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© 2014 Benedict Ugarte Chacón

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7357-6474-4

Inhalt

Vorwort

Die in diesem Buch gesammelten Artikel aus den Jahren 2009 bis 2014 sind – bis auf eine Ausnahme – keine neuen Texte. Sie sind bereits an anderer Stelle erschienen und die meisten von ihnen sind auch im Internet verfügbar. Warum also dieses Buch? Der Verfasser machte sich Anfang des Jahres daran, seine bisher geschriebenen Texte systematisch zu erfassen bzw. abzuheften. Dabei kam er zu der Überlegung, dass es sich bei einigen von ihnen vielleicht lohnen könnte, sie noch einmal in gedruckter Form zu veröffentlichen. Der „Mehrwert“ dieser durch den Autor selbst publizierten Sammlung besteht somit schlicht darin, dass einzelne Texte nicht im Internet zusammengesucht werden müssen, sondern diese nun in gebündelter Form vorliegen.

Die meisten der Texte wurden ursprünglich für die Tageszeitung Junge Welt und das MieterEcho – Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft verfasst. Es finden sich hier aber auch einige Artikel aus der motz – berliner straßenmagazin sowie aus sonstigen Medien. Dem Inhalt nach handeln die meisten Texte von unterschiedlichsten Berliner Begebenheiten oder Zuständen. Hieraus leitet sich auch der Titel der Sammlung her: Berlin „schlecht zu reden“ hielt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in den letzten Jahren all jenen vor, die sich erlaubten, ihn und sein politisches Wirken vor allem im Zusammenhang mit dem Debakel um den Flughafen Berlin Brandenburg (BER) zu kritisieren. Wer bei diesem Desaster nicht wie die Vertreter und Vertreterinnen der rot-schwarzen Koalition von einer „Erfolgsgeschichte“ salbadert, der oder die will, so das eigentümliche Verständnis, der Weltmetropole Berlin schaden. Wowereit selbst hatte im Zuge des Bankenskandals im Jahr 2001, der ihn schließlich an die Regierung spülte, vollmundig einen „Mentalitätswechsel“ angekündigt. Damit wollte er sich wahrscheinlich von der bis dahin vorherrschenden mehltauartigen Politik der CDU-geführten Koalition abheben, die die Stadt in erster Linie als ihre Beute betrachtete. Die damalige CDU unter ihren Frontmännern Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky verstand übrigens Kritikerinnen und Kritiker ihrer Stadtpolitik als „Anti-Berliner“. Dieser selbstherrliche, provinzielle Kleingeist scheint sich bis heute bei der politischen Elite dieser Stadt gehalten zu haben.

Der Verfasser war in den letzten Jahren in einigen politischen Zusammenhängen mehr oder weniger aktiv: Studierendengruppen, der Initiative Berliner Bankenskandal, dem Berliner Bündnis gegen Privatisierung, dem Berliner Wassertisch und ganz kurz bei Attac. Zudem ist er Mitglied der Piratenpartei, aus der SPD ist er nach sehr kurzer Mitgliedschaft irgendwann 2002 wieder ausgetreten. Diese Aktivitäten sind kein Geheimnis, seien hier aber trotzdem noch einmal erwähnt. Es sollte demnach keinesfalls erwartet werden, bei den hier gesammelten Texten handle es sich um „objektive“ oder sonst wie meinungsfreie Äußerungen. Eine „ausgewogene Berichterstattung“ war nie ihr Sinn und Zweck. Im Gegenteil: Die politischen Tätigkeiten des Verfassers schlagen sich immer wieder in den Texten sowie in deren Schlussfolgerungen nieder. Vor diesem Hintergrund kann es durchaus sein, dass sich die eine oder der andere durch einzelne Aussagen möglicherweise unangenehm berührt fühlt. Sollte dies der Fall sein, so wird es durch den Verfasser begrüßt. Es trifft aus seiner Sicht die Richtigen. Vorweg geschickt sei ebenfalls, dass sich alle hier abgedruckten Texte auf dem Stand ihres ursprünglichen Erscheinungsdatums bewegen.

Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle noch bei Peter Grottian und Mathias Behnis, die mir freundlicherweise erlaubten, gemeinsam formulierte Artikel noch einmal abzudrucken.

Berlin, Mai 2014

PPP für Preußens Gloria

Heute wird der Grundstein für das „Public Private Partnership“-Projekt „Berliner Stadtschloß“ gelegt

Nach mehrjähriger Verzögerung ist es heute soweit. Freunde vordemokratischer Restauration im Verbund mit selbsternannten Kultureliten feiern die Grundsteinlegung für das von Bund und Berlin gemeinsam mit einem privaten Förderverein getragene Großprojekt „Berliner Stadtschloß“. Der heutige Festakt, an dem nach Angaben der „Stiftung Berliner Schloß – Humboldtforum“ 1000 geladene Gäste teilnehmen werden, findet im Beisein des Bundespräsidenten Joachim Gauck statt. Dieser hatte 2012 die Schirmherrschaft über die Stiftung übernommen. Er begründete dies seinerzeit mit den „zukunftsgerichteten Aspekten“ des Vorhabens. Mit dem Humboldtforum im neu errichteten Schloß würde „Deutschlands Rolle in einem fruchtbaren und konstruktiven Dialog der Kulturen der Welt“ unterstrichen. Das Stadtschloß soll das „Grand Projet einer Kulturnation“ werden – dieser Auffassung ist zumindest der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD), der diese hehren Worte bei der Eröffnungsfeier der Humboldt-Box, einem Übergangsbau am Schloßplatz, wählte. Ähnlich sieht es Manfred Rettig, Vorstand der Stiftung Berliner Schloß. Er spricht von dem Neubau als einem „Schaufenster“ für die Bundesrepublik Deutschland – was deutlich an die alte Westberliner Tradition erinnert, sich als „Schaufenster des Westens“ gegen die sozialistische Umgebung abzusetzen.

Ebenso verquast kommt es aus der Berliner Politik. So heißt es im Einladungsschreiben der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu einem Podiumsgespräch mit dem „Schloßherrn“ Wilhelm von Boddien, das vor einigen Tagen stattfand: „Berlin setzt mit der Errichtung des Stadtschlosses und des Humboldtforums ein großes Signal für die Stadt und die gesamte Republik. (…) Mit dem rekonstruierten Stadtschloß und seiner historischen Kuppel nimmt bürgerschaftliches Engagement für Berlin und seine Gäste weithin sichtbar Gestalt an.“ Die Art von „bürgerschaftlichem Engagement“, wie sie beim Stadtschloß praktiziert wird, ist so recht nach konservativem Geschmack. Den „Bürgern“ wird – anders als im Mittelalter – weder Land noch Geld abgepreßt, um herrschaftliche Prachtbauten zu finanzieren, sondern sie werden demokratisch vor die Wahl gestellt: Entweder spenden sie freiwillig für den Bau oder kommen eben mit ihren Steuergeldern dafür auf. Und wie es sich für richtige Schloßfeierlichkeiten gehört, hat das gemeine Volk bei der Grundsteinlegung gefälligst außen vor zu bleiben. „Leider ist aus Sicherheitsgründen diese Veranstaltung nicht öffentlich“, heißt es beim Förderverein. Dafür soll es am 16. Juni einen „Tag der offenen Baustelle“ geben. Zu hören sein werden dort zwar nicht wie bei der Grundsteinlegung die Bläser der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim, aber immerhin das Stabsmusikkorps der Bundeswehr „mit berühmten Berliner Weisen“. Doch bei allem Brimborium rund um den Neubau bleibt eines festzuhalten: Bei der Rekonstruktion des Stadtschlosses handelt es sich nicht allein um ein Kulturprojekt, sondern auch um eine Public Private Partnership, die wie so oft einigen finanziellen Unwägbarkeiten unterliegt.

Rolle der Fördervereine

Die ältesten Teile des ursprünglichen Berliner Stadtschlosses stammten aus dem 15. Jahrhundert. Das Schloß war einige Jahrhunderte lang die Residenz der brandenburgischen Markgrafen, preußischen Könige und deutscher Kaiser. Im Zweiten Weltkrieg schlugen mehrere Bomben in den Gebäudekomplex ein, 1945 brannte es vollständig aus. Die Führung der DDR unter Walter Ulbricht begann 1950 mit der Sprengung der verbliebenen Gebäudeteile. In den 70er Jahren wurde der Palast der Republik auf Teilen des ehemaligen Schloßgeländes errichtet. Einige Skulpturen, die ursprünglich dorthin gehörten, finden sich heute über ganz Berlin verteilt. So zum Beispiel der Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus, die Löwenfiguren im Tierpark Friedrichsfelde oder St. Georg mit Drachen im Nikolaiviertel. Die Wiedererrichtung des gesprengte Prunkbaus brachte insbesondere der „Förderverein Berliner Schloß e.V.“ seit Anfang der 1990er Jahre in die Diskussion. Gegründet wurde der Verein im Jahr 1992 durch den Lübecker Unternehmer Wilhelm von Boddien. Dieser wiederum ist Berlin schon seit längerem verbunden. Im Jahr 1994 wurde er Geschäftsführer der „Partner für Berlin Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH“, die heute unter „Berlin Partner GmbH“ firmiert. Aufgabe dieser PPP-Gesellschaft, die von der Investitionsbank Berlin, der Handwerkskammer, der Industrie- und Handelskammer sowie einer „Partner für Berlin“ -Holding aus 50 Unternehmen getragen wird, sind in erster Linie Wirtschaftsförderung und Standortmarketing. Nach Mathew D. Rose, dem Korruptionsforscher mit dem Spezialthema „Berlin“, handelte es sich bei den Partnern für die Hauptstadt zum Zeitpunkt des Engagements von Boddiens um eine Nachfolgegesellschaft der „Berlin 2000 Marketing GmbH“. Diese war wiederum kurze Zeit davor in das Desaster um die gescheiterte Bewerbung Berlins für Olympia 2000 verwickelt. Schon 1993 ließ von Boddien als Werbung für seine Schloßmission mit seinem Verein in Berlins Mitte eine Simulation der Fassade in Originalgröße aufstellen. Nach Ansicht des Vereins war das zerstörte Herrschaftshaus einst „das Gravitationszentrum Berlins“. Die noch erhaltenen historischen Gebäude in Berlins Mitte hätten mit dem Schloß „ein unvergleichliches Ensemble Berliner Identität“ gebildet. Laut Satzung ist der Zweck des Vereins, der über ganz Deutschland verteilt regionale „Freundeskreise“ unterhält, „die Förderung des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses in weitestgehender Originaltreue seiner Fassaden und Höfe sowie wichtiger historischer Innenräume für Bildungs- und kulturelle Zwecke“. Hierzu wirbt er um Spenden, mit denen auch Architekten- und Bauleistungen finanziert werden sollen, die dann den eigentlich mit dem Bau beauftragten Stellen überlassen werden sollen. Nach eigenen Angaben begann er im Jahr 2004 mit der Spendensammlung und hat es sich zum Ziel gesetzt, 80 Millionen Euro zu erreichen. Bislang sind davon nur rund 25 Millionen Euro eingegangen, 55 Millionen Euro fehlen also noch. Hierzu heißt es auf der Homepage des Vereins: „Angesichts des erheblichen politischen Widerstands gegen das Vorhaben, bei dem alle Register bis hin zur Diskriminierung unserer Arbeit gezogen wurden, sind wir stolz darauf, dieses Ergebnis bereits erzielt zu haben.“ Allerdings wäre es mit dem Einsammeln von 80 Millionen Euro nicht getan. Diese Summe soll zwar für die Rekonstruktion der Fassade ausreichend sein. Hinzu kommen jedoch die laufenden Ausgaben des Vereins, die ebenfalls erwirtschaftet werden müssen. Immerhin betrugen allein die Kosten für dessen Mitgliederbetreuung 2011 320000 Euro, wie aus seinem Jahresabschluß hervorgeht. Für seine Öffentlichkeitsarbeit wandte der Verein im selben Jahr 323000 Euro auf. Personalkosten sind hierbei noch nicht eingerechnet.1 Insgesamt ergibt sich also eine beachtliche Summe, die der Verein jährlich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge zusammenbekommen muß, allein um seinen Betrieb zu sichern. Dennoch spielt der Verein eine große Rolle bei der politischen Legitimation des Neubaus. Denn durch diese Art von bürgerschaftlichem Engagement kann darüber hinweggetäuscht werden, daß der Wiederaufbau des Schlosses keinesfalls von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wird. Zumindest war dies noch im Jahr 2010 so, als die Berliner Zeitung am 2. Juni die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage vermeldete, wonach 80 Prozent der Hauptstädter der Meinung seien, „daß angesichts der derzeitigen Haushaltslage von Bund und Ländern auf den geplanten Neubau des Berliner Stadtschlosses verzichtet werden sollte. In Ost und West ist das Stadtschloß dabei gleichermaßen unbeliebt.“ Seine Befürworter mochten dies allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Und so gab der Förderverein seinerseits eine Umfrage in Auftrag, nach deren Ergebnis 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner „hinter dem zur Zeit größten nationalen Kulturprojekt Deutschlands“ stünden.2 Von Boddiens Förderverein ist nicht der einzige Zusammenschluß, der um Spenden für den Neubau wirbt. Auch die „Gesellschaft Berliner Schloß“, die nach eigenem Verständnis einen weiter gefaßten Aufgabenbereich hat als die bloße Wiederherstellung der Fassade, bemüht sich darum. Hinzu gesellte sich bis vor einiger Zeit eine merkwürdige „Stadtschloß Berlin Initiative“ des hiesigen Rechtsanwalts Lür Waldmann. Deren Konzept sah eine vollständig privat finanzierte Rekonstruktion durch eine Aktiengesellschaft „Stadtschloß Berlin“ vor. Der fertige Bau sollte sodann als Veranstaltungsort und Hotel dienen. Eigenen Angaben zufolge habe man bereits „Investoren gefunden, die das notwendige Kapital bereitstellen“. Das Angebot der Initiative wurde von Bund und Berlin jedoch ausgeschlagen.

Stiftung als Bauherrin

Die Grundlage für den nun begonnenen Wiederaufbau des Stadtschlosses bildet ein Beschluß des Bundestags vom 2. Juli 2002, dem weitere Beschlüsse folgten. Ursprünglich sollte mit dem Bau im Jahr 2010 begonnen werden, was jedoch auf Grund von Sparbemühungen der Bundesregierung verschoben werden mußte. Bereits im August 2005 wurde vom damaligen Bundesbauminister Manfred Stolpe (SPD) sowie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und der Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) die Kurzversion der sogenannten Machbarkeitsstudie zum Schloßneubau vorgestellt. Das eigentliche Dokument soll rund 1000 Seiten umfassen und wurde bis heute nicht veröffentlicht. In der Studie wird noch von Baukosten in einer Höhe von 670 Millionen Euro ausgegangen, die durch ein komplexes Leasingmodell im Zuge einer Public Private Partnership über 30 Jahre finanziert werden sollten. Kritiker warfen der Politik vor, der Öffentlichkeit wesentliche Informationen vorzuenthalten, „um Stimmung für ein Projekt zu machen, bei dem erhebliche Zweifel bestehen, ob es sinnvoll zu realisieren ist. (…) Im Ergebnis stellt sich die Frage, ob bei dem Vorhaben Schloßneubau Kosten und Aufwand noch in einem gesellschaftlich vertretbaren Verhältnis stehen.“3 Im Jahr 2007 wurde ein Architekturwettbewerb ausgerufen. 2009 entschied sich die Jury für den Entwurf des Italieners Franco Stella, der sich am ursprünglichen Herrschaftsgebäude orientiert, wonach der Bau an drei Seiten mit einer nachgebildeten Barockfassade umrahmt werden soll. Als Bauherrin und Eigentümerin des Schlosses fungiert die 2009 ins Leben gerufene gemeinnützige „Stiftung Berliner Schloß – Humboldtforum“. Neben dieser Hauptaufgabe bemüht sie sich ebenfalls um die Akquisition von Spenden für den Neubau. Die Stiftungsleitung obliegt Manfred Rettig. Oberstes Entscheidungsgremium ist der Stiftungsrat, dem unter anderem Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums, Rainer Bomba, der Berliner Staatssekretär André Schmitz und die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher angehören. Im Kuratorium, das den Stiftungsrat beraten und unterstützen soll, finden sich so illustre Persönlichkeiten wie der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, oder der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Nach Angaben der Stiftung sollen die Arbeiten an der Bodenplatte noch in diesem Jahr beendet werden. Das Richtfest soll 2015 begangen werden. Spätestens Anfang 2018 ist der Bau soweit fortgeschritten, daß mit dem Einzug der für das Humboldtforum vorgesehenen Museen begonnen werden kann. Die Eröffnung soll Mitte des Jahres 2019 stattfinden. Mit den Rohbauarbeiten wurde im Februar das Unternehmen Hochtief beauftragt. Das sogenannte Humboldtforum sehen die Initiatoren als künftigen „Ort der Weltkulturen“, an dem „Wissensproduktion und -vermittlung“ stattfinden sollen. An der Ausgestaltung des Forums sind die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bzw. das unter ihrem Dach angesiedelte Ethnologische Museum sowie das Museum für Asiatische Kunst, die Humboldt-Universität und die Zentral- und Landesbibliothek beteiligt. Zusätzlich zu dieser angedachten Bildungsfunktion soll das Humboldtforum mit Veranstaltungsräumlichkeiten und Gastronomieangeboten als „kultureller Treffpunkt“ dienen.

Kostensteigerung vor Baubeginn

Ursprünglich lag die Kostenobergrenze für den Prunkbau trotz der oben erwähnten „Machbarkeitsstudie“ bei 552 Millionen Euro. Doch schon bevor überhaupt ein Spatenstich getan war, stiegen die veranschlagten Baukosten. Und so beschloß der Haushaltsausschuß des Bundestages im Juli 2011 die Erhöhung der Kostenobergrenze um 38 Millionen Euro. Einzig die Linksfraktion stimmte im Bundestag gegen diese Erhöhung. Zuvor hatte sich die im Bundesland Berlin mitregierende Partei Die Linke zwar einerseits kritisch zum Wiederaufbau des Schlosses verhalten, andererseits bewies sie mit der ihr eigenen Fähigkeit zur Dialektik, daß man gleichzeitig für und gegen ein solches Projekt sein kann: Indem man das Wort „Stadtschloß“ möglichst vermied und statt dessen lieber vom Humboldtforum sprach – auch wenn das Resultat dasselbe ist. „Kein Zweifel, das Humboldtforum ist das wichtigste nationale Kultur- und Wissenschaftsprojekt des vereinten Deutschlands und nach der Ansiedelung von Parlament und Regierung im Spreebogen überdies auch das wichtigste städtebauliche Projekt in der Hauptstadt“, betonte der Linke-Abgeordnete Thomas Flierl in der Debatte des Abgeordnetenhauses am 26. April 2007. Ihre „parlamentarische Bereitschaft zur Mitfinanzierung“ wollte die Berliner Linksfraktion allerdings „vom Konzept abhängig“ machen.4 Insgesamt soll der Bau nun 590 Millionen Euro kosten. Hierzu steuert der Bund 478 Millionen Euro bei, das Land Berlin finanziert 32 Millionen Euro. Hinzu kämen die vom Förderverein zu sammelnden privaten Spenden für die Rekonstruktion der historischen Fassaden in einer Höhe von 80 Millionen Euro. Bei der Spendenakquise wurde zwischen der Stiftung und dem Förderverein nach Aussagen von Boddiens Arbeitsteilung vereinbart. Demnach kümmert sich der Förderverein um das „Massengeschäft“, wohingegen die Stiftung sich um Großspender bemühe.5 Als seinen bisherigen Beitrag gibt der Förderverein an, daß die Stiftung bereits rund 40 Prozent der benötigten Vorlagen für die Fassade von ihm übernommen habe, was einem zweistelligen Millionenwert entspräche. Zudem habe er „auch schon Millionenbeträge an die Stiftung in Geld“ überwiesen. Ob die benötigten privaten Spendengelder wirklich zusammenkommen werden, war zumindest dem Berliner Senat Ende letzten Jahres nicht klar. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Piratenfraktion heißt es hierzu: „Der aus Spenden zu erbringende Finanzierungsanteil für die historischen Fassaden wird in voller Höhe erst mit sichtbarem Baufortschritt erwartet.“ Nach Angaben des Senats ist es aber immerhin vertraglich zwischen dem Bund und ihm geregelt, daß „das Land Berlin keine Mehrkosten aufgrund steigender Baukosten oder wegen ausbleibenden Spendenaufkommens trägt“. Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hofft in der Berliner Morgenpost vom 4. Juni 2013 auf einen steigenden Spendeneingang, sobald nach Beginn des Baus „das Schloß sichtbar wird“.

Notfalls Vater Staat

Da es demnach mit der Spendenakquise zur Zeit wohl noch etwas holpert, war man – glaubt man in der „Hauptstadtpresse“ kolportierten Meldungen – auf seiten der Stiftung dann doch sehr erleichtert, als sich im März dieses Jahres ein angeblich anonymer Spender dazu bereiterklärte, einen Großteil der Kosten für die Nachbildung der historischen Dachkuppel zu tragen. Denn – das meint zumindest Stiftungsrat Wolfgang Thierse – ein Schloß ohne „historische“ Kuppel sei ein „Schaden für Deutschland“, wie er im Juli 2011 gegenüber der Nachrichtenagentur dpa betonte. Was hingegen bisher problemlos zu funktionieren scheint, ist das an den Schloßaufbau angedockte und weithin sichtbare Projekt Humboldt-Box. Diese wurde am 29. Juni 2011 eröffnet. In dem Übergangsbau soll über die geplante „historische Fassade“ des Schloßneubaus sowie das Humboldtforum informiert werden. Wozu es für solch einen Kultur- und Museumsstandort eine barocke Fassade braucht, konnte von den Schloßverfechtern bislang allerdings nicht schlüssig erklärt werden. Der Förderverein beteiligt sich hier mit einer Ausstellung. Bei der Eröffnung der Box bedauerte der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD), daß eine öffentliche Finanzierung nicht bewerkstelligt werden konnte. Gleichzeitig lobte er die Art von privater Informationsvermittlung per Infobox als „demokratische Errungenschaft in der deutschen Baukultur“, da sie als „Manifest der Transparenz“ die Anteilnahme der Öffentlichkeit am entstehenden Schloßbau ermöglichen würde. Die Humboldt-Box hat allerdings nichts mit dem Wiederaufbau des Schlosses zu tun – zumindest nicht finanziell. Sie firmiert als ein Projekt der Humboldt-Box Projekt GmbH & Co KG mit Sitz in Neuss. Unter derselben Adresse residiert die Megaposter GmbH, die auch über dieselbe Telefonnummer wie die Humboldt-Box Projekt GmbH erreichbar ist. Das Unternehmen ist spezialisiert auf großformatige Werbeplanen. Es gibt als Referenzen u.a. die „Verhüllung des Brandenburger Tores mit kreativen Werbemotiven“ während dessen Sanierung sowie eine ähnliche Maßnahme bei der Sanierung des Charlottenburger Tores an, die sie als „öffentlich-private Partnerschaft“ mit der Stiftung Denkmalschutz Berlin verwirklicht hatte. Finanziert wurde die Humboldt-Box ursprünglich durch den Eigentümer der Megaposter GmbH, Gerd Henrich, sowie den Vorstandsvorsitzenden der Ströer Out-of-Home Media AG, Udo Müller. Zusammen mit den Eintrittspreisen sowie den Erlösen aus vermieteten Werbeflächen an Absperrung und Gerüst der künftigen Schloßbaustelle soll sich der Bau der Humboldt-Box tragen. Nach Aussage von Henrich ist Müller mittlerweile nicht mehr an der Finanzierung beteiligt: „Invest und Risiko verbleibt nunmehr alleine bei der Familie Henrich.“ Während also die privaten Betreiber der Humboldt-Box so kalkulieren müssen, daß ihr Risiko möglichst klein bleibt, ist man, was dies angeht, auf seiten der Schloßstiftung eher großzügig. Laut Stiftungsratsmitglied Thierse sollten für den Bau zwar so viele Spenden wie möglich eingeworben werden. Funktioniere dies nicht, müsse eben notfalls der Staat einspringen: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bundesrepublik die vollständige Realisierung des größten Kulturprojekts ihrer Geschichte an ein paar Millionen scheitern läßt“, sagte er in der oben erwähnten Stellungnahme für die dpa. Wenn es um Prachtbauten geht, sitzen die öffentlichen Millionen offenbar recht locker. Solch freigiebiges Verfügen über öffentliche Mittel wurde von den Berlinern jedoch nicht immer widerspruchslos hingenommen. Als ihnen seinerzeit das Treiben des Kurfürsten Friedrich II. zu bunt wurde und er ihnen auch noch ein Gelände am Spreeufer des damaligen Cölln (heute Berlin-Mitte) abknöpfte, um darauf eine Burg – den Vorgängerbau des späteren Stadtschlosses – zu errichten, besetzten sie 1448 kurzerhand das Berliner Rathaus und setzten den Bauplatz unter Wasser. Dieser Vorgang ging als „Berliner Unwille“ in die Geschichtsbücher ein. Der Wutbürger, der bei unsinnigen Projekten auf die Barrikaden steigt, ist also keine neuzeitliche Erfindung – und der heutige kann von seinen Vorfahren durchaus noch etwas lernen.

Anmerkungen:

1 Jahresabschluß 2011 des Fördervereins Berliner Schloß e.V., S. 9

2 berliner-schloss.de/humboldt-box-links/meinungsumfragenzum-schloss (Stand: 8.6.2013)

3 Philipp Oswalt/Ulrike Steglich (Urban Catalyst): Analyse der immobilienökonomischen Machbarkeitsstudie zum Neuaufbau des Schloßareals Berlin, Fassung vom 12.12.2005, S. 9

4 Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 16/10 vom 26. April 2007, S. 787

5 Protokoll der Jahresmitgliederversammlung des Fördervereins Berliner Schloß e. V. am 24. Juni 2011

Junge Welt 12. Juni 2013

Schlechte Nachrichten

Die RBB-Abendschau entdeckt den „Bettler“ als Zielscheibe für ihre kleinbürgerlichen Ressentiments

In einer Stadt wie Berlin, wo allenthalben von Politikern und Lokaljournalisten zu hören ist, dass sie eine der „spannendsten Metropolen“ der Welt sei, möchte man eigentlich meinen, es trügen sich allerhand metropolenmäßige Begebenheiten zu, die den Stoff für Nachrichten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft lieferten. Dem mag auch tatsächlich so sein – dumm nur, dass die „Hauptstadtnachrichten“ davon nichts mitbekommen. Oder, schlimmer, vielleicht bekommen sie es mit, sehen sich aber nicht im Stande, solche Stoffe zu verwerten. Und so dümpelt die tägliche Abendschau im Regionalsender RBB für gewöhnlich zwischen politjournalistischen Häppchen, Berlin-Reklame und ausladenden Tageswetter-Beschreibungen umher. Manchmal passieren auch besondere Sachen. Zum Beispiel ist irgendein „Star“ auf Berlinbesuch. Der wird dann stilsicher auf dem roten Teppich abgefangen und gefragt, wie er Berlin findet. Leider sind die Stars nicht ehrlich genug, um zu sagen „Keine Ahnung, ich kenne nur den Flughafen“, sondern sagen Sachen wie „I love Berlin, it´s wonderful“ und der Abendschaureporter übersetzt souverän: „Er liebt Berlin, es ist einfach eine klasse Stadt!“ Wenn an einem Tag aber keine Stars über Teppiche laufen und auch sonst weder Baumarkteröffnungen noch Straßenfeste stattfinden, gerät die Abendschau-Redaktion ins Grübeln. Dies allerdings nur kurz und schließlich wird der rasende Reporter Ulli Zelle, ein Inbegriff von SFB-Biederkeit, irgendwo hingeschickt, um irgendwelchen Leuten auf der Strasse Fragen zu irgendeinem Thema zu stellen. Sowas heißt dann zum Beispiel „Reportage Alexanderplatz“ – so wie in der Sendung vom 17. Juni. Thema der „Reportage“ war, dass es am Alexanderplatz „nicht schön“ aussieht, obwohl „viel Geld“ investiert worden sei. Allerdings ging es in dem Filmchen weder um verfehlte Stadtplanung noch um fragwürdigen Architektur-Populismus. Nein, es ging höchst investigativ darum, dass am Alex „Bettler“ rumstehen. Und weil Differenzierungen unnötige Denkarbeit sind, meinte Ulli Zelle mit „Bettler“ eben einfach irgendwie alles: Devotionalienhändler, Handy-Tarif-Anbieter, Drückerkolonnen eines Umweltverbandes, Musiker und Straßenzeitungs-Verkäufer. Also hauptsächlich Leute, die nicht betteln, sondern ihrem Tagwerk nachgehen. Und die nicht dort stehen würden, gäbe es nicht bei anderen Leuten Nachfrage nach solchem Krempel. Aber was schert das die Abendschau. Hauptsache, Ulli Zelle kann als Sprachrohr „genervter Passanten“ auftreten und diese gegen „die Bettler“ pöbeln lassen. Es ist schon eine gewisse journalistische Einfalt notwendig, um einen Beitrag über Alexanderplatz-Architektur und Krempel-Anbieter zu drehen und gleichzeitig kleinbürgerliche Ressentiments gegen eine Bevölkerungsgruppe zu transportieren, die in dem Film nur ganz am Rande vorkommt: „Die Bettler“. Und weil ja arme Menschen keiner sehen will, empfiehlt uns Ulli Zelle „schnell rüber“ über den Alex – nicht nur aber auch wegen der Bettler. Aber vielleicht machen die ganzen Krempel-Anbieter, die Herr Zelle „Bettler“ nennt, auch selbst etwas falsch: Würden sie nicht auf dem Alex rumstehen, sondern zum Beispiel auf einem Bratwurst-Fest – Ulli Zelle käme vorbei und würde über die „tolle Stimmung“ und die „tollen Angebote“ berichten und Passanten befragen, ob sie das alles auch toll fänden. Und klar, sie fänden es toll...

motz 14/2010

Der Unermüdliche

Dem Politikprofessor und linken Aktivisten Peter Grottian zum 70.

Er ist so gar nicht professoral. Er organisiert sich mit einem iPhone und einer Art Terminkalender, der sich in einer überbordenden Lederkladde voll von Adressen, Telefonnummern, Notizen und Textentwürfen verbirgt. Ein Büro an der Freien Universität Berlin hat er nach wie vor, aber oft dienen Tische in den Cafés der Republik als Schreibtisch. Denn Peter Grottian ist meistens mit dem Zug oder dem verbeulten Auto unterwegs – zu Vorträgen, Tagungen, Demonstrationen oder Aktionen. Und egal, wo und woran er gerade ist, immer schon strickt er am nächsten Aufruf, an der nächsten Aktion, entwirft illusorische und realistische Projekte und ist am „zündeln“, wie er es gern nennt. Manchmal wird aus dem Konzipierten nichts. Und manchmal springt der Funke über. Dann werden Banken von Studierenden besetzt, dann spazieren 3000 Menschen zu den Villen von korrupten Politikern und Bankern im Berliner Nobelviertel Grunewald, oder Prominente übernachten in besetzten Häusern, um diese vor der Räumung zu schützen. Oft kommt dann die Polizei. Doch Peter Grottian hat den anderen Aktivisten vorher Mut gemacht und erklärt, daß der Strafbefehl über 120 Euro nun mal dazugehört und daß, wer sich das nicht leisten kann, per solidarischer Umverteilung nicht auf den Kosten sitzen bleiben wird. Im Zweifelsfall kommt er selbst für diese Kosten auf. Die Strafbefehle, die ihm selbst schon ins Haus flatterten, hat wohl nur sein Anwalt gezählt.

Er hat aus Protest gegen die Abschaffung des Sozialtickets in Berlin zum „Schwarzfahren“ aufgerufen. Er demonstrierte innerhalb der Bannmeile gegen den Verkauf der Berliner Sparkasse und stiftete im Zuge der Finanzkrise zu symbolischen Banküberfällen an. Der zivile Ungehorsam ist für ihn das „Salz in der oft öden Suppe der Demokratie“. Das sagt er auf einem langweiligen Plenum, das schreibt er in Gastbeiträgen für bürgerliche Zeitungen, das ruft er laut in die Mikrofone bei kleinen und großen Kundgebungen. Überhaupt: Groß oder klein, das ist für ihn kein Maßstab. Er trifft sich mit Parteivorsitzenden, Bundestagsabgeordneten, Gewerkschafts- oder Kirchenfunktionären genauso wie mit Studierenden, Aktivisten oder Einzelgängern – es geht ihm immer um die Sache. Und er kann auch allen gleichermaßen auf die Nerven fallen. Weil er sich nun mal keiner Partei oder Organisation so richtig verpflichtet fühlt, äußert er sich abseits der jeweiligen Gepflogenheiten mitunter recht deutlich. Dann legt er sich nach dem Bankenskandal mit der SPD-gesteuerten Berliner Linkspartei an, dann spricht er der SPD am Rande ihrer Parteitage das Sozialdemokratische ab und wirft ATTAC die Hasenfüßigkeit vor, die diesen Verein von Grund auf auszeichnet. Oder er ruft Tausende applaudierende Gewerkschafter zur Besetzung von Landtagen auf, während die auf derselben Bühne stehenden Gewerkschaftsbosse betreten in den Horizont starren.

Man sollte ob dieser Fülle an Aktivitäten nicht meinen, er nähme seine Aufgaben als Hochschullehrer deshalb weniger ernst. Er gehört zu den Lehrkräften am Otto-Suhr-Institut (OSI), die die Prüfungsstatistik bei Diplomen und Promotionen kräftig nach oben drehen. Aber: Peter Grottian war immer einer derjenigen, die den Ruf des OSI als Ort selbständiger, kritischer Politikwissenschaft bewahren wollten. Dazu entwarf er Konzepte, dazu bestreikte und besetzte er zusammen mit Studierenden das Institut – in wie vielen Semestern er sich auf diese Weise einbrachte, kann wohl nicht mal er selbst sagen. Daß ausgerechnet diese mittlerweile stromlinienförmige Einrichtung Peter Grottian ihre gute Statistik mit verdankt, ist eine historische Ironie. An diesem Wochenende wird Peter Grottian 70 – fest und klar und heiter. Trotz alledem!

Junge Welt 26. Mai 2012

Versager und Profiteure