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© 2020 Duanna Mund

3. Auflage

Umschlag- und Buchgestaltung: Duanna Mund

Bildnachweise: © Birgit und Franz Winkler

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783751963732

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Haere Mai

Mit dem Willkommensgruß der Maori lade ich Sie ein, den Spuren einer Reise zu folgen, die mich in die entferntesten Regionen der Erde führte. Zehn Wochen Neuseeland sollten für meinen Mann Franz und mich zu einem Erelbnis werden, das nicht nur unseren Erwartungen entsprach, sonderen diese auch übertraf. Unsere Tochter Monika machte vier Wochen lang die kleine Reisegruppe komplett. Da wir für unsere Fahrt die Zeit von Oktober bis Dezember wählten, erlebten wir das Land am Ende der Welt in den Frühlingsmonaten der Südhalbkugel. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die Transkription von Tagebuchaufzeichnungen. An den Abenden ereignisreicher Tage niedergeschrieben, vermitteln die Erzählungen eine große Nähe zum Augenblick. Es geht also in der Folge um Begegnungen und Empfindungen, um persönliche Erkenntnisse und freudvolles Erleben. Im Interesse der Authentizität wurde die Sprache des Reisetagbuches möglichst übernommen.

Die Routenbeschreibungen können zukünftigen Neuseeland-Reisenden einen kleinen Wohnmobilführer an die Seite stellen, der allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit legt. Am Ende jedes Textabschnittes finden Sie Namen und GPS-Daten der Stellplätze, sowie Angaben zu Entfernungen und Stationen der Tagesetappen. Ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Bedingungen auf den Übernachtungsplätzen jederzeit ändern können.

„Neuseeland – Haere Mai“ gibt es auch als Multimediashow. Diese ist die erste Präsentation im „Jahr des Feuers“, das uns auf den Spuren des Feuerelements in unterschiedlichste Gebiete der Erde führte. Informationen dazu und Beschreibungen der Vorträge finden Sie auf der Website www.reisevision.at

Duanna Mund

Reiseroute Nordinsel

Reiseroute Südinsel

Bevor es losgeht

Während eines Fluges, der einen ganzen Tag in Anspruch nimmt, bleibt viel Zeit. In meinem Kopf tauchen kitschige und klischeehafte Bilder auf: Kalendermotive von Neuseeland, verklärende Universum– Dokumentationen, Abenteuergeschichten von Auswanderern und Weltenbummlern. Gut vorbereitet und in die Materie eingelesen, wundere ich mich nicht über die eigenartige Begrüßung hinter dem Gate in Auckland. Mein Mann Franz und ich haben die Chance genutzt, ein letztes Mal unser Gepäck nach eventuell übersehenen Obstresten und Essenskrümeln abzusuchen, denn nun geht es zur Kontrolle der Bio-Security. Während man sich im Rest der Welt Sorgen macht um illegale Einwanderung, Terrorgefahr und Unterschlagung von Zollgebühren, ist man hier unerwünschten Gästen auf der Spur. Diese sind kleinste Sporen und Insekten, die das empfindliche ökologische Gleichgewicht der einzigartigen Natur des Landes stören könnten. Immerhin hat Neuseeland seinen biologischen Super-Gau schon hinter sich. Am Beginn meines Buches möchte ich erklären, wie es dazu gekommen ist, und einen kurzen Überblick über einige mir wichtig erscheinende Daten und Fakten zu Neuseeland geben.

Weder geographisch noch kulturell lässt sich der Inselstaat eindeutig einem bestimmten Kontinent zuordnen. Neuseeland liegt isoliert im Südpazifik, sowohl auf der australischen, als auch der pazifischen Platte. Kulturell ist es mit dem europäisch geprägten Kulturraum Australiens und dem polynesischen Teil Ozeaniens verbunden. Vor 85 Millionen Jahren trennte sich das Kontinentalbruchstück Zealandia von der Landmasse, die jetzt die Antarktis bildet. Seitdem entwickelte sich auf ihm ein eigenständiges Ökosystem mit einzigartiger Flora und Fauna. Die Ankunft der Maori und später der Europäer führte wegen absichtlich und unabsichtlich mitgebrachter Tiere zu einem beispiellosen Artensterben, dem man heute mit strengen Schutzmaßnahmen zu begegnen sucht.

Neuseeland wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts von Polynesiern entdeckt und in mehreren Einwanderungswellen besiedelt. Die Nachfahren dieser Menschen sind die Maori, die heute mit einem vierzehnprozentigen Anteil die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe Neuseelands bilden. Die Mehrheit der 4,5 Millionen Einwohner stammt von den Europäern ab. Der niederländische Seefahrer Abel Tasman erreichte 1642 die Golden Bay im Norden der Südinsel. Als er diese aus der Nähe erkunden wollte, kam es zur ersten, blutigen Begegnung mit den Maori. Der „Entdecker“ Neuseelands wagte es in der Folge nicht mehr das Land zu betreten. Über 100 Jahre später wurden erneut Expeditionen in die Gewässer um die bereits New Zealand genannten Inseln gestartet. Im Oktober 1769 landete der britische Kapitän James Cook mit dem Schiff Endeavour, von Tahiti kommend, im Südwesten Neuseelands. Cook und die ihn begleitenden Wissenschaftler begannen das Land gründlich zu kartographieren. Die Zahl der europäischen Einwanderer, von denen die meisten von den britischen Inseln stammten, war bis zum frühen 19. Jahrhundert noch relativ klein. Sie arrangierten sich und lebten in enger Nachbarschaft mit den Maori. Mit der zunehmenden Inbesitznahme des Landes kam es vermehrt zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Vertrag von Waitangi sollte eine friedliche Koexistenz ermöglichen. Er gilt als die Geburtsurkunde des modernen Staates.

Heute ist Neuseeland eine parlamentarische Demokratie. Da es Mitglied des Commonwealth of Nations ist, gilt die britische Königin als Staatoberhaupt. Die Hauptstadt ist Wellington. Als Amtssprachen sind Englisch und Maori in Verwendung. Zahlungsmittel ist der Neuseeland-Dollar (NZD).

Weil man, von Mitteleuropa kommend, nach dem endlos erscheinenden Flug ohnehin jegliches Zeitgefühl verloren hat, wird man die Zeitumstellung von elf Stunden (während der neuseeländischen Sommerzeit, also von Oktober bis März, zwölf Stunden) wahrscheinlich gut verkraften.

Auckland – city of sails

Neuseeland – so weit weg von unserer Heimat, wie es auf der Erde nur möglich ist. Und doch, es fühlt sich an wie nach Hause kommen. Das erste, was wir wahrnehmen, ist der Frühling, der hier mit aller Macht über die Gärten und Parks von Auckland gezogen ist. Die Bäume stehen in voller Blüte, bekannte und unbekannte Schönheiten im Festtagskleid. In den Wiesen sprießen Krokusse und weiße Narzissen, während Blauregen, Rhododendren, Orangen- und Zitronenbäume unter Palmen ihren betörenden Duft verbreiten.

Unsere redselige Wirtin vom Bavaria Bed and Breakfast hat uns eine Wanderroute durch Auckland vorgeschlagen, die wir jetzt hoch motiviert angehen. Vorerst spazieren wir durch ein hübsches Villenviertel. Nicht einmal eine halbe Stunde brauchen wir, um mit dem 200 Meter hohen Mount Eden den höchsten der schlafenden Vulkane Aucklands zu erreichen. Wir blicken über den grün bewachsenen Krater hinüber zur Skyline der Metropole. Die Stadt erstreckt sich über eine Landenge, die durch mehrere Meeresarme fast durchtrennt wird. Der Waitemata Harbour wurde von den Maori nach seinem glitzernden Wasser benannt. Er ist Aucklands Hochseehafen und zugleich die Kulisse für das Zentrum der Stadt. Als vor rund 600 Jahren unter lautem Getöse die letzte Eruption in der Region stattfand, und die 260 Meter hohe Rangitoto Insel aus dem Hauraki Gulf wuchs, wurde dieses furchterregende Schauspiel von den Maori beobachtet. Das entstandene Eiland nannten sie Rangitoto, was zu Deutsch blutroter Himmel bedeutet. Die moderne Stadt Auckland liegt auf rund 50 kleinen, erloschenen Vulkanen. Bisher zollten die Bewohner der Stadt ihrem geologischen Erbe allerdings nur wenig Respekt. Viele der Vulkankegel sind dem Schlacke- und Basaltabbau zum Opfer gefallen, andere unter dem Meer aus Einfamilienhäusern der Stadt versunken. Nur die als Wasserspeicher dienenden Kraterseen verraten noch das vulkanische Erbe der Hügel.

Unsere Stadtwanderung führt uns weiter durch die Parkanlage des „Auckland Domain“ mit seinem herrlichen Wintergarten hinein in die geschäftige Downtown. Hinter den Wolkenkratzern, unter ihnen der Skytower, von dem sich gerade, als wir vorbei spazieren, ein Bungeejumper in die Tiefe stürzt, verbirgt sich der herausgeputzte Viaduct Harbour. Seit der erfolgreichen Verteidigung des American Cup1 im Jahr 2000 liegen in dem ehemals schmuddeligen Fischereihafen die vornehmsten Segeljachten, die man sich nur vorstellen kann. Es sind windschnittige Luxusschiffe mit Masten, so hoch wie mehrstöckige Häuser. In der City of sails nennt angeblich jeder vierte Bewohner ein Segelboot sein eigen. Die ganze Nation fiebert mit, wenn es bei der Regatta darum geht, die Ehre Neuseelands zu verteidigen.

Gleich neben dem Viaduct Harbour befindet sich das Ferrybuilding, von wo die schnellen Katamarane zu den Inseln im Hauraki Gulf ablegen. Wir holen uns erste Informationen im Tourismusbüro, das wir mit einer Tasche voll Prospektmaterial verlassen. Etwas überfordert von der Flut an Möglichkeiten, versuchen wir uns im Quartier einen Überblick zu verschaffen. Dabei hilft uns unsere liebe Wirtin, die sich redlich bemüht, nicht allzu sehr in ihr neuseeländisches Kauderwelsch zu verfallen. Dieses Englisch verstehen wir vorerst noch überhaupt nicht!

Bavaria Bed and Breakfast

Auckland


1 Die bekannteste und älteste noch heute ausgetragene Segelregatta der Welt

Wir haben schon schlechter gewohnt

Heute übernehmen wir unser Wohnmobil in der Geschäftsstelle von „Global Campers“. Ein junger Maori mit sonnigem Gemüt, erledigt mit uns die Formalitäten und erklärt die technischen Details unseres Autos. Hierbei haben wir ganz eindeutig den Vorteil, dass wir im Umgang mit Wohnmobilen erfahren sind und so nicht alles neu lernen müssen. Allerdings kann man das Luxusgefährt, das für die nächsten zehn Wochen unser Zuhause sein wird, nicht wirklich mit unserem eigenen lieben, alten Wohnmobil vergleichen. Auf den vierzehn Quadratmetern Wohnfläche kommen wir uns fast verloren vor: drei Schlafmöglichkeiten, hinten eine riesige Ecksitzgruppe mit Rundum–Panoramafenster, zusätzlich zum Herd ein kleiner Backofen und Mikrowelle, Fernseher und Dusche. Nicht übel, ist unser erster Eindruck, was aber nicht heißt, dass wir in unserem eigenen Wohnmobil schlechter leben, so passgenau, wie es auf uns zugeschnitten ist.

Kaltblütig fährt Franz das sieben Meter lange Gefährt, das noch dazu rechts gesteuert ist, zur Shoppingcity „Silvia-Park“, wo wir einen riesigen Einkaufswagen befüllen. Grundnahrungsmittel, Getränke und sonstige Haushaltsutensilien müssen angeschafft werden. Als endlich alles verstaut ist, ist es schon spät und wir fahren an Auckland vorbei. Auf der Harbourbridge bestaunen wir die im Abendlicht leuchtende Skyline der Stadt. Wir finden recht bald einen schönen, ruhigen Schlafplatz in der Castor Bay, direkt am Sandstrand. Während wir einen Thunfischsalat verspeisen, beobachten wir, hinter unserer Panoramaverglasung sitzend, das Treiben in der Bucht: das Motorboot, das am Strand vier Räder ausklappt, um dann auf der Straße weiter zu fahren, einige Hobbyfischer, die jetzt in der aufkommenden Finsternis mit Taschenlampe bewaffnet ihr Anglerglück versuchen und viele Hundebesitzer, die ihren Lieblingen noch einen Auslauf gewähren.

Castor Bay (S 36° 45,571´; E 174° 46,104´)

32km

Auckland

Bei den ehrwürdigen Kauris

Wir verlassen am frühen Morgen den sympathischen „Strand der wetzenden Hunde“. Der winterlose Norden Neuseelands wartet auf uns. Als wir die Vororte von Auckland hinter uns gelassen haben, sind wir auf dem Hibiscusroad-Highway unterwegs. Wir finden uns in einer Landschaft wieder, die an die grünen Hügel Irlands erinnert, wären da nicht die einzelnen übergroßen Bäume. Es folgen Flussläufe, an deren Ufern der Wattbereich des Meeres weit in das Landesinnere hinein reicht, und dann die ersten Kauriwälder, für die die Nordinsel so berühmt ist. In Orewa, dem Heimatort von Sir Edmund Hillary, halten wir uns nicht auf und auch am Strand von Waiwera legen wir nur einen kurzen Stopp ein. In der malerischen, kleinen Bucht liegt heute ein Thermalbad an der Stelle, wo früher die Maori Löcher in den Sand gegraben haben, um in den so entstandenen, heißen Wannen zu baden. Uns gefallen die hübschen Villen sehr gut. Die Besitzer wohnen hinter ausladenden Glasfronten zumindest optisch fast im Freien. In der Nacht, hellbeleuchtet, ist das allerdings ein Leben in der Auslage, denn kein einziger Vorhang nimmt die freie Sicht auf die privatesten Räume dieser Menschen.

Kurz vor Warkworth halten wir an einem Aussichtspunkt, an dem der Moir Hill Walkway beginnt und uns in unseren ersten Kauriwald führt. Wenige Schritte und uns umfängt eine verwunschene Welt, in der ein Dschungel aus Grüntönen dem Sonnenlicht zuwächst. Nikaupalmen wetteifern mit bis zu acht Meter hohen Silberfarnen um das Licht. In die ausladenden Zweige zeichnet die Sonne filigrane Strukturen. Wie große, grüne Raupen ringeln sich die noch nicht vollständig entfalteten Blätter der Farnbäume, als wollten sie noch länger behütet im mütterlichen Schoß verweilen. Da in Neuseeland mehr als 70 % der Fauna endemisch2 ist, ist für uns alles neu, und wir können nur Vergleiche mit uns bekannten Pflanzen anstellen. So erinnern die Aufsitzerpflanzen an die Blätter des Ficcus und an Orchideen, die großen, roten Stämme gehören wohl den Sequoias aus Kalifornien, und die langen Schlangen, die sich von Baum zu Baum winden, sind eindeutig Lianen. Dann sind da die Kaurifichten. Unsere Recherche ergibt, dass es sich bei den Kauris um eine der mächtigsten Baumarten der Erde handelt. Sie können über 50 Meter hoch werden und einen Stammumfang von sechzehn Metern erreichen. Dabei werden die ältesten unter ihnen bis zu 2000 Jahre alt. Sie gehören zur Gattung der Araukariengewächse, die bereits für die Jurazeit (vor 200 bis 150 Millionen Jahren) nachgewiesen sind.

Brick Bay-Drive, Snells Beach (S 36° 24,227´; E 174° 44,020´)

78 km

Hibiscuscoast, Warkworth, Sandspit


2 Ausschließlich in einem bestimmten Gebiet vorkommend

Lange bevor der erste Mensch die Erde betrat

Am Morgen, während des Frühstücks, stolziert ein sehr hübsches Schopfwachtel-Fräulein an unserem Wohnmobil vorbei, gefolgt von zwei liebestrunkenen Männchen. Später recherchieren wir, dass die putzigen Spaziergänger einer Spezies angehören, die aus Kalifornien stammt. So wie gestern führt unser Weg auch heute nach Norden. Es geht über grüne Hügel mit Schafen und bestechend schönen Wäldern. Immergrünes, üppiges Laub- und Nadelkleid wechseln sich mit zartem, eben erst den Knospen entspringendem Blattwerk der laubabwerfenden Bäume ab. Im Ort Ta Hana halten wir bei der Arts Factory von Kerry Strongman. Bereits die überdimensionalen, grauen Kauristämme vor der Werkstatt verraten, um welchen Werkstoff es hier geht. In den Ausstellungsräumen bewundern wir die kraftvollen Schnitzereien – Skulpturen, die auf uralte Maorisymbole zurückgehen. Sie scheinen aus der Maserung und den harzigen Einschlüssen im Holz gewachsen zu sein. Wir sehen den Urahn der Menschheit, ein, mit einem Schnabel versehenes, vogelähnliches Wesen mit menschlichen Zügen. Dann entdecken wir Wale und Eidechsen, Spiralen und Gitterwerk, sowie organisch geschwungene Formen, die an Farnwedel und Muscheln erinnern. Da Kauribäume heute streng geschützt sind, ist das Holz Sümpfen der Nordinsel entnommen. Es stammt somit aus prähistorischen Wäldern, also von Lebewesen, die die Erde bewohnt haben, lange bevor der erste Mensch auf ihr erschien. Bei den bis zu drei Meter großen Skulpturen handelt es sich nicht nur um Handwerkskunst. Dass die Philosophie und Mystik einer vergangenen Kultur in den Werken lebt wird klar, wenn man weiß, dass der Meister ein Schamane ist. Der Nachfahre britischer Einwanderer ist tief in der Kultur der Maori verankert. Wir lernen Kerry kennen, als wir um Erlaubnis bitten, einige Fotos machen zu dürfen. Er sitzt in einem Lehnstuhl – ein gütiges, rundes Gesicht, verborgen hinter einem wuchernden, weißen Bart, mächtige Statur mit muskulösen, tätowierten Oberarmen. Ein Redeschwall aus, für uns nicht zu verstehenden, aber überschwänglichen und herzlichen Worten stürzt auf uns herein. Natürlich dürfen wir fotografieren, denn die heilende Energie soll mit uns sein. Nur in den Social Medias will er keines seiner Werke wiederfinden!

Irgendwie ist heute kein Weiterkommen. Nur kurz schauen wir in Waipu vorbei, jenem Ort, der von 900 schottischen Auswanderern gegründet wurde und in dem noch heute einmal im Jahr Highlandgames stattfinden. An der Landspitze Mangawhai Heads strolchen wir wie junge Hunde am Gelände herum und beschnüffeln die wie Jasmin duftenden Blüten. Wir schlagen uns durch morastiges Unterholz zu den weißen Kelchen der Sumpfkalla durch und freuen uns über den Blick hinüber zu den Sanddünen. Diese dienen den Vögeln als Brutplatz und dürfen deshalb nicht betreten werden.

Mit Whangarei erreichen wir den Endpunkt unserer heutigen Etappe. Hier fahren wir den „Whangarei Falls Holidaypark“ an, der uns zwar kein Naturerlebnis bietet, dafür aber eine Dusche und sogar einen kleinen Pool mit heißem Wasser. Dann wird es höchste Zeit, dass wir etwas zwischen die Zähne bekommen. Den ganzen Tag war keine Gelegenheit, an Essen zu denken.

Whangarei Falls Holidaypark (S 35° 40,979´; E 174° 20, 232´)

141 km

Te Hana, Whangarei

Einer, der von den Menschen nichts mehr wissen will

Sechsundzwanzig Meter stürzt der Hateariver über eine schwarze Wand und sprüht weiße Schleier in das Tal, in das er sich ergießt. Ein 40 Meter mächtiger Basaltstrom, der vor 2,5 Millionen Jahren das Tal flutete und anschließend zu widerstandsfähigen Säulen erstarrte, bildet noch heute die Bruchkante für den Wasserfall. Ein Wanderweg begleitet das verträumte Strömen des Flusses in dichtem Urwald bis hinüber zum Red Memorial Kauri Park, wo wieder einige der ganz großen Bäume auf uns warten. Wir haben uns noch lange nicht satt gesehen an den Urwäldern Neuseelands, immer wieder gibt es Neues zu entdecken. Heute ist es der Sacred Kingfisher (Eisvogel), der uns begeistert. Kek-kek-kek-kek … stahlblaue Schwingen, schneeweißes Bäuchlein und der charakteristische kräftige Schnabel, mit dem er sich so manches kleine Fischlein aus dem Wasser holt.

Wir nähern uns der geschichtsträchtigen Bay of Islands, die als die Wiege der europäischen Besiedlung Neuseelands gilt. Sie hat als Schauplatz der Unterzeichnung des Vertrags von Waitangi zentrale Bedeutung für die Maori. Überreste von zahlreichen, befestigten Maorisiedlungen lassen erahnen, wie kriegerisch die Auseinandersetzungen zwischen den Neuankömmlingen und der heimischen Bevölkerung waren. Der Ruapekapeka Pa ist jener Ort, an dem 1846 die letzte Schlacht im „Fahnenmastkrieg“ geschlagen wurde. Nachdem der König der Maori, Hone Heke, in Russel wiederholt den Fahnenmast mit dem wehenden Union Jack gekappt hatte, war es zu neun Monate dauernden Kämpfen gekommen. In dieser Zeit lernten die Maori, ihre Pa3 besser vor britischen Feuerwaffen zu schützen. Der absolute Höhepunkt dieser Entwicklung ist Ruapekapeka, das „Fledermausnest“. Dank seiner Lage auf dem Hügel, den zweireihigen Palisaden und einem Labyrinth aus Schützengräben und verzweigten Tunnels, gelang es Hone Heke und seinen Kriegern, die Stätte zu halten. Allerdings kam im feindlichen Kugelhagel jeder dritte Maori um.

Heute ist Gras über die blutige Geschichte dieses Ortes gewachsen. Wir sind hier die einzigen Besucher. Drei Männer bearbeiten mit wild gewordenen Rasendrimmern die Gräben und Tunnels, bis sie wie ein freundlicher Park aussehen. Die Grimassen des Holzpfahls, der über die Gedenkstätte wacht, wirken im freundlichen Sonnenschein nicht wirklich bedrohlich. Sie sehen eher aus wie Gesichter von „Schiachperchten“ aus dem Alpenraum, die sich zum Winteraustreiben bereit machen.

Der Ort Kawakawa ist ein wirklich gesichtsloses Straßendorf. Was Friedensreich Hundertwasser dazu bewog, sich ausgerechnet hier niederzulassen, um auf diesem entlegenen Flecken Erde die letzten 25 Jahre seines Lebens zu verbringen, bleibt uns ein Rätsel. Auf alle Fälle sieht es nach absoluter Weltflucht aus. Im nahegelegenen Kaurinui Valley konnte er seine Absicht, im Einklang mit der Natur zu leben, wohl ungestört verwirklichen. In der Hauptstraße von Kawakawa stehen die Hundertwasser-Toiletten, die er dem Ort als besondere Attraktion hinterließ. Rundherum gibt es noch allerlei Kitsch, der hier als Hundertwasserkunst made in New Zealand bezeichnet wird. Im Übrigen ist die Toilette ein ganz gewöhnliches, öffentliches Klo. In Ermangelung eines gemütlichen Lokals kaufen wir uns zwei panierte Henderl, mit denen wir im Wohnmobil unseren ärgsten Hunger stillen.

Jetzt wird es Zeit, einen Schlafplatz zu suchen. Unser Versuch, über eine Stichstraße zu einer abgelegenen Bucht an der Bay of Islands zu gelangen, mündet in einer geschotterten, schmalen, steilen, kurz abenteuerlichen Straße ins Nichts. Weit und breit kein Meer! Wir kehren um und parken resigniert im Holidaypark Waitangi ein. Wenigstens sind wir hier morgen gleich bei den Waitangi Treaty Grounds, die wir als absolutes Muss absolvieren werden. Schließlich wollen wir ein bisschen Maoritanga schnuppern.

Holidaypark Waitangi (S 35° 16,537´; E 174° 04,658´)

107 km

Ruapekapeka, Kawakawa, Bay of the Islands


3 Befestigtes Dorf der Maori

Maoritanga

Die weit verzweigte Küstenlandschaft der Bay of Islands versinkt heute in grauem Nieselregen. Der Ort Paihia, im Sommer von zahllosen Touristen bevölkert, träumt verschlafen vor sich hin – kein sehr einladendes Bild. In der warmen Jahreszeit soll es hier phantastische Segelbedingungen geben. Uns bieten heute die Waitangi Treaty Grounds das perfekte Regenprogramm.

Wir sind an dem Ort, an dem im Jahr 1840 Vertreter der britischen Krone und fast 50 Maorihäuptlinge den Vertrag unterzeichneten, der den Maori dauerhaft ihre Besitzrechte und die Kontrolle über ihr Land sichern sollte, wenn sie im Gegenzug ihre Hoheitsrechte abtraten. Der Vertrag gilt den Nachfahren der Einwanderer, die sich selbst Kiwis nennen, als die Gründungsurkunde des Staates Neuseeland. Die Maori aber haben heute längst den Betrug erkannt, der durch den zweisprachigen Text und die in der Folge unterschiedlichen Auslegungen möglich wurde.

Das Besucherzentrum umfasst das kleine, viktorianische Landhaus, in dem die Vertragsunterzeichnung stattfand, das mit seinen 35 Metern längste Kriegskanu der Welt und das wunderschöne Versammlungshaus der Maori. Maoritanga, die Lebensweise und Kultur der Maori, bekommt heute in der Gesellschaft Neuseelands große Aufmerksamkeit und wird auch von den Kiwis zusehends als das gemeinsame, kulturelle Erbe des Inselstaates anerkannt. Das war jedoch in der Vergangenheit keineswegs immer so.

„Als die Pakeha (die Fremden) auf die Insel kamen, lehrten sie uns den christlichen Glauben. Sie machten einige Maori zu Pfarrern und Priestern und sagten uns, wir sollten gegen Himmel blicken und beten. Und während wir dies taten, nahmen sie uns das Land weg.“4

Im Glaubenssystem der Maori besitzt jeder Baum, jeder Berg und jede Bucht eine Art übernatürlicher Existenz, die von vergangenen Ereignissen und den Taten der Vorfahren herrührt. Es ist daher kein absurder Vergleich, wenn man den Verlust des Landes mit der Schwächung maorischer Lebenskraft gleichsetzt. Die Gesellschaft der Maori wird immer noch in weiten Teilen von der Stammeszugehörigkeit bestimmt, wenngleich die Entwurzelung durch die Abwanderung in die Großstädte manche der Bindungen gekappt hat. Bis heute fußt die Kultur der Maori auf der mündlichen Überlieferung ihres Kulturguts. Gesänge, Geschichten und Wortrituale besitzen im Alltag und bei Zeremonien eine zentrale Bedeutung. Die Verehrung der Ahnen und Ereignisse der Vergangenheit sind ein wichtiger Teil der Gegenwart. In den Menschen leben, nach der Vorstellung der Maori, die Ahnen weiter.

Das traditionelle Leben ist von den beiden Begriffen tapu (tabu) und noa (nicht tabu) durchdrungen. Wenn dieser Verhaltenskodex nicht eingehalten wird, sind Ächtung und Unglück die Folge. Gegenstände, Personen und Orte können tapu sein und einen erhöhten Respekt erfordern. Menschen, Tiere und Gegenstände besitzen Mauri (Lebenskraft), Wairua (Geist, Seele) und Mana (Macht, Charisma). Mit der Geburt erlangt man einen gewissen Grad an Mana, der durch Tapferkeit erhöht, durch Trägheit aber wieder eingebüßt werden kann. Jede Schwäche im Mana eines Einzelnen betrifft die gesamte Sippe und erfordert, dass ein Utu durchgeführt wird (eine Gegenmaßnahme zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts). Die Rituale eines Hapu-hui (einer Versammlung), Tangi (Bestattung) oder Powhiri (Begrüßung) finden im Marae statt, das eine Art Gemeindezentrum ist. Besucher, egal ob Maori oder Pakeha, dürfen das Versammlungshaus nicht einfach ohne Aufforderung betreten. Traditionsgemäß werden die sich nähernden Besucher einer rituellen Herausforderung unterzogen, um ihre Absichten festzustellen. An diesem Ritual kann ein furchterregender Krieger beteiligt sein, der einen Schlagstock schwingt und mit weit aufgerissenen Augen auf den Ankömmling zustürmt. Die Frauen stimmen ein Begrüßungslied an, durch das das Tapu aufgehoben und das Hongi, das zeremonielle Berühren der Nasen, eingeleitet wird.

Jedes Versammlungshaus ist eine greifbare Manifestation der Ahnenreihe und kann mit einem Körper gleichgesetzt werden: Der Firstbalken ist hierbei das Rückgrat, die Dachsparren bilden die Rippen und umschließen den Bauch im Inneren, die Giebelfigur ist der Kopf. Die Giebelschutzbretter stellen die Arme dar und sind oftmals mit fingerartigen Fortsätzen verziert. Die Oberflächen des Inneren sind mit Schnitzereien geschmückt, Zwischenräume werden mit aufwendigen Flachsgeflechten gefüllt. Aber nicht nur das Marae zeigt die hochentwickelte Schnitzkunst der Maori. Ihren vollkommensten Ausdruck erreichte sie in den Kriegskanus, auf die sich der ganze Stolz der Gemeinden konzentrierte. Die stilistische Fortführung der Schnitzkunst ist das Moko, eine ornamentale und rituelle Form des Tätowierens, die nach dem Kontakt mit den Europäern fast verschwunden wäre. Frauen hatten Moko auf den Lippen und am Kinn, hochrangige Männer hingegen ließen sich das ganze Gesicht damit schmücken, außerdem Gesäß und Oberschenkel. Je großflächiger und verschlungener das Moko war, umso höher war auch der Status seines Trägers. Zur Färbung wurde Ruß in die Wunde gerieben.

Von allen Eigenheiten der Maori ist wohl der Haka am bekanntesten – der martialisch wirkende Tanz, der noch heute bei jedem Spiel der All Blacks5 zur Einschüchterung der Gegner aufgeführt wird. Er geht auf den gefürchteten Maori-Häuptling Te Rauparaha zurück und ist nur einer von vielen Posentänzen, die durch Zurschaustellung körperlicher Kraft, Beweglichkeit und Entschlossenheit dem Gegner den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Frauen sind zwar von diesen Tänzen nicht ausgeschlossen, konzentrieren sich aber in der Regel auf Poi-Tänze. Bei ihnen werden an Schnurenden befestige Binsen-Bälle in schnellen, rhythmischen Bewegungen geschwungen.

Sowohl der haka als auch die Poi-Tänze der Cultural Performance im Versammlungshaus sind Teil unseres unterhaltsamen Besuchs der Treaty Grounds. Vier überaus beleibte Männer (man könnte ihre Körperfülle auch weniger schmeichelhaft beschreiben) veranstalten vorerst vor dem Marae ein bedrohliches Begrüßungszeremoniell. Sie werden begleitet von vier Frauen, die im direkten Vergleich mit den Männern locker als Schönheitsköniginnen durchgehen würden. Uns ist strengstens verboten zu lächeln, geschweige denn zu lachen. Nicht so einfach, wenn ein halbnackter „Fettwanst“ augenrollend, mit ausgestreckter Zunge, eine Keule schwingend auf einen zustürmt. Im Versammlungshaus gibt es dann eine sehenswerte Tanzvorführung, kraftvolle Gesänge und natürlich wieder das kriegerische Gehopse, das die Männer ab und zu sogar selbst zum Schmunzeln finden.

Holidaypark Waitangi (S 35° 16,537´; E 174° 04,658´)

0 km

Waitangi Treaty Grounds


4 Mahuta Tawhiao, Maorikönig, bei einer Rede vor dem New Zealand Legislative Council 1903

5 Neuseeländische Rugby-Union-Nationalmannschaft – bei den Spielen ganz in Schwarz gekleidet