Meinen vier Brüdern, die Gegner und Soldaten dieses Krieges waren, die ein System haßten und doch dafür kämpfen mußten und die weder sich selbst, ihren Glauben noch ihr Land verrieten.

E-Book-Ausgabe 2018

Mit freundlicher Genehmigung:

© Hans Werner Richter-Stiftung, Bansin

© 2018 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40 / 41, 10719 Berlin

Covergestaltung Julie August unter Verwendung des Gemäldes »Seven Crows« (1980) von Alex Colville, Sammlung der Owens Art Gallery © A. C. Fine Art Inc. Reihengestaltung Rainer Groothuis. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.

Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN: 9783803142351

Auch in gedruckter Form erhältlich: 9783803127921

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I

Gühler stand in der beginnenden Nacht und sah über den See. Auf der anderen Seite des Sees flammten ein paar Lichter auf und erloschen wieder. Aus den Weinbergen am Rande des weiten Feldes kam der Geruch des Herbstes. Gühler nahm den Stahlhelm ab, der ihn drückte, und verschob das Band darin. Hinter ihm an der Straße begann eine Trompete aufzuschreien. Ihre Töne klangen langgezogen und weinerlich und verloren sich. Gühler hob den Kopf. Er sah angespannt zu den kleinen Zelten hinüber, die verstreut auf dem Felde standen.

Jemand lief an ihm vorbei und schrie:

»Alarm!«

Drüben auf der anderen Seite des Sees setzte jetzt ebenfalls eine Trompete ein. Der Ton kam schrill und hoch über den See und erstarb. Dann wiederholten sich die weinerlichen Töne der ersten Trompete.

»Alarm«, dachte Gühler, »wieder einmal blinder Alarm.«

Er sah zu den Zelten hinüber. Jetzt kam das Trompetensignal von überall rings um den See.

»Gühler, Gühler«, hörte er es von den Zelten her rufen. Jemand kam auf ihn zugestolpert.

»Was ist, Beijerke?« sagte er.

»Hörst du nicht, der Teufel ist los.«

»Was ist los?«

»Der Teufel«, schrie Beijerke und lief zurück in die Nacht. Gühler ging zu den Zelten hinüber.

»Es ist immer dasselbe«, dachte er, »es hat keinen Zweck, sich aufzuregen.«

Er sah einen Schatten in der Dunkelheit. Ein Kochgeschirr schlug leise scheppernd an eine Gasmaske.

»Was ist los?« sagte er.

»Die Italiener«, antwortete eine Stimme aus der Dunkelheit.

Er begann zu laufen. Er riß den Stahlhelm herunter und stolperte über die Felder.

»Die Italiener«, dachte er, »die Italiener. Das ist doch nicht möglich.«

Er lief immer schneller. Vor ihm tauchten ein paar Lichter auf. Strahlen von Taschenlampen irrten über den Boden. Aus dem Lichtkreis kamen Stimmen.

»Wo ist der Zeltstock?« sagte jemand, »verflucht, wo ist der Zeltstock?«

»Laß die Gasmaske liegen, das ist meine Gasmaske.«

»Mensch, schieb das MG beiseite, ich sage dir, schieb das MG beiseite.«

Er lief auf den Wagen zu, der unter einem Baum stand. Jemand bewegte sich hinter dem Wagen.

»Bist du das, Konz?«

»Ja, es ist gut, daß du da bist.«

»Was ist schon wieder los?«

»Die Italiener haben kapituliert. Heute abend sind unsere Küchenwagen demoliert worden. Sie sagen, der Krieg ist aus.«

»Was«, sagte Gühler, »die Italiener haben aufgehört. Dann hauen wir also ab.«

»Glaube ich nicht«, sagte Konz.

Er schob ein MG auf den Wagen.

»Faß mal an«, sagte er.

»Schöne Bescherung«, sagte Gühler, aber er dachte, »Frieden, sie schreien nach Frieden, sie haben kapituliert. Es ist aus, mein Gott, es ist aus.«

»Mach hin«, sagte Konz, »es wird Zeit.«

Gühler schob sein Gewehr auf den Wagen und warf den Stahlhelm hinterher. Konz schrie:

»Ist alles drauf?«

»Ja«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit.

»Habt ihr meine Sachen dabei?« sagte Gühler.

»Ja, alles auf den Wagen geschmissen.«

»Und das MG?«

»Vorn in der Ecke links. Alles in Ordnung«, sagte Konz.

Die anderen kamen und sprangen einer nach dem anderen auf den Wagen. Sie fluchten durcheinander. Der Motor heulte auf und summte dann regelmäßig. Sie saßen dicht nebeneinandergedrängt und versuchten sich einzurichten.

»Hak mir die Gasmaske ein«, sagte Holzgrebe.

»Quatsch, du mit deiner Gasmaske, was brauchst du jetzt eine Gasmaske.«

»Halt dein Maul«, sagte Holzgrebe.

Der Wagen ruckte an und blieb stehen. Unteroffizier Hahnemann kam über das Feld gerannt.

»Alles runter, schieben!«

Sie sprangen von dem Wagen und stemmten sich gegen die Räder.

»So ein Scheißfahrer«, sagte Konz.

Langsam bewegte sich der Wagen über das Feld. Gühler schob mit dem Rücken unter dem Kasten. Er dachte:

»Es ist aus. Jetzt können sie sich nicht mehr halten.«

Auf der Straße standen die Wagen aufgereiht, einer hinter dem anderen. Ihre Nasen zeigten nach Süden.

»Siehst du die Holzkreuze«, sagte Beijerke.

Gühler drehte sich um.

»Wo?« sagte er.

»Da, auf dem Troßwagen.«

Auf dem Troßwagen standen die Holzkreuze. Sie hatten sie in wochenlanger Arbeit anfertigen müssen.

»Der Alte wird keine Freude daran haben«, sagte Gühler.

Er sah zu den Kreuzen hinüber, die sich dunkel von den Bäumen abhoben. Beijerke sah Gühler ins Gesicht und grinste.

»Ob wir dabei sein werden«, sagte er.

»Es sind zu wenig. Zwanzig Stück, das reicht nicht aus.«

Sie standen auf dem Wagen und sahen in die Nacht.

»Es ist sowieso bald alles vorbei«, sagte Gühler.

Ihn fror ein wenig. Langsam trocknete der Schweiß auf seiner Stirn. Der Wagen fuhr an den Holzkreuzen vorbei. Einen Augenblick war es ihm, als bewegten sie sich und kämen drohend auf ihn zu. Aber dann versanken sie in der Dunkelheit hinter ihm.

»Habt ihr gehört, scharf laden und sichern«, sagte Konz.

Gühler nahm das MG und legte es vor sich auf den Aufbaukasten des Wagens.

»Kommt ihr endlich«, schrie jemand, der auf der Straße stand.

Niemand antwortete ihm. Der Wagen fuhr in eine Lücke, die zwischen der dichtgedrängten Kolonne klaffte. Die leise scheppernden und klirrenden Geräusche verstummten allmählich. Über der Kolonne lag Schweigen. Beijerke flüsterte:

»Wir sind weit vorn.«

»Ja«, sagte Gühler, »dritter Wagen.«

Dann schwiegen sie wieder. Die Wagen setzten sich in Bewegung. Das Summen der Motoren klang einschläfernd durch die Nacht. Der Geruch von reifendem Wein wehte mit dem stärker werdenden Nachtwind von den vorbeifliegenden Gärten herüber.

Sie fuhren die ganze Nacht. Sie hatten sich in ihre Decken gewickelt und saßen verschlafen auf ihren Bänken. Dann kam der Morgen. Leichte Nebelschwaden hoben sich von den Feldern. Sie fuhren durch eine Stadt. Ein paar zerlumpte Kinder standen auf der Straße und schrien:

»Tedesko kaputt, Tedesko kaputt.«

»Was sagen die?« flüsterte Beijerke.

»Daß wir fertig sind, kaputt, verstehst du«, sagte Gühler.

»Wer ist fertig?«

»Wir oder die da oben, wie man’s nimmt.«

»Quatsch«, sagte Beijerke, »jetzt räumen wir erst mit den Itakern auf.«

»Hoffentlich räumen die nicht mit uns auf«, sagte Gühler.

Hinter der Stadt fuhren sie eine Anhöhe hinauf. In gewundenen Kurven bewegte sich die Straße nach oben. Ein Wagen nach dem anderen kroch die Anhöhe hinauf. Sie fuhren durch den Wald, der die Anhöhe bedeckte, und dann an ein paar Häusern vorbei. Vor einer Kurve blieb die Kolonne ruckartig stehen. Die Wagen waren dicht aufeinandergefahren. Die Fahrer fluchten.

»Was ist los da vorn«, schrie einer und riß die Wagentür auf.

»Stockung, wahrscheinlich Straßensperre«, sagte Gühler.

»Wo gibt’s denn so was«, brüllte der andere und warf die Wagentür zu.

Ein Unteroffizier lief nach vorn.

Konz und Holzgrebe saßen aneinandergelehnt und schnarchten.

»Die Scheißkerle«, sagte Beijerke, »immer müssen sie schlafen.«

Ein scharfer Knall zerriß die Stille des Morgens.

»Der Teufel auch, wer knallt denn da«, schrie Beijerke.

Der Unteroffizier kam zurückgelaufen. Er lief schneller als vorhin.

»Der hat’s ja eilig«, sagte Beijerke.

»Alles fertig machen zum Gefecht.«

»Zu was?« sagte Gühler.

»Zum Gefecht«, schrie der Unteroffizier, »die Italiener lassen uns nicht durch.«

Wieder fielen zwei Schüsse. Dann begann das langsame Tack-Tack eines italienischen MGs. Konz sprang aus seinen Decken auf.

»Was ist los?« sagte er.

»Die Italiener lassen uns nicht durch.«

Gühler kletterte mit seinem MG von dem Wagen. In der Kurve begann ein zweites MG zu schießen.

»Alles fertig machen, los, los«, schrie Konz.

Gühler lief in den Schutz einer Gartenmauer, die rechts von der Straße lag. Er warf sich in den flachen Graben. Hahnemann kam vorbeigelaufen und schrie:

»Los, los, wir müssen in die Kurve kommen, damit wir Schußfeld kriegen.«

Gühler hob das MG und schob sich in dem Graben nach vorn.

Hinter ihm keuchte Beijerke. Vor ihm lag die Kurve unter dem Feuer der italienischen MGs. Langsam krochen sie in dem Graben nach vorn. Gühler hob jedesmal das MG ein wenig und rutschte dann hinterher. Die Mauer neben ihm verschwand. Er hörte das dünne Sirren der Kugeln dicht über seinem Kopf. Für einen Augenblick fühlte er den Druck des Stahlhelms schmerzhaft an seiner Stirn. »Die Hunde, die verfluchten Itaker«, hörte er Beijerke hinter sich sagen.

Er preßte sich an den Boden. Die Erde war feucht von dem Tau des Morgens. Aber er spürte es nicht. Das Feuer von vier italienischen MGs lag auf der Kurve.

»Wir müssen über die Straße auf die freie Pläne«, schrie Hahnemann.

Aber sie rührten sich nicht. Sie lagen in dem Graben und preßten sich an die Erde.

»Wo sind die schweren Waffen«, schrie eine heisere Stimme hinter ihnen auf der Straße.

»Hinten, Herr General.«

»Verdammte Schweinerei«, schrie die heisere Stimme wieder.

»Auf Befehl des Herrn General«, sagte die erste Stimme.

Die italienischen MGs hatten sich eingeschossen.

»Los, wir müssen über die Straße«, schrie Hahnemann.

»Wie der sich das vorstellt«, flüsterte Gühler.

Sie lagen da und rührten sich nicht. Gühler dachte:

»Ich werde den Kopf nicht heben, niemals werde ich hier wieder den Kopf heben.«

Drei Mann mit einem Granatwerfer liefen über die Straße.

Sie sprangen zu ihnen in den Graben. Sie brachten dicht hinter ihnen ihr Gerät in Stellung und begannen zu schießen.

»Die sind verrückt«, schrie Beijerke.

Die Granatwerfer ließen die Granaten in das Rohr fallen und bückten sich dann.

»Mensch, baut euch wo anders auf«, schrie Holzgrebe. Er lag neben Beijerke und hatte den Kopf an die Erde gepreßt.

Das Feuer der italienischen MGs verstärkte sich schnell. Wieder hörten sie die heisere Stimme hinter sich auf der Straße.

»Ein IG nach vorn.«

»Jawoll, Herr General.«

»Los, dalli, dalli.«

Einer der Granatwerfer fiel von der Böschung in den Graben. Er sackte in sich zusammen und rutschte mit dem Gesicht auf der Erde entlang.

»Das habt ihr von dem Blödsinn«, schrie Holzgrebe.

Ein Infanteriegeschütz kam nach vorn. Gühler hörte das dumpfe Rasseln der Ketten neben sich auf dem Pflaster. Es drehte sich langsam in der Kurve.

»Wohin?« hörte Gühler es neben sich schreien.

»Auf das MG-Nest da drüben.«

Dann gab es einen kurzen, scharfen Knall. Von dem Haus auf der anderen Seite der Straße fielen ein paar Mauersteine zu Boden.

»Die schießen mit Panzern«, schrie Hahnemann.

Gühler preßte sich an die Erde. Unmittelbar neben ihm gab es plötzlich ein gellendes Geräusch. Staub und Dreck drangen in seine Augen. Er sprang auf und versuchte sich umzusehen. Das Geschütz stand quer auf der Straße. Der Fahrer hing rechts heraus und rührte sich nicht.

»Holzgrebe, Mensch, Holzgrebe.«

Holzgrebe lag vor ihm auf dem Rücken.

»Was ist mit dir, Holzgrebe?«

Die drei Granatwerfer lagen auf ihren Bäuchen. Sie lagen steif und starr und rührten sich nicht. Langsam verzog sich der Staub. Hinter Gühler sprang wieder das langsame Tack-Tack der italienischen MGs auf. Er drehte sich um und lief in den Schutz der Mauer zurück. Konz saß hinter der Mauer. Sein Stahlhelm war ihm ins Gesicht gerutscht.

»Sie schießen mit Panzern«, sagte er.

»Wo ist Beijerke?«

»Drüben«, sagte Konz. Er wies mit dem Kopf auf die andere Seite der Straße, wo Beijerke im Schatten eines Hauses lag.

»Er ist abgehauen, als das IG kam.«

»Und die andern?«

»Alle schon fertig für die Holzkreuze.«

»Und Hahnemann?«

»Ist irgendwo hinten.«

Gühler hockte sich auf die Erde. Er nahm etwas Sand in die Hand und ließ ihn langsam durch die Finger gleiten.

»Tot«, sagte er, »alle.«

»Wir müssen wieder nach vorn kriechen«, sagte Konz, »wir müssen die MGs holen.«

»Ja, die MGs«, sagte Gühler.

Beijerke kam über die Straße gelaufen. Sie krochen wieder nach vorn. Drüben auf der freien Fläche jenseits der Straße schossen jetzt deutsche MGs. An der Kurve war es still. Die italienischen MGs waren verstummt. Holzgrebe lag auf dem Rücken. Seine Augen sahen starr in den Himmel. Neben ihm lagen die drei Granatwerfer. Gühler und Beijerke nahmen jeder ein MG und luden sich die Kästen auf.

»Verdammte Scheiße«, sagte Beijerke.

Auf der anderen Seite der Kurve stieg eine Anhöhe auf. Sie gingen auf die Anhöhe zu, einer hinter dem anderen. Die Sonne brannte auf die freie Fläche. Sie trugen die MG-Kästen der anderen und begannen zu schwitzen.

»Schmeißt den Mist weg«, sagte Konz, der vor ihnen ging.

Sie warfen jeder einen Kasten weg und ließen ihn auf dem Feld liegen. Langsam stiegen sie die Anhöhe hinauf. Auf der Mitte des Feldes begann wieder ein italienisches MG zu schießen. Sie warfen sich hin.

»Sollen endlich aufhören mit der Knallerei«, schrie Beijerke.

»Laß sie schießen«, sagte Gühler.

Sie lagen und hatten den Kopf auf die Erde gepreßt.

»Irgendwo schießen sie mit Artillerie«, sagte Konz.

Das langsame Tack-Tack des italienischen MGs verstummte.

Ein Unteroffizier kam rechts aus einem kleinen Wäldchen gelaufen. Er hatte ein paar braune Reitstiefel und ein Necessaire in den Händen.

»Das ist ja Hahnemann. Der organisiert schon wieder«, sagte Konz.

Sie gingen schweigend weiter. Beijerke sah zu den verkrüppelten Bäumen hinüber und sagte:

»Italienische Offizierszelte da drüben.«

Er grinste zu Gühler hinüber. Gühler schwieg.

Drei Mann kamen ihnen entgegen. Sie trugen in ihrer Mitte einen schweren Gegenstand in einer Zeltbahn. Aus der Zeltbahn tropfte etwas Blut.

»Wer?« schrie Konz, als die drei vorübergingen.

»König«, sagte einer von ihnen, »kennst du König?«

»Ja«, sagte Konz, »vom ersten Zug.«

Sie gingen über die Anhöhe hinüber. Auf der anderen Seite zog sich ein Tal weit nach dem Süden hin.

Sie stiegen durch dichte Weinberge in das Tal hinab. Die Panzer, die auf der Anhöhe gestanden hatten, waren verschwunden. Nur noch hin und wieder fiel im Süden des weiten Tals ein Schuß.

»Das waren deutsche Panzer, mit denen die Itaker geschossen haben«, sagte Beijerke.

»Mark vier«, sagte Konz.

Gühler sagte nichts. Das MG drückte schwer auf seiner Schulter. Die Schweißperlen liefen ihm in den Mund. Die Sonne brannte heiß und unerbittlich. Sie gingen zwischen hohen Weinstöcken hindurch. Beijerke setzte sich und riß eine Rebe herunter.

»Mach hin«, sagte Konz.

Aber Beijerke blieb sitzen. Er hatte seinen Rock aufgeknöpft. Schwitzend lag er unter dem Weinstock. Der rote Saft der blauen Trauben lief über seine Hände.

»Es sieht aus wie Blut«, dachte Gühler, »genau wie das Gesicht des Granatwerfers.«

»Mach hin, Beijerke«, sagte Konz wieder.

»Quatsch«, sagte Beijerke, »die führen ihren Krieg auch ohne uns.«

Gühler stellte sein MG auf die Erde. Er knöpfte seinen Rock auf und warf sich neben Beijerke. Er riß eine Rebe von dem Weinstock und biß hinein. Er legte sich ganz auf den Rücken und streckte die Beine aus. Konz hatte sich neben Gühler gelegt. Er hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen.

»Schade um Holzgrebe, war ein guter Kerl«, sagte er.

Die anderen sagten nichts. Gühler spürte die Sonnenstrahlen auf seiner entblößten Brust. Über ihm hingen die Reben und dahinter, über dem Grün der Blätter, der tiefblaue Himmel.

»Kugler, den Fahrer vom ersten Wagen, hat es auch erwischt«, sagte Konz.

»Den auch«, sagte Gühler.

»Los«, sagte Konz, »wir müssen weiter.«

Beijerke stand langsam auf. Er knöpfte sich den Rock zu und warf das MG auf die Schulter. Gühler nahm die Kästen und sein MG. Langsam stiegen sie weiter in das Tal hinab. Konz schwankte ein wenig.

»Der verträgt’s nicht«, sagte Beijerke.

Gühler schwieg. Das MG lag schwer auf seiner Schulter und die Kästen zogen nach unten. Sie gingen Schritt für Schritt. Der Schweiß lief von ihren Stirnen.

»Diese Scheißhitze«, sagte Beijerke.

Sie kamen an ein Gehöft. In einem halb verfallenen Stall grunzte ein Schwein.

»Mitnehmen«, sagte Beijerke, »das müssen wir mitnehmen. Wir haben so lange nichts mehr zu fressen gehabt.«

»Du bist verrückt«, sagte Gühler.

Beijerke begann die Bretter des Verschlages zu lösen. Er schlug mit dem MG gegen die Bretter. Das Schwein sah ihn ununterbrochen an. Langsam lösten sich die Bretter. Dann machte das Schwein einen Satz und lief mit einem gellenden Quietschen aus dem Stall.

»Halt«, schrie Beijerke, »halt!«

Er versuchte, es festzuhalten. Er griff nach dem Schwanz und warf einen MG-Kasten hinterher. Das Schwein rannte quietschend in die Weinberge hinaus.

»Das MG«, schrie Beijerke, »das MG. Wir müssen es abschießen.« Er lief hinter dem Schwein her in die Weinstöcke hinein. Dann kam er niedergeschlagen zurück.

»So eine Scheiße«, sagte er, »so eine Scheiße.«

»Es ist ein italienisches Schwein«, sagte Gühler, »es will nichts mehr mit uns zu tun haben.«

»Wir wollten es ja nur fressen«, sagte Beijerke.

»Eben«, sagte Gühler.

Konz saß auf einem Stein und versuchte, ein knallrotes Oberhemd unter seinen Rock zu binden.

»Wo hast du denn das her?« sagte Beijerke.

»Organisiert«, sagte Konz, »sind noch mehr da drin.« Er wies auf das Haus hinter ihnen.

»Laß den Dreck liegen«, sagte Gühler. Er nahm sein MG und ging in die Felder hinaus. Beijerke folgte ihm. Schweigend gingen sie zwischen den Weinstöcken hindurch. Auf einer Lichtung sahen sie eine kleine Anhöhe vor sich. Zwischen den Bäumen auf der Anhöhe ein paar Häuser.

»Eine Stadt«, sagte Beijerke, »dort werden sie sich sammeln.«

Sie gingen die Anhöhe hinauf. Vor ihnen erhob sich eine Mauer. Sie liefen ein Stück an der Mauer entlang und fanden eine Treppe.

»Wir müssen vorsichtig sein«, sagte Beijerke, »vielleicht sitzen da noch die Italiener drin.«

Sie gingen die Treppe hinauf. Auf einem kleinen Marktplatz, in dessen Mitte ein alter Brunnen stand, saßen ein paar Mann aus ihrem Zug. Sie saßen da und ließen die Köpfe hängen. Ihre Haare waren von Schweiß verklebt. Sie sahen erschöpft und müde aus.

»Was ist los?« sagte Gühler zu einem von ihnen.

»Sammeln, warten«, sagte der und schwieg dann wieder.

Sie stellten die MGs an die Wand, nahmen die Stahlhelme ab und setzten sich zu ihnen. Die Sonne stand jetzt steil am Himmel. Hoch über ihnen kreiste ein Flugzeug. Gühler lehnte den Kopf an die Wand und schloß die Augen.

»Schlafen«, dachte er, »jetzt schlafen, für immer schlafen.«

Konz kam über den Marktplatz. Er stieß Gühler in die Seite und sagte:

»Sie kommen, hörst du sie kommen?«

»Wer kommt?« sagte Gühler.

»Die Panzer«, sagte Konz, »hörst du sie nicht?«

Das schwere Kettengerassel der Panzer kam auf sie zu.

»Es sind deutsche«, sagte Beijerke.

Auf der anderen Seite des Marktplatzes standen ein paar italienische Frauen. Sie lachten, als die Panzer vorbeifuhren. Dann kamen die Mannschaftswagen. Die Fahrer schrien:

»Seid ihr noch alle da?«

Niemand antwortete ihnen. Sie saßen müde an die Wand gelehnt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen. Die Stahlhelme lagen zwischen ihren Füßen.

Der Troßwagen mit den Holzkreuzen fuhr vorbei. Der Wagen holperte auf dem Kopfsteinpflaster. Die Holzkreuze klapperten.

»Da sind ja schon die Namen drin«, sagte Beijerke, »da siehst du. König, Holzgrebe, Kugler.«

Gühler schwieg. Er sah den Holzkreuzen nach. Dann sagte er:

»Laß schon. Es ist ja doch alles egal.«

Hahnemann kam über den Marktplatz gerannt.

»Wer meldet sich freiwillig zum Salvenschießen?«

»Zu was?« sagte Gühler.

»Zum Salvenschießen über den Gräbern.«

Keiner meldete sich. Sie saßen da und sahen auf die Straße. Einer spuckte auf den Bürgersteig. Er tat es langsam und sorgfältig.

»Salven«, sagte er dann, »Salven, so ein Quatsch.«

»Aufsitzen«, schrie Konz.

Müde gingen sie an die Wagen und kletterten hinauf. Konz setzte sich nach vorn zu dem Fahrer. Beijerke und Gühler saßen allein auf dem Wagen. Beijerke sagte:

»Jetzt sind wir sie los!«

»Wen?«

»Die Holzkreuze«, sagte Beijerke. Langsam fuhren die Wagen aus der Stadt hinaus nach Süden.

II

Es gab Erbsen mit Schweinefleisch. Das Fleisch war fett und frisch. Sie aßen es aus ihren Kochgeschirren. Das Fett lief triefend aus ihren Mundwinkeln. Die Kolonne stand auf der Straße. Auf den Wagen grunzten die erbeuteten Schweine. Von jenseits der Straße schoß italienische Artillerie. Die Einschläge saßen hinter ihnen in dem dichten Buchenwald. Gühler lag neben Beijerke im Straßengraben. Gühler sagte:

»Wenn die Amerikaner hinter uns landen, sind wir fertig.« Beijerke sagte nichts.

Er hatte das Kochgeschirr voll Schweinefleisch vor sich.

»Mensch, friß«, sagte er, »so gut werden wir’s nicht wieder haben.« Gühler lag auf dem Rücken. Er schüttelte den Kopf.

»Es ist mir zu fett«, sagte er.

Sie trugen die Ärmel hochgekrempelt wie bei einer schweren Arbeit oder vor einem großen Schlachten. Beijerke stülpte das leere Kochgeschirr um.

»Das war vielleicht ein Fraß«, sagte er.

Die Abschüsse der Artillerie hinter den sanft gewellten Hügeln jenseits der Straße verstummten allmählich.

»Fertigmachen«, schrie Hahnemann von der Straße. Gühler sprang auf.

»Los, Beijerke, die hauen wieder ab.«

Die Kompanie trat in dem Graben neben der Straße an. Sie gingen an ihren Wagen und rissen die MGs herunter. Dann stellten sie sich zu den anderen.

»Laßt euch nicht erwischen«, schrie einer der Fahrer.

Sie gingen, einer hinter dem anderen, den Graben entlang. Die Wagen blieben hinter ihnen auf der Straße stehen. Zerbeulte Stahlhelme, Fetzen von zerrissenen Uniformen und zerbrochene Gewehre lagen im Graben. Auf der Straße standen zerschossene Wagen. Sie gingen um den Kadaver eines toten Pferdes herum, der aufgedunsen in der brütenden Sonne lag. Die Sonne stand halb in ihrem Rücken. Sie brannte heiß durch die Uniform. Der Schweiß lief über den Bauch zwischen die Beine und machte das Gehen schwer. Gühler fühlte, wie es ihn langsam nach unten zog. Das MG schnitt in seine Schulterblätter. Die Kästen hingen schwer auf seinem Rücken.

»Mach nicht schlapp, Gühler«, sagte Beijerke, der hinter ihm ging.

Auf der Straße zogen italienische Soldaten vorüber. Sie zogen rückwärts nach dem Norden. Sie gingen in Hemden ohne Uniformröcke. Sie hatten keine Gewehre, keine MGs und keine Stahlhelme mehr zu tragen.

»Krieg vorbei, alles kaputt«, riefen sie.

»Die haben’s gut«, sagte Beijerke.

Gühler versuchte das MG auf die andere Schulter zu legen. Die Kästen fielen zu Boden. Hart schlugen sie auf die Erde.

»Beinahe auf die Beine«, schrie Beijerke, »Mensch, paß auf.«

»Ich kann nicht mehr«, sagte Gühler.

»Los, los«, schrie es hinter ihnen, »was ist denn los da vorn?«

»Gib die Kästen her«, sagte Beijerke, »erst kein Fleisch essen und dann schlapp machen. So ist’s richtig.«

Beijerke nahm die Kästen und warf sie sich über die Schulter.

»Weiter da vorn«, schrie es wieder hinter ihnen.

»Gib mir die Kästen zurück«, sagte Gühler.

»Quatsch«, sagte Beijerke und stieß ihn in den Rücken.

Gühler taumelte nach vorn. Dann gingen sie schweigend weiter. Sie gingen Stunde um Stunde. Die Sonne stand flach am Horizont. Der Abend kam mit den Schatten, die zwischen den Häusern am Rand der Straße lagen. Immer noch zogen Scharen von italienischen Soldaten an ihnen vorüber nach Norden. Sie kamen an eine Kaserne. In ihren Fenstern spiegelte sich die untergehende Sonne. Vor der Kaserne blieben sie stehen. Beijerke ließ die Kästen in den Graben fallen. Auf dem Hof der Kaserne wimmelte es von deutschen Soldaten. Einer ging an ihnen vorbei. Er hatte zwei Fotoapparate unter dem Arm.

»Woher?« schrie Beijerke.

Der andere wies mit dem Daumen hinter sich auf die Kaserne.

»Ihr kommt zu spät«, sagte er dann, »alles schon leer.«

Gühler setzte sich in den Graben. Seine Füße brannten in den Stiefeln.

»Weiter«, brüllte jemand vorn.

Sie erhoben sich und gingen über die Straße eine kleine Anhöhe hinauf. Der Weg, der auf den Hügel führte, war sandig und heiß. Sie gingen krumm und gebeugt wie Lasttiere. Ihre Stiefel knirschten im Sand. Auf der Anhöhe kam der Befehl zur Rast. Sie warfen sich auf die Erde. Gühler sagte:

»Hast du was zu trinken?«

»Nichts, nicht einen Tropfen«, sagte Beijerke.

Konz kam auf sie zu.

»Los«, sagte er, »wir müssen uns eingraben.«

»Warum?« sagte Beijerke und drehte sich auf den Bauch.

»Dreh mir nicht den Arsch zu. Los, mach hin.«

»Das hat uns noch gefehlt«, sagte Gühler.

Sie erhoben sich und machten ihre Spaten los. Auf dem Hügel krochen die Schatten der Dämmerung langsam über die Felder. Sie saßen auf ihren Knien und begannen zu graben.

»Da rechts sind ein paar Häuser. Ich habe sie vorhin gesehen. Sieh mal zu, ob du dort etwas Wasser findest. Ich verrecke vor Durst«, sagte Beijerke.

Gühler nahm das Kochgeschirr und ging in die Felder. Vor den Häusern standen drei Panzer. Der Hof war zerfahren und aufgewühlt. Die Panzer standen leer und verlassen da. Ihre Ketten waren zerschossen. Einer der Panzer war leergebrannt. Gühler sah in den Panzer hinein und ging um ihn herum. Plötzlich blieb er stehen. Vor ihm stand ein italienischer Offizier. Er stand auf seine Maschinenpistole gestützt, die mit ihrem Lauf im Boden stak. Seine Hände umklammerten den Kolben. Seine Haare waren festangeklebt und glänzten schwarz. Über seinen Schultern hing eine dünne Lederjacke. Gühler stand da und starrte ihn an. Dann ging er langsam näher. Der andere rührte sich nicht.

»Er ist tot«, dachte Gühler.

Er drehte sich um und lief zurück.

»Hast du kein Wasser?« sagte Beijerke.

Er stand in einem kleinen Loch und riß mit seinem Spaten die Erde los. Gühler sah ihn an.

»Es gibt kein Wasser, nirgends ist Wasser«, sagte er. Er nahm den Spaten und begann zu graben. Er grub schnell und regelmäßig.

»Warum so hastig«, sagte Beijerke.

»Es wird dunkel, merkst du es nicht.«

Er warf einen Spaten Erde nach dem anderen aus dem Loch.

»Es soll bis zum Hals reichen. Panzerloch«, sagte Beijerke. Sie gruben ununterbrochen.

»Fliegergefahr«, schrie Hahnemann über das Feld. Ein italienisches Flugzeug kam tief über den Hügel. Es schoß mit einem langsamen MG. Beijerke lachte. Er sprang in das Loch und setzte sich den Stahlhelm auf.

»Scheißding«, sagte er, »so ein Scheißding.«

Dann gruben sie weiter. Konz kam über die Felder gerannt.

»Aufhören«, schrie er, »aufhören. Wir müssen weiter.«

Gühler warf den Spaten auf die Erde.

»Ihr seid verrückt geworden, ihr alle. Warum habt ihr denn erst die Löcher graben lassen?«

»Ich kann nichts dafür. Ich nicht«, sagte Konz.

Beijerke kroch aus dem Loch. Er klopfte sich den Sand von der Hose und sagte:

»Du kannst nie dafür.«

»Befehl«, sagte Konz.

Sie säuberten ihre Spaten und steckten sie in die Futterale.

»Sie sammeln sich schon«, sagte Konz, »los, macht hin.«

Er lief über die Felder zurück.

»Vogelscheuche«, sagte Beijerke.

Sie machten sich fertig. Die anderen gingen an ihnen vorbei. Sie gingen wieder schweigend hintereinander. Keiner sagte ein Wort. Gühler fühlte das Koppel schmerzend an seinen Hüften.

»Laß die laufen, wir haben Zeit«, sagte Beijerke.

Dann gingen auch sie den Hügel hinunter. Die Nacht kam ihnen von der Straße herauf entgegen. Sie kroch langsam über den Hügel und fraß Häuser, Menschen und Bäume auf.

Auf der Straße vor der Kaserne standen ihre Wagen. Sie kletterten auf die Wagen und fuhren wieder durch die Nacht. Beijerke nahm die eisernen Rationen aus dem Gepäck der Gefallenen.

»Die fressen wir auf«, sagte er.

Sie nahmen sich jeder eine Büchse und öffneten sie.

»Es ist Schweinefleisch«, sagte Beijerke.

Gühler sagte nichts. Er nahm die Fleischstückchen aus der Büchse und stopfte sie in den Mund.

Sie fuhren durch eine Stadt.

»Das muß Rom sein«, sagte Gühler.

Die Kolonne hielt an einer Brücke. Konz kam aus dem Führerhaus des Wagens gekrochen.

»Wo stecken wir eigentlich«, sagte Gühler.

Konz zuckte mit der Schulter.

»Weiß nicht«, sagte er.

Hahnemann kam an den Wagen entlang.

»Es geht weiter«, sagte er, »hier haben schon die Fallschirmjäger aufgeräumt.«

Gühler zog sich die Decke über den Kopf. Die Nacht kam ihm plötzlich kalt und unheimlich vor.

»Aufgeräumt«, dachte er, »aufgeräumt mit der Sehnsucht nach Frieden, mit den Menschen, die müde waren, aufgeräumt, das heißt erschlagen, erschossen, gehängt.«

Er zog die Decke fest um sich und versuchte einzuschlafen. Neben ihm schnarchte Beijerke.

Als sie erwachten, bog die Kolonne von der Straße ab. Die Sonne stand flach über dem Horizont. Vor ihnen erhob sich ein Wald. Sie fuhren in den Wald hinein. Ihr Wagen blieb zwischen zwei Bäumen im dichten Gestrüpp stehen. Konz kam aus dem Führerhaus geklettert und sagte:

»Hier läßt sich’s aushalten.«

Sie stiegen vom Wagen und liefen zwischen den Bäumen herum. Über den Bäumen war in kleinen Fetzen der blaue Himmel zu sehen. Der Fahrer steckte sich eine Zigarette an.

»Rauchen einstellen«, schrie es von der anderen Seite des Waldweges.

»Blödsinn«, sagte der Fahrer.

Hahnemann kam und sagte:

»Los, ihr müßt euch gleich fertig machen. In der Stadt vor uns liegen Itaker. Wir greifen an. Gühler übernimmt den Wagen und bleibt hier. Der Fahrer wird zum ersten Zug versetzt.«

»Ich bin ein schlechter Fahrer«, sagte Gühler.

Hahnemann drehte sich um.

»Ist doch jetzt scheißegal«, sagte er.

Konz und Beijerke nahmen die MGs von dem Wagen, setzten sich ins Gras und machten sie fertig.

»Fertigmachen«, schrie es von drüben jenseits des Waldweges. Konz nahm die Kästen auf.

»Wir nehmen nur ein MG mit, das genügt«, sagte er. Beijerke nahm das MG über die Schulter. In seinen Augen war eine flackernde Unruhe. Er sah Gühler an und sagte:

»Na, denn mach’s gut.«

»Ihr auch«, sagte Gühler.

Beijerke ging mit seinen schweren Schritten durch das Unterholz. Konz ging mit den Kästen hinter ihm her. Gühler lief zu dem Weg hinüber, auf dem die anderen aus dem Wald zogen. Sie gingen an ihm vorbei, einer nach dem anderen. Keiner fluchte, niemand lachte. Sie gingen gebeugt unter den schweren MG-Kästen. Ihre Gesichter unter den Stahlhelmen wirkten gleichmäßig und einförmig wie die Gesichter der Toten. Der Sand des Waldweges stäubte unter ihren Stiefeln.

Hahnemann ging an ihm vorbei.

»Paß auf den Wagen auf«, sagte er.

»Ja«, sagte Gühler.

»Der hat’s gut«, sagte einer.

Gühler drehte sich um und ging zu seinem Wagen zurück. Er setzte sich in das Führerhaus und wartete. Nach einer Stunde kam der Befehl zum Abmarsch.

Sie fuhren in die Stadt. Wieder zogen waffenlose italienische Soldaten an ihnen vorbei.

»Krieg kaputt, alles kaputt«, schrien sie.

Sie fuhren an den schweigenden Geschützen der Stadtverteidigung vorbei. In dem Vorgarten eines Hauses saßen Konz und Beijerke. Sie saßen da und sonnten sich. Gühler riß die Wagentür auf.

»Was ist los?«

»Nichts, alles in Butter«, sagte Beijerke.

»Und die Itaker?«

»Haben sich ergeben.«

»Was ist das hier für ein Nest?« sagte Gühler.

»Nettuno.«

»Und was macht ihr jetzt?«

»Sicherung«, sagte Beijerke und grinste.

Sie saßen auf der Treppe und winkten ihm zu. Hinter ihnen zwischen den Häusern war das Meer sichtbar. Konz hatte seine Ellbogen auf einen Treppenabsatz gestützt. Er wippte mit den Knien. Beijerke saß auf seinen Kästen. Das MG und die Stahlhelme lagen daneben.

Gühler fuhr mit seinem Wagen in die Stadt hinauf. Der Wagen vor ihm hielt vor einer Kaserne. In der engen Straße standen schreiende Menschen.

»Verpflegungskaserne«, sagte Breutzmann, der Fahrer des anderen Wagens.

Der Feldwebel mit den O-Beinen, der aussah wie ein Reitergeneral, ging in die Kaserne hinein. Er war seit gestern der Führer ihres Zuges.

»Geh mit«, sagte Breutzmann, »vielleicht gibt es was zu erben.«

Gühler ging hinter dem Feldwebel her in die Kaserne hinein. Er fand eine Flasche mit Olivenöl und brachte sie heraus.

»Na also, jetzt gehe ich«, sagte Breutzmann.

Er kam mit einem runden Käse und einigen Büchsen Maultierfleisch zurück.

»Jetzt bist du wieder dran«, sagte er.

Sie gingen abwechselnd in die Kaserne und luden alles auf ihre Wagen.

Der Feldwebel mit den O-Beinen kam aus der Kaserne zurück.

»Ist ein guter Kerl«, sagte Breutzmann, »bißchen übergeschnappt, aber sonst ganz brauchbar.«

»Kennst du ihn?«

»War in Rußland mit ihm zusammen. Ist schon in Ordnung.«

Der Feldwebel kam auf sie zu. Er hatte kleine, mausgraue Augen, die immer zu lächeln schienen.

»Ihr bleibt hier mit den Wagen«, sagte er.

»Wieso?« sagte Breutzmann.

»Ihr bleibt hier. Wir übernehmen Küstenschutz.«

»Jawoll, Herr Feldwebel«, sagte Breutzmann.

Der Feldwebel lachte. Der Rest des Zuges trat vor den Wagen an und marschierte dann die Straße hinunter.

»Tolle Gegend hier«, sagte Breutzmann. Er sah an den ärmlichen, hohen Häusern hinauf.

Sie setzten sich auf ihre Wagen und machten sich an den Käse und die Fleischkonserven.

»Schmeckt nach verfaultem Fisch«, sagte Breutzmann.

Halbangezogene Frauen standen um ihre Wagen herum. Sie hoben bettelnd ihre Hände.

Gühler nahm eine Konservenbüchse und warf sie ihnen zu.

»Lauter Nutten«, sagte Breutzmann.

Eine Frau kam auf den Wagen geklettert. Sie war lang und hager und hatte ein spitzes Gesicht. Sie bückte sich nach den Konservenbüchsen.

»Heute nacht«, flüsterte sie in gebrochenem Deutsch, »komm heute nacht. Das dritte Haus in der Straße. Ich warte. Und bring etwas mit.«

Gühler sah ihre schlaffen Brüste unter dem grellroten Kleid.

»Nutten, alles Nutten«, schrie Breutzmann wieder von dem anderen Wagen.

Gühler wandte sich ab. Der Geruch der bettelnden Frauen schien ihm plötzlich unerträglich.

»Hau ab«, sagte er.

Er stieß der Frau mit dem Knie in das Gesäß.

»Hunger«, sagte sie, »Hunger, Herr.«

Er nahm eine Konservenbüchse und warf sie ihr zu. Die Frau verzog das Gesicht. Sie weinte. Die Tränen zogen helle Striche in ihrem weißgepuderten Gesicht. Sie standen um den Wagen herum und schrien. Breutzmann saß auf dem Wagen und schnitt von dem Käse dünne Scheiben ab. Er hielt jede Scheibe hoch, ließ die Frauen danach springen, und warf sie dann auf die Straße.

»Laß den Unsinn«, sagte Gühler.

»Lauter Puffs hier in der Straße, lauter Puffs«, sagte Breutzmann.

Gühler sagte nichts. Er sah zu den Frauen hinunter und schwieg.

»Krieg kaputt, wir alle Brüder«, sagte eine der Frauen. Um ihren Mund zogen sich tiefe Falten. Gühler sah ihren rotgeschminkten Mund. Er nahm eine Konservenbüchse und warf sie ihr zu. Die Frau lachte.

»Schön wär’s ja«, sagte Breutzmann.

Gühler empfand plötzlich den Hunger der Frauen, den Hunger nach Leben, den Hunger nach Frieden. Er nahm alle Konservenbüchsen und warf sie den Frauen zu.

Ein Motorrad kam um die Ecke.

»Was ist hier los?« sagte Hahnemann.

Breutzmann lachte.

»Mensch«, sagte er, »alles Nutten.«

Gühler warf eine Konservenbüchse nach der anderen von dem Wagen herunter. Hahnemann sagte:

»Was machst du denn da?«

»Die haben Hunger.«

»Du bist verrückt. Für jede Konservenbüchse kannst du mit einer von denen schlafen.«

Hahnemanns breites, fleischiges Gesicht strahlte.

»Mach es wie wir«, sagte er und zeigte auf zwei Flaschen Olivenöl in seiner Tasche.

»Für jede Flasche einmal.«

Gühler sah Hahnemann an und schwieg. Er nahm die restlichen Konservenbüchsen und warf sie den Frauen zu.

»Ja«, sagte er dann, »du heißt nicht umsonst Hahnemann.«

»Halt dein Maul. Gib mir lieber den Käse. Ich kann ihn gebrauchen.«

»Ich auch«, sagte Gühler.

»Befehl«, sagte Hahnemann, »los, gib den Käse her.«

Die Frauen drängten sich um das Motorrad. Hahnemann nahm den Käse und legte ihn vor sich auf den Benzintank.

»Dafür kannst du die ganze Nacht, du Blödmann«, sagte er.

Die Frauen griffen nach dem Käse.

»Verdammtes Pack«, sagte Hahnemann.

»Los«, sagte der Beifahrer, »das gibt eine runde Sache.«

Hahnemann schob sein Motorrad durch die Menge. Dann nahm er seine Pistole und schoß in die Luft. Die Frauen wichen zurück.

Langsam fuhr das Motorrad die Straße hinunter.

»So eine Sau«, sagte Breutzmann.

Gühler sah dem Motorrad nach. Er kannte Hahnemann noch aus Frankreich.

»Der ist verrückt geworden«, dachte er.

»Tedesko kaputt«, schrie plötzlich eine der Frauen. Sie hob die Hände und lief auf die Kaserne zu.

Die Frauen liefen hinter ihr her.

»Tedesko kaputt, Tedesko kaputt«, schrien sie alle. Der Posten an dem Tor der Kaserne hob sein Gewehr. Die Frauen drängten auf ihn zu und stießen ihn um. Dann liefen sie durch das Tor in die Kaserne hinein.

»Die plündern die ganze Kaserne aus«, sagte Breutzmann.

»Ja«, sagte Gühler.

Aber sie blieben auf ihren Wagen sitzen und sahen den plündernden Frauen zu. Die Frauen rissen sich die geplünderten Gegenstände aus den Händen und schlugen aufeinander ein.

Immer mehr Frauen kamen aus den Häusern.

Dann fuhr ein italienischer Polizeiwagen in die Straße. Die Polizisten auf dem Wagen richteten das MG auf die Frauen. Die Frauen schrien sie an.

»Maledetto fasciste, maledetto fasciste.«

Das MG begann zu schießen.

»Die Schweine haben wir schon wieder eingesetzt«, sagte Gühler.

Die Frauen kreischten auf. Sie warfen sich auf die Straße und liefen in die Häuser.

»Hört damit auf«, schrie Gühler zu den Polizisten hinüber.

Das MG schoß weiter. Die Frauen lagen in dem Schmutz der Kasernenmauern und schrien:

»Maledetto fasciste, maledetto fasciste.«

Die Polizisten sprangen von dem Wagen und liefen auf die Frauen zu. Die Konservenbüchsen rollten aus den Taschen auf die Straße.

»Verdammt tüchtig, die Nutten«, sagte Breutzmann.

Die Frauen rannten in die Häuser. Langsam leerte sich die Straße. Eine der Frauen blieb auf dem Bürgersteig liegen. Sie schrie. Auf ihrem blaßgrünen Kleid bildete sich in der Nähe des Oberschenkels ein roter Fleck. Die Frau riß ihre Kleider hoch. Ihre zuckenden Oberschenkel hoben sich weiß von den Steinen ab.

»Die hat’s erwischt«, sagte Breutzmann.

Gühler sah das Blut auf den Bürgersteig fließen. Die Frau riß ihre Hose von den Hüften. Sie preßte ihre Hände auf den Bauch. Das Blut quoll durch ihre Finger. Es lief zwischen ihre Beine auf die Straße.

»Bauchschuß«, sagte Breutzmann.

»Ja, Bauchschuß«, flüsterte Gühler.

Aber sie blieben auf ihren Wagen sitzen und rührten sich nicht. Die Frau schrie gellend auf, wimmerte dann und schwieg. Die italienischen Polizisten nahmen sie auf und trugen sie in das Haus. Eine dichte Blutspur blieb hinter ihnen zurück. Dann wurde es still in der Straße.

In den Abendstunden fuhren sie zum Marktplatz hinunter. Vor dem Rathaus standen italienische Offiziere. Es waren die Offiziere der Artillerieschule und der Division, die in der Stadt gelegen hatte.

»Sie bringen die Offiziere nach Frascati zurück und liefern sie dort beim deutschen Oberkommando ab«, sagte Leutnant Woltmann, der die Kompanie führte. Er war schmal und blaß und sah wie ein Oberlehrer aus. Sie liebten ihn nicht. Aber bei dem ersten Gefecht mit den Italienern hatte er stehend freihändig auf die italienischen Panzer geschossen. Seitdem lachten sie wohlwollend über ihn.

Die italienischen Offiziere kletterten auf die Wagen. Gühler ging um seinen Wagen herum, prüfte die Reifen und machte die Klappe hinter den Offizieren hoch.

»Es sind dreizehn Mann«, sagte Breutzmann, »hast du sie gezählt?«

»Sind auf jedem Wagen dreizehn?«

»Ja«, sagte Breutzmann.

»Unglückszahl. Und wenn uns einer ausreißt?«

»Hast du bloß noch zwölf.«

»Und wer hat die Verantwortung?« sagte Gühler.

»Du natürlich, wer denn sonst, jeder für seine dreizehn.«

»Und keine Bewachung?«

»Nein«, sagte Breutzmann, »wir müssen hintereinander fahren und einer muß auf den Wagen des anderen achten.«

Sie stiegen in die Wagen. Gühler nahm seine Pistole und legte sie neben sich auf den Sitz.

»Ich lasse sie alle zusammen laufen«, dachte er. Aber er nahm die Pistole in die Hand und sah nach, ob sie geladen war.

Hahnemann kam und sah in den Wagen.

»Na, was machen die Weiber?« sagte er.

»Quatsch, wie weit ist es bis Frascati?«

»Achtzig Kilometer«, sagte Hahnemann.

Er warf die Wagentür zu. Langsam fuhren sie aus der Stadt. Die Nacht hockte schon auf der Straße. Gühler sah starr auf die roten Schlußlichter des Wagens vor sich. Er dachte:

»Ich habe den letzten Wagen. Wenn ich jetzt anhalte und sie aussteigen lasse, sind sie frei.«

Aber er sah auf die Pistole, die neben ihm lag.

»Wenn ich sie laufen lasse, werden sie nach Hause gehen. Irgendwo werden ihre Frauen auf sie warten.«

Der Mond ging über den Maisfeldern auf. Seine halbrunde Scheibe schwamm über den Feldern.

»Was soll schon passieren«, dachte er wieder, »dreizehn italienische Offiziere sind mir vom Wagen gesprungen, dreizehn gefangene Offiziere, die keine Bedeutung haben.«

Die roten Schlußlichter des Wagens vor ihm entfernten sich und kamen wieder zurück.

»Und keine Bewachung. Sie sind vom Wagen gesprungen und in die Felder gelaufen und ich habe es nicht bemerkt.«

Aber er tastete nach der Pistole in der Dunkelheit und fühlte ihren Lauf an seinen Händen.

Dann waren die roten Schlußlichter vor ihm verschwunden. Ein grauer Nachtnebelschwaden kroch über die Straße. Das Licht der Scheinwerfer verfing sich in dem Nebel und wurde stumpf.

»Du mußt langsamer fahren«, dachte er, aber er trat den Gashebel durch. Die Angst saß plötzlich neben ihm, eine sinnlose Angst. Der Wagen schoß nach vorn, aber die roten Augen vor ihm tauchten nicht wieder auf. Ein paar Häuser glitten vorbei, dann eine Brücke, dann wieder ein paar Häuser. Das Gefühl, allein zu sein, überkam ihn plötzlich. Er dachte:

»Jetzt kannst du sie laufen lassen, alle.«

Dann fuhr er langsamer. Er fuhr an den Straßenrand und hielt den Wagen an. Er nahm die Pistole, entsicherte sie und sprang auf die Straße.

Die Offiziere saßen dicht nebeneinandergedrängt und schliefen. Ihre Lackstiefel glänzten in dem Licht des Mondes, der jetzt orangegelb zwischen den Häusern auf den Feldern hing. Er zählte sie durch.

»Es sind immer noch dreizehn«, dachte er, »und keiner ist abgehauen.«

Er schüttelte einen der Offiziere.

»Spricht hier einer von euch deutsch?« sagte er.

»Ja«, sagte der Offizier, »ich.«

»Wie komme ich nach Frascati?«

»Ein Stück zurück. Andere Straße«, sagte der Offizier. Die Offiziere waren wach geworden. Sie redeten aufeinander ein. Dann wurden sie wieder still.

»Jetzt werden sie aufstehen, mich beiseite schieben und in die Felder laufen«, dachte Gühler.

Aber sie rührten sich nicht.

»Komm mit mir nach vorn«, sagte er zu dem Offizier, mit dem er gesprochen hatte.

Er wendete den Wagen und fuhr zurück.

»Links«, sagte der Offizier, als sie an eine Straßenkreuzung kamen.

Gühler fuhr in die andere Straße hinein.

»Kommen wir ins Gefängnis?« sagte der Offizier nach einer Weile.

»Weiß ich nicht«, sagte Gühler.

»Der Krieg ist vorbei«, sagte der Offizier wieder.

Gühler sah ihn an. Dann sagte er:

»Für euch ja. Für uns nicht.«

Sie schwiegen beide. Der Wagen fuhr durch ein paar Schlaglöcher.

»Amerikanische Bomben«, sagte der Offizier.

»Ja, amerikanische Bomben«, sagte Gühler.

»Amerika viele Flugzeuge.«

»Ja«, sagte Gühler.

»Ihr werdet den Krieg verlieren.«

»Ich weiß«, sagte Gühler. Er sah dabei auf die Straße, auf der große Bombenlöcher zu umfahren waren.

»Warum habt ihr gegen uns gekämpft. Warum habt ihr nicht auch Schluß gemacht«, begann der Offizier wieder.

»Es ist nicht so einfach wie bei euch.«

»Du auch gegen Hitler?«

»Ja«, flüsterte Gühler.

»Warum kämpfst du dann gegen uns?«

»In diesem Krieg ist man immer auf der falschen Seite.«

Vor ihnen tauchten die Schlußlichter des anderen Wagens auf.

»Wir sind in Frascati«, sagte der Offizier.

Er fuhr dicht an den anderen Wagen heran, der auf der Straße vor ihm hielt. Breutzmann stand auf der Straße.

»Wir können nicht in die Stadt«, sagte er.

»Warum?«

»Wegen Seuchengefahr gesperrt. Die Amerikaner haben die ganze Stadt zur Sau gemacht.«

»Quatsch«, sagte Gühler, »komm, wir gehen hinein.«

Sie gingen an den Wagen entlang. Die italienischen Offiziere saßen zusammengekauert auf den Wagen und schliefen. Sie gingen an hohen Schuttbergen vorbei und um große Bombenkrater herum. Vor dem Rest einer Fassade stand ein Soldat. Er stand verloren in der Nacht zwischen den Ruinen.

»Du, wo ist hier das Oberkommando«, sagte Breutzmann.

»Hier gibt es kein Oberkommando mehr.«

»Wieso?«

»Weg«, sagte der andere.

»Was heißt weg?«

»Getürmt, alles getürmt.«

Er sah Breutzmann gleichgültig an.

»Wir haben hundertdreißig italienische Offiziere auf den Wagen. Die sollen wir hier abliefern«, sagte Breutzmann.

»Hinter mir im Keller sitzen zweihundertfünfzig. Wir können keine mehr gebrauchen.«

»Ist hier niemand mehr in der Stadt?«

»Irgendwo läuft so ein Stabsfeldwebel rum. Den müßt ihr euch suchen.«

Sie gingen weiter in die Stadt hinein. Die Ruinenberge wuchsen an, je näher sie dem Marktplatz kamen.

»Viertausend Tote sollen noch unter den Ruinen liegen«, flüsterte Breutzmann.

Aus den Ruinen auf dem Marktplatz tropfte Wasser. Gühler sagte:

»Wie spät ist es?«

»Kurz vor eins.«

»Warum flüsterst du?«

»Flüstere ich?« sagte Breutzmann.

Sie blieben vor einem zerstörten Café stehen. Auf der Terrasse lagen die zerbrochenen Stühle durcheinander. »Hier haben im Sommer die Frauen gesessen«, flüsterte Breutzmann.

»Laß uns gehen«, sagte Gühler laut.

»Hast du Angst?«

»Es ist unheimlich«, sagte Gühler.

Sie hörten das Wasser aus den Ruinen tropfen. Breutzmann sagte:

»Die Frauen, wo mögen die jetzt sein?«

»Komm«, sagte Gühler.

»Schön waren die. So was hast du noch nicht gesehen.«

»Das ist lange her«, sagte Gühler.

»Ja«, sagte Breutzmann, »vier Wochen.«

Sie gingen die Promenade hinunter. Krater neben Krater gähnte ihnen entgegen.

Auf einer Bank fanden sie den Stabsfeldwebel.

»Was macht ihr denn hier?« sagte er.

»Wir haben hundertdreißig gefangene italienische Offiziere auf unseren Wagen. Die sollen wir hier abliefern«, sagte Breutzmann.

»Schlimm, sehr schlimm«, sagte der Stabsfeldwebel, »wir haben schon genug davon.«

Er ging mit ihnen durch die Stadt zurück. Die Wagen standen noch auf der Straße. Die Fahrer und die Offiziere schliefen. Sie weckten die Fahrer und fuhren durch die Stadt zurück. Es ging unendlich langsam. Die Bombenkrater hielten sie auf. Sie hielten vor einem Schloß, das auf einer Anhöhe jenseits der Stadt lag.

»Wieviel sind es denn?« sagte der Stabsfeldwebel.

»Hundertdreißig.«

Der Stabsfeldwebel öffnete das Portal des Schlosses. Die Offiziere kletterten von den Wagen. Sie sahen verschlafen und müde aus. Sie gingen einer nach dem anderen durch das Portal. Ihre Lackstiefel glänzten in der mondhellen Nacht.

Breutzmann sagte:

»Zählt sie niemand?«

Der Stabsfeldwebel hob müde die Hand.

»Wozu?« sagte er.

»Dann hätte man sie ja laufen lassen können«, sagte Gühler.

Der Stabsfeldwebel sagte nichts. Das Schild der Feldgendarmerie glänzte auf seiner Brust.

Der Offizier, mit dem Gühler gesprochen hatte, ging an ihm vorbei.

Gühler nickte ihm zu.

»Wiedersehen«, sagte der Offizier.

Gühler schwieg. Er drehte sich um und sagte: