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Karoline von Günderrode

Ausgewählte Gedichte

 

Saga

TENDENZ DES KÜNSTLERS

Sage! was treibt doch den Künstler, sein Ideal aus dem Lande

Der Ideen zu ziehn und es dem Stoff zu vertraun?

Schöner würd’ ihm seinBildengelingen imReich derGedanken,

Wär es flüchtiger zwar, dennoch auch freier dafür

Und sein Eigentum mehr und nicht dem Stoff untertänig.

Frager! der du so fragst, du verstehst nicht des Geistes Beginnen,

Siehst nicht, was er erstrebt, nicht was der Künstler ersehnt.

Alle! sie wollen Unsterbliches tun, die sterblichen Menschen.

Leben im Himmel die Frommen, in guten Taten die Guten,

Bleibend will sein der Künstler im Reiche der Schönheit,

Darum in dauernder Form stellt den Gedanken er dar.

LIEBE UND SCHÖNHEIT

Prometheus hatte nun den Mensch vollendet,

Doch unbeweglich blieb der tote Stoff,

Bis er der Sonne Funken hat entwendet;

(Ein Tropfe, der der Schönheit Meer enttroff)

Doch dieser Funke, er entflammt im Bilde,

In das des Künstlers Weisheit ihn verhüllte.

Von Schönheit ist dies Leben ausgegangen,

Doch es vergisst den hohen Ursprung nicht;

Es strebt zu ihm, und Lieb ist dies Verlangen,

Die ewig ringet nach dem Sonnenlicht.

Denn Lieb ist Wunsch, Erinnerung des Schönen,

Die Schönheit schauen will der Liebe Sehnen.

Drum kann die Liebe nimmer sich genügen,

Denn sie ist nimmer reich in ihrem Reich;

Drum sucht sie Schönheit sich ihr anzufügen

Und bettelt ewig vor der Schönheit Reich.

Doch ach! unendlich ist das Reich des Schönen,

So auch unendlich unsrer Liebe Sehnen.

DER DOM ZU KÖLN

Fünffach wölbt sich die Decke auf Gruppen gotischer Säulen,

Höher hebt sich der Chor, stolzer getragen empor,

Schön ist das Innre geziert mit Erzen Marmor und Treppchen

Und ein purpurner Tag bricht durch die farbigen Fenster. —

Aber dort, wo die Dunkelheit dichter sich webt durch dieSäulen,

Hauchet ein Modergeruch dumpf aus der Tiefe herauf,

Allda schlafen die Helden der Kirche im hüllenden Sarge

Und ihr Bildnis ruht drauf, sie falten die Hände zum Beten

Und ihr starrender Blick hat sich zum Himmel gewendt.

Staunend seh ich sie an, mir ist, als müssten sie reden,

Aber sie starren noch fort, wie sie es Jahrhunderte taten

Und mich schauert so tief, dass also stumm sind die Toten.

Doch da erhebt sich Gesang, und Orgeltöne, sie schweben

Feiernd die Dome hinauf, wo glänzende Heilige beten,

Und es wandlen die Töne sich um in Fitt’ che der Engel

Und umrauschen melodisch wogend die heiligen Bilder.

Und zum Himmel verklärt sich alles—Musik und Farben und Formen,

Aus dem entzückten Auge verschwinden die Gräber und die Toten,

Und den stummen Grüften entsteiget ein freudiges Jauchzen. —

Ja, ich habe die Auferstehung gesehen im Auge des Geistes.

Und das Leben der Kunst, es führte die Seele zum Himmel.

Dichtkunst! Du Seele der Künste, du, die sie alle geboren,

Du beseelest das Grab, steigest zum Himmel empor.