Cover: Die Mutter by Ernst Wiechert

Ernst Wiechert

Die Mutter

 

Saga

Zu beiden Seiten der Straße stand hoch und schwarz der Wald, und die Straße war wie eine mit Silber gefüllte Schlucht, weil der volle Mond über ihr hing. Auf dem Grunde der Schlucht ging die Frau. Sie war ganz verhüllt. Das schwarze Kopftuch, wie die Bäuerinnen es dort trugen, bedeckte ihr weißes Haar und fiel eng an den Wangen herunter, und das zweite, große Tuch reichte bis zu den dunklen Stoffschuhen, in die ihre Füße gekleidet waren. Sie ging gebückt, wie alte oder müde Menschen gehen, langsam und lautlos, und auch ihr schwarzer Schatten ging gebückt und lautlos hinter ihr her. Nur der Stock mit der Eisenzwinge, den sie bei jedem Schritt vor sich hinsetzte, stieß mitunter an einen Stein auf der Straße. »Tapp . . . tapp .. . tapp. . . » machte der Stock, und es hallte weit in der schweigenden Nacht und viel zu laut für die große Stille, die unter den Sternen hing.

Es war ein dunkles und fast unheimliches Bild, wie sie aus dem Grunde der Silberschlucht langsam auf das freie Feld hinausglitt. Der Schäfer, der über dem Zaun seiner Hürde lehnte, schlaflos, weil die Nächte nun so erschreckend still waren nach dem dröhnenden Feuerschein des Großen Krieges, bekreuzigte sich, und der amerikanische Soldat, der mit seinem Mädchen unter der blühenden Weißdornhecke saß, griff nach seiner Pistole. Aber das Mädchen hielt seine Hand fest. «Der Tod geht um», flüsterte es und erschauerte in dem Arm, in dem es lag.