Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2014 Jan Trouw
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand, Norderstedt
ISBN: 9783- 735763976
baojia |
Haushaltsregistrierungssystem während der Qing |
|
Dynastie und der Republik China |
chai |
abreißen |
chuanmen |
Freunde/Bekannte besuchen |
chumen |
das Zuhause verlassen |
chunjie |
chinesisches Neujahrsfest |
cun = |
Dorf/Dörfer |
fei nongye hukou |
städtischer Registrierungsstatus |
gaige kaifang |
Reform und Öffnung (Wirtschaftsreformen unter |
|
Deng Xiaoping) |
Geming |
Mandat des Himmels, aber auch Revolution |
Guanxi |
(zwischenmenschliche) Beziehungen zu jemanden |
hukou-System |
Haushaltsregistrierungssystem |
lanpi hukou |
blauer (temporärer) Haushaltsregistrierungsstatus |
|
einer Person |
linshi hukou |
eine temporäre Erlaubnis, um in einem fremden |
|
Gebiet (Nicht-Geburtsort) zu wohnen & zu arbeiten. |
liudong renkou |
floating population, Wanderarbeiter |
mangliu |
blinder Fluß (von Menschen) |
mingong |
migrierende Arbeitskräfte (migration workers) |
mu |
Landmaße, 1 mu = 0.0667 Hektar |
nongmao shichang |
Bauernmärkte |
nongmin |
Bauern, Landmenschen, Farmer |
nongye hukou |
ländliche Haushaltsregistrierungsstatus |
renmin jiefangjun |
Volksbefreiungsarmee |
sanxia diba |
Drei-Schluchten Staudamm |
shenghuo fei |
staatliche Unterstützung zum Lebensunterhalt |
shikumen |
traditionell gebautes Haus |
xiang = |
Bezirk, Gemeinde |
zhongguo |
China |
zhongoa minguo |
Republik China (jetzt auf Taiwan) |
zhonghua renmin gongheguo |
Volksrepublik China |
Shanghai ist „atemberaubend”. Mit der Xinhu Pearl, wie die Chinesen den deutschen Transrapid nennen, verlässt man die weiße science-fictionartige Station am Airport. Mit einer Geschwindigkeit von 430 Stundenkilometern erreicht man die 31 Kilometer entfernte Downtown innerhalb von 8 Minuten. Shanghais endlose Straßen sind gefüllt mit Menschen, der Verkehr platzt aus allen Nähten, alles und jeder immer in Bewegung. Tausende von Reklametafeln werben um die kaufkräftige Kundschaft. Darunter auch die Schilder von großen Firmen aus Europa und Amerika, egal ob das blaugelbe Möbelhaus oder die Fast Food Kette mit dem goldenen M. Einige Menschen gehen den ganzen Tag lang in ihren Pyjamas durch die Straßen. Manche elegant gekleidete Leute legen ihren Aktenkoffer für ein paar Tai Chi Übungen im Park beiseite.
Alt neben Neu: Alleen aus alten traditionellen Häusern (shikumen) gehen über in mit Wolkenkratzern übersäte Straßen (wie etwa die Huaihai Zhonglu).
Die Volksbefreiungsarmee marschiert diszipliniert an der Promenade am Huangpu River entlang, während am anderen Ufer, in Pudong, Hochhäuser rund um den Oriental Pearl Tower in atemberaubender Geschwindigkeit in den Himmel wachsen. Kaum zu glauben, dass sich hier vor nur einer Dekade Agrarflächen befanden.
Chinas Boom kann in dieser Stadt wirklich gefühlt und erfahren werden, ohne Zweifel. Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. So sitzen sie am Hauptbahnhof der Stadt zu Tausenden: die so genannten Floater. Floater, im deutschen Sprachgebrauch auch Wanderarbeiter genannt, sind Menschen, die ihre Heimatprovinzen in Richtung Industriezonen und Städte verlassen, um am Wirtschaftsaufschwung teilzuhaben. Sie wollen ihren bisherigen (niedrigen) Lebensstandard verbessern. Mit dieser Hoffnung bieten sie ihre Arbeitskraft für niedrig bezahlte Jobs an: unter anderem als Umzugshelfer oder als Bauarbeiter auf Bau- und Abrissstellen. In Shanghais Wohnviertel Hongkou war beispielsweise zu beobachten, wie Floater alte Wohnhäuser von Städtern abrissen, um das eigene (Über-)Leben zu sichern.
Es ist bekannt, dass in China eine sozioökonomische Kluft existiert, die nicht nur zwischen der ländlichen und städtischen Bevölkerung des Landes verläuft, sondern auch geographisch, zwischen der Küstenregion, wo der Wirtschaftsaufschwung stattfindet, und dem Hinterland, welches dieser wirtschaftlichen Entwicklung hinterher hinkt. Dies ist der chinesischen Regierung bekannt und startete bereits Projekte, um die Stagnation der westlichen Provinzen zu verhindern und die Kluft im eigenen Land nicht weiter auseinander klaffen zu lassen.
Ein solches Projekt ist der Drei-Schluchten-Staudamm, welcher zwischen 1993 und 2006 auf dem Jangtse (changjiang) errichtet worden ist. Der Jangtse ist mit 6.300 Kilometern Chinas größter Fluss und Drittgrößter der Erde. Die Ziele, die durch Hilfe des Staudamm realisiert werden sollen, sind (1) die Flutkontrolle, (2) die Gewinnung von Energie, (3) die Verbesserung der Navigation des Schiffverkehrs, (4) die Bewässerung von Agrarflächen und (5), die Belieferung der wasserarmen Nordregionen mit Wasser (dazu gehört auch Peking).
Der Staudamm hat jedoch auch einen negativen Einfluss auf den Jangtse und Umgebung. Als die Schleusen des Damms sich in Jahre 2003 schlossen, stieg der Jangtse auf einen Wasserspiegel von 135 Metern an. Der Stausee erreichte eine Länge von 500 Kilometern. In Jahre 2009 wird der Fluss bei einem Spiegel von 175 Metern ein über 600 Kilometer langen Stausee innerhalb den Drei-Schluchten (zwischen Sandouping und Chongqing) bilden. Alles unterhalb dieser Wassermarke wird dauerhaft überflutet. Betroffen sind 19 Bezirke mit ihren Städten und Dörfern; mitsamt deren Häusern, Feldern, Krankenhäusern Fabriken und Tempeln (einige von ihnen existieren seit 10.000 v. Chr.).
Dies bedeutet für die Menschen in der Drei-Schluchten Region Qutang, Wu, und Xiling eine sozioökonomische Veränderung. Voraussichtlich müssen zwei Millionen Menschen umgesiedelt werden.
Zieht man die langfristigen negativen Effekte des Damms wie etwa die klimatischen Veränderungen hinzu (auch am unteren Flussverlauf wie etwa im Flussdelta), werden durch den so genannten collateral damage etwa 75 Millionen Menschen betroffen sein.
Es ist zu fragen, ob die Umsiedlung erfolgreich sein kann und sein wird. Die Ingenieurin und Journalistin Dai Qing betont, dass kein fester Plan für die Umsiedlung vorliegt, der für die umzusiedelnden Menschen in der Drei-Schluchten Region adäquat und annehmbar sei. Hauptschwierigkeit liege schon darin, dass zu viele Menschen innerhalb eines zu kurzen Zeitraums mobilisiert werden müssen. Shiuhung Luk und Joseph Whitney, beide Professoren für Geographie an der Universität von Toronto (Kanada), zweifeln ebenfalls an einer „erfolgreichen“ Umsiedlungsumsetzung:
„China’s record on resettlement is tragic: according to China’s Ministry of Water Resources, 30 to 40 percent of the 10 million people who have been relocated to make way for hydroelectric dams since the 1950s are still impoverished and lacking adequate food and clothing. Although China has recently improved its guidelines for resettlement in accordance with the World Bank’s criteria for ‘successful resettlement,’ the people who would be displaced or affected by the Three Gorges have no guarantee they would be spared the hardship and suffering associated with such schemes.”1
Aus diesem Zweifel der Kritiker heraus, untersuche ich die Konsequenzen für die Bauern, die wegen des Staudamms ihre Bleibe räumen müssen. Die Frage ist, ob sich die sozioökonomische Situation der Betroffenen verbessert oder verschlechtert. Aus zweierlei Gründen ist eher letztgenanntes zu befürchten.
Zum einen konnte ich durch meine beiden Reisen nach Assuan (Ägypten) den Staudamm Sadd-el-Ali besuchen, welcher den bekannten Stausee, den Nassersee, bildet. Zum Wohle und Fortschritt der ägyptischen Gesellschaft verloren etwa 100.000 Nubier ihr Goldenes Land, welches heute unter dem Nassersee liegt, und blieb nur wenig von ihrer gesamten kulturellen Erbschaft erhalten. Darüber hinaus konnte der Damm nicht alle Ziele und Funktionen realisieren, wie geplant: wie etwa das Ziel der Flutkontrolle oder das Ziel der Energiegewinnung (siehe Kapitel 2).
Zum anderen existiert in der Volksrepublik China seit den 1950ern das Haushaltsregistrierungssystem (kurz: hukou-System), mit dem die chinesische Bevölkerung in zwei Gruppen administrativ gegliedert wird: zwischen einer Ländlichen und einer Städtischen. Ein hukou (Status) wird abhängig vom Geburtsort vergeben (ländlicher hukou = nongye hukou; städtischer hukou = fei nongye hukou).
Chinesen mit einem ländlichen hukou sind von bestimmten Rechten und Privilegien ausgenommen und sind an ihrem Geburtsort beziehungsweise an ihrer Region gebunden. Migration innerhalb Chinas erfolgt nur unter administrativer Zustimmung (siehe Kapitel 5).
Es wird zu fragen sein, inwieweit die Umzusiedelnden darüber entscheiden dürfen, an welchen Ort sie sich niederlassen, um eine neue Existenz aufzubauen, oder ob der Staat ihnen einen Ort zuweist. Des Weiteren ist es ebenfalls interessant zu erfahren, ob die Betroffenen sowohl mit darüber entschieden, ob der Damm errichtet wird oder nicht, und ob sie für ihre (materiellen) Verluste (monetäre) Entschädigungen seitens der Regierung erhalten.
Die Untersuchung der sozioökonomischen Konsequenzen für die Bauern beginnt zunächst mit einem Vergleich der Ziele und Funktionen des Sadd-el-Ali und des Drei-Schluchten-Staudamms (Kapitel 2). Ähneln sich die Kritiken gegenüber den Damm in China mit den bereits gemachten Erfahrungen in Assuan (Ägypten)? Gibt es Parallelen? Wenn ja, inwieweit lassen sich diese dann auf das chinesische Projekt übertragen? Gäbe es Alternativen gegenüber eines solchen Dammbaus, für die sich die chinesische Regierung hätte entscheiden können?
In Kapitel 3 geht es um die Partizipation der betroffenen Bauern. Haben beziehungsweise hatten sie Mitspracherecht? Wurden beziehungsweise werden sie zureichend beraten und während der Umsiedlung politisch betreut? Erhalten die Betroffenen für ihre (materiellen) Verluste, wie etwa ihre Häuser, Agrarflächen sowie für ihr Hab und Gut (monetäre) Entschädigungen?
Ordnen sich die Betroffen den Anweisungen der Parteivertreter unter oder gibt es von deren Seite aus Proteste? Am Ende des Kapitels wird mit Hilfe der Dokumentation von Yifan Li und Yu Yan (2004) auf die Stadt Fengjie geschaut. Die Dokumentarfilmer begleiteten mit ihrer Kamera die Vorbereitungen der bevorstehenden Umsiedlung in Jahre 2002.
Im vierten Kapitel wird die Frage gestellt, inwieweit der Damm und der Stausee Veränderungen im Ökosystem auslösen. Veränderungen hätten Folgen für die Landwirtschaft und Fischerei bezüglich Quantität und Qualität. Ein Rückgang in Quantität und Qualität würde sich auf das Einkommen der Bauern negativ auswirken. Auch wenn die Ernteerträge einerseits dem Eigenkonsum dienen, so wird ein Teilertrag auf den lokalen Märkten verkauft, um andere Güter käuflich zu erwerben, die sie selbst nicht herstellen (können). Des Weiteren müssen die täglichen Ausgaben gedeckt werden, wie etwa Steuern oder Medikamente.
Dies ist dann Schwerpunkt des fünften Kapitels. Um die gegenwärtige Situation in China besser zu verstehen, wird die historische Entwicklung des hukou-Systems in den Fokus genommen. Während der Planwirtschaft in den 1960er und 1970er Jahren waren die Menschen mit Hilfe des administrativen Instrumentariums an die Staatskollektive, den danwei, gebunden. Auch wenn die Planwirtschaft seit den 1980ern offiziell abgeschafft ist, bleibt das hukou-System für die chinesische Regierung als funktionales und wichtiges System bestehen und beeinflusst somit auch den gegenwärtigen Umsiedlungsprozess; wie später zu sehen sein wird.
Danach, in Kapitel 6, wird geschaut, welche Alternativen es in den Städten gegenüber dem „Bauerndasein“ gibt; unabhängig davon, ob die Bauern in urbane Räume zwangsumgesiedelt werden oder ob sie sich selbst dorthin begeben. Wie finden sie Zugang zu Jobs im Industrie- und Dienstleistungssektor sowie Zugang zu lebenswichtigen Gütern, wie etwa Nahrung, Trinkwasser, Elektrizität oder Kleidung? Haben die Kinder Zugang zu Schulen? Wie steht es um die medizinische Versorgung? Welchen (behördlichen) Hürden stehen sie gegenüber?
Am Ende folgt die Konklusion mit den gewonnenen Erkenntnissen der Untersuchung. Gewiss können nicht alle Fragen, Situationen und Fakten geklärt werden, da die Umsiedlung gegenwärtig noch immer nicht abgeschlossen ist. Auch langfristige Auswirkungen lassen sich erst später erkennen. Lediglich ein Vergleich mit bereits gemachten Erfahrungen zu diesem Thema (wie etwa mit dem Staudamm in Ägypten) ist möglich. Doch schon jetzt dürfte sicher sein, dass es im chinesischen Hinterland ein Überschuss von mehr als 30 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter gibt, die keine andere Wahl haben, als durch gute Qualifikationen Erwerbsmöglichkeiten außerhalb des Agrarsektors zu bekommen (ausgenommen sind Niedriglohnjobs in der Produktion). Ohne Zweifel, die umzusiedelnden Bauern und andere Menschen aus dem Agrarsektor innerhalb der Drei-Schluchten Region sind eine Kerngruppe, die besonders vom Gesellschaftsumbruch betroffen ist: von einer agrarorientierten zu einer Industrie- und Dienstleistungsbezogenen Gesellschaft. Dieser Umbruch findet schneller statt als zu Zeiten der industriellen Revolution in Europa, wo die Länder sich über Jahrhunderte zu Kommunikations- und Informationsgesellschaft entwickelten. Für die betroffenen Menschen in der Drei-Schluchten Region bewirkt das Staudammprojekt einen deutlichen Umbruch „über Nacht“.
Auch wenn es kaum Publikationen direkt zur Umsiedlung am Jangtse gibt, so ist die vorliegende Untersuchung literarisch. Diese wenigen mir zugänglichen Bücher sind: (1) „Yangtze Yangtze” (1989) von Dai Qing (Hrsg.), (2) „Damming the Three Gorges. What Dam Builders Don’t Want You to Know” (1993/2. Auflage) von Margaret Barber und Gráinne Ryder (Hrsg.) vom Institut Probe International (Toronto/Kanada), (3) „Der Drei-Schluchten Staudamm in China. Das größte Staudamm-Projekt der Welt” (1997) von Eckhard Freiwald, (4) „The River Dragon Has Come! The Three Gorges Dam and the Fate of China’s Yangtze River and Its People” (1998) von Dai Qing, herausgegeben von John G. Thibodeau und Philip B. Williams, und (5) „Before the Deluge. The Vanishing World of the Yangtze’s Three Gorges” (2002) von Deirdre Chetman.
Weitere Quellen zum Staudammprojekt sind unter anderem die Internetseite www.threegorgesprobe.org von Probe International und die dort regelmäßig erscheinenden Newsletter sowie das dort zu findende Archiv mit Information rund um den Drei-Schluchten-Staudamm und anderen Dammprojekten, wie auch andere Online Newsletter wie etwa von BBC, der Washington Post oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Des Weiteren sind für die Untersuchung die zwei folgenden Bücher wichtig: „Contesting Citizenship in Urban China. Peasant Migrants, the State, and the Logic of the Market” (1999) von Dorothy J. Solinger und „Strangers in the City. Reconfigurations of Space, Power, and Social Networks Within China’s Floating Population” (2001) von Li Zhang. Auch wenn diese nicht mit dem Stausee auf dem Jangste zusammenhängen, liefern sie wichtige Informationen über die Wanderarbeiter (floating population), die urbane Gebiete aufsuchen und dort versuchen, einen Lebensstil zu führen, der möglichst nahe dem der Städter ist.
Weitere Quellen sind Ausgaben von China aktuell, herausgegeben vom Institut für Asienkunde in Hamburg sowie die beiden Filmdokumentationen „Fengjie, Before the Flood” (2004) von Yifan Li und Yu Yan und „Die Wanderarbeiter von Shanghai” (2005) von Christoph Tubbenthal.
1Vgl. Shiu-hung Luk und Whitney, in: Barber/Ryder (1993), S. 89f.
In China gab es schon immer eine Grundsatzdiskussion zum Bau von Dämmen. Bereits im frühen China, 500 v. Chr., wurde die Frage gestellt, ob man einem Fluss freien Lauf gewähren soll oder ob man diesen „beherrschen“ oder zumindest „zähmen“ darf und kann. Vor einigen Jahren, nach dem Bau des Gezhouba Damms, entschied die chinesische Regierung, einen zweiten, noch größeren Damm zu bauen: den Drei-Schluchten-Staudamm. War diese Entscheidung „weise“? Nicht nur, dass es keine Garantie dafür gibt, dass der Damm seine Funktionen erfüllt. Auch die Frage, zu welchen Kosten das Projekt auf dem Jangtse realisiert wird, ist noch unklar. Unter Kosten sind nicht nur monetäre Kosten gemeint, sondern auch negative Eingriffe in das Ökosystem sowie die Schicksale der betroffenen Menschen.
Der Staudamm in der ägyptischen Stadt Assuan, der Sadd-el-Ali, hat ohne Zweifel zur Entwicklung der Wohlfahrt des Landes beigetragen. Jedoch auch zum Leid der Nubier, wie später in diesem Kapitel noch sehen ist. Die dem Sadd-el-Ali zugeschriebenen Ziele sind denen des Staudamms in den Drei-Schluchten ähnlich. Daher gibt es im Folgenden einen kurzen Vergleich zwischen diesen beiden Dämmen.
Sun Yatsen, Mitbegründer von Guomindang (GMD) und Begründer der Republik China am 1. Januar 1912, ist der Erste, der mit der Planung eines solchen gewaltigen Damms in Verbindung gebracht wird. Bereits damals waren die Flutkontrolle, die Verbesserung der Wasserwege (Navigation), die Gewinnung von Energie sowie ein Impuls zur industriellen Entstehung, Ziele des Dammbaus. Aufgrund des Fehlens finanzieller Mittel sowie einer politisch dezentralisierten Führung durch autonome Warlords in den jeweiligen Provinzen, lag die Realisierung des Damms noch weit entfernt. In den darauffolgenden Dekaden, geprägt von politischer Instabilität, zögerte sich die Realisierung des Damms ebenfalls hinaus: (1) Maos Langer Marsch mit der Kommunistischen Partei (KPCh), (2) der politische Einfluss europäischer Länder (wie etwa Frankreich, Deutschland, England oder Portugal) und Chinas Nachbarn Japan in der chinesischen Politikführung während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, (3) der Zweite Weltkrieg und (4) der chinesische Bürgerkrieg (1945–1949).
Doch all diese Ereignisse ließen den Plan des Damms nicht komplett verschwinden. Im Gegenteil. Nach einer Flut in Jahre 1954, in der über 300.000 Menschen ihr Leben und über eine Millionen ihre Häuser verloren, starteten Mao Zedong und seine politische Gefolgschaft in den 1950ern eine neue Diskussion zum Bau eines Damms. Aber durch den Sprung nach Vorne und den darauf folgenden Bitteren Drei Jahren sowie der späteren Kulturrevolution gab es erneut eine Verwerfung der Pläne.
Erst als der Nationale Volkskongress in Jahre 1992 mit 1767 Stimmen, 177 Gegenstimmen und 664 Enthaltungen zugunsten des Staudamms entschied, erfolgte der Bau. Dabei wird die chinesische Regierung finanziell von Regierungen anderer Länder (Kanada, Deutschland, die USA oder Japan) und von internationalen Firmen und Institutionen (wie Morgan Stanley Dean Witter, China International Capital Cooperation oder der Credit Suisse First Boston oder der Weltbank) unterstützt.
Die Weltbank gibt China ein Darlehen, um einige Kosten des Staudammprojekts zu decken. Dies geschieht solange, wie die in einem gemeinsamen Vertrag festgelegten Klauseln eingehalten werden. Einige dieser Klauseln betreffen die Umsiedlungsund Umweltpolitik Chinas. In Falle einer Verletzung einer Klausel wird der kontinuierliche Transfer eingestellt. Philip M. Fearnside stellt sich die Frage, ob China nur solange die Klauseln einhält, wie das Projekt noch nicht abgeschlossen ist. Nach dessen Beendigung besteht die Gefahr, dass die chinesische Regierung die Auflagen fallen lässt. Dann ist sie nicht mehr an den Vertragsbedingungen gebunden.
Zwischen 1993 und 2006 wurde der Staudamm in Sandouping, 40 Kilometer nördlich von Yichang (Provinz Hubei), planmäßig errichtet und fertig gestellt. Der dabei entstehende Stausee wird in Jahre 2009 einen Wasserspiegel von 175 Metern haben. Die maximale Energiegewinnung wird in Jahre 2013 erreicht sein; dann, wenn alle 26 Turbinen des Damms laufen.
Der Wunsch, einen großen Fluss zu „beherrschen“ ist nicht nur ein Wunsch Chinas. Sowohl der Jangtse wie auch der Nil, beide Lebensspender, liefern den Menschen an den Ufern fruchtbaren Schlamm für den Agraranbau. Gleichzeitig bedrohen die Flüsse die Menschen in den flussnahen Gebieten durch Anstieg des Wasserspiegels und den Fluten, die Existenzen zerstören können (Verluste des persönlichen Hab und Gut, Ernteerträge oder gar Menschenleben). Der Zweck des Drei-Schluchten-Staudamms ist es, zum wirtschaftlichen Aufschwung in Chinas Hinterland beizutragen.
Ziele des Sadd-el-Ali:
Ziele des Drei-Schluchten-Staudamms:
Der Sadd-el-Ali kostete damals 2,2 Mrd. Euro, ist 111 Meter hoch, 3600 Meter lang und bis zu 35 Meter breit. Er besitzt 12 Turbinen und produziert ca. 2 Mrd. KW/h. Der Stausee ist 135 Kilometer lang und hat eine Kapazität zwischen 135–169 Millionen m³. Für den Bau des Dammes musste etwa 100.000 Nubier Zwangsumgesiedelt werden.
Der Drei-Schluchten-Staudamm kostet etwa 75 Mrd. Dollar, ist 185 Meter hoch, 2310 Meter lag und 300 Meter breit. Die 26 Turbinen produzieren ca.84 Mrd. KW/h. Das Reservoir ist 660 Kilometer lang und fasst etwa 39 Mrd. m³. Für die Umsiedlung müssen ungefähr 1,3–2 Millionen umgesiedelt werden.
Die Erfahrungen aus Ägypten sind den Kritiken des Drei-Schluchten-Staudamms ähnlich. Allerdings ist, wie oben zu sehen, die Dimension des Damms in China gegenüber dem in Ägypten gewaltiger. Daher ist zu fragen, was gesehen wird, wenn die Konsequenzen des Sadd-el-Ali auch in China auftreten? Es gibt Stimmen, die nicht an eine hundertprozentige Erfüllung all der Ziele und Funktionen glauben (unter anderem WEED, BUND, Greenpeace, Probe International oder die bekannte Ingenieurin und Journalistin Dai Qing).
Um beispielsweise das Ziel der Flutkontrolle zu realisieren, muss der Wasserspiegel des Stausees gering sein, damit Flutwasser aufgenommen werden kann. Um das Ziel der Energiegewinnung umzusetzen, muss der Stausee jedoch einen hohen Wasserspiegel haben. Dies wiederspricht sich mit dem ersten Ziel. Es können also nicht beide Ziele gleichzeitig zu Hundertprozent verfolgt werden. Des Weiteren sind Sedimentation und Erosionen zu befürchten, die nicht nur die Wasserqualität verschlechtern, sondern auch einen negativen Einfluss auf die unmittelbare Umgebung haben (wie bereits in Assuan geschehen). Der Sadd-el-Ali hat sehr wohl zur Wohlfahrt und Entwicklung Ägyptens beigetragen, aber zu einem hohen Preis. Während der erste Damm den fruchtbaren Nilschlamm durch mehrere Tunnel im Mauerwerk durchließ und so vom Nil bis ins Mittelmeer weitergetragen wurde, ist der Sadd-el-Ali, 17 Jahre später (Bauzeit 1960–1971) und 7 Kilometer südlich vom Älteren erbaut, Endstation für den Schlamm. Auch für andere Dinge, wie etwa Salz und Geröll, ist kein Durchkommen mehr möglich. Sie sammeln sich auf den Untergrund des Reservoirs, wobei das Problem der Sedimentation auftritt. Sedimentation führt zur Absenkung des maximalen Wasserspiegels. In etwa 500 Jahren wird der Nassersee ausgetrocknet sein.
Ein Reservoir mit niedrigen Wasserspiegel oder gar keinen Wasser kann dem Ziel der Energiegewinnung nicht nachgehen. Bereits jetzt ist der Damm nur in der Lage etwa 2 Milliarden KW/h anstatt der ursprünglich geplanten 10 Milliarden KW/h zu produzieren.
Zwar hat der jüngere Damm, der Sadd-el-Ali, die Navigation verbessert, doch aufgrund des nun konstanten, niedrigen Wasserspiegels, ist nur den kleinen Fischerbooten und den flachen Tourismusschiffen das Befahren des Nils möglich; besonders der Tourismus profitiert dadurch erheblich.
Die aufgrund der Stagnation und Sedimentation resultierende Verschlechterung der Wasserqualität, aber auch der durch den fehlenden Schlamm ansteigende Verbrauch an Düngermitteln, bewirken eine erhebliche Veränderung des Biosystems. Unter anderen wurde der Lebensraum des Nilkrokodils eingeschränkt. Zuvor bis in Alexandria vorkommend, ist er seit dem Dammbau nur noch südlich des Damms zu finden. Die Population bestimmter Fischarten sank ebenfalls.
Ein anderes Ziel des Sadd-el-Ali war es, zusätzliche Agrarflächen von etwa 535.000 Hektar zu gewinnen und diese mit Wasser aus dem Stausee zu bewässern. Aber diese neuen Flächen sind durch die schlechte Wasserqualität sowie von Desertifikation und Erosionen bedroht. Erosionen werden durch den Mangel an Nilschlamm noch verstärkt. Der Schlamm festigte das Ufer. Ohne diesen wird das Land direkt an den Ufern brüchig und ist täglich bedroht, vom Fluss “geschluckt” zu werden.
Ein weiterer Aspekt ist, dass das ägyptische Land den Damm auf Kosten der Nubier und deren Kultur errichtet hat. Ungefähr 100.000 Nubier, welche einst im Goldenen Land