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Die Meisterbläser - Ernste und kauzige Geschichten von Roland Betsch.

Roland Betsch wurde 1888 in Pirmasens geboren und starb 1945 in Ettlingen. Er war Ingenieur und Schriftsteller.

Copyright © 2017 Peter M. Frey

Herstellung und Verlag

BoD - Books on Demand GmbH

ISBN 9783746020419

Inhaltsverzeichnis

Die Meisterbläser

Nicht etwa in der gesegneten Vorderpfalz, wo des Herrgotts beste Weine wachsen, wo die Mandeln und Feigen reifen und man durch südländisch anmutende Haine der essbaren Kastanie wandern kann, nein, in der bergigen Wälderpfalz, im melancholischen Westrich, und dort, wo es nach dem Saargebiet geht, liegen die Sickinger Höhe und das weite Landstuhler Bruch, eine Landschaft von einsamer Eigenwilligkeit. Die Menschen dort sind nicht so redselig und nicht so fröhlich, wie die weinbegeisterten Vorderpfälzer; ihre Art ist mehr besinnlich und nachdenklich, und man kann mancherlei Käuzen und Sonderlingen, auch abseitigen Eigenbrötlern begegnen.

Nicht weit nun von dem Städtchen Landstuhl, wo auf seiner Burg der Ritter Franz von Sickingen im Kampf um die deutsche Einheit fiel, liegt ein kleines Dorf, dem ein besonders abenteuerlicher Ruf anhaftet und von dem eine romantische Witterung ausstrahlt. Es ist die verborgene Geburtsstätte, hier ist der rumorende Milchbrunnen der Straßenmusikanten. Kein Haus, in dem nicht geblasen und gefiedelt, posaunt, gedudelt, trompetet und geflötet wird. Von den Alten ausgebildet, ziehen die Jungen in kleinen Trupps von drei oder vier Mann, viele auch allein, als Straßenmusikanten in die weite Welt hinaus, und weil die lustigen Märsche und Walzer und die wehmütigen Gassenhauerlieder ja eine internationale Sprache haben, darum finden die Mackenbacher auch überall auf Gottes Erdboden Verständnis und Fortkommen. So trifft man denn diese wunderlichen Westrichbauern in allen Breiten- und Längengraden, in Amerika und Australien, in Japan, der Südsee und im Wüstensand Afrikas; auf Dampfern und Segelschiffen, bei den Seiltänzern und im Wanderzirkus. Es darf verraten werden, dass ein weltberühmter Riesenzirkus seine große Cowboy-Kapelle zum größten Teil aus Mackenbachern rekrutierte, die dann mit phantasievollen Hosen, Sombreros und Patronengürteln die feurig exotischen Kunstreiterweisen schmetterten.

Alle diese Mackenbacher zieht es später wieder heim. Mit unsichtbaren Fäden sind sie an das kleine, verborgene Westrichdorf gefesselt, und es kommt eine Zeit, da müssen sie nach Hause, da kann sie nichts mehr halten, im Süden nicht und im Norden nicht, kein Weltmeer ist ihnen zu breit und kein Gebirge zu hoch: sie müssen nach Hause. Es ist, als hätte jemand aus dem Musikantendorf sie gerufen.

Ein Fahrender mit allen Winden kehrt heim

In diesem sonderbaren Herrgottswinkel hat sich vor vielen Jahren einmal eine lustige und erheiternde Geschichte zugetragen, die zu erzählen sich lohnen mag. Da kam nämlich, nachdem er viele Jahre mit seiner Messingtrompete die Welt bereist und die Völker beglückt hatte, der fahrende Musikant Kilian Gersbach in sein Heimatdorf zurück. Nach Mackenbach fährt keine Eisenbahn; wenn nun aber jemand glaubt, Kilian wäre zu Fuß gekommen, so irrt er sich; nein, er kam großartig mit der Kutsche an, denn er konnte sich das leisten. Er brachte, es darf ruhig gesagt werden, kleine und große Reichtümer mit. Kilian konnte dicke tun und den Geschwollenen spielen. Seht ihn euch an, er kam in pompöser Aufmachung, trug Reithosen mit amerikanischen Gamaschen, einen fremdländisch geschnittenen Rock mit breitem Ledergürtel und einen sogenannten Wildwesthut, grau, mit Lederband und riesiger Krempe.

So also kam Kilian Gersbach heim und brachte verfluchten Aufruhr ins Musikantendorf. Wie ein Meteor platzte er ins niedere Bauernhaus, wo die Frau Babette und das Teufelsmädel Hildegard, die mittlerweile, während Kilian sich in südamerikanischen Staaten herumgetrieben hatte, zwanzig Jahre alt geworden war, ihm gerührt in die Arme sanken.

„Krieg die neunundneunzig Kränk!“, rief Frau Babette und schlug die Hände überm Kopf zusammen, „wie siehscht du denn aus? Wenn de Bettelmann uff de Gaul kummt, reit’ er ihm’s Kreuz ein.“

„Do bin ich!“, polterte Kilian und warf den Wildwest in die Ecke.

„Jetzt macht nur kei’ Gesichter wie die Katz’, wenn’s dunnert.“

Wie schon gesagt, Kilian brachte Reichtümer mit, nicht etwa nur klingende Münze, nein, auch viele exotische Gegenstände, wie eine funkelnde Schlangenhaut, präparierte Seeigel und Zitterrochen, ein Segelschiff in der Flasche, Giftpfeile aus dem Urwald, phantastische Muscheln, in denen der Ozean rauschte, einen angeblichen echten Indianerskalp und nicht zuletzt einen lebenden kleinen Rhesusaffen, der recht penetrant roch, und, aus seiner Kiste befreit, durchs offene Fenster schnellte und mit eleganter Affenhaftigkeit im Geäst eines Holzapfelbaumes verschwand.

„Babett“, sagte Kilian und schlug sich auf den Bauch, „do bin ich und bleib’ ich. Und wenn ich auch e bissel en exotische Eindruck hinterloss’, mit de Wölf muss ma heule, un wer ke’n Hoor in de Arbeit find’, hot überall sei Fortkomme. Un eens kann ich euch sage: Wo ich geblose hab’, überall hab’ ich gut pälzisch geblose, mei Trumpet hat in alle Länder Anklang g’funde. Ja, Hildegard, so is es, un jetzt guck nit so unner dich wie e Hinkelsdieb!“

So war die Heimkehr des Mackenbacher Trompeters Kilian Gersbach. Er brachte aber nicht nur Schlangenhäute und einen lebenden Affen, er brachte auch noch eine andere Überraschung mit.

Kilian feuert eine funkelnde Rakete ab

Gewiss war es im Musikantendorf nicht das erste Mal, dass ein musizierender Bruder durch die Welt aus fernen Ländern zurückgekehrt war; bewahre, es ereignete sich dann und wann, dass es einen Fahrenden heimzog; Kilian aber kam, das ließ sich nicht leugnen, mit einem ganz besonderen Anstrich, er strahlte einen fremdländischen Nimbus aus und konnte ein recht ansehnliches Bündel Dollarnoten und auch noch andere ausländische geheimnisvolle Papierscheine vorzeigen. Er roch aus allen Knopflöchern nach Wohlhabenheit und spielte sich auf wie einer, der lange Stangen hat, um Würste drauf zu hängen.

Außerdem ging er abends in den Reithosen, mit dem Wildwester und dem Schabernackaffen ins Gasthaus zum Ochsen, wo schon viele Mackenbacher versammelt waren, und zeigte sich der staunenden Heimat. Sie begafften ihn und seinen lustigen Affen und ließen sich von ihm Abenteuer und Wildwanderfahrten erzählen, hörten staunend von Schiffen und Stürmen, und Gelbfußindianern und Rindviehherden, von amerikanischen Großstädten und Kaffeeplantagen. Alle diese kuriosen Dinge hatte er, Kilian, erlebt und alle hatte er trompetend und dudelnd hinter sich gebracht. Welch eine Wunderkraft steckte doch in solch einer einfachen Trompete. Zu allem Überfluss kauderwelschte Kilian spanische Brocken und englische Brocken, behauptete aber hinterher, das Pfälzische sei die schönste Völkersprache der Welt, und im Grunde sei ihm das ganze Spanisch und Englisch so lieb wie ein Holzprotokoll.

„Reichtum macht die Welt nit aus, un Schönheit nit, ihr Leut’, ich sag’s euch: einzig und allein des musikalische Ohrenschmalz und die gut’ Ambuschur.“ (Mit Ambuschur meinte er das französische Wort embouchure, zu deutsch Mundstück, ein Fachausdruck, der jedem blasenden Musikus bekannt ist und den guten Lippenansatz am Mundstück des Blasinstrumentes bedeutet.) Und alle stimmten ihm zu, denn sie wussten, wie wichtig für die Bläser die gute Ambuschur ist.

„Und mit selber Ambuschur, ihr Leut’, bin ich iwwer Meer und Länder komme. Ich bin mit ihr ums Kap Horn bei Windstärke elf, und sie hot mich unter Gäulsdieb und Goldsucher nie im Stich gelosst. Und noch eens merkt euch, wenn ihr iwwer Große Wasser geht: bleibt pälzisch und blost immer die pälzisch Partitur. Immer die pälzisch Partitur!“

Es gab einen vergnügten Abend im Ochsen. Sie tranken einen Wein aus der Freinsheimer Gegend, der hieß „Freinsheimer Musikantenbuckel“; war ein rassiger Riesling mit einem schönen stahligen Schwänzlein hinten dran; wer sich in der Pfalz gut auskennt, dem wird auch der „Friesenheimer Musikantenbuckel“ nicht unbekannt sein.

Es war da auch im Ochsen ein junger Bursche mit rötlichen Haaren; der tat gern vorlaut und wollte etwas Besonderes sein. Er hieß Franz Pfannstiel und war gar nicht mal aus Mackenbach gebürtig; im Gegenteil, er war ein angenommenes Kind und stammte aus dem pfälzischen Oberland, aus der Gegend von Berzabern, wo der Muskateller wächst und in guten Bucheljahren winters die nordischen Bergfinken kommen. Man nennt diese Fingen - fringilla montefringilla - auch Böhämmer und hat sie früher in abenteuerlichen Jagden mit Blasrohr und Lehmkugel beim Schein schwelender Pechpfannen nachts geschossen. Franz Pfannstiel, es liegt auf der Hand, hatte in Mackenbach den Uznamen Böhammer, und er war nicht gerade der Liebling des Dorfes, weil er immer aufschnitt und Wind machte wie ein Dudelsack.

Der Böhammer konnte es nicht unterlassen, die Erzählungen Kilians ein wenig spöttisch zu belächeln. Man wusste auch, dass er hinter Kilians Tochter Hildegard her war und ihr aus dunklen Gründen manchmal das Leben sauer machte.

„Hascht du was zu melde, Böhammer!?“, rief ein Mackenbacher namens Huller, ein derber Bursche, der das Bombardon blies, einen guten Zug am Hals hatte und dem man nachsagte, er brauchte schon einen Schoppen, ums Maul auszuschwenken.

„Ich hab’ kei Wort gered’t“, brummte der Böhammer.

„Awwer gelacht haschde.“

„Jawohl, iwwer die pälzisch Partitur.“

„Was verstehscht du von der pälzisch Partitur! Wenn du so lang wärst, wie dumm, könnt’ste aus’m Dachkandel saufe.“

Es hätte ums Haar einen kleinen Streit gegeben, aber der Kilian trat dazwischen und machte der Sache ein Ende.

„Sei du mal still, du Dollebohrer, und tu mir nit so vorlaut!“

Da war auch noch der Max Spangenberg, ein armes Luder, aber ein schmucker Bursche, der wunderbar das Piston blies und von allen beneidet wurde. Es war auch nicht unbekannt, dass er bei Hildegard einen besonderen Stein im Brett hatte.

„Er will uffs Konservatorium“, rief Max Spangenberg, „un e Oper will er komponiere. Er pfeift uff die Mackenbacher Tonleiter.“

Es gab ein brüllendes Gelächter. Kilian klatschte sich auf die Schenkel und nahm dann einen tiefen Schluck. „Konservatorium! So wird’s recht. Dich hot der Esel aus der Wand geschlage. Mit die’m Konservatorium! Dir merkt man uff sechs Meile an, dass de kei Mackenbacher bist! Was willst denn du komponieren? Das sag’ mir mal, was komponiere willst! Bis du dich vorne bückst, is hinte Nacht.“

„Das werdet ihr schon sehe.“

„Ja, ja, du hast’s im Griff wie de Bettelmann die Laus. Geh fort und verderb’ mir die gut’Laun’ nit!“

„Vatter Kilian“, rief Max Spangenberg und deutete auf den erbosten Böhammer, „wenn wo fis steht, blöst der f, un wenn wo f steht, blost er fis.“

„Ha ha ha!“, polterte Kilian los. „Ich sag’s doch. im fehlt’s musikalische Ohrenschmalz.“

Der Böhammer wurde fuchsteufelswild, stieß auf den Max vor und wollte handgreiflich werden.

„Falsch geblose is immer noch ehrlich geblose.“

„Was soll des heiße?“, Max stieg das Blut zu Kopf.

„Wer’s weiß, wird’s wisse.“

„Was wird er wisse, du Olwel?“

„Dass einer im Dorf is, der hat erst kei Piston gehabt, un plötzlich über Nacht hat er eins gehabt. He he he!“

Kilian Gersbach machte dem Streit ein Ende. Mit den südamerikanischen Stiefeln trat er wuchtig dazwischen und gebot Ruhe. Die Köpfe waren erhitzt, denn alle hatten schon kräftig dem „Freinsheimer Musikantenbuckel“ zugesprochen. Auch den Rhesusaffen hatten sie betrunken gemacht. Er sprang jetzt auf den Schänkentisch hinauf, tobte unter den Gläsern und Flaschen, griff nach einer geräucherten Blutwurst und warf die bronzierte Gipsgermania herum.

Gegen Mitternacht brannte Kilian Gersbach, der Wanderer mit allen Winden, seine funkelnde Rakete ab. Er bat um Ruhe, pflanzte sich in der Mitte des Gastzimmers auf und ließ eine Rede los, worin er die Trompeten und Klarinetten, die Bombardons, Tenorhörner und Flöten, die Ambuschur und die Mackenbacher Partitur über das Bohnenlied lobte und erklärte, mit ihnen könne man wie Napoleon die ganze Welt erobern. Und weil weder Geld noch Gut das wahre Glück der Welt ausmache, hingegen eine gute,