Die schönsten Gedichte

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Über Rainer Maria Rilke

Rainer Maria Rilke (1875–1926) hinterließ seiner Nachwelt ein bedeutendes Werk aus Prosa, Lyrik, Essays, Briefen und Tagebüchern. Zu den Schlüsselbegriffen seiner ästhetischen Existenz gehörten »Leisten« und »Leistung«, und bewusst übernahm er von Auguste Rodin den Begriff des travailler für sein Leben. Die Auswahl aus seinem umfangreichen lyrischen Werk ermöglicht viele Entdeckungen und lässt erleben, wie Rilke »das deutsche Gedicht zum ersten Mal vollkommen gemacht hat« (Robert Musil). Die Sammlung beinhaltet Gedichte unter anderem aus dem Stunden-Buch, dem Buch der Bilder, den Neuen Gedichten, seinem Requiem, den Duineser Elegien sowie den Sonetten an Orpheus.

Über dieses Buch

Das lyrische Werk Rilkes in einer repräsentativen Auswahl: von den einfach-hintergründigen »Dinggedichten« wie dem berühmten Panther bis zu anspruchsvollen Ich-Erkundungen im »Weltinnenraum«, von strenger Gestaltung wie den Sonetten an Orpheus bis zu freien Formen wie den Duineser Elegien. Eine Sammlung, die Rilke-Neulingen einen ersten Zugang ermöglicht – und die Rilke-Liebhaber immer mit sich führen können. – Mit einer kompakten Biographie des Autors.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

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Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

  1. In der zweiten Strophe ist gedacht der Gräber in dem berühmten alten Friedhof der Allyscamps bei Arles, von dem auch im Malte Laurids Brigge die Rede ist (R. M. R.)

  2. An Wera. (R. M. R.)

  3. Das Einhorn hat alte, im Mittelalter immerfort gefeierte Bedeutungen der Jungfräulichkeit: daher ist behauptet, es, das Nicht-Seiende für den Profanen, sei, sobald es erschiene, in dem ›Silber-Spiegel‹, den ihm die Jungfrau vorhält (siehe: Tapisserien des XV. Jahrhunderts) und ›in ihr‹, als in einem zweiten ebenso reinen, ebenso heimlichen Spiegel. (R. M. R.)

  4. Die antike Rose war eine einfache ›Eglantine‹, rot und gelb, in den Farben, die in der Flamme vorkommen. Sie blüht hier, im Wallis, in einzelnen Gärten. (R. M. R.)

  5. Gottfried Benn, Sämtliche Werke, Bd. 4: Prosa 2, Stuttgart 1989, S. 261.

  6. Lou Andreas-Salomé, Lebensrückblick. Grundriß einiger Lebenserinnerungen, Frankfurt a. M. 1968, S. 139.

  7. Rainer Maria Rilke, Werke in drei Bänden, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1966, S. XVI.

  8. Rainer Maria Rilke, Sämtliche Werke in sechs Bänden, hrsg. vom Rilke-Archiv, in Verb. mit Ruth Sieber-Rilke bes. durch Ernst Zinn, Bd. 5: Worpswede. Rodin. Aufsätze, Frankfurt a. M. 1965, S. 212 f.

  9. Rainer Maria Rilke, Gesammelte Briefe in sechs Bänden, Bd. 4: Briefe aus den Jahren 1914–1921, Leipzig 1938, S. 226.

  10. Robert Musil, Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden, Hamburg 1955, S. 886.

  11. Rudolf Hirsch, Beiträge zum Verständnis Hugo von Hofmannsthals, Frankfurt a. M. 1995, S. 335.

  12. Thomas Mann – Agnes E. Meyer, Briefwechsel 1937–1955, hrsg. von Rudolf Vaget, Frankfurt a. M. 1992, S. 318.

Ja ich sehne mich nach dir. Ich gleite

mich verlierend selbst mir aus der Hand,

ohne Hoffnung, dass ich Das bestreite,

was zu mir kommt wie aus deiner Seite

ernst und unbeirrt und unverwandt.

… jene Zeiten: O wie war ich Eines,

nichts was rief und nichts was mich verriet;

meine Stille war wie eines Steines,

über den der Bach sein Murmeln zieht.

Aber jetzt in diesen Frühlingswochen

hat mich etwas langsam abgebrochen

von dem unbewussten dunkeln Jahr.

Etwas hat mein armes warmes Leben

irgendeinem in die Hand gegeben,

der nicht weiß was ich noch gestern war.

Hörst du, Geliebte, ich hebe die Hände 

hörst du: Es rauscht …

Welche Gebärde der Einsamen fände

sich nicht von vielen Dingen belauscht?

Hörst du, Geliebte, ich schließe die Lider,

und auch das ist Geräusch bis zu dir.

Hörst du, Geliebte, ich hebe sie wieder …

… aber warum bist du nicht hier.

Der Abdruck meiner kleinsten Bewegung

bleibt in der seidenen Stille sichtbar;

unvernichtbar drückt die geringste Erregung

in den gespannten Vorhang der Ferne sich ein.

Auf meinen Atemzügen heben und senken

die Sterne sich.

Zu meinen Lippen kommen die Düfte zur Tränke,

und ich erkenne die Handgelenke

entfernter Engel.

Nur die ich denke: Dich

seh ich nicht.

Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen,

wenn ich erwachte in der Nacht und rief.

Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen

ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief.

Du bist der Schatten, drin ich still entschlief,

und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen, –

du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen,

der dich ergänzt in glänzendem Relief.

Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen.

Du bist der Anfang, der sich groß ergießt,

ich bin das langsame und bange Amen,

das deine Schönheit scheu beschließt.

Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen,

wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien

und wie Verlorengehen und Entfliehn, –

da hobst du mich aus Herzensfinsternissen

und wolltest mich auf allen Türmen hissen

wie Scharlachfahnen und wie Draperien.

Du: der von Wundern redet wie vom Wissen

und von den Menschen wie von Melodien

und von den Rosen: von Ereignissen,

die flammend sich in deinem Blick vollziehn, –

du Seliger, wann nennst du einmal Ihn,

aus dessen siebentem und letztem Tage

noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage

verloren liegt …

Befiehlst du, dass ich frage?