Eine quasi-experimentelle Vergleichsstudie zu den Chancen und Grenzen des Einsatzes elektronischer Lehrbücher in der Hochschule
Annika Brück-Hübner
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Studiengangs „eEducation: Bildung und Medien“ an der Fernuniversität in Hagen als „Masterthesis“ verfasst.
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© 2020 Annika Brück-Hübner
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7519-0926-6
In den letzten Jahren haben digitale Lehrbücher zunehmend Einzug in die Hochschullehre gehalten. Bislang gibt es aber nur sehr vereinzelt Studien, welche deren Chancen und Grenzen für das universitäre Lernen untersuchen. Diese Arbeit verfolgt das Ziel, das Potential digitaler Lehrbücher hinsichtlich der Förderung des Lernerfolgs von Studierenden zu analysieren und diskutieren. Dies erfolgt auf Basis theoretischer Überlegungen sowie einer quasi-experimentellen Vergleichsstudie mit einer Kontroll-(n=30) und drei Experimentalgruppen (Arbeit mit einem papierbasierten [pBook] [n=61], einem elektronischen [eBook] [n=40] oder einem multimodalen Lehrbuch [mBook] [n=56]).
Die Ergebnisse zeigen, dass das Lernen mit eBooks weniger erfolgreich verläuft als das Lernen mit mBooks, während die Arbeit mit pBooks zum größten Lernerfolg führt. Differenziertere Analysen verdeutlichen jedoch die Komplexität der Wechselwirkungszusammenhänge zwischen Lehrbuchformat, Lernerfolg und weiteren Einflussvariablen. Es bedarf weiterer empirischer Studien, die diese Zusammenhänge untersuchen.
Schlagwörter: papiergebundene Lehrbücher; digitale Lehrbücher; Lernerfolg; Hochschulbildung
While in recent years the use of digital textbooks has emerged higher education, little research exists to describe their opportunities and limits for learning. This Thesis aims to assess and discuss the potential of digital textbooks for learning success in higher education. This will be carried out on the basis of theoretical considerations as well as a quasi-experimental comparative study with one control (n=30) and three experimental groups: a paperbased- (pBook) (n=61), an electronic- (eBook) (n=40) and a multimodaltextbook-group (mBook) (n=56).
The results indicate, that learning with eBooks is less successful than learning with mBooks, while pBooks promotes learning best. Differential data analysis clarifies that there are complex interdependencies between textbook format, learning success and other influential variables. Further research is needed to analyse these relationships.
Keywords: paperbased textbooks; digital textbooks; learning success; higher education
Durch die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft verändert sich nicht zuletzt auch das Lehren und Lernen in Schulen und Hochschulen. Getrieben durch die technologischen Entwicklungen unterliegen die in Bildungskontexten eingesetzten Lehr- und Lernmaterialien in den letzten Jahren und Jahrzehnten einem zunehmenden Wandel (Schön & Ebner, 2012a, S. 105, 2012b, S. 1). Auch Lehrbücher – welche in der Hochschulbildung einen zentralen Stellenwert einnehmen (Rockinson-Szapkiw, Courduff, Cater, & Bennett, 2013, S. 259) – sind hiervon betroffen. Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass immer mehr Buchverlage ihre Lehrbücher nicht mehr nur in gedruckter, sondern auch in digitaler Form zum Kauf anbieten. So hat beispielsweise der Springer-Verlag derzeit bereits weit mehr als 200.000 digitale Lehrbücher in seinem Angebot.1 Spezielle Lizenzverträge zwischen den Verlagen und den Universitätsbibliotheken eröffnen zudem Studierenden die Möglichkeit, diese digitalen Lehrbücher kostenfrei und flexibel abzurufen – und je nach geltendem Urheberrecht – auch abzuspeichern, zu kopieren, zu bearbeiten und/oder auszudrucken.2
In der aktuellen Diskussion wird den digitalen Lehrbüchern häufig ein Mehrwert gegenüber der papiergebundenen Variante zugeschrieben. Dieser wird unter anderem in der Platz- und Gewichtseinsparung, aber vor allem auch in den neuen Aktualisierungsmöglichkeiten, der größeren Vielfalt an Darstellungsmöglichkeiten, der Hypertextstruktur und der Interaktivität gesehen (Rezat, 2014, S. 9). Mit diesen neuen Möglichkeiten sind zugleich auch Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lernwirksamkeit von Lehrbüchern verbunden (Blömeke, 2003, S. 57). Angesichts der Tatsache, dass es sich bei einem Großteil der derzeit erhältlichen elektronischen Lehrbücher um digitalisierte Versionen der papiergebundenen Variante handelt, werden diese Erwartungen jedoch relativiert (Sieche, Krey, & Bastiaens, 2013, S. 466). Denn solche Eins-zu-eins-Übertragungen führen dazu, dass das den digitalen Medien häufig zugeschriebene Potential nicht genutzt wird und in dieser Folge steht auch der vermeintliche Mehrwert elektronischer Lehrbücher in Frage.
Aus diesem Grund überrascht es kaum, dass digitale Lehrbücher in Deutschland häufig kritisch betrachtet werden und die Akzeptanz – im Gegensatz zu anderen Ländern – noch vergleichsweise gering ist (Münchner Arbeitskreis, 2011, 82f.). So verdeutlicht beispielsweise eine Studie von Matschkal (2009, 15) zur Nutzung und Akzeptanz von elektronischen Büchern an bayerischen Universitätsund Hochschulbibliotheken, dass zwar ca. 72% der Befragten3 eBooks nutzen, aber nur 37,1% angeben, auf gedruckte Lehrbücher verzichten zu können, sofern eine digitale Alternative zur Verfügung steht. Auch weitere (internationale) Studien belegen, dass ein Großteil der Lernenden die gedruckte Lehrbuchvariante bevorzugt (siehe z.B. Gregory, 2008; Jeong, 2012). Daniel & Woody (2013, S. 18) betonen in diesem Kontext jedoch, dass pädagogische Entscheidungen – wie die Einführung digitaler Lehrbücher – nicht lediglich auf Basis der Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz getroffen werden sollten. Vielmehr gelte es zu hinterfragen, welches Potential diese für die Förderung des Lernens bergen. Zudem sollte bei der Einführung neuer Medien immer auch eine entsprechende Schulung der erforderlichen Voraussetzungen zur erfolgreichen Arbeit mit ihnen mitbedacht werden. Es gilt daher den Einsatz digitaler Lehrbücher hinsichtlich dessen Nutzen und Effektivität sowie der benötigten Fähigkeiten und Kompetenzen von Seiten der Lernenden kritisch zu hinterfragen, zu erforschen und weiterzuentwickeln.
In der (deutschsprachigen) erziehungswissenschaftlichen Forschung und Debatte nehmen (digitale) Lern- und Lehrmaterialien jedoch insgesamt keinen besonderen Stellenwert ein (Schön & Ebner, 2012b, S. 3). Auch in der Praxis wird, anstatt nach den richtigen Mitteln für einen zielführenden Unterricht zu suchen, die Lehre oft den gegebenen Mitteln angepasst (Lindner-Fally, 2012, S. 49). Der Einsatz digitaler Medien erfüllt im Bildungsbereich jedoch keinen Selbstzweck. Vielmehr sollen diese dabei helfen das Lehren und Lernen zu unterstützen und zu fördern.
Es stellt sich daher die Frage, welchen Beitrag digitale Lehrbücher zu einer Förderung des Lernens und insbesondere der Förderung des Lernerfolgs in der Hochschule leisten können. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, den Mehrwert, aber auch die Grenzen des Einsatzes digitaler Lehrbücher in der Hochschullehre im Vergleich zu papiergebundenen Lehrbüchern zu analysieren und zu diskutieren.
Hierfür gilt es im zweiten Kapitel – aufbauend auf grundlegenden begrifflichen Klärungen – die zentralen Merkmale von papiergebundenen und digitalen Lehrbüchern vergleichend gegenüberzustellen und die mit der Einführung von digitalen Lehrbüchern verbundenen Herausforderungen darzulegen.
Im dritten Kapitel wird zunächst eine definitorische Annäherung an den Begriff des „Lernerfolgs“ vorgenommen. Anschließend gilt es auf Basis theoretischer Überlegungen und empirischer Befunde zu diskutieren, wie Lehrbücher konzipiert und gestaltet werden müssen, um lernförderlich zu sein. Zudem erfolgt eine Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstands bezüglich der Wirkung der unterschiedlichen Lehrbuchvarianten auf den Lernerfolg.
Die Beschreibung der empirischen Studie erfolgt im vierten Kapitel. Ausgehend von einer Spezifizierung der Fragestellungen und Hypothesen und basierend auf grundlegenden Überlegungen zum Forschungsdesign werden hier die Konzeptionen des Erhebungsmaterials und der Erhebungsinstrumente erörtert und reflektiert. Neben einer Schilderung der Stichprobengewinnung, der Durchführung des Experiments und der Datenauswertung, gilt es zudem die Ergebnisse darzulegen, zusammenzuführen und zu diskutieren.
Das abschließende Fazit fasst die zentralen Erkenntnisse noch einmal zusammen.
1 Stand: 07.07.2016 um 10:19 Uhr: 215727 elektronische Lehrbücher (siehe http://link.springer.com/search?facet-content-type=%22Book%22 [07.07.2016])
2 Siehe hierzu z.B. https://www.uni-giessen.de/ub/literatursuche/nutzung/ebooks-tipps/index_html [07.07.2016]
3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit durchgehend die männliche Form verwendet. Natürlich ist dabei auch immer die weibliche Form miteingeschlossen.
Diese Arbeit zielt darauf ab, die Chancen und Grenzen des Einsatzes digitaler Lehrbücher im Vergleich zur papiergebundenen Variante zu analysieren. Hierfür gilt es in diesem Kapitel eine begriffliche Abgrenzung vorzunehmen und die zentralen Merkmale herauszuarbeiten, anhand derer sich die beiden Lehrbuchformate unterscheiden. Ferner werden auch die Besonderheiten beziehungsweise die Herausforderungen, welche mit der Einführung digitaler Lehrbücher im Bildungsbereich verbunden sind, analysiert und diskutiert. In einem abschließenden Fazit werden die zentralen Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst.
Nach dem Bedeutungslexikon von Duden (2010, S. 243) ist ein Buch ein „größeres, gebundenes Druckwerk zum Lesen oder Betrachten.“ Diese kompakte Begriffserklärung kann jedoch noch weiter ausdifferenziert werden. So definieren Hiller & Füssel (2002, S. 60) das Buch als
„eine in einem Umschlag oder Einband durch Bindung zusammengefaßte, meist größere Anzahl von leeren, beschriebenen oder bedruckten Blättern […] von nicht periodischer Erscheinungsweise […]. Der Funktion nach ist das B.[uch] die graphische Materialisierung geistig-immatrieller Inhalte, zum Zwecke ihrer Erhaltung, Überlieferung und Verteilung in der Gesellschaft.“
Während die beiden Definitionen auf den ersten Blick ähnlich erscheinen, offenbart eine genauere Analyse durchaus Unterschiede. So beschränkt sich die Definition aus dem Duden auf gebundene Druckwerke, während Hiller und Füssel betonen, dass es sich auch um gebundene leere oder (hand-)beschriebene Blätter handeln kann. Auch hinsichtlich der Funktionen zeigen sich inhaltliche Unterschiede. Während sich der Duden auf die Nutzungsweisen des Rezipienten fokussiert (Lesen oder Betrachten), stehen nach Hiller und Füssels Begriffsverständnis insbesondere die Funktionen der Bücher für den Produzenten im Fokus (Erhalt, Überlieferung, Verteilung).
Die klare Definition des Mediums „Buch“ wird noch weiter erschwert, wenn die beiden bislang genannten Begriffsbestimmungen mit der von Rautenberg (2003, 82f.) verglichen werden. Sie definiert das Buch als ein materielles bzw. physisches Objekt oder elektronisches Speichermedium, welches das Produkt eines handwerklichen oder maschinell geprägten Herstellungsprozesses ist und aus einem Trägermaterial und den darauf aufgebrachten Sprach- und Bildzeichen besteht.
Rautenbergs Buchverständnis ist folglich noch weiter gefasst und schließt nicht nur materielle Bücher, sondern auch deren digitale Variante mit ein. Im Folgenden soll einem solchen, offenen Verständnis jedoch nicht gefolgt werden, da für diese Arbeit eine klare Abgrenzung der beiden (Lehr-)Buchvarianten erforderlich ist. Es gilt daher im anschließenden Kapitel das digitale Buch vom materiellen bzw. papiergebundenen Buch abzugrenzen. Den folgenden Ausführungen wird daher zusammenfassend folgendes Buchverständis zugrunde gelegt:
Ein Buch ist ein materielles bzw. physisches Objekt, welches papiergebunden ist, d.h. aus einer größeren Anzahl gebundener Blätter besteht und dem Erhalt, der Weitergabe bzw. dem Empfang von Informationen dient.
Auch für den Begriff der digitalen Bücher (auch eBook, electronic book, elektronisches Buch) existiert keine einheitliche Definition. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass dieser Begriff auf zwei Weisen gebraucht werden kann. So kann nach Wetzel (2003, 188f.) unter einem digitalen bzw. elektronischen Buch (1) ein spezieller portabler Kleinstcomputer (sogenannte Handhelds) zum Lesen von elektronischen Texten verstanden werden. Zudem steht der Begriff jedoch auch für (2) elektronische Fassungen von Büchern, die entweder mit einer speziellen Hardware oder mit einer bestimmten Software auf dem PC gelesen und gelegentlich auch ausgedruckt werden können.
Dieser Auslegung schließen sich auch Hiller und Füssel (2002, S. 104) an. Nach ihnen dient der Begriff „eBook“ „sowohl als Bezeichnung für die digitalisierte Form von Inhalten (content) als auch für ein spezielles Lesegerät in Buchformat.“ Um zwischen diesen zwei Begriffsdimensionen klar unterscheiden zu können, werden die Lesegeräte bzw. „Handhelds“ in dieser Arbeit nicht als eBook, sondern als eBook-Reader bezeichnet. In diesem Sinne bezieht sich das folgende Verständnis von „digitalen Büchern“ nur auf die digitalisierte Form der Inhalte („eBook-Files“).
Wie in der Einleitung bereits deutlich wurde, zeichnen sich jedoch auch diesbezüglich deutliche Unterschiede ab. So lassen sich die Eins-zu-eins-Übertragungen bzw. die digitalisierten Versionen der papiergebundenen Bücher von den „Reflowable digital books“ (i. A. an Chesser, 2011, S. 33) oder auch „multimedialen eBooks“ (Schreiber, Sochatzy, & Ventzke, 2014, S. 71) abgrenzen, welche u.a. eine breitere Palette an Kombinationsmöglichkeiten von Text, Bild und Ton in statischer oder aber auch dynamischer Form eröffnen (Blömeke, 2003, S. 60).
Auch wenn Schreiber et al. (2014, S. 71) von „multimedial“ sprechen, um die beiden digitalen Buchformen voneinander abzugrenzen, ist diese Begrifflichkeit in diesem Kontext zur Abgrenzung nicht geeignet. So ist nach Mayer (2003, S. 126) Material bereits dann „multimedial“, wenn es zwei Formate – wie beispielsweise Wörter (gesprochener oder gedruckter Text) und Bilder (Animationen oder Illustrationen) – inkludiert. Da auch in papiergebundenen, und damit auch in deren digitalisierten Formen, meistens Wissen bzw. Erfahrungen durch eine Kombination von Text und Bild präsentiert werden (Rauch & Wurster, 1997, S. 26), gilt folglich, dass die Multimedialität nicht als Hauptunterscheidungskriterium angeführt werden kann. Anders verhält es sich jedoch mit der Multimodalität. Als multimodal gilt ein Angebot dann, wenn es bei den Rezipienten unterschiedliche Sinne (z.B. auditiv und visuell) aktiviert (Weidenmann, 2009, S. 76). In diesem Sinne liegt den weiteren Ausführungen folgende, zwischen diesen beiden Formen differenzierende Definition zugrunde:
Ein digitales Buch (auch electronic book, elektronisches Buch) ist eine digitalisierte Form von Büchern, für deren Nutzung ein digitales Endgerät mit spezieller Software benötigt wird. Werden diese Bücher um weitere (audiovisuelle) Darstellungsformen und (interaktive) Elemente erweitert, spricht man auch von multimodalen Büchern (auch reflowable digital textbook, multimediales eBook).