Christoph Bauer ist Management- und Organisationsberater mit langjähriger Führungs-, Projektmanagement- und Beratungserfahrung. Mit seinem Unternehmen WandelRaum unterstützt er Organisationen bei der Implementierung neuer Führungs- und Managementkulturen. Insbesondere die Einführung agiler Prinzipien und Praktiken und die Begleitung von Transformationsprozessen klassischer Unternehmen hin zu agilen Organisationen sind Schwerpunkte seiner Arbeit.
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© 2017 Christoph Bauer
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH
ISBN: 978-3-7448-2461-3
Wir erleben gegenwärtig eine nie dagewesene wirtschaftliche Dynamik. Die permanente Verschiebung wirtschaftlicher Machtverhältnisse zwingt global agierende Organisationen, sich kontinuierlich anzupassen. Die Erstarkung der Schwellenländer, die für unseren Export förderlich ist, sorgt andererseits dafür, dass sich ganze Industriezweige verlagern. Im Zuge der Digitalisierung entstehen neue Unternehmen über Nacht, werden in rasanter Geschwindigkeit extrem erfolgreich und schöpfen Marktanteile der etablierten Organisationen ab. Ebenso schnell wie Unternehmen entstehen, verschwinden sie auch wieder, wenn sich Trends oder wirtschaftliche Machtverhältnisse verschieben.
Reinhard Sprenger beschreibt die Situation so: „Wir wissen nicht, was kommen wird. Wir wissen es seit den 90er-Jahren täglich weniger. Und es nimmt immer häufiger die Form der Überraschung an. Die Gegenwart überstürzt sich, die Frequenz der Veränderungen auf den Märkten wird unkalkulierbar. Störungen pendeln sich nicht aus, sondern wir schwingen uns von Störung zu Störung. Wir lassen gleichsam das Zeitalter der Ausnahmen hinter uns. Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand. Das Wort ‚Krise‘ hat seinen Schrecken schon fast verloren. Immer seltener wird man aus Erfahrungen lernen können.“1
Im Lauf der Geschichte gab es immer Krisen und Zeiten des Umbruchs. Höchstwahrscheinlich ist keine substanzielle Entwicklung ohne einen Antreiber in Form einer Krise möglich. Der Unterschied der heutigen Umwälzungen im Vergleich zu denen der Vormoderne ist einerseits deren Geschwindigkeit und andererseits deren Ausmaß.
Organisationen suchen nach Wegen, der Volatilität und Agilität der globalisierten wirtschaftlichen Entwicklungen zu begegnen. Ist unser aktuelles Verständnis von Organisationen dabei noch hilfreich? Wir begreifen Organisationen heute mit den gleichen Grundprinzipien, die Organisationen im postindustriellen Zeitalter ausgemacht haben. Wir denken und gestalten Organisationen anhand von Aufbau- und Ablauforganisationen. Wir definieren Hierarchiegefüge und akzeptieren, dass es eine Führungskraft gibt, die wiederum eine Führungskraft hat. Innerhalb dieser funktionalen Ausprägung organisieren wir die Aufgaben in Prozessen und optimieren diese, um eine möglichst große Effektivität zu erzielen. All das hat sich in der Vergangenheit bewährt. Aber sind diese Prinzipien heute immer noch geeignet, um der Komplexität und der Dynamik der erforderlichen Anpassungsprozesse gerecht zu werden?
Genau davon sind viele Unternehmen und deren Mitarbeiter nicht mehr überzeugt. Sie suchen nach neuen Organisationsformen, die agiler und beweglicher sind. Netzwerkorganisationen, Communities of Practice, demokratische Unternehmensführung, Coworking Spaces und agile Organisationen sind nicht nur Schlagwörter, sondern konkrete Versuche von Unternehmen, ihre Organisationsstrukturen anzupassen. Manche davon sind Experimente, andere haben sich in einigen Organisationen bereits als erfolgreich erwiesen und etabliert.
Trotz ihrer Unterschiedlichkeit haben diese neuen Organisationsformen eines gemeinsam: Sie suchen eine neue Form der Zusammenarbeit, die nicht nur den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht wird, sondern auch dem Menschen in der Organisation eine andere Rolle gibt. Dies wird nicht zuletzt von der jungen Generation der Mitarbeiter gefordert und gefördert, die mit ganz anderen Formen der Vernetzung, der Interaktion und der Zusammenarbeit herangewachsen ist. Es geht um gelebte Kooperation in Unternehmen. Wie kann sie lebendig werden und Unternehmen erfolgreich machen? In diesem Buch betrachte ich das Thema umfassend aus soziologischer, psychologischer und wirtschaftsstrategischer Sicht.
Im ersten Kapitel „Die Zeit ist reif für eine Transformation“ beschreibe ich zunächst anhand zweier Studien, warum Unternehmen gerade jetzt über grundsätzlich andere Organisationsansätze nachdenken. Anschließend stelle ich im Kapitel „Pioniere der Kooperation“ einige Unternehmen vor, die bereits neue Formen der Zusammenarbeit eingeführt haben. Diese Beispiele helfen dabei, unser gewohntes Bild von Organisationen zu relativieren und Denkhorizonte zu erweitern.
Trotz dieser positiven Beispiele verharrt die Mehrzahl der Unternehmen in alten Strukturen. Welche strukturellen und psychologischen Faktoren erschweren es uns gänzlich, neu über Organisationen und das Agieren der Menschen in ihnen nachzudenken? Das Kapitel „Widerstände in den Organisationen“ liefert eine fundierte Analyse, welche der klassischen Organisationsprinzipien Kooperation verhindern und der heutigen wirtschaftlichen Dynamik nicht mehr gerecht werden. Das Kapitel „Widerstände bei den Menschen in den Organisationen“ betrachtet, welche gesellschaftlichen Prägungen und persönlichen Haltungen die Menschen an alten Prinzipien festhalten lassen. Die Sozialisierung hin zum Wettbewerb und die daraus entstehende Misstrauenskultur spielen hier ebenso eine Rolle wie das persönliche Streben nach Selbstwirksamkeit. Das Buch zitiert hierzu zahlreiche Studien und wissenschaftliche Untersuchungen.
Glücklicherweise gibt es nicht nur kooperationshemmende Faktoren. Deswegen beschäftige ich mich im Kapitel „Worauf können wir bauen?“ mit Faktoren, die Kooperation stärken. Menschen sind von Natur aus auf Kooperation angelegt. Die Freude des gemeinsamen Schaffens ist fest in uns verankert. Das Buch beschreibt psychologische Grunddispositionen des Menschen, die Kooperation in Unternehmen fördern. Es stellt auch dar, inwieweit die aktuelle Unzufriedenheit vieler Mitarbeiter darüber, dass sie als Menschen in der Organisation missachtet werden, Motor bei der Etablierung von kooperativen Strukturen sein kann. Ein starker, verlässlicher Faktor in kooperativen Strukturen ist das Prinzip der Selbststeuerung. Selbststeuerung ist nicht nur ein immanentes Wirkprinzip aller sozialen Systeme, sondern definiert – richtig genutzt – die zentralen Prozesse der Zusammenarbeit.
Der folgende Teil des Buches beschäftigt sich damit, wie neue Kooperationsformen in Unternehmen etabliert werden können, und gibt dazu konkrete Empfehlungen. Im Kapitel „Was kooperative Organisationen ausmacht“ thematisiere ich zunächst die Rolle des Managements und dessen Verantwortung. Anschließend beschreibe ich die erforderlichen strukturellen Veränderungen, die unter der Überschrift „Von gemanagten Hierarchien hin zu kooperativen Netzwerken“ zusammengefasst werden können. Hier geht es um konkrete Formen kooperativer Strukturen in Abgrenzung zu den heutigen hierarchischen Strukturen.
Die Zusammenarbeit in kooperativen Strukturen ist deutlich stärker durch Selbststeuerung gekennzeichnet. Somit muss die Charakteristik von Führung in kooperativen Netzwerken gänzlich neu gedacht werden. Welche Aufgaben hat die Führungskraft in selbstorganisierten Systemen? Im Kapitel „Integrative Führung in kooperativen Strukturen“ gebe ich dazu klare Antworten. Ich beschreibe sehr konkret die wesentlichen Wirkmechanismen selbststeuernder Kreise und welche Rolle Führung in diesen Strukturen spielt.
Um neue Ansätze der Kooperation zu verankern, braucht es eine Veränderung der Unternehmenskultur. Vertrauen ist die tragende Säule kooperativer Zusammenarbeit. Das Buch liefert im Kapitel „Die kooperative Organisationskultur“ wertvolle Gedanken dazu, wie eine Misstrauenskultur in eine Vertrauenskultur gewandelt werden kann. Gleichzeitig beschäftigt es sich mit der Ambivalenz von Vertrauen und Kontrolle in selbststeuernden Systemen.
Die Transformation zu kooperativen Systemen bringt radikale Veränderungen mit sich, die nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können. Gleichzeitig werden Teile der neuen Ansätze schon heute in Unternehmen gelebt. Das Arbeiten in Projekten beispielsweise ist in Unternehmen bereits bekannt und beinhaltet gute kooperative Ansätze. Allerdings stößt die Projektarbeit in hierarchischen Strukturen an die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Im Kapitel „Management by Projects: Der Weg zu neuen Kooperationsformen“ beschreibe ich, wie die Stärkung des Prinzips „Management by Projects“ genutzt werden kann, um den Unternehmen die Veränderung hin zu kooperativen Strukturen zu erleichtern.
Abschließend stelle ich im Kapitel „Groß denken, im Kleinen handeln: Impulse zur Umsetzung“ kooperative Methoden vor, die Unternehmen sofort nutzen und umsetzen können, um in kleinen Schritten das Prinzip Kooperation wirksam zu etablieren.
Die Suche der Unternehmen nach neuen Organisationsformen, die beweglicher sind und den Bedürfnissen der Menschen in der Organisation besser gerecht werden, zeigt, dass deutlicher Entwicklungsbedarf besteht. Auch wenn noch nicht viele Unternehmen abschließende Lösungen gefunden haben, ist klar zu erkennen, dass sich Organisationen mit der Frage nach neuen, wirksamen Strukturen auseinandersetzen. Dieses Kapitel stellt die Hintergründe der neuen strukturellen und kulturellen Anpassungsprozesse der Unternehmen dar. Starten möchte ich mit zwei Studien, die den Blick auf die Veränderungen der globalisierten Wirtschaft und die damit verbundenen Anforderungen an die Führungskräfte von morgen beschreiben.
Die Studie „Jeder für sich und keiner fürs Ganze“ wurde von den drei Projektpartnern Stiftung neue Verantwortung, Egon Zehnder International und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung durchgeführt.2 Sie beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Vor welchen Führungsanforderungen stehen Deutschlands Spitzenführungskräfte im 21. Jahrhundert? Welche Führungsgrundsätze gilt es beizubehalten und welche zu erneuern? Ist ein neues Führungsverständnis notwendig? Wie kann dieses in der Praxis aussehen? Dabei wurden insgesamt 30 deutsche Spitzenführungskräfte interviewt, darunter Minister, Staatssekretäre, Verfassungsrichter, Vorstandsmitglieder führender deutscher Unternehmen, Präsidenten von Forschungseinrichtungen, Unternehmensgründer, hochrangige Kirchenvertreter, Vertreter des Militärs und Vorsitzende großer zivilgesellschaftlicher Organisationen, etwa Migrantenverbände.
Die Führungskräfte beschreiben im Ergebnis der Studie drei Kernherausforderungen, die ich hier zitiere:
Die meisten befragten Führungskräfte beobachten in ihrem Umfeld dramatische Veränderungen. Führungsaufgaben, Informationsflüsse und Stakeholdermanagement werden vielschichtiger und verwobener, sowohl innerhalb einer Organisation oder eines Sektors als auch zwischen Sektoren. Gleichzeitig beschleunigt sich die Taktung von Entscheidungszyklen. Die gefühlte und tatsächliche Geschwindigkeit von Führungshandeln nimmt zu. Hinzu komme das Gefühl wachsender Unvorhersagbarkeit einer globalisierten und vernetzten Welt.
Die wachsenden Herausforderungen setzen Führungskräfte aller Sektoren zunehmend unter Druck, so die Befragten. Das Dringliche des Moments wird zum Feind wichtiger langfristiger Aufgaben. Kaum einer Führungskraft gelingt es, sich persönlichen Freiraum zu schaffen: um zu reflektieren, Kraft zu tanken und so die eigene Person zu schützen. Hier könnte es hilfreich sein, sich verstärkt mit Werten zu beschäftigen und diese als Kompass in schwierigen Situationen zu nutzen.
Herausforderungen wie Klimawandel, Integration oder Bekämpfung von Bildungsungleichheiten können weder Politik noch Wirtschaft allein bearbeiten, so die Interviewpartner. Zielführende und schlagkräftige Lösungen entstehen nur im Schulterschluss verschiedener Sektoren. Der Bedarf an Austausch und Kooperation nimmt zu. Allerdings verhindern Unverständnis und Interessenpolitik ein Zusammenspielen der Sektoren. Die unterschiedliche Binnenlogik der einzelnen Sektoren verleitet dazu, das Denken und Handeln ausschließlich auf eigene Partikularinteressen auszurichten.
Was könnte ein neues Führungsverständnis charakterisieren? Wie könnte eine damit einhergehende neue Führungspraxis aussehen? Welche etablierten Führungsansätze gilt es beizubehalten und welche nicht? Nachfolgend skizziert die Studie wichtige Elemente von Führung für das 21. Jahrhundert und geht dabei auf die individuelle Führungspraxis, das Führen von Organisationen sowie das Führen im gesellschaftlichen Kontext ein. An dieser Stelle möchte ich die für das Thema Kooperation relevanten Empfehlungen der Studie darstellen.
Es reicht heute nicht mehr, die Denk- und Argumentationslogik des eigenen Sektors zu beherrschen. Unternehmenschefs benötigen ein klares Verständnis politischer Prozesse. Sie müssen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen interagieren und kooperieren. Sektorenübergreifende Vernetzung stellt einen deutlichen Wettbewerbsvorteil dar. Politiker und Führungskräfte aus der Verwaltung wiederum können die anstehenden Aufgaben nur gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft lösen. Zukünftige Führungskräfte sammeln daher Erfahrungen in unterschiedlichen Sektoren, vernetzen sich bewusst sektorenübergreifend und arbeiten mit Stakeholdern aus allen Bereichen strategisch zusammen. Allerdings wird diese Arbeitsweise bis heute kaum praktiziert und in der Führungsliteratur nur am Rande diskutiert.
Früher wurde eine Organisation durch ein Management von oben nach unten gelenkt. Heute bestimmen zunehmend externe Einflüsse und Stakeholder die Entwicklungen. Dies bestätigen die Interviewpartner dieser Studie sowie anderer Befragungen. Erst eine Verantwortungs- und Wertschätzungskultur mit klar definierten gemeinsamen Zielen ermöglicht selbstorganisiertes Handeln, wie es komplexe Situationen erfordern. Dafür müssen Führungskräfte innerhalb der notwendigen Struktur auch hierarchieunabhängige Freiräume bereitstellen.
Laut einer Studie der OECD3 nehmen „Mega-Risiken“ und die damit verbundenen Schäden im 21. Jahrhundert weiter zu: Pandemien, Klimakatastrophen, Wirtschaftskrisen, Cyberattacken. Die aus dem Industriezeitalter stammenden mechanistischen Organisationssysteme genügen diesen Herausforderungen nicht mehr. Stattdessen sind Strukturen erforderlich, die ein integratives und innovatives Ereignismanagement ermöglichen.
Die Probleme sind zu umfassend und komplex, als dass man allein auf den Staat verweisen könnte. In Zeiten zunehmender Auffächerung von Wissen spezialisiert sich auch die Ausbildung. Mehr denn je muss Führung daher die Klammer bilden und die verschiedensten Wissensbereiche, Sektoren und Stakeholdergruppen verbinden. Dies muss bei Ausbildung und Entwicklung von Führungskräften ausgeprägter berücksichtigt werden. Jede einzelne Führungskraft in Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft ist gleichermaßen gefragt und braucht entsprechende Kompetenzen. Individuelle Verantwortung und gesellschaftliches Handeln bestärken sich dabei gegenseitig.
Es geht also um einen sektorenübergreifenden Schulterschluss, ein Bündeln aller erforderlichen Kompetenzen, ein gemeinsames Agieren, bei dem das Ganze mehr ergibt als die Summe aller Einzelbeiträge.
Die Welt verändert sich, das Paradigma für Führung auch. Eine weitere Studie der Hay Group hat untersucht, welche Anforderungen im Jahr 2030 an Führungskräfte gestellt werden.4 Die Studie basiert auf den sogenannten Megatrends, die das deutsche Unternehmen für strategische Zukunftsforschung (Z-Punkt) analysiert hat. Megatrends sind langfristige und übergreifende Transformationsprozesse, die die Zukunft wirkungsmächtig prägen werden. Sie unterscheiden sich von anderen Trends in deren Zeithorizont, Reichweite, Wirkungsstärke und den damit verbundenen strategischen Herausforderungen. Z-Punkt benennt 20 Megatrends. Einige dieser Megatrends und die damit verbundenen Auswirkungen stelle ich hier vor.
DIE NOTWENDIGKEIT KOOPERATIVER FÜHRUNG
Bei der Verteilung der globalen wirtschaftlichen Macht findet eine starke Verlagerung in Richtung Asien statt. Asiatische Managementmodelle und -praktiken werden in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen. Aufstrebende Nationen handeln ihre Waren zunehmend unter sich selbst, wodurch trotz Globalisierung die Eigenheiten lokaler Märkte eine große Rolle spielen. Weiterhin wird die globale wirtschaftliche Welt risikoreicher. Die starke Verflechtung führt zu größerer Volatilität auf den Märkten, die Finanzkrisen wahrscheinlicher macht.
Für international operierende Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre globalen Strategien anpassen müssen. Sie werden sich zu tatsächlich globalen Organisationen wandeln, die funktions- und landesübergreifend kollaborieren. In Leadership-Teams werden viele verschiedene Kulturen vertreten sein.
Für Führungskräfte bedeutet dies, dass die Zeit der Helden, die die Strategie topdown diktiert haben, vorbei ist. Führungskräfte des Jahres 2030 müssen nicht nur mehrsprachig, flexibel und international mobil sein. Sie müssen starke interkulturelle Kompetenzen und die Fähigkeit mitbringen, Zusammenarbeit in verteilten Teams zu organisieren, in denen sie nicht der oder die direkte Vorgesetzte sind.
Die steigende Individualisierung geht einher mit einer geforderten und gelebten größeren Wahlfreiheit. Bei der Selbstverwirklichung spielt die eigene Karriere eine große Rolle. Gleichzeitig steigt der Anspruch, private und berufliche Ziele besser zu integrieren. Die neue Stufe der Individualisierung hat enorme Auswirkungen auf Motivation und Loyalität der Mitarbeiter. Weiche Faktoren wie Anerkennung, Möglichkeiten der Weiterentwicklung, Work-Life-Balance, Selbstbestimmung und ein wertebasiertes Engagement spielen zukünftig eine noch größere Rolle als Fragen des Gehalts und der Beförderung.
Unternehmen werden ihre Arbeitsprozesse anpassen müssen, um den Anforderungen der Mitarbeiter gerecht zu werden. Die zunehmende Individualisierung wird ein Motor für dezentrale Arbeitsplätze, flache und flexible Strukturen und funktionsübergreifende Projektteams sein.
Die postheroische Führungskraft wird die Rollen des Chefs, Mediators und Coachs ausbalancieren, dabei den Teams mehr Freiheiten und Autonomie geben und gleichzeitig den Fokus auf die Businessziele sicherstellen müssen.
Die weiter steigende digitale Durchdringung und Vernetzung des Alltags wird die Zusammenarbeit in internationalen Unternehmen nachhaltig verändern. Digitale Werkzeuge stellen billige, einfache und schnelle Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Digitalisierung der Arbeitswelt fördert die Ausbreitung virtueller Arbeitsplätze, insbesondere bei den Wissensarbeitern, die überall arbeiten können.
Für die Generation der „Digital Natives“ sind diese Arbeitsformen nichts Neues. Führungskräfte sollten die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch zwischen den älteren Mitarbeitern und den Digital Natives unterstützen, um die Informationslücke zu den digitalen Formen der Zusammenarbeit zu schließen. Führungskräfte werden mehr über die Distanz führen, sollten sich dabei aber nicht rein auf die virtuelle Kommunikation beschränken. Persönlicher Kontakt ist nach wie vor wichtig, um Mitarbeiterloyalität und -motivation aufrechtzuerhalten.
In den dargestellten Studien wird deutlich, dass neue Kooperationssysteme für Unternehmen zukünftig einen immer größeren Erfolgsfaktor darstellen. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich sowohl aus den komplexeren Verflechtungen einer globalisierten Wirtschaft als auch aus den veränderten Herausforderungen, die nur noch durch bereichs- bzw. sektorenübergreifende Zusammenarbeit gelöst werden können.
Kooperationssysteme der Zukunft werden gleichermaßen Veränderungen der Aufbauorganisation und der Ablauforganisation der Unternehmen mit sich bringen. Einige Unternehmen verändern bereits ihre Organisationsstruktur zu einer globalen Organisation, die eine funktions- und landesübergreifende Zusammenarbeit möglich macht und damit den internationalisierten Märkten begegnet. Die Fähigkeit, Kooperations- und Beteiligungsprozesse aktiv zu gestalten und zu unterstützen, entwickelt sich zu einer unerlässlichen Kompetenz, um der Komplexität der Herausforderungen gerecht zu werden. Damit verändert sich auch die Rolle der Führungskraft, die sich immer weniger als Macher begreifen kann, denn als Impulsgeber, Moderator und Gestalter von Beteiligungsprozessen.
Diese Veränderungen werden jedoch nur möglich sein, wenn ein grundsätzliches Umdenken der Beteiligten auf allen Ebenen der Organisationen stattfindet. Ein Festhalten am Status quo der Macht und ein Bewahren der eigenen vorhandenen Einflussbereiche in Form der gegebenen Linien- oder auch Matrixorganisationen werden nicht mehr möglich sein. Das Denken, der Glaube und die Hoffnung, dass Ziele und Herausforderungen innerhalb eines Bereichs gelöst werden können, erweisen sich als nicht mehr haltbar. Bereichsübergreifende Zusammenarbeit erzeugt immer auch Abhängigkeiten und schränkt die eigene Wirksamkeit ein. Gleichzeitig ist sie die Arbeitsform, die die materiellen Ressourcen und intellektuellen Kompetenzen derart zusammenführt, dass Lösungen entstehen. Es wird eine Haltungsänderung gefragt sein, die das Handeln weniger an den Einzelinteressen der Bereiche, sondern stets am Gesamtinteresse des Unternehmens ausrichtet.
Was unterscheidet die gegenwärtig notwendige Veränderung von den Veränderungen und Umstrukturierungen, die Unternehmen auch bisher schon vollzogen haben? Unternehmen waren stets bestrebt, sich zu optimieren und an veränderte Marktsituationen anzupassen. Die Etablierung von Kooperationssystemen ist aus meiner Sicht jedoch keine weitere Optimierung der bestehenden Strukturen, sondern eine grundlegende Transformation basierend auf dem Paradigma der Kooperation.
In den letzten Jahrzehnten haben Unternehmen versucht, ihr Handeln auf vielfältige Weise zu optimieren. Dabei sind Methoden entstanden wie Lean Management, KVP, Kaizen, Kanban und viele mehr. Die Unternehmen glaubten, damit dem wachsenden Druck des Marktes gerecht werden zu können. Und sicher haben sie damit wertvolle Erfolge erzielt. Prozesse wurden optimiert, Kosten dort reduziert, wo sie nicht wirklich wertschöpfend investiert waren. Dies reicht heute jedoch nicht mehr aus, um am Markt erfolgreich zu sein. Denn auch andere Unternehmen optimieren sich. Außerdem wächst die Konkurrenz aus den Schwellenländern, die mit ganz anderen Kostenstrukturen operieren. Die Märkte und deren Spieler verändern sich so schnell, dass das reine Optimieren bestehender Strukturen zu kurz greift.
Was Unternehmen langfristig erfolgreich sein lässt, ist die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. Innovationskraft und Flexibilität gepaart mit der Fähigkeit, die Bewegungen am Markt wahrzunehmen und richtig zu interpretieren, sind die Erfolgsfaktoren der Zukunft. Es geht also um die Transformationsfähigkeit der Unternehmen und nicht mehr um deren bloße Optimierung.
Wir spüren, dass es ein „Weiter so“ nicht geben kann. Wir merken, dass wir mit den bestehenden Denk- und Handlungsmustern an Grenzen stoßen. In der Studie „Jeder für sich und keiner fürs Ganze“ beschreiben die Führungskräfte die von ihnen erlebte Steigerung der Komplexität und Dynamik in der globalisierten und vernetzten Welt. Ist es möglich, diese Komplexität zu beherrschen? Sind die aktuellen Strukturen der Unternehmen darauf ausgerichtet, mit dieser Komplexität und Dynamik umzugehen?
WACHSTUM, OPTIMIERUNG, TRANSFORMATION
Persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen durchlaufen in der Regel drei Entwicklungsphasen: Wachstum, Optimierung, Transformierung.5 Unternehmen stehen heute am schwierigen Übergang von der Optimierungs- zur Transformationsphase. Lassen Sie uns ansehen, wie sich die drei Entwicklungsstufen kennzeichnen.
In der Phase des Wachstums erschließen wir uns neue Entwicklungsräume. Scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten fördern unseren Tatendrang. Wir sind erfüllt von vorbehaltlosem Vertrauen in die Zukunft.
Ein historisches Beispiel für eine Wachstumsperiode sind die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Alliierten verfolgten die klare Strategie, ein politisch stabiles und wirtschaftlich starkes Deutschland zu fördern. Dies wurde sowohl für die Befriedung Europas als auch für die gegenseitigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen als wichtige Grundlage erachtet. Der Marshallplan führte durch die massive materielle Unterstützung in Deutschland zu einem ungeahnten Wachstumswunder.
Immer wenn sich neue Möglichkeiten und Chancen ergeben, die durch eine gute Strategie genutzt werden, entstehen solche Wachstumsphasen. Die meisten Unternehmen, sofern sie erfolgreich sind, haben diese Phase durchlaufen. Wachstumsphasen entstehen in der Regel nach der Gründung von Unternehmen. Die Zeiten der New Economy waren von diesem Geist des „Alles ist möglich“ geprägt, und noch heute sind viele Internetunternehmen auf einem starken Wachstumspfad. Auch bestehende Unternehmen können durch eine strategische Neuausrichtung eine erneute Wachstumsphase durchlaufen. Beispielsweise wenn sie sich durch eine strategische Internationalisierung neue Märkte erschließen.
Diese Phase ist geprägt durch eine schnelle Entwicklung und hohe Dynamik. Gleichzeitig kennzeichnet sie das Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Man weiß genau, was zu tun ist und dass es der richtige Weg ist, der zum Erfolg führt.
In dieser Phase sind die Grenzen des Wachstums erreicht: Die Marktpotenziale der Unternehmen sind ausgeschöpft, eine Marktsättigung ist eingetreten. Es gibt keine Ideen, wie weiteres Wachstum generiert werden kann. Ein Verdrängungswettbewerb hat angefangen. In dieser Phase beginnen Unternehmen zu optimieren: Die Organisationsstrukturen werden angepasst, Prozesse optimiert, möglicherweise verschlankt. Lean Management und KVP finden in dieser Phase ihre Anwendung. In gleichem Maße, wie die Grenzen des Wachstums und die der Optimierung erreicht sind, nehmen Frustration und Resignation zu. Dennoch stellt niemand die Frage, ob man noch auf dem richtigen Weg ist.
Ein gutes Beispiel für diese Phase ist die deutsche Steuerpolitik. Obschon etliche Fachexperten dafür plädieren, das Steuersystem radikal zu transformieren und zu verschlanken, wird es seit Jahren immer wieder durch zusätzliche Regelungen ergänzt. Inzwischen hat das Steuerrecht eine Komplexität angenommen, für deren Durchdringung die Fachleute eine umfangreiche Aus- und Weiterbildung durchlaufen müssen. Eine strukturelle Veränderung und Transformation des Steuerrechts wird nicht angegangen, obschon damit eine enorme Reduktion der Verwaltungskosten erzielt werden könnte.
Am Ende der Phase des Optimierens erleben wir, dass alle unsere Optimierungsversuche nichts mehr bewirken, sondern unsere Probleme eher verschärfen. Wir spüren, dass es so nicht weitergehen kann. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem sich entscheidet, ob das System bzw. das Unternehmen, überlebt oder untergeht. Entscheidend für den Ausgang ist dabei, inwieweit es gelingt, eine grundlegende Transformation anzustoßen. Es gibt diverse Herausforderungen beim Übergang von der Phase des Optimierens zur Phase der Transformation. Zunächst ist Innovationskraft notwendig, um sich und das Unternehmen neu zu erfinden. Überdies ist ein offener Geist erforderlich, der nicht am Alten und Bekannten festhält, sondern frei genug ist, Neues zu denken, Neues zu wagen und selbst die Fundamente des Alten in Frage zu stellen. Dies geht meist einher mit einer Phase der Irritation und Orientierungslosigkeit. Zwar ist klar, dass das alte System, die alten Strategien und Strukturen nicht mehr funktionieren, gleichzeitig sind für eine Weile noch keine neue Vision und Strategie vorhanden. Dies verlangt von allen Beteiligten ein gehöriges Maß an Instabilitätstoleranz.
Professor Peter Kruse bezeichnet die Phase des Optimierens als „Funktionsoptimierung“, während in der Phase der Transformation ein „Ordnungsmusterwechsel“ stattfindet.6 Laut Kruse sollte in Unternehmen die Bereitschaft vorhanden sein, sich von einem stabilen Zustand über eine krisenhafte Störung zu einer neuen Stabilität zu bewegen. Kruse plädiert dafür, dass Manager den Kreislauf des Steuerns und Regelns hin und wieder verlassen, um die erforderliche Transformation anzustoßen. Es geht darum, langfristig lebensfähige Organisationen zu erzeugen – Organisationen, die in der Lage sind, in Transformationsprozessen bestimmte Ordnungsmuster zu verändern, um so nachhaltig erfolgreich zu sein.
Die anstehende Transformation ist bereits sehr gegenwärtig. Agile Organisationen, Netzwerkorganisationen, demokratische Unternehmensführung sowie Holacracy sind Beispiele der neuen Entwicklungen. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit haben diese Organisationsansätze eines gemeinsam: Sie suchen eine neue Form der Zusammenarbeit. Es geht um gelebte Kooperation in Unternehmen.
Was ist der Kern von Unternehmen? Wieso gibt es Unternehmen, und was ist ihre Existenzberechtigung? Ich möchte diese Frage mit Reinhard Sprenger beantworten: „Weil es Aufgaben gibt, die man nur zusammen bewältigen kann. Wenn ein Einzelner eine Aufgabe alleine bewältigen kann, sollte er dies auch tun – zumindest aus ökonomischen Gründen. Das ist der Kern: Unternehmen sind um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut, sie sind auf Zusammenarbeit angelegt. Unternehmen sind Kooperations-Arenen.“7 Wenn dem so ist, wenn Unternehmen auf Zusammenarbeit angelegt sind, warum funktioniert diese dann häufig nicht so gut? Sprenger fordert als erste Kernaufgabe von Führungskräften, Zusammenarbeit zu organisieren, „die sich von alleine nicht ergibt“.
Es ist schon erstaunlich festzustellen, dass das gemeinsame Lösen von Aufgaben heute in vielen Unternehmen mehr schlecht als recht funktioniert. Bewahrende Stimmen mögen nun vielleicht sagen, man solle nicht übertreiben. Natürlich arbeiten die Menschen einer Organisation zusammen, ansonsten könnte diese nicht existieren. Gleichzeitig ist aus meiner Sicht diese vermeintlich funktionierende Zusammenarbeit der Grund, wieso das Thema Kooperation in Unternehmen nicht ausreichend thematisiert wird. Einerseits klagen Mitarbeiter und Manager darüber, dass die bereichsübergreifende Zusammenarbeit nicht funktioniert, dass mehr die Eigeninteressen der Akteure statt die Gesamtinteressen des Unternehmens verfolgt werden. Andererseits heißt es dann, „irgendwie haben wir es immer noch geschafft“. Möglicherweise ist es ein Klagen auf hohem Niveau. Und doch zeigen die zuvor beschriebenen Studien, dass zukünftig der Erfolg der Unternehmen davon abhängen wird, wie gut und zügig sie eine Kultur des Kooperationsvorrangs etablieren.
Sprenger spricht von Unternehmen als „Kooperations-Arenen“. Im besten Sinne meint er, dass Unternehmen und deren Führungskräfte Kooperation ermöglichen und stärken. Und doch birgt der Begriff Arena eine wesentliche Ursache, die Kooperation verhindert. Der Begriff Arena (von lat. (h)arena, „Sand“) bezeichnet einen speziellen Veranstaltungsort. Der Duden definiert Arena als „Kampfbahn, [sandbestreuter] Kampfplatz im Amphitheater der römischen Antike“ sowie „Sportplatz, Wettkampfstätte mit ringsum steigend angeordneten Zuschauersitzen“. Er wird also im Zusammenhang mit Wettkämpfen verwendet. In Wettkämpfen geht es darum, sich zu messen und herauszufinden, wer der Bessere ist. Im antiken Rom konnten diese Wettkämpfe einen sogar das Leben kosten. Auch in manchen Unternehmen kann man gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass es sich um eine Wettkampfstätte handelt, in der jeder für sich kämpft, um besser zu sein als der andere. Dabei steht diese Haltung konträr dazu, dass Unternehmen um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut sind. Das Paradigma des Wettbewerbs, das in allen Bereichen des Lebens gegenwärtig ist, konterkariert somit die Grundidee von Unternehmen.
Wettbewerb bezeichnet in der Wirtschaftswissenschaft das Streben von mindestens zwei Akteuren nach einem Ziel, wobei der höhere Zielerreichungsgrad eines Akteurs einen niedrigeren Zielerreichungsgrad des anderen bedingt. Der klassisch-liberale Nationalökonom Adam Smith ernannte das Prinzip des Wettbewerbs zum vorherrschenden Paradigma der Marktwirtschaft. Nach Adam Smith führt das eigennützigrationale Streben des einzelnen Wettbewerbers nach maximalem Gewinn zugleich zu steigendem Gemeinwohl, da es durch den Marktmechanismus zur günstigsten Güterversorgung komme. Im 20. Jahrhundert hat sich in der Bundesrepublik das von Alfred-Müller Armack stammende Konzept der sozialen Marktwirtschaft durchgesetzt. Ludwig Erhard übernahm diese Bezeichnung. Das Konzept ist der Versuch, das Prinzip der Freiheit auf den Märkten mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.