Band 44
1.Auflage
TLK Taschenb.-Literatur-Klassiker
Herausgeber Frank Weber, Marburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über www.dnb.de
© 2019 Hugo von Hofmannsthal
ISBN: 9783750477797
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Inhaltsverzeichnis

Der Tor und der Tod

Personen:

Der Tod

Claudio, ein Edelmann

Sein Kammerdiener

Claudios Mutter

Eine Geliebte des Claudio

Ein Jugendfreund

(Claudios Haus. Kostüm der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Studierzimmer des Claudio, im Empirestil. Im Hintergrund links und rechts große Fenster, in der Mitte eine Glastüre auf den Balkon hinaus, von dem eine hängende Holztreppe in den Garten führt. Links eine weiße Flügeltür, rechts eine gleiche nach dem Schlafzimmer, mit einem grünen Samtvorhang geschlossen. Am Fenster links steht ein Schreibtisch, davor ein Lehnstuhl. An den Pfeilern Glaskasten mit Altertümern. An der Wand rechts eine gotische, dunkle, geschnitzte Truhe; darüber altertümliche Musikinstrumente. Ein fast schwarz gedunkeltes Bild eines italienischen Meisters. Der Grundton der Tapete licht, fast weiß mit Stukkatur und Gold.)

Claudio: (allein. Er sitzt am Fenster. Abendsonne.)

Die letzten Berge liegen nun im Glanz,

In feuchten Schmelz durchsonnter Luft gewandet.

Es schwebt ein Alabasterwolkenkranz

Zuhöchst, mit grauen Schatten, goldumrandet:

So malen Meister von den frühen Tagen

Die Wolken, welche die Madonna tragen.

Am Abhang liegen blaue Wolkenschatten

Der Bergesschatten füllt das weite Tal

Und dämpft zu grauem Grün den Glanz der Matten;

Der Gipfel glänzt im vollen letzten Strahl.

Wie nah sind meiner Sehnsucht die gerückt,

Die dort auf weiten Halden einsam wohnen

Und denen Güter, mit der Hand gepflückt,

Die gute Mattigkeit der Glieder lohnen.

Der wundervolle, wilde Morgenwind,

Der nackten Fußes läuft im Heidenduft,

Der weckt sie auf; die wilden Bienen sind

Um sie und Gottes helle, heiße Luft.

Es gab Natur sich ihnen zum Geschäfte,

In allen ihren Wünschen quillt Natur,

Im Wechselspiel der frisch und müden Kräfte

Wird ihnen jedes warmen Glückes Spur.

Jetzt rückt der goldne Ball, und er versinkt

In fernster Meere grünlichem Kristall;

Das letzte Licht durch ferne Bäume blinkt,

Jetzt atmet roter Rauch, ein Glutenwall

Den Strand erfüllend, wo die Städte liegen,

Die mit Najadenarmen, flutenttaucht,

In hohen Schiffen ihre Kinder wiegen,

Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht.

Sie gleiten über ferne, wunderschwere,

Verschwiegne Flut, die nie ein Kiel geteilt,

Es regt die Brust der Zorn der wilden Meere,

Da wird sie jedem Wahn und Weh geheilt.

So seh ich Sinn und Segen fern gebreitet

Und starre voller Sehnsucht stets hinüber,

Doch wie mein Blick dem Nahen näher gleitet,

Wird alles öd, verletzender und trüber;

Es scheint mein ganzes so versäumtes Leben

Verlorne Lust und nie geweinte Tränen

Um diese Gassen, dieses Haus zu weben

Und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen.

(Am Fenster stehend)

Jetzt zünden sie die Lichter an und haben

In engen Wänden eine dumpfe Welt

Mit allen Rausch- und Tränengaben

Und was noch sonst ein Herz gefangenhält

Sie sind einander herzlich nah

Und härmen sich um einen, der entfernt;

Und wenn wohl einem Leid geschah,

So trösten sie . . . ich habe Trösten nie gelernt.

Sie können sich mit einfachen Worten,

Was nötig zum Weinen und Lachen, sagen.

Müssen nicht an sieben vernagelte Pforten

Mit blutigen Fingern schlagen.

Was weiß denn ich vom Menschenleben?

Bin freilich scheinbar drin gestanden,

Aber ich hab es höchstens verstanden,

Konnte mich nie darein verweben.

Hab mich niemals daran verloren.

Wo andre nehmen, andre geben,

Blieb ich beiseit, im Innern stummgeboren.

Ich hab von allen lieben Lippen

Den wahren Trank des Lebens nie gesogen,

Bin nie von wahrem Schmerz durchschüttert,

Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.

Wenn ich von guten Gaben der Natur

Je eine Regung, einen Hauch erfuhr,

So nannte ihn mein überwacher Sinn

Unfähig des Vergessens, grell beim Namen

Und wie dann tausende Vergleiche kamen,

War das Vertrauen, war das Glück dahin.

Und auch das Leid! zerfasert und zerfressen

Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt!

Wie wollte ich an meine Brust es pressen,

Wie hätt ich Wonne aus dem Schmerz gesaugt:

Sein Flügel streifte mich, ich wurde matt,

Und Unbehagen kam an Schmerzes Statt . . .

(Aufschreckend)

Es dunkelt schon. Ich fall in Grübelei.

Ja, ja: die Zeit hat Kinder mancherlei.

Doch ich bin müd und soll wohl schlafen gehen.

(Der Diener bringt eine Lampe, geht dann wieder.)

Jetzt läßt der Lampe Glanz mich wieder sehen

Die Rumpelkammer voller totem Tand,

Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte,

Wenn ich den graden Weg auch nimmer fand

In jenes Leben, das ich so ersehnte.

(Vor dem Kruzifix)

Zu deinen wunden, elfenbeinern Füßen,

Du Herr am Kreuz, sind etliche gelegen,

Die Flammen niederbetend, jene süßen,

Ins eigne Herz, die wundervoll bewegen,

Und wenn statt Gluten öde Kälte kam,

Vergingen sie in Reue, Angst und Scham.

(Vor einem alten Bild)

Gioconda, du, aus wundervollem Grund,

Herleuchtend mit dem Glanz durchseelter Glieder,

Dem rätselhaften, süßen, herben Mund,

Dem Prunk der träumeschweren Augenlider:

Gerad so viel verrietest du mir Leben,

Als fragend ich vermocht dir einzuweben!

(Sich abwendend, vor einer Truhe)

Ihr Becher, ihr, an deren kühlem Rand

Wohl etlich Lippen selig hingen,

Ihr alten Lauten, ihr, bei deren Klingen

Sich manches Herz die tiefste Rührung fand,

Was gäb ich, könnt mich euer Bann erfassen,

Wie wollt ich mich gefangen finden lassen!

Ihr hölzern, ehern Schilderwerk,

Verwirrend, formenquellend Bilderwerk,

Ihr Kröten, Engel, Greife, Faunen,

Phantastsche Vögel, goldnes Fruchtgeschlinge,

Berauschende und ängstigende Dinge,

Ihr wart doch all einmal gefühlt,

Gezeugt von zuckenden, lebendgen Launen,

Vom großen Meer emporgespült,

Und wie den Fisch das Netz, hat euch die Form gefangen!

Umsonst bin ich, umsonst euch nachgegangen,

Von eurem Reize allzusehr gebunden:

Und wie ich eurer eigensinngen Seelen

Jedwede, wie die Masken, durchempfunden,

War mir verschleiert Leben, Herz und Welt,

Ihr hieltet mich, ein Flatterschwarm, umstellt,

Abweidend, unerbittliche Harpyen,