
Miyahira Katsuya Sensei, 10. Dan Hanshi
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© 2014 Joachim Laupp / Lars von Saldern
Cover Bild: Volker Altrichter
Cover Design: Sven Büngener
Lektorat: Dr. Frithjof Niegot
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7386-6692-2
…Ich habe keine Feinde:
Ich mache Nachlässigkeit zu meinem Feind.
Ich habe keine Waffe:
Ich mache Güte und Gerechtigkeit zu meinen Waffen.
Ich habe keine Burg:
Ich mache die Unerschütterlichkeit zu meiner Burg.
Ich habe kein Schwert:
Ich mache Abwesenheit des Ichs zu meinem Schwert…
Aus dem Gedicht eines
unbekannten Samurai
Lars von Saldern
Bücher wie „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi oder „Das Buch der fünf Ringe“ von Miyamoto Musashi galten und gelten auch immer noch als Standardwerke über strategisches und ethisches Denken am Beispiel des fernöstlichen Kriegers.
Allerdings sind viele Aussagen nicht mehr so einfach auf die moderne Zeit zu übertragen. Das vorliegende Buch übersetzt diese Werte in die Moderne und zeigt, wie man auch heute ein erfolgreiches und glückliches Leben nach klassisch-ethischen Maßstäben führen kann.
Als ich noch in Los Angeles lebte, sprach ich mit einem Mental Coach, einem native American, und fragte ihn um Hilfe, wie man denn erfolgreich sein könnte und was sein Weg sei. Dessen Antwort war knapp und präzise: „Was hilft es dir, meinen Weg zu kennen? Man kann nicht den Weg anderer kopieren, sondern es ist die wichtigste Erkenntnis des Lebens, seinen eigenen Weg zu erkennen, dann führt er auch zum Erfolg.“
Was ist Erfolg? Am Ende kann Erfolg nur Glück bedeuten, denn welchen Wert hat z. B. ein erfolgreicher Geschäftsabschluss, wenn er mir nicht auch nachhaltiges Glück beschert? Dies kann nur passieren, wenn ich bestimmte Prinzipien dabei nicht verletzt habe. Aus negativen Handlungen kann niemals etwas Positives entstehen.
Nach Aussage des historischen Buddha ist Glück das Ergebnis von Handlungen in der Vergangenheit.
Sensei Laupp und ich könnten keine unterschiedlicheren Vitae aufweisen und dennoch führen unsere Erfahrungen zum gleichen Ergebnis. Während Sensei schon längst ein erfolgreicher Karateka in Europa war, beschränkten sich, als ich noch in Los Angeles lebte, meine Karateerfahrungen auf eine schauspielerische Zusammenarbeit mit Pat Morita, dem ursprünglichen Meister Miyagi aus „Karate Kid“. Pat stellte sich leicht angetrunken mitten auf eine befahrene Dorfstraße auf Maui in der berühmten Kranichstellung und konnte dabei nicht aufhören zu lachen, während verzweifelte Hawaiianer ihn mit einem Hupkonzert bedachten.
Es spielt tatsächlich keine Rolle, ob man Schauspieler in Hollywood oder Karateka in Okinawa ist, die Philosophie des modernen Samurai findet bei jedem Menschen Anwendung, der sich dafür öffnet. Natürlich ist für alle Menschen immer das Thema des Glücklich-Seins wichtig. Nach unserer Meinung ist der Weg des modernen Samurai eine große Hilfe dabei, er verhilft aber auch zu einem erfolgreicheren Leben, denn er setzt Kräfte frei, die einem jeden – vom Wirtschaftsboss bis zum Arbeiter, vom Jugendlichen bis zum älteren Menschen – helfen, sein alltägliches Leben besser und mit mehr innerer Stärke zu meistern.
Sind wir, die Autoren, jetzt bessere Menschen? Mit Sicherheit nein, aber mit der gleichen Sicherheit sind wir besser als wir es ohne diesen Weg wären – und darum geht es auf dem Weg des modernen Samurai: der beste Mensch zu sein, der man persönlich sein kann, sich so zu akzeptieren wie man ist und bereit zu sein ständig zu wachsen. Der Weg des Budo und auch der Weg des Lebens ist ein Weg des Strebens und nicht des Ankommens. Genau genommen ist man durch das Gehen auch schon in gewisser Weise angekommen.
So unterschiedlich unsere Lebenswege sind, verbindet Sensei Laupp und mich die Kunst. Ob es die Kampfkunst, die Schauspielkunst oder die Kunst des Lebens ist. Es geht immer darum, eine Form mit Inhalt zu füllen. Die Kampfkunst als klassische Wegkunst ist eine wunderbare Metapher für das alltägliche Leben. Hier und da verwenden wir in unserer Erzählung die „Ich-Form“, wenn wir Anekdoten aus Senseis Leben als Karateka erzählen. Sie unterstreichen oder verbildlichen die Philosophie, die wir Ihnen gemeinsam vermitteln möchten.
Hätte ich Sensei und das traditionelle Karate-Do nicht zufällig vor einigen Jahren kennengelernt, hätte ich den Weg des Budo niemals begonnen.
Obwohl ich mich schon immer zum Budo hingezogen fühlte, empfand ich Karate als Sport nicht stimmig. Ich hatte genügend Zeit meines Lebens als Basketballer in Turnhallen verbracht und hatte kein Bedürfnis, eine neue Sportart zu lernen. Vielmehr wollte ich eine physisch und mental gelebte Philosophie finden, die sich mit meinen Werten deckte und so – um bei dem oben verwendeten Bild zu bleiben – einem Inhalt, den ich für wichtig erachtete, auch eine äußere Form zu geben.
In respektvoller Erinnerung an Miyahira Katsuya Sensei 10. Dan Hanshi, dem Lehrer meines Lehrers Joachim Laupp 8. Dan Kyoshi, möchten wir beide, dass Sie dieses Buch als
Einladung verstehen – getreu dem von Miyahira Sensei formulierten Motto unserer Stilrichtung:
gô ri gô hô, kyo son kyo ei
„Der Vernunft und dem Recht folgen, gemeinsam existieren und gemeinsam erblühen.“

L.v.S.
Düsseldorf, im Herbst 2014
Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden.
Marlon Brando
Zwei junge Krieger stehen vor einem mächtigen Urwald.
„Auf der anderen Seite liegt der See, wir müssen uns unseren Weg hier durch kämpfen“, sagt der eine.
„Ja“, bestätigt der andere, setzt sich hin und blickt in den Wald.
„Was setzt du dich denn hin, wir müssen los! Wasser gibt es erst auf der anderen Seite und wer weiß, wie lange wir brauchen.“
„Eben“, sagt wieder der andere und bleibt sitzen. Sein Freund zieht das Schwert aus der Scheide und geht auf den Dschungel zu.
„Es tut mir leid, aber ich kann nicht warten.“
„Und ich muss erst einmal herausfinden, wo ich hin will.“
Was würden Sie tun? Wer von beiden tut das Richtige? „Beide“ oder „keiner“ – das sollte die korrekte Antwort sein. Es gibt nicht „richtig“ oder „falsch“. Vielleicht hat der Schnellere tatsächlich längst seinen Weg erkannt, dann tut er das Richtige. Vielleicht denkt der andere nicht nach, sondern zögert aus Angst, dann ist das auch nicht unbedingt richtig. Jeder von Ihnen, stünde er vor dem Dschungel, würde vielleicht einen anderen Weg gehen. Als erstes steht immer die Feststellung, wo (und wer) man ist. Wie kann man auf ein Ziel losrennen, ohne sich vorher orientiert zu haben?
Nehmen Sie an, Sie wären Tourist in Rom und wollten zum Petersdom, dann würden Sie sich erst einmal orientieren wo Sie gerade sind, bevor Sie Ihren Weg wählen. Und wenn jeder von Ihnen an einem anderen Ort wäre, würde er oder sie folglich anders gehen, auch richtig? Wenn jemand, der sich am Kolosseum befindet, genauso oft und in gleicher Reihenfolge links und rechts abbiegt um zum Petersdom zu kommen wie jemand, der vom Fontana di Trevi losgeht, wird wohl sehr wahrscheinlich nur einer am Ziel ankommen. Um das Bild weiter zu bemühen, sind Sie natürlich noch nicht auf dem Weg, so lange Sie noch im Café sitzen und über das Losgehen reden.
Folglich müssen wir also erst wissen, wo wir sind und dann tatsächlich losgehen, um uns auf einem der möglichen Wege zu befinden.
Jeder hat seinen Weg. Selbst derjenige, der niemals losgeht, hat seinen Weg. Genau genommen erschaffen wir uns erst einmal unseren Weg, bevor dieser tatsächlich existiert. Die Frage ist nur, ob der Weg, den wir uns erschaffen, kongruent mit uns ist, oder ob wir selbst oder jemand anderes uns einen Weg vorgibt, der nicht der richtige für uns ist. Deswegen beginnt alles mit der Selbsterkenntnis. Von Geburt an werden wir mit Wissen und Gedanken beladen. Nach bestem Wissen und Gewissen bringen unsere Eltern uns alles bei, was sie über das Leben wissen. So tun wir das auch mit unseren Kindern. Allerdings sind alle Lehren automatisch auch mit Bewertungen verbunden. So existiert das Objekt durch die Bewertung nicht mehr unabhängig, sondern nur im Zusammenhang mit eben dieser Bewertung. Dies ist völlig normal, denn wir vermitteln ja auch Werte und Vorstellungen, die wir uns auf Grund unserer Lebenserfahrung erschlossen haben. Dreißig oder vierzig Jahre später, wenn unser Kind an die gleiche Kreuzung kommt, hat sich die Welt tausendfach gedreht. Der griechische Philosoph Heraklit sagte: „panta rei – alles fließt. Man kann niemals zweimal im gleichen Fluss baden.“
Während der Pubertät beginnen wir uns von unseren Eltern frei zu machen, unabhängig(er) zu werden und unseren eigenen Weg zu suchen. Oft sind wir aber in diesem Lebensabschnitt entweder tatsächlich noch nicht so weit oder so sehr in unserem Aufruhr des „Sturm und Drang“ gefangen, dass wir nicht klar sehen können. Später halten uns Studium, Job, Familie in Atem, und wir schaffen es nur selten, uns selbst zu hören. Aber wenn wir richtig und genau hinhören oder besser gesagt in uns hinein hören, dann fühlen wir, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Viele hören nicht auf diese Stimme, weil sie damit beschäftigt sind, falschen Vorbildern nachzueifern oder sie in Äußerlichkeiten verfangen bleiben.
Es wäre ein falsches Verständnis, wenn junge Menschen dies als Aufforderung betrachteten, alles Gelernte abzulehnen – im Gegenteil. Es ist eher eine Ermutigung an alle Menschen, in allem Bestehenden sich selbst zu finden, alles zu hinterfragen und Passendes genauso anzunehmen wie Unpassendes weiterziehen zu lassen. Dies ist aber gar nicht so einfach und eine wahre Herausforderung an jeden von uns. Wir finden uns und unseren Weg durch Erfahrung und dadurch, die Dinge geschehen zu lassen. Wie eine Vase in den Händen des Töpfers entsteht, indem er sorgsam seine Hände um den sich auf einer Scheibe drehenden Lehm hält. Die Vase entsteht nicht von allein, sondern indem der Töpfer sie in seinen Händen werden lässt.
Do bedeutet im Japanischen Weg oder Pfad, aber im Karatedo bekommt der Begriff eine wesentlich philosophischere Bedeutung. Der Weg wird zur Kunst. In Asien kann sich der Weg in allen Beschäftigungen wiederfinden – vom Blumenstecken oder Gartenbau bis zur Teezeremonie. Die Japaner sagen, in Japan würde alles zur Kunst und in Europa zum Sport oder Wettkampf. Aus diesem Grund kam Karatedo am Anfang auch als Sport nach Europa und nicht als Kunst.
In den siebziger Jahren begann Karate im Westen immer populärer zu werden, allerdings war damals immer nur von Karate als Sport die Rede. Erst mit der Zeit fand auch der Geist des Karate und damit das Wort Do seinen Weg in unsere Kultur und immer öfter sprach man nicht mehr von Karate, sondern von Karate-Do, woraufhin manche sogar fragten, ob dies ein anderer Sport sei.
Sport beinhaltet kein Budo, aber Budo beinhaltet Sport. Das Dojo ist der Ort, wo man den Weg (Do) übt. Es gibt manche, die denken, dass sie deshalb den Weg ausschließlich im Dojo üben, und dass auch nur hier z. B. die Dojokun (Regeln) Anwendung finden. Diese Karateka verhalten sich vorbildlich im Dojo, aber sollten sie dann zu Hause im Garten üben, fällt das Rei (die Verbeugung) schon mal weg, von Mokuso (der Mediation, übersetzt: Augen schließen, den Geist ruhen lassen) ganz zu schweigen. Das ist natürlich nicht weiter tragisch und die Art der Übung bleibt auch jedem selbst überlassen, es zeigt allerdings, wie weit sie Budo wirklich verstanden haben, denn wir üben nicht nur im Dojo, sondern der Ort, an dem wir üben, wird durch die Übung zum Dojo, ob es unser Keller, der Garten oder das alltägliche Leben ist.
Die Kampfkunst ist nicht Bedingung oder grundsätzlicher Teil des Weges, sondern eine Stütze, die uns hilft den Weg zu üben. Großmeister Miyahira Katsuya sprach in diesem Zusammenhang von der Kampfkunst als einem Schirm, der alle unter ihm versammelt und sie gegen die Unwägbarkeiten des Wetters beschützt.
Für uns alle ist der Weg voller Hindernisse. Manchmal geben wir uns auf Grund von materiellen oder äußerlichen Erfolgen der Illusion hin, wir wären schon irgendwo angekommen. Oder wir möchten einfach aufgeben, weil sich alles gegen uns verschworen zu haben scheint. Manche haben schon den dritten oder vierten Dan erreicht und hören dann plötzlich von heute auf morgen auf, was bedeutet, dass sie den wirklichen Weg des Budo nie gegangen sind. Eine große Herausforderung liegt darin, unseren Weg in all seinen Formen zu erkennen und anzunehmen. Dazu gehört auch eine gute Portion Bescheidenheit. Im traditionellen Karatedo drückt sich das auch in dem rot weiß gestreiften Gürtel der Großmeister des siebten und achten Dan aus. Rot, die Farbe der Vollkommenheit, wird immer wieder durch die weiße Farbe des Anfängers unterbrochen. Der Großmeister wird daran erinnert, sich den Anfängergeist zu bewahren, sich nicht auf dem schon Erreichten auszuruhen, sondern wie ein Anfänger immer weiter zu lernen.
Was für den einzelnen als Individuum gilt, gilt natürlich auch für Gruppen (z.B. die Familie, oder auch eine politische Partei) und ebenso für unsere Gesellschaft. Auch hier gibt es Wege. Der Geist eines Dojo wird durch die Einstellung der Menschen bestimmt, die dort üben. Das gleiche gilt übertragen auch für unsere Gesellschaft. Wir alle bestimmen durch unser Handeln und Denken den Geist unserer Gesellschaft.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie negativ unser öffentliches Denken ist? Über 90 Prozent der Nachrichten berichten über Negatives. Kritik in der Schule oder im Beruf bedeutet für viele Menschen zu hören, was sie falsch machen, anstatt zu erfahren, was sie richtig machen. Wir erzeugen so unsere eigene Realität, und zwar immer wieder aufs Neue. Wer nur über Krieg, Tod und Grausamkeiten redet, erzeugt genau das: Krieg, Tod und Grausamkeiten. Sie kennen ja das Beispiel: „Bitte denken Sie jetzt auf keinen Fall, unter keinen Umständen an rosa Elefanten“. Und was sehen sie daraufhin vor ihrem inneren Auge?
Wir können nur das kreieren, was in unserem Geist präsent ist. Mutter Theresa wurde einmal eingeladen, an einer Demonstration gegen einen Krieg teilzunehmen. Sie lehnte dankbar ab, sagte aber, an einer Demonstration für den Frieden hätte sie gerne teilgenommen.
Do bedeutet auch die Bindung an ein Ideal, das zu einem wesentlichen Bestandteil des Seins gehören sollte. Mit anderen Worten: Man macht das Ideal zum Bestandteil eines Inhaltes, mit dem man die Form des Lebens füllt. Der Weg des Bushido ist kein Weg an sich, sondern nur eine Hilfe, seinen eigenen individuellen Weg zu finden und sich auf diesem, als eine Art philosophischer Kompassnadel, an etwas orientieren zu können. Die Tugenden des Bushido als lebenswertes Ideal zu betrachten, ist weder Kampfkünstlern vorbehalten, noch ist es eine rein japanische Angelegenheit. Das Üben der Kampfkunst, geistig wie körperlich, trainiert auch die Kraft und Fähigkeit, die man braucht, um seinen Weg im Sinne des Bushido zu gehen. Natürlich gibt es auch Menschen, die nichts mit Budo zu tun haben, gleichwohl berühmte Beispiele dafür sind, ihren Weg gegangen zu sein oder auch noch zu gehen und dabei niemals die Regeln des Bushido verletzt zu haben.
Eine Philosophie ist immer unabhängig von Nationalität oder anderen Beschränkungen. Sie ist aus individueller Sicht entweder richtig oder falsch. Je nach kulturellem Hintergrund mag sich im Detail unterscheiden, wie sie angewendet wird. Im Großen und Ganzen kennt eine philosophisch fundierte Geisteshaltung aber keine Grenzen oder Unterschiede. Sie bewertet und trennt nicht, sie ist für jeden verfügbar ohne ein Dogma darzustellen oder gar als eine allgemeine Verpflichtung zu gelten. Letzteres wird sie immer nur für einen selbst, wenn man sie für sich als richtig erkannt hat.
Denken wir nur an drei der großen Menschenrechtler der jüngeren Geschichte: Nelson Mandela, Dr. Martin Luther King oder Mahatma Gandhi. Alle drei lebten für ein Ideal und ließen sich davon auch durch Gewalt nicht abbringen. Nelson Mandela saß sogar siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis. Sie haben nie Gewalt angewendet. Alle drei erkannten ihren Weg darin, ein Unrecht zu beenden und gingen diesen Weg mit Ehre, Würde, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Güte, Mut, Höflichkeit und Loyalität. Die Art und Weise wie sie ihren Weg gegangen sind, war unbedingt mitverantwortlich für ihren Erfolg, denn alle drei wussten von der Kraft, die daraus entsteht. Ein Körper lässt sich bekämpfen, jedoch keine Geisteshaltung. Im Gegenteil, diese ist ansteckend und verbreitet sich sogar über Gefängnismauern hinweg.
Seinen eigenen Weg zu finden ist schon nicht leicht, für uns als Gesellschaft den richtigen Weg zu finden ist es eine wirkliche Herausforderung.
Je mehr Menschen in einen gemeinsamen Weg involviert sind, desto schwieriger wird es. Dies liegt darin, dass wir Menschen uns immer auf das fokussieren, was uns trennt, anstatt an dem festzuhalten, was uns vereint.
Wie kein anderes Wesen funktioniert zudem der Mensch über den Vergleich. Wir müssen bestimmte Dinge haben nur weil andere sie haben, nicht weil wir sie unbedingt brauchen. Wir stehen sowohl individuell als auch als Gesellschaft ständig in Konkurrenz zueinander. Diese Einzigartigkeit unserer Spezies ist genauso für die grandiosen Errungenschaften in unserer Geschichte wie wahrscheinlich für unseren letztendlichen Untergang verantwortlich.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Zugvögel so viel schlauer sind als wir Menschen? Im Herbst treffen sich die Wildgänse und aus einem anfänglichen Durcheinander entsteht eine Formation, in welcher die Vögel gemeinsam nach Süden fliegen. Jeder Vogel hat eine Aufgabe und jeder Vogel fliegt in seiner Position ohne die eines anderen zu begehren. Warum auch? An Ende kommen alle im Süden an und zwar deshalb, weil jeder seinen eigenen individuellen Weg innerhalb der Gruppe erkannt hat.
Hätten Wildgänse menschliche Charaktereigenschaften kämen sie wahrscheinlich niemals an, weil sie sich bei dem Kampf wer nun vorne an der Spitze fliegen solle gegenseitig zu Tode gehetzt hätten – und genau genommen ist es eben das, was wir tagtäglich tun. Wir beeilen uns schneller und besser zu sein als alle anderen ohne dabei zu überlegen, was besser überhaupt bedeutet. Schneller auf dem Weg eines anderen unterwegs zu sein bedeutet letztendlich auch nichts anderes als auf dem falschen Weg zu sein.
Unsere Politiker, die uns ja eigentlich Wege aufzeigen sollten, machen es uns leider vor. Ohne wirkliche Ideale laufen sie einen Weg entlang in dem Glauben, dass dieser unseren Vorstellungen entspreche. Dabei verstehen sie nicht, dass wir lediglich von ihnen erwarten, ihren eigenen Weg zu gehen und zwar gebunden an ein Ideal, das nicht notwendigerweise unseres sein muss. Jeder von uns könnte einige inhaltliche Meinungsverschiedenheiten in Kauf nehmen, wenn es einen Politiker gäbe, der seinen Weg wie oben beschrieben ginge. Um die Zugvögel zu führen brauchen wir nicht Meinungskongruenz, sondern eine ethisch-moralisch-philosophische Authentizität und Übereinstimmung.
Wie kann ein Zugvogel an der Spitze der V-Formation fliegen, wenn er sich die ganze Zeit umdreht, um zu schauen, ob er es auch allen recht macht? Es könnte ja morgen ein anderer vorne fliegen. Das scheinbare Bedürfnis des Individuums erhebt sich über das tatsächliche Bedürfnis der Gemeinschaft. Das ist der Grund, warum wir es als Gesellschaft so schwer haben, auch unseren gemeinsamen Weg zu finden.
Aus all diesen Gründen ist der Weg eben auch eine Kunst, deren Vervollkommnung ein ganzes Leben dauert. Der Gedanke, dass es nicht um ein Ankommen, sondern um ein „Werden“ geht, dass es zwar kein Ziel gibt, aber man doch schon irgendwie dort ist allein dadurch dass man seinen Weg geht, zeigt deutlich den buddhistischen Einfluss im Budo und in der Wegkunst im Allgemeinen.
Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln:
durch Nachdenken ist der edelste,
durch Nachahmen der einfachste,
durch Erfahrung der bitterste.
Konfuzius
Das schwerste Fahrrad der Welt und der goldene Zahn
Ich kam abends meist eher als die anderen und half meinem Freund Kaoru das Dojo vorzubereiten. Ich war anfangs immer begeistert davon, dass das Dojo so gut besucht war. Dass dies mit meiner Anwesenheit zu tun hatte, erzählte mir Miyahira Sensei erst später einmal: alle wollten den Europäer sehen – oder auch testen.
An diesem Tag übte ich vor Beginn der eigentlichen Übung etwas für mich, als ich einen hellen Reflex am Eingang wahrnahm. Noch bevor ich den Kopf drehte wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. Der Mann, der gerade herein kam, war einer der härtesten Männer, mit denen ich jemals geübt hatte. Er stammte aus einer alten Samurai-Familie und wenn auch heute noch jemand wie ein wirklicher Samurai lebte, dann war er es. Er hatte einen Schneidezahn aus Gold und jedes Mal, wenn er das Dojo betrat, lächelte er mich höflich an und sein Zahn blinkte dabei auf wie eine Signalleuchte. Wie der pawlowsche Hund, dem schon der Speichel lief, wenn er die Glocke hörte, die ihn zum Essen rief, stand mir der Schweiß sofort auf der Stirn wenn dieser Goldzahn mich anblinkte, denn ich wusste, es würde an diesem Abend ernst werden.
Allerdings war er mir immer freundlich gesinnt und lud mich oft zu sich nach Hause zum Essen ein oder nahm mich auf Ausflüge mit, um mir Okinawa zu zeigen. Ihn im Dojo zu treffen, bedeutete aber immer eine mentale und körperliche Herausforderung. Er