ROBERT SCHEER wurde 1973 in Carei, Rumänien geboren. Seine Muttersprache ist Ungarisch. 1985 emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Nach einer abgebrochenen Karriere als Rockmusiker studierte er Philosophie in Haifa und Tübingen. Seit 2003 lebt er in Tübingen. Weiteres zum Autor unter www.robertscheer.de

Von Robert Scheer erschienen bisher:

Der Duft des Sussita. Roman, Hanser Berlin (Hardcover) Pici. Sachbuch, Marta Press, Hamburg

Matthäus-Passion. Ein humorvolles Roadmovie aus Israel.

Roman, Hamsa Verlag, BoD, Hamburg

Tacheles. Ein Freibad-Roman, KDP

Über dieses Buch:

Sussita ist kein Cocktail, auch keine glutäugige Schönheit, Sussita ist der Trabi des Nahen Ostens. Welch ungeahnte Wirkung dieses Nationalauto auf Menschen und Kamele hat, wie Lothar Matthäus und Rabbi Avramoff am defensiven Mittelfeld scheitern und der erste Kibbuz privatisiert wird, davon erzählt Robert Scheer in seinem Debüt.

In zwölf miteinander verbundenen Geschichten zeigt Robert Scheer Bilder eines zutiefst zerrissenen Gelobten Landes mit all seinen Widersprüchlichkeiten und Verwerfungen. Stets präsent dabei Onkel Sauberger, der leidenschaftliche Liebhaber unkoscherer Metzgerware. Dieses Buch zeigt einen Autor, bei dem brillante Komik, eine dezidiert politische Weltsicht, kakanische Umständlichkeit und orientalische Üppigkeit eine umwerfende Melange eingehen!

Bibliografische Informationen der

Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Bibliografische Daten im Internet über www.dnb.de abrufbar

Robert Scheer:

Der Duft des Sussita. Humorvolle Stories aus Israel

© Robert Scheer 2020

Alle Rechte vorbehalten

Satz: RapidSatz

Umschlag: Bcover (Besonderer Dank an Peter-Andreas Hassiepen für das Kamel-Motiv)

Vollständige Taschenbuchausgabe der im Hanser Berlin Verlag erschienenen Hardcoverausgabe

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-75049-170-0

Für meine Familie

INHALT

DER DUFT DES SUSSITA

Der einzelne wird bei uns weder zwischen den Mühlsteinen des Kapitalismus zermalmt, noch von sozialistischer Gleichmacherei geköpft. Wir kennen und schätzen die Entwicklung des Individuums, so wie wir seine wirtschaftliche Basis, das Privateigentum, respektieren und schützen. Theodor Herzl, »Altneuland«

Im Jahr 1986, welches nach unserem, dem jüdischen Kalender das Jahr 5746 ist – denn es war vor 5746 Jahren, als für uns nicht weniger als die ganze Welt erschaffen wurde –, also, im Jahr 1986 war es endlich da, unser allererstes Auto, der Sussita, der nicht nur für uns selbst, sondern für das ganze Land die Welt bedeutete. Weiß und groß. Es stand vor unserem Haus. Wir schauten aus dem Fenster. Es gefiel uns, was wir sahen. Sehr sogar. Ein Schmuckstück, fanden wir.

Dies waren die Jahre, als Israel noch an der Weltspitze war. Wir konnten stolz sein, nicht wie heute, damals hatten wir nicht nur die besten Panzer und Gewehre und Soldaten und Bananen und Falafel, sondern auch das beste, oder jedenfalls eines der besten Autos der Welt, den Sussita.

Tatsache.

Nun stand der Stolz der Nation, der Stolz der ganzen jüdischen Religion unbefleckt in all seiner Pracht in unserer Stadt, in unserer Straße, vor unserer Wohnung. Ich bin kein nostalgischer Mensch, aber wenn ich an diese Zeiten zurückdenke, bekomme ich Gänsehaut. Schon lange hatte sich meine Familie nicht mehr so verbunden gefühlt.

Man konnte ihn, den Sussita, in einem Atemzug mit Mercedes und Toyota und Chevrolet und, ja, mit Jaguar aussprechen. Dies waren Jahre, in denen noch etwas geleistet wurde, ohne viel zu reden.

Dies waren Zeiten, in denen das Wort noch als Wort galt und das Auto noch als Auto. Nicht wie jetzt. Heute sind wir nicht mehr Weltspitze. Damals waren wir es. Und dazu hatten wir ein Auto. Heutzutage haben wir nicht einmal eigene Autos. Nur importierte Autos. Die meisten aus Japan, aber auch aus Europa und Amerika. Uns bleibt heute nur eines: die Hoffnung. Sonst haben wir nichts mehr.

Der Sussita stand also buchstäblich vor unserer Tür.

Er war mit vielen kleinen Wimpeln dekoriert. Wie ein Andachtsobjekt. Ein Kunstwerk. Ein Meisterwerk israelischer Autoingenieure, die dieses Auto jahrelang, vom einfachsten Entwurf auf dem Papier bis zur Vollendung, begleitet hatten.

Mir war, als hätte der Sussita mir zugezwinkert, also zwinkerte ich zurück, instinktiv. Hallo. Oder war es bloß ein Sonnenstrahl, der den Sussita traf und mein Auge blendete? Ein Sonnenblitz? Jedenfalls fühlte ich mich für wenige Sekunden, als wäre ich selbst das Auto.

In diesen fröhlichen Momenten hatten wir alle das Gefühl, die Fähnchen des Sussitas hätten uns willkommen geheißen. Wie die Wellen des Meeres. Es waren schöne Zeiten im Lande von Milch und Honig.

Die kleinen blau-weißen Fähnchen flatterten wie Schmetterlinge in der heißen Luft.

Wie der Sussita im Zentrum unserer Blicke, so stand der Davidstern im Zentrum der kleinen Fähnchen, blau und groß. Die kleinen Fahnen mit dem weißen Hintergrund, den zwei blauen Linien und dem Davidstern schmückten das noch ungeöffnete Geschenk. Sie winkten und begrüßten uns. Hallo, Schalom.

Der Sussita hatte viele Spitznamen: Kanaans Pferd und Samsons Eisenpferd, König Davids Stolz und Israels bewegte Kraft sind nur wenige Beispiele für die Beschäftigung der Israelis während der Wartezeit auf den Sussita.

Viele Menschen schauten damals fern oder hörten Nachrichten im Radio oder warteten. Nicht auf den Messias, was ja nach so vielen Jahrtausenden fast wie eine Selbstverständlichkeit erschien, nein, man wartete nun auf ein Auto und man musste lange warten und sich gedulden, Geduld, viel Geduld haben, man wartete gleichzeitig auf den Messias und auf den Sussita. Es war ein nationales Warten. Das ganze Land Israel wartete.

Wie die Dinosaurier sind inzwischen auch die Sussitas ausgestorben. Die Sussitas sind Vergangenheit. Meine Geschichte stammt gleichfalls aus der Vergangenheit. Eine Sussita-Geschichte. Eine gescheiterte Geschichte. Mercedes und Porsche haben überlebt. Jaguar und Toyota haben überlebt. Der Sussita konnte die Prüfung der Zeit nicht bestehen.

An diesem Tag des Jahres 1986 machten wir uns auf, in den Sussita zu steigen.

Was für ein Motor!, sagte mein Vater und gab Gas. Mein Bruder Gabriel bewegte sich unruhig. Er saß auf dem hinteren Sitz neben mir. Er saß hinter unserem Vater, der den Sussita mit aller Hingabe steuerte, während ich hinter der Mutter saß. Platz hatten wir mehr als genug. Der Sussita war bequem und enorm groß. Mehr konnte man sich nicht wünschen, sagte mein Vater ein paar Mal. Meine Mutter nickte. Ich nickte. Mein Bruder nickte.

Ich habe Hunger, sagte mein Bruder.

Keine zehn Kilometer saßen wir in dem Sussita, und er hatte Hunger.

Tatsächlich hatten wir an dem Tag nichts gegessen, vor lauter Sussita.

Auch ich hatte Hunger. Sogar meine Mutter hatte Hunger.

Also Nazareth?, fragte Mutter.

Jawohl! Nazareth.

Es dauerte nicht lange bis Nazareth.

Das Essen war gut gewürzt.

Wir kehrten zu unserem Auto zurück. Vor lauter Hunger hatten wir ihn fast vergessen. Den Sussita. Jetzt wollten wir zu ihm zurück. Doch wir konnten ihn nicht finden.

Falsch geparkt?

Könnte sein.

Abgeschleppt?

Um Gottes willen.

Gestohlen?

Auf keinen Fall.

Vergesslichkeit? Orientierungslosigkeit meines Vaters?

Bist du sicher, dass wir hier geparkt haben?, fragte Mutter.

Ja, sagte mein Vater. Vielleicht auch weiter oben?

Ja oder nein?, fragte meine Mutter.

Nein, ja. Ja, sagte mein Vater.

Wir suchten nach dem Auto. Wir liefen die Straßen ab von oben nach unten. Kreuz und quer. Wir sahen Werkstätten mit Bergen von Motoren und Keilriemen und Reifen und anderen Autoteilen, große und kleine.

Die eine moderne Werkstatt war auf das Ausschlachten von Autos spezialisiert, während eine andere, heruntergekommene, aussah wie ein Autofriedhof. Tote Autos und kranke Autos. Alle Arten, sortiert nach Typen, aus verschiedenen Jahren, guten und schlechten Zeiten.

Auch Autos, die Schönheitsoperationen zu überstehen hatten, sahen wir. Bunte und weiße. Öffentliche Busse und private. Autos. Meere und Ozeane von Wagen. Schöne und hässliche, praktische und unpraktische. Leichte und schwere Autos. Lange und kurze Autos. Breite und schmale, attraktive und abstoßende.

Wir sahen auch überall unorganische Wesen, Gummi und Eisen und Stahl und Blech. Mechanik und Technik. Fortschritt der Menschheit und ihr Untergang.

Haufen von verbogenen Scheibenwischern sahen wir in anderen kleineren Werkstätten. Kaputte und brauchbare Autoreste. Viele alte Autos und einige neue. Verkrüppelte und blinde und verbrauchte und lahme und aussätzige. Kaputte ausländische Autos und auch – Sussitas. Eine Menge Sussitas. Einer schöner als der andere.

In einer Hinterhofgarage schien es mir, als hätte ich eine Leiche gesehen. Ich erschrak. Ich konnte nicht atmen. Es roch nach Verbranntem. Ein Geruch, der den Magen umdreht. Mich ekelte dieser Geruch. Mir wurde schwindlig. Und übel.

Mein Kopf drehte sich so schnell, als wäre ich betrunken. Ohne Kontrolle. Wo bin ich? Wer bin ich? Ich hielt mir mit einer Hand den Kopf, mit der anderen den Bauch. Ich atmete schnell. Dann langsam. Einatmen und Ausatmen. Atmen. Wollte mich übergeben. Musste. Dann fragte meine Mutter etwas. Ich verstand sie nicht. Was?

Es ist keine Leiche, sagte ich.

Was sagst du?, fragte meine Mutter.

Nur Motoren, Automotoren, Leichenteile von Autos, viele kaputte Autos, sagte ich.

Neben der Hinterhofgarage stand ein Sussita. Dieser Sussita war blau. Unserer weiß. Danach entdeckte mein suchender Blick einen anderen Sussita. Schwarz. Wie der Tod. Hässlich. Und schön. Ich betrachtete den schwarzen Sussita noch einige Augenblicke, bis eine verschleierte Frau ihn verdeckte. Unwillkürlich blickte ich zum Himmel. Viele große Wolken und heiße Luft. Alles trocken. Ich schwitze. Mit meiner Zunge befeuchte ich meine Lippen. Ich schaue ins Leere. Eine Taube. Weiß? Grau? Eine wilde Taube. Autogeräusche. Ein Renault 12 und ein Peugeot 405, oder ist es ein 505? Ein Wagen, gezogen von einem Esel. Ein Auto dahinter hupt. Irritierend und laut. Der Fahrer schimpft auf Arabisch. Der Jüngling, der den Esel führt, bittet um Geduld. Das Auto überholt. Ein Subaru.

Hier ist er!, rief mein Bruder. Ich habe ihn gefunden!

Endlich, sagte mein Vater und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Tatsächlich: ein weißer Sussita.

Aber nicht unserer. Nur so ähnlich wie unserer. Neu und weiß und groß. Nein. Nicht unserer. Wir suchten weiter. Fanden ihn aber nicht. Wir fanden uns am selben Parkplatz wieder, an dem wir ihn geparkt hatten.

Mein Bruder rief uns und zeigte auf eine Autoscheibe. Ein Motor war auch da. Wie ein Skelett. Nein. Kein Knochen. Herzmuskel. Ja. Das Herz.

Offensichtlich ein Sussita-Motor.

Was war passiert.

Wir waren ratlos.

Atemlos.

Wir fragten einen Araber, ob er vielleicht unser Auto gesehen habe.

Ein Auto, sagte er mehr zu sich und fragte, was für ein Auto.

Weiß, sagte mein Vater. Ein Sussita. Ein weißer Sussita.

Der Araber schüttelte den Kopf:

Du fragst mich, wo dein Auto steht? Hier parkt ihr euer Auto? Habt ihr das Schild nicht gesehen? Schaut ihr, kommt ihr! Seht ihr?

Bist du wahnsinnig, sagte der Mann. Hier parkst du? Auf dem Schild steht doch Dschamal, Dschamal. Vorsicht, Kamele. Siehst du?! Dschamal. Dschamal. Kamele, Kamele. Da, da! Siehst du? Hier parkst du? Hier? Es gibt doch kamelsichere Parkplätze. – Siehst du das Parkhaus dort? Ja, dort! Das wäre ein kamelsicherer Parkplatz gewesen. Warum parkst du ausgerechnet hier? Bist du meschugge? Völlig ahnungslos? Du siehst doch das Schild: Dschamal, Dschamal. Hast du wenigstens ein Spray!? Oder?! Natürlich! Niemand würde hier ohne Spray parken, niemand. – Du hast ein Spray?!

Ein Spray?

Mein Gott! Ihr habt kein Spray! Furchtbar. Ganz furchtbar, sagte der Mann.

Was für ein Spray?

Was für ein Spray, sagte der Mann. Du fragst mich, was für ein Spray?! Um Gottes willen! Wo lebt ihr eigentlich? Auf einem anderen Planeten? Mars? Saturn? Venus? Wir sind auf der Erde! Hier. Jetzt. Was für ein Spray?! Mein Gott. Du lieber Gott! Er fragt mich, was für ein Spray. Es ist ja unglaublich. Unglaublich!

Ein Spray, sagte mein Vater.

Jawohl, sagte der Mann. Nicht irgendein Spray. Das Anti-Kamel-Spray. Lech-Mi-Po-Gamal-Spray.

Wie bitte?, rief mein Vater.

Das Anti-Kamel-Spray. Lech-Mi-Po-Gamal-Spray. Kamel-Geh-Weg-Spray. Hörst du nicht gut? Das Anti-Kamel-Spray. Was sonst? Soll ich es noch ein paarmal für dich wiederholen? Anti-Dschamal-Spray. Anti-Dschamal-Spray! Besser? Besser? Jetzt verstehst du? Hmm? Verstehst du? – Ihr kommt hierher ohne Spray. Was habt ihr in euren Köpfen? Nichts?! Nichts! Leere Köpfe, hirnlose Köpfe. Mein Lieber! Mein Lieber! Ihr parkt hier und habt kein Spray! Hier?! Ihr seid doch wahnsinnig, wahnsinnig, ihr müsst ja wahnsinnig sein, hier zu parken, es ist der pure Wahnsinn, um Gottes wil len, ihr seid nicht normal, nein, nein, nein! Was ist los mit euch? Was? So eine Dummheit! Dumm, dumm, dumm! Mein Lieber! So etwas habe ich noch niemals … Mein Lieber! – Wenigstens für ein, zwei Stunden könnte dieses Spray die Kamele fernhalten. Nicht mehr als zwei Stunden, aber immerhin. Ohne Spray kommt ihr hierher … ohne Spray? Es ist unglaublich. Ich habe so etwas noch nie gehört. Nie! – Du parkst hier und hast kein Spray … Was denkt ihr euch? Ohne Spray hierherzukommen ist nicht nur verantwortungslos, nein, es ist der reinste Wahnsinn. Die verantwortungsvollen Menschen parken dort, siehst du, dort gibt es vergitterte Tiefgaragen. Siehst du? Genau! Dort. Siehst du? Siehst du? Dort kann man parken. Dort ist es sicher. Es gibt ja viele kamelsichere Parkplätze hier in der Stadt, mehr als genug. Mehr als genug dschamalsichere Parkplätze, überall gibt es solche Parkplätze. Schau, schau! Überall nur Parkplätze über Parkplätze über Parkplätze. Dschamalsichere, dschamalsichere! – Einen ganzen Dschungel von Parkplätzen, überall. Schaut euch um! Wenn du hier parkst und kein Spray hast, was ja – unglaublich, so etwas …! Mit dem Spray könntest du die Kamele für ein, vielleicht zwei Stunden, höchstens für zwei Stunden abhalten. Auf gar keinen Fall aber mehr als zwei Stunden. Ein Spray, das die Kamele länger abhält, gibt es noch nicht. Ein Spray, das die Kamele länger als zwei Stunden fernhalten kann … so etwas existiert noch nicht. Leider. Noch nicht. Leider, leider, leider. Nur zwei Stunden. Höchstens. Wenn man Glück hat. Nur dann. Zwei Stunden. Wenn das Wetter optimal ist. Ist das Wetter zu warm, kommen die Kamele früher. Bei schwülem Wetter nur eineinhalb Stunden. Höchstens. Nicht eine Sekunde mehr. Höchstens eineinhalb Stunden. Heute ist es ja schwül. O mein Gott … Aber ihr habt überhaupt kein Spray. Unverzeihlich. So eine Dummheit! Dann stürzen sich die Kamele auf die kleinsten Reste. Wie Geier stürzen sie, die Kamele stürzen sich drauf wie Geier und fressen alles auf, ganz auf. Nichts bleibt übrig. Nichts! Kein Sussita Krümel bleibt übrig von diesen Kamel-Orgien. Bis auf den Knochen aufgefressen. Ein Biss nach dem anderen. Schonungslose Bisse. Kamelbisse. Gierige, ungeduldige Bisse. Tierische Leistung und bestialischer Konsum. Bis es nichts mehr gibt. Keinen Knochen, keine Eingeweide, kein Herz, keinen Motor, nur ölige Restteile. Alles aufgefressen. Alles weg. Die Kamele sind Kannibalen, diese Dschamale sind reinste Kannibalen, wenn es um den Sussita geht. Raubtiere. Nicht zu stoppen. Die Dschamale – man kann nichts dagegen tun. Nichts gegen die Dschamale. Nichts! Gut, dass ihr es nicht gesehen habt. Gott sei Dank. Ein Massaker. Die Kamele sind Assassinen, Sussita-Mörder. So sind diese Dschamale. Mein Lieber, mein Lieber … – Ihr müsst verstehen, was so etwas für ein Kamel bedeutet. Die Kamele sind nicht einmal Genuss-Tiere, wie die Löwen oder die Wölfe oder die Menschen. Die Menschen sind doch Wölfe zueinander. Durch und durch Genuss-Kreaturen sind wir. Die Menschen – sie essen und fressen aus reiner Freude. Nicht aber die Kamele, nicht die Dschamale. Nur wenn es um einen Sussita geht, nur dann werden sie zu Genuss-Tieren. Nur dann. Aber dann sind sie nicht mehr zu stoppen. Dann werden sie orgiastisch. Es scheint, dass die Sussitas aphrodisierend auf die Kamele wirken. Eine Orgie. Mein Gott! Die Kamele fressen keine Mercedes oder Subarus oder Peugeots oder amerikanische Autos. Nur Sussitas. Dann werden sie erregt und orgiastisch. Ojojoj! Warum fressen die Dschamale diese Autos nicht? Warum nur Sussitas? Warum fressen sie nicht einmal die Pappautos aus Osteuropa? Warum? Warum?! Weißt du? Du weißt es nicht? Mein Gott! Du lieber Gott! Ihr müsst ja verrückt sein! Was ist los mit euch? Hier zu parken? Ohne Spray? Du parkst hier einen Sussita und wunderst dich noch?! – Die Kamele mögen ja nichts lieber als das süße Papier des Sussitas. Sie haben eine Schwäche … und nicht nur die Kamele! Der Sussita ist ja aus Papier gemacht. Aus einer Art Karton, also nichts als Papier, süßes Papier. Papier! Versteht ihr, was ich sage? Papier. Es schmeckt und riecht wie Fladenbrot, das Papier. Die Kamele sind ja nicht dumm, sie mögen dieses Papier wie nichts anderes. Es duftet wie Fladenbrot, frisches Fladenbrot. Natürlich fressen die Kamele solche Autos auf. Sussitas, die Lieblingsspeise der Kamele. Intelligente Tiere mit einem guten Geschmack. Äußerst intelligent sind die Kamele. Und Menschenfreunde. Nicht nur Hunde, auch die Kamele sind unsere besten Freunde. Aber wie wir alle haben sie ihre Eigenheiten.

Scheiben und Motoren können sie nicht essen, sie können sie ja nicht verdauen. Sonst aber alles. – Ich wette, dass ihr in einem Restaurant gegessen habt, während der Sussita hier stand und aufgefressen wurde. Allein. Habe ich recht? Habe ich recht? Ihr habt Hunger gehabt. Oder? Habe ich recht? Ja, natürlich hattet ihr Hunger. Wie kann man keinen Hunger haben? Was für Menschen seid ihr? Mein Lieber! Ich kann es nicht fassen, wirklich nicht. Ganz verrückt! In dem Sussita zu sitzen und keinen Hunger zu haben ist unmöglich. Das ist doch klar. – Ihr wisst es nicht? Mein Gott! Es ist doch klar! Früher oder später wird man im Sussita Hunger bekommen, einen tierischen Hunger. Und es wird früher geschehen als später. Früher und nicht später! Man sitzt in dem Sussita und wird hungrig, das ist ganz klar. Könnt ihr mir folgen? Ja? Ja? Für die Kamele und auch für die Menschen ist dieses Papier des Sussitas unwiderstehlich. Unwiderstehlich! – Wie kann man so blöd sein? Einfach so den Sussita hier stehen zu lassen! So etwas habe ich noch nie gehört! Die Kamele können ihm nicht widerstehen, Menschen können ihm nicht widerstehen, niemand kann ihm widerstehen. Niemand! Kapiert ihr, was ich sage? Versteht ihr? Ja? Ja? Mein Gott! Du lieber Gott! Die Kamele wollen ihn essen und fressen, und die Menschen werden hungrig, wenn sie in ihm sitzen – so ist der Sussita. Kein Wunder also, dass ihr Hunger hattet. Es wäre ja ein Wunder, wenn ihr in dem Sussita gesessen und keinen Hunger gehabt hättet, das wäre ja nicht normal gewesen. Natürlich hattet ihr Hunger. Wenn ich an den Sussita nur denke, ihn mir nur vorstelle, wie er riecht, sein Papier, süßes Papier, duftend wie frisches Fladenbrot, wie herrliche Sesamsauce. Allein der Gedanke daran macht Hunger. Nur daran zu denken macht Hunger. Hunger! Man wird ohnmächtig vor Hunger. Ihr seid ja vollkommen verrückt! Mein Gott! Völlig verrückt seid ihr! – Ihr fragt mich, wo euer Auto steht? Chuzpe! Chuzpe, liebe Freunde! Was für eine Frage! Jedenfalls habt ihr einen guten Geschmack, gewiss. Ein gutes Auto, bevor es von Kamelen gefressen wurde, aber immerhin, ein gutes Auto, der Sussita. Keine Frage. Israelische Autokunst, gewiss. Ja. Ja. Nicht nur ein tolles, gutaussehendes, nicht nur ein technisches Meisterwerk, nicht nur das, nein, diese Dinge sind doch klar. Schön und gut gemacht, zweifellos. Alle wissen das. Und alle wissen auch – offensichtlich wisst nur ihr es nicht, sonst wissen es alle –, dass es auch ein kulinarisches Meisterwerk ist: nicht irgendein Döner, sondern eine Delikatesse, wie Halva und Baklava.

Das ist die Wahrheit, sagte der Mann.

Als der Mann noch etwas sagen wollte, sahen wir einen anderen Araber, der auf einem Kamel saß. In seinen Händen hatte er Geschenkartikel für Touristen. Heiliges Wasser und eine Menge geschnittener Holzkreuze in jeder Größe. Der Araber zwinkerte uns zu, sein Kamel schien etwas zu kauen.

Salam aleikum, rief der Araber uns zu.

Vielleicht erkannte er uns.

Langsam entfernten sie sich beide, bis sie irgendwann verschwunden waren.

DAS EVANGELIUM NACH
MATTHÄUS

Das Evangelium nach Matthäus heißt: Defensives Mittelfeld. Dies las ich in der Zeitung, als mein Telefon klingelte. Ein Funktionär des Fußballvereins Maccabi Netania fragte mich, ob ich als persönlicher Dolmetscher für den neuen Trainer des Teams, Lothar Matthäus, arbeiten wolle.

Wann ich zum Stadion in Netania kommen könne, wurde ich gefragt.

Morgen?

Sie gaben mir eine Stunde.