Arnold Hermann war erst in Mitte letzten Monats, einmal in den neuen Teeladen, in der Paul-Gerhard-Straße gegangen.
Dieser Laden war damals nur seit erst ein paar Wochen geöffnet gewesen, und Arnold hatte eigentlich nur vorgehabt, auch einmal dorthin zu gehen.
Von anderen hatte er den Tipp erhalten, dass es dort sehr gemütlich sei.
Nicht dass er unbedingt Tee als sein Leibgetränk ansah, so interessierte ihn doch auch hauptsächlich einmal die Vielfalt des Angebotes.
Die Teestube, die wie ein Café eingerichtet war und auch so betrieben wurde, befand sich am ruhigen, unmodernen Ende der langen Hauptstraße, so dass es in diesem nie so voll war, wie in einigen der üblichen Cafés, die an den besseren Standorten, in der Nähe der großen Einkaufspassagen und der Haupteingänge des riesengroßen Parkplatzes für Kunden war.
In diesen Cafés standen die Gäste oft da und warteten, bis ein anderer Gast bezahlte, und seinen Tisch verließ, so gut besucht waren sie.
In dem Teehaus dagegen war das Gedränge nicht so groß, und man konnte gemütlich sitzen, da nicht die nachfolgenden Gäste drängelten.
Aber es gab anstatt Kaffee, halt nur Tee zu trinken.
Und darin war die Auswahl sehr groß.
Im Teeladen war es nicht ganz so teuer, wie in diesen gutbesuchten Cafés in dieser Stadt, und es war auf jeden Fall auch sehr viel leiser, da die meisten Mütter, die mit Scharen von Kindern und sperrigen Kinderwagen beladen waren, die relative Isolation, die engen Gänge und die unangenehmen Eingangsstufen zum Laden vermieden, und lieber ein behindertengerechtes Café aufsuchten, wo sie ihre Kinderwagen mitnehmen konnten.
Das passte zu Harry, wie er es vorzog, benannt zu werden, kaum jemand nannte ihn jemals Arnie, und sogar niemals, Arnold.
Der Spitzname Harry leidet sich von Hermann ab.
Mit dem Spitznamen Harry, fühlte er sich wohl, und Namen waren wie bequeme alte Schuhe, man legte sie nicht ab, nur dass sie im Regen nie abgenutzt oder durchnässt wurden, oder so etwas.
Die Tatsache, dass sich der Teeladen neben der Post und gegenüber der Bank befand, wirkte sich auf die Kundschaft des Teeladens aus.
Postämter sind altmodisch, wer schreibt heute noch Briefe oder Postkarten, im Zeitalter der E-Mails.
Keiner kauft heute noch Briefmarken oder schickt Pakete.
Pakete waren bereits in unserer modernen Zeit, Einweglieferungen, die online bestellt und direkt an die Tür geliefert oder immer öfters in großen Depots außerhalb der Stadt, abgeholt werden.
Die meisten Pakete müssen abgeholt werden, weil die Empfänger nicht schnell genug an der Tür waren, wie der Lieferer wieder wegfuhr und nur eine Benachrichtigung im Briefkasten hinterließ.
Erst recht, wenn der Empfänger in den oberen Stockwerken wohnte.
Sogar arbeitslose Männer wie Harry, wurde ihre Unterstützung direkt auf ihre Bankkonten überwiesen und mussten überhaupt nicht von ihrem Hintern aufsteigen und etwas dafür tun.
Nur alte Leute gingen noch zur Post und dann in die Bank, oder umgekehrt.
Und dazwischen brauchten sie die eine oder die andere Tasse Tee und vielleicht einen gebackenen Streuselkuchen oder einen Obstkuchen, um ihre zeitweiligen Ausflüge fröhlich zu gestalten und abzurunden.
Hier saß Harry also an den meisten Wochentagen vormittags zwischen elf und zwölf Uhr an einem der Fensterplätze, wenn er es schaffen konnte, oder im Dunklen, in der Nähe der Wand, von wo aus er die anderen Gäste gut beobachten konnte, wie sie kamen, ihren Tee tranken und eventuell ein Stück Kuchen dazu genossen, und dann wieder gingen.
Zumeist zurück auf ihrem müden Weg in die Welt, aus der sie gekommen waren.
Sie waren ausgeruht und erfrischt, wie Reservisten, die widerwillig an die Front zurückkehren mussten und genau wussten, dass es ihre Pflicht war, dies zu tun.
Es war seine einzige Abwechslung am Tag.
Harry hielt sich nicht wirklich für alt.
Er hatte halt ein wenig Pech, er war arbeitslos geworden, was jedem schnell passieren kann.
Wie sagte er immer:
„Wäre ich in die Politik gegangen, bekäme ich jetzt eine gute Rente.“
Er war achtundfünfzig Jahre alt, fühlte sich aber wie Ende vierzig.
Auch fühlte er sich noch recht vital und unternehmungslustig.
Es war die Frau im funkelnden Oberteil, die seine Aufmerksamkeit zuerst auf sich zog, als Harry die Teestube betrat.
Er sah, es war ein schwarzes Oberteil, dessen Vorderseite mit unzähligen winzigen Pailletten übersät war, die in das Gewebe eingewebt waren.
Die Pailletten blendeten ihn, als er ihren Weg kreuzte, während er zur Theke ging, um seine übliche Bestellung für eine Kanne Frühstückstee und einen mit Käse belegten Toast aufzugeben.
Die funkelnde Top-Frau, die dabei seinen Weg kreuzte, sie war blond, nicht platinfarben, sondern eher wie Herbstmais, also mehr dunkelgelb.
Sie war auch selbst bereits im Herbst des Lebens, mit hellbraunen Augenbrauen und Wimpern, Lachfalten, die sich bequem um ihre weichen braunen Augen entspannten, ein paar braune Sommersprossen auf rosaroten Wangen, eine scharfe Nase über vollen rosaroten Lippen, die sich leicht nach oben bog, sozusagen, eine leichte Himmelfahrtsnase.
Die Ecken ihres Mundes verzogen sich zu einem Lächeln und enthüllten sogar elfenbeinweiße Zähne, als sie und Harry sich einer Kollision zwischen den Tischen näherten.
Dieses Lächeln erreichte diese schönen weichen Augen und das gefrorene Bild dieses Augenblicks, es wird für immer nahe an der Spitze von Harrys ansonsten unkompliziertem Verstand stehen, es hatte sich bei ihm für immer eingebrannt.
Ihre Hände waren zu der Zeit, mit drei Tellern, mit geschnittenen Tortenstückchen beschäftigt, die sie etwa auf halber Höhe des Teeladens, zu einem Tisch an der Seite des Ladens trug.