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© 2020 Rüdiger Breivogel
Herstellung und Verlag
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783751945158
Der Herausgeber dankt allen an der Entstehung dieses Buches Beteiligten, ausdrücklich seien hier genannt:
In meiner Erinnerung ist er immer noch präsent: dieser in der Menge unauffällige und eher unscheinbare Mann, mittelgroß und schlank. Sein rechtes Auge ist vom Star angegriffen und erobert worden, sodass das Glas seiner Brille dort nur Fensterglas ist. Diese Brille ähnelt ihm irgendwie. Sie ist durch die langen Jahre des Gebrauchs abgenutzt, die Gelenke an den Bügeln sind locker und durch leichte Berührung schon in Bewegung zu setzen. Aber diese Brille ist immer noch eine Brille; sie erfüllt ihre Aufgabe, und die Gläser sind gepflegt.
Auch an ihm sind die Lebensjahre nicht spurlos vorbeigegangen: Sie haben ihn geprägt, sie haben versucht, ihn vom Weg abzudrängen, aber sie haben es dann doch irgendwie nicht geschafft. Immer wieder fand er auf diesen Weg zurück, ließ sich an den Rand drängen, hatte wohl auch schon einen Fuß danebengesetzt, aber er schaffte es dennoch auszuweichen, sich neu zu orientieren, um dann seinem Weg bis zum Tode zu folgen.
Immer umgab ihn ein leichter Tabakgeruch, selbst wenn er nicht rauchte. Seinen Zeige- und Mittelfingern sah man den jahrelangen Genuss des Tabaks an, den er in Form von filterlosen Zigaretten, die er sich meistenteils selbst drehte, oder auch manchmal von Zigarren zu sich nahm. Dieser Tabak hatte ihm – wie er oft betonte – in schweren Zeiten den Hunger vertrieben und ihm so das Leben gerettet. Dass dieser Tabak ihm dereinst auch den Tod bringen sollte, ahnte er wohl nicht, und als es ihm bewusst wurde, war es schon zu spät.
Nein, „unterkriegen“ ließ er sich eigentlich kaum, immer fand er einen kleinen Strohhalm, an den er sich klammern konnte und so weiter kam. Dieser Fähigkeit hatte er es wohl auch zu verdanken, dass er einer von sechstausend Heimkehrern war, die wiederum nur ein kleiner Teil derer waren, die einst nach Russland zogen, um dort dem Willen eines Irrsinnigen zu dienen.
Dort sollten sie für ihn Geschichte schreiben. Losgezogen sind etwa 90000 deutsche Soldaten. Zurückgekehrt aus Stalingrad und den folgenden Jahren der russischen Gefangenschaft nur etwa 6000. Aber die Wirkung dieser 6000 auf die folgende Geschichte ist vergleichbar mit Steinen, die man ins Wasser wirft. Ein Stein schlägt nur wenig Wellen, die Masse zieht schon höhere und weitere Kreise – nur ist dann der einzelne Stein fast unbedeutend. Doch auch dieses Teilchen hat mathematisch gesehen Auswirkungen auf das Ganze und schließlich haben seine Nachkommen ihre Existenz diesem Steinchen zu verdanken.
Das, was diesem Mann in den sonst für das ganze Leben so wichtigen Jahren zwischen 18 und 30 begegnete, hatte er zumindest mit seiner Generation gemeinsam: der Zweiten Weltkrieg. Doch dieser Krieg formte das Schicksal jedes Menschen individuell und auch bei ihm war dies geschehen. Sah man einmal von Äußerlichkeiten ab, wie z.B. dem Verlust des Geruchssinnes, zeigte sich bei ihm eine zeitweise sprunghafte Launenhaftigkeit, die als Hirnverletzung attestiert und derentwegen er von Zeit zu Zeit kurte. Und selbst bei dieser Krankheit verstand er es irgendwie, einen kleinen Vorteil für sich und seine Familie herauszuschlagen, die sehr viel für ihn bedeutete. Greifbar wird dieser Vorteil bei einigen Dingen: dem Haus, bei dessen Finanzierung er außergewöhnliche Wege fand, oder bei den Autos, die er sich leistete, obwohl er selbst nicht mehr fahren durfte, weil sein Führerschein in Russland geblieben war, und in denen sitzend ein gewisser Stolz bei ihm spürbar wurde.
Wo und wann genau sein Lebensweg und damit auch er selbst diesen Knick erhielt, lässt sich heute nicht mehr feststellen; dass dieser Zeitpunkt aber irgendwo zwischen Stalingrad und der Rückkehr aus der Gefangenschaft lag, ist erkennbar. Denn wenn man seine Erinnerungen an diese Zeit liest, merkt man deutlich, dass es da etwas gab, was zu verdauen war, was er aber nicht verdauen konnte.1 Am deutlichsten wird das an der Form der Erinnerungen: Er erfindet eine Person namens Herbert, die er selbst ist und dennoch wieder nicht. So konnte er seinen Weg während dieser Zeit gleichzeitig noch einmal durchlaufen und dennoch eine gewisse Distanz dazu haben. Vollständig gelungen ist ihm das allerdings nicht ganz, denn im Originalmanuskript zeigen sich Verwischungen zwischen dem fiktionalen Protagonisten „Herbert“ und dem realen Soldaten Hermann.
Diese ihn prägenden Jahre sind auch die Jahre, die eine ganze Generation und Nation ins Verderben führte und den nachfolgenden die Pflicht auferlegte, derartige unmenschliche Verbrechen an der Menschlichkeit zu verhindern. Er erlebte sie als ehemals einfacher Soldat im Russland-Feldzug als Fahrer des kommandierenden Offiziers einer Kompanie und legte diese Zeit aus seiner Erinnerung schriftlich mehr oder weniger ausführlich nieder. Dass er dabei nicht objektiv bleiben konnte, ist verständlich, dennoch eines war ihm dabei besonders wichtig:
Diese Erinnerungen sollten nicht dem Hass, sondern eher der Versöhnung dienen, denn der Verfasser hat nie – so seltsam es beim Durchlesen dieser Niederschrift erscheinen mag – während seines späteren Lebens gegen die „Russen“ geschimpft, noch diese verschmäht. Statt dessen standen immer wieder Äußerungen wie: „Die haben uns gegeben, obwohl die selbst nichts hatten“ oder auch „Das russische Volk konnte ja nichts dafür“ immer wieder im Mittelpunkt.
Diese Äußerungen sind meistens nur so zu verstehen, dass beide – Deutschland und die damalig genannte Sowjetunion – unter der Knute jeweils eines wahnsinnigen Diktators zu leiden hatten. Nur so erscheint es mir erklärlich, dass unter der gewollten, durch Lebensangst gezüchteten Haltung Mitgefühl entstehen konnte.
Alle Namen deutscher Beteiligter wurden so verändert, dass sie kaum nachvollziehbar erscheinen. Dies geschieht aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen.
1 Mit diesem Gefühl des Unrechts stand er durchaus nicht allein, wie z. B. die Untersuchungen von S. Goltermann gezeigt haben, die zusammenfassend zu dem Schluss kommt: Die Kriegsheimkehrer trugen „ein immenses Unbehagen mit sich.“ Es scheine so, „als ob eine Stimmung der Verängstigung das Leben einfärbte.“ S. Goltermann, Kriegsheimkehrer, S. 39.
Meine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg von Hermann Breivogel, geboren am 10. September 1918
Der Bericht eines Landsers, eindringlich und wahrheitsgetreu, über sein Stalingrad, wie er es erlebte, wie er es verstand, und wie er es hasste.
Dieses Erleben hat er niedergeschrieben, niedergeschrieben mit seinen Worten, die die Entbehrungen und Leiden eines Soldaten wiederzugeben versuchen, insofern so etwas überhaupt möglich ist. Aber es waren nicht nur seine Leiden; wie viele Deutsche haben sie durchlebt in Russlands Weiten, und wie viele sahen die Heimat nicht wieder. So sind es seine geschilderten Erlebnisse, wie auch die seiner Kameraden.2
Mit meiner Niederschrift möchte ich einmal alle meine Erinnerungen aus allen Feldzügen, soweit es überhaupt noch möglich ist, niederschreiben3 Es ist wohl richtig, wenn ich meinen Werdegang zunächst grob schildere.
Im Januar 1938 wurde ich in den Reichsarbeitsdienst eingezogen. Die Dienstzeit betrug ein halbes Jahr. Der Reichsarbeitsdienst hatte die Aufgabe, Brachland urbar zu machen sowie Regulierungen von Flüssen und vieles mehr zu leisten. Aber nicht nur Beil und Spaten war unsere Ausrüstung, sondern wir wurden auch an Waffen ausgebildet, vorerst nur an Karabinern. Den Zweck dieser Ausbildung verstand man als junger Mensch gar nicht richtig. Politisch wussten wir jungen Menschen nicht einmal richtig, was alles einmal auf uns zukommen würde. Der Nazistaat bildete seine Führerfiguren aus, die dann eben die Aufgabe hatten, uns jungen Menschen jegliches Denken abzugewöhnen. Denn das sollten ja die Unterführer für uns machen.
Zu dieser Zeit wurde ich vom Reichsarbeitsdienst, kurz RAD genannt, an den Westwall, der auch Siegfriedlinie genannt wurde, verlegt. Dort hatten wir an Befestigungen und Infanterie-Gräben zu arbeiten. Jetzt waren wir schon keine Arbeitsmänner mehr, sondern wir wurden einfach durch Befehl zu Pionieren umgewandelt.4 Über Nacht wurde auf diese Weise die Wehrmacht verstärkt.
Nach meiner Dienstzeit im RAD, die sich anstelle von einem halben Jahr auf drei viertel Jahr verlängert hatte, wurde ich dann zu meiner eigentlichen Truppe nach Wuppertal-Elberfeld zum Artillerieregiment 76 verlegt. In diesem Art. Reg. 76 machte ich ein halbes Jahr die Grundausbildung als einfacher Rekrut durch, wobei ich in verschiedenen Bereichen geschult wurde, sei es als Funker, Richtkanonier, Fernsprecher und vieles mehr. Am Ende meiner Grundausbildung war der Polenfeldzug, der am 1. September 1939 begann, dann schon vorbei. Nach meiner Ausbildung rückten wir aus der Kaserne in Wuppertal aus und wurden nach Hessen in Privatquartieren untergebracht. Bis zum Jahre 1940 verblieben wir in diesen Privatquartieren.
So Ende April 1940 rückten wir zu einer Feldübung ab. Wir Soldaten hatten keine Ahnung, was es mit dieser Übung wirklich auf sich hatte und dass es für uns der Auftakt zum Krieg war. Wir mussten mit Feldgepäck antreten, und wir empfingen Marschverpflegung, die eiserne Ration. Dann wurde uns noch der Marschweg kurz erläutert. Die Fahrzeuge liefen, und schon bald erhob unser Hauptmann die Kelle, der Abmarsch war befohlen.
Unsere Feldübung führte uns in Richtung der Stadt Mayen in der Eifel. Waren wir Soldaten unserer Einheit ursprünglich der Meinung, dass sich nur unsere Einheit in Marsch befand, so mussten wir ehrlich staunen, als wir feststellten, dass sich die ganze Division bewegte. Wir konnten uns nur wundern, was so ein Aufmarsch einer Division mit sich brachte. Die Straßen waren vollgestopft mit Fahrzeugen aller Art.
Aber noch glich alles einem Spaziergang und machte irgendwie Spaß. Sogar die Bevölkerung kam an unsere Fahrzeuge und beschenkte uns Soldaten mit Zigaretten und Kuchen. Immer noch wussten wir Soldaten nicht, was uns bevorstand. Zwar hatte die Bevölkerung angedeutet, es ginge nach Frankreich, aber wir glaubten nicht daran. In der Abenddämmerung tarnten wir unsere Fahrzeuge und durften keinen unnötigen Lärm machen.
2 Es ist an sich wirklich an ein Wunder grenzend, wenn man bedenkt, dass von den Stalingrad-Kämpfern lediglich nur etwa 6000 lebend zurückkehrten. Und es wirkt noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der prozentuale Anteil der Überlebenden so gestaffelt war: Zu Tode kamen über 95% der Soldaten und Unteroffiziere. 55% der Offiziere und der niedrigen Dienstgrade überlebten nicht. Dagegen kehrten 95% der Offiziere aus der Gefangenschaft zurück.
3 Es ist verständlich, dass der Verfasser das Geschehen nur aus der Sicht eines einfachen Soldaten, sprich auch „Landsers“, niederlegte, zumal ihm der Entscheidungsanteil verwehrt blieb. Ebenso hatte er kaum Einsicht in die Großkampflage.
4 Am 26. August 1939 wurde aus der „-281- 1. Bau Btl. 81“ die „1. Kompanie Bau-Bataillon 8“, die im Wehrkreis VI [Münster] aus dem RAD aufgestellt wurde. Vgl. Georg Tessin: Verbände und Truppen der dt. Wehrmacht u. Waffen SS im Zweiten Weltkrieg 1939-1945, Osnabrück 1973 ff., nach Auskunft der deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht vom 24.März 2005. Am 27. September 1939 wurde daraus die „2. Batterie Artillerie-Ersatz-Abteilung“, die dann am 10. April 1940 zur „2. Batterie Artillerie-Ersatz-Abteilung (motorisiert) 76“ mit dem Standort Wuppertal umbenannt wurde.
Befehlsausgabe: „Alles antreten!“
Meine Einheit musste zur Befehlsausgabe antreten. Der Hauptmann erschien und gab uns Soldaten kurz eine Übersicht, wie der folgende Marschweg verlaufen würde. Wir rollten weiter in Richtung Westen. Gegen Mittag standen wir dann an der Grenze von Luxemburg.5 Nun hatten wir Gewissheit, es ging tatsächlich nach Frankreich! Der Frankreich-Feldzug begann!
Schnell war der Schlagbaum an der luxemburgischen Grenze beseitigt. Der Vormarsch begann. Die Bevölkerung von Luxemburg leistete keinen Widerstand. Bei St. Peter überschritten wir die belgische Grenze.6 Auch hier hatten wir kaum Feindberührung. Es gab keinerlei Verluste. Weiter ging es auf der Rollbahn in Richtung Maas.
Bei der Stadt Monheimer gingen wir dann in Stellung.7 Unsere Pioniere hatten den Auftrag, auf der anderen Seite einen Brückenkopf zu bilden.
Der Vormarsch hatte hier an der Maas offensichtlich seine anfängliche Leichtigkeit verloren. Französische Bomber griffen unsere Stellungen an. Die Bomben, die sie warfen, lagen genau im Ziel. Wären es keine Blindgänger gewesen, dann hätte es bestimmt lustig bei unserer Einheit ausgesehen. So aber sind wir noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Am nächsten Tage ging unser Vormarsch weiter. Die Pioniere hatten eine Brücke gebaut, und bald hatten wir die Maas überquert. Das etwas hügelige Gelände machte uns anfangs zu schaffen, aber unser Vormarsch wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Die französischen Soldaten hatten den Fluchtweg gewählt.
Vorbei ging es an verlassenen Fahrzeugen und überalterten Feldgeschützen, die vermutlich noch aus der Zeit des Krieges 70/71 stammten.8 Mit solchen Waffen war der französische Soldat wohl kaum in der Lage, die besser und moderner ausgerüstete Wehrmacht aufzuhalten. So waren auch die Panzer überalterte, mit Kurzgeschützen ausgestattete Kampfwagen, die sich kaum noch von der Stelle bewegen konnten. Zwar hatten unsere Panzer zu dieser Zeit auch nur Kurzgeschütze, aber unsere Panzer waren wesentlich wendiger.
Nach der Überschreitung der Maas bewegte sich unsere Division in Richtung Sedan. Nach Einnahme dieser wichtigen Stadt sollte unser Weg in Richtung Normandie verlaufen.9 Wir passierten Städte, die im Ersten Weltkrieg Geschichte gemacht hatten. Und ehrfürchtig gedachten wir der Soldaten, die hier ihr Blut vergossen hatten. Wir hatten Gelegenheit, alte Schlachtfelder aus dem Ersten Weltkrieg zu sehen. Um jeden Meter war damals gekämpft worden, und Kampfwagen aus dieser Zeit standen noch als stumme Zeugen herum. Unzählige Kartuschen lagen umher. Schützengräben zogen sich durch das fast gestorbene Land. Es stimmte schon nachdenklich. Man stellte sich selbst die Frage: „Was wird auf uns zukommen?“ Aber was nützten alle Gedanken, wir hatten alles auszuführen, was man uns befahl. Widersetzen war gleichbedeutend mit dem eigenen Untergang.
Weiter ging der Vormarsch. Graue Kolonnen bewegten sich in nicht vorstellbarer Stärke auf allen Wegen und Straßen. Unser nächstes Ziel sollten die Städte St. Omer und Calais sein. Vor St. Omer hieß es auf einmal: „HALT!“.10
Kampflärm hörte man überall. Flugzeuge waren den ganzen Tag in der Luft. Nur, wohin diese flogen, konnten wir kleinen Soldaten nicht wissen. Später erfuhren wir, dass diese Kampfmaschinen in Richtung Dünkirchen flogen.11 Wie viel Verderben diese Flugzeuge anrichteten, erfuhren wir nie. Selten erfuhren wir einfachen Soldaten überhaupt etwas. Nach dem Fall der Stadt Calais war unser erster Auftrag erfüllt.12
Der Marschweg sollte uns nun in den Süden des Landes führen. Durch die Kreidefelder der Champagne ging der Vormarsch weiter. Schließlich durchbrachen wir die Maginotlinie bei Epinal. Als auch hier die Kampfhandlungen geendet hatten, ging auch der Feldzug gegen Frankreich zu Ende. Frankreich hatte kapituliert.13 Noch kurze Zeit blieben wir in dem Land, als wir eines Tages auf Güterzüge verladen wurden. Wir rückten wieder in unsere Kaserne ein und wurden von der schaulustigen Bevölkerung freudig begrüßt.
In der Kaserne versahen wir in gewohnter Weise unseren Dienst. Die Fahrzeuge wurden soweit wie nötig wieder hergestellt und einsatzfähig gemacht. Danach durften wir erst einmal in Heimaturlaub fahren. Im Anschluss an den Urlaub erwartete uns Soldaten eine Umgruppierung der gesamten Einheit. Unser Regiment Art. Reg. 76, 1. Abteilung wurde nach Hamm/ Westfalen versetzt. Jetzt erhielten wir die Regimentsnummer „16“. Waren wir im Frankreich-Feldzug die 6. Panzerdivision, so hatte man uns in die 16. Panzerdivision umgewandelt.14
Nur kurze Zeit verblieben wir in der Kaserne in Hamm. Der Dienst war schwerlich. Schließlich bestand unsere neue Einheit zur Hälfte aus einem Regiment, das vormals eine bespannte Einheit darstellte. Hinzu kam noch, dass die Soldaten nunmehr anstelle von Pferden es nun mit Kraftfahrzeugen zu tun hatten. Gut ein halbes Jahr dauerte die Einspielung der Einheit.
Eines Tages rückten wir wieder aus der Kaserne aus und einem uns Soldaten unbekannten Ziel entgegen. Bewusst wurden wir Soldaten über Truppenbewegungen und Zweck der Handlung im Unklaren gelassen. Meistens in der Nacht bewegte sich unsere Kolonne. Im Raum Hersfeld wurde dann die Einheit in Privatquartieren untergebracht. Bis Anfang Dezember 1940 verblieben wir in diesen Quartieren.
Eines Tages kam ein Kamerad, der mich schon eine Zeit lang gesucht und mich nun endlich gefunden hatte: „Du sollst zum Spieß kommen!“
Ich schlug den Weg zu dem Hauptwachtmeister ein und bekam den Befehl, sofort mein Fahrzeug fahrbereit zu machen. Nachdem ich damit fertig war, ging es in Richtung Bahnhof weiter. Dort wurde ich mit noch einigen Fahrzeugen und Kameraden verladen.
Es war schon Nacht, als sich der Zug in Bewegung setzte. Tage rollten wir in Richtung Donauländer.15 Durch Ungarn erreichten wir bald die Grenze von Rumänien. In Temeschburg, einer Stadt in Rumänien, wurden wir dann ausgeladen. Per Achse ging es weiter bis nach Ruja, zu deutsch Roseln. Nach ungefähr einer Woche fand sich dort unsere gesamte Einheit wieder.
Wir stellten uns oft die Frage: „Was sollen wir hier?“, aber keiner von uns wusste es genau, und uns blieben nur Vermutungen. Es stellte sich dann heraus, dass wir als Lehrtruppen in Rumänien fungieren sollten.16 Oft lästerten wir über unsere Verbündeten, die nicht einmal in der Lage waren, ihre Waffen richtig zu halten. Aber denke ich an diese Zeit zurück, so muss ich offen sagen, es war für uns Soldaten eine schöne Zeit. Ungefähr drei Monate verblieben wir in Rumänien.
Wieder wurden wir verladen, wobei es für uns in Richtung Ungarn ging. In Ungarn standen wir in der Nähe von Budapest auf einem Abstellgleis lange fünf Tage. Es war merklich kalt geworden, und wir froren in unseren Waggons. Dann rollte der Zug aus heiterem Himmel wieder. Es ging wieder zurück nach Rumänien.
In Zeiden nahe bei Kronstadt (Braşov) nahm unsere Einheit auf dem Marktplatz Aufstellung. Wie so oft hatten wir Landser wieder keine Ahnung, was dieses Theater zu bedeuten hatte. Nachmittags rollte unsere Einheit dann in Richtung Bulgarien.17 Es ging durch scheinbar unendliche Kreidefelder. Die Fahrzeuge wurden weiß von der Kreide.
Endlich erreichten wir die Stadt Šumen. Bekannt ist diese Stadt durch die große Moschee.
Die bulgarische Bevölkerung war sehr freundlich zu uns. Zigaretten, und alles, was die an sich armen Menschen abzweigen konnten, schenkten sie uns. Es versteht sich, dass wir Soldaten uns sehr darüber freuten. Überhaupt war die Bevölkerung sehr nett und hilfsbereit. Oftmals waren wir Gäste der Bulgaren in deren Heimen. Alles war so friedlich. Nur die Hitze machte uns allerhand zu schaffen, aber wenn wir gewusst hätten, was noch auf uns zukommen sollte, dann wären wir schön stille gewesen.
Und dann wurden wir eines schönen Tages wieder in Richtung Südosten in Marsch gesetzt. Unaufhaltsam ging unser Marsch weiter. Dieser Vormarsch sollte uns bis an die Grenze Griechenlands führen.18 Dort lagen wir eine Zeit lang in Alarmbereitschaft. Unsere Panzerregimenter waren in Griechenland zum Einsatz gekommen, da die italienische Armee mit den Hellenen nicht fertig wurde. Scheinbar hatte der Duce von Hitler zwei deutsche Panzerdivisionen zur Verstärkung angefordert. Aber schon nach dem Einsatz einer halben Panzerdivision war der Feldzug in Griechenland beendet.19
Von der bulgarisch-griechischen Grenze aus rückten wir mit unbekanntem Ziel ab. Etwas Großes schien im Gange zu sein, da Teile der schweren Waffen verladen wurden. Wieder erreichten wir ein anderes Etappenziel.
Im Raume von Schlesien nahe der polnischen Grenze warteten wir auf unseren nächsten Einsatz.20 Damals liefen die unmöglichsten Parolen umher. Einer wollte wissen, es ginge in die Türkei! Aber es war nichts Genaues bekannt.21
5 Der Einmarsch in Luxemburg erfolgte am 10. Mai 1940 unter dem Befehl von General-Oberst von Rundstedt, der der Heeresgruppe A vorstand.
6 Der Westfeldzug unter dem Decknamen „Fall Gelb“ begann am 10. Mai 1940 mit Luftlandungen deutscher Truppen in den Niederlanden und in Belgien.
7 Es scheint sich hier wohl eher um die Stadt Monthermé zu handeln, wo es der 6. Panzerdivision am 13. Mai 1940 gelang, einen Brückenkopf zu bilden. Ihr Gegner war eine einzige französische Kompanie, der aber durch Luftangriffe starke Verluste zugefügt wurde. So konnten die deutschen Soldaten alsbald danach die Maas über eine teilweise zerstörte Brücke überschreiten. Vgl. C. Zentner, Der Frankreich Feldzug, S. 84.
8 Es scheint einleuchtender zu sein, die Fahrzeuge als Überreste des Ersten Weltkrieges von 1914 - 1918 zu datieren.
9 15. Mai 1940: „Beim Übergang über die Maas im Raume von Sedan ist in engstem Zusammenwirken mit der Luftwaffe der Schutzwall Frankreichs, die Maginotlinie, in ihrer Verlängerung nach Nordwesten durchbrochen. Auch hier scheiterten französische Gegenangriffe unter schweren Verlusten für den Feind.“ Die Wehrmachtsberichte 1939 - 1945, S. 150. Die Schlacht um Sedan selbst begann am 13. Mai 1940 um 16:00 Uhr, wobei es sich weniger um eine Panzerschlacht handelte als um eine Schlacht, die von der Luftwaffe, den Pionieren und den Flugabwehrkanonen gefochten wurde. Vgl. C. Zentner, Der Frankreich Feldzug, S. 85.
10 25. Mai 1940: „In hartem Kampf mit feindlichen Land- und Seestreitkräften fiel Boulogne. Calais ist umschlossen; das Höhengelände von Vimy über Lillers – St. Omer bis Gravelines ist in unserem Besitz. Die Gefangenenzahl erhöht sich ständig und ist ebenso wie die Beute noch nicht zu übersehen.“ Die Wehrmachtsberichte 1939 – 1945, Bd. 1, S.167.
11 Die Kesselschlacht um Dünkirchen fand zwischen dem 19. und 26. Mai 1940 statt und endete letztendlich mit der Einnahme von Dünkirchen am 4. Juni 1940.
12 Der Kessel von Calais kapitulierte am 27. Mai 1940.
13 Frankreich kapitulierte am 22. Juni 1940 in einem deutsch-französischen Waffenstillstand, der in demselben Eisenbahnwagen von Frankreich unterzeichnet wurde, in dem das Deutsche Reich die Kapitulation des Ersten Weltkrieges vollzog.
14 Die Umgliederung in die 16. Panzerdivision erfolgte zwischen Juli und Dezember 1940 im Reichsgebiet. Vgl. hierzu: J. Piekalkiewicz, Stalingrad, S. 676. Die vollständige Bezeichnung lautet: 2. Panzer-Artillerie-Regiment 16 der 16. Panzerdivision. Dort war der Verfasser Kraftfahrer und seine Feldpostnummer lautete zunächst: 18305.
15 Hitler beschloss am 13. Dezember 1941 das Unternehmen 'Marita' zur Festigung der Balkanfront. Dadurch sollte dem italienischen Bundesgenossen geholfen werden, „der am Balkan in Schwierigkeiten geraten war.“ G. Knopp, Der verdammte Krieg – Unternehmen Barbarossa, S. 27.
16 Der Einsatz als Lehrtruppe erfolgte zwischen Dezember 1940 und März 1941. Vgl. hierzu: J. Piekalkiewicz, Stalingrad, S. 676, genau gesagt zwischen dem 15. Dezember 1941 und dem 27. März 1941, vgl. G. Schmitz, 16. Panzerdivision, S. 12
17 Unter Befehl des General-Feldmarschalls List rückten deutsche Truppen am 2. März 1941 in Bulgarien ein. Am 12./14. März 1941 erfolgte dann die Besetzung Belgrads.
18 Der deutsche Angriff auf Griechenland und Jugoslawien begann am 6. April 1941. Vgl.: G. Knopp, Unternehmen Barbarossa, S. 252
19 Am 21. April 1941 besetzten deutsche Truppen Athen und den Peleponnes, nachdem die alliierten Truppen gewichen waren.
20 „Schon seit dem 22. Mai rückten große Teile der deutschen Verbände in ihre Bereitstellungsräume ein. Am 8. Juni erging die endgültige Aufmarschanweisung für das Unternehmen 'Barbarossa'.“ G. Knopp, Der verdammte Krieg – Unternehmen Barbarossa, S. 39.
21 Übereinstimmend schreibt hierzu G. Knopp: „Vom Fall 'Barbarossa hatten die Landser noch nichts gehört, an einen Krieg gegen Stalins Rußland glaubten sie nicht. Gerüchte machten die Runde: Die Iwans sind unsere Verbündeten. Sie liefern uns Korn. Sie gehen mit uns nach England.'“ G. Knopp, Der verdammte Krieg – Unternehmen Barbarossa, S. 46.
In den frühen Morgenstunden hatten die Funker den T-Empfänger eingeschaltet, als Hitler ankündigte, dass der Russland-Feldzug begonnen hätte.23 Kaum war das Gerät ausgeschaltet, als der Befehl laut wurde: „Motoren anwerfen!“
Schnell hatten wir unsere Sachen in den Fahrzeugen verpackt. Die Einheit sammelte sich, und wir rollten über die Grenze.24 Die polnische Bevölkerung blickte uns verängstigt nach. Weiter ging es. Wir passierten die Stadt Lublin.25 Hier hatte der Krieg deutlich seine Spuren hinterlassen. Fast völlig zerstört war die Stadt. Ausgehungert und armselig schien uns die Bevölkerung. Viel Leid und Hunger hatte dieses Volk durch den ungewollten Krieg erleiden müssen. Aber welche Möglichkeiten hatten wir Soldaten, diesen Krieg oder dessen Gräuel zu verhindern? Später sollten wir die Gejagten werden. Aber zunächst ging es noch unaufhaltsam weiter auf der Rollbahn gegen Osten. Erst bei der Stadt Ljubar sollten wir dann eine erste große Panzerschlacht erleben.26 Tage sollten vergehen, bis wir unseren Vormarsch wieder fortsetzen konnten. Unsere Stuka-Verbände ermöglichten uns den Vormarsch. Verluste hatten wir keine zu beklagen.27
Endlos zogen die Kolonnen der Wehrmacht dahin. Fernes Grollen der Artilleriegeschütze war zu vernehmen. Unsere Bomber und Jäger schwängerten den Luftraum. Vereinzelte russische Flugzeuge wurden sichtbar. Oft lachten wir über diese Maschinen, aber das Lachen sollte uns noch vergehen. Verbissen suchte die Rote Armee unserem Vormarsch Einhalt zu gebieten. Aber dadurch, dass die Russen so plötzlich von uns, d.h. von unserer Wehrmacht, überrumpelt wurden, hatten sie keine Möglichkeit, unseren Vormarsch zu stoppen. Links und rechts der Rollbahn lagen russische Fahrzeuge im Straßengraben. Russische Panzer waren gesprengt oder durch die Luftwaffe vollkommen vernichtet. Damals hatten die russischen Soldaten nur die Möglichkeit sich abzusetzen. Und Mengen von Waffen blieben durch eine überstürzte Flucht am Straßenrand liegen. Oft kamen wir an russischen Geschützen vorbei, deren ganze Bedienung gefallen war. Diese russischen Soldaten hatten nicht einmal mehr die Gelegenheit bekommen, sich abzusetzen. Auch die Bevölkerung hatte unter dem Krieg zu leiden, sie verkroch sich in Löchern. Denn die primitiv erstellten Häuser und Wohnbezirke hielten der Feuerwalze nicht stand. Der Krieg forderte unerbittlich Tribut.
Schließlich hatten wir die russisch-polnische Demarkationslinie erreicht. Der Russe lieferte uns harte Gefechte. Schon hatten wir Verluste zu beklagen. Aber ein Krieg fordert seine Opfer!
Weiter ging es, immer weiter. Unser nächstes Ziel sollte der Fluss Bug sein. Auch hier leistete der Russe Widerstand und lieferte schwere Abwehrkämpfe. Aber Hitler-Deutschland hatte seine Karte auf Sieg gesetzt, koste es, was es wolle, und so kämpften wir immer weiter, obwohl unsere Verluste täglich anstiegen. Der schnelle Vorstoß, im Schnitt wurden täglich 150 bis 200km bewältigt, brachte ungeahnte Schwierigkeiten mit sich. Die Truppe konnte oftmals nicht richtig versorgt werden.
Als Panzereinheit benötigten wir, um überhaupt Kampfhandlungen führen zu können, sehr viel Kraftstoff (Benzin). Da unsere Division eine Eliteeinheit war, hatten wir demzufolge auch Sonderaufträge durchzuführen und bei zunehmendem Mangel an Versorgung wuchsen auch unsere Probleme.
Um das hier genauer zu erklären, wir waren eine Keildivision. Uns fiel die Aufgabe zu, die Hauptfeindlinie zu durchbrechen. Die russischen Verbände zogen dann einen Ring um uns und glaubten, uns in einem Kessel zu haben. Was in der Tat auch richtig war. Stunden kümmerte es uns nicht, dass wir eingekesselt waren. Lediglich warteten wir darauf, bis die andere Hälfte der Division von außen den russischen Gürtel gesprengt hatte, dann rührten wir uns von innen und griffen ebenfalls die russischen Verbände an. Jetzt war plötzlich der Russe der Hase in der Falle! Auf diese Weise wurde der russische Angriff gestoppt, und die gegnerischen Verbände gingen der Vernichtung entgegen. Erst Monate später wurde unsere eigene Methode uns selbst zum Verhängnis. Aber davon später…
Den Fluss Bug hatten wir überquert. Die Flussbrücke war gesprengt. Auch die Brücke, die jetzt im Wasser lag, sollte kein Hindernis sein, unseren Vormarsch zu stoppen. Unsere Pioniere errichteten eine Behelfsbrücke, auf der wir nun weiter rollten.
Wir erreichten die Stadt Berditschew. Als wir durch die Stadt rollten, sah man deutlich die Spuren des Krieges. Besonders fiel mir auf, dass die Denkmäler von Stalin fast alle zerstört waren. Meistens war der rote Diktator vom Sockel geworfen. Dagegen durfte Lenin meistens auf seinem Sockel stehen bleiben. Nach der Einnahme von Berditschew durften wir endlich mal eine Ruhepause einlegen.
Zwei kurze Tage waren wir nicht im Fronteinsatz, aber das bedeutete nicht, dass wir Zeit zur Muße hatten. Diese Ruhepause wurde dazu genutzt, Waffen und Fahrzeuge in Ordnung zu bringen. Zum eigentlichen Ausruhen blieb wenig Zeit. Auch die Hygiene litt unter dem ständigen Einsatz. Immer mehr gewann man von sich den Eindruck, dass wir uns zu richtigen Frontschweinen entwickelten. Die Uniformen waren verdreckt, die Stiefel zerrissen. Kaum hatte man noch Gelegenheit, seine Wäsche zu waschen, geschweige denn sich selbst zu reinigen.
Sichtlich froh waren wir, wenn irgendwelche Nahrungsmittel erbeutet worden waren, und man konnte sich einmal richtig satt essen. Denn durch den schnellen Vormarsch funktionierte der Nachschub nicht sonderlich. Wir mussten uns von Beutegut ernähren, und da nahm man dann auch alles, was sich einem bot. Es gab eine Zeit, da bekam ein Mann einen Stahlhelm voll Eier.28 Die Dinger konnte man einfach nicht mehr essen. Der Magen nahm einfach die Hühnerprodukte nicht mehr an. So wie wir die Eier empfingen, so warfen wir sie in den nächsten Straßengraben. Nie kam uns der Gedanke, dass wir in späterer Zeit einmal dafür bezahlen werden. In der Hungerzeit hätten wir gerne noch einmal Eier gegessen, wenn wir sie gehabt hätten. Aber davon auch später. Aber dadurch, dass die Verpflegung sehr oft sogar die Truppe nicht erreichte, waren wir Soldaten auf Eigenhilfe angewiesen. Wir besorgten uns eben alles, was wir benötigten, seien es Hühner, Schweine oder Rinder.
Als diese Requirierung überhandnahm, wurde sie von der Führung verboten. Aber Verbote sind dafür da, dass sie übergangen werden. Man durfte sich eben bei allen Vorhaben nicht erwischen lassen. Die zwei Tage Ruhepause waren schneller vorbei, als uns lieb war. Unsere Division rollte weiter in Richtung Süden.29
Und wieder war unsere Truppe einer strategischen Veränderung unterworfen worden, wie dies öfter geschah und geschehen sollte. Die Veränderungen in der Truppe nahm man als kleiner Soldat gar nicht wahr. Einmal waren wir der Armee Kleist zugeteilt, ein anderes Mal wussten wir überhaupt nicht, wozu wir eigentlich gehörten. Aber dass wir die 6. Armee waren, das wusste sicherlich keiner. Das, was wir wussten, war: Unser Generalmajor hieß Hube. Es ist derselbe General, der es nach der Niederlage der 6. Armee noch bis zum Generaloberst brachte und zuletzt eine Panzerarmee anführte. Aber zu dieser Zeit bestand die 6. Armee schon nicht mehr.
Der Vormarsch und unsere Lage wurde täglich schwieriger. Die Strapazen überschritten jegliches menschliche Vorstellungsvermögen. Die Forderungen an Mensch und Material wurden reichlich überschritten. Es geht nicht darum zu sagen, was der Mensch aushalten kann. Dies Strapazen waren einzig und allein Sache von Hitler, genannt der „größte Feldherr aller Zeiten“, der auch von sich glauben mochte, er sei Napoleon und brauche Menschen und Material nicht zu schonen. Doch dieser Gedanke ist ihm womöglich nie gekommen. Auch alle seine Schergen waren aus demselben Sperrholz geschnitzt. Es genügte anscheinend für sie schon eine Postkarte und Ersatz war vorhanden.30
22 Hermann Breivogel war wie oben schon gesagt, Angehöriger der 16. Panzerdivision, genauer gesagt der 2. Batterie der 16. Pz. Art. Reg., das zusammen mit der 60. und der 3. I.D. (mot) das XIV. Armeekorps bildete. Vgl. P. Carell, Unternehmen Barbarossa, S. 477.
23 Der Russland-Feldzug begann am 22. Juni 1941. Ursprünglich war der 15. Mai 1941 der vorgesehene Tag des Angriffes. Durch einen Putsch in Jugoslawien wurde dieser Termin jedoch verschoben. In der Weisung 25 heißt es demzufolge: „Der Beginn von Operation Barbarossa ist um vier Wochen zu verschieben.“ Zitiert nach: G. Knopp, Der verdammte Krieg – Unternehmen Barbarossa, S. 28. In einer geheimen Weisung legte Hitler dann als neuen Termin fest: „Beginn Barbarossa 22. Juni.“ Zitiert nach G. Knopp, Der verdammte Krieg – Unternehmen Barbarossa, S. 29.
24 Das Pz. Art. Reg. 16, 2. Bttr. war Teil der 6. Armee, die zu diesem Zeitpunkt unter dem Befehl von Generalfeldmarschall von Reichenau stand. Vgl. G. Knopp, Der verdammte Krieg – Unternehmen Barbarossa, S. 51.
25 Die Stadt Lublin liegt etwa 200km südöstlich von Warschau und etwa 100km westlich des Bug, der damals die Grenze der Interessengebiete der Sowjetunion und des Deutschen Reiches bildete.
26 Nachdem es der Panzergruppe Kleist am 7. Juli 1941 gelungen war, die 'Stalinlinie' zu durchbrechen, setzten sich fast überall die Russen ab, dennoch nicht überall. So stieß die 16. Panzerdivision unter General Hube bei Staro-Konstantinov auf harten Widerstand. Erst unter Hilfestellung der Luftflotte 4 wurden die russischen Panzeransammlungen so dezimiert, dass die Kampfgruppe Höfer der 16. Pz.Div. nach Osten vorstoßen konnte und zurück marschierende Artillerieregimenter überrollte. Am 9. Juli 1941 konnte dann auch die Masse der 16. Pz.Div. bei Ljubar durch die 'Stalinlinie' stoßen. Vgl. P. Carell, Unternehmen Barbarossa, S. 105f.
27 Diese Äußerung kann eigentlich nur die eigene Gruppe betreffen.
28 Die vorrückende Wehrmacht verproviantierte sich aufgrund der Versorgungsproblematik oft selbst, wobei der Landbevölkerung manchmal sogar rücksichtslos Nahrungsmittel weggenommen wurde. Vgl. G. Knopp, Stalingrad – Das Drama, S. 74ff.
29 Im weiteren Verlauf der Kampfhandlungen war die 16. Pz.Div. in den Kampf um Kiew eingesetzt, der zwischen dem 10. September und dem 19. September 1941 stattfand. Danach konnte die 16. Pz.Div. nach einem erfolgreichen Brückenschlag in der Nacht des 11./12. September 1941 den Dnjepr überqueren und rückte gegen einen hartnäckig kämpfenden Feind unter Befehl Hubes siebzig Kilometer vor. Am 13. September 1941 gelang schließlich der Sturm auf Lubny, die am 14. September eingenommen werden konnte. Am 14. September 1941 konnte dann auch um 18:20 Uhr der Kessel um Kiew geschlossen werden. Die Einnahme von Kiew erfolgte dann am 19. September 1941. Vgl. P. Carell, Unternehmen Barbarossa, S. 109-111.
30 In ähnlicher Weise urteilt auch die Literatur, wenn sie schreibt: „... die schnellen Erfolge, der Glaube an die scheinbar gelungene strategische Überraschung und an die Unbesiegbarkeit des deutschen Heeres haben in Hitler jene Hybris entstehen lassen, die zu einer Kette verhängnisvoller Fehlentscheidungen in den kommenden Monaten führte. Der erste große Irrtum, gewachsen aus dem Sieg bei Kiew, war die Folgerung Hitlers: 'Der Russe wird im Süden nicht mehr in der Lage sein, eine zu ernsthaftem Widerstand befähigte Abwehrfront aufzubauen.' Und er befahl: 'Donezbecken und Don sind noch vor Eintritt des Winters zu erreichen, der Stoß in das industrielle Herz der Sowjetunion muss schnell geführt werden'“. P. Carell, Unternehmen Barbarossa, S. 114f.
Das Grab an der Wolga! Die letzte Schlacht der 6. Armee32
Im Spätsommer 1942 hatte die 6. Armee nach schweren Kämpfen den Don überquert.33 Tage hatte unsere 16. Panzerdivision dem russischen Gegner in schweren Kampfhandlungen standhalten müssen. Es gab viele Verluste an Menschen, Geräten und Fahrzeugen. Aber nun war es geschafft, der Don war frei! Der Russe war nicht in der Lage, sich unseren Kampfhandlungen zu widersetzen.34
Schon erreichten uns neue Befehle. Der Vormarsch überflügelte die Vergangenheit. Die 6. Armee bewegte sich in Richtung Wolga.35 Ja, nun war es soweit. Wir sollten an die Wolga. Vorwärts nach Russland, hinein ins NEUE REICH.
„Verdammte Scheiße!“, meinte Herbert zu seinem Kameraden Helmut, „eben erst in Kalatsch Luft geholt und schon wieder dieses Scheiß-Vorrücken. Ein paar Tage Feuerpause wären für uns besser gewesen, als ständig nur den Drang zu haben, immer vorwärts und noch mal vorwärts.“
„Ja, das ist richtig“, meinte Kamerad Mül., „sicher haben wir dem Russen schon genug Land abgenommen.“
„Wenn das so weitergeht“, führte Herbert das Gespräch fort, „dann stehen wir eines Tages auf dem Mond.“
„Unser oberster Feldherr“ – gemeint war Hitler – „scheint die ganze Welt versklaven zu wollen“, war die Meinung eines Kameraden, der sich an unserer Unterhaltung beteiligen wollte. „Man sollte...!“
Wir hätten ihm gerne dabei geholfen, aber wir sahen keinen echten Sinn darin, zumal wir die frisch gesammelten Kalorien gerne intus behalten wollten.Der Kradmelder No.1 fuhr die Kolonne ab: „Befehl vom Alten! Aufschließen und Abstand halten!“Schon ging unser Vormarsch weiter.36
Wir fuhren durch die Steppe. Die Räder unserer Fahrzeuge mahlten sich durch den Sand. Der aufgewirbelte Staub vor uns fahrender Fahrzeuge wies uns die Richtung, der wir zu folgen hatten. Die Sonne, inzwischen aufgegangen, sah man nur im Staub verhüllt. Stunden vergingen. Der Durst machte sich bemerkbar, aber die Feldflaschen waren leer. Pausen wurden nicht gemacht. Neben dem Durst meldete sich außerdem die Müdigkeit immer deutlicher, aber es gab keinen Pardon.
Die Räder mahlten sich immer weiter durch Land und Steppengras. Längst waren wir keine Menschen mehr. Alles wurde uns abverlangt, koste es, was es wolle! Hauptsache war, dass die Ziele erfüllt wurden, die sich unsere Führung gesteckt hatte.
Bedingt durch den aufgewirbelten Staub wurde kaum noch eine Unterhaltung geführt. Der Hals war vollkommen ausgetrocknet. Man brachte einfach kein Wort mehr über die Lippen, und wenn, dann glich es einem Krächzen. Immer weiter fuhren wir in Richtung Wolga.
Wieder fuhr der Melder die Kolonne ab und rief: „Befehl vom Chef! Essensausgabe erst bei Ankunft!“
Ein Murren war sowohl die Antwort Herberts als auch die seiner Kameraden. Und immer weiter! Selbst die Natur bot uns keine Abwechslung: rechts und links der Rollbahn Steppe, kein Haus, kein Strauch – Ödland!
War der Vormarsch bislang auf den ersten 50km ohne Zwischenfälle verlaufen, sodass wir noch verhältnismäßig ruhig fahren konnten, bekamen wir es jetzt mit russischen Schlachtfliegern zu tun, russischen 'Martin-Bombern'. Aus heiterem Himmel waren sie plötzlich über uns und beharkten uns mit ihren Bordkanonen. Wie durch Zufall kam niemand bei uns zu Schaden, und wir hatten durch den russischen Fliegerbeschuss keine Ausfälle, weder an Menschen noch Geräten. Die Russen suchten unverrichteter Dinge das Weite.37
Unsere Division setzte den Vormarsch wieder fort. Donnernde Motoren unserer Panzer wurden nun unsere Begleitmusik. Immer größere Ansprüche wurden an uns Soldaten gestellt.
Mittags knallte die Sonne auf die Kühler, und bald kochten unsere Mühlen. Wasser war knapp! Oftmals hatten wir kein Kühlwasser, und unser Urin wurde als Kühlwasser verwendet. Hals und Mund waren ständig durch Staub und Hitze völlig ausgetrocknet, Staub lag auf unseren Gesichtern und Uniformen. Besah man sich in einem Spiegel, dann grinste einem ein Dreckschwein entgegen.
An Sauberkeit war nicht zu denken! Einzig Schuld daran war der Nachschub und die damit verbundene Versorgung der Kampftruppe. Zudem war der schnelle Vormarsch ein weiterer Faktor, die Truppe schlecht zu versorgen.38 Hauptsache war ja, dass die Truppe die von der Führung gesteckten Ziele erreichte. Koste es, was es wolle! Wir Soldaten waren Spielzeug von Hitler und seinem Geschmeiß und wurden so behandelt, und – wenn nötig – auch so verheizt.
Die Sonne hatte inzwischen ihren Tiefstand erreicht und zeigte uns deutlich an, dass sie bald untergehen würde. Die Steppe, nur spärlich mit Steppengras bewachsen, verfärbte sich in bläulich-violette Farbe. Müde und abgespannt zogen wir dahin. Kein Stern war am Himmel, kein Laut zu hören. Die Steppe schlief. Es gab kein Anzeichen, dass wir uns im Krieg befanden. Von unserem Feind war weit und breit nichts zu sehen. Aber es musste weiter gehen, die schier endlose Bahn entlang, obwohl wir fast aus den Latschen kippten, an Augenpflege war nicht zu denken.
Lediglich unsere Tarnscheinwerfer zeigten uns den Weg zur Wolga. Jeder von uns hing während der eintönigen Fahrt seinen Gedanken nach. Der eine war mit seinen Gedanken bei seinen Lieben in der Heimat, die ja weit, weit von uns in der Ferne lag. Andere Soldaten dachten vielleicht an die Wolga. Auch Herbert dachte an die Wolga und stellte sich die Frage: „Was wird die Wolga uns erzählen, was wird auf uns zukommen?“
Herbert sagte später immer: „Weißt du, es ist gut, dass der Mensch seine Zukunft nicht voraussagen kann. Hätte der Mensch diese Eigenschaft, dann hätten wir Soldaten die Wolga nicht erreicht!“
„Die Wolga! Die Wolga! Wir sind an der Wolga!“ Gegen Mitternacht erreichten wir endlich die Wolga.39 Die Stille wurde plötzlich durch lautes Palaver abgelöst. Es kam wieder Leben in unsere Einheit. Nun hatten wir unser Ziel erreicht, endlich wird es Essen geben.
Wir sprangen von den Fahrzeugen. Der Befehl „Essen“ wurde ausgegeben. Der Spieß – auch Hundekopf genannt – war voll und ganz damit beschäftigt, die Essensausgabe zu überwachen. Es gab eine Hülsensuppe mit Fleischeinlage.
Schnell hatten wir unser Geschirr geleert. Wir Soldaten saßen in der Nähe unserer Fahrzeuge bequem und lässig. Hin und wieder ging der Blick zum Himmel, der jetzt sternenklar war. Eine Windbrise rüttelte leicht das Steppengras. Gesprochen wurde kaum ein Wort. Jeder hing wieder seinen Gedanken nach, die sicher bei vielen wieder in der Heimat weilten.
Nachdem Herbert eine Weile vor sich hin gedöst hatte, stand er auf und suchte seine Kameraden auf, um eine Unterhaltung zu suchen. Aber die Kameraden waren nicht dazu gewillt. Sicherlich lag es daran, dass sie zu müde waren; die Strapazen waren zu groß. Herbert hatte den Eindruck, dass jeder Kamerad nur noch die Ruhe und ein Eckchen zum Verkriechen suchte.
Nun ja, da alle Kameraden so wortkarg waren, machte Herbert sich auf, die Gegend zu erkunden. Es war ja auch wichtig, sich die Beine zu vertreten, besonders dann, wenn man den ganzen Tag dazu keine Chance bekommen hatte. Bei dieser Gelegenheit stand Herbert auf einmal auf einem Platz, worauf alte, ausgediente Lokomotiven abgestellt waren. Welche Bestimmung diese alten Schinken jetzt noch haben sollten, ist Herbert nie ganz klar geworden. Aber Herbert wollte sich auch keine unnötigen Gedanken um diese Schrottkisten machen. Das war seine erste Begegnung bei der Ankunft. Ohne dass Herbert sich weiter um die Loks kümmerte, setzte er seine Erkundung fort. Dabei kam Herbert in die Nähe seines Chefs, der noch mit einigen Offizieren eifrig diskutierte. Worum es dabei ging, konnte Herbert nicht verstehen, als er plötzlich die Stimme seines Spießes vernahm: „Alles antreten!“
Herbert schlenderte zum Antrete-Platz mit dem Gedanken: „Was wohl der Spieß wieder will?“
Nachdem unser Haufen in Reih' und Glied stand, machte der Spieß die Meldung an unseren Chef, der eben auch erschienen war: „Batterie, wie befohlen, angetreten!“
„Alles einmal herhören!“, vernahmen wir Landser die Stimme des Alten, „Mittlerweile habt ihr wohl alle gemerkt, dass wir die Wolga, unser Ziel, erreicht haben. Diese Nacht werden wir hier kampieren, morgen sehen wir weiter.“ Den Kopf drehend meinte der Chef zum Spieß: „Hen., teilen Sie die Wachen ein. Aber keinen Fahrer!“
„Jawohl, Herr Hauptmann!“
Der Chef zog ab, und der Spieß teilte wie befohlen die Wachen ein: „Die Fahrer wegtreten!“ Nur ein kümmerlicher Haufen blieb zurück.
Herbert ging zu seinem Fahrzeug, um sich sein Nachtlager zu machen, auch wollte er nach allen Anstrengungen gleich schlafen. „Wer weiß“, dachte Herbert, „was uns der morgige Tag noch alles bringen wird?“
Kaum glaubte Herbert, geschlafen zu haben, als wir auch schon wieder geweckt wurden. An Morgentoilette war wegen Wassermangel nicht zu denken, dafür konnten wir Landser an der Feldküche unseren Kaffee abholen, zu dem gerade ausgerufen wurde. Schließlich war es etwas Trinkbares, und deshalb holten wir die Brühe ab. Ein Stück Brot, belegt mit Daumen und Zeigefinger, war dann unser Frühstück.
Wir hatten gerade unsere Stullen verzehrt, als schon die nächsten Befehle gegeben wurden. Der Schirrmeister wollte die Fahrbereitschaft der Fahrzeuge gemeldet haben. Wir Fahrer langten beim Schirrmeister an und machten entsprechend die Meldung.
Der Chef war auf der Bildfläche erschienen und bestieg seinen Kübel No.1, der Alte befahl den Weitermarsch.40 Doch diesmal sollten nur einige Batteriefahrzeuge dem Chef folgen. Sowohl die Kampfstaffel als auch die Transportfahrzeuge blieben zurück und sollten später durch den Melder nachgeholt werden.
In nördlicher Richtung rollten wir dahin, und die Steppe lag wieder vor uns. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und wir wussten, dass wir wieder einen heißen Tag vor uns hatten. Keinen Baum, keinen Strauch und kein Lebewesen bekamen wir zu Gesicht. Brachland, nur Steppengras und Sand. Der Alte suchte im Gelände nach einem Platz für eine B-Stelle41. Oft mussten wir große Balkas42 umfahren, um unsere künftige Stellung auszumachen.
Wieder ließ der Chef die kleine Kolonne anhalten und stieg aus seinem Kübel. Mit dem Doppelglas4243