Ein Drama. Als Hörspiel. Über ein Leben. Wobei – in Leben wie Hörspiel – die Akteure eben dieses Dramas, das man eines Menschen Leben nennt, allenfalls wortlose Statisten sind, stumme Zeugen dessen, was andere – kaleidoskopartig – für sie, als ihr Leben, inszenieren.

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© 2015 Richard A. Huthmacher

Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH

ISBN: 978-3-7392-7925-1

Gleichsam als Augur berichtet der Erzähler, als Haruspex, der ebenso um Vergangenheit und menschliche Vergänglichkeit wie um der Menschen Zukunft weiß. Jedenfalls zu wissen vorgibt: „Wohlbekannt ist der alte Spruch Catos, er wundere sich, dass ein Haruspex nicht lache, wenn er einen anderen Haruspex sehe.“ Denn die Eingeweihten und ihre Auguren wissen sehr wohl, dass es Mumpitz ist, was sie, aus Eigennutz, den Menschen als vermeintliche Wahrheit weismachen.

Den Irrenden und Wirrenden gewidmet, die scheitern, ihrem Bemühen zum Trotz.

Nicht schicksalsgewollt, sondern durch anderer Menschen Hand, nicht zwangsläufig, sondern deshalb, weil Menschen Menschen, wissentlich und willentlich, Unsägliches antun.

Gewidmet insbesondere meiner ermordeten Frau, die ihr Leben geben musste, um ein Fanal zu setzen: gegen die Dummheit und Unmenschlichkeit derer, welche die Wahrheit für sich beanspruchen – einzig und allein deshalb, weil sie diese kaufen können.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein Drama. Ohne Worte. Jedenfalls derer, die als Akteure eben dieses Dramas fungieren, das man eines Menschen Leben nennt. Wobei die Menschen – nicht nur in Deutschland – lediglich wortlose Statisten ihres eigenen Lebens sind, zwar paradigmatisch und prototypisch für ihre Zeit, aber doch nur stumme Zeugen dessen, was andere – kaleidoskopartig – für sie, als ihr Leben, inszenieren.

Über solch ein Leben berichtet der Erzähler. Gleichsam als Augur, als Haruspex, der ebenso um die menschliche Vergänglichkeit wie um der Menschen Zukunft weiß. Jedenfalls zu wissen vorgibt: „Wohlbekannt ist der alte Spruch Catos, er wundere sich, dass ein Haruspex nicht lache, wenn er einen anderen Haruspex sehe.“ Denn die Eingeweihten wissen sehr wohl, dass es Mumpitz ist, was sie den Menschen, aus eigenen Herrschafts-Interessen, als vermeintliche Wahrheit verkaufen.

Heute heißen die Eingeweihten nicht mehr Haruspex, sondern, beispielsweise, Bilderberger.

Gleichwohl inszenieren sie der Welten Lauf. Und der Menschen Leben. Stumm sollen die sein, geduldig, leidensfähig, willenlos.

Deshalb möge das Hörspiel eine Ermutigung sein, auf dass – in Verbindung plautusscher Eseleien und feuerbachscher Anthropologie – in Zukunft gelten möge: Non lupus sit homo homini sed deus.

Mithin das Motto dieses Buches sei:

Der Mensch, ein Traum, was könnte sein, was möglich wär. Nur ein Vielleicht, nicht weniger, nicht mehr:

Vielleicht liebend, vielleicht hassend, vielleicht geizend, vielleicht prassend mit dem, was ihm gegeben die Natur.

Vielleicht ein Gott, vielleicht der Teufel in Person.

Vielleicht, vielleicht, wer weiß das schon.

Vielleicht der Schöpfung Ziel, vielleicht ihr Untergang.

Vielleicht ewig, unvergänglich, vielleicht nur kurze Laune der Natur.

Vielleicht des Schöpfers Spott, vielleicht der Schöpfung Kron.

Vielleicht, vielleicht, wer weiß das schon.

Einerlei: Jeder Mensch, wie er auch sei, ist einzigartig, wunderbar und unvergleichlich.

Immerdar.

Ein Teil des Göttlichen, das ihn schuf, nicht zu eigenem Behuf, vielmehr zu zeigen, was denn möglich sei:

Der Traum von einem Menschen, ein Traum, was könnte sein, was möglich wär. Nur ein Vielleicht, nicht weniger, nicht mehr.

Auch die vorliegende „Tragödie des Menschseins“ steht unter dem – zusätzlichen – Motto: „Ich bin ein Anarchist!" „Warum?" „Ich will nicht herrschen, aber auch beherrscht nicht werden!"

Sie möge dem Leser helfen zu erkennen: „In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt.“

Prolog

Musik:

Gloomy Sunday

Rezitator:

Am Grabe

Als ich, Liebste, kam zu deinem Grab, fiel der Himmel, bleiern schwer, auf mich herab.

Es glühte der Mond rot wie Blut, in ihren Strahlen gleißte der Sonnen Glut, wie Sturm brüllte die Sommerluft, wie Pech und Schwefel wähnte mich der Blumen Duft.

Im Chaos tanzten die Gedanken, und mein Entsetzen ließ mich wanken und taumeln wie ein Blatt im Wind, das, im Herbst, geschwind, vom Baum herab gen Boden sinkt.

Ein stummer Schrei entrang sich meiner Brust, versiegte Tränen flossen über meine Wangen – umsonst all mein zagend Bangen, mein Kampf, mein Hoffen.

Und all meine Fragen – nach Recht und Gerechtigkeit, nach Gott und Gottes Wille – offen.

So unendlich offen.

Ohne Antwort, ohne Hoffen.

Armen-Begräbnis

Das also ist von dir geblieben, der du gelebt, geliebt, gehofft, gebangt.

Weil alle, die einst waren deine Lieben, sind gestorben, haben sich von dir gewandt, gibt es nun hienieden keinen, der noch den Weg zu deinem Grabe fand.

Sozialbestattung wird genannt, wie man dich nun verscharrt – damit du, voll des Dankes, weißt, welch staatlich Wohlfahrt deiner, noch nach dem Tode, harrt.

Früher wurd in geliehnem Sarg, im Pappkarton begraben. Heute, welch Fortschritt, sollst du ´ne richtge Urne haben.

Der Totengräber trägt sie, unwillig, schlecht bezahlt. Schnell die Urne senkt sich ins kleine Urnen-Grab.

Das also war´s.

Nichts von dir geblieben, ein bisschen Asche nur, der Rest von dem, was einst der Liebe Gott dir gab:

Dein Leben, deine Hoffnung und dein Mut – welch gewaltig Gut, von dem nichts blieb, nur dies erbärmlich kleine Grab.

Hier also ruht nun deine arme Seele, nur Not war ihr Geleit.

Die schlich bis hin zu deinem Grab; dann schlich sie weiter und überließ dich ewiger Vergessenheit.

Auch wenn hienieden kaum einer dich vermisst: Nun schmerzt dich nichts mehr, und ich hoffe, dass süß dein Schlummer ist – durch diesen Schlaf, den nur der Tod verleiht, als letzter Engel der Barmherzigkeit.

So denn mein Vermächtnis sei:

Wenn ich selbst, dereinst, gestorben bin – ich bitte euch, ich bitte dich, betrauert und beweint mich nicht.

Am Grab lasst keinen Pfaffen aus der Bibel lesen, der euch dann sagt, wie gut ich doch gewesen.

Sei.

Als ob dies wahr, zudem nicht gleichermaßen wäre einerlei.

Was ihr begrabt ist ohnehin nur Hülle. Für meine Seele, meinen Geist. Für das, was man, eigentlich, den Menschen heißt.

Und das fortleben soll in eurem Kopf, in euren Herzen, anfangs zwar mit vielen Schmerzen, dann aber, nach und nach, sich wandle in Gedenken.

An einen Menschen. Das möcht der Herrgott euch, als mein Vermächtnis, schenken.

1. Akt

Geburt

Musik:

Die Moldau – I

Rezitator:

Ein neues Leben

Es kommt von einer weiten Reise, aus einem unbekannten Land.

Im Irgendwo von Gott der Schöpfung aufgegeben, entstand ein neues Leben, das seinen Weg dann fand in dieses karge Land, das man die Welt genannt.

In dieses Jammertal, wo viele Menschen leiden, überall, zu allen Zeiten, gar unermesslich Qual.

Es schrie, das neue Leben, als seine Mutter es gebar.

Als es ward ausgestoßen. Ungefragt.

Darum, ihr Eltern und ihr Menschen, die kreuzen seinen Weg:

Versteht, dass jedes neue Leben ist kostbar, heilig gar.

Wie jedes Leben eben gar einzigartig.

Wie jedes Leben, schlechthin, schlichtweg, gar wunderbar.

Deshalb erspart Ihm allzu viele Sorgen.

Ansonsten, kaum das neue Leben ward geboren, erleidet seine Seele einen frühen Tod:

Falls allzu groß die Not, so existiert der Leib zwar noch als Hülle, doch dieser Hülle Seele ist und bleibet tot.

Musik:

Die Moldau – II

Rezitator:

An einen neuen Erdenbürger

Licht im Dunkel, Geborgenheit im Chaos, Erkenntnis in Verwirrung, Liebe trotz allenthalben Hass, Freunde unter Feinden, allzeit Wärme in der Kälte des Lebens, schlichtweg den Himmel auf Erden wünsche ich Dir, der Du, ungefragt, geboren.

Auf dass Du nicht verzagst am schier Unerträglichen, das wir nennen eines Menschen Leben.

Musik:

Die Moldau – III

Erzähler:

„ ´Am Abend des 6. Juni warf eine Frau AI. Pr. ihre zweijährige Tochter Marie und ihren halbjährigen Sohn Reinhold in die Spree. Passanten verhinderten, dass den drei ältesten Kindern das gleiche geschah.´

Dr. Alice Vollnhals, die Leiterin der Schwangerenfürsorge der Krankenkassen Berlins, kommt in einem Bericht über diesen Fall zu dem Ergebnis: ´Die Verzweiflungstat einer Mutter hat die Öffentlichkeit aufgewühlt; aber wie oft sind Mütter, gute, sanfte Frauen, ebenfalls am Rande eines Abgrunds! Gibt es da keine wirkliche Hilfe? Doch! Geburtenregelung im weitesten Sinn des Wortes, Zerstörung der Unwissenheit in diesen Dingen!´ (´Berliner Tageblatt´ vom 26. Juni 1928.)

´Hier starb unter auffallenden Umständen ein siebzehnjähriges Mädchen innerhalb einer Stunde. Eine amtliche Untersuchung ergab einen unerlaubten Eingriff zur Abtreibung der Leibesfrucht. Die Mutter der Verstorbenen wurde unter dem Verdacht der Beihilfe in Haft genommen.´ (´Schwäbische Tagwacht´ vom 21. Mai 1929.)

´... dort lernte er die Kassiererin M. F. kennen. Als nun die F. wieder in andern Umständen war, machte er auf deren eigenes Betreiben einen Abtreibungsversuch. Dabei wollte er von dem Sanitätssergeanten A. den Rat erhalten haben, er solle die Abtreibung mit Cyankali bewerkstelligen. Die F. ist dann an dem Gift nach schwerem Todeskampf gestorben.´ (´Süddeutsche Arbeiter-Zeitung´ vom 1. März 1929, Bericht über die Verhandlung des Schwurgerichts Augsburg, Mordprozess G.)

Der 45. Deutsche Ärztetag in Eisenach schätzt die Zahl der jährlichen Abtreibungen in Deutschland auf eine halbe Million bis 800.000, darunter 10.000 Todesfälle (!) und 50.000 Erkrankungen. ´Man rechnet in Deutschland jährlich mit 50.000 Erkrankungsfällen nach Fehlgeburten.´ (Berichterstatter Lonne im Preußischen Landesgesundheitsamt.)

´Ich verstehe nicht, dass die armen, arbeitenden Klassen ein so schreckliches Leben fuhren müssen, während die Reichen, die Kinder haben könnten, entweder keine oder nur ein paar haben. Ich wollte, ich könnte mich auf die Dächer stellen und den armen Frauen verkünden, was sie tun müssen.´ (Brief einer New-Yorker Arbeiterin an die Fürsorgerin von New York, Margaret Sanger, aus: ´Zwangsmutterschaft´.)

´Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Dieselben Bestimmungen finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zur Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet hat.´ (§ 218 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich.)“

(Friedrich Wolf: Cyankali. Drama, 1929.)

Musik:

Michael Hoppe, Martin Tillman, Tim Wheater: A Thousand Whispers

Rezitator:

Geboren werden – Gnade oder Strafe?

Wen wundert, dass Neugeborene schreien, wenn sie dieses Tollhaus betreten, das wir unsere Welt nennen.

Und weinen, weil sie ihre Geburt nicht nur mit dem Tod, nein, viel schlimmer noch, mit dem Leben, mit dem Leben-Müssen bezahlen.

Müssen.

Wo doch schon Aristoteles erkannte, dass Nicht-geboren-Werden das beste Schicksal ist.

Geburt – nur eine Möglichkeit. Nicht weniger, nicht mehr

Es ist ein Wunder, sagt das Gefühl. Es ist der Welten Lauf, sagt der Verstand.

Es ist eine Herausforderung, sagt die Angst. Es ist eine Möglichkeit, sagt der Mut:

Die Möglichkeit, dass der Mensch werde. Die Möglichkeit, dass der Mensch Mensch werde.

Dass der Mensch werden darf. Dass ein Mensch Mensch werden darf.

Und dass ein Mensch Mensch werden kann.

Dass der Mensch werden und Mensch werden wird.

Wo bisher doch Millionen und Abermillionen von Möglichkeiten bereits vergeben wurden.

Regieanweisung:

Man hört eine Gebärende schreien. Und schreien. Und schreien.

Plötzlich ist laut und deutlich auch das Schreien eines Säuglings zu hören.

Rezitator:

Nur was unter Schmerz geboren

Macht es die Muschel krank, dass sie die Perle trägt?

Nein.

Denn erst im Schmerz die Muschel dann erkannt, dass diese Perle, die im Schmerz entstand, mit Schönheit ihren Schmerz verband, dass beide, Muschel wie Perle, dadurch auserkoren und dass nur das, was unter Schmerz geboren, tatsächlich einen Wert erlangt.

Musik:

Bettina Wegner: Kinder (Sind so kleine Hände)

Sind so kleine Hände, winzge Finger dran.

Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.

Sind so kleine Füße mit so kleinen Zehn.

Darf man nie drauf treten, könnten sonst nicht gehn.

Sind so kleine Ohren, scharf, und ihr erlaubt –

Darf man nie zerbrüllen, werden davon taub.

Sind so schöne Münder, sprechen alles aus.

Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus.

Sind so klare Augen, die noch alles sehn.

Darf man nie verbinden, könnten nichts mehr sehn.

Sind so kleine Seelen, offen ganz und frei.

Darf man niemals quälen, gehn kaputt dabei.

Ist so ´n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht.

Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.

Grade, klare Menschen wärn ein schönes Ziel.

Leute ohne Rückgrat hab´ n wir schon zu viel.

Rezitator:

Kind der Sterne

Von einem Stern gekommen, auf der Erde eher gestrandet als gelandet, obwohl Phantast und Träumer Mensch unter Menschen, ebenso in der Verdammnis wie im selbst gewählten Exil lebend, erdacht von Philosophen, geschaffen von Literaten, Fleisch geworden durch die Liebe weilt er nun unter uns, verborgen, unerkannt, missachtet.

Es gibt nur eine Zukunft für ihn:

Zurück zu den Sternen.

Schlaflied

Schlaf, Kindchen,

schlaf.

Sei blöde wie ein Schaf.

Sei dumm wie eine Kuh.

Nur so wirst Du des Lebens Leid ertragen.

Und all die Fragen, die Dir das Leben stellt.

Und doch nie eine Antwort hält parat auf alles, was Dich plagt, Dein ganzes Leben lang.

Ach, Kind, mir wird so bang.

Wenn ich ans Leben denke, das Gott Dir schenkte: Ist´s Segen nun oder Fluch?

Als gäb´s nicht schon genug der Menschen auf dieser unsrer Welt. Die, uns allen, gar so wenig schenkt.

An Liebe.

Schlaf, Kindchen,

schlaf.

Dumm sei wie ein Schaf.

Sei blöd wie eine Kuh.

Nur so wirst Du Dein Leben, ein Leben lang, ertragen.

Und nicht verzagen.

An eben diesem Leben.

Bitte, bitte, sei nicht klug.

Der Klugen gibt´s genug.

Kluge müssen verderben.

Vor Ihrer Zeit sie werden, müssen sterben.

Schlaf,

Kindchen,

schlaf.

Bleib, bitte bleib, dein ganzes Leben lang, so blöde wie ein Schaf.

2. Akt

Krieg.
Und was man
dann Frieden nannte.

Musik:

Jimmy Hendrix: Nationalhymne (The Star-Spangled Banner)

Erzähler:

Liebster,

der Kriegsheimkehrer Beckmann (aus „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert) ist der Prototyp des Heimkehrers, der sich im „Frieden“ nicht mehr zurechtfindet, der das Unbeschreibliche, das Unsägliche, das er gesehen hat und das ihm widerfahren ist, weder vergessen kann noch zu verdrängen vermag.

Beckmann sucht seinen Platz in der Nachkriegsgesellschaft, doch dort ist kein Raum für ihn. Er fragt nach Moral und Verantwortung, doch eine Antwort erhält er nicht – weder von Menschen noch vom lieben Gott noch vom Tod. Sein Aufschrei artikuliert die stumme Verzweiflung einer weiteren „verlorenen Generation“, vergleichbar der, die aus dem ersten Weltkrieg heimkehrte, ohne wieder zuhause zu sein (und für die Hemingway in seinem Roman „Paris – ein Fest fürs Leben“ eben diesen Begriff der „lost generation“ prägte und die beispielsweise auch Ernst Toller in seiner Heimkehrer-Tragödie des Ersten Weltkrieg „Der deutsche Hinkemann“ beschreibt).

Beckmann, humpelnd, mit Gasmaskenbrille, Beckmann, trotz fehlender Kniescheibe der Apokalypse entronnen, ohne wieder auf Erden angekommen zu sein, Beckmann, der an den Landungsbrücken steht, um ins Wasser zu springen, das vielen einen letzten Trost gibt, dieser Kriegsheimkehrer Beckmann erklärt den Tod zum neuen Gott.

Doch die Elbe weist Beckmann, der humpelt, hungert und friert, weist Beckmann, dessen Frau das Bett mittlerweile mit einem anderen teilt, weist Beckmann, weist diesen verzweifelten Beckmann einfach zurück. Nicht einmal der Tod hat einen Platz für ihn. Weil sein Leben gar zu armselig ist.

Als Beckmann sich, vom Fluss ausgespien, am Strand der Elbe wiederfindet, gesellt sich (in der kaleidoskopartigen Aneinanderreihungen traumhafter Szenen, aus denen Borcherts Stück besteht) der „Andere“, der Ja-Sager, zu ihm, begleitet ihn, belehrt ihn. Ermutigt ihn, an das Gute im Menschen zu glauben. Doch dazu ist Beckmann nicht mehr imstande und erklärt dem „Anderen“, warum: Weil er nur noch Beckmann heißt. Ohne Vornamen, einfach Beckmann. „Seit gestern heiße ich nur noch Beckmann. Einfach Beckmann. So wie der Tisch Tisch heißt … Ich war nämlich drei Jahre lang weg. In Rußland. Und gestern kam ich wieder nach Hause. Das war das Unglück. Drei Jahre sind viel, weißt du. Beckmann – sagte meine Frau zu mir. Einfach Beckmann. Und dabei war man drei Jahre weg. Beckmann sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück Beckmann. Stell es weg. Das Möbelstück Beckmann“ …

Eine Frau kommt hinzu, hat Mitleid mit Beckmann, nimmt ihn bei sich auf. Doch unvermittelt taucht ihr Mann auf, ebenfalls Kriegsheimkehrer, ein Einbeiniger, den seinerzeit Beckmanns Befehl, die Stellung zu halten, das Bein gekostet hat; vorwurfsvoll, verzweifelt, weidwund schreit der Kriegskrüppel Beckmanns Namen, verlangt sein Bein und seine Frau zurück.

Beckmann flüchtet, zu seinem früheren Oberst – um diesem seinerseits die Verantwortung für all die unsinnigen Befehle, für all die Schuld, die ihn keine Nacht mehr schlafen lässt, zurückzugeben. Für den Oberst indes ist Verantwortung eine leere Floskel; er rät dem heruntergekommenen Beckmann, erst einmal wieder Mensch zu werden. Für ihn, den Oberst, reduziert sich Menschsein indes auf Äußerlichkeiten; Beckmanns nächtliche Traumgespinste, in denen ein General mit Armprothesen auf einem Xylophon aus Menschenknochen die „Alten Kameraden“ spielt, haben keinen Platz in seiner selbstgewissen und seinsvergessenen Welt.

Es folgen weitere Szenen, in denen Beckmann unter anderem erfährt, dass seine Eltern sich „entnazifizierten“ haben, indem sie den Kopf in die Backröhre steckten. Schade sei dies um das verschwendete Gas, so eine Nachbarin (eine ungleich größere Verschwendung von Gas wenige Jahre zuvor assoziierend).

Schließlich wird Beckmann, in einer traumartigen Sequenz, nochmals mit allen Figuren des Stücks konfrontiert. Doch weder der „Andere“ noch Gott, den er fragt, wann er denn ein „lieber“ Gott gewesen sei, auch nicht der Tod, der ihm verspricht, seine Tür stehe jederzeit offen, keiner von allen ist imstande, seine aus Angst, Not und Verzweiflung geborenen Fragen zu beantworten.

Weshalb Beckmann am Ende aufschreit: „Gibt denn keiner Antwort? Gibt keiner Antwort??? Gibt denn keiner, keiner Antwort???“ …

„Dieses Stück ist in der Glut einer irdischen Vorhölle gebrannt worden, es ist mehr als eine literarische Angelegenheit, in ihm verdichten sich die Stimmen von Millionen, von Toten und Lebenden, von vorgestern, gestern, heute und morgen, zur Anklage und Mahnung. Das Leid dieser Millionen wird Schrei. Das ist Borcherts Stück: Schrei! Nur so kann es begriffen und gewertet werden“ …

Die Rezeption von Borcherts Stück „Draußen vor der Tür“, das zunächst (im Februar ´47) als Hörspiel ausgestrahlt und dann (im November ´47) an den Hamburger Kammerspielen (unter der Intendanz von Ida Ehre und in der Regie von Wolfgang Liebeneiner) als Theaterstück uraufgeführt wurde, war höchst unterschiedlich und reichte von diffamierender Ablehnung bis zu begeisterter Zustimmung …

Beckmann selbst starb einen Tag vor der Uraufführung des Theaterstücks, physisch und psychisch zerrüttet durch den Krieg und zwei Inhaftierungen wegen sogenannter Wehrkraftzersetzung …

Er war gerade einmal 26 Jahre alt.

(Richard Alois Huthmacher: Offensichtliches, Allzuoffensichtliches. Ein Briefroman. Teil 1,2014: Wolfgang Borchert, „Draußen vor der Tür“ und die Kriegsheimkehrer.)

Musik:

Wallkürenritt

Abrupter Abbruch

Regieanweisung:

Während des Wallkürenritts schreit eine junge (Soldaten-)Stimme: Mamaa.

Sie schreit, wieder und wieder und so laut, dass bisweilen gar der Wallkürenritt übertönt wird.

Dann verstummt das Schreien. Deutlich ist – seit Beginn und während des gesamten 2. Aktes – Kriegsgetöse zu hören, mal lauter, mal weniger laut. Schüsse peitschen, Granaten heulen, Bomben explodieren.

Rezitator:

Wie seinerzeit in Kindertagen

Im Reich der Phantasie, weit weg von späteren Gewittertagen, als meine Kinderträum erschlagen, als selten noch die Sonne schien und längst verwelkt die Blütenträume, die einst der Kindheit und der Jugend Bäume als bunte Pracht getragen, in diesem Reich der Kinderphantasie möchte ich noch einmal leben, in diesem kindlich Leben eben, in dem die Stunde wird zum Tag, der Tag gar wird zur Ewigkeit, in dieser, ach, so eignen Welt, in der das Kind, ganz unverzagt und von des Daseins Last noch nicht geplagt, lebt still vergnügt und ohne Sorgen und ohne gestern, heute, morgen ganz einfach in den Tag hinein – mein Gott, wie könnt das herrlich sein!

Regieanweisung:

Der junge Soldat schreit wieder, immer nur das eine Wort: Maama.

Langsam erstickt seine Stimme.

Musik:

Zarah Leander: Davon geht die Welt nicht unter

Wenn mal mein Herz unglücklich liebt,

Ist es vor Kummer unsagbar betrübt.

Dann denk ich immer:

Alles ist aus.

Ich bin so allein.

Wo ist ein Mensch, der mich versteht,

So hab ich manchmal voll Sehnsucht gefleht.

Tja, aber dann gewöhnt ich mich dran,

Und ich sah es ein:

Davon geht die Welt nicht unter,

Sieht man sie manchmal auch grau.

Einmal wird sie wieder bunter,

Einmal wird sie wieder himmelblau.

Geht mal drüber und mal drunter,

Wenn uns der Schädel auch graut:

Davon geht die Welt nicht unter,

Sie wird ja noch gebraucht.

Davon geht die Welt nicht unter,

Sie wird ja noch gebraucht.

Davon geht die Welt nicht unter,

Sieht man sie manchmal auch grau.

Einmal wird sie wieder bunter,

Einmal wird sie wieder himmelblau.

Geht mal drüber und mal drunter,

Wenn uns der Schädel auch graut:

Davon geht die Welt nicht unter,

Sie wird ja noch gebraucht.

Davon geht die Welt nicht unter,

Sie wird ja noch gebraucht.

Rezitator:

Weh dem, der nicht in Kinderzeit geborgen

Weh dem, der nicht in Kinderzeit geborgen, wie könnt ertragen all die Sorgen, des weitren Lebens Tage und deren Not und Schmach und all des Lebens Ungemach der, welcher schon als Kind, mit bangem Zagen, des Lebens Elend musste tragen und der bereits in frühen Kindertagen mit seinem Schicksal musste ringen, wie also könnt dem Mensch, der schon ein einsam Kind gewesen, das später nie von seinem frühen Leid genesen, wie könnte einem solchen armen Wesen das Leben später bringen ein selbstbestimmtes, selbstbewusstes Sein?

Allein:

Gebt ihr dem Kinde, gleichermaßen, Nähe und Weite, schreitet ihr, immer fest, an seiner Seite, lasset ihr, nirgends, nie und nimmer, auch nur eines Zweifels Schimmer, dass ihr es liebt, ohn jeden Vorbehalt, seid ihr in eurem Herz nicht kalt gegenüber dem, was euer eigen Fleisch und Blut, dann wird aus eurem Kinde werden ein Mensch, der eure Liebe lohnt mit seinem Mut, aufrecht zu sein in seinem Wesen, an dem dann auch genesen die Wunden, die das Leben später schlägt, so dass er, unverzagt, die Last erträgt, die man schlichtweg das Leben nennt und dessen Freud wie Leid ein jeder kennt, des Not indes so manchen beugt, weil die, die ihn gezeugt, danach zur Welt gebracht, gleichwohl zu keiner Zeit bedacht, dass ihre Lieb es ist, die dann ihr Kind zu einem Menschen macht.

Musik:

Hannes Wader: Krieg ist Krieg

Alte kranke mächtige Männer

fühlen sich frisch, wie neu belebt,

wenn erst das Blut von Millionen Menschen

an ihren Händen klebt.

Refrain:

Alle, die hier zusammen kamen,

wollen, weil wir uns einig sind,

dass niemand mehr in unserem Namen

je wieder einen Krieg beginnt.

Durch wie viel Blut dürfen sie waten,

über wie viel Leichen gehen,

um der Welt das aufzuzwingen,

was sie unter Recht verstehn?

Refrain:

Alle, die hier zusammen kamen,

wollen, weil wir uns einig sind,

dass niemand mehr in unserem Namen

je wieder einen Krieg beginnt.

Wie weit reicht die Geduld der Völker,

wie lange darf man ungestört

gewaltsam nehmen und vergeuden,

was der ganzen Welt gehört?

Refrain:

Alle, die hier zusammen kamen,

wollen, weil wir uns einig sind,

dass niemand mehr in unserem Namen

je wieder einen Krieg beginnt.

Wer weiß, vielleicht setzt eines Tages

in einem kleinen, fernen Land

ein kleiner Krieg, ein winziger Funke

wieder die ganze Welt in Brand.

Refrain:

Alle, die hier zusammen kamen,

wollen, weil wir uns einig sind,

dass niemand mehr in unserem Namen

je wieder einen Krieg beginnt.

Und statt nach harten, präzisen Schlägen

einen leichten schnellen Sieg

wird es dann nur noch Verlierer geben

und keinen Frieden – Krieg ist Krieg.

Refrain:

Alle, die hier zusammen kamen,

wollen, weil wir uns einig sind,

dass niemand mehr in unserem Namen

je wieder einen Krieg beginnt.

Alle, die hier zusammen kamen,

wollen, weil wir uns einig sind,

dass niemand mehr in unserem Namen

je wieder einen Krieg beginnt.

Rezitator:

Das glauben jedenfalls die Toren

Zu leiden, nicht zum Glücke sei der Mensch geboren.

Das glauben jedenfalls die Toren.

Und weil der Toren viele sind, und Dummheit macht sich breit geschwind, und Dummheit kommt gar weit und weit herum auf dieser Welt, so jedenfalls hat sich der Glaube eingestellt, das Glück sei schon verloren, das Leiden unser Los, sobald die Mutter uns geboren, sobald wir krochen aus der Mutter Schoß.

Jedoch:

Alleine Dummheit lässt zuhauf die Menschen glauben, das Leid auf Erden sei Gottes Wille, des Schicksals Lauf.

Und Dummheit lässt sie nicht erkennen, dass es nur wen´ger Menschen Hand, die menschlich Elend schuf – nur zu eigenem Behuf, zu eignem Glück, zu eigner Freud.