Widmung

Für meine Enkel
Alma, Rosa, Oscar, Elena und
Luis

Ohne Wurzeln bleibt nur
ein Schatten.

Inhalt

Vorwort

Grundlegende Veränderungen prägten die Epoche um 1500.
Christoph Columbus aus Genua entdeckte für die spanische Krone Amerika
und wandelte damit die Erdscheibe der Kirche
in die Kugel der Neuzeit.

Viele Denker bezweifelten gerade sowieso die Gerechtigkeit des ganzen Systems.
Von diesem Geist erfüllt deckte der strenggläubige Theologe
Martin Luther Fehler der Kirche auf und befreite damit viele Anhänger
aus ihrer Unmündigkeit.

Bezog sich seine Schrift über „Die Freiheit des Christenmenschen“
wirklich nur auf die Freiheit des Glaubens oder war er erschrocken darüber,
dass diese Ideen so vielen unterdrückten Bauern Grund
zum Aufruhr gaben?

Genau aus dieser Umbruchzeit berichtet diese Erzählung, von der Unterdrückung
der Bauern und ihrem Versuch unter dem Großbottwarer Wirt
und Bauernführer Matern Feuerbacher im Bauernkrieg 1525 bessere
Lebensbedingungen zu erreichen.

Hatte Feuerbachers Idee, eher durch Verhandlungen als durch Gewalt mehr
Gerechtigkeit zu erreichen, überhaupt eine Chance?
Die handelnden Personen sind weitgehend frei erfunden, da von kleinen Leuten
nichts überliefert ist. Nur von Feuerbacher, dem Bauernführer
wider Willen, gibt es kurze, bekannte Lebensabschnitte. Sie habe ich in meine
Erzählung eingearbeitet, Lücken ausgefüllt und so das Ganze
zu einem fiktiven Leben zusammengefügt.

Mein Ziel war es, ein Buch zu schreiben, das gut und interessant
zu lesen ist und ganz nebenbei für die Geschichte unserer Heimat Interesse
weckt.

So muss es nicht, aber so könnte es gewesen sein.

Viel Spaß beim Lesen.

Hanns-Otto Oechsle

Oberstenfeld im November 2013

Kapitel 1

Mühle an der Bottwar um 1524

„Weg da, ihr Bauernpack!“ hörten die wartenden Bauern eine gefürchtete Stimme, die noch vom Knallen einer Peitsche und dem schmerzvollen Aufschrei getroffener Menschen übertönt wurde. Seit Stunden warteten Bottwartaler Bauern geduldig vor der Mühle auf den dicken Müller, der sich am Morgen gerne Zeit ließ. Gut, es war erst kurz nach Tagesanbruch, die Sonne zeigte sich noch nicht hinter dem Lichtenberg. Zu früh für den Müller, der hier das Sagen hatte, zu spät für die Bauern, die das ganze Tageslicht nutzen mussten, um ihre kinderreichen Familien über die Runden zu bringen.

Doch plötzlich, wie aus heiterem Himmel, war der brutale Verwalter ihres Freiherren über sie gekommen. Er bahnte sich mit Gewalt eine Schneise durch die wartenden Bauern, die mit wenigen Säcken ihrer kläglichen Ernte anstanden, um etwas Mehl oder ein paar Taler für wichtige Dinge wie Schuhe oder Kleidung einzutauschen. Manche trugen nur einen Sack über der Schulter, andere hatten einen Handkarren beladen und warteten bis der Müller ausgeschlafen hatte und das schon lange und seit einer Stunde sogar im Regen.

Gerade war der gefürchtete Verwalter mit einem gut gefüllten Wagen auch noch dazugekommen. Anstehen und warten konnte der natürlich nicht, das war noch nie seine Stärke gewesen. Er schlug so lange um sich, bis sein Wagen an erster Stelle stand. Eigentlich wäre diese Brutalität nicht nötig gewesen, denn alle Wartenden kannten ihn, fürchteten ihn und versuchten ihm überall aus dem Weg zu gehen. Alle wussten, dass ihm das Schlagen, das Quälen und das Auskosten seiner Macht in allen Dingen Spaß machte. Der Grätzer, früher ein Nichts, ein Häuslerkind, hatte sich mit Buckeln und Spionieren hochgedient und war nun seit zwei Jahren Verwalter des Gutes oben auf dem Berg und damit an einer Stelle, an der er all die Demütigungen der Bauern, die er in seiner Jugend erfahren musste, Schuldigen und Unschuldigen zurückzahlen konnte.

Die Bauern von Oberstenfeld, seit jeher fronpflichtig, hatten unter seiner Knute überall zu leiden, ob hier bei der Mühle, oben auf den Feldern oder in den Weinbergen. Zwei beliebige Wochentage waren Pflicht, natürlich wurden dann die Bauern an den besten Tagen zur Fron gezwungen, immer an den schönen Tagen. Wann konnten sie ihre eigenen Grundstücke bewirtschaften? In den restlichen Wochentagen, auch bei Regen, aber natürlich nicht am Sonntag, denn auch der Kirchgang war Pflicht, denn gläubige Bauern machten keinen Aufstand. Dabei musste das Essen vieler Bauernkinder, die Pacht und auch der Zehnte am Ende des Jahres sichergestellt sein.

Seit diesem Winter mussten die arbeitsfähigen Männer häufig noch am Samstagnachmittag im Wald fronen, Holz für die gierigen Burgöfen schlagen, spalten und zur Burg bringen oder Eichenstämme zum Sägen in die Sägmühle schaffen. Diese zusätzlichen Schikanen waren Grätzer im Winter eingefallen, da hatten die Bauern auf den Feldern nichts zu tun. Doch als die Arbeit in den Weinbergen möglich wurde, blieb die Waldfron weiterhin Pflicht. Wer wollte etwas dagegen unternehmen? Seitdem gärte es unter den Bauern. Alles hatten sie ohne Murren ertragen, doch die Brutalität des Verwalters, seine Vorliebe für hübsche Bauerntöchter und die neue zusätzliche Fron brachte das Fass beinahe zum Überlaufen. Überall wo sich einige Bauern trafen, steckten sie die Köpfe zusammen, murrten und überlegten einen Ausweg aus der schlimmen Lage. So am Morgen vor der Mühle. „Jetzt ist es genug“, zischte ein junger Bursche ganz hinten in der Reihe, „Grätzer hat den Bogen überspannt!“

Überall um ihn herum war zustimmendes Gemurmel zu hören. Ein anderer meinte, dass man dem Verwalter die Peitsche abnehmen sollte und der nächste flüsterte schon: „Dem Schwein sollte man damit selbst eine überziehen, der kennt die Striemen noch nicht. Schaut mal meinen Rücken an. Er heilt seit Wochen nicht.“ Das gefiel aber den besonnenen Bauern nicht. „Was soll das bringen, Johann? Willst du im Burgverlies verrotten? Bist doch kaum zwanzig“. „Da war ich schon und alle wissen, dass ich nur meine Schwester vor ihm gerettet habe, vor diesem Schwein“, meinte der Angesprochene. „Völlig zu Unrecht saß ich wochenlang im Verließ, bis mich Feuerbacher ausgelöst hat. Aber schaut, die Schramme auf seiner Stirn ist mein Werk. Mich bringt niemand mehr lebendig in dieses Rattenloch, das könnt ihr mir glauben. Frei oder tot! Aber wenn wir zusammenstehen, hält uns niemand auf. Der Grätzer nicht und die paar Burgwächter auch nicht!“

Das ganze Gespräch war im Flüsterton ganz am Ende der wartenden Bauern geführt worden. Wer wollte wegen Aufruhr am Galgen baumeln? „Sei still Berner! Aufruhr hat noch nie jemand befreit,“ hörte man nun eine gewichtige Stimme. Alle erschraken bis ins Mark, Mithörer oder gar Spione konnten alle Umstehenden ins Verderben schicken. Von ganz hinten war ein etwas besser gekleideter Mann in den besten Jahren in den Kreis der Flüsternden getreten. Alle schauten erleichtert auf. Der würde sie nicht beim Baron anzeigen. Ein gerechter, aufrechter Mann war der Goßbottwarer Wirt, das stand für alle fest. Aber was wollte der Feuerbacher hier, der hatte doch gar keine Felder.

Gastwirt war er, hoch angesehen bei allen, sogar beim Baron und manchmal hatte seine Fürsprache beim Herrn, einem jugendlichen Heißsporn, die bittere Zeit im Kerker erspart. So hatte er vor ein paar Wochen auch Johann vom Hof mit dem Versprechen wieder aus dem Kerker geholt, ihn in Zukunft zu besänftigen. „Eben du, Johann, solltest dein keckes Mundwerk im Zaum halten. Beim nächsten Mal hängst du. Unser Freiherr ist kein Grätzer, er ist uns gnädig gesinnt und möchte Ruhe im Tal. Und du wiegelst mir die Bauern nicht auf, sonst…!“

Aber auch andere Bauern murrten und ein von der Peitsche getroffener zeigte blutige Striemen und rief: „Die heilen wieder, Matern, aber mein neues Hemd ist hin, mein einziges und ich wollte doch im Frühjahr heiraten. Das bezahlt er mir noch einmal, der Hund!“ „Als wenn du bei deiner Marie das Hemd anlassen würdest, Konrad. Haut ist der lieber!“ spottete sein Nachbar. „Sei still Brückner! Ein ganzer Monatslohn hat’s mich gekostet und der zerfetzt es mit seiner Menschenpeitsche.“

„Was ist da hinten los? Möchte sich einer von euch Tagedieben mit mir anlegen?“ beendete das Brüllen des Verwalters augenblicklich das Flüstern. „Nichts was euch angeht, Grätzer,“ beruhigte Feuerbacher den Verursacher des Streites, weil er eine weitere Zuspitzung der Angelegenheit unbedingt verhindern wollte. Der Emporkömmling wollte nur die Bauern reizen, um seine Macht zu beweisen, denn wenn einer der Bauern sich mit Fäusten wehrte, er konnte noch so sehr im Recht sein, kam er ohne Urteil wegen Aufruhrs in das Gefängnis. Genau so war es ja auch Johann gegangen, der nur seine Schwester aus den lüsternen Klauen des Vogtes retten wollte. Damals bei Liese war er nur eine Minute zu spät gekommen. Das ärgerte ihn noch heute. Seit jener Stunde war das hübsche Mädchen wie vom Erdboden verschwunden.

„Sieh mal an, der berühmte Gastwirt, Retter von Witwen und Waisen und Beschützer von Mordbuben gibt uns die Ehre“, spottete Grätzer. Feuerbacher ging auf diese Spitze nicht ein, flüsterte schnell Johann zu, dass er ihn gerne heute bei Dunkelheit in seiner Wirtschaft sehen würde. „Drehe deine Laterne drei mal gegen die Uhr und ich öffne“, flüstert er und verdrückte sich schnell nach hinten und in die Büsche der Bottwar, die ihn sofort verbargen.

„Wo ist der Kerl hin?“ möchte der Verwalter wissen. Keiner gibt Antwort, alle schauen auf den Boden. Den Feuerbacher würde kein rechter Bauer ans Messer liefern. Er bewahrte sie oft vor dem Schlimmsten.

Kapitel 2

Unter falschem Verdacht um 1510

Ein Fischreiher flog auf, strich über die Bottwarwiesen neben dem Mühlenstau und setzte sich auf einen Erlenast über dem künstlichen Teich. Die Sommersonne beschien seit vielen Stunden das Tal, erwärmte das Land und ließ nun am späten Nachmittag die Luft über den abgeschnittenen Feldern erzittern. Ein Plätschern war in der trägen Sommerlandschaft das einzige Geräusch, sicher auch die Ursache der Flucht des Reihers. Nun durchbrach noch ein Sirren die Stille, der Reiher krächzte auf und fiel mit einem letzten Aufbäumen ins Wasser. Der Pfeil hatte seinen langen, schlanken Hals durchbohrt.

„Ein hervorragender Schuss“ lobte eine Jungenstimme, „brillant. So könnte ich nie schießen!“ „Darfst du auch nicht. Jagen dürfen hier nur mein Vater, meine Brüder und ich,“ stellte eine zweite Stimme fest und gleichzeitig trat ein fast zu prunkvoll gekleideter junger Mann aus der Deckung des Ufergestrüpps. „Aber du könntest mir den Vogel herausfischen, wenn du schon im Wasser liegst“. „Komm doch selbst rein. Ich kann das Schwimmen bei der Hitze nur empfehlen“, lachte der Schwimmer.

Historischer Hintergrund

Natürlich hatte die Unterdrückung der Leibeigenen nicht erst um die Reformationszeit begonnen, sie reichte viel weiter zurück. Wenn die Gewalten nicht geteilt sind, also der Regierende und der Richter eine Person waren, der dazu auch noch Gesetze erlassen konnte, lag es am Charakter dieses Alleinherrschers, wie er mit seinen Untertanen umging. Am schlimmsten, weil eigentlich keine Kontrolle da war, ging es den leibeigenen Bauern. Die Bürger der Städte hatten sich, da sie wichtige Steuerzahler waren, schon mehr Rechte ertrotzt. Übereifrige Vögte und Verwalter, kleine Adlige oder bürgerliche Emporkömmlinge, taten oft ein Übriges dazu, die Lage zu verschlimmern. Bürger, wie etwa Matern Feuerbacher, erkannten oft diese Ungerechtigkeit. Ein Erlebnis in seiner Jugend hatte ihn hellhörig gemacht und das Ansehen der Familie Feuerbacher beim örtlichen Adel gab ihm Schutz. Wenige Jahre vorher hatte Matern selbst diese Willkür der Obrigkeit erlebt. Das hatte sein weiteres Leben geprägt.

„Geht leider nicht. Mein Vater hat es streng verboten, nachdem vor wenigen Wochen der Junge des Ravensteiners beim Schwimmen in der Zaber entführt wurde. Du hast sicher davon gehört,“ erklärte der junge Adlige seine Zurückhaltung. „Ich entführe dich nicht. Mein Vater hat genügend Münder zu stopfen und Adlige wären nicht satt zu bekommen. Sie benötigten immer mehr und mehr. Das meint jedenfalls mein Vater“, lachte der andere. „Eine lockere Zunge hast du, Bauernbub. Wie heißt du eigentlich?“ Nun zögerte der mit der Antwort doch. Lief es wieder darauf hinaus, dass man still sein und kuschen musste? „Ich weiß nicht?“

Doch der junge Ritter hatte sich inzwischen auf einer umgefallen Weide bequem gemacht und lächelte. „Wo ist nun dein Mut? Mich kennst du sicher. Ich bin Rupprecht, ein Sohn des Burgherrn da oben. Und du Herr Namenlos?“ „Matern, wenn’s recht ist. Aber Bauer ist mein Vater nicht. Der hat es weiter, ja sogar bis zum Schultheißen gebracht.“ „Auch so eine moderne Marotte, sagt mein Vater immer. Die Bürger wollten sich nun selbst regieren und liegen sich nun im Stadtrat jede Woche in den Haaren.“

Mit der Hand deutete er nun wieder auf den geschossenen Reiher: „Nachdem wir nun Höflichkeiten ausgetauscht haben, kannst du mir den Reiher herausgeben, oder bist du zu schwach dafür, Matern.“ Bald hatte er den triefenden Vogel in der Hand und zog den Pfeil heraus. Darauf kam es ihm an und nicht auf den Vogel, der bald danach wieder im Wasser landete. „Kann ich den haben?“ fragte Matern. „Gerne, an dem ist kein guter Happen dran.“

Matern stieg aus dem Wasser, zog seine verschlissenen Hosen an. „Holla!“ meinte bewundernd der junge Adlige. „Muskeln habt ihr offensichtlich auch. Dabei heißt es immer ihr hättet nichts zu essen.“ „Gnädiger Junker,“ spottete Matern, „Muskeln kommen ganz selten vom Essen, eher vom Arbeiten und natürlich vom Schwimmen wie heute.“ „Stimmt, ich treibe auch lieber Sport, reiten, Bogen schießen, jagen. Fressen, sagt mein Vater, fressen lieben nur die Dummen,“ stimmte Rupprecht zu. „Hier hast du das gerupfte Vögelchen, aber lass dich nicht vom Schorrer erwischen, der kennt bei Wilderern keine Gnade.“

„Danke, bei uns wird alles Fleisch verwertet und wenn es meine Mutter stundenlang zu einer Suppe kocht. Wir haben es nicht so üppig wie ihr Adligen, weißt du! Vielleicht sehen wir uns mal wieder?“ „Sicher, wir sind ja noch jung. Es war interessant mit dir zu reden.“

Noch im Wegreiten fuhr er fort: „Vor allem, weil du kein Blatt vor den Mund nimmst wie all die anderen Speichellecker, die um uns rumscharwenzeln. Nach vorne buckeln, nach unten treten und alle betrügen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich diese Lügner verachte. Hier hast du den Vogel als Vesper oder Erinnerung!“

Elegant fing Matern die Beute auf und verschwand im Gebüsch. Natürlich wusste er genau was Wilderern blühte und er wäre nicht der erste, der auf der Flucht erschossen worden war. Oberjäger Schorrer meinte, dass dieser „kurze Prozess“ zur Abschreckung weit besser wäre. Nicht weit entfernt hing sein Hemd an der Heugabel. Es nahm nun etwas unvollständig den Reiher auf, Schnabel und Beine hingen heraus.

„Wen haben wir denn da?“, ertönte von vorn plötzlich eine Stimme. Matern erschrak heftig und dachte: Wenn man vom Teufel spricht… Der Teufel in Gestalt des Oberjägers versperrte ihm mit zwei Gehilfen an der engsten Stelle zwischen Bottwar und Mühlkanal den Durchgang. „Heinrich, schau mal was der junge Wirt in seinem Hemdchen trägt“, spottete der Jäger. „Vielleicht gibt es beim Vater heute Abend Fasan in guter Rieslingssoße.“ Immer noch in Schreckstarre ließ Matern sich seine Last abnehmen. „Ja, was haben wir denn da, gut nicht gerade einen schmackhaften Fasan, aber einen zähen Reiher. Aber gewildert ist gewildert, oder hast du von unserem Baron das Jagdrecht erhalten?“

Trotzig sah Matern auf, fand endlich seine Sprache wieder und antwortete: „Gewildert habe ich nicht, das kannst du mir nicht anhängen, Schorrer. Ich renne auch nicht freiwillig davon wie der Wagner, damit du mich von hinten erschießen kannst. Hab ja gar keine Waffe dabei und von selbst flog der nicht in meinen Hemdensack.“ Doch Schorrer blieb unerbittlich, schließlich waren alle jungen Burschen im Tal erfahrene Wilderer. Eigentlich war er schon lange auf der Suche nach dem Abnehmer des ganzen gewilderten Rot- und Schwarzwildes und der vielen Hasen. Oft fand er nur noch die unbrauchbaren Reste der heimlich erschossenen Tiere. Irgendwo musste sie auch jemand zubereiten. Der Feuerbacher mit seinem Gasthaus in Großbottwar erschien ihm verwegen genug, um seinen Gästen gewilderten Braten vorzusetzen. Bürgermeister und Wilderer, zumindest Hehler! Eine interessante Verbindung!

„Packt ihn am Schlawittchen. Wir nehmen ihn mit zum Herrn. Er soll sehen wie weit diese neuen Demokraten gehen, schicken ihre Söhne zum Wildern und behaupten sie könnten in ihrer Stadt besser für Recht und Ordnung sorgen als der Adel. Lumpenpack!“

Matern wurde ein Strick um den Hals gelegt. Genau die Schlinge, die mir höchstwahrscheinlich auch das Leben rauben wird, dachte er, sagte aber nichts, denn er war ja unschuldig. Die wahre Geschichte würde ihm keiner dieser Herrenknechte glauben, vielleicht aber der Baron selbst oder wenn sein Sohn da wäre… Er war noch lange nicht am Ende, war doch sein Leben endlich erst richtig spannend geworden.

Wie gut, dass ihn sein Vater auf Vorschlag des Pfarrers in die Murrhardter Klosterschule geschickt hatte. Harte Jahre waren das für ihn gewesen und am Anfang hatte er viel geweint. Grund waren die Buchstaben und Zahlen und das Heimweh nach Großbottwar und seiner Familie. Allein war er, der einzige Bottwartäler, denn sein Freund Frieder hatte vom Vater nicht die Erlaubnis zum Lernen bekommen, obwohl er in der Sonntagschule beim Pfarrer sogar besser als er gewesen war. „Was soll ein Bauer mit Lesen und Schreiben anfangen?“ war die Antwort seines Vaters gewesen. „Das setzt ihm nur Flausen in den Kopf. Er ist mein Ältester und wird den ganzen Weiler am Holz erben.

Das geht auch ohne Schreiben mit nur drei Kreuzen. So habe ich, sein Großvater und alle Vorfahren schon unterschrieben und es hat noch immer gegolten. Schluss damit, basta!“ Nicht mal der Pfarrer und auch nicht der Bürgermeister Feuerbacher, dem ein Begleiter für seinen einzigen Sohn lieb gewesen wäre, konnte danach den sturen Bauern von seiner Meinung abbringen. Immerhin war der Holzweiler Bauer der einzige freie Bauer des Tales. Sein Urahne hätte den Herzog vor vielen Jahren einmal aus einer misslichen Lage befreit und seitdem hatten die stolzen Bauern dort draußen nicht nur die Freiheit, sondern sogar das Jagdrecht in dem Wald hoch über dem Neckar.

Matern hatte aber bald Freunde gefunden, denn er sog all die Neuigkeiten aus der Welt der Wissenschaft wie ein Schwamm auf, behielt sie gut im Gedächtnis und konnte oft etwas eigenes daraus entwickeln. Da fand er bald unter den Bürgersöhnen und reichen Handwerkersöhnen Bewunderer.

Auch die Mönche lobten ihn als besten Schüler. Wo waren alle Freunde hingekommen? Nur von Horner hatte er aus der Schweiz einen Brief erhalten. Sein Vater, Schiffsbauer und Zimmermann aus Heidelberg, hatte ihn nach der Schule noch auf die Walz geschickt. Von Meister zu Meister zog er. Dabei sei er in Zürich hängen geblieben, was seinem Vater sicher nicht gefiel. Aber Gottfried gefiel der Tochter des Meisters und deshalb blieb er in der Fremde.

Matern ärgerte sich, dass er diesen fast wertlosen Vogel mitgenommen hatte. Welchen Sinn hatte nun das ganze Studieren, wenn du noch heute oben am Galgen baumelst oder, wenn du Glück hast, langsam im Verließ von den Ratten gefressen wirst? dachte Matern und bemühte sich mit den Pferden Schritt zu halten, die seine Häscher kurz nach seiner Gefangennahme bestiegen hatten. Sie zogen ihn brutal am Hals gefesselt den steilen Weg zur Burg hoch. Zum Glück verdeckten inzwischen mächtige Gewitterwolken die Sonne und machten so den Aufstieg etwas einfacher, wenn auch der immer quälende Durst Matern beinahe die Sinne raubte. Und als endlich der schattige Burghof erreicht war, sank er fast ohne Bewusstsein um und blieb auf den harten Pflastersteinen liegen. „Wen bringt ihr da, ihr feigen Leuteschinder?“ hörte Matern wie durch eine Nebel eine Stimme, freundlich und hell. Ein junges Mädchen?

„Wo bin ich angekommen?“ dachte er und öffnete die Augen. Seine junge Retterin war in allen Belangen das genaue Gegenteil der Jäger. Eigentlich passte sie überhaupt nicht hierher in diese raue Männerwelt. Was ihn aber besonders verwunderte, war, dass eben diese Gewaltmenschen vor ihr kuschten und ganz zahm, ja richtig unterwürfig wurden. Ja sie konnte sogar befehlen: „Liegen lassen! Ich hole einen Krug Wasser und du Schorrer bist in kurzer Zeit mit einigen Decken da, aber schnell, sonst fällt mir ein, wo das verschwundene Reh von gestern gerade gegessen wird. Los!“

So etwas hatte der Wirtssohn noch nie erlebt: In so kurzer Zeit vom Sklaven in Stricken zum umsorgten Verletzten.

Und es kam noch besser, denn eben hörte man Pferdehufe in dem tunnelartigen Burgtor. Ein junger Mann mit einem großen verzierten Bogen ritt in den Innenhof. Die junge Retterin sprang mit lautem Jubeln zu dem Ankömmling, umhalste und begrüßte ihn so stürmisch, dass er zu Boden ging. „Bring mich nicht um, Gudrun, das kannst du mit deinem Liebsten in ein paar Jahren machen,“ lachte Rupprecht, denn kein anderer war eben nach Hause gekommen. „Hab keinen Liebsten, brauch auch keinen. Habe einen lieben Bruder, der mir helfen wird, diesen armen Jungen aus den Fängen der Jäger zu erretten,“ seufzte das junge Mädchen.

Da schaute sich der Sohn des Burgherren das Menschenbündel genauer an, das halb besinnungslos in der Ecke auf dem harten Pflaster lag. „Den kenne ich!“ stellte er fest. „Hast du mir nicht erst vorhin den Reiher aus dem Mühlenteich gefischt?“

Matern hörte die bekannte Stimme, doch es gelang ihm nur mit Mühe den Kopf zu heben und zu stöhnen: „Genau das war mein Fehler, hoher Herr. Wir sind nicht mal das zähe Fleisch eines Reihers wert. Wilderei, Kopf ab!“

Entsetzt sah der junge Adlige die Furcht erregende Veränderung, die mit dem kecken jungen Bürgersohn vor sich gegangen war. Konnte er ihm irgendwie helfen? Doch in diesem Moment kam Schorrer mit einer schmutzigen, stinkenden Pferdedecke zurück und warf sie seinem Gefangenen hin.

„Die ist für Diebe und Wilderer für ihr letztes Stündchen gut genug,“ schrie er, „und sie wird dem verwöhnten Näschen des Fräuleins kaum gefallen. So hält sie den nötigen Abstand, was meinem Herrn sicher recht sein wird.“ Nun drehte er um und gab der Burgwache den Befehl, dieses Bürschchen ja nicht entwischen zu lassen. „Auch nicht wenn er sich durch die liebevolle Pflege des Fräuleins wieder aufrappelt. Ist das klar! Er wird heute noch baumeln und dieses Schauspiel wollt ihr euch doch nicht entgehen lassen, oder?“

„Baumeln macht Spaß”, lachte der eine Wachtposten und der zweite stimmte ein: „So lang du es nicht selbst bist, Kunz.“ „Mich wundert nur, dass Schorrer den Wilderer nicht in die Kugeln springen ließ,“ meinte der erste Wächter. „Ich kenn den,“ erwiderte sein Kollege, „das ist der einzige Sohn vom Feuerbacher, unserem Schultheiß, der ist wohl mehr als eine Kugel wert.“

Inzwischen kam Oberjäger Schorrer mit dem Freiherrn die Treppe herunter, schüttelte wegen seiner mildtätigen Tochter den Kopf, schickte sie sofort in die Kemenate zur Mutter und fuhr schroff seinen Sohn an: „Was stehst du herum, Rupprecht, und behinderst die Arbeit meines Oberjägers?“ Endlich hatte er einen der Schurken erwischt, die im Trüben fischen.

Solche stahlen ihm täglich das beste Wild aus Wald und Flur. „Heute werde ich ein Exempel statuieren und ihn am höchsten Galgen aufknüpfen lassen, den Halunken,“ sagte er. „Das wird ein tolles Schauspiel,“ lachten die Wachen, „Nur schade, dass es schon so spät ist, Baron.“ „Morgen am Samstag kämen viel mehr Gaffer,“ meinte nun auch der Jäger.

„Du hast recht, Schorrer, mehr Gaffer, mehr Abschreckung. Morgen wird er gehängt und der Büttel soll es in meiner Stadt bekannt machen!“ Der Baron schaute nun den Gefangenen genauer an: „Wie heißt du Bürschchen? Und steh auf, wenn ich mit dir rede!“ „Feuerbacher, ihro Gnaden, Matern, aus Großbottwar.“

Nun schien die Aufmerksamkeit des Burgherrn wirklich geweckt: „Doch nicht ein Sohn des Bürgerschultheißen Feuerbacher, der mir seit der völlig unnötigen Wahl ständig das Leben verbittert?“ „Doch Vater, genau der einzige Sohn des Feuerbacher,“ warf sein Sohn ein. „Halte dich da raus, Rupprecht, du bist zu weich dafür”.

„Aber Schorrer, wenn ich es genau bedenke, hängen wir ihn morgen nicht. Gut Ding will Weile haben. Vielleicht können wir den Vater zum Rücktritt bewegen und wieder einen eigenen Mann einsetzen. Gehängt ist einer schnell.“

Warum hat Rupprecht mir nicht gleich geholfen und das Ganze richtig gestellt? dachte Matern und war nahe daran seinen neuen Bekannten in die Sorte ungerechte, selbstsüchtige Adlige einzuordnen.

Doch irgendwie passte dies nicht zu dem Eindruck, den er unten am Weiher machte. Wie er mit ihm gesprochen, gar nicht vom hohen Ross herab, wie er mit ihm sogar gescherzt hatte, das unterschied ihn doch wieder von den anderen Adligen, die Matern bisher kennen gelernt hatte. Mit solchen war der Wirtssohn auf der Klosterschule zusammengetroffen und von fast allen hatte er den Eindruck gewonnen, dass sie sich so viel besser fühlten, so abgehoben von seiner bürgerlichen Welt, nur bei Rupprecht und seiner Schwester hatte er gleich das Gefühl der Wahrhaftigkeit. Ihnen konnte man vom ersten Moment an vertrauen. Und nun das!

Wer nun denkt, den jungen Adligen hätte diese zweite Begegnung kalt gelassen, der kennt Rupprecht nicht und irrt sich gewaltig.

Seit er den Wirtsohn als hilfloses Bündel im Burghof gefunden hatte, arbeitete es in seinem Kopf unablässig. Genau das, was er befürchtet hatte, war eingetreten, Matern war vom Pech verfolgt, genau in die Fänge Schorrers geraten, des zwielichtigen Oberjägers seines Vaters, dem er alles nur nichts Redliches zutraute. Was hatte den am hellen Tag und so gar nicht zur Jagdzeit in die Bottwarauen getrieben? Hatte seine Schwester doch recht, die den Jäger selbst der heimlichen Wilderei verdächtigte? Verwunderlich wäre es nicht, denn dann wäre es auch verständlich, dass nach so langem Suchen nie ein Wilddieb gefasst werden konnte. Wer fängt sich schon selbst?

Er musste noch einmal mit seiner Schwester Hilda sprechen, denn sie meinte, etwas Verdächtiges gesehen zu haben. Er wollte dem armen Jungen wirklich helfen, aber wie? Das eigentliche Problem war allerdings damit nicht gelöst, denn er war entgegen des Auftrags seines Vaters, der ihn als Ernteaufseher auf das hintere Feld geschickt hatte, hinunter an die Bottwar geritten, um seinen neuen Bogen zu testen. Das war kein Problem, denn er konnte sich auf die Oberstenfelder Bauern und ihren Fronmeister verlassen. Diese hatten am Morgen nur einen Wunsch, nämlich möglichst schnell fertig zu werden, um unten im Tal bei gutem Wetter, auch ihre eigene Ernte einbringen zu könnten. Fronmeister Färber hatte ihm versichert, dass sie heute auf jeden Fall mit der Ernte fertig würden. Bald waren die letzten Garben aufgestellt. Dann würden sie hinunter können.

Beruhigt hatte er sie dann alleine weiterarbeiten lassen, weil sie ohne ständige Bewachung schneller arbeiteten. Sie konnten dann auch ihre Lieder singen, in denen die Adligen nicht gut wegkamen. Vor ein paar Tagen hatte der junge Herr sie beim Singen erwischt. Alle waren erschrocken und Färber hatte offensichtlich eine schlimme Strafe befürchtet. Doch Rupprecht, der schon aus der Klosterschule für Adlige die Probleme der leibeigenen Bauern kannte, hatte sich zu ihnen gesetzt und alle Strophen des Liedes hören wollen. Schnell waren einige Schranken gefallen und er erschien nun den armen Leuten in einem ganz anderen Licht. Alle sahen ihn sehr viel freundlicher an. War trotz der Standesunterschiede gegenseitige Achtung oder gar Freundschaft möglich? Seinem Vater gefiel das allerdings nicht. Der Vorfall musste ihm noch am Abend von irgend einem willfährigen Bauern zugetragen worden sein.

Er hatte ihn am nächsten Morgen zur Rede gestellt, ihn getadelt und eben diese notwendige Distanz zu den Leibeigenen gefordert, die ihm so schwer fiel. Seine Einstellung kam zum Teil aus der Erziehung durch seine Mutter und auch die Ideen des Mönchs Thomas in seiner Schule steckten dahinter. Dieser erzählte ihm von Schriften der Aufklärung, die alle bisherige Ordnung über den Haufen warfen und die ungeheure Gleichheit aller Menschen vor Gott und auch vor dem Gesetz aus verbotenen Schriften kühner Denker entnahmen. Thomas versuchte ganz vorsichtig junge Adlige an dieses neue Denken heran zu führen, denn nur sie konnten eine gerechtere Weltordnung begründen, mit Lebensmöglichkeiten für alle Menschen.

„Und wo bleiben dann die Vorrechte der Adligen,“ hatte er ihn damals gefragt. Die gäbe es nicht mehr von Geburt, sondern die müssten durch eine umsichtige, treu sorgende Art zu regieren erst erworben werden. Ein solcher Fürst müsste sich auch nicht vor seinem Volk durch Soldaten schützen lassen, der könnte inmitten seiner Leute in den Kampf ziehen und diese würden ihn gegen alle Feinde schützen. Das hatte damals sein geschätzter Lehrer, allerdings nur ihm und wenigen Freunden, als neuer Weg zu einer neuen Weltordnung erklärt. So revolutionär waren diese Ideen, dass der Mönch ihnen zuerst den Schwur strikter Geheimhaltung abgenommen hatte, bevor er aus einem Pergament Schriften verschiedener Aufklärer, wie von einem Erasmus von Rotterdam gezeigt hatte. Wie er zu diesen Blättern gekommen sei, wollten die Schüler gleich wissen.

Die Schriften, oft nur lose Blätter, würden in den Städten von fahrenden Händlern angeboten und denen gewissermaßen aus den Händen gerissen. Das wäre erst möglich seit eine neue schnellere Drucktechnik von einem Guttenberg in Mainz erfunden worden war. Auch in der Kirche sei dieses Gedankengut nun angekommen und frei denkende Kirchenleute würden nun auch manche Dogmen der Kirchenoberen hinterfragen, ob sie wirklich aus der Bibel stammten oder nur der Machterhaltung oder Geldvermehrung dienten. Solche Ideen kamen schon öfter auf und manche Freidenker, wie ein Johannes Huss, wären dafür auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Diesmal allerdings gab es für diese neuen Revolutionäre mächtige Fürsprecher, denn nicht allen Adligen gefiele das prunkvolle Leben der Päpste und ihre oft willkürlichen, nur ihre eigene Macht stärkenden Entscheidungen stießen bei kritischen Adligen oft auf Unverständnis. Das sei auch die neue Zeit. Deshalb hätte auch gerade ein Columbus die Erdenscheibe als veraltet erklärt und wäre nach Indien in westliche Richtung gestartet. Kein Papst konnte das verhindern. Wer oben bleiben wolle, müsse das neue Denken lernen, seine Untergebenen schätzen, ja die fähigsten Söhne dieser sogar fördern. Diese neuen Vorstellungen gingen nach Ende der Schule nicht mehr aus Rupprechts Kopf und beeinflussten schon häufig seine Handlungsweise, obwohl er wusste auf welchem gefährlichem Pflaster er sich als Mitglied des Adels hiermit bewegte.

Sein Vater meinte, dass man mit der Autorität des Standes und durch Distanz zu den Leibeigenen am besten diese Zeiten überstehen könnte. Menschenfreundlichkeit den Untergebenen gegenüber hielt er für eine Schwächung der Position, wenn man ihm auch nicht seinen Gerechtigkeitssinn, gleiches Recht für jedermann, also auch für die Leibeigenen, nicht absprechen konnte. Überall trat Dietrich von Weiler für das Recht ein, auch wenn es seinen Standesgenossen nicht gefiel.

Erst seit zwei Wochen war Rupprecht wieder von seinen Studien zurück und in dieser Zeit mehrfach wegen dieser neuen Ideen von seinem Vater getadelt worden und nun heute wieder. Wie konnte er seinem neuen Freund helfen, ohne zu verraten, dass er den Auftrag seines Vaters nicht richtig ausgeführt hatte? Da fiel ihm seine Schwester ein, sie war Vaters Augenstern. Nur sie konnte den in langen, schwierigen Regentschaftsjahren hart gewordenen Mann umstimmen. Vielleicht gelang es noch besser, wenn beide Mutter auf ihre Seite bringen konnten. Die Freifrau stammte aus dem fernen Burgenland und war von ihrer Heimat her einen ganz anderen Umgang mit den Untertanen gewohnt. Bei ihr zu Hause musste man, von äußeren Feinden bedroht, zusammenrücken. Adlige mussten sich ganz auf ihre Untertanen verlasen können, denn nicht selten war eine dörfliche Kirchenburg schon letzter Zufluchtsort für einen ihrer Ritter gewesen, wenn er fernab von seiner Burg verfolgt worden war. Wohl dem, der bei Bauern und Bürgern gut angesehen war, nur dem wurde Unterschlupf gewährt.

Rupprecht begann sofort sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Da er nicht ohne Grund in die Frauengemächer durfte, besann er sich eines alten Zeichens, das er noch in der Kindheit mit seiner Schwester abgesprochen hatte. Zum Glück sah er Kerzenschein in ihrer Kammer. So konnte er kleine Steinchen an ihr Fenster werfen. Als er ihren Kopf in der Öffnung sah, ahmte er ein Käuzchen nach und sie machte ein Zeichen mit der Hand, um anzuzeigen, dass sie verstanden hatte. Kurz darauf trafen sie sich in der Futterkammer neben dem Stall.

„Gudrun, ich brauche ganz dringend deine Hilfe“, begann Rupprecht das Gespräch. „Aber du darfst von dem, das ich dir nun sage, kein Wörtchen zu Vater sagen. Versprichst du mir das?“ Die Schwester schaute ihn fragend an und meinte: „Habe ich dich je verraten, Rupprecht? Ich bin doch so froh, dass du endlich wieder da bist. Mama übrigens auch. Hat es etwas mit unserem jungen Gefangenen zu tun?“ Rupprecht erklärte ihr schnell das Problem. Sie machte ein besorgtes Gesicht und sagte: „Da hast du dich aber in eine gefährliche Zwickmühle begeben, lieber Bruder. Wo bist du so revolutionär geworden?“ Er erzählte ihr von den Ideen Martin Luthers, die er in den letzten Tagen seiner Schulzeit kennen gelernt hatte und Hilda meinte: „Erstaunlich welchen Mut dieser Augustinermönch hat. Du siehst, welche Intelligenz auch im Bürgertum steckt. Man muss sie nur entdecken und dann fördern.“ Rupprecht stimmte ihr zu: „Und unsern Gefangenen schätze ich auch so ein. Er hat auf das Anraten des Pfarrers ebenfalls eine Schule besucht, kann lesen und schreiben und auch, was noch wichtiger ist, denken.“ „Solche Bürger hängt man nicht wegen so einer Lappalie, was ist denn der Reiher wert, solche Bürger muss man für sich gewinnen. Sie können für das ganze Land sehr wertvoll sein!“ meinte das Mädchen. Natürlich waren sich die Geschwister darin einig, doch wie konnte man Matern aus seiner gefährlichen Situation befreien?

Die zündende Idee kam von dem Mädchen: „Nun muss ich dir auch von einer Beobachtung erzählen, die ich vor wenigen Tagen unten an der Bottwar gemacht habe. Weil es so heiß war, bin ich in der kleinen Kutsche mit meinen Dienerinnen hinunter zum Mühlstau gefahren und wir wateten zu Abkühlung im Bach. Plötzlich sahen wir in der Ferne drei Reiter, die schwere Lasten mit sich führten. Sie lagen über den Pferden und waren von Decken verborgen. Einen der Reiter erkannte ich gleich, es war Schorrer, der Oberjäger. Die anderen waren seine Diener oder Jagdgenossen. Sie sahen uns nicht, verschwanden hinter den Uferbäumen und tauchten weiter weg beim Mühlschuppen wieder auf. Von der Ferne hörten wir die schwere Angel des Schuppens quietschen und danach ritten die drei ohne Last weg. Dabei kamen sie auf dem Weg zur Burg bei uns vorbei und wir hörten lockere Sprüche über Badenixen, bis sie mich erkannten. Schorrer erschrak ziemlich, das konnte ich gut sehen, fing sich aber und wünschte mir einen guten Tag.“