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© 2020 Egon W. Kreutzer

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3- 7519-2534-1

Inhalt

Vorwort zur Erstausgabe 2018

Freiheit und Demokratie

Phrasen, wie „Freiheit und Demokratie“, bis zum Überdruss gehört, haben längst ihre dem ursprünglichen Sinn entsprechende Bedeutung verloren. Wäre es anders, wir würden darum kämpfen.

„Freiheit und Demokratie“ steht für etwas ganz anderes, nämlich für den starken, ja übermächtigen Staat, der seine Macht mit den Mitteln psychologischer Gewalt erhalten kann, weil seine Bürger nach Jahrzehnten subtiler Gehirnwäsche soweit abgestumpft sind, dass die Anwendung physischer Gewalt zur Durchsetzung so genannter „Staatsziele“ nur noch in Ausnahmefällen erforderlich scheint.

Freiheit gibt es, ohne Zweifel, doch sie hat ihren absoluten Charakter eingebüßt. Freiheit ist zur Ware geworden und kann gegen Bezahlung in unterschiedlichsten Graden der Abstufung erkauft werden. Doch es ist nicht der demokratisch verfasste Staat, der mit „Freiheit“ Handel treibt. Der Staat greift nur insoweit in den Freiheitsmarkt ein, als er mithilft, die Freiheit zu einem knappen Gut zu machen und damit die Preise hochzuhalten. Der Staat kauft quasi – per Gesetz – jeden Überschuss an Freiheit auf und zwingt die Bürger damit an jene Futterkrippen, wo die letzten, erbärmlichen „Freiheitskrümel“ wohlfeil angeboten werden.

Die Rechtfertigung für dieses staatliche Agieren liefert – so widersinnig dies zunächst auch scheint – ausgerechnet die Demokratie. Jene Demokratie, die, fernab von ihren Idealen, zur gelebten Selbstverständlichkeit geworden ist. Kaum jemand, der noch widerspricht, wenn es heißt: „Wahlen ändern nichts“, oder: „Die Da-Oben machen ja sowieso was sie wollen.“

Doch der damit zum Ausdruck gebrachten Resignation folgen zu wenig Wut, zu wenig Aufbegehren, zu wenig Engagement, als dass die allgemeine Erkenntnis der Fehlentwicklung zu Korrekturen führen könnte. Und wo Wut und Aufbegehren und Engagement sich dennoch sammeln, zu einer Bewegung, zu einer Partei werden, wird diese Energie von den Statthaltern der real existierenden Demokratie neutralisiert und über kurz oder lang in eine rundgeschliffene, angepasste Gestalt gepresst.

Wie aber kommt es, dass „der Staat“ sich gegen seine Bürger in jeder nur erdenklichen Weise zu deren Nachteil und Missfallen durchzusetzen vermag, wo doch in der Demokratie die Bürger Ziel und Plan der Politik bestimmen?

Dieser Frage nachzugehen, die Antworten darauf zu geben und einen Weg aus dem Dilemma zu weisen, das durch die missbräuchliche Interpretation der Weisheit: „Die Freiheit des Einen muss da enden, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, erst in unseren Köpfen errichtet wurde, ist die Absicht dieses Buches.

Elsendorf, im Frühjahr 2018

Egon W. Kreutzer

Vorwort zur Neuausgabe 2020

Zwei Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe haben sich die Verhältnisse weiter zu Ungunsten der Freiheit verändert.

Ich habe daher die zuerst im EWK-Verlag, Elsendorf, erschienene Ausgabe neu durchgesehen und für die Veröffentlichung bei BoD, Norderstedt, neu durchgesehen.

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen auch angesichts der gerade aufflammenden Corona-Pandemie gelingen möge, Ihr Freiheitsideal hochzuhalten und zu leben.

Elsendorf, 23. März 2020

Egon W. Kreutzer

Du sollst nicht töten.

Die natürliche Beißhemmung gegenüber Individuen der eigenen Art, im Grunde überflüssigerweise in ein göttliches Gebot gegossen, steht am Anfang des Freiheits-Dilemmas.

Um diese ketzerische Sichtweise anzunehmen, bedarf es der Konfrontation mit Extremsituationen, wie sie dort aufgetreten sind, wo kleine Sippen vor der Wahl standen, sich entweder ihrer „überflüssigen Esser“ zu entledigen, oder insgesamt zu verhungern. Der „Altenmord“, also das rituelle Töten der Alten, um das Überleben der Jüngeren zu sichern, bis sie selbst alt wurden, war weit verbreitet. Von den Buschmännern weiß man, dass sie ihre Alten nicht getötet, sondern sie einfach in der Wüste zurückgelassen haben. Alten Eskimos, die annahmen, sie würden der Gemeinschaft zur Last fallen, war es moralische Pflicht, sich eines Tages von selbst aufzumachen, um in der Eiswüste umzukommen. Anderswo wurden die Alten mit einem Fest geehrt, bevor sie mit ihrem Einverständnis von Jüngeren erdrosselt wurden.

Trotz allem natürlichen Abscheu erkennt der Verstand, so er denn zu Wort kommen darf, dass diese Handlungsweisen in diesen Situationen und unter diesen Lebens- und Umweltbedingungen gerechtfertigt, ja sogar überlebensnotwendig waren, dass das Töten, oder die Sterbehilfe, oder die bewusst unterlassene Hilfeleistung selbst im engsten Familienkreis ebenso zum Leben gehören können, wie die Geburt und der vorzeitige Tod durch Krankheit oder Unfall.

Das Diktum: „Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“, wurde von den so genannten „Naturvölkern“ damit nicht etwa ignoriert, sondern nur sehr viel radikaler und – auf ihre Situation bezogen – auch sehr viel sinnvoller interpretiert. Der Tod des einen, als das vollständige Ende all seiner Freiheit, war der Preis der Freiheit der Zurückbleibenden, weiterzuleben.

Wir modernen, zivilisierten und uns als „menschlicher“ begreifenden Individuen der Gegenwart, haben dem Ganzen die Illusion der Gleichheit aller Menschen übergestülpt und kommen daher zu dem Schluss, die Gesamtmenge der Freiheit müsse, um Gerechtigkeit herzustellen, den existierenden Individuen zu jeweils gleichen Teilen zugewiesen werden, was – mit wachsenden Bevölkerungszahlen – zwangsläufig, und in der Realität übrigens durchaus erkennbar, zu immer weiteren Freiheitsverlusten führen muss.

Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies, dass eines nicht allzu fernen Tages eine Weltbevölkerung von 20 Milliarden Menschen sowohl in räumlicher als auch in regulatorischer Enge kollektiv den Hungertod sterben wird, weil ihre humanitären Ideale dem Überlebenswillen im Range vorgehen.

Tatsächlich erkennen wir aber, mit großem Abstand die Verhältnisse auf der Erde betrachtend, dass es da eine außerordentliche Freiheit der Unterzahl der Wohlgenährten gibt, denen die minimale Freiheit der Unterernährten, die in der Mehrzahl sind, gegenübersteht. Über den gesamten Planeten hinweg betrachtet, verhält sich die Menschheit sehr ähnlich den Gepflogenheiten früherer Naturvölker. Die Überflüssigen werden an den Rand gedrängt, in der Wüste zurückgelassen, ins Eis geschickt, oder auch schon mal, zur Sicherung der Rohstoffquellen, erst hofiert und dann langsam erdrosselt.

Verringern wir den Abstand, verändert sich das Bild nicht. Als stiegen wir in ein fraktales geometrisches Muster ein, finden wir im Staat und seinen Unterorganisationen, bis hinein in die kleinsten Kommunen, jeweils den Gegensatz zwischen der Freiheit der Reichen und Wohlhabenden und der Unfreiheit der Habenichtse und Fast-Habenichtse.

Die einen winken dem Sternekoch kurz mit der goldenen Kreditkarte und lassen sich und ihren Gästen Berge kulinarischer Köstlichkeiten vorsetzen, die anderen ziehen bei der Tafel eine Nummer und warten auf die Zuteilung einer Ration nicht mehr verkäuflicher Nahrungsmittel.

Dies spiegelt sich auch in der Lebenserwartung wider. Wohlhabende Männer leben in Deutschland im Durchschnitt 10,8 Jahre länger als Angehörige der untersten Einkommensschicht1.

Damit darf zumindest die Frage gestellt werden, inwieweit hier nicht doch eine permanente Selektion stattfindet, die dazu führt, dass die vom Kollektiv – gleichgültig aus welchem Grund – „Ausgesonderten“ vom Kollektiv auf eine höchst subtile Weise, vor Ablauf ihrer natürlichen Lebensspanne, getötet werden. Natürlich wird diese Frage mit großer Empörung und einer ganzen Reihe von ganz anderen Erklärungen zurückgewiesen werden. Ganz banal werden Schicksal, Glück und Unglück angeführt. Differenzierter sind die Hinweise auf die Lebensführung, auf die erbrachte Leistung, auf die erworbene Bildung, die Kenntnisse und Fertigkeiten, auf Anpassungsfähigkeit oder bewusstes Außenseitertum, die darauf abzielen, die Verantwortung den Betroffenen selbst zuzuweisen und die nicht Betroffenen von jeder Schuld reinzuwaschen.

Seltener, aber immer öfter, wird auch das Argument gebraucht, die Betroffenen seien selber schuld, sie hätten ja bloß nicht immer wieder die gleichen Parteien wählen müssen.

Dies wirft ein erstes, bezeichnendes Licht auf die Abgründe der Demokratie, in welcher die Mehrheit der Habenichtse und Fast-Habenichtse nicht in der Lage ist, die Mehrheit der Vertreter der Reichen und Wohlhabenden in den Parlamenten abzuwählen. Und sollte dies, wie es gelegentlich in südamerikanischen Staaten zu beobachten ist, doch einmal gelingen, zeigt sich doch, dass die alte Macht alsbald – gänzlich undemokratisch – wieder herbeigeputscht wird.


1 So das Ergebnis einer Datenauswertung der Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann von der Partei Die LINKE, veröffentlich u.a. bei Zeit.de am 30. 03.2106.

Abgründe der Demokratie
ein Überblick

Erster Abgrund: Der Wählerwille

Der Wählerwille wird gerne bemüht, wenn die Stimmen ausgezählt sind und die Bildung einer von kaum einem Wähler gewollten Koalition begründet werden muss.

Tatsache ist, dass der Wählerwille mit Wahlen nicht ergründet werden kann. Die Wähler haben keine Gelegenheit, ihren Willen bezüglich der konkreten Ausgestaltung der Regierungspolitik bei der Wahl zu artikulieren. Niemand kann mit dem Stimmzettel für oder gegen Krieg, für oder gegen höhere Renten, für oder gegen mehr Umweltschutz, für oder gegen Steuererhöhungen, für oder gegen die Privatisierung von Volksvermögen stimmen. Die „Wahlfreiheit“ des Wählers besteht lediglich darin, zwischen den sich zur Wahl stellenden Parteien und deren Kandidaten zu entscheiden.

Dies bedeutet aber unter dem Walten der Fünf-Prozent-Hürde keineswegs, dass die Gewählten auch ins Parlament einziehen werden. Ein gewisser Anteil der Wählerstimmen, manchmal sogar mehr als zehn Prozent2, fällt aus der Urne direkt in den Papierkorb. Dies sei erforderlich, um Weimarer Verhältnisse zu vermeiden, heißt es, was aber zu kurz greift, denn theoretisch sind auch mit der Fünf-Prozent-Hürde immer noch bis zu 20 zutiefst zerstrittene Mini-Fraktionen möglich – und der Trend weist eindeutig in diese Richtung, was allerdings, und das muss betont werden, weder zu Weimarer Verhältnissen, noch direkt in eine neue Diktatur führen muss.

Betrachtet man die Fünf-Prozent-Hürde neutral und unvoreingenommen, so handelt es sich – in der Sprache der Volkswirte – um ein stark wirksames „Markt-Eintritts-Hindernis“, das den etablierten Parteien erleichtert, sich neu aufkommende Konkurrenz ohne jegliche argumentative Auseinandersetzung elegant vom Halse zu halten und dabei den Willen der Wähler dieser Parteien soweit mit Füßen zu treten, dass ihnen nicht einmal ermöglicht wird, im Parlament ihre Stimme zu erheben, geschweige denn, als Koalitionspartner das Regierungshandeln mit zu bestimmen.

Anzunehmen, dass andererseits nun der Wille der Mehrheit jener Wähler in Politik verwandelt würde, die sich für Parteien mit mehr als fünf Prozent Stimmanteil entschieden haben, ist leider ebenso irrig.

Natürlich bekommen diejenigen, denen es nur darum geht, dass eine bestimmte Person Kanzler wird oder bleibt, weil sie – irgendwo zwischen Hoffnung und Überzeugung angesiedelt – meinen, dass genau damit schon die beste Wahl getroffen sei, häufig auch das, was sie wollen. Es handelt sich dabei um die Vertreter dessen, was im weiteren Text des Öfteren als die „desinteressierte Mitte“ auftauchen wird. Diejenigen aber, die sich von der künftigen Regierung erwarten, dass bestimmte Projekte aufgelegt und umgesetzt werden, dass bestimmte Gesetze erlassen oder geändert oder gestrichen werden, die sich also, gestützt auf „Wahlversprechen“ und Parteiprogramme konkretes Regierungshandeln erwarten, werden erfahrungsgemäß häufig und nicht selten weitgehend enttäuscht.

Das weithin bekannte Wortspiel:

„Enttäuschung bedeutet, dass der Zustand der Täuschung damit beendet und der Blick auf die wahren Absichten frei ist“, lässt sich am enttäuschten Wählerwillen nicht bestätigen. Mit großer Konstanz bringt der Wähler immer wieder die Bereitschaft auf, sich von den gleichen Parteien, den gleichen Personen, sogar in der gleichen Sache, immer wieder aufs Neue gerne täuschen zu lassen. Auch dies lässt darauf schließen, dass ein „Wählerwille“ im Sinne eines wirklich vorhandenen Willens, bestimmte Ziele oder Veränderungen zu erreichen, bei der Masse der Wähler nicht vorhanden sein kann, oder, sehr wohlwollend interpretiert, dass sich gegensätzliche Objekte des Wählerwillens mit der Stimmabgabe „en passant“ neutralisieren.

Zweiter Abgrund: Die „Alpha-Tiere“

Der Weg an die Spitze eines Rudels ist eine lange Kette von Zweikämpfen rivalisierender Jungtiere, bis zuletzt die entscheidende Auseinandersetzung mit dem bisherigen Anführer zu bestehen ist. Der Weg an die Spitze einer Partei unterscheidet sich davon nur dadurch, dass im Tierreich der Stärkste und Durchsetzungswilligste in der Regel auch der am besten geeignete Anführer ist, während in der Demokratie zwar ebenfalls der kampfeslustigste, intriganteste, bissigste Kandidat am Ende ganz oben steht, dass dieser damit jedoch nicht auch zwangsläufig jene Eigenschaften mitbringt, die für eine Politik zum Wohle des Volkes erforderlich wären. Introvertierte Wissenschaftler ziehen in diesen Auseinandersetzungen regelmäßig ebenso den Kürzeren, wie arglose Weltverbesserer und Menschenfreunde.

Da letztlich nur diese aus innerparteilichen Kämpfen hervorgegangenen Alpha-Tiere eine Regierung anführen können, verfügen sie in der Regel über einen sehr unausgewogenen Mix an Fähigkeiten, der sie in den vielfältigen Sachfragen, denen sie sich zu stellen haben, auf die Unterstützung von Vertrauten abhängig macht, die wiederum selbst auf die Unterstützung von Experten angewiesen sind. So entwickelt sich in der Behandlung von Sachfragen so etwas wie eine „Stille Post“, mit der üblichen Folge, dass die unterwegs zwangsläufig auftretenden Informationsverluste Fehlentscheidungen begünstigen.

Da solche Fehlentscheidungen nur unter Inkaufnahme eines Gesichtsverlustes korrigiert werden könnten, bleiben Alpha-Tiere in der Regel stur bei ihren einmal getroffenen Entscheidungen. Ein Meister darin war Helmut Kohl, dem wir eine Renaissance des Begriffs „Aussitzen“ zu verdanken hatten.

Nur wenn es gar nicht mehr anders geht, werden – unter neuer Flagge – die notwendigen Kursänderungen heimlich still und leise vorgenommen.

Doch noch einmal zurück zu den Experten. Es ist nur menschlich, dass jene engeren Vertrauten des jeweiligen Regierungschefs, die zwischen diesem und den Experten als Mittler auftreten, vorausahnen müssen, wohin der Chef tendiert, so dass bei der Auswahl der Experten nur solche in Frage kommen, deren Expertise in die gewünschte Richtung weist. Der angesprochene Experte selbst, dessen Tätigkeit in der Regel auf eine üppige Honorar-Rechnung hinausläuft, wird, um den Auftraggeber bei Laune zu halten und sich weitere Aufträge zu sichern, seinerseits versuchen, seine eher neutral gehaltenen Erkenntnisse vor der Weitergabe so zu bearbeiten, dass sie dem Wunsch des Auftraggebers bestmöglich entgegenkommen.

So paaren sich in den absoluten Führungsfiguren also regelmäßig sachgrundlose Autorität mit einem eklatanten Mangel an Fachwissen, so dass es allenfalls approbierten Hofnarren erlaubt ist, sich mit abweichenden Erkenntnissen oder Einschätzungen hin und wieder zu Wort zu melden.

Wer in den inneren Zirkel der Macht vordringen will, muss sich so lange dem Willen des Alpha-Tieres widerspruchslos unterwerfen, bis dieses in einem Ausmaß erkennbare Schwächen zeigt, dass ein Angriff zu mindestens 95 Prozent aussichtsreich erscheint. Wer vorher den Kopf aus der Deckung reckt, riskiert, ihn zu verlieren.

An dieser Stelle ist ein vergleichender Blick in die Wirtschaft unverzichtbar. Selbstverständlich sind auch die Konzernmanager ausgeprägte Alpha-Tiere, doch gibt es zwei ganz wesentliche Unterschiede:

  1. Niemand schafft es, nach dem Studium ohne jegliche Berufserfahrung und ohne den Nachweis exzellenter Sachkenntnisse in seinem Spezialgebiet erbringen zu können, an die Spitze einer großen Aktiengesellschaft aufzusteigen. Auch kein Außenstehender wird als Vorstandsvorsitzender angeworben, der noch nicht seine Führungsfähigkeiten und seine Verantwortung in einem anderen Unternehmen vergleichbarer Bedeutung unter Beweis gestellt hat.
  2. Führungskräfte in der Wirtschaft werden nicht von den Mitarbeitern per Wahl oder Akklamation von Stufe zu Stufe nach oben gehoben, wie es in der typischen Parteikarriere unter den Mitgliedern üblich ist, sondern hier kümmert sich zunächst das Nachwuchsmanagement im Verantwortungsbereich des Personalchefs um die Aspiranten. Danach, wenn ihre Köpfe sichtbar geworden sind und Profil gewonnen haben, nimmt sich der Vorstand ihrer an. Doch am Schluss entscheidet alleine der Aufsichtsrat über die Besetzung der Stelle ganz an der Spitze.

Die Instanz der Vertretung der Anteilseigner existiert in den Parteien nicht. Hier kann sich, anders als in der Wirtschaft, tatsächlich der Starke und Gerissene gegen eine Konkurrenz mit vergleichbar einseitigen Fähigkeiten durchsetzen, ohne dass es einen übergeordneten „Schiedsrichter“ gäbe, der neben den Rambo-Fähigkeiten auch das Wohl von Partei und Staat gleichermaßen so aufmerksam im Auge hätte, wie sich der Aufsichtsrat um sein Investment und seine Rendite sorgt.

Weder der Wähler, als der nach der Verfassung eingesetzte Souverän, noch der Bundespräsident, als formales Staatsoberhaupt, können einen solchen Aufstieg und die Machtübernahme im Staat verhindern. Letzterem fehlt die Kompetenz, die Ersteren haben kein Werkzeug, um eingreifen zu können.

Am Schluss ist es nichts als der Kotau der Abgeschlagenen, der den Sieger aufs Treppchen bringt. Und wieder wird die Loyalität der Abgeschlagenen gefordert, wollen sie nicht von Abgeschlagenen zu Abgesägten verwandelt werden.

Dritter Abgrund: Fraktionszwang

Die ganze Absurdität der real existierenden Demokratie offenbart sich allerdings erst im als unverzichtbar verteidigten Fraktionszwang. Damit wird der vom Volk als Vertreter des Volkes gewählte Parlamentarier vom Volksvertreter zum willenlosen Parteisoldaten herabgewürdigt, der sich von der Fraktionsführung widerstandslos kujonieren lässt, womit er – Sprachforscher werden dies bestätigen – freiwillig den Nachweis erbringt, keine „Eier“ in der Hose zu haben.

Selbstverständlich steht der arme Volksvertreter, der ja dem Gesetz nach nur seinem Gewissen verpflichtet, niemandem Rechenschaft schuldig und keinerlei Anweisungen zu folgen verpflichtet ist, da in einem argen Gewissenskonflikt:

Die meisten entscheiden diesen Gewissenskonflikt unmittelbar mit dem Einzug ins Parlament zu Gunsten der Partei und gegen ihr – damit an der Garderobe abgegebenes – Gewissen.

Dass bei diesen Entscheidungen persönliche finanzielle Interessen eine Rolle spielen, kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, es wird in der pauschalisierenden öffentlichen Diskussion jedoch deutlich überbewertet. Es geht primär um die Teilhabe an der Macht. Das Geld kommt erst in zweiter Linie.

Die Folge des Fraktionszwanges, und hier treffen sich die drei genannten Abgründe der Demokratie in ihrer Zusammenfassung, ist die demokratisch legitimierte Diktatur auf Zeit, mit einem allenfalls zufällig sachkompetenten Rambo aus der Riege der Alpha-Tiere als Diktator.

Dem Wirken dieses Diktators auf Zeit sind außer der Befristung der Legislaturperiode keine Grenzen gesetzt – und die könnte er durchaus ebenfalls selbstherrlich niederreißen. Dass dies seit Bestehen dieser Republik noch kein Regierungschef in totalitärer Weise ausgenutzt hat, liegt nicht an den vielbeschworenen „Checks and Balances“, nicht an der sowieso bis zur Unsichtbarkeit eingedampften „Gewaltenteilung“, sondern ausschließlich an der fehlenden politischen Fantasie der bisherigen Amtsinhaber und daran, dass der nächste Wahltag, trotz aller Gewissheit, dass Wahlen nichts ändern, doch gewisse Selbstbeschränkungen hervorbringt, damit Wahlen am Ende nicht doch einmal etwas ändern.

Sicher ist jedoch auch:

Ein „neuer deutscher Erdogan“, mit dem notwendigen Mut und der notwendigen Skrupellosigkeit ausgestattet, könnte sich hierzulande ebenso durchsetzen, wie es der real existierende Präsident der Türkei dort tut.

Es existiert auch in unserer Demokratie kein Machtmittel, das ihn daran hindern könnte, wäre er erst einmal im Amt.


2 1949: 27,9%, 1953: 10,3%, 1961: 5,7%, 1965: 3,6%, 1972: 1,0%, 1976: 0,8%, 1980: 2,0%, 1983: 0,5%, 1987: 1,4%, 1990: 6,6%, 1994: 8,1%, 1998: 5,9%, 2002: 7,0%, 2005: 4,0%, 2009: 6,0%, 2013: 11,1%, 2017: 5,0%

Weitere Abgründe

Demokratie hat durchaus noch weitere Abgründe aufzubieten, die jedoch zumeist deckungsgleich mit jenen Abgründen sind, die sich in der Gesellschaft sowieso aufgetan haben, also keine Besonderheit der Demokratie darstellen, aber verstärkende Rückwirkungen auf die Demokratie auslösen.

Erwähnt werden sie hier nur, um aufzuzeigen, dass die Demokratie kein Instrument ist, um sie einzudämmen, sondern selbst von Ihnen geprägt ist. Hierzu zählt die Bildung von Seilschaften, in denen man sich gegenseitig die Posten zuschiebt, sich gegenseitig bei Verfehlungen Deckung gibt und miteinander – zu Lasten der nicht Zugehörigen – materielle und immaterielle Gewinne einschiebt.

Ebenso zählt die Neigung zur Vorteilsnahme dazu, die Amts- und Mandatsträger bewegt, großzügigen Spendern großzügige Vorteile einzuräumen, während Unternehmen und Private durch Gewährung großzügiger Vorteile dazu bewegt werden, öffentlich parteifreundliches Verhalten an den Tag zu legen.

Nicht zu vergessen: Auch der Verfall der Sitten, der Kunst, des Anstands und der Höflichkeit kann so nur von der Demokratie begünstigt werden, weil „die gleiche Stimme“ den Trugschluss einer allgemeinen Gleichstellung und Gleichwertigkeit zum (moralischen) Gesetz erhoben hat, so dass „Kunst“ unwidersprochen alles ist, was der „Künstler“ als solche bezeichnet, so dass eine „Meinung“ das ist, was der „Meinende“ dafür ausgibt, dass „Anstand“ vom selbsternannten „Anständigen“ definiert und nach Belieben, je nach Gegenüber skaliert wird und jedermann, als Gleicher unter Gleichen, die Abwesenheit jeglicher sittlichen Reife als seinen Beitrag zur Gesellschaftsentwicklung ausgeben kann. So unterhöhlt die überdehnte Interpretation von Demokratie nicht nur das so genannte „gesunde Volksempfinden“, sondern auch das darauf und darüber errichtete kunstvolle Gebäude der Zivilisation und ihrer kulturellen Errungenschaften.

Abschließend sei erwähnt, dass Demokratie dazu führen kann, die Bevölkerung in „Parteigänger“ unterschiedlicher Richtungen zu spalten, was, wo es erkennbar wird, als eine vollendete Form des römischen „divide et impera“ angesehen werden muss.

Ist Demokratie also per se schlecht?

Geht man von der Idealvorstellung aus, muss diese Frage verneint werden. Das demokratische Ideal ist klug und gut.

Das Wissen darum, dass Ideale unerreichbar sind, sollte im Grunde nicht davon abhalten, jeden Versuch zu unternehmen, dem Ideal näher zu kommen. Bei der Demokratie drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass starke Kräfte daran arbeiten, den Abstand zum Ideal zu maximieren, um etwas zu erschaffen, das vielerorts als „Demokratie im Endstadium“ zu besichtigen ist.

Demokratie im Endstadium

Ursachen einer Fehlentwicklung

Die Demokratie, als das Prinzip des Vorrangs der Quantität vor der Qualität, zielt nicht auf das bestmögliche Ergebnis ab, sondern auf die „augenblickliche“ Zufriedenstellung einer Mehrheit, und sei diese noch so klein. Demokratie ist daher in fast allen Lebenslagen ein vollkommen untaugliches Prinzip3, wenn es gilt, zu vernünftigen Entscheidungen zu gelangen und sie planmäßig umzusetzen.

Die nur als schwärmerisch zu bezeichnende Begeisterung für „Demokratie“ rührt von der idealistischen Vorstellung her, es würden sich in demokratischen Gremien zum Zwecke der Willensbildung Menschen mit durchaus unterschiedlichen Erfahrungen und Vorstellungen auf gleicher Augenhöhe begegnen, ihre Vorstellungen und Argumente austauschen, um gemeinsam die optimale Lösung zu suchen, zu finden und zu verwirklichen.

Die Voraussetzung für die „ideale Demokratie“ ist jedoch nicht die „Gleich-Berechtigung“ aller konträren Auffassungen und Überzeugungen, die in einer Volksmenge um den Vorrang kämpfen, sondern eine weitgehende Übereinstimmung im Grundsätzlichen, eine weitgehend vergleichbare intellektuelle Leistungsfähigkeit, der Verzicht auf Tricks und Täuschungen und das einsichtige Zurücktreten der Einzelegoismen hinter den Interessen der Gemeinschaft.

Um eine solche Homogenität der Entscheidungsfinder erreichen zu können, ist es unumgänglich, die Demokratie in mindestens zwei Abteilungen zu unterscheiden, nämlich die Abteilung derer, die geeignet erscheinen, sich in einem Parlament auf die geschilderte Weise vernünftig zu verständigen, und die Abteilung jener, die nicht selbst in den Entscheidungsfindungsprozess einbezogen werden, sondern lediglich ihre Vertreter in die erste Abteilung entsenden.

Dieser Zwang zur „parlamentarischen Demokratie“, so unausweichlich er erscheint, wenn gute Ergebnisse erzielt werden sollen, verhindert jedoch in der Realität gerade das, was er ermöglichen soll!

In den Parlamenten sitzen zwar die gewählten Volksvertreter, denen durchaus eine gewisse Übereinstimmung im Grundsätzlichen attestiert werden kann, die auch vom Grad der intellektuellen Leistungsfähigkeit her durchaus in der Lage wären, sich untereinander zu verständigen, doch sitzen sie dort eben nicht mehr als kooperierende Sucher und Gestalter der optimalen Lösung, sondern spalten sich auf in zwei oder mehr gegnerische Gruppen, von denen jede überzeugt ist, die optimale Lösung für jedes anstehende Problem bereits zu kennen. Stets setzt sich dabei alleine jene Gruppe durch, die aufgrund ihrer Mehrheit an Sitzen und darauf Sitzenden, die Argumente der Opposition nicht gelten lässt, ja oft nicht einmal anhört. Dies führt schon bei der Konstitution eines Parlamentes regelmäßig dazu, dass die quantitative Mehrheit einer Partei oder Parteienkoalition – aber nicht die qualitative Mehrheit der im Parlament vertretenen Abgeordneten – die Regierung bestimmt, die dann (meist, aber nicht immer, im Rahmen der Gesetze) so handelt, wie sie es für richtig hält.

Dies entspricht prinzipiell den Notwendigkeiten. Menschen brauchen eine oberste Instanz, einen letzten Entscheider, um zu einer Ordnung zu finden und aus dieser Ordnung heraus sinnvoll arbeitsteilig wirken zu können. Die Feuerwehr braucht einen Kommandanten, die Fußballmannschaft einen Trainer, der Handwerksbetrieb braucht einen Chef, die Gemeinde braucht einen Bürgermeister und der Staat einen Regierungschef.