Zum ersten Mal 1785 erschienen, als Kant schon 61 Jahre alt
war.
Die alte griechische Philosophie teilte sich in drei Wissenschaften
ab: Die Physik, die Ethik und die Logik. Diese Einteilung ist der
Natur der Sache vollkommen angemessen, und man hat an ihr nichts zu
verbessern, als etwa nur das Prinzip derselben hinzu zu tun, um
sich auf solche Art teils ihrer Vollständigkeit zu versichern,
teils die notwendigen Unterabteilungen richtig bestimmen zu
können.
Alle Vernunfterkenntnis ist entweder material und betrachtet irgend
ein Objekt; oder formal und beschäftigt sich bloß mit der Form des
Verstandes und der Vernunft selbst und den allgemeinen Regeln des
Denkens überhaupt ohne Unterschied der Objekte. Die formale
Philosophie heißt Logik, die materiale aber, welche es mit
bestimmten Gegenständen und den Gesetzen zu tun hat, denen sie
unterworfen sind, ist wiederum zwiefach. Denn diese Gesetze sind
entweder Gesetze der Natur, oder der Freiheit. Die Wissenschaft von
der ersten heißt Physik, die der andern ist Ethik; jene wird auch
Naturlehre, diese Sittenlehre genannt.
Die Logik kann keinen empirischen Teil haben, d. i. einen solchen,
da die allgemeinen und notwendigen Gesetze des Denkens auf Gründen
beruhten, die von der Erfahrung hergenommen wären; denn sonst wäre
sie nicht Logik, d. i. ein Kanon für den Verstand oder die
Vernunft, der bei allem Denken gilt und demonstriert werden muss.
Dagegen können sowohl die natürliche, als sittliche Weltweisheit
jede ihren empirischen Teil haben, weil jene der Natur als einem
Gegenstande der Erfahrung, diese aber dem Willen des Menschen, so
fern er durch die Natur affiziert wird, ihre Gesetze bestimmen
muss, die erstern zwar als Gesetze, nach denen alles geschieht, die
zweiten als solche, nach denen alles geschehen soll, aber doch auch
mit Erwägung der Bedingungen, unter denen es öfters nicht
geschieht.
Man kann alle Philosophie, so fern sie sich auf Gründe der
Erfahrung fußt, empirische, die aber, so lediglich aus Prinzipien a
priori, ihre Lehren vorträgt, reine Philosophie nennen. Die
letztere, wenn sie bloß formal ist, heißt Logik; ist sie aber auf
bestimmte Gegenstände des Verstandes eingeschränkt, so heißt sie
Metaphysik.
Auf solche Weise entspringt die Idee einer zwiefachen Metaphysik,
einer Metaphysik der Natur und einer Metaphysik der Sitten. Die
Physik wird also ihren empirischen, aber auch einen rationalen Teil
haben; die Ethik gleichfalls, wiewohl hier der empirische Teil
besonders praktische Anthropologie, der rationale aber eigentlich
Moral heißen könnte.
Alle Gewerbe, Handwerke und Künste haben durch die Verteilung der
Arbeiten gewonnen, da nämlich nicht einer alles macht, sondern
jeder sich auf gewisse Arbeit, die sich ihrer Behandlungsweise nach
von andern merklich unterscheidet, einschränkt, um sie in der
größten Vollkommenheit und mit mehrerer Leichtigkeit leisten zu
können. Wo die Arbeiten so nicht unterschieden und verteilt werden,
wo jeder ein Tausendkünstler ist, da liegen die Gewerbe noch in der
größten Barbarei. Aber ob dieses zwar für sich ein der Erwägung
nicht unwürdiges Objekt wäre, zu fragen: ob die reine Philosophie
in allen ihren Teilen nicht ihren besonderen Mann erheische, und es
um das Ganze des gelehrten Gewerbes nicht besser stehen würde, wenn
die, so das Empirische mit dem Rationalen dem Geschmacke des
Publikums gemäß nach allerlei ihnen selbst unbekannten
Verhältnissen gemischt zu verkaufen gewohnt sind, die sich
Selbstdenker, andere aber, die den bloß rationalen Teil zubereiten,
Grübler nennen, gewarnt würden, nicht zwei Geschäfte zugleich zu
treiben, die in der Art, sie zu behandeln, gar sehr verschieden
sind, zu deren jedem vielleicht ein besonderes Talent erfordert
wird, und deren Verbindung in einer Person nur Stümper
hervorbringt: so frage ich hier doch nur, ob nicht die Natur der
Wissenschaft es erfordere, den empirischen von dem rationalen Teil
jederzeit sorgfältig abzusondern und vor der eigentlichen
(empirischen) Physik eine Metaphysik der Natur, vor der praktischen
Anthropologie aber eine Metaphysik der Sitten voranzuschicken, die
von allem Empirischen sorgfältig gesäubert sein müssten, um zu
wissen, wie viel reine Vernunft in beiden Fällen leisten könne, und
aus welchen Quellen sie selbst diese ihre Belehrung a priori
schöpfe, es mag übrigens das letztere Geschäfte von allen
Sittenlehrern (deren Name Legion heißt) oder nur von einigen, die
Beruf dazu fühlen, getrieben werden.
Da meine Absicht hier eigentlich auf die sittliche Weltweisheit
gerichtet ist, so schränke ich die vorgelegte Frage nur darauf ein:
ob man nicht meine, dass es von der äußersten Notwendigkeit sei,
einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, die von allem,
was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört, völlig
gesäubert wäre; denn dass es eine solche geben müsse, leuchtet von
selbst aus der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze
ein. Jedermann muss eingestehen, dass ein Gesetz, wenn es
moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit, gelten soll,
absolute Notwendigkeit bei sich führen müsse; dass das Gebot: du
sollst nicht lügen, nicht etwa bloß für Menschen gelte, andere
vernünftige Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten, und so
alle übrige eigentliche Sittengesetze; dass mithin der Grund der
Verbindlichkeit hier nicht in der Natur des Menschen, oder den
Umständen in der Welt, darin er gesetzt ist, gesucht werden müsse,
sondern a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft, und
dass jede andere Vorschrift, die sich auf Prinzipien der bloßen
Erfahrung gründet, und sogar eine in gewissem Betracht allgemeine
Vorschrift, so fern sie sich dem mindesten Teile, vielleicht nur
einem Bewegungsgrunde nach auf empirische Gründe stützt, zwar eine
praktische Regel, niemals aber ein moralisches Gesetz heißen
kann.
Also unterscheiden sich die moralischen Gesetze samt ihren
Prinzipien unter allem praktischen Erkenntnisse von allem übrigen,
darin irgend etwas Empirisches ist, nicht allein wesentlich,
sondern alle Moralphilosophie beruht gänzlich auf ihrem reinen
Teil, und auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das
mindeste von der Kenntnis desselben (Anthropologie), sondern gibt
ihm, als vernünftigem Wesen, Gesetze a priori, die freilich noch
durch Erfahrung geschärfte Urteilskraft erfordern, um teils zu
unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre Anwendung haben, teils
ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung
zu verschaffen, da dieser, als selbst mit so viel Neigungen
affiziert, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig,
aber nicht so leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in
concreto wirksam zu machen.
Eine Metaphysik der Sitten ist also unentbehrlich notwendig, nicht
bloß aus einem Bewegungsgrunde der Spekulation, um die Quelle der a
priori in unserer Vernunft liegenden praktischen Grundsätze zu
erforschen, sondern weil die Sitten selber allerlei Verderbnis
unterworfen bleiben, so lange jener Leitfaden und oberste Norm
ihrer richtigen Beurteilung fehlt. Denn bei dem, was moralisch gut
sein soll, ist es nicht genug, dass es dem sittlichen Gesetze gemäß
sei, sondern es muss auch um desselben willen geschehen;
widrigenfalls ist jene Gemäßheit nur sehr zufällig und misslich,
weil der unsittliche Grund zwar dann und wann gesetzmäßige,
mehrmals aber gesetzwidrige Handlungen hervorbringen wird. Nun ist
aber das sittliche Gesetz in seiner Reinigkeit und Echtheit (woran
eben im Praktischen am meisten gelegen ist) nirgend anders, als in
einer reinen Philosophie zu suchen, also muss diese (Metaphysik)
vorangehen, und ohne sie kann es überall keine Moralphilosophie
geben; selbst verdient diejenige, welche jene reine Prinzipien
unter die empirischen mischt, den Namen einer Philosophie nicht
(denn dadurch unterscheidet diese sich eben von der gemeinen
Vernunfterkenntnis, dass sie, was diese nur vermengt begreift, in
abgesonderter Wissenschaft vorträgt), viel weniger einer
Moralphilosophie, weil sie eben durch diese Vermengung sogar der
Reinigkeit der Sitten selbst Abbruch tut und ihrem eigenen Zwecke
zuwider verfährt.
Man denke doch ja nicht, dass man das, was hier gefordert wird,
schon an der Propädeutik des berühmten Wolff vor seiner
Moralphilosophie, nämlich der von ihm so genannten allgemeinen
praktischen Weltweisheit, habe, und hier also nicht eben ein ganz
neues Feld einzuschlagen sei. Eben darum, weil sie eine allgemeine
praktische Weltweisheit sein sollte, hat sie keinen Willen von
irgend einer besondern Art, etwa einen solchen, der ohne alle
empirische Bewegungsgründe, völlig aus Prinzipien a priori,
bestimmt werde, und den man einen reinen Willen nennen könnte,
sondern das Wollen überhaupt im Betrachtung gezogen mit allen
Handlungen und Bedingungen, die ihm in dieser allgemeinen Bedeutung
zukommen, und dadurch unterscheidet sie sich von einer Metaphysik
der Sitten, eben so wie die allgemeine Logik von der
Transszendentalphilosophie, von denen die erstere die Handlungen
und Regeln des Denkens überhaupt, diese aber bloß die besondern
Handlungen und Regeln des reinen Denkens, d. i. desjenigen, wodurch
Gegenstände völlig a priori erkannt werden, vorträgt. Denn die
Metaphysik der Sitten soll die Idee und die Prinzipien eines
möglichen reinen Willens untersuchen und nicht die Handlungen und
Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche größtenteils
aus der Psychologie geschöpft werden. Dass in der allgemeinen
praktischen Weltweisheit (wiewohl wider alle Befugnis) auch von
moralischen Gesetzen und Pflicht geredet wird, macht keinen Einwurf
wider meine Behauptung aus. Denn die Verfasser jener Wissenschaft
bleiben ihrer Idee von derselben auch hierin treu; sie
unterscheiden nicht die Bewegungsgründe, die als solche völlig a
priori bloß durch Vernunft vorgestellt werden und eigentlich
moralisch sind, von den empirischen, die der Verstand bloß durch
Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt,
sondern betrachten sie, ohne auf den Unterschied ihrer Quellen zu
achten, nur nach der größeren oder kleineren Summe derselben (indem
sie alle als gleichartig angesehen werden) und machen sich dadurch
ihren Begriff von Verbindlichkeit, der freilich nichts weniger als
moralisch, aber doch so beschaffen ist, als es in einer
Philosophie, die über den Ursprung aller möglichen praktischen
Begriffe, ob sie auch a priori oder bloß a posteriori stattfinden,
gar nicht urteilt, nur verlangt werden kann.
Im Vorsatze nun, eine Metaphysik der Sitten dereinst zu liefern,
lasse ich diese Grundlegung vorangehen. Zwar gibt es eigentlich
keine andere Grundlage derselben, als die Kritik einer reinen
praktischen Vernunft, so wie zur Metaphysik die schon gelieferte
Kritik der reinen spekulativen Vernunft. Allein teils ist jene
nicht von so äußerster Notwendigkeit als diese, weil die
menschliche Vernunft im Moralischen selbst beim gemeinsten
Verstande leicht zu großer Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht
werden kann, da sie hingegen im theoretischen, aber reinen Gebrauch
ganz und gar dialektisch ist: teils erfordere ich zur Kritik einer
reinen praktischen Vernunft, dass, wenn sie vollendet sein soll,
ihre Einheit mit der spekulativen in einem gemeinschaftlichen
Prinzip zugleich müsse dargestellt werden können, weil es doch am
Ende nur eine und dieselbe Vernunft sein kann, die bloß in der
Anwendung unterschieden sein muss. Zu einer solchen Vollständigkeit
konnte ich es aber hier noch nicht bringen, ohne Betrachtungen von
ganz anderer Art herbeizuziehen und den Leser zu verwirren. Um
deswillen habe ich mich statt der Benennung einer Kritik der reinen
Vernunft der von einer Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
bedient.
Weil aber drittens auch eine Metaphysik der Sitten ungeachtet des
abschreckenden Titels dennoch eines großen Grades der Popularität
und Angemessenheit zum gemeinen Verstande fähig ist, so finde ich
für nützlich, diese Vorarbeitung der Grundlage davon abzusondern,
um das Subtile, was darin unvermeidlich ist, künftig nicht
fasslichern Lehren beifügen zu dürfen.
Gegenwärtige Grundlegung ist aber nichts mehr, als die Aufsuchung
und Festsetzung des obersten Prinzips der Moralität, welche allein
ein in seiner Absicht ganzes und von aller anderen sittlichen
Untersuchung abzusonderndes Geschäfte ausmacht. Zwar würden meine
Behauptungen über diese wichtige und bisher bei weitem noch nicht
zur Genugtuung erörterte Hauptfrage durch Anwendung desselben
Prinzips auf das ganze System viel Licht und durch die
Zulänglichkeit, die es allenthalben blicken lässt, große
Bestätigung erhalten: allein ich musste mich dieses Vorteils
begeben, der auch im Grunde mehr eigenliebig, als gemeinnützig sein
würde, weil die Leichtigkeit im Gebrauche und die scheinbare
Zulänglichkeit eines Prinzips keinen ganz sicheren Beweis von der
Richtigkeit desselben abgibt, vielmehr eine gewisse Parteilichkeit
erweckt, es nicht für sich selbst, ohne alle Rücksicht auf die
Folge, nach aller Strenge zu untersuchen und zu wägen.
Ich habe meine Methode in dieser Schrift so genommen, wie ich
glaube, dass sie die schicklichste sei, wenn man vom gemeinen
Erkenntnisse zur Bestimmung des obersten Prinzips desselben
analytisch und wiederum zurück von der Prüfung dieses Prinzips und
den Quellen desselben zur gemeinen Erkenntnis, darin sein Gebrauch
angetroffen wird, synthetisch den Weg nehmen will. Die Einteilung
ist daher so ausgefallen:
1. Erster Abschnitt: Übergang von der gemeinen sittlichen
Vernunfterkenntnis zur philosophischen.
2. Zweiter Abschnitt: Übergang von der populären Moralphilosophie
zur Metaphysik der Sitten.
3. Dritter Abschnitt: Letzter Schritt von der Metaphysik der Sitten
zur Kritik der reinen praktischen Vernunft.
Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur
philosophischen
Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer
derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte
gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz,
Urteilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen,
oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze als
Eigenschaften des Temperaments sind ohne Zweifel in mancher Absicht
gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und
schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben
Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum
Charakter heißt, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es eben so
bewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und das ganze
Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande unter dem Namen
der Glückseligkeit machen Mut und hierdurch öfters auch Übermut, wo
nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluss derselben aufs Gemüt
und hiermit auch das ganze Prinzip zu handeln berichtige und
allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, dass ein vernünftiger
unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen
Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten
Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der
gute Wille die unerlässliche Bedingung selbst der Würdigkeit
glücklich zu sein auszumachen scheint.
Einige Eigenschaften sind sogar diesem guten Willen selbst
beförderlich und können sein Werk sehr erleichtern, haben aber dem
ungeachtet keinen innern unbedingten Wert, sondern setzen immer
noch einen guten Willen voraus, der die Hochschätzung, die man
übrigens mit Recht für sie trägt, einschränkt und es nicht erlaubt,
sie für schlechthin gut zu halten. Mäßigung in Affekten und
Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung sind
nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen
Teil vom innern Werte der Person auszumachen; allein es fehlt viel
daran, um sie ohne Einschränkung für gut zu erklären (so unbedingt
sie auch von den Alten gepriesen worden). Denn ohne Grundsätze
eines guten Willens können sie höchst böse werden, und das kalte
Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit gefährlicher,
sondern auch unmittelbar in unsern Augen noch
verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten
werden.