Inhaltsverzeichnis

Das Bild in dir

Bilder von Menschen

Vorwort von Dr. Martin Kreuels

Wie fotografiert man eine Gruppe, deren Teilnehmer anonym bleiben wollen? Wie fotografiert man Behinderungen, ohne bloßzustellen, ohne voyeuristisch zu sein? Fotografiert man dokumentarisch, oder soll auch ein Gefühl mit in das Bild integriert werden? Gestaltet man ein Bild, oder lässt man ihn oder sie das Bild selber gestalten? Wie viel eigene Kreativität ist möglich, ohne den Fotografierten in eine Richtung zu drängen?

All diese Fragen trieben mich um, als wir das Projekt begannen. Es ging darum, Menschen zu zeigen aber auch wieder nicht, aber dennoch Bilder zu schaffen, die der Gruppe entsprachen, die stellvertretend etwas darstellten. Schnell wurde klar, dass ich nicht derjenige sein konnte, der auf die Menschen zuging, fragte oder vielleicht dirigierte, sondern dass die Bilder in den Händen der Gruppenteilnehmer lagen. Ich saß bei unseren Terminen deshalb immer eher im Hintergrund, habe versucht, die Atmosphäre aufzunehmen, nicht gestalterisch einzugreifen, sondern das Gefühl in ein Bild umzusetzen. Die Gruppenteilnehmer sollten dabei frei entscheiden, was sie preisgeben konnten und wollten.

Also nahm ich am Anfang einen großen Bilderrahmen, der symbolisch für die äußere Kante des Fotos stand. Die Teilnehmer hatten somit Grenzen, in denen sie sich frei bewegen und darstellen konnten. Mit der Zeit und mit zunehmender Anzahl der Gruppen musste ich aber feststellen, dass es auch Situationen gab, bei denen ein Rahmen unangemessen war. Diese Gruppen fielen quasi aus dem Rahmen, sprengten ihn oder passten dort einfach nicht herein. Auch diese Aufnahmen haben wir in unser Buch aufgenommen.

Da die Gruppen-Landschaft bunt ist wie eine Blumenwiese, hatte ich mir vorgenommen, den Menschen hervorzuheben, das Bild auf das Wesentliche zu konzentrieren. In meinen Augen hätte dabei die Farbe gestört, also sind alle Bilder schwarz-weiß umgearbeitet. Ich hoffe, dadurch das Wesentliche darstellen zu können und das in meinen Augen Unwesentliche, das Geschwätzige, in den Hintergrund drängen zu können.

Eine Atmosphäre zu spüren ist der eine Ansatz, der andere ist aber, diese auch aufzubauen. Mit meiner Buchkollegin Ellen Bultmann hatte ich so eine Partnerin. Sie nahm mich mit, organisierte die Termine, plante Orte und war vor Ort der aktive Part, der auf die Menschen zuging, sie befragte, und setzte eine weit über den normalen Zeitungsjournalismus hinausgehende Befragung um. Dadurch wurde der Mensch sichtbar, der hinter dem bloßen Gruppenteilnehmer stand. Dies gab mir die Möglichkeit, weiter hineinzuspüren, um ein Bild umsetzen zu können. Ohne Ellen wären diese Bilder nicht zustande gekommen.

Ich will auch allen Fotografierten herzlich danken, denn ein Bild von sich machen zu lassen, ist schon für einen scheinbar Unbetroffenen eine verkrampfte Aufgabe. Vielen ist es nicht leicht gefallen, und doch haben sie bereitwillig mitgemacht. Ohne ihre Bilder würde eine Hälfte des Buches fehlen.

Die erfahrene Hilfe weitergeben

Warum jemand ehrenamtlich ein Buch schreibt – und warum Menschen ihre persönlichen Geschichten darin erzählen

Vorwort von Ellen Bultmann

Mit bewundernswerter Offenheit haben die an diesem Buch beteiligten Menschen mit uns gesprochen. Wir kamen als Fremde mit einem Vorhaben, das teilweise auf positive Verwunderung, teilweise auf Begeisterung stieß. Unsere Idee: ehrenamtlich und ohne Auftraggeber ein Buch über die Arbeit von Selbsthilfegruppen in Münster zu erstellen. Die wertvollen Hilfsmöglichkeiten, die die Gruppen bieten, wollten wir möglichst durch persönliche Geschichten lebendig werden lassen.

Dass dieser ungewöhnliche Ansatz so gut aufgenommen wurde, liegt mit Sicherheit auch an dem Vertrauensvorschuss, der uns dank der Kooperation mit der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen in Münster entgegengebracht wurde. Die Mitarbeiter der Selbsthilfe-Kontaktstelle waren aufgeschlossen für unser Projekt, leiteten unser Anschreiben an die Gruppen weiter und ermöglichten es uns, in ihren Räumen einen Informationsabend abzuhalten.

Der Fotograf Martin Kreuels und ich als Autorin nahmen über ein Jahr verteilt Termine für eigens angesetzte Gespräche wahr oder nahmen an den Gruppentreffen und einigen anderen Aktivitäten teil. Stets wurden wir freudig und warmherzig begrüßt. Überall war spürbar, dass sich in den Selbsthilfegruppen Menschen treffen, deren Anliegen es ist, die Hilfe weiterzugeben, die sie für sich selbst gefunden haben.

Das war auch meine Motivation bei diesem Projekt. Schon in meiner Jugend erlebte ich, dass die aus einer Selbsthilfegruppe gewonnene Erfahrung einer ganzen Familie die Kraft geben kann, mit dem Problem des Betroffenen umzugehen und ihn auf seinem Weg zu unterstützen. Später lebten meine Eltern mir vor, die heilenden Erkenntnisse nicht für sich zu behalten, sondern an andere weiterzugeben, die neu mit dem gleichen Problem konfrontiert sind.

In dem Fotografen Martin Kreuels, der den ersten Anstoß zu diesem Buch gab, hatte ich einen Projektpartner, mit dem ich diesen Ansatz hervorragend gemeinsam umsetzen konnte. Martin schenkte allen Beteiligten eine angenehm unterstützende Aufmerksamkeit. Er ließ sich auf die jeweilige Atmosphäre einer Gruppe ein und erfrischte uns mit seiner authentischen Fröhlichkeit. Zugleich war er jederzeit feinfühlig und mitdenkend. Immer hatte Martin eine Idee, wie das Foto zu einer Gruppe gestaltet werdenkonnte. Er ließ sich jedoch auch darauf ein, Anregungen der Fotografierten aufzugreifen.

Überhaupt ist dieses Buch nicht nur unser Werk als Fotograf und Autorin. Es ist vielmehr ein Gemeinschaftsprodukt, das ohne die Mitwirkung der Gruppenmitglieder nicht zustande gekommen wäre. Die Menschen in den Selbsthilfegruppen, die an diesem Buch mitwirkten, haben uns über ihre Arbeitsweise informiert. Sie haben uns erläutert, wie sie mit den Schwierigkeiten umgehen, die ihre Krankheiten oder anders gearteten Betroffenheiten mit sich bringen. Wir erfuhren viel über mögliche Herangehensweisen bei der lindernden Hilfe und der Verbesserung der Lebensqualität, die trotz Beeinträchtigungen möglich ist. Das ist ein reicher Erfahrungsschatz, aus dem die Leser dieses Buches schöpfen können, wenn sie zum Beispiel für sich selbst, einen Verwandten oder einen nahen Bekannten überlegen, ob der Besuch einer Selbsthilfegruppe sinnvoll sein könnte.

Besonders möchte ich allen Mitwirkenden danken, dass sie uns an ihren persönlichen Lebensgeschichten teilhaben ließen. Dies geben wir nun durch die Fotos und Texte weiter, verbunden mit einer Erkenntnis, die ich in den eingehenden Gesprächen und berührenden Begegnungen gewonnen habe: Wer bereit ist, sich für einen anderen Menschen zu öffnen, ein Teil von sich zu offenbaren, der kann dazu beitragen, dass dem Anderen neue Perspektiven eröffnet werden, dass ihm Auswege und ungeahnte Chancen bewusst werden. Es war für mich eine Bereicherung, in den Selbsthilfegruppen und Einzelgesprächen immer wieder die ermutigende Einstellung anzutreffen: Ich habe es aufgrund meines Problems nicht immer leicht – aber ich lasse es mir nicht nehmen, das Leben zu genießen!

Mittendrin - die Selbsthilfe-Kontaktstelle Münster

Vorwort von Renate Ostendorf

Suchen Sie eine Selbsthilfegruppe in Münster?

Wollen Sie eine Selbsthilfegruppe gründen?

Interessieren Sie sich für Selbsthilfe allgemein?

Haben Sie eine Frage oder ein Problem und wissen nicht, ob eine Selbsthilfegruppe oder möglicherweise eine Beratungsstelle helfen kann?

… dann sind Sie richtig bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle Münster.

Selbsthilfe bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.

In Selbsthilfegruppen schließen sich Menschen mit einem gleichen oder ähnlichen Problem zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen und um ihre oft schwierige Lebenssituation besser bewältigen zu können. Selbsthilfegruppen helfen Menschen aus ihrer Isolation, schaffen Kontakte, und es werden Informationen und Erfahrungen weitergegeben. Selbsthilfe hat in den letzten Jahren deutlich an öffentlicher Wertschätzung gewonnen. Mittlerweile gibt es kaum noch ein gesundheitliches oder soziales Thema, zu dem sich noch keine Selbsthilfegruppe gebildet hat. Das Spektrum reicht von A wie „Alkohol“ oder „Alzheimer“ bis Z wie „Zöliakie“ oder „Zwillingseltern“. Selbsthilfegruppen ersetzen nicht eine professionelle, medizinische oder therapeutische Behandlung. Aber durch die gemeinsame Arbeit werden die TeilnehmerInnen sozusagen Experten in eigener Sache, wodurch die professionelle Hilfe gezielter und gegebenenfalls auch kritischer in Anspruch genommen werden kann.

Selbsthilfe-Kontaktstelle Münster - wir bringen Menschen zusammen!

Doch Selbsthilfe funktioniert nicht von alleine, sie braucht Rahmenbedingungen, damit sie sich voll entfalten kann. Diese Rahmenbedingungen bietet die Selbsthilfe-Kontaktstelle Münster, eine Beratungsstelle rund um das Thema Selbsthilfe und Selbsthilfegruppen, in Trägerschaft des Paritätischen Münster.

Als erste Anlaufstelle für alle Selbsthilfeinteressierten werden die unterschiedlichsten Anliegen und Fragen an die Kontaktstelle herangetragen.

Typische Fragen sind beispielsweise: Ich leide unter Depressionen, komme kaum aus dem Haus und frage mich, ob es nicht eine Gruppe für mich gibt? Ich glaube, meine Tochter ist magersüchtig! Gibt es eine Gruppe für Eltern von essgestörten Mädchen? Bei mir wurde Krebs diagnostiziert, und ich weiß nicht mehr weiter!

Ich würde gerne in eine Gruppe für Pflegende Angehörige gehen. Gibt es so eine Gruppe in Münster? Mein Mann ist verstorben, gibt es eine Gruppe für Trauernde oder sonstige Angebote für mich?

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Münster bietet ein breites Spektrum von Angeboten und Aktivitäten. Alle Interessierten können sich während der Sprechzeiten telefonisch oder persönlich an die Selbsthilfe-Kontaktstelle wenden. Alle Anliegen werden vertraulich behandelt. Die Angebote der Selbsthilfe-Kontaktstelle sind kostenlos.

Wenn es für Interessierte keine Gruppe gibt, bietet die Kontaktstelle Unterstützung bei der Gründung einer neuen Selbsthilfegruppe an. Im persönlichen Gespräch werden die Erwartungen der Betroffenen geklärt. Die Kontaktstelle ist behilflich bei der Suche nach Räumen für die Gruppentreffen, lädt zum ersten Treffen ein und hilft bei den ersten „Gehversuchen“ der Gruppe. Oft bedarf es eines „langen Atems“, um eine neue Selbsthilfegruppe zu gründen.

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle ist „Drehscheibe“ zwischen den an Selbsthilfe Interessierten, den Selbsthilfegruppen, den im Gesundheits- und Sozialbereich hauptamtlich Tätigen sowie Politik und allgemeiner Öffentlichkeit. Sie ist Anreger, Vermittler, Förderer und Multiplikator der Selbsthilfe. Sie arbeitet bedarfsorientiert sowie themenübergreifend und ist nicht auf einen fachlichen Schwerpunkt (zum Beispiel Sucht) konzentriert. Durch ihre Aktivitäten stärkt die Kontaktstelle die Eigenverantwortung und gegenseitige freiwillige Hilfe von Menschen.

In Münster gibt es gut 300 Selbsthilfegruppen zu circa 100 Themen. In den Gruppen engagieren sich Menschen als Betroffene oder Angehörige in ganz unterschiedlichen Bereichen. Die Kontaktstelle unterstützt die Gruppe bei der Öffentlichkeitsarbeit, bietet Fortbildungen an, bereitet gemeinsame Aktionen wie zum Beispiel den Tag der Selbsthilfe vor und stellt Kontakt (untereinander) her.

Selbsthilfe wirkt!

Für immer mehr Menschen sind Selbsthilfegruppen ein unverzichtbarer Ort, um gemeinsam mit anderen ihre Probleme und Anliegen besser zu bewältigen.

Wichtig ist vor allem, ein offenes Ohr zu haben. Die gängige Vorstellung von Selbsthilfegruppen, wo man zusammen im Stuhlkreis sitzt und sich sein Leid klagt, ist ein Klischee. Durch das besondere Verständnis unter Betroffenen können viele Menschen ihre Kräfte und Fähigkeiten (wieder) entdecken, diese mobilisieren und letztlich lernen, sich selbst zu helfen und die eigene Situation besser zu bewältigen. Das führt zu neuen Impulsen, die auch zu Veränderungen im etablierten Versorgungssystem führen.

Wenn Sie eine Selbsthilfegruppe suchen oder sonstige Fragen zum Thema Selbsthilfe haben, wenden Sie sich bitte an die:

Selbsthilfe-Kontaktstelle Münster

Dahlweg 112

48153 Münster

02 51/60 93 32 30

selbsthilfe-muenster@paritaet-nrw.org

www.selbsthilfe-muenster.de

www.facebook.com/selbsthilfe.muenster

Al-Anon

André, 44 Jahre, Ex-Mann einer Alkoholikerin

„Durstig wie ein Schwamm“

André wollte verstehen, warum seine Partnerin trank

„Das Besondere an Al-Anon ist, dass jeder für sich in die Meetings geht und nicht für den trinkenden Angehörigen“, betont der 44-jährige André. Er lebte 22 Jahre lang mit seiner trinkenden Frau. „Die letzten 15 Jahre davon war sie zuerst alkoholgefährdet und dann abhängig“, sagt er im Rückblick.

André lernte seine Frau kennen, als sie 16 und er 17 Jahre alt war. Schützenfeste und Familienfeiern mit viel Alkohol waren in ihrem Umfeld üblich. Auch Andrés Vater hat viel getrunken.

„Der Alkohol wurde missbraucht, wenn jemand traurig war oder Sorgen hatte“, weiß André mit seiner heutigen Erfahrung. Aufgrund dieser Gewohnheiten, mit denen er aufwuchs, war es für ihn zunächst nicht verdächtig, dass seine Partnerin viel Alkohol trank.

Als sie Mutter wurde, war sie 23 Jahre alt. „Die Beziehung kriselte damals schon, aber wegen des Kindes blieb ich mit ihr zusammen“, berichtet André. Auch während der Schwangerschaft trank und rauchte seine Frau. Wann sie abhängig wurde, kann André nicht zeitlich eingrenzen. „Das ist so ein schleichender Prozess. Ich weiß bis heute nicht, was ich falsch gemacht habe.“

Als er Anfang 30 war, sagte sein Bruder zu ihm: „Deine Frau ist Alkoholikerin.“ Davon fühlte André sich angegriffen: „Weil ich dann ja wohl versagt hatte – so fühlte ich mich jedenfalls.“

Mit dem „Prinzip Hoffnung“ versuchte er, noch etwas zu retten. „Ich kaufte alkoholfreies Bier, aber das half nichts.“ Seine Frau trank weiter Alkohol. „Dann habe ich selbst zwei Jahre lang keinen Alkohol getrunken, um ihr vorzumachen, dass das geht“, erzählt der 44-Jährige.

Doch heute weiß er: „Damit habe ich sie bloß provoziert.“

Seine Frau schaffte es schließlich, trocken zu werden. Dadurch waren für André die Schwierigkeiten aber noch nicht beendet. „Da merkte ich erst: Es stimmt mit mir etwas nicht. Sie konnte zugeben, dass sie Alkoholikerin ist. Aber ich war so krank, dass da kein Gefühl der Freude mehr war. Es war nur eine sachliche Information für mich.“

Die Partnerin ging in die Meetings der Anonymen Alkoholiker und arbeitete an sich. „Aber wir stritten uns immer mehr, und alles wurde in Frage gestellt.“ Während sie immer selbstständiger wurde, stellte André fest: „Ich wurde des Betüdelns beraubt. Dadurch fühlte ich mich sehr einsam.“

Eines Tages kam er nach Hause und fand einen Abschiedsbrief seiner Frau vor. Die Hälfte der Möbel war verschwunden, sie hatte sie bei ihrem Auszug mitgenommen. „In dem Brief schrieb sie, sie müsse nun an sich denken und aus Selbstschutz gehen.“ Denn er hatte weiter Alkohol getrunken und sie sah, dass er nichts an sich tat.

Gleich nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, machte der Betrieb, in dem André arbeitet, Ferien. Er nutzte die Zeit, um auf den Jacobsweg zu gehen. Nach seiner Rückkehr fiel er in ein tiefes Loch. Dann probierte er Al-Anon aus. „Dort fühlte ich mich wohl, gut aufgehoben. Ich war durstig wie ein Schwamm und wollte unbedingt verstehen, weshalb sie gegangen war.“

Inzwischen steht für André fest: „Das Leben geht weiter.“ Gegenüber Al-Anon empfindet er viel Dankbarkeit. „Mein persönlicher Tiefpunkt war die Trennung von meiner Frau. Den brauchte ich, um an mir zu arbeiten.“ Weitere Herausforderungen folgten. Der Sohn war eine Zeit lang spielsüchtig. In der Familie gab es einen tragischen Sterbefall. André verliebte sich neu, fühlte sich aber nicht gewollt. Dies alles erlebte er innerhalb von sechs Wochen. Dabei hatte er sich zuvor stets um Beständigkeit bemüht: „Ich wollte nie, dass sich im Leben etwas verändert. Wenn ich Al-Anon nicht gehabt hätte, wäre nicht auszuschließen, dass ich mir das Leben genommen hätte.“

Menschen im Umfeld eines Alkoholikers, die sich wie damals er in einer ausweglosen Situation fühlen, machtAndré Mut, sich an Al-Anon zu wenden. Nicht nur Ehepartner oder Menschen, die unverheiratet eine Beziehung mit einem Alkoholiker haben, können zu Al-Anon kommen, sondern auch andere Verwandte oder Freunde von Alkoholikern. „Außerdem kann jeder weiter kommen, auch wenn die Beziehung oder der Kontakt zu dem Abhängigen nicht mehr besteht“, erklärt André. Zudem sei es sinnvoll, die Gruppe weiter zu besuchen, wenn der Alkoholiker trocken geworden ist: „Der Partner kann sich dadurch verändern. Es ist gut, wenn man sich mit entwickelt. Die Gruppe hilft dabei.“

Al-Anon

Fritz, 50 Jahre, Sohn eines Alkoholikers und einer Medikamentenabhängigen

„Das Chaos stand zwischen uns“

Kinder von Alkoholikern kämpfen oft um das seelische Überleben

„Wenn ich etwas für mich tue, tut sich etwas für mich.“ Diese Erfahrung hat Fritz gemacht. Für ihn ist Al-Anon zur zweiten Familie oder auch zur Ersatzfamilie geworden. Bei den Treffen von Gleichgesinnten findet er Geborgenheit.

Der persönliche Erfahrungsaustausch hat für Fritz den Weg zur Genesung eingeleitet. Erfahrung, Kraft und Hoffnung mit anderen Betroffenen teilen zu können, ist für den 50-jährigen Sohn eines Alkoholikers und einer Medikamentenabhängigen von großer Bedeutung. Außerdem ist es ihm wichtig, durch die Übernahme von Aufgaben (genannt Dienste) Beziehungen zu anderen Mitgliedern aufzubauen.

„Al-Anon hat mir geholfen, Alkoholismus als Krankheit zu verstehen“, erklärt Fritz. Eine große Hilfe war für ihn das Gefühl, sich in der Obhut einer höheren Macht zu befinden. Gebet und Meditation sind wertvolle Stützen für ihn.

„Durch das Leben nach den ‚Zwölf Schritten‘ habe ich immer mehr Lebensfreude gewonnen“, erzählt Fritz.

Eine Reihe der Slogans, die bei Al-Anon als Leitsprüche und Gedankenanregung eingesetzt werden, zählt er zu den wichtigen Elementen der Selbsthilfegruppe. „Eile mit Weile“, „Das Wichtigste zuerst“, „Nur für heute“, „Leben und leben lassen“ gehören dazu, natürlich auch der Gelassenheitsspruch. Al-Anon habe ihm „Kraft zum Loslassen“ gegeben; die Fähigkeit, „loszulassen und etwas Gott zu überlassen.“

Als Fritz im Jahr 1999 zu Al-Anon kam, traf er im Meeting fast nur Frauen an. „Jede erzählte ihre Geschichte – und ich habe mich in jeder Geschichte sofort wiedergefunden“, blickt Fritz zurück. Obwohl er zuerst nur zugehört habe, fühlte er sich gleich geborgen.

Um sich Al-Anon ganz anvertrauen zu können, legte Fritz Wert darauf, dass es sich nicht um eine Sekte handelt. „Ich habe mich über die Entstehung der Anonymen Alkoholiker (AA) informiert“, berichtet Fritz. Der Börsenmakler Bill und der Arzt Bob, zwei Alkoholiker in den USA, gründeten die Gemeinschaft 1935. Im „Blauen Buch“ der AA finden sich ihre und viele weitere authentische Lebensgeschichten von Alkoholikern, die mit Hilfe von AA trocken wurden. In den 1950er Jahren entstanden die ersten Gruppen in Deutschland.

„Es hat mir gefallen, dass in den Meetings jeder nur von sich spricht und man sich auf keinen Meinungsstreit einlässt“, sagt Fritz. „Bei mir waren es Menschen und Emotionen, die ich ‚getrunken‘ habe. Und das ständige Grübeln.“

Als „Werkzeug“ für sich habe er das Beten gefunden, das ihm Erleichterung gab. „Ich habe gespürt, dass ich in mir selbst Geborgenheit finden kann.“

Fritz hat in seinem Elternhaus viel Chaos und Streit erlebt. Der Vater trank, die Mutter war tablettenabhängig. „Als Kind bin ich mit Angst vor dem morgigen Tag ins Bett gegangen.“