RAYNOR WINN

WILDE STILLE

Aus dem Englischen von

Heide Horn, Christa Prummer-Lehmair und Gerlinde Schermer-Rauwolf

1. Auflage 2021

© Raynor Winn 2020

© 2021 für die deutschsprachige Ausgabe: DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

Die englische Originalausgabe ist 2020 unter dem Titel »The Wild Silence« bei Michael Joseph, Penguin Random House, London, erschienen.

Übersetzung: Heide Horn, Christa Prummer-Lehmair und Gerlinde Schermer-Rauwolf, Kollektiv Druck-Reif

Lektorat: Regina Carstensen, München

Gestaltung: Andreas Staiger, Stuttgart

Umschlagillustration:

E-BOOK Produktmanagement: Lena Hausinger

Foto Klappe hinten: Robert Darch

>>>>>: Und das Peloton zog vorbei: so the peloton passed © Simon Armitage, aus: New Cemetery, Faber & Faber, London; >>>>>: Heilung in Troja: The Cure
at Troy
© Seamus Heaney, 2018, Faber & Faber, London

Die Autorin hat in einigen wenigen Fällen Namen von Personen oder Orten verändert, um die Privatsphäre von im Buch erwähnten Personen zu schützen.

Die medizinischen Ausführungen in diesem Buch spiegeln ausschließlich die Meinung der Autorin und sind nicht als ärztliche Ratschläge zu verstehen. Autorin und Verlag übernehmen keine Haftung für Angaben in diesem Buch.

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Für das Team

INHALT

TEIL EINS – IMMER DAS LAND

»Ich kann die Stimme hören, aber ich weiß nicht, was sie sagt«

  1  In die Erde

  2  Unsichtbar

  3  Wehmut – Hireth

  4  Laufen

  5  Vertrauen

  6  Brennen

  7  Atmen

  8  Schmerzlos

TEIL ZWEI – DER RUF DES MEERES

»Ich kann sie hören«

  9  Materie

10  Antimaterie

11  Elektromagnetismus

12  Licht

13  Masse

14  Wasser

15  Luft

TEIL DREI – HINTER DEN WEIDEN

»Laut«

16  Springen

17  Land

18  Ein Reh in der Dämmerung

19  Wiesel

20  Ratten

21  Maulwürfe

22  Dachse

23  Kröten

TEIL VIER – AM ENDE EIN NEUER ANFANG

24  Landmannalaugar

25  Hrafntinnusker

26  Álftavatn

27  Emstrur

28  Langidalur

29  Baldvinsskáli

30  Skógar

31  Nur Veränderung

Danksagung

TEIL EINS

IMMER DAS LAND

Die Schale muss zerbrechen, bevor der Vogel fliegen kann.

The Promise of May, Alfred Lord Tennyson

Ich kann die Stimme hören, aber ich weiß nicht, was sie sagt.

  Irgendwo tief in meinem Kopf,

    ein Geräusch zwischen dem Rauschen des Blutes und dem Knistern der Synapsen,

      ist es ein Klang oder

        ein Gefühl?

          Tief und leise, eine Stimme wie gesummte Worte,

        die aus Hunderten von Kehlen dringen,

      oder wie der Schlag einer Trommel zu festen Schritten,

    oder wie ein einsamer Vogelruf,

  lang gezogen und leise in der Abenddämmerung,

    während das Licht hinter einem Bergkamm versinkt

      und das Land

        sich blau färbt.

1

IN DIE ERDE

Ich hätte eigentlich im Bett sein sollen, friedlich schlummernd wie der Rest des Landes in den ersten Stunden des neuen Jahres, und nicht auf einer eiskalten Klippe. Doch als ich im Dunkel der Winternacht die Augen aufschlug, verspürte ich dieselbe Unruhe, die mich schon seit Monaten wachhielt, hörte ich dasselbe Flüstern in meinem Kopf, und ich musste einfach raus und …

… durch die engen Gassen Polruans laufen, in denen die Vorhänge hinter den Fenstern zugezogen waren und Ruhe eingekehrt war. Die Feiernden waren verschwunden, Feuerwerk und Lärm verstummt. Es war wieder dunkel und still, abgesehen von den Lichtpfützen der Straßenlaternen und dem Raunen des Flusses, der nahe seiner Mündung breit und tief ist und von der auflaufenden Flut zurück ins Land gedrückt wird. Das sich im Wasser spiegelnde Licht zerbrach in Tausende glitzernde Splitter. Nur ein einsames Boot war in der schnellen Strömung festgemacht, sein Bug zerrte an der Boje, sein Heck bewegte sich rhythmisch hin und her wie ein Fischschwanz. Ich wanderte an den letzten Häusern vorbei hinaus aufs offene Feld. Eine Taschenlampe brauchte ich nicht. Diese Strecke war mir inzwischen so vertraut, dass meine Füße selbst im Finstern den Weg zu dem schmalen Trampelpfad fanden, der sich durch Ginster und Felsen schlängelt und über steile, in den Stein gehauene Stufen aufwärts führt, dort, wo das Land jäh abfällt und das Meer tief unten an die schwarzen Klippen brandet. Weiter an dem vom Wind geschorenen, verkrümmten Weißdorn vorbei, der über mir ein Dach bildet und sich in die Landschaft schmiegt. Hinauf in unwegsamem Gelände, bis zu den Knöcheln in Gestrüpp, durch das Tor, wo das Land wieder flacher und der Wind stärker wird. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich wusste, dass sie da war. Ich fühlte den Sog der Küste aus beiden Richtungen, und als ich meine Arme ausbreitete und mit den unsichtbaren, aber vertrauten schroffen Formen verschmolz, wurde mein Atem eins mit dem Wind, genau wie ich selbst.

Auf einer Wiese unweit des Küstenpfades steuerte ich auf einen kleinen Felsvorsprung zu, der von einem Halbkreis aus Ginsterbüschen umgeben war. Schafe, die dort gewöhnlich zusammengedrängt vor den Unbilden des Wetters Schutz suchen, hatten das Gras niedergetrampelt. Ein Ort zum Innehalten. Allmählich ließ meine Unruhe nach, ich entspannte mich und merkte, wie erschöpft ich war. Die Dunkelheit war schier undurchdringlich, doch der Wind fuhr raschelnd durch den Ginster über mir und trug den würzigen Geruch der nadelförmigen Blätter herbei, während das Meer, das in stetem Rhythmus machtvoll gegen den Fuß der Klippen brandete, die Erde vibrieren ließ. Ich rollte mich zusammen, zog mir die Kapuze über den Kopf und steckte die behandschuhten Hände unter die Achseln. Endlich fand mein Geist Ruhe, die Gedanken verflüchtigten sich in der bewegten Nachtluft. Keine Stimme mehr in meinem Innern, nur noch Stille. Ich dachte nichts mehr, fühlte nur noch, und ich sank in den Schlaf, tauchte ein in ein tiefes, kurzes, vollkommenes Vergessen.

Ein Lichtschleier am Horizont durchbrach die Finsternis, als ich erwachte und meinen schmerzenden, verkrampften Körper spürte. Aber ich rührte mich nicht. Ich blieb zusammengerollt sitzen, die Arme eng um mich geschlungen, und versuchte, das letzte bisschen Körperwärme zu bewahren. Über mir strich ein dunkler Schatten durch den grauen Himmel und legte die kräftigen Schwanzfedern und die langen, breiten Flügel in den Wind, als er über den Rand der Klippe flog und aus meinem Blickfeld verschwand. Ich starrte auf die heller werdende Linie zwischen Himmel und Fels, während ich auf die Rückkehr des Vogels wartete, und wagte nicht zu blinzeln, um ihn nicht zu verpassen. Von der Anstrengung bekam ich Kopfschmerzen. Daher ließ ich den Blick zum Horizont schweifen, wo sich ein schmaler goldener Lichtstreifen zeigte und kurz aufleuchtete, bevor sich eine Regenfront weit draußen auf dem Meer wie ein Vorhang über das Wunder legte. Da kehrte der Vogel geräuschlos von unten zurück, schwang sich mühelos in den Himmel und schwebte über der mit Buschwerk überwucherten Landzunge. Sein dunkler Kopf und die schwarzen Flügelspitzen verschmolzen fast mit dem tief hängenden Himmel. Nur das weiße Aufblitzen am Ansatz der Schwanzfedern verriet mir, dass der Vogel, der hier nach seinem Frühstück Ausschau hielt, eine Weihe war.

Als ich mich mit schmerzender Hüfte vorsichtig streckte und aus dem Ginstergebüsch kroch, entdeckte ich einen Dachs, der vom Küstenpfad kommend über die Wiese auf das Unterholz am Umgrenzungszaun zulief. Auf seinen kurzen, stämmigen Beinen bewegte er sich rasch durch das büschelige Gras. Der Hunger hatte ihn aus seiner Winterruhe geweckt und in die kalte Nacht hinausgetrieben, doch er war zu lange unterwegs gewesen, und nun hatte ihn das Tageslicht überrumpelt. Er hatte es eilig, in die Sicherheit und Wärme seines unterirdischen Baus zurückzukehren, wo er vor Blicken geschützt war. An der breiten Öffnung zu seinem Bau blieb er stehen, sah sich um, witterte. Dann war er fort, tauchte ab in seine geschützte, unsichtbare Welt. Glitt hinab in die Erde.

Im ersten Tageslicht kletterte ich auf den höchsten Felsen, setzte mich hin und ließ die Beine über die Kante baumeln. Eine Kante, an der das Land endet und das Meer beginnt. Ein Ort zwischen den Welten, in einer Zeit zwischen den Jahren, in einem Zwischenleben. Ich fühle mich verloren, aber hier habe ich zumindest für einen Moment das Gefühl, mich gefunden zu haben.

***

Auf meinem Rückweg durch das Dorf regte sich immer noch nichts. In Fowey am gegenüberliegenden Flussufer brannten ein paar Lichter. Schlaftrunken kochten die Menschen Kaffee, stellten die Heizung an und gingen noch einmal zurück ins Bett. Ich wanderte durch die schmalen Gassen zurück zur massigen, dunklen Silhouette der ehemaligen methodistischen Kirche, ging durch das schmiedeeiserne Tor und den mit Betonsteinen gepflasterten Weg zwischen dem Gebäude und der Klippenwand entlang. Dann durch die Tür der kleinen Mietwohnung an der Kirchenrückseite. Die Kälte war mir in die Knochen gekrochen, alles tat mir weh. Aber ich hatte den Eindruck, dass ich endlich etwas zu fassen bekommen hatte, was ich diffus gespürt hatte, seit wir hier angekommen waren, seit dem Tag, an dem wir zum ersten Mal über diese Schwelle getreten waren. Dem Tag, an dem wir unsere Rucksäcke am Ende einer über tausend Kilometer langen Wanderung auf dem blanken Boden abgesetzt, unsere schlammverschmierten Wanderstiefel aufgeschnürt und versucht hatten, uns wieder an ein Leben mit einem Dach über dem Kopf zu gewöhnen. Endlich glaubte ich zu wissen, warum ich nicht zur Ruhe kam, warum ich rastlos war, keinen Schlaf fand. Ich kochte Tee und trug ihn die Treppe hinauf zu Moth, seit über dreißig Jahren mein Mann, Geliebter, Freund.

Er lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf der Matratze im Schlafzimmer; selbst das immer heller werdende Tageslicht, das durch ein Buntglasfenster ins Zimmer kroch, hatte ihn nicht geweckt. Nichts schien ihn zu wecken; er konnte zwölf Stunden schlafen und hatte immer noch nicht genug. Doch ich rüttelte ihn wach und brachte ihm wie üblich zum Start in den Tag eine Tasse Tee und zwei Kekse.

»Moth, wach auf, ich muss was ausprobieren.«

»Was? Was machst du denn – wieso bist du schon angezogen?«

»Ich konnte nicht schlafen.«

»Schon wieder nicht?«

»Ich weiß, ich bin auch total müde, aber erst muss ich noch was ausprobieren.«

Wir zerrten die Schaumstoffmatratze in die Ecke des Zimmers, in der der Pappschrank mit unserer Kleidung stand, sodass ausreichend Platz auf dem Linoleumboden frei wurde. Dann holten wir aus dem Rucksack in der anderen Ecke einen grünen Beutel, öffneten den Reißverschluss und schüttelten das vertraute Nylonbündel heraus. Als wir die Zeltplane ausbreiteten, schlug mir der Geruch von Feuchtigkeit und Sand, Wind, Regen und frischer, ozonhaltiger, vom Geschrei der Möwen erfüllter Luft entgegen. Ich war wieder draußen unter freiem Himmel, in der Wildnis, auf roter, schwarzer und brauner Erde, in feuchten, moosbedeckten Wäldern und tief eingeschnittenen, versteckten Tälern.

»Mach, was du für richtig hältst, aber ich glaube, ich bleibe lieber bei der Matratze. So langsam gewöhne ich mich wieder an mehr Komfort.«

»Okay, aber ich muss das hier einfach ausprobieren. Ich muss endlich mal wieder richtig schlafen.«

Erwartungsvoll klappte ich die mit Klebeband umwickelten Zeltstangen auseinander, fädelte sie ein und sah zu, wie die grüne Kuppel Gestalt annahm. Als ich in meinen feucht riechenden Unterschlupf kroch, überkam mich eine wilde Freude. Moth machte noch einen Tee, während ich die alten, selbstaufblasbaren Isomatten und die Schlafsäcke ins Zelt schleppte und ein Kissen vom Bett nahm. Ich war zurück. Endlich. Ich ließ mein Gesicht ins Kissen sinken, die Welt verschwand, und mit einem Gefühl der Erleichterung überließ ich mich dem Schlaf. Glitt hinab in die Erde.

2

UNSICHTBAR

Wenn die Weihnachtsferien vorbei sind und die Studenten widerwillig an die Uni zurückkehren, sind nur wenige unter ihnen Mitte fünfzig und vergessen mindestens so schnell, wie sie lernen. Wir standen in der Wohnküche der ehemaligen Kirche und gingen Moths tägliche Checkliste durch, bevor er zur Uni aufbrach. Handy, Brieftasche, Brille – ja; Autoschlüssel – ja; Notizbuch mit einer Liste der heutigen Termine – ja.

»Dann bis heute Abend.«

»Ja, bis dann.« Und fort war er, aber ich konnte hören, wie er an diesem trüben Wintermorgen mit unregelmäßigen Schritten an der Kirche vorbeihumpelte. Ich schloss die Tür der langen, schlauchförmigen Wohnung, setzte mich mit einer Tasse Tee an den Tisch und dachte an den Tag, der vor mir lag. Während ich darauf wartete, dass das Brot aus dem Toaster sprang, wanderte mein Blick über das Bücherregal. Ich war auf der Suche nach etwas, womit ich den Moment hinauszögern konnte, in dem ich den Laptop aufklappen und mich erneut auf eine stundenlange, zermürbende Jagd nach einem Arbeitgeber machen musste, der eine schlecht qualifizierte Mittfünfzigerin ohne Arbeitszeugnisse suchte. Das schmale Bücherregal enthielt nur eine kleine, zusammengewürfelte Auswahl an Büchern aus unserem Umzugskarton. Wahllos herausgezogene Bände, die wir in den letzten Stunden vor dem endgültigen Verlassen unseres Hauses eingepackt hatten. Immer wenn mein Blick auf diese Bücher fiel, wurde ich in diesen Moment zurückversetzt. Eine Zwangsräumung hatte unseren Traum zerstört, uns unser Heim genommen, das zwanzig Jahre lang unsere Welt gewesen war. Wo wir Zimmer an Feriengäste vermieteten, wo wir Schafe hielten und Gemüse anpflanzten und wo unsere Kinder aufwuchsen. Bevor eine Auseinandersetzung um Geld mit einem alten Freund vor Gericht endete und uns einen Räumungsbescheid bescherte. Diese wenigen Bücher, eilends zusammengerafft, bevor wir unser altes Leben für immer hinter uns ließen, waren für mich verbunden mit dem Hämmern der Gerichtsvollzieher an der Tür, der Angst vor einer ungewissen Zukunft in Obdachlosigkeit und einer überwältigenden Traurigkeit. Aber wenn ich gewusst hätte, dass dies die einzige Bücherkiste sein würde, die wir in unser neues Leben mitnahmen, hätte ich vielleicht sorgsamer ausgewählt. Ich fuhr mit den Fingern an den Buchrücken entlang, auf der Suche nach irgendetwas, was mir helfen könnte, den Kirchenmauern zu entfliehen. Ein Handbuch für Pilzsammler, vielleicht, aber wahrscheinlich nicht im Januar; Outsider II von Brian Sewell, definitiv nicht; Five Hundred Mile Walkies, die Initialzündung zu unserem unverhofften Abenteuer. Nein, es gab nur eins, was mir jetzt gut tun würde. The South West Coast Path: From Minehead to South Haven Point, Paddy Dillons wunderbarer Wanderführer zum über tausend Kilometer langen Küstenpfad. Das Buch, das uns den ganzen Weg bis hierher nach Polruan geführt hatte. Der treue Begleiter in unserer Tasche, als wir beschlossen, uns nicht mit einem Dasein als Obdachlose abzufinden, sondern unsere Rucksäcke zu schultern und den von Paddy beschriebenen Küstenpfad in seiner gesamten Länge zu gehen und dabei auf Klippen und an Stränden ohne Geld wild zu campen.

Der Kunststoffeinband des kleinen braunen Buches war immer noch unversehrt, die Seiten wurden von einem schwarzen Haargummi zusammengehalten. Als ich ihn abnahm, wellten sich die steifen Seiten und beschworen das Bild eines geriffelten Sandstrandes bei ablaufender Flut herauf. Zwischen den Seiten – manche waren im Regen nass geworden und klebten zusammen – steckten Postkarten, Federn, Gräser, Notizzettel und Blüten. Andenken an einen Pfad, der von einer hohen Klippe bis hinunter auf Meereshöhe abfällt und dann wieder ansteigt, bis er in einem Auf und Ab aus wilder Landschaft die gesamte Küstenlinie Südwestenglands nachgezeichnet und der Wanderer so viele Höhenmeter bewältigt hat, als würde er viermal auf den Mount Everest klettern.

Ich strich Butter auf meinen Toast und wartete auf das Klingeln des Telefons. Moths Anruf, um mir mitzuteilen, dass er an der Universität angekommen und nicht in einem Café in Truro oder am Strand der Watergate Bay gelandet war, weil er auf dem Weg zur Uni vergessen hatte, wo er hinwollte, und überzeugt war, ein anderes Ziel ansteuern zu müssen. Beim Blättern in dem Büchlein zögerte ich hineinzulesen. Es bewahrte Erinnerungen an strahlenden Sonnenschein und das Tosen des Windes in den Monaten, die wir bei jedem Wetter auf den Klippen verbracht hatten. Aber es enthielt auch etwas anderes: düstere Erinnerungen an den Schmerz und die Trauer in der schrecklichen Woche, die uns zu dieser Wanderung getrieben hatte. Damals waren wir noch andere Menschen, verzweifelte, ängstliche und eingeschüchterte Menschen, die versuchten, zwanzig Jahre ihres Lebens innerhalb weniger Tage in Umzugskartons zu pressen. Damals dachten wir, unser Haus zu verlieren sei das Schlimmste, was uns jemals passieren könnte. Doch eine Routineuntersuchung in ebendieser Woche belehrte uns eines Besseren. Während die Lichter in unserem Leben eins nach dem anderen ausgingen, setzte sich ein Arzt Moth gegenüber auf die Kante seines Schreibtischs und knipste auch noch das letzte aus.

Ich klappte das Buch zu. Wollte ich wirklich wieder an diese Woche erinnert werden, noch einmal dieses lähmende Entsetzen spüren? Zu spät, es war alles wieder da. Ich konnte der Erinnerung nicht entfliehen, wie sich Moths Haltung verkrampft hatte, als er erfuhr, dass er an einer neurodegenerativen Erkrankung litt, für die es weder eine Behandlung noch Heilung gab. Mich packte erneut die Angst, die mich bei der Aussage des Arztes überkommen hatte, dass die Schmerzen in Moths Schulter, die Taubheit in seiner linken Körperhälfte und der dunkle Nebel, der seinen Geist lähmte, keine Alterserscheinungen waren, sondern in Wirklichkeit Symptome der kortikobasalen Degeneration oder CBD, einer schleichenden, unheilbaren Erkrankung, die bei ihm schon ziemlich weit fortgeschritten war. Und als der Arzt uns ausmalte, dass Moths Körper vergessen würde, wie man schluckt, dass Moth eine Lungenentzündung bekommen und an seinem eigenen Speichel ersticken würde, erkannten wir, wie sehr wir uns geirrt hatten: Uns erwartete etwas weitaus Schlimmeres als die Obdachlosigkeit.

Ich setzte noch einmal Wasser auf. Moth musste inzwischen angekommen sein – warum hatte er nicht angerufen? Ich blätterte weiter, löste vorsichtig die zusammengeklebten Lagen Papier. Während ich hie und da in Paddys Beschreibung des Pfades hineinlas, tauchten Bilder vor meinem inneren Auge auf. »Zieht sich ein wenig landeinwärts und nach oben.« Ich musste lachen, als ich daran dachte, wie wir am Startpunkt des Coast Path gestanden und angesichts eines steilen Pfades, der im Zickzack auf eine nahezu senkrecht aufragende Klippe führte, diese Zeile gelesen hatten. Als ich mehr und mehr Seiten voneinander löste, war Moth durch die an den Rand gekritzelten Kommentare allgegenwärtig. Ich sah ihn vor mir, wie er an einem dunklen Abend im Schein der Taschenlampe zu mir herüberblickte, nachdem das letzte Tageslicht hinter dem Horizont verschwunden war und uns die grüne Kuppel unseres feuchten, zweilagigen Nylonheims umschloss. Er war immer noch derselbe leidenschaftliche Mann, der sich durch nichts aufhalten ließ und den ich liebte, seit ich ein Teenager war. Er saß auf seinem Schlafsack, während ich in meinem lag und ihm schläfrig dabei zuschaute, wie er mit winziger, krakeliger Schrift Eintragungen im Wanderführer machte, die Tage verewigte, die wir auf Klippen und an Stränden verbracht und an denen wir auf Landzungen und Felsvorsprüngen kampiert hatten. »Auf Carn Leskys gezeltet, eher im Wasser als davor.« »Habe vor lauter Hunger Rays Keks gegessen, aber ich glaub, sie hat’s nicht gemerkt.« »Als wir die Zeltklappe öffneten, waren wir nur einen Meter vom Abgrund entfernt.« »Brombeeren.« »Das Wasser war wie Sirup, ich fühlte mich eins mit dem Meer.« »Hab am Rand der Welt Rays Hand gehalten.« »Bin heute mit einer Schildkröte gewandert.«

Ich berührte die verblassten, mit Bleistift geschriebenen Worte und befand mich sofort wieder mit Moth in Regen und Wind, folgte ihm, den Blick auf seine Beine geheftet, den Pfad hinauf, der uns eine neue Welt eröffnet hatte. Eine Welt mit Studium und dieser Kirche, an deren Haustür der Küstenpfad vorbeiführt und wo ich auf Moths Rückkehr wartete. Er hatte nicht angerufen – wo er wohl steckte?

Beim Lösen der Seiten konnte ich auf Seite 140 lesen: Portheras Cove. »Delfine und Hochwasser.« »Bin gerannt und habe das Zelt hoch über den Kopf gehalten.« »Kann das wirklich sein?« Der magische Moment, in dem uns klar wurde, dass er die Ärzte Lügen strafte, die gesagt hatten, für CBD gebe es keine Behandlung oder Heilung und sein Zustand werde sich nicht verbessern. Die Nacht, in der wir im Mondlicht den Strand hinaufrannten. Wir flohen vor der Flut, hielten das noch aufgeschlagene Zelt hoch über unsere Köpfe und lernten wieder zu hoffen. Nach der Wanderung, bevor Moth das Studium begann, hatten wir dem Arzt berichtet, wie sich Moths Gesundheit gebessert hatte, dass er etwas getan hatte, was jeder Experte auf diesem Gebiet für unmöglich gehalten hätte. Der Arzt hatte unsere Begeisterung nicht geteilt.

»Fangen Sie an zu studieren, wenn Sie das möchten, aber stellen Sie sich darauf ein, vielleicht abbrechen zu müssen.« Sollte heißen, Moth würde es wohl nicht beenden können.

Wir glaubten ihm nicht, wollten ihm nicht glauben. Doch als die Zeit verging und Moth durch die Anforderungen des Studiums immer mehr Zeit im Sitzen verbringen musste, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und die Leichtigkeit, mit der er sich auf den Klippen bewegt hatte, war dahin. Im kalten, stillen Winter waren seine Muskeln wieder steif geworden, waren die Schmerzen zurückgekehrt und hatten sich seine Bewegungen verlangsamt. Jeder Tag fing nun an mit dem Kampf, aus dem Bett aufzustehen, und wenn er morgens mühsam einen Fuß vor den anderen setzte, begannen wir allmählich, uns ins Unvermeidliche zu fügen. Widerwillig akzeptierten wir, dass der Arzt recht haben könnte. Moth würde sein Studium wahrscheinlich nicht abschließen. Und er würde es ganz sicher nicht abschließen, wenn er sich weiterhin einfach aus dem Staub machte. Vielleicht sollte ich ihn zur Uni bringen und später wieder abholen? Nein, es war schon schwierig genug, uns beide mit seinem Studiendarlehen über Wasser zu halten, das Benzin für so viele Fahrten am Tag konnten wir uns nicht leisten. Was ich brauchte, war ein Peilsender. Ich schlug das Buch zu, überwältigt von Trauer bei dem Gedanken, dass der Tag kommen würde, an dem Moth nicht mehr wissen würde, was wir erlebt hatten. Der Tag, an dem die CBD so weit fortgeschritten sein würde, dass ihm die Erinnerung an unsere magischen Erfahrungen in der Wildnis für immer entgleiten und ich allein mit diesen Erinnerungen zurückbleiben würde. Der Tag, an dem dieser Wanderführer der einzige Beweis dafür sein würde, dass unsere Wanderung jemals stattgefunden hatte.

Wo zum Teufel steckte er bloß?

***

Ich schaltete das Licht ein. Später Vormittag. Die Sonnenstrahlen erreichten die Wohnung nicht mehr, und es wurde düster. Ich trank meinen Tee aus und saß am Tisch, schaute aus dem hohen Kirchenfenster auf die Mauer des Nachbargartens. Die einen Meter achtzig hohe Mauer nahm das halbe Blickfeld ein, aber darüber, am terrassierten Hang, standen einige Büsche und eine Magnolie. Eine große braune Ratte schlüpfte aus dem Efeu und huschte auf der Mauer entlang, hielt inne, starrte mich mit ihren Knopfaugen direkt an und machte dann kehrt. Ich öffnete die Tür und sah hinaus, um herauszufinden, wohin sie verschwunden war. Ich konnte sie hören, aber nicht mehr sehen, nur den Vorhang aus Efeu, der über die eineinhalb Meter vor unserer Haustür liegende Klippenwand wucherte. Dem Rascheln folgend, wanderte mein Blick über den feuchten, dunkelgrünen Korridor zwischen Kirche und Fels bis zur Oberkante der Klippe. Über mir, zwischen Sommerflieder und Kirchendach, sah ich einen schmalen Streifen blauen Himmel, eine Welt, in der die Sonne schien und der Wind wehte. Ich wusste, dort musste ich hin. Plötzlich hatte ich das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Ich musste raus hier, und zwar sofort.

Ich schnappte mir Jacke und Handy und eilte zu der Gasse, die mich aus dem Dorf und auf die Klippen führen würde, ein Spaziergang, den ich seit unserem Einzug jeden Tag unternommen hatte. Die enge Gasse, kaum breit genug für ein Auto, schien voller Menschen zu sein, die sich lautstark unterhielten und wild gestikulierten. Nach wenigen Metern überkam mich Panik, und ich presste mich gegen eine Gartenmauer, bis die Leute vorbeigegangen waren. Was war los mit mir? Ich verstand nicht, warum es in meinem Kopf so hämmerte, warum sich mein Gesicht mit Röte überzog. Keine Hitzewallung, das gehörte der Vergangenheit an, aber was war es dann? War ich krank? Mehr Menschen spazierten an mir vorbei, lärmend, in Eile.

»Hallo, schöner Tag heute.«

Als Antwort konnte ich nur ein kaum vernehmbares »Hallo« murmeln. Ich wusste nicht, was ich tun oder wohin ich mich wenden sollte. Und dann war ich auf dem Rückweg zur Kirche, schlug das schmiedeeiserne Tor hinter mir zu und rannte den Betonweg entlang. In der Wohnung legte ich mich flach auf den Boden, versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Meine Gedanken rasten. Allmählich ließ das Hämmern in meinem Kopf nach, und mir wurde bewusst, dass ich mich seit unserem Einzug vor einem Jahr im Grunde nur mit Moth und unseren beiden Kindern unterhalten hatte, wenn sie anriefen oder zu Besuch kamen. War ich allein unterwegs, versuchte ich jedem Gespräch aus dem Weg zu gehen. War Moth dabei, überließ ich ihm das Reden.

Hatte ich seit unserer Ankunft hier jemals eine Unterhaltung geführt? Gelegenheiten dazu hätte es gegeben, beim Einkaufen, wenn die Frau hinter der Ladentheke meine Sachen in die Tasche packte und fragte: »Wohnen Sie jetzt hier? Ich habe Sie schon ein paarmal gesehen. Woher kommen Sie denn – Sie stammen nicht aus Cornwall, nehme ich an?« Sie hatte mich schon öfter angesprochen, aber jedes Mal hatte ich mich einem Gespräch verweigert, hatte mit einem gemurmelten »Danke« meine Tasche genommen und die Flucht ergriffen. Und manchmal waren Leute auf der Straße stehen geblieben, um die beeindruckende Fassade der Kirche zu betrachten, und hatten mich nach ihrer Geschichte gefragt. Ich hatte geantwortet, ich könne nichts Genaues sagen, aber ich würde meinen Mann holen, der alles darüber wisse. Dann war ich zur Rückseite der Kirche gehuscht, ohne mich wieder blicken zu lassen. Wann immer ich die Wohnung verließ, befand ich mich in einem Alarmzustand. Als wir mit unseren wenigen Besitztümern im Rucksack auf dem Coast Path gewandert waren, hatte ich keinerlei Probleme gehabt. Warum verspürte ich dann hier, in diesem Dorf, das Bedürfnis, mich unsichtbar zu machen? Jedes hart erkämpfte Quäntchen Selbstvertrauen, das ich während unserer Wanderung gewonnen hatte, war mir abhandengekommen, schien sich in dem vom Fluss aufsteigenden Dunstschleier verflüchtigt zu haben. Verärgert über mich selbst, setzte ich mich auf. Es war einfach lächerlich, so viel Zeit damit zu verschwenden, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Das Ganze war außer Kontrolle geraten, und ich hatte es zugelassen.

Ich klappte den Laptop auf und klickte auf den Meditationskanal, den ich kürzlich entdeckt hatte. Der Guru im Lotussitz leitete mit sanfter Stimme eine Meditation an.

»Atme ein und folge dem Ausatmen. Richte deine Aufmerksamkeit auf den Atem. Lass alle Gedanken ziehen und lass dich von deinem Atem leiten.«

Ich folgte meinem Atem. Darin war ich gut. Ich konnte meinen Kopf leeren und meinem Atem folgen, als wäre ich dazu geboren. Doch sogar während ich das tat, schlich sich eine Stimme beharrlich in meine Gedanken. Eine Stimme, die zu einem verborgenen, unterdrückten Teil von mir gehörte und einfach nicht schweigen wollte. Das Telefon klingelte. Na endlich.

»Wo bist du? Sag nicht, du bist in St. Ives!« Als er beim letzten Mal vergessen hatte, wo er hinmusste, hatte er mich aus einem Café an der Nordküste angerufen, eine Stunde Fahrt von der Uni entfernt. Vielleicht war er ja dieses Mal nach Westen gefahren.

»Heute nicht. Ich habe auf dem Parkplatz eine Kommilitonin getroffen. Sie hat sich ein Herz gefasst und mich gefragt, was ich denn hier in Cornwall mache und warum ich mich für dieses Studium eingeschrieben habe.« Es war nicht leicht für Moth, in den Seminaren der einzige ältere Student unter lauter Zwanzigjährigen zu sein; sie lebten in einer völlig anderen Welt als er.

»Kaum zu glauben, dass dich bis jetzt noch niemand danach gefragt hat. Was hast du gesagt?«

»Ich habe mich an die Geschichte gehalten, die wir uns während der Wanderung zurechtgelegt haben – dass wir unser Haus verkauft haben, ich mich neu orientieren will und dieses Studium Teil meiner Lehrerausbildung ist.«

»Das ist ja nicht einmal gelogen, eher eine Halbwahrheit. Aber jetzt wird es sicher die Runde machen. Meinst du, du kannst bei der Geschichte bleiben?«

»Es erspart mir jedenfalls, erklären zu müssen, wie wir unser Haus verloren haben und obdachlos geworden sind – es vereinfacht alles. Doch jetzt halten sie mich wahrscheinlich für einen reichen Schnösel in der Midlife-Crisis.«

»Gar nicht so weit hergeholt.«

Erleichtert lehnte ich mich im Stuhl zurück, froh, dass Moth dort war, wo er sein sollte. Wenn ich nur mit den Veränderungen in unserem Leben genauso umgehen könnte wie er. Er war wie immer, überschwänglich, kontaktfreudig, gesellig, unterhaltsam, auch wenn er gelegentlich nicht wusste, wo er sich befand. Unser abgerissener, ausgefranster Lebensfaden fügte sich allmählich wieder zusammen, doch irgendetwas nagte an mir und raubte mir meinen Seelenfrieden. Nicht nur Moths Krankheit, sondern noch etwas anderes, ein dumpfes Gefühl der Verwirrung, wenn ich in den frühen Morgenstunden die Haustür öffnete, um in den Himmel zu sehen, und nur einen schmalen grauen Streifen zwischen der Kirche und der Felswand erblickte. Oder wenn ich auf die Straße ging und mit all den Menschen um mich herum nirgends allein sein konnte. An solchen Tagen folgte ich dem Pfad zu den Klippen, um mein Gesicht in den Wind zu halten und die Macht der Elemente zu spüren: etwas, was sich real anfühlte. Und die Stimme in meinem Innern wurde immer lauter, wie ein auflandiger Wind, der einen Sturm vom Meer brachte. Oder war es die Stimme meiner Mutter, die »Ich hab dich ja gewarnt« raunte? Schwer zu sagen.

***

Als ich mir in den ersten Tagen des neuen Jahres mein Lager im Zelt bereitete, dachte ich, ich hätte die Lösung für meine Schlafprobleme gefunden: Ich hatte einfach die vertraute Umgebung des Zelts vermisst, nun würde alles gut werden. Wenn ich besser schlafen würde, hätte ich wieder mehr Kraft, ich hätte alles wieder unter Kontrolle und könnte mich auf unser neues Leben in diesem Dorf konzentrieren und auch dafür sorgen, dass Moth sich nicht mehr verlief. Als ich mich unter der grünen Kuppel in unserem Schlafzimmer einkuschelte, fern von den Menschen und dem Weltgeschehen, ahnte ich nicht, dass ich mich nur wenige Tage später in der Mitte des Landes befinden würde, so weit entfernt vom Meer und dem Zelt, wie man nur sein kann.

3

WEHMUT – HIRETH

Der Tod machte seine Runde durchs Krankenhaus, doch an ihrem Bett blieb er nicht stehen. Er warf ihr einen Blick zu, wie sie aufrecht im Bett saß, das Haar gekämmt, die neue blaue Strickjacke sauber und ordentlich zugeknöpft. Nicht jetzt, nicht heute, nicht an einem Sonntag. Heute war das mühsame, keuchende Atemholen der Lungenentzündung verebbt, und ich saß an ihrem Bett und blätterte mit ihr zusammen eine Zeitschrift durch. Bei Moth hatte gerade wieder die Uni begonnen, als der Anruf kam. Der Anruf aus dem Krankenhaus, von dem man weiß, dass er eines Tages kommen wird, der einen dann aber doch kalt erwischt. Mum lag mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus, und es bestand die Befürchtung, dass sich eine Sepsis entwickelte. Ich musste zu ihr. Drei Tage später hatte sie sich erholt, und es war bereits von ihrer Entlassung die Rede.

»Vielleicht könntest du morgen Nagellack mitbringen und mir die Nägel lackieren, damit ich so glamourös aussehe wie die Frauen in der Zeitschrift? Wenigstens hätten wir dann etwas zu tun. Mir wird langweilig.«

Nach der abgestandenen Luft im Krankenhaus war die Kälte der Spätjanuarnacht eine Erleichterung. Ich stieg in den Lieferwagen, ließ den Motor an und fuhr auf den vertrauten Landstraßen Mittelenglands, auf denen ich mich auch ohne Scheinwerfer zurechtgefunden hätte, zu Mums winzigem Cottage zurück. Zurück zur Wärme ihrer gemütlichen Küche und zu all den vertrauten Dingen. Es war ihr Heim, nicht meines. Das Heim meiner Kindheit, der Ort, der mich geprägt und zu dem gemacht hatte, was ich war, lag unten im Tal, versteckt in der reglosen Schwärze der unbeleuchteten Landschaft. Ich spürte seine Gegenwart wie die eines Menschen. Morgen würde ich erst später ins Krankenhaus fahren, vielleicht am Nachmittag. Davor würde ich auf den Spuren meines früheren Ichs über das Land wandern, meinen kindlichen Fußspuren über die altbekannten Wiesen und Felder folgen.

***

Ich trat hinaus in den Wintermorgen, auf die offene Veranda an der Rückseite des Cottage, wo mich die Wärme der Morgensonne empfing. Ich legte den Schlüssel auf den Mauervorsprung über dem verstaubten, eingetrockneten Schwalbennest, bedacht darauf, nichts zu zerstören. Ein klug gewählter Nistplatz, an dem schon morgens die Sonne die Kälte der Nacht vertreibt. Im Frühjahr würden die Schwalben zurückkehren, die Ritzen in ihrem alten Heim mit frischem Lehm flicken und bei jedem Öffnen der Tür überrascht auffliegen. Auf dem taunassen Gras lief ich durch den Garten mit den kahlen Rosenbüschen zu dem Pfad, der ins neblige Tal hinabführt. Der Nebel behinderte die Sicht, aber ich konnte die Kanadagänse am See hören. Und ich brauchte auch gar nichts zu sehen, das Bild stand klar vor meinem inneren Auge. Die ersten Zugvögel waren bereits zurückgekehrt und störten die Selbstzufriedenheit der hier überwinternden Gänse. Sie waren noch nicht mit dem Nestbau beschäftigt, stritten jedoch um Platz und Futter.

Gedämpft folgten mir ihre Rufe, als ich den See hinter mir ließ, und plötzlich stürmte alles auf mich ein: meine Kindheit, alles, was mich ausmachte, eine Landschaft, die ich in- und auswendig kannte. Ich würde nicht direkt zu unserem Hof gehen, sondern zunächst durch die Felder und Wiesen streifen und von oben auf die Farm hinabblicken, den Moment ein wenig hinauszögern, den Anblick mit allen Sinnen in mich aufsaugen.

Ich kam an der Sägemühle vorbei, wo Generationen von Dorfbewohnern das Holz für Häuser und Zäune hatten zuschneiden lassen. Die Gerippe hoher Eichen, Ulmen und Buchen hatten dort gelegen, hatten sich für meine Kinderaugen zu Gebirgen aufgetürmt. Alles fort. Das Holz zersägt, die Sägen abgebaut, anstelle der zerbrochenen Scheiben Fenster mit Doppelverglasung, Rosen vor der Haustür. Der Nebel begann sich im gelblichen Schein der Morgensonne zu lichten, als ich die Stille eines Buchenhains oberhalb einer Reihe von Cottages hinter mir ließ und den Berg hinaufstieg. Von der Kuppe aus würde ich auf diese Häuschen herunterblicken können, in denen die Gutsarbeiter gewohnt hatten: Der schottische Zimmermann und seine Familie in dem größeren Gebäude mit dem weitläufigen Garten, in dem sie Gemüse anbauten, um ihre fünf Kinder sattzubekommen. In der Mitte der Klempner mit seiner Frau, die niemand je zu Gesicht bekommen hatte, und im letzten Cottage der Gärtner des Gutshauses. Als ich dem Hang weiter folgte, sah ich ein Auto wegfahren, ein Pendler, der sich von seinem schicken, modernisierten Haus auf dem Land auf den Weg zur Arbeit in die Stadt machte. Der grasbewachsene Hang war eigentlich nur ein steiler Hügel, aber wir hatten ihn immer als Berg bezeichnet. Ich wusste, von dort aus würde ich den Hof sehen können, wenn ich mich vor der Baumreihe auf der Kuppe umwandte und zurück ins Tal blickte. Und da war er, hellrosa leuchtend im Schein der Morgensonne. Für jeden anderen nur irgendeine Farm in der Ferne, aber ich hatte jedes Detail lebhaft vor Augen. Die Schiebefenster der symmetrischen Fassade, die bröckelnden Ziegel, das Schieferdach und dahinter, nicht zu erkennen, der Hauptteil des Hauses, der zusammen mit der Gebäudefront ein T bildete. Es war, als würde es zu mir sprechen.

Ich ging durch das High Ways Field, das größte Feld der Farm. Ganze Sommer hatte ich hier verbracht, war dem Kartoffelroder gefolgt, der die Dämme entlangfuhr und helle neue Knollen mit dünner Schale aus der feuchten Erde schleuderte. Ich ging gebückt, sammelte die Kartoffeln in einen Eimer, leerte den Eimer in einen Sack, die Säcke kamen auf einen Karren, vom Karren in die Scheune, von der Scheune auf einen Lastwagen und schließlich vom Lastwagen in die Läden und Imbissbuden. Und im Winter, in Kälte, Nässe und Frost, hackte ich das Kraut der Steckrüben mit einer Hippe ab und warf es auf einen kleinen Holzkarren, brachte es zur Farm, kippte es in einen Häcksler und fütterte damit die Bullen im Stall. Während meine Schulkameraden auf dem Spielplatz herumtollten, war ich hier. Mit Erde an den Händen, bei Sonne und Wind, allein mit meinen Gedanken. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen ich Zeit mit anderen verbrachte, kam es mir vor, als würde ich sie von außerhalb betrachten. Später, als Teenager, wollte ich genauso sein wie meine Schulfreundinnen, die sich vor allem für Make-up und Klamotten interessierten. Doch sosehr ich mich auch bemühte, ich wurde das Gefühl nicht los, zwar mit einem Bein auf der Tanzfläche in der Disco zu stehen, mit dem anderen aber auf dem Feld.

Vorbei an den Äckern ging es weiter hinab, durch den Wald mit den hohen Laubbäumen, wo im Frühling Teppiche aus Hasenglöckchen den Boden bedeckten und im Sommer Lichtnelken und Wiesenkerbel den Waldrand säumten. Viele Tage hatte ich hier verbracht. Ich war zehn Jahre alt und hätte mit Freunden spielen sollen, aber stattdessen saß ich allein am Rand des Waldes und beobachtete die Wildkaninchen auf der Wiese. Hunderte und Aberhunderte Kaninchen, die Wiesenkräuter fraßen und wie die Heuschrecken über das Wintergetreide herfielen. Oft stand ich, berauscht von einem Gefühl der Allmacht, am Zaun, versteckt hinter einem Pfosten, bis der Hang mit braunen Flecken gesprenkelt war. Dann kam ich aus der Deckung, klatschte laut in die Hände und beobachtete fasziniert, wie alle Kaninchen gleichzeitig die Köpfe hoben, bevor sie Richtung Bau rannten, wie ein brauner Strom, der in einem Abfluss verschwindet. Als ich älter wurde, unterließ ich das Klatschen und beschränkte mich darauf, das soziale Gefüge dieser pelzigen Gemeinschaft zu studieren. Die älteren Tiere wagten sich weiter in die Wiese vor, die jüngeren blieben in sicherer Nähe der Löcher. Und dann gab es noch die Wächter. Kaninchen, die nicht grasten, sondern aufrecht dasaßen, Ausschau hielten, lauschten und bei Gefahr warnten. Dazu klopften sie mit ihren kräftigen Hinterläufen auf den Boden; die dumpfen Schläge waren ein Warnsignal für die anderen. Sie hörten auf zu fressen und stoben alle auf einmal zu ihrem Bau am Hang zurück, wo sie verschwanden.

Als ich die Hütte des Jagdaufsehers am Waldrand erreichte, ließ ich den Blick über die Wiese wandern, aber da war nur Grün. Ich blieb stehen und klatschte spontan in die Hände, wartete darauf, dass sich etwas Braunes im Gras regte. Nichts. Reglos lag die Wiese in der kalten, feuchten Winterluft. Der Jagdaufseher hatte hier Foxhounds für die Fuchsjagd gehalten, in Zwingern mit hohen Eisengittern. Jedes Mal, wenn jemand vorbeiging, bellten sie so laut, dass es im ganzen Tal zu hören war. Kräftige, muskulöse, ausdauernde Hunde, doch wenn der Jagdaufseher zu ihnen ging, leckten sie ihm die Hand, als wären sie Schoßhunde, die auf einen Leckerbissen warteten, und nicht gnadenlose Killer. Einmal hatte ich miterlebt, wie sie einen Fuchs in Stücke gerissen hatten, und es brauchte keine Ermahnung, um mich von ihnen fernzuhalten. Keine zehn Pferde hätten mich in ihre Nähe gebracht.

Die Hütte des Jagdaufsehers stand in der entlegensten Ecke des Parks, bei einer Wiese, auf der die Schafe während der Zeit des Ablammens untergebracht waren. Hinter dem Haus fiel das Gelände ab, formte eine Senke zwischen dem Zwinger und dem Wald, und ausgerechnet dort gingen die Schafe zum Ablammen hin. Abgeschirmt durch den Wald, aber den dort lebenden Füchsen ausgesetzt, und in Nachbarschaft der Jagdhunde, vor denen sie normalerweise angstvoll flüchteten. Und doch suchten sich Tag für Tag Mutterschafe genau diesen Platz aus, wenn die Geburt der Lämmer bevorstand. Sie kalkulierten wohl, dass die Füchse durch die bloße Anwesenheit ihrer Jäger auf Abstand gehalten wurden, und fühlten sich hier behütet in einer Zeitspanne, in der ein sicherer Platz das Wichtigste für sie war. Ein Paradoxon am Rande des Waldes. Jetzt waren die Eisengitter verschwunden, aus der Schutzhütte des Zwingers war ein Bungalow geworden, und vor dem Haus des Jagdaufsehers stand ein nagelneuer Geländewagen. Und noch etwas hatte sich verändert. Als ich über das Grundstück spazierte, das mir so vertraut war, als wäre mein letzter Besuch erst gestern gewesen, hatten den Platz der Dorfbewohner Pendler und Rentner eingenommen. So fehlte das lebendige Herz des Anwesens. Aber die Arbeiter waren schon seit Jahren fort; es war mehr als das, etwas Grundlegenderes, das ich nicht recht in Worte fassen konnte. Ich schüttelte es ab mit dem Gedanken, dass es wohl an mir lag und an meiner Reaktion auf das Land. Vielleicht sah ich es inzwischen mit anderen Augen.

Der Park. Zu einer Zeit, als unser Haus noch das Hauptgebäude des Anwesens gewesen war, befand sich hier das Haupttor mit einer gekiesten, von Eichen gesäumten Auffahrt. Doch im 18. Jahrhundert wurde ein neues Herrenhaus erbaut, und man wandelte das ehemalige Haupthaus, das seine besten Zeiten längst hinter sich hatte, in ein gewöhnliches Farmhaus um. Nur zwei der Eichen stehen heute noch, die Rinde vom Alter zerfurcht, die Äste knorrig, aber immer noch gen Himmel gereckt, um auch noch den allerletzten Sonnenstrahl zu erreichen. Die mächtigen, aus der Erde ragenden Wurzeln bilden dicke Wülste um den Fuß des Stammes, eine tritt so weit hervor, dass man sie als Sitzbank benutzen kann. Ich setzte mich darauf und ließ meinen Blick schweifen. Das ferne Echo meiner trappelnden Füße drang an mein Ohr; an Spätsommertagen hatte ich den Baum stundenlang umrundet, war von Wurzel zu Wurzel gehüpft wie auf Trittsteinen. Ich tat das nicht etwa aus Langeweile, es war etwas anderes – es hatte etwas Hypnotisches.

Und dort unten lag es. In der Senke, am Grunde des Talbeckens: das Haus, von dem ich immer nur weggelaufen war. Die Sonne stand inzwischen höher am Himmel, die Ziegel hatten ihren rosigen Schein verloren und prangten in ihrem eigentlichen leuchtenden Orangerot. Jedes Mal, wenn ich diesen Spaziergang machte und an dieser Stelle saß, war ich von Neuem überrascht. Beim Blick auf das Haus erwartete ich immer noch, die riesige Trauerweide zu sehen, die davor gestanden hatte, die seine Fassade verdeckt und seine Geheimnisse bewahrt hatte. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich das leise Rascheln ihrer Zweige hören, die in langen Ruten bis zum Boden hingen. Ich lief auf diesen grünen Vorhang zu, packte mit meinen kleinen Händen Bündel aus dünnen Ranken und schwang mich an ihnen hoch in die Luft oder beobachtete verborgen zwischen den Blättern meine Umgebung. Die Stimme meiner Mutter: »Komm runter da! Wie oft muss ich dir das noch sagen?« Aber ich kam nicht herunter, ich schwang mich durchs Grün bis zu einem kräftigen Ast und sah von dort aus durch die langen, zarten, flüsternden Blätter zu, wie sie auf der Suche nach mir die Ruten beiseite schob.

»Der Baum muss zurückgeschnitten werden. Und zwar so, dass sie nicht mehr rankommt.«

Also wurde die Trauerweide jedes Frühjahr gestutzt, bis ihre Ranken nur noch einen kurzen Bob bildeten. Doch eine Weide wächst schneller als jeder andere Baum, und ab Mitte des Sommers hingen die Zweige wieder auf den Boden – und das grüne Gewölbe war wieder mein.

Das Klingeln des Handys in meiner Tasche versetzte mich in die Gegenwart zurück. Als ich die Augen öffnete, verklang die Stimme meiner Mutter, der Baum war fort, die Fassade des Hauses nackt. Eine symmetrische Fassade mit fünf Fenstern und einem georgianischen Portal mit blitzblanken Stufen. Hier gab es keine verborgene Welt mehr, keinen Blättervorhang, der Geheimnisse hütete.

»Ihre Mutter hatte einen Schlaganfall. Kommen Sie bitte sofort ins Krankenhaus.«

»Aber wie kann das sein? Sie sollte doch am Mittwoch entlassen werden – Sie hatten gesagt, es ginge ihr besser!«

»Kommen Sie einfach, wir erklären Ihnen alles, wenn Sie da sind.«

***

Zurück in dem stickigen, überheizten Krankenhaus wurde ich von einer Krankenschwester ins Sprechzimmer eines Arztes geführt.

»Ihre Mutter hatte einen Schlaganfall, einen kompletten Anteriorinfarkt, und er schreitet weiter fort.«

»Er schreitet weiter fort? Aber sie ist hier im Krankenhaus. Können Sie ihn nicht mit Medikamenten stoppen?«

Der Arzt schüttelte den Kopf, seine Miene wirkte mitfühlend und zugleich genervt.

»Aber es heißt doch immer, bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. Je früher er erkannt wird, desto besser. Meine Mutter ist doch schon im Krankenhaus, schneller kann es ja nun wirklich nicht gehen. Und Anteriorinfarkt – was um alles in der Welt bedeutet das?«

»Es handelt sich um einen Schlaganfall, bei dem die Hirnrinde betroffen ist, eine große kortikale Ischämie. Wie groß diese Minderdurchblutung des Gehirns ist, wissen wir erst, wenn wir die Bildgebung haben. Aber wir können bereits mit Sicherheit sagen, dass es ein ausgedehnter Schlaganfall ist.«

»Ausgedehnt?«

***

Das Krankenbett mit meiner reglosen Mutter darin wurde an seinen Platz zurückgeschoben. Die Patienten in den anderen Betten beobachteten alles schweigend und aufmerksam, aber auch etwas verwirrt. Schließlich befanden wir uns hier in der Abteilung für Pneumologie und Beatmungsmedizin, sie waren an Sauerstoffmasken gewöhnt und nicht an so etwas. Die Krankenschwester schloss die blauen Vorhänge um das Bett und ließ uns allein. Ich ergriff Mums Hand, die schlaff und wie leblos herabhing. Der Arzt erschien und erklärte mir mit gesenkter Stimme die Untersuchungsergebnisse.

»Alle Bereiche sind von dem Schlaganfall betroffen, das heißt, sie hat vermutlich keine Empfindung mehr im Körper. Ein Anteriorinfarkt ist in seinen Auswirkungen vergleichbar mit einem Hammerschlag gegen den Kopf. Einige Organe arbeiten noch, auch die Lunge. Wir wissen nicht, inwieweit das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen ist, aber sie bekommt vermutlich nichts mehr mit. Wir können nichts mehr für sie tun. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Ich strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Gepflegtes Haar war ihr immer wichtig gewesen. Stets ordentlich geschnitten, dauergewellt und jede Woche einmal auf Lockenwickler gedreht. Sogar auf dem Kartoffelacker hatte sie ihre Frisur mit Haarspray fixiert und ein Kopftuch darübergebunden. Bei so vielen unserer Auseinandersetzungen während meiner Teenagerjahre war es um den Zustand meiner Haare gegangen.

»Mum, kannst du mich hören? Ich bin da.« Ich hielt ihre schlaffe Hand, streichelte ihre breiten, immer noch kräftigen Finger. »Ich bin da.« Ganz langsam öffnete sie die Augen; ihr Mund bewegte sich, kein Laut kam heraus, doch in ihren graublauen Augen blitzte etwas auf: Verwirrung, Angst, die Panik eines in der Falle sitzenden Tieres. »Mum, du bist auf der Station, du hattest einen Schlaganfall, aber ich bin bei dir.« Plötzlich sah ich, wie sich Entsetzen und Erkenntnis in ihrem Blick spiegelten, und mir wurde übel. Sie war da, präsent, lebendig, gefangen in ihrem Körper. »Mach einfach die Augen zu, Mum, und versuch zu schlafen, das wird helfen.« Wem helfen? Ihr ganz bestimmt nicht.

Während sie schlief, schnitt ich ihr die Fingernägel, feilte sie sorgfältig in Form und lackierte sie mit ihrem geliebten perlrosa Nagellack. Als ich fertig war, legte ich ihre Hände zurück aufs Bett, die rosafarbenen Fingerspitzen wirkten an ihren breiten Händen etwas fehl am Platz. Die Beleuchtung wurde für die Nacht gedimmt, ich saß in diesem bläulichen Kokon und beobachtete das Auf und Ab der Ziffern auf dem Monitor.

4

LAUFEN

»Du sollst doch nicht in den Wald gehen. Der Jagdaufseher stellt Fallen für die Füchse auf, wenn du da reintrittst, ist dein Fuß ab, so schnell kannst du gar nicht schauen.« Mum legt die Hände aneinander und verschränkt die Finger, imitiert das Fangeisen, wie es zuschnappt und mir den Fuß abbeißt. »Du weißt es doch – wie oft soll ich es dir denn noch sagen? Aber jetzt hol schon eine Vase.«

Behutsam lege ich den üppigen Strauß Hasenglöckchen auf den Tisch und gehe in die Vorratskammer, um eine Vase zu suchen. Von dort aus höre ich Dad ins Haus kommen.