantel, unter dem eine schwarz-gelb geringelte Strumpfhose hervorguckte, die kurz darunter in den Gummistiefeln verschwand. Auf dem Kopf trug sie einen Hut. Wo auch sonst?

In der einen Hand einen alten Lederkoffer, über der Schulter eine größere Tasche und in der anderen Hand einen … ja, wie sollte man das beschreiben? Einen Korb? Einen Korb ohne Henkel und ohne Öffnung. Nein, so ganz stimmte das nicht. Es befand sich ein streichholzschachtelgroßes Loch an der Vorderseite.

Die Frau stellte Korb und Koffer ab, streckte Julius Sommerfeld die Hand entgegen und sagte: »Honig, Elsa Honig. Die VFFDAÜKW schickt mich!«

In diesem Moment flog eine Biene einmal um Frau Honigs Kopf herum und setzte sich dann gemütlich auf die Plastik-Anemone auf ihrem Hut. Dort blieb sie sitzen.

Julius Sommerfeld, der mit seinem Blick der Biene gefolgt war, reagierte nicht.

Und Frau Honig wiederholte – diesmal etwas langsamer und deutlicher, als hätte sie es mit einem Schwerhörigen zu tun: »Die VFFDAÜKW schickt mich!«

»Die, die, die wer?«, stotterte Julius Sommerfeld.

Frau Honig seufzte. »VFFDAÜDKW, die Vermittlungsstelle für Familien, denen alles über den Kopf wächst!« Zwei Falten bildeten sich zwischen Julius Sommerfelds Augenbrauen. »Und was wollen Sie?«, fragte er ungeduldig.

»Ich bin Ihr neues Kindermädchen!«

Die Selbstverständlichkeit in Frau Honigs Stimme ließ ihn kurz überlegen. Hatte er irgendetwas bestellt? Ein Abo vielleicht, bei dem man gratis ein Kindermädchen dazubekam? Er konnte sich nicht erinnern.

»Wir haben kein Kindermädchen angefordert, Sie müssen sich in der Adresse geirrt haben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!« Schon wollte Herr Sommerfeld die Tür schließen, da hielt ihn Frau Honig zurück.

»Ist das hier nicht der Spatzenwinkel Nummer 5? Und sind Sie nicht Herr Sommerfeld?« Sie holte einen kleinen Zettel aus der Manteltasche und las noch einmal zur Sicherheit nach. »Julius Sommerfeld?« Dann verglich sie den Namen auf dem Papier mit dem Namen, der auf dem Klingelschild stand.

Julius Sommerfeld trat einen Schritt aus dem Eingang und sah ebenfalls auf das Schild mit seinem Namen. »Äh, doch, ja, das bin ich! Aber da muss trotzdem eine Verwechslung vorliegen. Ich habe niemanden nirgendwo bestellt und mir wächst auch nichts über den Kopf.«

Frau Honig musterte Julius Sommerfeld von oben bis unten, dabei wurden ihre Augen kugelrund.

Herr Sommerfeld sah an sich herunter. Er war über und über mit Tomatensoße bekleckert. Wieder einmal hatte er den Deckel für den Topf vergessen und die Tomatensoße war wieder einmal förmlich explodiert.

Aus dem Haus hörte man laute Musik und zwei schreiende Kinderstimmen. Die eine schrie: »Warum geht das Internet nicht, Papa!?« und die andere: »Nie kann man hier seine Ruhe haben!«

Dann folgten zwei knallende Türen und hinter Julius Sommerfeld erschien ein kleiner Junge. Rote Hose, Superman-T-Shirt und Brille auf der Nase.

»Papa, ich hab so Hunger, dass ich gleich platze! Wann gibt es denn endlich was zu essen?«

Auf dem Boden lagen kreuz und quer Spielsachen, Schuhe, Taschen und Jacken übereinander.

»Gleich, Hugo, gleich, ich muss hier noch schnell was klären.«

Frau Honig sah erneut auf ihren kleinen Zettel. »Ich soll mich um den Haushalt kümmern, außer an Dienstagen, denn da kommt Ihre Putzfrau. Außerdem um Ihre vier Kinder Theo, Camille, Betty und Hugo.«

In Julius Sommerfelds Kopf arbeitete es. Er war sich sicher, kein Kindermädchen und auch keine Haushaltshilfe bestellt zu haben. Aber eines stand fest: Ihm wuchs momentan wirklich alles über den Kopf. Vier Kinder, das Haus, Kochen, Erziehen und seine Arbeit. Vielleicht war das ja die Lösung all seiner Probleme.

Er atmete tief durch. »Na ja, vielleicht …«, sagte er und machte die Türe etwas weiter auf, »also eigentlich …«, die Tür öffnete sich noch einen Spalt.

»Papa, wer ist das?« Der kleine Junge linste neugierig um seinen Vater herum.

»Das ist euer neues Kindermädchen … glaub ich!«, erklärte er unsicher und ließ Frau Honig herein.

Sie griff nach ihrem Koffer und ihrem Korb. »Na also. Ich dachte schon, ich müsste da draußen festwachsen!«, murmelte sie beim Eintreten.

»Du lässt fremde Menschen in unser Haus?«, fragte Hugo und seine Augen wurden groß und ängstlich. »Was, wenn sie eine Ermorderin ist oder eine Räuber in?« Schnell versteckte er sich hinter seinem Vater.

»Das ist Hugo, mein Jüngster, er hat eine blühende Fantasie!«, erklärte Herr Sommerfeld lächelnd.

Frau Honig hielt dem Kleinen die Hand hin. »Du hast vollkommen recht, Hugo, man kann nie vorsichtig genug sein. Aber genauso wenig weiß ich, ob ihr nicht vielleicht ein paar Leichen im Keller habt. Ich begebe mich also genauso in Gefahr wie ihr und somit wären wir quitt, findest du nicht?«

Hugo überlegte. Dann nahm er ihre Hand und schüttelte sie vorsichtig. »Ich werde Sie im Auge behalten«, drohte er, doch Frau Honig ging nicht weiter darauf ein.

»Und jetzt wäre es schön, wenn Sie mir mein Zimmer zeigen könnten. Ich muss mich etwas frisch machen und möchte gern auspacken!« Frau Honig deutete auf ihren Koffer.

»Äh, ja, natürlich. Das Zimmer …«, begann Julius Sommerfeld, »also wir haben jetzt nicht direkt mit Ihnen gerechnet, Frau – äh – Honig. Aber wir haben ein Gästezimmer im Dach!« Er zeigte auf die Treppe, griff nach ihrem Koffer und ging voraus.

»Wir nennen es auch die Rumpelkammer!«, fügte Hugo hinzu. Und hüpfte hinter seinem Vater die Stufen hinauf.

»Und wie heißt dein Kater, Hugo?« Frau Honig wandte sich an den Kleinen.

»Wir haben keinen Kater!«, antwortete Julius Sommerfeld anstelle seines Sohnes.

»Aber da saß doch einer im Flur und hat mich begrüßt!«, sagte Frau Honig. »Und ein besonders hübscher war es noch dazu.«

»Tiger!«, sagte Hugo verblüfft. »Er heißt Tiger! Und keiner kann ihn sehen, nur ich!«, fügte er schüchtern hinzu.

»Ach so, ja, Hugo hat so einen unsichtbaren Freund, der anscheinend ein Kater ist.«

»Oh, unsichtbare Freunde sind etwas Wunderbares. Ich habe auch hin und wieder welche!«, erzählte Frau Honig und es war ein Glück, dass Julius Sommerfeld nicht weiter über ihre Worte nachdachte, sonst hätte er sich das mit der Anstellung dieser merkwürdigen Person sicher noch einmal überlegt.

Im ersten Stock gab es fünf Türen. Julius Sommerfeld öffnete die erste. Darin saß an einem Computer ein Junge. »Das hier ist Theo, er ist dreizehn!«

Theo starrte gebannt auf den Bildschirm. Seine Hand bewegte die Computermaus hin und her. »Ich bin zwölf, Papa!«, rief er ohne aufzuschauen.

»Ja, äh, also er ist zwölf. Theo, sag Guten Tag zu Frau Honig!«

»Guten Tag zu Frau Honig«, wiederholte Theo wie in Trance.

»Und hier …«, Julius Sommerfeld schloss die Tür und öffnete die nächste, »ist Camille, Theos Zwillingsschwester.«

Ein Mädchen lag auf dem Bett. Ihr Handy am Ohr. Als die Tür aufging, schoss sie kerzengerade hoch. Ihr Gesicht war verweint.

»Papa!«, kreischte sie. »Ich hab dir schon so oft gesagt, du sollst an klopfen, wenn du reinkommst. Oh Mann, kann man hier nie seine Ruhe haben?« Dann widmete sie sich wieder ihrem Handy. »’tschuldige, Lea, Paps nervt mal wieder. Wo war ich?« Und während sie weiterredete, fuchtelte sie mit der Hand in Richtung ihres Vaters und machte kleine Winkbewegungen, die ihn aus dem Zimmer scheuchten.

»Das ist Camille, sie ist dreizehn.«

»Zwölf!«, verbesserte Hugo.

»Ja, hab ich das nicht gesagt? Natürlich ist sie zwölf. Zwillinge sind ja meistens gleich alt!«, sagte Julius Sommerfeld. Hugo verdrehte die Augen. Entschuldigend fügte Herr Sommerfeld hinzu: »Liebeskummer! Das geht heutzutage alles viel früher los.« Dann wandte er sich der nächsten Türe zu, die offen stand. »Ja, also und das hier ist Hugos Zimmer.«

»Und ich bin fünf Jahre und nächstes Jahr werde ich sechs, und wenn alles gut läuft, werde ich dann übernächstes Jahr sieben. Und wie alt sind Sie?«

»Hugo, so was fragt man nicht!«, mahnte ihn sein Vater.

»Aber mich fragt doch auch immer jeder, wie alt ich bin!«, verteidigte sich der Kleine.

»Ich bin, äh …« Frau Honig schien ein wenig überlegen zu müssen. »Achtundzwanzigeinhalb!«, sagte sie dann zufrieden. Sie warf einen flüchtigen Blick in Hugos Reich. An Herrn Sommerfeld gewandt, fragte sie: »Haben alle Ihre Kinder einen eigenen Fernseher im Zimmer?«

Julius Sommerfeld öffnete die vierte Tür. »Das ist sehr praktisch, man spart sich die täglichen Diskussionen, wer welches Programm ansehen will. Und dann haben wir hier noch Betty. Acht Jahre alt. Sie ist mein kleines Schusselchen.«

Betty lag ebenfalls auf ihrem Bett. Der Fernseher lief. Irgendeine Zeichentrickfigur rannte hinter einer anderen her und versuchte dieser mit einer Pfanne auf den Kopf zu hauen. Doch Betty sah nur ab und zu zum Fernseher, sie blätterte nebenbei in einer Zeitschrift.

Hugo hüpfte zu ihr und knuffte sie in den Arm. »Wir haben ein Kindermädchen und vielleicht ist sie eine Ermorderin, aber das wissen wir noch nicht.«

Betty sah auf. »Wieso haben wir ein Kindermädchen?« Sie musterte Frau Honig interessiert.

»So, wie es aussieht, haben wir wohl eines aus Versehen oder ohne es zu merken bei der VFFDÜKW-Dings bestellt«, versuchte ihr Vater zu erklären.

»VFFDAÜDKW!«, verbesserte Frau Honig schnell und rümpfte unzufrieden die Nase.

»Und wird sie bei uns wohnen?«, fragte Betty neugierig.

»Ja, in der Rumpelkammer«, lachte Hugo, und Julius Sommerfeld fügte schüchtern hinzu: »So schlimm ist das Gästezimmer auch wieder nicht.« Dann deutete er noch auf die fünfte und letzte Tür. »Das Badezimmer. Und hier geht es hoch in die Rum… äh, in das Gästezimmer!«

Betty krabbelte aus dem Bett und folgte den dreien die Stufen hinauf.

»Nimm Frau Honig bitte die Tasche ab, Betty!«, befahl ihr ihr Vater, der den Koffer hochhievte.

Betty griff nach der Tasche und stolperte die Stufen hinauf, da sie sich im Tragegriff verfangen hatte.

Hugo, der hinter Betty ging, lief auf und konnte sich gerade noch fangen, bevor auch er vornüberkippte.

Julius Sommerfeld sah sich müde lächelnd zu seiner Tochter um. »Sie ist eben unser kleines Schusselchen!« Entschuldigend zuckte er mit den Schultern und öffnete quietschend eine kleine türkisfarbene Holztür.

»Ja, das erwähnten Sie bereits!«, sagte Frau Honig und trat ein.

Von einem Gästezimmer war dieser Raum wirklich weit entfernt. Hier war alles übereinandergestapelt, was die Familie unten im Haus nicht mehr wollte. Vielleicht in der Hoffnung, der alte Sessel oder das windschiefe Regal würden sich hier oben in Luft auflösen. Doch zum Auflösen war die Luft unterm Dach wahrscheinlich einfach zu dick. Es roch nach Staub und alten Dingen.

Frau Honig stellte den Korb ab und ging sofort zum Fenster, um es zu öffnen. Sie sah sich um.

»Ich hatte es gar nicht mehr so schlimm in Erinnerung!« Verlegen kratzte sich Julius Sommerfeld am Kopf. »Aber wir haben auch nicht wirklich mit Ihnen gerechnet, sonst hätten wir aufgeräumt und geputzt und so!«

Frau Honig ging einmal in dem kleinen Raum herum. Dabei nahm sie alles genau unter die Lupe. Ein Tischchen, ein Bett, ein Sessel, ein Stuhl und ein Regal. Kisten und altes Kinderspielzeug, Aktenordner und ein Stapel Schallplatten.

»Das sind meine alten Platten. Und da müsste auch noch irgendwo ein Schallplattenspieler sein!«, erklärte Herr Sommerfeld, der ihrem Blick gefolgt war.

»Und was ist das?«, fragte Frau Honig und deutete auf eine weitere Tür. Es war allerdings eher eine Luke als eine Tür.

Julius Sommerfeld folgte ihrem Blick. »Ach, da geht es aufs Dach.«

Frau Honigs Augen wurden rund. »Ein Dachgarten?«, rief sie erfreut aus.

»Nein, es ist einfach nur ein bisschen Flachdach ohne Garten«, erklärte er. »Aber man kann da sicher trotzdem, äh, drauf stehen und äh«, er überlegte fieberhaft, »schauen! Ja, schauen kann man!«

Noch einmal drehte sich Frau Honig langsam um die eigene Achse.

»Ja, ich denke, ich werde mich hier wohlfühlen! Und nun wäre ich gerne einen Moment allein. Ich möchte es mir gemütlich machen.«

Julius Sommerfeld nickte. »Ich kann später hochkommen und Ihnen helfen, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. Sagen Sie einfach Bescheid, ich bin unten in meinem Arbeitszimmer. Tja, es ist zwar Sonntag, aber ich muss trotzdem noch ein wenig arbeiten. Bin letzte Woche nicht fertig geworden. Die Formalitäten besprechen wir dann später auch noch. Verdienst, Versicherung, freie Tage und so etwas.« Dann schob er Betty und Hugo zur Tür hinaus.

»Ich hab das immer noch nicht verstanden!«, hörte man Bettys Stimme hinter der Tür, die sich langsam entfernte. »Warum haben wir ein Kindermädchen? Wir sind doch bisher ganz gut allein zurechtgekommen!«

»Ich glaub immer noch, die plant irgendwas. Die ist eine Räuberin oder so was!«, flüsterte Hugo. »Ich werde sie genau im Auge behalten. Ganz genau!«

Frau Honig stand mitten in ihrem neuen Zimmer. Dann öffnete sie die kleine Tür zum Dach ohne Garten und trat hinaus. Den Korb in der Hand.

»Ja, ich glaube wirklich, hier werde ich mich wohlfühlen. Und ihr euch auch«, sagte sie zu ihrem Korb, stellte ihn vorsichtig ab und strich zärtlich darüber.

Die Biene, die bis zu diesem Zeitpunkt immer noch auf der Plastik-Anemone gesessen hatte, flog auf und blieb in der Luft stehen. Genau vor Frau Honigs Nase.

»Na, flieg los und gib den anderen Bescheid. Ich bereite inzwischen alles vor!«

Die Biene wagte einen kleinen Salto und kurze Zeit später war sie über den Dächern der Stadt verschwunden.

Frau Honig lächelte versonnen. Dann machte sie sich an die Arbeit.

Koffer, Koffer und noch mal Koffer

»Was tut sie da oben?«, fragte Betty, die zu Hugo ins Zimmer gekommen war. Sie sah verwundert an die Decke.

Es polterte und hörte sich an, als würden Möbel hin und her gerutscht werden, allerdings in einer irrsinnigen Geschwindigkeit. Schon seit einer Stunde konnte sich Betty nicht mehr auf ihre Zeichentrickserie konzentrieren.

Hugo guckte gerade seine eigene Lieblingssendung im Fernsehen an. Nun wanderte auch sein Blick Richtung Decke, als könnte man durch sie hindurch erkennen, was da oben geschah.

»Wir sollten nachsehen!«, schlug Hugo vor und sprang auf.

Betty zuckte mit den Schultern. »Ach nee, nicht so wichtig. Ich hoffe nur, dass dieses Gerumpel da oben bald aufhört!« Und schon verschwand sie wieder in ihrem Zimmer.

Hugo blieb noch eine Weile unschlüssig stehen. Dann schlich er hinaus, die Stufen zum Dachzimmer hinauf und legte sein Ohr an die Tür. Er hörte dem Gerumpel eine Weile zu. Doch nach kurzer Zeit war es verstummt. Vorsichtig guckte er durchs Schlüsselloch. Und was er da sah, verschlug ihm fast den Atem.

Das Zimmer war nicht mehr wiederzuerkennen. Es war sauber und ordentlich. Nichts deutete mehr auf die Rumpelkammer hin, die es eben noch gewesen war. Ordentlich stand eine kleine Lampe auf einem Nachtkästchen. Kissen und Bettdecke waren frisch bezogen und auf dem Sessel lag ein kleines rotes Kissen mit dem perfekten Knick. Die Sonne erhellte den Raum und vor dem Bett lag ein kuschelig aussehender Teppich.

Frau Honig stand mitten im Zimmer. Sie hatte ihren honiggelben Mantel über einen Kleiderbügel an einen Haken gehängt. Jetzt trug sie ein honiggelbes Kleid und darüber eine geblümte Schürze mit Rüschen.

Plötzlich wandte sie sich zur Tür. Sie legte den Kopf schief, als würde sie über etwas nachdenken.

Hugo erstarrte. Er wagte kaum zu atmen. Vorsichtig versuchte er einen Schritt nach hinten zu gehen, ohne den Parkettboden knarzen zu lassen. Doch es gelang ihm nicht.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Frau Honig sah ihn erstaunt an. »Hugo! Wolltest du mir beim Auspacken helfen? Wie reizend«, flötete sie und zog den Kleinen, bevor er etwas erwidern konnte, in ihr Zimmer. »Ich kann durch Türen sehen, weißt du?«

»Dein Zimmer ist …« Hugo suchte nach den richtigen Worten.

»Hübsch, nicht wahr? Gefällt es dir?«, fragte Frau Honig. Hugo schluckte. »Ich kann deine Hilfe gut gebrauchen«, fuhr sie fort, »hier, pack doch bitte mal den Koffer aus!« Frau Honig hievte ihren braunen Riesenkoffer auf das Bett und machte eine einladende Handbewegung. »Ich kümmere mich inzwischen um den restlichen Staub auf dem Fensterbrett!«

Hugo blieb erst noch eine Weile wie angewurzelt stehen. Als Frau Honig sich noch einmal zu ihm umdrehte, machte er sich ans Werk. Vorsichtig ließ er erst die rechte Schnalle des Koffers aufschnappen, dann die linke. Er brauchte eine Weile, bis er dahinterkam, wie das Schnappschloss des altmodischen Koffers funktionierte. Und dann klappte er ihn auf. Und es klappte nicht nur der Koffer, es klappte auch sein Mund auf, und Hugo schloss ihn auch so schnell nicht mehr.

»Was ist?«, fragte Frau Honig. »Pack aus, oder willst du hier Wurzeln schlagen?«

Doch in dem Koffer befand sich nichts weiter als ein zweiter Koffer. Hugo nahm ihn heraus und legte ihn ebenfalls auf das Bett.

»Und schließ den anderen Koffer, sonst zieht es!«, wies Frau Honig den Jungen an. »Und deinen Mund kannst du auch wieder schließen, sonst fliegen die Fliegen hinein und richten es sich dort gemütlich ein.«

Hugo tat, was Frau Honig verlangte, machte Deckel und Mund zu und öffnete den Koffer aus dem Koffer. Doch auch in diesem lag nur ein weiterer Koffer. Und so ging es weiter. Jedes Mal, wenn er einen öffnete, befand sich in diesem ein etwas kleinerer.

Bald standen unzählige Koffer in dem kleinen Dachzimmer herum.

»Und nun geht es ans Auspacken!«, rief Frau Honig fröhlich und rieb sich die Hände. »Mit welchem fangen wir an?«, fragte sie sich selbst. Dann fiel ihr Blick auf einen mittelgroßen braunen. Sie nahm ihn hoch, hievte ihn auf einen der Koffer auf dem Bett und öffnete ihn.