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Franzmeyer, Fritz W.; Kauffeld, Robert: Kleine Geschichte der Personen- und Frachtschifffahrt auf der Ober- und Mittelweser in Wort und Bild – Eine Mindener Perspektive
© 2013 Franzmeyer, Fritz W.; Kauffeld, Robert
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand, Norderstedt
Umschlaggestaltung: Robert Kauffeld
ISBN 978-3-7322-6499-5
Markanter Endpunkt der Oberweser: die Porta Westfalica in den 50er-Jahren - mit dem Salondampfer "Kaiser Wilhelm " auf Fahrt zu Tal Blick von der Porta-Kanzel auf dem Jakobsberg
Postkarte vom Wasserstraßenkreuz Minden vor dem Bau der neuen Kanalbrücke. Blick über den Kanal auf die Schachtschleuse
Wasser hat keine Balken. Davon macht die Weser keine Ausnahme. Doch wohl schon mit der ersten Besiedlung wird der Mensch, auch der steinzeitliche im Weserraum, zusammengebundene Zweige mit Fellen bespannt, später mehr oder weniger behauene Baumstämme ausgehöhlt haben, um sich und sein Transportgut damit vom Wasser tragen zu lassen – bei großen Wanderungsbewegungen auch über weite Strecken und selbst Wasserscheiden hinweg.1 Auch dem Fang von Fischen dienten die Boote. Fischer und Schiffer wird in den zivilisatorischen Anfängen ein und dasselbe gewesen sein. Das war auch an der Weser so. In so manchem Heimatmuseum sind Beispiele früher Schiffbautechnik aus unserem Raume zu besichtigen. Ihr Wirkungskreis blieb indes jahrtausendelang begrenzt. Die Weser misst rund 480 Stromkilometer. Früher waren es sicher noch ein paar mehr, denn so manche Kurve wurde begradigt. Zudem hatte der Strom vielerorts seine Unbilden. Hinzu kam, dass die Strömung zwar den Süd-Nord-Verkehr begünstigte (was etwa dem Holztransport zugute kam), umgekehrt aber den Nord-Süd-Verkehr erschwerte. Doch dies hatte auch seine guten Seiten, schützte es doch ein wenig gegen kriegerische Eindringlinge, die, von der See her kommend, die norddeutsche Tiefebene und das Weserbergland erobern wollten.
Römische Rudertechnik: Sogenanntes Neumagener Weinschiff aus dem Trierer Landesmuseum
Solche Feinde, waren es Römer oder Normannen bzw. Wikinger, hatten zwar eine überlegene Schiffbautechnik, doch die schweren Schiffe mit ihrer Last von Kriegern, Kriegsge- rät und Furage mussten, von günstigen Segelwinden nur unzulänglich unterstützt, stromauf getreidelt, das heißt am Ufer von Menschen oder Pferden mit langen Seilen gezogen werden. Das war an den noch unbefestigten, alljährlichem Hochwasser ausgesetzten Ufern oft mühsam und nur im Sommer möglich. Da wiederum war das Wasser oft flach, so dass die Schiffe nur einen geringen Tiefgang haben durften. Dieses Erfordernis stand auch einem alternativen Antrieb, dem Rudern, entgegen, wie es in seiner römischen Spielart etwa am berühmten „Weinschiff von Neumagen“ – das freilich in einer bereits befriedeten Region und in offensichtlich friedlicher Handelsangelegenheit unterwegs war – studiert werden kann. Denn die Ruderer belasteten das Schiff, ließen wenig Raum für Krieger und Kriegsgut und erschwerten den Kampf vom Wasser aus. Dennoch gelang es, seit der römische Feldherr Drusus ein Dutzend Jahre vor der Zeitenwende zwischen dem heutigen Ijsselmeer und der Nordsee die „fossa Drusiana“ (Drusus-Graben) gebaut hatte – einen Wasserweg, der den Römerschiffen das Vordringen übers Wattenmeer bis zur Weser- und Elbmündung ermöglichte –, ganzen Flotten, nach Rhein und Lippe nun auch die Ems, die Weser und die Elbe hinaufzufahren und vom Wasser aus die Landtruppen zu unterstützen. Dank dieser geballten Kraft schien Germanien im Jahre 5 n. Chr. endgültig unterworfen.
Doch Statthalter Tiberius wurde zu fernen Aufständen abberufen, die seine Militärkraft aufzehrten. Sein Nachfolger in Niedergermanien, Varus, unterlag im Jahre 9 den Mannen des Arminius. Und wieder war es nicht zuletzt die Stärke zu Wasser – mit der Rheinflotte als Basis –, die dem römischen Feldherrn Germanicus in den Jahren 15 und 16 nach Christus zu einem siegreichen Rachefeldzug in Niedergermanien verhalf: Mit nicht weniger als vier Legionen der obergermanischen Römerarmee machte er sich zu Schiff in den Weser- und Elberaum auf2 und gewann dort, im Verein mit den Landtruppen, u. a. die Schlachten bei Idistaviso und am Angrivarierwall. Im Sommer 2008 wurde die Fahrt eines solchen Römerschiffes mit einem nachgebauten Modell wieder anschaulich gemacht. Es war auch im Mindener Raum zu sehen. Die Römer hatten mit den aufreibenden Schlachten des Germanicus allerdings genug von ihrem auf erbitterten Widerstand stoßenden Eroberungsdrang in Niedergermanien; sie zogen sich nach Westen zurück und sicherten sich durch den Limes.
Die Normannen waren später auf Raub, Handel oder Eroberung aus. Sie drangen zwar vor allem nach Nordfrankreich, England, in den Nordatlantik- und den Ostseeraum vor, werden mit ihren imposanten, an Vorder- und Achtersteven drachengeschmückten Schiffen aber auch in die Wesermündung eingefahren sein. Friedrich de la Motte Fouqué schildert in seinem Roman „Die vier Brüder von der Weserburg“ den siegreichen Kampf von vier „Sassen“-Brüdern und ihrer Gefolgsleute gegen ein die Weser heraufziehendes, 6oo Mann starkes Normannenheer unter ihrem Führer Haakon. Man schrieb etwa das Jahr 400.3 Das ist zwar eigentlich ein Anachronismus, denn die ersten normannischen Eroberungszüge sind erst für das 9. Jahrhundert belegt. So plünderten sie im Jahre 834 Friesland aus. Doch diese Schilderung ist zumindest in dem Sinne „geschichtlich wahr“, als es so oder ähnlich später durchaus gewesen sein muss. Das 8. und 9. Jahrhundert war zugleich die Zeit des Frankenkaisers Karl der Große und des Sachsenherzogs Widukind. Auch bei den fränkischen Eroberern wird es vor allem das Heeresschiff gewesen sein, das die schiffbaren norddeutschen Flüsse beherrschte.
Wikingerschiff auf einer britischen Briefmarke für die Isle of Man
Der mittelalterliche Warenverkehr auf der Weser
Als nach den Sachsenkriegen die Zeiten im Weserraum friedfertiger wurden, entwickelte sich auch die Schifffahrt auf der Weser. Nun ging es vor allem um den Warentransport. Treibende Kräfte waren fortan über die Jahrhunderte hinweg zwei sich ergänzende Interessen: das der Binnenlandsgebiete um die Oberweser und ihre Quell- wie Zuflüsse an einem Anschluss an die deutschen Seehäfen, und das der Stadt Bremen an einem ebenso weiten wie privilegierten Beschaffungs- und Absatzgebiet.4
Leider ist bis ins späte Mittelalter wenig Gesichertes über die Bedeutung der Weser als Handels- und Schifffahrtsweg bekannt.5 Schon für das 11. Jahrhundert ist aber ein Handelsverkehr zu Wasser zwischen Bremen und den südlicher gelegenen Weserorten und sogar bis ins obere Werra- und Fuldatal hinein belegt. Die zur Zeit Karls des Großen gegründeten Bischofssitze Minden, Verden und Bremen sowie – etwas später – die klosternahen Orte Hameln und Höxter waren zugleich Marktsiedlungen.6 Sie erlangten im 12. und 13. Jahrhundert Stadtrecht. Gerade in dieser Zeit weitete sich der Handel stark aus. Er gab, als Folge grundlegender Erfindungen im Wagenbau und der Pferdetraktion, vor allem dem Gütertransport zu Lande kräftige Impulse. Begünstigt wurde dies auch durch den zunehmenden Bau von Stauwehren zur Energiegewinnung an den Nebenflüssen. Da die westfälischen Städte enge Wirtschaftsverbindungen zur Hanse-Pionierstadt Lübeck an der Ostsee entwickelten, nahmen in dieser Zeit zahlreiche Weserfähren ihren Betrieb auf. Die Dynamik der Handelsexpansion kam aber auch dem Schiffsverkehr auf der Weser zugute. Die groß gewordenen Seeschiffe konnten nun nicht mehr weit die Weser hinauffahren, so dass sich Bremen als zentraler Umschlagplatz etablierte.7 Eine Blütezeit erreichte der Weserhandel vom 14. bis frühen 15. Jahrhundert, getragen von den Kaufleuten der deutschen Hanse, zu der zeitweilig auch die großen Weserstädte gehörten. Dabei ging es durchaus nicht nur um Fernhandel.
Der Transport über größere Distanzen auf der Weser wurde sicher schon durch selbständige Schiffer und Flößer erledigt.8 Die hatten ein hartes Leben, hafteten für alles und wurden selbst bei Unglücksfällen oft für den Verlust der Ware bestraft. Und für Unglücksfälle war die Weser mit ihren Tücken immer gut. In manchen Weserorten, vor allem in Oedelsheim, Gieselwerder, Herstelle, Hameln, Heinsen und Bodenwerder, prägte über Generationen hinweg der Schifferberuf das Geschehen.9 Zu Tal wurde viel Holz für den holzarmen Unterweserraum befördert, bei Langstämmen aus Schwerholz in Form von Flößen, nicht zuletzt für den Bau von Koggen, aber auch für städtische Bauwerke, Hafen- und Kaianlagen.10 Auch Brot- und Braugetreide, Obst, Erze, Steine und andere schwergewichtige Rohstoffe – spätestens seit Ende des 15. Jahrhunderts z. B. Steinkohle aus Obernkirchen –, Mineralwasser, dazu stark gefragte Töpferwaren aus Thüringen und andere „Weserkeramik“ wurden zum gefragten Transportgut.11 Zu Berg waren es vor allem Stückgut und über die Küstengewässer angelandete Importware für den handwerklichen und haushaltswirtschaftlichen Bedarf, z. B. holländischer Käse, Stockfisch und Tran. Rüthing hat für die frühe Neuzeit Zollregister ausgewertet und nennt als wichtige Transportgüter bei der Bergfahrt noch Teer, Butter, Talg, Seife sowie – in geringerem Umfang – allerlei Nahrungsgüter und Rohstoffe. Für den Transport zu Tal stieß er in den Akten vor allem auf Transitgüter wie „Waid, Glas, Schmelztiegel, Eisen und Eisenprodukte sowie Textilien“, aber auch auf heimisches Getreide, Mehl und vor allem Holz.12
Löbe vermutet, dass die Verhältnisse schon im 13. u. 14. Jahrhundert, wieviel mehr also im 15. bis 18. Jahrhundert, im Grunde nicht anders waren, als sie etwa für 1880 beschrieben wurden. Da schickten zum Beispiel die Flößer ihr Geschirr (Ketten, Äxte, Kochtopf, Zelt, Drähte) von Bremen per Bahn nach Hause (etwa Holzminden), gingen selbst aber wie eh und je zu Fuß, und zwar nicht weniger als 40 Kilometer pro Tag. Einschließlich der Talfahrt waren sie jeweils etwa drei Wochen von zu Hause fort – um oft schon nach kurzer Pause erneut auf die Reise zu gehen.13
"Hochwasserstein " im Mindener Weserglacis oberhalb der Weserpromenade. Die höchste Markierung kennzeichnet den Wasserstand vom 18.01.1682
Übernachtet wurde in der Scheune bei Bauern, die man kannte. Nur dass das Flößergeschirr noch nicht mit der Bahn und zunächst auch noch nicht mit der Postkutsche, sondern nur mit zu Berg fahrenden Schiffen zurückgeschafft worden sein kann. Um so schlimmer für die Flößer also die Zeit, die da kommen sollte, als der Schiffsverkehr darnieder lag.
Nachbau einer Schiffmühle aus dem 18. Jahrhundert, Minden
Schiffer waren und sind ein hilfsbereites Völkchen. Besonders wenn es um gegenseitige Hilfe ging. In vielen Weserdörfern genossen sie noch in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als Löbe seine Bücher schrieb, nach seinen Beobachtungen hohes Ansehen. Waren doch über Jahrhunderte viele Menschen – Handwerker, Matrosen, Holzhauer, Kohlen- und Kalkbrenner, Landbauern (für die Holz und Kohlen transportiert wurden) – mit ihrem Einkommen von ihnen abhängig gewesen.
Doch das Geschäft war im Mittelalter und auch noch 300 Jahre danach mühsam, technisch wie wirtschaftlich. Technisch wurde die Fahrt vor allem durch Sandbänke, Stromschnellen und Wehre behindert. Jedes Hochwasser konnte eine neue Situation schaffen und legte zudem, am stärksten im Bereich der Allermündung mit ihren niedrigen Ufern, oft über längere Zeit jeden Treidelverkehr lahm.14 Solange es keine Buhnen und Uferbefestigungen gab, mäanderte sich die Weser immer neu aus. Allenthalben lagen auch mehr oder weniger fest verankerte Schiffmühlen im Strom, und zwar nicht wie im Mindener Nachbau dicht am Ufer, sondern in der antriebsstarken Strömung.15 Die Treidelschifffahrt behinderten die Mühlen allerdings weniger als den Verkehr zu Tal, da die Treidler die strömungsarme Ufernähe, die Talfahrer aber die stark strömende Flussmitte suchten.
Wirtschaftliche Hindernisse waren in dem extrem zersplitterten Reich vor allem die Zölle und Durchfahrgebühren, die Umladezwänge und Stapelrechte, welche den Säckel der Schiffer und fernen Kaufleute leerten, den Säckel der Staaten und Städte, die sich dieser Barrieren bedienten, aber füllten – dass dies eine sehr kurzsichtige Vorteilsnahme war, die durch Unterdrückung des freien Handels die Wohlstandsmehrung nachhaltig behinderte, steht auf einem anderen Blatt. Besonders die größeren Städte, soweit sie nicht als freie Städte eigenständig darüber entschieden, versuchten, vom Landesherrn Stapelrechte zu bekommen und die eigenen Schiffer und Kaufleute von fremden Stapelrechten freistellen zu lassen. „Stapelrecht“ war das Privileg, vom Schiffseigner zu verlangen, alle oder ausgewählte Waren, die sein Schiff mitführte und die eigentlich für andere Abnehmer gedacht waren, für einige Tage und zu festgesetzten Preisen auf dem Markt der stapelberechtigten Stadt anzubieten. Dadurch kam es zu ernsthaften Spannungen zwischen den Uferstädten. Besonders unanfechtbar war ein Stapelrecht oder sonstiges Privileg, etwa die Monopolstellung von Mündener Schiffen auf der Fulda, wenn es vom Kaiser verliehen wurde. Notfalls musste der Kaiser bei Streitfällen schlichten, einem Einspruch stattgeben oder ein Recht bestätigen. Manche Stadt suchte trickreich nach Auswegen. Spektakulär war der Versuch des Landgrafen von Hessen, das Mündener Stapelrecht und Fulda-Monopol zu umgehen, indem er 1699 begann, Karlshafen zu erbauen und es durch einen Kanal mit Kassel zu verbinden. Das große Projekt wurde nie vollendet.16
Minden contra Bremen
Besondere Rivalitäten gab es seit dem späten Mittelalter zwischen Bremen und Minden.17 Minden nahm spätestens vom 15. Jahrhundert an landesherrliche Stapelrechte für bestimmte Waren in Anspruch. Dazu gehörte auch Brauholz. Bremen erlangte solche Rechte erst 1541, und zwar vom Kaiser. Doch das wichtige Brauholz war nicht darunter. So hatte Minden beim Bierbrauen gegenüber Bremen einen Wettbewerbsvorteil. Minden ließ sich 1548 seine Rechte vom Kaiser bestätigen, geriet darüber aber in Streit mit seinem Fürstbischof, der sich über eine drakonische Umsetzung dieser Rechte durch den Magistrat beschwerte. Erneut wurde Kaiser Karl V. mit dem Fall befasst. Am 4. Januar 1552 erlässt er zu Innsbruck ein Privileg für die Stadt Minden, dass alle Mindener Bürger „hinfüro zu ewigen Zeitten unwiderrueflich auf dem Wasser, die Weser genant, auf unnd ab unnd für die Stat Bremen unnd sonnst allenthalben irer Notturfft unnd Gelegenhait nach [...] frey unverhindert schiffen, auch allerlay Kaufmannschafft und Handtirung treiben unnd üben sollen unnd mogen, one gemelter Stat Bremen Irrung, Einrede oder Verhinderung“.18 Alle entgegenstehenden früheren Rechte anderer Staaten wurden aufgehoben. Ein Wermutstropfen für Minden war es allerdings, dass der Kaiser der Stadt die heißbegehrte Zollfreiheit hartnäckig verweigerte.19
Während des Dreißigjährigen Krieges kamen dann in weiten Teilen Deutschlands die wirtschaftlichen Aktivitäten fast zum Erliegen. Dazu zählte auch der Gütertransport auf den Flüssen. Ein normales Leben war nicht möglich. Heere und marodierende Söldner zerstörten die Schiffe oder brachten sich zu eigenem Nutzen in deren Besitz. An geduldigen Wiederaufbau konnte niemand denken. Das war erst nach dem Westfälischen Frieden von 1648 wieder möglich.
Da aber war die Weser verwahrlost. Sie war bis ins 18. Jahrhundert, mit den Worten des Historikers Blase, erneut „völlig verwaist“. Dabei hätte es auf ihr viel zu tun gegeben. Im Laufe des 18. Jahrhundert spielte der Transport von Stückgut weseraufwärts eine gewichtige und wohl auch zunehmende Rolle, darunter der von „Materialwaaren [...] aus Rusland, Pohlen, Preussen, Holland, Asien und Amerika“.20212223