Martin Bohn
Einführung in die Form- und Lagetolerierung
Geometrische Produktspezifikation für die Praxis
Mit 229 Abbildungen und zahlreichen Tabellen
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© 2021 Carl Hanser Verlag München, www.hanser-fachbuch.de
Lektorat: Dipl.-Ing. Volker Herzberg
Herstellung: Björn Gallinge
Coverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, München
Titelmotiv: © Martin Bohn
Coverrealisation: Max Kostopoulos
Print-ISBN: 978-3-446-46727-9
E-Book-ISBN: 978-3-446-46809-2
E-Pub-ISBN: 978-3-446-46954-9
Titelei
Impressum
Inhalt
Vorwort
Der Autor
1 Einleitung und Motivation
2 Prozess der Tolerierung
3 Grundlagen der geometrischen Produktspezifikation
3.1 Grundlagen und Konzepte nach DIN EN ISO 8015
3.2 Weitere Grundlagen und Begrifflichkeiten
3.3 Dimensionelle Tolerierung
3.3.1 Lineares Größenmaß
3.3.2 Andere als lineare oder Winkelgrößenmaße
3.3.3 Winkelgrößenmaße
3.3.4 ISO-Toleranzsystem für Längenmaße
3.4 Geometrische Tolerierung
3.4.1 Bezüge und Bezugssysteme
3.4.1.1 Einzelbezug
3.4.1.2 Gemeinsamer Bezug
3.4.1.3 Bezugssystem
3.4.2 Geometrische Tolerierung
3.4.2.1 Grundlagen
3.4.2.2 Formtoleranzen
3.4.2.3 Richtungstoleranzen
3.4.2.4 Ortstoleranzen
3.4.2.5 Lauftoleranzen
3.5 Nicht-formstabile Teile nach DIN EN ISO 10579
3.6 Allgemeintoleranzen
4 Anwendungsbeispiele
4.1 Welle
4.2 Blechbauteil
4.3 Kunststoff-Formteil
5 Begriffsdefinitionen
6 Auf einen Blick
Vorwort |
Dieses Buch richtet sich sowohl an Auszubildende, Studenten und Berufseinsteiger, die die Grundlagen der Tolerierung von Bauteilen erlernen wollen, als auch an Produkt- bzw. Prozessentwickler und Mitarbeiter des Qualitätsmanagements, die ein schnelles Nachschlagewerk benötigen.
Es soll als Einstieg in die Welt der geometrischen Produktspezifikation dienen. Daher wird der Umfang auf die wichtigsten Grundlagen beschränkt. Weitergehende Informationen zu den zusätzlichen Möglichkeiten, wie beispielsweise der Anwendung verschiedener Modifikatoren, finden Sie in den verwiesenen Normen bzw. in wesentlich umfangreicheren Fachbüchern1. Um ein besseres Wiedererkennen zu den Normen zu gewährleisten orientieren sich die Erklärungen und die Bilder eng an den entsprechenden aufgeführten Normen.
Sie sollen in die Lage versetzt werden Bezüge und Bezugssystem sowie dimensionelle und geometrische Toleranzen mit einer überschaubaren Anzahl an Modifikatoren normgerecht zu spezifizieren bzw. zu interpretieren. Das Ziel besteht darin, zu einer eindeutigen Spezifikation ohne Interpretationsspielraum zu gelangen.
Das Buch zeigt Ihnen den Prozess zur Toleranzvergabe direkt auf, der in der Norm nur implizit beschrieben ist. Darüber hinaus kann es Ihnen als kompaktes Nachschlagewerk zu den wichtigsten Norminhalten dienen.
Um den Nutzen aufzuzeigen, wird im Kapitel 1 eine typische Zeichnung analysiert und auf Probleme eingegangen. In Kapitel 2 wird der Prozess der Tolerierung erklärt. Kapitel 3 erläutert die Tolerierungsgrundsätze, die Grundzüge der dimensionellen Tolerierung, der Bezüge sowie der geometrischen Tolerierung. Um Ihnen den Übertrag auf Ihre eigenen Bauteile zu erleichtern, wird die Tolerierung in Kapitel 4 anhand dreier Praxisbeispiele erklärt. Diese sind eine Welle, ein Blechbauteil und ein Kunststoff-Formteil.
Die geometrische Produktspezifikation umfasst eine ganze Normenfamilie mit über 150 Normen. Da dieses Buch eine Einführung sein soll, wird nur auf die relevantesten Normen näher eingegangen. Diese sind inkl. Erscheinungsdatum in der folgenden Tabelle 1 aufgeführt.
Tabelle 1 Relevante Normen der geometrischen Produktspezifikation
Nummer |
Bezeichnung |
Erscheinungsdatum |
DIN EN ISO 8015 |
Grundlagen – Konzepte, Prinzipien und Regeln |
2011 |
DIN EN ISO 5459 |
Geometrische Tolerierung – Bezüge und Bezugssysteme |
2013 |
DIN EN ISO 14405-1 |
Dimensionelle Tolerierung – Teil 1: Lineare Größenmaße |
2017 |
DIN EN ISO 14405-2 |
Dimensionelle Tolerierung – Teil 2: Andere als lineare oder Winkelgrößenmaße |
2019 |
DIN EN ISO 14405-3 |
Dimensionelle Tolerierung – Teil 3: Winkelgrößenmaße |
2017 |
DIN EN ISO 1101 |
Geometrische Tolerierung – Tolerierung von Form, Richtung, Ort und Lauf |
2017 |
DIN EN ISO 10579 |
Bemaßung und Tolerierung – Nicht-formstabile Teile |
2013 |
Zur Vertiefung empfehle ich Ihnen bei Unklarheiten und aus Aktualitätsgründen die neueste Ausgabe der entsprechenden Norm zu Rate zu ziehen.
Im Buch wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form (z. B. Konstrukteur) verwendet. Dies beinhaltet keine Wertung. Selbstverständlich sind damit beide Geschlechter gemeint. Darüber hinaus wird auch keine Unterscheidung zwischen Konstrukteur und Entwickler gemacht. Diese Begriffe werden äquivalent verwendet.
Mein Dank für die Unterstützung bei der Erstellung des Buchs gilt ganz besonders Dr. Andrea Bohn, Beata Schönberg, Thorsten Engelke und Alexander Rehn.
Martin Bohn, Dezember 2020
1 Schütte, Jorden, Form- und Lagetoleranzen – Geometrische Produktspezifikationen (ISO GPS) in Studium und Praxis, 10., überarbeitete und erweiterte Auflage, Carl Hanser Verlag 2020
Der Autor |
Dr. Martin Bohn war bis Ende 2020 Leiter des Toleranzmanagements der S-, E-, C-Klasse bei der Mercedes Benz AG und wird Professor für Konstruktion und Entwicklung an der Hochschule Kempten. Er war Leiter der ISO-Arbeitsgruppe zu Toleranzen und Abnahmebedingungen von Kunststoff-Formteilen und ist Obmann des DIN-Normungsausschusses zur geometrischen Produktspezifikation.
Martin Bohn hat jahrzehntelange industrielle Erfahrung im Toleranzmanagement in der Automobil- und Zulieferindustrie. Dazu gehört auch eine langjährige Vorlesungs- und Schulungserfahrung sowie die Mitarbeit in OEM-übergreifenden Arbeitskreisen und dem DIN.
1 | Einleitung und Motivation |
Lernziele
Nutzen der geometrischen Produktspezifikation
Kriterium für die Vollständigkeit einer Zeichnung
Das Ziel einer technischen Zeichnung ist es, einen technischen Zusammenhang möglichst interpretationsfrei und eindeutig darzustellen. Die Geometrie auf der Zeichnung wird entsprechend der Regeln der technischen Produktdokumentation (TPD)1 dargestellt. Die zulässigen Abweichungen der realen Bauteile werden nach den Regeln der geometrischen Produktspezifikation (ISO GPS) spezifiziert.
Der Konstrukteur steht regelmäßig vor folgenden Fragen:
1. Was muss ich bemaßen?
2. Was muss ich tolerieren?
3. Ist meine Zeichnung eindeutig und vollständig?
Dazu bieten die Regeln der geometrischen Produktspezifikation Hilfestellungen. Die DIN EN ISO 8015 (Konzepte, Prinzipien und Regeln) schreibt dazu folgendes:
Die Spezifikation eines Werkstückes ist vollständig, wenn alle beabsichtigten Funktionen des Werkstückes beschrieben sind und durch GPS-Spezifikationen kontrolliert werden.
Daher muss der Zeichnungsersteller zwingend die Funktionen kennen. Es liegt in seiner Verantwortung zu entscheiden, ob die jeweilige Funktion relevant ist und direkt toleriert wird, oder ob die Funktion nur eine untergeordnete Bedeutung hat und mittels der Allgemeintoleranz ausreichend spezifiziert ist (Fragen 2 und 3). Bei der Beantwortung der Frage nach dem Umfang der Bemaßung müssen neben der Funktion unter anderem die Art der Dokumentation (Zeichnung und /oder 3D-Modell) und die gewählte Allgemeintoleranznorm berücksichtigt werden.
Der Nutzen bzw. der Vorteil einer Spezifikation nach den Methoden der geometrischen Produktspezifikation gegenüber einer +/– bemaßten Zeichnung lässt sich am besten an einem Beispiel zeigen (siehe nächstes Bild). Die genaue Bedeutung der Symbole wird im Kapitel 3 erklärt. Daher erfolgt hier nur eine abstrakte Erklärung.
Das betrachtete Bauteil ist ein Halter über den ein Sensor an einem Fahrzeug befestigt ist. Der Halter ist aus Kunststoff und wird somit beim Anschrauben verformt. Sowohl der Sensor als auch der Halter werden über eine Loch-/Langloch-Kombination ausgerichtet.
Bild 1.1 Einbausituation des Halters
In einer Zeichnung nach den Methoden der geometrischen Produktspezifikation kann die Spezifikation des Halters in der Einbausituation erfolgen. Dazu wird die einschränkende Zusatzbedingung in der Nähe des Schriftfelds spezifiziert. Somit gelten alle Toleranzen, die nicht den Modifikator Ⓕ (freier Zustand) haben, im verformten Zustand. Die Anbindung des Sensors wird zur Ausrichtung des Halters am Fahrzeug spezifiziert. Daher kann aus einem Messbericht des Halters direkt auf die Ausrichtung des Sensors im Fahrzeug geschlossen werden. Die Schrauben des Sensors sind nur zur Ausrichtung des Sensors spezifiziert, da ihre Lage zum Fahrzeug irrelevant ist. Durch die Verwendung eines Bezugssystems und einer Allgemeintoleranznorm, die nicht tolerierte Flächen mittels Flächenprofil toleriert, ist das Bauteil vollständig spezifiziert. Auf dieser Zeichnung sind keine theoretisch exakten Maße dargestellt, da diese dem Datensatz entnommen werden können. Falls es erwünscht bzw. erforderlich ist, können diese auch auf der Zeichnung dargestellt werden.
Bild 1.2 Beispielzeichnung nach den Methoden der geometrischen Produktspezifikation
Die folgende +/– bemaßte Zeichnung versucht diese Spezifikation mit Maßen abzubilden. Dabei treten diverse Herausforderungen auf. Die gravierendsten Probleme sind:
Alle Maße auf der linken Hälfte der Zeichnung sind keine linearen Größenmaße und somit nicht eindeutig spezifiziert.
Die vier Beine haben bei einem realen Bauteil nicht die gleiche Höhe. Damit wird die Messung des Maßes 38,5 mm zu Diskussionen zwischen Kunde und Lieferant führen.
Die funktionalen Zusammenhänge lassen sich nicht oder nur schwer abbilden und sind kaum nachvollziehbar.
Da kein Bezugssystem definiert ist und keine Allgemeintoleranznorm angegeben ist, die die Flächen spezifiziert, sind viele Geometrien untoleriert. Auch eine in der Praxis häufig anzutreffende Angabe „nicht spezifizierte Maße siehe Datensatz“ hilft nicht weiter. Allgemeintoleranznormen für Maße gelten nur für gezeichnete Maße ohne Toleranzangabe.
Bild 1.3 Beispielzeichnung mit Maßen (unvollständig)
Zusammenfassung
Durch die Methoden der geometrischen Produktspezifikation lassen sich Funktionen eindeutig spezifizieren.
Eine Zeichnung ist vollständig, wenn alle Funktionen spezifiziert sind.
Eine reine +/– Tolerierung kann dies in den meisten Fällen nicht gewährleisten.
Generelle Hinweise zum Buch
Ziel des Buchs ist die Vermittlung des erforderlichen Grundwissens, um Bauteile funktionsgerecht, vollständig und eindeutig geometrisch zu spezifizieren. Diesem Ziel und der möglichst verständlichen Darstellung sind alle Zeichnungen in diesem Buch unterworfen. Dazu sind die Darstellungen und Zeichnungen im Buch zur Übersichtlichkeit zum Teil vereinfacht. So sind beispielsweise erforderliche theoretisch exakte Maße (TED) nicht immer dargestellt. Die Schriftgrößen sind teilweise gegenüber der Norm zur besseren Lesbarkeit vergrößert. Die Zahlenwerte dienen der Verständlichkeit und haben von ihrer Größe keinen realen Funktions- bzw. Fertigungsbezug.
Im Text wird durchgängig das Wort Bauteil verwendet. Für eine einzelne Spezifikation spielt es keine Rolle, ob ein Einzelteil, ein Zusammenbau oder ein Produkt spezifiziert wird.
1 Ein einführendes Werk dazu ist: Thorsten Engelke, Einführung in die technische Zeichnung 2D und 3D – Technische Produktdokumentation für die Praxis, Carl Hanser Verlag 2021
2 | Prozess der Tolerierung |