Christoph von Schmid: Das Blumenkörbchen

 

 

Christoph von Schmid

Das Blumenkörbchen

Eine Erzählung

 

 

 

Christoph von Schmid: Das Blumenkörbchen. Eine Erzählung

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Pierre-Auguste Renoir, Junges Mädchen mit einem Blumenkorb, 1888

 

ISBN 978-3-7437-0579-1

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0540-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0541-8 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Landshut, Krüll'sche Buchhandlung, 1823.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

1. Vater Jakob und seine Tochter Marie

In dem gräflichen Marktflecken Eichburg lebte vor mehr als hundert Jahren ein sehr verständiger und rechtschaffener Mann namens Jakob Rode. Als ein armer Knabe war er nach Eichburg gekommen, um in dem gräflichen Schlossgarten die Gartenkunst zu erlernen. Seine vortrefflichen Geistesgaben, sein gutes Herz, die Geschicklichkeit, mit der er alles anfing, und seine edle Gesichtsbildung gewannen ihm das Wohlwollen der Herrschaft. Es wurden ihm mancherlei kleine Geschäfte in dem Schloss übertragen, und als der Graf, damals noch ein junger Herr, auf Reisen ging, war Jakob unter seiner Begleitung. Auf diesen Reisen hatte Jakob seinen Verstand mit vielen Kenntnissen bereichert, sich eine gebildete Sprache und einen feinen Anstand erworben und – was noch weit mehr ist – sein edles, redliches Herz unverdorben aus der großen Welt wieder mit zurückgebracht. Der Graf war darauf bedacht, Jakobs treue Dienste zu belohnen und ihm eine einträgliche Anstellung zu verschaffen. Jakob hätte in dem Palast, den der Graf in der Hauptstadt besaß, Hausmeister werden können. Allein der gute Mann sehnte sich immer nach dem stilleren Landleben zurück, und da um eben diese Zeit zu Eichburg ein kleines Gütchen, das bisher verpachtet war, dem Grafen zurückgestellt wurde, so bat Jakob, es ihm in Pacht zu geben. Der edle Graf überließ es ihm auf lebenslang unentgeltlich und bewilligte ihm noch jährlich soviel an Getreide und Holz, als für seine künftige Haushaltung nötig sein möchte. Jakob verheiratete sich zu Eichburg und nährte sich von dem Ertrag des Gütchens, das außer einem kleinen freundlichen Wohnhaus in einem großen schönen Garten bestand, der zur Hälfte mit den besten Obstbäumen bepflanzt und zur Hälfte zum Gemüsebau bestimmt war.

Nachdem Jakob mit seiner Gattin, die in jeder Hinsicht eine vortreffliche Frau war, mehrere Jahre in der glücklichsten Ehe gelebt hatte, ward sie ihm durch den Tod entrissen. Sein Schmerz war unaussprechlich. Der gute, bereits etwas betagte Mann alterte zusehends, und seine Haare bleichten sich merklich. Seine einzige Freude in der Welt war nun seine einzige Tochter, die ihm von mehreren Kindern allein am Leben geblieben war und bei dem Tod der Mutter erst fünf Jahre zählte. Sie hieß wie die Mutter Marie und war in allem ihr treues Ebenbild. Schon als Kind war sie ungemein schön; allein, so wie sie heranwuchs, gaben ihr frommer Sinn, ihre Unschuld, ihre Bescheidenheit, ihr ungeheucheltes Wohlwollen gegen alle Menschen ihrer Schönheit eine ganz eigene Anmut. Es blickte so etwas unbeschreiblich Gutes aus ihrem Angesicht, dass es einem war, als blicke einen ein guter Engel an. Marie hatte das fünfzehnte Jahr noch nicht zurückgelegt, als sie die kleine Haushaltung schon auf das beste besorgte. In dem heiteren Wohnstübchen sah man nirgends ein Stäubchen, in der Küche glänzten alle Geschirre fast wie neu, das ganze Haus war ein Muster von Ordnung und Reinlichkeit. Überdies half sie ihrem Vater bei den Gartenarbeiten mit unermüdetem Fleiß, und die Stunden, in denen sie so um ihn beschäftigt war, gehörten unter die vergnügtesten ihres Lebens. Denn der weise Vater wusste durch erheiternde und belehrende Gespräche die Arbeit zum Vergnügen zu machen.

Marie, die unter Kräutern und Blumen aufwuchs und deren Welt der Garten war, hatte von Kindheit an eine große Freude an schönen Blumen. Der Vater ließ daher jedes Jahr einige Samen, Zwiebeln und Ableger von Blumen kommen, die sie noch nicht kannte, und erlaubte ihr, den Rand der Gartenbeete mit Blumen zu bepflanzen. So hatte Marie in ihren freien Stunden fortwährend eine angenehme Beschäftigung. Sie pflegte die zarten Pflänzlein auf das sorgfältigste, betrachtete fast jede ihr fremde Knospe nachsinnend und ratend, was für eine Blume sie wohl enthalte, konnte kaum erwarten, bis sie aufbrach, und hatte dann, wann die sehnlich erwartete Blume in ihrer Pracht dastand, eine ganz unbeschreibliche Freude. »Das ist eine reine, schuldlose Freude«, sagte dann der Vater lächelnd. »Mancher gibt mehr Gulden für Gold und Seide aus als ich Kreuzer für Blumensamen, und macht seiner Tochter doch lange kein so großes und unschuldiges Vergnügen damit.« In der Tat blühten für Marie jeden Monat, ja jede Woche neue Freuden auf. Sie sagte oft in ihrem Entzücken: »Das Paradies könnte kaum schöner sein als unser Garten!« Es ging auch nicht leicht jemand an dem Garten vorbei, ohne stehenzubleiben und die schönen Blumen zu bewundern. Die Kinder aus dem Ort guckten täglich durch das Gitter, und Marie reichte ihnen immer einige Blumen hinaus.

Der weise Vater wusste aber die Freude seiner Tochter an den Blumen zu einem höheren Ziel zu leiten. Er lehrte sie in der Schönheit der Blumen, ihren mancherlei Gestalten, der reinen Zeichnung, dem richtigen Ebenmaß, den herrlichen Farben, den lieblichen Wohlgerüchen die Weisheit, Güte und Allmacht Gottes bewundern. Er war es gewohnt, die erste Morgenstunde täglich der Andacht zu widmen, und er stand deshalb immer früher auf, als es seine Arbeit erforderte. Er glaubte, das menschliche Leben habe wenig Wert, wenn der Mensch bei allen seinen Geschäften nicht ein paar Stunden oder wenigstens halbe Stunden des Tages herauszubringen wisse, in denen er sich ungestört mit seinem Schöpfer unterhalten und sich mit seiner hohen Bestimmung im Himmel beschäftigen könne. An den herrlichen Frühlings- und Sommermorgen nahm er deshalb Marie mit in die Gartenlaube, wo man unter dem lieblichen Gesang der Vögel den blühenden, von Tau funkelnden Garten und eine reiche Landschaft in den goldenen Strahlen der Morgensonne übersehen konnte. Hier redete er mit ihr von Gott, der die Sonne so freundlich scheinen lässt, Tau und Regen gibt, die Vögel unter dem Himmel ernährt und die Blumen auf dem Feld so herrlich kleidet. Hier lehrte er sie den Allmächtigen als den liebevollen Vater der Menschen kennen, der sich uns noch unendlich lieblicher und freundlicher als in der ganzen Schöpfung in seinem geliebten Sohn offenbart. Hier lehrte er sie beten, indem er selbst mit ihr aus seinem Herzen betete. Diese Morgenstunden trugen viel dazu bei, die kindlichste Frömmigkeit in ihr zartes Herz zu pflanzen.

In ihren liebsten Blumen zeigte er ihr die schönen Sinnbilder jungfräulicher Tugenden. Als sie ihm einst sehr früh im März voll Freude das erste Veilchen brachte, sprach der Vater: »Das holde Veilchen sei dir, liebe Marie, ein Bild der Demut, der Eingezogenheit, der Wohltätigkeit im Stillen. Es kleidet sich in die sanfte Farbe der Bescheidenheit, es blüht am liebsten im Verborgenen, es erfüllt, unter Blättern versteckt, die Luft mit dem lieblichsten Wohlgeruch. Sei auch du, liebe Marie, ein stilles Veilchen, das einen bunten, prahlenden Anzug verschmäht, nicht bemerkt sein will und, bis es verblüht ist, im stillen Gutes tut.«

Als die Rosen und die Lilien in voller Blüte standen und der Garten in seiner schönsten Pracht erschien, sprach der Vater zu der hocherfreuten Marie, indem er mit dem Finger auf eine Lilie deutete, die von der Morgensonne beleuchtet war: »Die Lilie sei dir, liebe Tochter, das Bild der Unschuld! Sieh, wie schön, wie hell und rein sie dasteht! Der weißeste Atlas ist nichts gegen ihre Blätter; sie gleichen dem Schnee. Wohl der Jungfrau, deren Herz so rein von allem Bösen ist! Die reinste aller Farben ist aber auch am schwersten rein zu bewahren. Leicht ist ein Lilienblatt verletzt; man darf es nicht rauh anfassen, oder es bleiben Flecken zurück. So kann auch ein Wort, ein Gedanke die Unschuld verletzen!« – »Die Rose aber«, sprach er, indem er auf eine hinzeigte, »sei dir, liebe Marie, das Bild der Schamhaftigkeit. Schöner als die Rosenfarbe ist die Farbe der Schamröte. Heil der Jungfrau, die über jeden unanständigen Scherz errötet und sich von der Glut, die sie auf ihren Wangen fühlt, vor Gefahr der Sünde warnen lässt. Wangen, die leicht erröten, bleiben lange schön und rot; Wangen, die nicht mehr erröten können, werden bald bleich und gelb und modern vor der Zeit im Grab.« Der Vater pflückte einige Lilien und Rosen, fügte sie in einen Strauß zusammen, gab ihn Marie und sprach: »Lilien und Rosen, diese schönen Schwesterblumen, gehören zusammen und stehen auch in Sträußen und Kränzen unvergleichlich schön nebeneinander; so sind Unschuld und Schamhaftigkeit auch Zwillingsschwestern und können nicht getrennt werden. Ja, Gott gab der Unschuld, damit sie leichter bewahrt werde, die Schamhaftigkeit zur warnenden Schwester. Bleibe schamhaft, liebe Tochter, und du wirst auch unschuldig bleiben. Dein Herz sei immer rein, gleich einer reinen Lilie, und deine Wangen werden immer den Rosen gleichen.«

Die schönste Zierde des Gartens war ein kleines Apfelbäumchen, nicht größer als ein Rosenstock, das auf einem kleinen, runden Beetchen mitten im Garten stand. Der Vater hatte es an dem Tag, da Marie geboren wurde, gepflanzt, und das Bäumchen trug alle Jahre die schönsten goldgelben und purpurgestreiften Äpfel. Einmal blühte es vorzüglich schön und war ganz mit Blüten bedeckt. Marie betrachtete es jeden Morgen. »Oh wie schön«, rief sie entzückt, »wie herrlich rot und weiß! Es ist, als wenn das ganze Bäumchen nur ein einziger großer Blumenstrauß wäre!« Eines Morgens kam sie wieder – da hatte der Reif die Blüten zerstört. Sie waren bereits gelb und braun und schrumpften an der Sonne zusammen. Marie weinte über den traurigen Anblick. Da sprach der Vater: »So verderbt die sündliche Lust die Blüte der Jugend. Oh Kind, zittere vor Verführung! Sieh, wenn es dir auch so gehen sollte – wenn die schönen Hoffnungen, die du mir machst, nicht nur für ein Jahr, sondern für das ganze Leben, so dahinschwinden sollten – ach, dann würde ich noch schmerzlichere Tränen weinen als du jetzt weinst. Ich würde keine frohe Stunde mehr haben und noch mit Tränen in den Augen in das Grab sinken.« Wirklich standen ihm Tränen in den Augen – und seine Worte machten auf Marie den tiefsten Eindruck.

Unter den Augen eines so weisen und liebevollen Vaters wuchs Marie zwischen den Blumen ihres Gartens heran – blühend wie eine Rose, schuldlos wie eine Lilie, bescheiden wie ein Veilchen und hoffnungsvoll wie ein Bäumchen in der schönsten Blüte.

Mit zufriedenem Lächeln hatte der alte Mann jederzeit seinen lieben Garten betrachtet, dessen Früchte seinen Fleiß so schön belohnten; eine noch innigere Zufriedenheit empfand er bei dem Anblick seiner Tochter, an der die gute Erziehung, die er ihr gab, viel schönere Früchte brachte.

 

2. Marie im gräflichen Schloss

Einstens, an einem lieblichen Morgen zu Anfang des Mai, hatte Marie in dem nahen Wäldchen Weidensprossen und Haselzweige geschnitten, aus denen ihr Vater, wenn es im Garten nichts zu tun gab, die niedlichsten Körbchen flocht. Da fand sie die ersten Maiblümchen. Sie pflückte einige davon und machte zwei Sträußchen daraus, eines für ihren Vater und eines für sich. Als sie auf dem schmalen Fußsteig durch den blumigen Wiesengrund nach Hause ging, begegneten ihr die Gräfin von Eichburg und deren Tochter Amalia, die sich gewöhnlich in der Residenzstadt aufhielten, vor einigen Tagen aber auf ihrem Schloss zu Eichburg angekommen waren.

Marie trat, sobald sie die beiden weißgekleideten Frauenzimmer mit grünen Sonnenschirmchen erblickte, etwas seitwärts, um ihnen Platz zu machen, und blieb ehrerbietig an dem Fußweg stehen.

»Ei, gibt es denn schon Maiblümchen?« rief die junge Gräfin, die diese Blümchen mehr als alle anderen Blumen liebte.

Marie bot sogleich jeder der beiden Gräfinnen ein Sträußchen an. Sie nahmen es mit Vergnügen, und die Mutter zog ihre Geldbörse von purpurroter Seide heraus und wollte Marie beschenken.

Allein Marie sagte: »Oh nicht doch; ich nehme nichts. Gönnen Sie einem armen Mädchen die Freude, ihrer Herrschaft, von der sie schon soviel Gutes empfing, auch eine kleine Freude zu machen, ohne an eine Belohnung zu denken!«

Die Gräfin lächelte freundlich und sagte, Marie solle Amalia noch öfter Maiblümchen bringen. Marie tat es jeden Morgen, und so kam sie, solange die Maiblümchen blühten, täglich in das Schloss. Amalia fand an Mariens gutem, natürlichem Verstand, ihrem heiteren, fröhlichen Sinne, ihrem bescheidenen, ungekünstelten Betragen täglich mehr Wohlgefallen. Marie musste noch manche Stunde in Amaliens Gesellschaft zubringen, nachdem alle Maiblümchen schon längstens verblüht waren. Ja, die junge Gräfin ließ es sich öfter nicht undeutlich merken, dass sie Marie immer um sich zu haben wünsche und sie deshalb noch in ihre Dienste zu nehmen gedenke.

Nun näherte sich Amaliens Geburtstag. Marie war auf ein kleines, ländliches Geschenk bedacht. Einen Blumenstrauß hatte sie ihr schon oft gebracht. Sie verfiel daher auf einen anderen Gedanken. Ihr Vater hatte den letzten Winter einige ganz ungemein schöne Arbeitskörbchen verfertigt. Das schönste aus allen hatte er Marie geschenkt. Er hatte die Zeichnung dazu aus der Stadt erhalten, und die Arbeit war ihm ganz vorzüglich gelungen. Marie beschloss, dieses Körbchen mit Blumen zu füllen und es Amalia zum Geburtstag zu verehren. Der Vater gab dies auf ihre Bitte sehr gern zu und verzierte das niedliche Körbchen noch mit Amaliens Namen und Familienwappen, die er sehr nett und künstlich hineinflocht.

Am Morgen des Geburtstages der Gräfin Amalia pflückte nun Marie die vollsten Rosen, die schönsten weißen, roten und blauen Levkojen, bräunlichen Goldlack, hochrote, hellgelbe und dunkelbraune Nelken und andere schöne Blumen von allen Farben, brach schön belaubte grüne Zweige und ordnete die Blumen und das grüne Laubwerk so in das Körbchen, wie die Farben am schönsten voneinander abstachen. Die Seiten des Körbchens umschlang sie mit einem leichten Gewinde von Rosenknospen, das zarte grüne Moos und die blauen Vergissmeinnicht. Die frischen Rosenknospen, das zarte grüne Moos und die blauen Vergissmeinnicht nahmen sich auf dem feinen weißen Gitterwerk des Körbchens ungemein gut aus. Das ganze Blumenkörbchen war wirklich überaus schön. Selbst der ernste Vater lobte Mariens Einfall mit zufriedenem Lächeln und sagte, als sie es forttragen wollte: »Lass es noch ein wenig da, dass ich es noch länger betrachten kann.«

Marie trug das Körbchen in das Schloss und überreichte es unter den herzlichsten Glückwünschen der Gräfin Amalia. Die junge Gräfin saß eben an ihrem Putztisch. Ihr Kammermädchen stand hinter ihr und war mit Amaliens Kopfschmuck für das heutige Fest beschäftigt. Amalia hatte eine ganz ungemeine Freude und konnte nicht Worte genug finden, bald die schönen Blumen, bald das nette Körbchen zu rühmen. »Gutes Kind!« sagte sie, »Du hast ja dein ganzes Gärtchen geplündert, um mich so reichlich zu beschenken! Und dein Vater macht ja eine Arbeit – so schön, so geschmackvoll, dass ich nie etwas Schöneres sah. Oh komm doch sogleich mit mir zu meiner Mutter.« Sie stand auf, nahm Marie freundlich bei der Hand und führte sie die Treppe hinauf in das Zimmer ihrer Mutter.

»Oh sehen Sie doch, Mama«, rief sie schon unter der Zimmertür, »was für ein unvergleichlich schönes Geschenk mir Marie brachte! Ein schöneres Körbchen haben Sie wohl nie gesehen, und schönere Blumen gibt es wohl auch nicht.«

Das Blumenkörbchen gefiel auch der Gräfin sehr wohl. »In der Tat«, sagte sie, »es ist sehr schön! Ich wünschte es gemalt zu besitzen. Das Körbchen mit den Blumen, auf denen noch der Morgentau liegt, gäbe ein so schönes Blumenstück, als je der größte Maler eines gemalt hat. Es macht Mariens gutem Geschmack sehr viel und ihrem guten Herzen noch mehr Ehre.«

»Warte indes hier ein wenig, liebes Kind!« sprach sie zu Marie und winkte Amalia, ihr in das Nebenzimmer zu folgen.

»Unbeschenkt«, sagte die Gräfin in dem Nebenzimmer zu ihrer Tochter, »dürfen wir Marie nicht gehen lassen. Was meinst du, dass sich wohl am besten für sie schicke?«

Amalia sann einige Augenblicke nach. »Ich denke«, sagte sie hierauf, »ein Kleid von mir wäre wohl das beste, etwa, wenn Sie, liebste Mama, es erlauben wollen, das mit den niedlichen roten und weißen Blümchen auf dunkelgrünem Grund. Es ist zwar noch so gut als neu. Ich hatte es kaum einige Male an. Allein ich bin aus demselben herausgewachsen. Für Marie aber gibt es noch ein schönes Festkleid. Zurechtmachen kann sie es sich selbst; sie ist dazu geschickt genug. Wenn es Ihnen nicht zuviel wäre, so will ich es ihr schenken.«

»Tu das!« sagte die Gräfin. »Wenn man den Leuten etwas geben will, so muss man ihnen etwas geben, dass ihnen damit gedient ist. Das grüne Kleid mit den niedlichen Blümchen wird der kleinen Blumengärtnerin recht gut stehen.«

»Geht jetzt, gute Kinder!« sagte die Gräfin gütig, indem sie mit Amalia aus dem Nebenzimmer trat, »und sorgt für die Blumen, damit sie bis zur Tischzeit nicht welken. Da wir heute Gäste bekommen, so soll das Körbchen die schönste Zierde der Tafel sein und anstatt des Aufsatzes dienen. Dir zu danken, liebe Marie, überlass ich Amalia!«

Amalia eilte mit Marie in ihr Zimmer und befahl ihrem Kammermädchen, das Kleid zu holen. Jettchen – so hieß das Mädchen – blieb stehen und sagte: »Das Kleid werden euer Gnaden heute ja wohl nicht anziehen?« – »Nein!« sagte Amalia, »Ich werde es Marie schenken.« – »Das Kleid?« rief Jettchen schnell. »Weiß das die gnädige Mama?« – »Bringe du das Kleid«, sagte Amalia ernst, »und für das übrige lass mich sorgen.«

Jettchen wandte sich schnell um, ihren Verdruss zu verbergen, und ging. Ihr Angesicht glühte von Zorn. Zornig riss sie die Kleider der jungen Gräfin aus dem Kasten. »Wenn ich nur alle sogleich zerreißen dürfte!« sagte sie. »Das verwünschte Gärtnermädchen! Um einen Teil von der Gunst meiner Herrschaft hat sie mich ohnehin schon gebracht, und nun stiehlt sie mir noch obendrein dieses Kleid da; denn die abgelegten Kleider gehören von Rechts wegen mir. Oh, die Augen könnte ich der verhassten Blumenkrämerin auskratzen!« Indes verbiss Jettchen ihren Zorn, so gut sie konnte, stellte sich, wie sie in das Zimmer trat, freundlich an und übergab Amalia das Kleid.

»Liebe Marie«, sagte Amalia, »es sind mir zwar heute reichere Geschenke gemacht worden als dein Körbchen, aber kein angenehmeres. Die Blumen in dem Kleid da sind freilich nicht so schön als die deinigen, aber ich denke, du werdest sie aus Liebe zu mir doch nicht verschmähen. Trage das Kleid zum Andenken an mich, und grüße mir deinen Vater.« Marie nahm das Kleid, küsste der jungen Gräfin die Hand und ging.

Jettchen setzte voll Ärger, Neid und geheimem Ingrimm ihre Arbeit stillschweigend fort. Es kostete sie in der Tat keine geringe Überwindung, es Amaliens Haaren während des Frisierens nicht ein wenig empfinden zu lassen, wie aufgebracht sie war. »Bist du böse, Jettchen?« fragte Amalia sanft. »Das wäre ja dumm«, sagte Jettchen, »wenn ich böse wäre, weil Sie so gut sind.« – »Das war sehr vernünftig gesprochen«, sagte Gräfin Amalia, »ich wünschte, du möchtest auch so vernünftig denken!«