Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Danksagung
  7. Brief an die Leser
  8. TEIL EINS
  9. Kapitel Eins
  10. Kapitel Zwei
  11. Kapitel Drei
  12. Kapitel Vier
  13. Kapitel Fünf
  14. Kapitel Sechs
  15. Kapitel Sieben
  16. Kapitel Acht
  17. Kapitel Neun
  18. Kapitel Zehn
  19. Kapitel Elf
  20. Kapitel Zwölf
  21. Kapitel Dreizehn
  22. Kapitel Vierzehn
  23. Kapitel Fünfzehn
  24. Kapitel Sechzehn
  25. Kapitel Siebzehn
  26. Kapitel Achtzehn
  27. TEIL ZWEI
  28. Kapitel Neunzehn
  29. Kapitel Zwanzig
  30. Kapitel Einundzwanzig
  31. Kapitel Zweiundzwanzig
  32. Kapitel Dreiundzwanzig
  33. Brief an die Leser
  34. Alternative Szene

Über dieses Buch

Nach einer schockierenden Tragödie liegt Shanes Welt in Trümmern. Aber er wird kämpfen – für die Frau, die er liebt, und um seine Feinde zu zerstören. Doch dramatische Wendungen, dunkle Geheimisse und ein unverzeihlicher Verrat innerhalb der Brandon-Familie kommen ans Licht und Shanes Kampf fällt härter aus als je zuvor.

Über die Autorin

New York Times-Bestsellerautorin Lisa Renee Jones verführt Leser auf der ganzen Welt mit ihren sinnlichen Liebesromanen und wurde mehrfach mit Genrepreisen ausgezeichnet. Jones lebt gegenwärtig in Colorado Springs. »Hard Rules – Deine Liebe« ist der vierte und letzte Band der mitreißenden, verführerischen und spannenden »Dirty Money«-Serie.

LISA RENEE JONES

HARD RULES

DEINE LIEBE

Aus dem Amerikanischen
von Sonja Fehling

beHEARTBEAT

 

Für meine Leser:

Danke, dass Sie sich mit mir auf diese Reise begeben haben und die Geschichte von Shane und Emily Ihnen so gut gefällt. Das hätte ich nie zu hoffen gewagt!

xoxo
Lisa

Brief an die Leser

Liebe Leser,

es ist wieder einmal Zeit: diese Zeit, die ich hasse und vor der es mir jedes Mal graut, die ich aber gleichzeitig auch genieße. Endlich dürfen Sie das große Finale von Shanes und Emilys Geschichte lesen … Zumindest für den Moment. Ich verabschiede mich nicht gern von meinen Figuren, doch erst einmal überlasse ich Ihnen meine derzeitige Version ihres Happy Ends. Das ist kein Spoiler! Immerhin ist es eine Liebesgeschichte. Aber wie die beiden dorthin gelangen … Um das zu erfahren, müssen Sie das Buch lesen! Es enthält einen emotionalen Hammer, der viel gewaltiger ist, als ich vorher gedacht hätte. Fragen Sie meinen Mann – der fand mich mehrfach weinend im Büro vor, weil mir diese Figuren so sehr ans Herz gewachsen und so wichtig für mich geworden sind. Ich weiß, Hard Rules – Dein Versprechen hat mit einem herzzerreißenden Cliffhanger geendet. Dafür entschuldige ich mich, aber es musste sein. Zwar bin ich diejenige, die in die Tasten haut, doch die Figuren bestimmen ihre Geschichte selbst.

BEVOR SIE FORTFAHREN, lesen Sie bitte erst Hard Rules – Dein Verlangen, Hard Rules – Dein Begehren und Hard Rules – Dein Versprechen (in dieser Reihenfolge). Da ein bisschen Zeit vergangen ist, seit Dein Versprechen herauskam, fasse ich die Geschichte nun noch einmal für diejenigen zusammen, die das Buch kurz nach dem Erscheinen gelesen haben. Die folgenden Absätze verraten also einiges über die ersten Bände und bereiten Sie auf den Anfang von Deine Liebe vor.

Zur Erinnerung: Band 3 setzt bei einem Familientreffen der Brandons ein, in dessen Verlauf Derek eine Drohung gegenüber Emily ausgesprochen hat. Kurz zuvor hat außerdem Adrian ein Messer in Dereks Hand gerammt, weil er von dessen Bestechung eines FBI-Agenten erfahren hatte und das FBI nun bei Brandon Pharmaceuticals herumschnüffelt – der Firma, über die Adrian seinen Drogenhandel abwickelt.

Nach Dereks nicht gerade subtiler Drohung ist Emily sichtlich geschockt, nimmt sich jedoch schließlich zusammen – tough, wie sie ist – und kehrt zum Essen zurück. Dort verkündet Brandon Senior, dass er für eine Medikamentenstudie ausgewählt wurde, die ihn von seiner Krebserkrankung heilen könnte. Damit überrascht er die gesamte Familie, bevor er noch hinzufügt, dass Maggie ihn zu der zweiwöchigen Behandlung nach Deutschland begleiten werde. In seiner Abwesenheit soll Shane die Leitung von Brandon Enterprises übernehmen, sehr zu Dereks Ärger.

Nach den bedeutenden Veränderungen in diesem gefährlichen Spiel kehren Emily und Shane in ihre Wohnung zurück, wo Adrian Martina auf sie wartet – unangekündigt und ungebeten. Er schlägt Shane einen Deal vor: Shane soll ihm dabei helfen, die »Geschäftsbeziehung« zwischen dem Martina-Kartell und Brandon Pharmaceuticals zu intensivieren, indem er eine Investition von Adrians Konsortium in seine Firma zulässt, um damit eine Marktzulassung für Martinas illegale Droge zu erwirken. Natürlich ist Shane dagegen, doch wenn er alle lebend aus diesem Kampf herausbringen will, muss er seine Karten klug ausspielen – was bei Emily allerdings nicht gut ankommt. Sie will so viel Abstand wie möglich zwischen das Drogenkartell und sich beziehungsweise Shane bringen.

Nach Adrians Abgang und einer angespannten Diskussion mit Emily über das Drogenkartell verlässt Shane die Wohnung, um mit Seth und Nick eine Strategie zu entwickeln. Sie beschließen, dass Emily nach Adrians Messerattacke gegen Derek Schutz braucht, erst recht dann, wenn sie ihren Plan ausführen, das Kartell aus BP zu drängen. Des Weiteren finden sie heraus, dass Ted – einer von Nicks Männern – seit Adrians Besuch bei Shane verschwunden ist. Natürlich ist ihnen bewusst, dass dies ein Abschreckungsmanöver von Martina ist, was sich bestätigt, als Ted während eines vermeintlichen Anschlags auf das Bürogebäude von Brandon Enterprises in einer Kiste angeliefert wird. Diese öffentliche Bloßstellung schürt Unruhe im Team und macht die Männer noch wachsamer.

Gleichzeitig muss Shane die widerliche Information verarbeiten, dass seine Mutter eine Affäre mit Mike Rogers hat – dem Hauptanteilseigner von Brandon Enterprises und Eigentümer eines national bekannten Basketballteams. Daneben findet Shane heraus, dass Mike eine feindliche Übernahme von BE plant, was noch Salz in die Wunde streut. Shane kann nicht zulassen, dass Mike oder Adrian ihm das Vermächtnis seiner Familie wegnehmen. Nachdem ihre Eltern nach Deutschland abgeflogen sind, statten Derek und Shane deshalb Mike Rogers einen Besuch ab, bei dem Mike ihnen ankündigt, die Übernahme der Firma gerichtlich durchzusetzen – nun, da ihr Vater verreist und anscheinend zu krank sei, um das Unternehmen weiter zu leiten. Derek und Shane greifen daraufhin zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Sie verbünden sich gegen ihre Gegner und entwickeln die Strategie, Brandon Pharmaceuticals (die profitabelste Tochterfirma) an Mike Rogers zu verkaufen – wodurch er vollständig unter die Kontrolle von Adrian geraten würde – und gleichzeitig das Sports Center zu kaufen, in dem Mikes Basketballteam trainiert. Letzteres soll als Investitionsobjekt für Adrians Konsortium dienen und Adrian ein weiteres Druckmittel gegenüber Mike verschaffen. Damit hätten zudem sowohl Mike als auch Adrian keinerlei Macht mehr über Brandon Enterprises.

In Band 3 begegnen wir außerdem häufiger Teresa Martina, Adrians Schwester und Dereks Freundin, die hin und her gerissen ist zwischen ihren Gefühlen: Sie liebt Derek, will aber auch nicht sein Leben dadurch in Gefahr bringen, dass sie als Schwester von Adrian Martina eine Beziehung mit ihm führt. Darüber hinaus ist einer von Adrians Männern, Ramon, geradezu besessen von ihr – und zugleich auch auf Emily angesetzt. Schließlich trennt sich Teresa von Derek, um ihn zu schützen, doch Derek ist am Boden zerstört.

All diese Ereignisse finden statt, während Emily und Shane an der Entwicklung einer nicht korrumpierbaren neuen Sparte für Brandon Enterprises arbeiten – einer Mode- und Kosmetiklinie, mit deren Hilfe sie die Verluste, die sie durch den Verkauf an Mike erleiden würden, mehr als wettmachen könnten. Bevor sie allerdings ihren Plan in die Tat umsetzen können, werden Derek – der wegen Teresa so verzweifelt ist, dass er sich betrinkt – und die vollkommen überrumpelte Emily von Ramon entführt. Der hat Wind davon bekommen, dass Adrian die Geschäfte seines Kartells durch die Investitionen seines Konsortiums legalisieren will, weshalb Ramon nicht nur wütend auf Adrian, sondern auch auf Shane ist; eine Legalisierung wäre ganz und gar nicht dienlich für seine Zwecke und stünde darüber hinaus seiner krankhaften Besessenheit von Teresa im Weg. Ramon ist extrem labil, und als Shane zur Rettung von Derek und Emily antritt, kommt es zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf Shane den gewalttätigen Handlanger tötet. Der hat jedoch kurz vorher einen Schuss auf Emily abgefeuert, während Derek sich schützend vor sie geworfen hat. Und damit sind wir bei den letzten Schreckmomenten von Hard Rules – Dein Versprechen angekommen: Shanes qualvollem Schrei, als er sieht, wie sein Bruder – mit dem er sich endlich versöhnt hat – und die Frau, die er mehr als alles andere liebt, zu Boden gehen, blutüberströmt … Genau an dieser Stelle setzt Deine Liebe ein …

xoxo
Lisa

TEIL EINS

DER SENSENMANN

Shane

Kapitel Eins

»Von jetzt an lebe ich nur noch, um dir wehzutun. Ich lebe nur noch, um dich zu quälen. Und für das hier wirst du einen langsamen, qualvollen Tod erleiden.«

Seinem Charakter als Drogenbaron und Monster entsprechend reagiert Adrian Martina weder auf den Schwur, den ich aus tiefster Kehle ausgestoßen habe, noch auf die Tatsache, dass mein Bruder und die Frau, die ich liebe, neben mir auf dem Boden liegen; blutüberströmt, genau wie ich. Doch ich reagiere. Ruckartig wache ich aus der Schockstarre auf, die mich bei ihrem Anblick befallen hat, und brülle zu Martina hoch: »Ruf einen Krankenwagen, verdammt noch mal!«, noch während ich mit den Fingern an Dereks und Emilys Hälsen nach einem Puls suche. Das kurzfristige Hochgefühl, das sich einstellt, als ich bei Emily einen Pulsschlag ertaste, verschwindet sofort wieder: Sie ist schrecklich blass und rührt sich nicht, und Dereks Herzschlag, den ich schließlich auch endlich spüren kann, ist so schwach, dass er fast gar nicht vorhanden ist.

In diesem Moment durchzuckt mich eine Vorahnung, und mein Blick schießt hoch zu Adrian – genau in dem Augenblick, als er eine Waffe zieht. Doch mir bleibt keine Zeit, ihn als feigen Scheißkerl zu beschimpfen, wie ich es gern würde, denn in dieser Sekunde hat er bereits den Lauf seiner Pistole erhoben und feuert über meinen Kopf hinweg. Der Knall lässt mich zusammenzucken. Ein Schuss. Ein zweiter. Ironischerweise – wenn man bedenkt, dass wir überhaupt nur in diese Situation geraten sind, weil Martina existiert – verspüre ich beim dritten Schuss Erleichterung, und meine Gedanken klären sich. Martina braucht mich noch, um seine Profite zu steigern, deshalb wende ich meine Aufmerksamkeit wieder den Menschen zu, die mich brauchen und die als Einzige zählen: Derek und Emily. Das feuchte, klebrige Gefühl unter meiner Hand, die auf Dereks Brust ruht, verdeutlicht mir, dass es ziemlich kritisch um ihn steht. Von diesem Moment an läuft alles in Zeitlupe ab, wie in einem Tunnel, auch wenn ich persönlich das Gefühl habe, schnell zu handeln. Ich vergewissere mich, dass Emily nicht blutet, doch sie rührt sich immer noch nicht. Dereks Puls ist kaum wahrnehmbar, und in seiner Brust klaffen zwei Schusswunden, aus denen in Strömen das Blut läuft.

»Scheiße«, stoße ich atemlos hervor, aber das Adrenalin treibt mich an, und so presse ich die Hände weiter auf die Wunden. »Ruf endlich einen verdammten Krankenwagen!«, brülle ich erneut, während ich über Derek hinwegklettere, um Emily im Blick zu behalten. Dabei sehe ich, dass Ramon zu Dereks Füßen auf dem Boden liegt. »Jetzt sofort, verflucht noch mal!«

Laut und durchdringend ruft Adrian etwas über die Schulter, bevor er sich auf der anderen Seite neben Derek kniet. »Hilfe ist unterwegs«, verkündet er. »Und das hier hat Ramon angezettelt, nicht ich«, fügt er hinzu.

Doch ich ignoriere seine Unschuldsbeteuerung. Stattdessen betrachte ich nachdenklich seinen Hals, bevor ich ihm schließlich direkt in die Augen sehe. »Krawatte her«, kommandiere ich, da meine blutdurchtränkte Jeans und das T-Shirt nicht als Druckverband für Derek taugen. Denke ich zumindest. Eigentlich hab ich keine verdammte Ahnung, was ich gerade tue.

»Drücken Sie weiter auf die Wunde«, entgegnet Adrian, während er seine Krawatte löst. »Ich ziehe die hier unter ihm durch.«

»Machen Sie schon«, gebe ich zurück und mache mir keine Illusionen darüber, warum er mir so bereitwillig hilft. Er hat Angst, dass Dereks und Emilys Sicherheit – oder eher deren Gefährdung – sich auf meine Bereitschaft auswirkt, ihm das Geld zu geben, das ich ihm versprochen habe, damit er sich verflucht noch mal aus meiner Firma zurückzieht. Sein Problem ist nur: Er wird unsere Geschäftsbeziehung nicht mehr mit einem erfolgreichen Deal abschließen. Ich werde nämlich das vollenden, was bisher niemand geschafft hat, und ihn töten – aber zuerst retten wir die Menschen, die ich liebe.

Martina ruft einem seiner Männer etwas zu, und gefühlt innerhalb von Sekunden landet ein Stapel Handtücher neben uns, die er in Streifen reißt und anschließend zusammenknotet. Gemeinsam wickeln wir die Stofffetzen fest um Dereks Brust, ein blutiger Vorgang, der mir brutal vorkommt, doch Derek spürt offensichtlich nichts davon. Bewegungslos bleibt er liegen. Zeigt keinerlei Reaktion. Weder auf die Handtücher noch die Krawatte oder die Gürtel, mit denen wir den Blutstrom zu stoppen versuchen. Gerade als wir meiner Meinung nach alles in unserer Macht Stehende getan haben, höre ich jemanden rufen: »Shane. Was zur Hölle ist hier … Mein Gott.«

Beim Klang von Erics Stimme blicke ich auf und sehe ihn in der Tür stehen, flankiert von Adrians Schlägertypen, die ihn an den Armen festhalten. Er ist noch im Schlafanzug, anscheinend war er bereits im Bett, um für seine frühmorgendlichen OPs ausgeschlafen zu sein, als man ihn überfallen und hierhergebracht hat. »Ist das etwa Ihre Vorstellung von Hilfe?«, will ich wissen, wende den Blick zu Adrian und presse die Lippen zusammen. »Er hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.«

»Er kann uns helfen«, erwidert Adrian. »Und wir brauchen Hilfe.«

»Unter Hilfe verstehe ich einen Krankenwagen«, sage ich knurrend. »Den Sie nicht gerufen haben, nehme ich an.«

»Lassen Sie mich los«, fordert Eric die Männer auf, die ihn festhalten, bevor er sich losreißt und zu Emily herübereilt. Hastig kniet er sich hin, fühlt ihren Puls und betastet ihren Schädel. »Ihr Zustand ist stabil, aber sie hat eine Kopfverletzung«, verkündet er und bewegt sich bereits in meine Richtung. »Was haben wir hier?«, fragt er und bedeutet mir, ein Stück weiter nach hinten zu rutschen, um ihm Platz neben Dereks Brust zu machen.

»Zwei Schusswunden«, erkläre ich, während ich zusehe, wie Eric zwei Finger an Dereks Hals presst. »Er hat ziemlich viel Blut verloren«, ergänze ich. »Und ich bin mir nicht sicher, ob er nicht noch mehr Kugeln abbekommen hat.«

»Es gibt keine Austrittslöcher«, fügt Adrian an. »Er muss also operiert werden. Zum Glück sind Sie Chirurg.«

Ruckartig blickt Eric zu Martina herüber. »Ohne Blutkonserven übersteht er keine OP. Und selbst wenn, das ist nicht mein Fachgebiet. Ich würde ihn umbringen.«

»Verschaffen Sie ihm einfach mehr Zeit«, weist Adrian ihn an.

»Er braucht einen Rettungswagen und Blutkonserven«, beharrt Eric. »Sehr viele Konserven, die ich nicht in meiner Tasche mit mir herumtrage. Der Rettungswagen hätte längst vor mir hier sein müssen.«

»Haben Sie einen gerufen oder nicht?«, will ich wissen.

»Es kommt einer«, versichert Adrian mir. »Aber bevor er hier ist, müssen wir unsere Geschichte absprechen. Bleiben Sie bei der Wahrheit. Ramon war wegen Teresa eifersüchtig auf Derek. Sie wiederum sind wegen Derek mit ihm aneinandergeraten, und wir nehmen an, Ramon hatte es auf Emily abgesehen, um sich an Ihnen zu rächen.« Martina schnipst mit den Fingern, woraufhin einer seiner Männer vortritt. »Martin hier hat ihn erschossen, um uns zu schützen.«

»Sie haben ihn erschossen«, berichtige ich ihn.

»Ich habe ihn erschossen«, versichert mir der andere Mann.

In diesem Moment ertönt nicht weit entfernt Sirenengeheul. »Ihr Krankenwagen«, sagt Adrian. »Wie versprochen.«

Mit verengten Augen sehe ich ihn an. »Wenn Sie wussten, dass der Krankenwagen kommt, warum ist Eric dann hier? Was sollte der Vorschlag, dass er Derek operiert?«

»Ich bin gern auf alle Möglichkeiten vorbereitet«, antwortet Martina, und bevor ich Erics Beobachtung wiederholen kann, dass der Rettungswagen noch vor ihm hätte eintreffen müssen, fügt Adrian hinzu: »Und der furchtbare Zustand Ihres Bruders ließ annehmen, dass er nicht mehr viel Zeit hat.«

»Woran Sie nicht ganz unschuldig sind«, entgegne ich und stehe im selben Moment auf wie er. Ich spüre, wie meine Selbstbeherrschung, an die ich mich die ganze Zeit klammere, langsam zu bröckeln beginnt. »Und wir wissen doch beide«, fahre ich fort, während wir einander über den Körper meines Bruders hinweg finster anstarren, »was ›verschaffen Sie ihm Zeit‹ in Wahrheit bedeutet: dass Sie erst noch irgendwas zu vertuschen hatten, bevor Sie Hilfe angefordert haben.«

»Aber es wurde ein Krankenwagen angefordert«, wiederholt er in einem Tonfall, der so scharf ist wie die Emotionen, die sich wie Messerklingen in meine Brust bohren.

»Nur nicht sofort«, gebe ich zurück. Dann verliere ich endgültig die Kontrolle und will mich auf ihn stürzen, doch Eric hält mich an den Schultern zurück.

»Derek«, mahnt er. »Denk an Derek.«

»Ich denke an Derek«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und an Emily.«

»Später«, beschwört Eric mich. »Mach das später.«

Irgendwo im Gebäude erheben sich Stimmen, und plötzlich stürmen Sanitäter in den Raum, durchbrechen die knisternde Spannung in der Luft und verbreiten stattdessen eine Atmosphäre von Dringlichkeit und Chaos. Ich weiche zurück, um den Männern Platz zu machen, und Adrian tut es mir gleich. Eric dagegen bewahrt in dem ganzen Tumult Ruhe und hilft den Sanitätern. Ich werde noch weiter zurückgedrängt und finde mich schließlich neben Adrian wieder. Gemeinsam sehen wir den Männern bei ihrer Arbeit zu, aber für mich ist Martina gar nicht anwesend. Es gibt nur noch mich, mich allein, und ich warte darauf zu erfahren, ob die Frau, die ich heiraten will, und der Bruder, den ich trotz aller Schwächen liebe, weiterleben oder sterben werden.

Ich beobachte, wie die Sanitäter fieberhaft versuchen, sowohl bei Derek als auch bei Emily eine Infusion zu legen, und einer von ihnen verlangt rufend nach weiteren Blutkonserven. Als Derek und Emily auf Tragen in Richtung zweier verschiedener Rettungswagen gerollt werden, trete ich draußen vor das Restaurant.

»Du kannst nur einen von beiden begleiten«, sagt Eric zu mir. »Ich fahre bei Derek mit, falls er Hilfe braucht. Begleite du Emily.«

Mit diesem Angebot erspart er mir die qualvolle Entscheidung zwischen den beiden, und dankbar nicke ich ihm zu, bevor ich zu Emily hinüberhaste. Aus irgendeinem Grund sieht der Sanitäter, der gerade dabei ist, ihre Infusion zu justieren, alles andere als zufrieden aus. »Ich bin ihr Ehemann«, sage ich ohne den Hauch eines Zögerns. »Gibt es irgendein Problem, abgesehen von der Kopfverletzung?«

»Ich sorge nur dafür, dass die Infusion richtig läuft«, antwortet der Sanitäter, ohne den Blick von Emilys Arm zu heben. Angespannt nehme ich ihre zarte, schmale Hand. Sie ist kalt, und ihr Gesicht ist so bleich, dass es mir das Herz bricht. Ich beuge mich vor, bis mein Mund dicht neben ihrem Ohr ist. »Ich brauche dich. Du darfst mich nicht verlassen. Das ist ein Befehl.«

»Wir müssen sie jetzt in den Krankenwagen verladen«, sagt der Sanitäter, während neben mir ein Kollege von ihm auftaucht und mich erneut von der Frau fortdrängt, die ich liebe und die ich nun jemand anderem anvertrauen muss. Das bringt mich fast um. Ich bin kurz davor, den Verstand zu verlieren.

»Shane.«

Abrupt drehe ich mich um und sehe Eric vor dem Wagen stehen. »Er fragt nach dir. Komm. Ich fahre mit Emily.« Gerade wird Emilys Trage in den Rettungswagen gehoben, und als ich mich wieder Eric zuwende, steht der direkt vor mir.

»Sein Zustand ist sehr kritisch«, warnt er mich und legt mir die Hand auf die Schulter, doch es fühlt sich an, als würde er mir einen Dolch in die Brust rammen. »Sei für ihn da«, ermutigt er mich. »Ich kümmere mich um Emily.« Eindringlich schaut er erst den Sanitäter an, dann mich. »Geh schon, bevor sie uns beide hier stehenlassen.« Damit steigt er in den Krankenwagen, in dem Emily liegt, und ich sehe zu, wie die Türen von Dereks Wagen sich schließen.

»Halt!«, rufe ich und sprinte vor. »Ich bin sein Bruder. Ich fahre mit Ihnen.«

»Shane?«, erkundigt sich der Sanitäter.

»Ja. Shane.«

Bestätigend nickt er mir zu, öffnet die Tür einen Spaltbreit und weicht ein Stück zurück, um mich hereinzulassen. Ich klettere in den Innenraum und muss gar nicht erst fragen, woher der Sanitäter meinen Namen kennt. »Shane«, murmelt Derek stöhnend auf seiner Trage. Er hat die Augen zu und ist an einen Monitor zu seiner Rechten angeschlossen, sodass der Sanitäter Platz schaffen muss, damit ich auf Dereks linker Seite stehen kann.

»Ich bin hier«, sage ich und knie mich neben ihn, während die Türen mit einem donnernden Knall geschlossen werden und Sirenengeheul die Luft zerreißt, um zu verkünden, dass der Tod unterwegs ist. »Ich bin hier«, wiederhole ich.

Dereks Lider flattern, dann öffnet er die Augen. »Shane«, flüstert er, aber auch wenn er mich anschaut, bin ich mir nicht sicher, ob er mich wirklich sieht.

»Ja«, antworte ich. »Shane. Ich bin’s. Ich bin da.« Sanft nehme ich seine Hand in meine. Sie ist kalt. Verdammt kalt. »Ich bin da«, wiederhole ich, weil ich – obwohl ich ihm so gerne sagen würde, dass alles gut wird, und obwohl unsere Familie so verkorkst ist – ihn noch nie angelogen habe. Also fange ich auch jetzt nicht damit an. Aber vielleicht sollte ich das. Vielleicht ist eine bittersüße Lüge genau das, was er jetzt hören muss.

»Emily?«, fragt er.

»Ihr Zustand ist stabil.«

»Was … Was …«

»Sie hat sich am Kopf verletzt.«

»Verdammt«, flucht er, und auf seiner Lippe sammelt sich Blut. »Ich hab versucht …«

»Du hast ihr das Leben gerettet«, versichere ich ihm. Seine Worte und seine Verzweiflung beweisen mir, dass ich recht hatte: Er hat sich vor sie geworfen, um sie vor den Kugeln zu schützen. »Sie hat sich einfach nur den Kopf angeschlagen, aber sie wird sich davon erholen.« Ich weigere mich, diese Worte als eine der Lügen zu betrachten, die ich ihm nicht auftischen wollte.

»Ich wollte nicht … Die Situation ist nur … außer Kontrolle …«

»Ich weiß«, besänftige ich ihn, werfe einen Blick in Richtung Monitor und stelle besorgt fest, wie niedrig sein Blutdruck ist. »Wir schaffen das«, füge ich hinzu und wende meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu.

»Mach Martina fertig«, wispert er mit entschlossenem Gesichtsausdruck. »Rette … unsere Firma.«

»Das machen wir zusammen, wenn es dir besser geht.«

»Versprich es mir. Versprich mir … dass du … sie rettest …«

Ich drücke seine Hand. »Derek.«

»Versprich es mir, verdammt.«

»Ich verspreche es«, sage ich und hasse die Endgültigkeit, die in seinen Worten liegt.

Dereks Lider senken und heben sich. »Teresa … Sag Teresa, dass … ich … sie liebe …«

»Das kannst du ihr selbst sagen.«

»Sag es ihr, Shane.« Um seine Lippen zieht sich ein weißer Rand, der breiter zu werden scheint. »Bitte.«

»Das mache ich«, verspreche ich ihm. »Ich sage es ihr.«

»Noch … eine letzte … Sache …«

»Okay«, entgegne ich, während das Wort »letzte« sich wie ein Sägeblatt durch meinen Körper fräst. »Was denn?«

»Sag Pops … Sag ihm … wir sehen uns in der Hölle, und da … ist er nicht der King.« Erneut senken sich seine Lider, und seine Miene entspannt sich, als hätte er durch unsere Unterhaltung seinen Frieden gefunden. Vielleicht ist er aber auch nur bewusstlos. »Ist sein Blutdruck kritisch?«, erkundige ich mich an den Sanitäter gewandt.

»Ja«, antwortet der Mann. »Aber wir können nicht viel tun, bis wir im Krankenhaus sind.«

»Wie lange dauert das noch?«

»Fünf Minuten.«

Weitere fünf Minuten, in denen ich keine Ahnung habe, wie es Emily geht, und bete, dass ich nicht zusehen muss, wie mein Bruder stirbt. Das ist die Hölle. Genau in der Sekunde, als ich den Gedanken beende, wird die Linie auf Dereks Monitor flach.

Kapitel Zwei

Die nächsten Minuten sind der Beweis dafür, dass es die Hölle auf Erden wirklich gibt.

Geschockt sehe ich zu, wie die Sanitäter Derek bearbeiten, und als wir in die Einfahrt des Krankenhauses biegen, haben sie es irgendwie geschafft, Dereks Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Er atmet, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es noch tue. Noch bevor der Wagen zum Stehen kommt, werden bereits die Türen aufgerissen, und ich beeile mich, so schnell wie möglich aus dem Weg zu gehen, springe aus der Kabine und erlaube den Sanitätern, Dereks Trage und damit auch ihn aus dem Fahrzeug zu bugsieren. Sofort versammelt sich eine Traube von Menschen um ihn, Anweisungen werden gebrüllt und die Trage wird auf den Eingang des Krankenhauses zugerollt.

Ich muss mein Tempo verdoppeln, um Schritt zu halten, während ich gleichzeitig Ausschau nach Emilys Krankenwagen halte und sich eine eiserne Faust um mein Herz legt, weil sie nicht da ist. »Wo zum Teufel bleibt sie?«, murmle ich vor mich hin und hole mein Handy aus der Hosentasche, als unvermittelt Seth vor mir auftaucht.

»Was zur Hölle ist da im Restaurant passiert?«, will er wissen. Ich sehe ihn zum ersten Mal, seit Ramons Männer ihn davon abgehalten haben, mich in Martinas Restaurant zu begleiten.

»Abgesehen von ihrem derzeitigen Zustand«, erkläre ich, »hat mein Bruder sich vor Emily geworfen und so einige Kugeln kassiert.« Energisch suche ich Erics Nummer in meinem Handy, als er vor uns durch die automatischen Glastüren tritt. Seine Kleidung ist mit Blut beschmiert. »Wo ist Emily?«, will ich sofort wissen und stecke das Handy wieder in meine blutdurchtränkte Hosentasche.

»Sie wollen einige Untersuchungen mit ihr machen«, berichtet er. »Aber jemand muss ihre Aufnahmepapiere unterschreiben.«

Mit einem Nicken gehe ich an ihm vorbei in die Notaufnahme und steuere auf den Empfangstresen zu, hinter dem eine Frau im OP-Kittel steht. »Mein Bruder und meine Frau sind gerade eingeliefert worden«, sage ich und zögere nicht eine Sekunde, diese verwandtschaftliche Verbindung zu Emily vorzugeben, aus persönlichen und rechtlichen Gründen. Sie mag vielleicht noch nicht meine Frau sein, aber wenn es nach mir geht, wird sie es bald sein. Falls sie mich nach all dem überhaupt noch will. Falls ich es überhaupt wagen darf, zu glauben, dass ich sie immer noch verdient habe.

Die Empfangsdame betrachtet mein blutbeflecktes T-Shirt, bevor sie mit unbewegter Miene sagt: »Ich brauche die Daten Ihrer Krankenversicherung oder Ihre Kreditkarte.«

Ich hole mein Portemonnaie aus der Hosentasche und schiebe die Daten unserer Unternehmenskrankenversicherung sowie meine schwarze American Express über den Tresen. Darauf folgen eine Reihe von Fragen und das Ausfüllen diverser Formulare. Ich sorge dafür, dass Derek und Emily auf der Privatstation untergebracht werden – dort, wo sich die Elite vor der Presse versteckt. Denn momentan ist das Letzte, was wir gebrauchen können, dass die Presse unsere Familie mit einem Drogenkartell in Verbindung bringt. Als ich endlich alles erledigt habe, was es zu erledigen gibt, höre ich hinter mir jemanden »Mr Brandon« sagen.

Ich drehe mich um und sehe einen Polizisten bei Seth und Eric stehen. »Ja?«, frage ich, verärgert über das schlechte Timing und ungeduldig, weil ich endlich wissen will, wie es Derek und Emily geht.

»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

»Von mir aus dürfen Sie mich auch bitten, Ihnen das Telefonbuch vorzulesen«, entgegne ich. »Aber erst, wenn ich weiß, ob der Zustand meines Bruders und meiner Frau stabil ist.« Die Tatsache, dass ich Emily als meine Frau bezeichne, löst weder bei Seth noch bei Eric die leiseste Reaktion aus, und ich warte gar nicht erst die Zustimmung oder den Widerspruch des Polizisten ab. Stattdessen drehe ich ihm den Rücken zu und wende mich wieder an die Empfangsdame. »Ich möchte sofort wissen, wie es um die beiden steht.«

»Familie Brandon? Ich muss dringend mit jemandem von der Familie Brandon sprechen«, ruft eine Stimme in diesem Moment.

Ruckartig fahre ich herum und entdecke eine Frau in OP-Kleidung auf der anderen Seite des Raums. »Hier!«, rufe ich zurück, ignoriere den immer noch wartenden Polizisten und haste durch den vollen Wartebereich auf die Frau zu. »Ich bin Shane Brandon«, stelle ich mich vor, als ich bei ihr ankomme. »Derek ist mein Bruder. Wie geht es ihm? Und meiner Frau? Emily. Sie war …«

»Sie ist stabil, aber noch ohne Bewusstsein«, entgegnet die Krankenhausangestellte. »Momentan befindet sie sich im CT, danach wird sie aufs Zimmer gebracht.«

»Stabil«, wiederhole ich, bin aber noch nicht bereit, das als Erleichterung zu empfinden. »Sind Sie ihre behandelnde Ärztin?«

»Krankenschwester«, korrigiert sie mich.

»Und man hat Ihnen gesagt, dass ihr Zustand stabil ist?«

»Ja.«

»Was heißt das?«

»Dass ihr Zustand stabil ist«, wiederholt sie. »Und sie gerade untersucht wird. Der Zustand ihres Bruders ist allerding ziemlich kritisch. Abgesehen von dem gefährlich hohen Blutverlust ist eine der Kugeln in sein Herz eingedrungen.«

Mein eigenes Herz hört fast auf zu schlagen. »Und?«

»Er wird gerade operiert. Wenn Sie mit mir kommen möchten, können Sie es sich im privaten Wartebereich bequem machen, bis Ihre Frau und Ihr Bruder auf ihren Zimmern sind.«

»Ich habe mit dem Empfang besprochen, Derek und Emily auf die Privatstation zu verlegen«, gebe ich zurück. »Ich nehme an, das wird gerade in die Wege geleitet.«

»Wenn Sie das so besprochen haben, wird das auch so gemacht«, entgegnet die Schwester, dreht sich um, ohne meine Antwort abzuwarten, und stößt eine Doppeltür auf. Ich folge ihr, und der beißende Geruch von Krankheit und Tod steigt mir in die Nase, während Seth und Eric an meiner Seite auftauchen – zum Glück ohne den Polizisten, der offenbar wieder gegangen ist. Eigentlich sollte Eric ebenfalls nicht mehr hier sein, was ich ihm auch sagen würde, wenn die Schwester nicht in diesem Moment vor einer Tür stehen bleiben und sich zu mir – oder besser uns – umwenden würde. Ihr Blick wechselt zwischen Eric und Seth hin und her, bevor sie erneut mich ansieht. »Ich weise eine der Hilfskräfte an, Ihnen saubere Kleidung zu bringen.«

Zustimmend nicke ich, doch sie ist bereits davongeeilt. Ein Blick in das kleine, kastenförmige Wartezimmer bestätigt mir, dass es leer ist, und ich betrete den Raum, in dem etwa fünfzehn Stühle stehen – einige bilden eine Reihe in der Mitte, andere säumen die Wände rechts und links von mir. Ein hohes Fenster ist das Einzige, was das Zimmer von einem überdimensionierten Sarg unterscheidet, der mich gleichzeitig einzusaugen und umzubringen droht.

»Du musst gehen, bevor du noch tiefer in die Sache reingerätst«, sage ich und wende mich zu Eric um.

Der stößt ein bitteres Lachen aus und hebt die Hände. »Ich bin voller Blut. Noch tiefer kann ich ja wohl nicht mehr reingeraten. Und wir wissen doch beide, dass die mich heute Nacht nicht geholt haben, um mich dann einfach so wieder gehen zu lassen. Was zum Teufel war da los?«

Stumm werfe ich Seth einen fragenden Blick zu, auf den der sofort reagiert. »Ich vermute, Martina hat Sie gerade zu seinem neuen Kartelldoktor gekrönt.«

»Oh mein Gott«, entgegnet Eric mit einem Knurren und reibt sich über das Kinn, das selbst zu dieser späten Stunde noch frisch rasiert aussieht. »Nein«, fügt er dann hinzu. »Nein, dazu wird es nicht kommen. Ich hab nichts gesehen, womit er mich in der Hand hätte. Und ich hab in nichts eingewilligt.«

»Dabei ging es auch nicht um Ihre Zustimmung«, erwidert Seth. »Das war nur ein Test. Er wollte sehen, wie Sie unter Druck reagieren. Und sofern Sie nicht durchgefallen sind, was ich bezweifle, wird er sich schon die Munition basteln, die er braucht, damit Sie springen, wann immer es nötig ist.«

»Nein«, wende ich ein und begegne Erics Blick. »Das wird nicht passieren. Das war auch sicher nicht seine Absicht.«

»Was war dann seine Absicht, Shane?«, will Eric wissen.

Unwillkürlich beiße ich die Zähne zusammen, als mir bewusst wird, was für ein Scheißkerl Martina wirklich ist. »Nach dem, was heute Abend passiert ist, braucht er ein Druckmittel, um mich zu kontrollieren. Aber darum kümmere ich mich. Fahr du nach Hause.«

»Druckmittel wofür?«, hakt Eric nach. »Auf was hast du dich denn mit ihm eingelassen?«

»Derek war mit Martinas Schwester im Bett, deswegen hatte Ramon ihn auf dem Kieker«, erkläre ich, gebe ihm jedoch keine weiteren Informationen. »Genau, wie man es dir gesagt hat.«

»Und Martina ist Mitglied in einem Drogenkartell«, fügt Eric an.

»Ja«, halte ich mich erneut so weit wie möglich bedeckt.

»Und weshalb braucht er Munition gegen dich?«, bleibt er beharrlich.

Seth und ich tauschen einen Blick, bevor Seth schließlich antwortet: »Weil er nun mal so ist. So agiert er.«

Für diese Nicht-Antwort erntet er einen verärgerten Blick von Eric.

»Er will mich dazu bringen, dass ich mit ihm über deine Freiheit verhandle«, sage ich.

»Verhandle«, wiederholt Eric. »Also bin ich seine Munition gegen dich.«

»Richtig.«

»Was will er von dir, Shane?«

»Das braucht dich nicht zu kümmern, Eric«, entgegne ich bestimmt.

»Nach dem heutigen Abend kümmert es mich aber«, gibt er bissig zurück. »Ich habe ein Recht darauf, Fragen zu stellen.«

»Du hast ein Recht darauf, zuzusehen, dass du dich so schnell wie möglich aus der Sache rausziehst«, erwidere ich.

»Verschwinden Sie von hier«, drängt Seth ihn. »Weit weg. Am besten machen Sie ein paar Wochen Urlaub.«

»Ich habe OP-Termine«, widerspricht Eric. »Ich fahre ganz sicher nicht in den Urlaub.«

»Klopf, klopf«, ertönt eine weibliche Stimme, und als wir uns gemeinsam zur Tür umwenden, fällt unser Blick auf eine Frau in einem blumengemusterten OP-Hemd, die den grünen Stoff in ihren Händen hebt. »Ich hab Ihnen ein paar saubere Sachen mitgebracht.«

Während Seth auf sie zugeht und ihr die Krankenhauskleidung abnimmt, kümmere ich mich um die wichtigeren Dinge. »Haben Sie irgendwelche Neuigkeiten für uns?«

»Tut mir leid«, entgegnet sie. »Ich bin nur eine Hilfskraft. Somit hab ich leider keinerlei Informationen für Sie.« Mit diesen Worten verschwindet sie wieder im Gang, während Seth eine der OP-Garnituren Eric überreicht.

»Ziehen Sie sich um und fahren Sie nach Hause, Eric.«

Doch der ignoriert ihn und wendet sich stattdessen an mich. »Shane …«

»Fahr nach Hause, verdammt noch mal«, ordne ich an. »Dir wird nichts passieren.«

»Seth hat mir gerade noch gesagt, ich soll die Stadt verlassen«, erinnert er mich. »Das fühlt sich nicht gerade nach Sicherheit an.«

»Weil Sie nicht aufhören, Fragen zu stellen«, verkündet Seth ärgerlich. »Und das müssen Sie. Genau aus diesem Grund werde ich einen meiner Männer anweisen, Sie nach Hause zu begleiten, und wir werden Ihr Haus überwachen, bis diese Sache vorbei ist. Nicht, weil Sie Schutz brauchen, sondern damit Sie sich aus dem Ganzen raushalten.«

Wieder ignoriert Eric meinen Sicherheitschef und spricht mich an. »Wie genau wollt ihr denn dafür sorgen, dass diese Sache vorbei ist?«

»Auf meine Weise«, versichere ich ihm.

Er presst die Lippen zusammen. »Ich gehe nicht, bevor ich weiß, dass Derek und Emily stabilisiert sind.«

»Je länger du bleibst«, erwidere ich, »desto mehr Macht gewinnt Martina, dich in die Sache mit reinzuziehen.« Schwer atme ich ein, bevor ich die Luft geräuschvoll wieder ausstoße. »Hör zu, ich kann dir gar nicht genug danken für das, was du heute getan hast. Ich stehe tief in deiner Schuld und werde mich nie dafür revanchieren können. Aber du musst von hier verschwinden. Sofort.«

»Was will er von dir, Shane?«, hakt Eric erneut nach.

»Wenn er schlau ist«, sage ich, »dann, dass ich ihn weiteratmen lasse.« Ich spanne die Kiefermuskeln an. »Eric …«

»Ich gehe ja schon«, gibt er knurrend zurück. »Aber ich möchte wissen, was mit Derek und Emily ist, sobald du neue Informationen bekommst.«

»Darum kümmere ich mich«, verspricht Seth.

Schließlich nickt uns Eric widerstrebend zu und nimmt die Krankenhauskluft entgegen, die Seth ihm immer noch aufzudrängen versucht. Dann dreht er sich um und steuert auf die Tür zu. Erneut ziehe ich die Luft ein, diesmal ein wenig entspannter, kürzer. Als Eric verschwunden ist, starre ich aus dem Fenster, ohne irgendetwas hinter der Scheibe wahrzunehmen. Vor meinen Augen sehe ich nur Emilys blasses Gesicht und Dereks blutüberströmten Körper. »Du solltest dich auch umziehen«, merkt Seth an. »Die Blutflecken erinnern die Polizei nur daran, dass sie mit dir sprechen wollen.«

»Ich hätte mit ihr zu dem Essen gehen sollen«, sage ich und werfe ihm einen kurzen Blick zu, während meine Gedanken zu Jessicas panischem Anruf und den Einzelheiten zurückkehren, die sie mir am Telefon mitgeteilt hat. »Cody«, fällt mir wieder ein. »Jessica hat gesagt, sie und er hätten eine Lebensmittelvergiftung erlitten, kurz bevor Emily entführt wurde.«

»Man hat ihn hier eingeliefert, in dieses Krankenhaus, ungefähr vor zwei Stunden«, erzählt Seth. »Jessica ging es nicht annähernd so schlecht wie ihm.«

»Sie wurde nicht eingeliefert?«

»Nein, aber Cody haben sie den Magen ausgepumpt und ihm tonnenweise Medikamente eingeflößt. Und trotzdem schafft er es noch, sich nach Emily zu erkundigen. Er hat das Gefühl, er hätte sie und dich im Stich gelassen.«

»Ich hab sie im Stich gelassen«, entgegne ich, und meine Kehle fühlt sich ganz rau an bei diesem Geständnis, vor dem ich mich nicht drücke. »Ich hätte verdammt noch mal dafür sorgen müssen, dass sie die Stadt verlässt, bis die Sache mit Martina durch ist.«

»Anscheinend muss ich dich daran erinnern, warum das nicht ging. Für Martina wäre das wie ein Schlachtruf gewesen. Er hätte sie verfolgt. Er hätte …«

»Ich hab’s kapiert«, blaffe ich ihn an und werfe ihm einen scharfen Blick zu. »Ich kenne die Gründe, aber die waren nicht ausreichend.«

Seth’ Gesichtsmuskeln spannen sich an, und gleichzeitig wenden wir uns zum Fenster um. »Was ist mit deinen Eltern?«, will er schließlich wissen. »Wann willst du sie informieren?«

»Mein Vater kämpft da in Deutschland gerade um sein Leben«, gebe ich zurück. »Und meine Mutter muss ihm dabei zusehen. Egal, wie es um ihre Ehe steht, das muss die Hölle sein. Wenn ich einen von beiden jetzt anrufe, mache ich es nur noch schlimmer.«

Hinter uns entsteht eine Bewegung, und abrupt wirbeln wir herum. In der Tür steht ein Mann um die dreißig in einem grauen Anzug und mit einem Dreitagebart im Gesicht. »Mr Brandon und Mr Cage.«

»Und Sie sind?«, erkundigt sich Seth in scharfem Tonfall, und auch sein Gesichtsausdruck ist schärfer geworden.

Der Mann fasst in die Innentasche seines Jacketts und zieht eine Dienstmarke hervor. »Federal Agent Brian Dennis.«

Diese Information fühlt sich in etwa so gut an wie eine Magen-Darm-Erkrankung, wenn man bedenkt, dass ich mich monatelang bemüht habe, jegliche Verbindung zwischen dem FBI und Brandon Enterprises zu vermeiden – und nun hat mir Martina persönlich einen verfluchten Ermittler an die Arschbacken geklebt. »Was können wir für Sie tun, Agent?«, frage ich in gelassenem, ungerührtem Tonfall, während ich meine geliebte Selbstbeherrschung, die mir sonst so wichtig ist, nur noch mit Mühe aufrechterhalten kann.

Agent Dennis mustert meine blutbefleckten Klamotten, bevor er mich aus verengten Augen ansieht. »Hier geht es wohl eher darum, was ich für Sie tun kann.«

»Falls Sie mir nicht mitteilen wollen, dass mein Bruder und meine Frau wieder vollständig gesund sind, können Sie gerade nicht sehr viel für mich tun«, versichere ich ihm.

Er blickt zu Seth hinüber. »Könnten Sie uns einen Moment allein lassen?«

Seth sieht mich an, und ich bedeute ihm, sich zurückzuziehen, doch obwohl seine Miene unverändert ist, spüre ich einen Hauch von Unbehagen bei ihm – ein leichtes Zögern, bevor er in Richtung Flur davongeht. Der Ermittler nimmt auf einem der Stühle an der Wand Platz; ein offensichtlicher Versuch, mir eine überlegene Position zu überlassen und mich damit in Sicherheit zu wiegen. Das ist umgekehrte Psychologie, und mir gefällt es ganz und gar nicht, wenn man mit mir spielt. Ich hasse es, anderen die Kontrolle zu überlassen, doch genau das ist passiert, sonst würden meine Frau und mein Bruder gerade nicht mit dem Tod ringen. Um dem Ermittler seine vermeintliche Oberhandposition zu nehmen, setze ich mich in die Stuhlreihe in der Mitte des Raums, direkt ihm gegenüber.

»Okay, Agent Dennis«, beginne ich, »da Sie offensichtlich mit mir reden wollen, tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber eins sollte Ihnen klar sein: In dem Moment, in dem jemand hier hereinkommt, um mir neue Informationen zu meinem Bruder oder meiner Frau zu geben, ist unser Gespräch beendet. Also nutzen Sie die Zeit.«

Er nimmt mich beim Wort und kommt sofort zum Punkt. »Was haben Sie mit Adrian Martina zu schaffen?«

»Um genauso direkt zu sein wie Sie«, entgegne ich, »gebe ich Ihnen die Kurzversion: Mein Bruder hat sich in Martinas Schwester Teresa verliebt. Dieser Ramon war ebenfalls in Teresa verliebt, und der Rest ist ziemlich offensichtlich.«

»Das erklärt die Verbindung Ihres Bruders zu Martina, aber nicht Ihre.«

»Ich wollte, dass mein Bruder sich von Martina und dessen Umfeld fernhält«, erwidere ich. »Allerdings fand mein Bruder das nicht so toll und hat darauf bestanden, Martina wäre sauber und ich ein Arschloch, weil ich ihn mit seinem Vater über einen Kamm scheren würde – während sich unseren Vater keiner von uns beiden freiwillig zum Vorbild nehmen würde.« Da ich mir nun sicher bin, dass wir vom FBI beschattet wurden, füge ich hinzu: »Ich hab mich mit Adrian getroffen … beziehungsweise er ist bei mir aufgetaucht, um mich in seiner Familie willkommen zu heißen. An dem Tag habe ich gesehen, wer er ist. Ich wusste, ich hatte recht, was ihn betrifft, und deshalb hab ich mir den verdammten Arsch aufgerissen, um meinen Bruder von ihm und Teresa wegzukriegen.«

»Offensichtlich ist Ihnen das nicht gelungen.«

»Ironischerweise – und diese bittere Pille muss ich wohl schlucken – ist es das doch. Teresa wollte ihn ebenfalls schützen. Deswegen hat sie sich von ihm getrennt, was ihn so geschockt hat, dass er sich aus der Firma zurückgezogen hat. Er wollte die Stadt verlassen.«

Einige lange Sekunden starrt Agent Dennis mich abwägend aus seinen braunen Augen an. »Helfen Sie mir, ihn dingfest zu machen.«

»Ramon ist tot.«

»Wir wissen beide, dass ich nicht von Ramon spreche.«

Brennende, heftige Wut erfasst mich. »Um das klarzustellen«, sage ich, lehne mich vor und stütze die Ellbogen auf die Knie: »Mein Bruder und meine Frau könnten sterben, noch bevor die Nacht vorbei ist, und Sie wollen ausgerechnet diesen Moment nutzen, um mich zu einer Zusammenarbeit zu überreden?« Abrupt stehe ich auf. »Damit ist dieses Gespräch beendet.«

Dennis beeilt sich, ebenfalls auf die Füße zu kommen. »Ihre Verbindung zu Martina ist gefährlich.«

»Womit auch immer Sie mir drohen wollen: Das ist nicht nur extrem unangebracht, sondern auch der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Und egal, wen Sie sonst so mit Ihrer Dienstmarke einschüchtern können, ich gehöre nicht dazu.«

»Wir wissen doch beide, dass es bei Brandon Enterprises Grauzonen gibt, die Sie auf ein wenig zu legale Art und Weise Martina geöffnet haben.«

»Falls Sie auf eine Hexenjagd aus sind«, entgegne ich, »brauchen Sie, um gegen mich anzutreten, einen Anwalt, der genauso gut ist wie ich, und den werden Sie nicht finden.«

Seine Kiefermuskeln spannen sich an, und geräuschvoll reibt er sich über die Bartstoppeln am Kinn. »Hören Sie.« Entschlossen stützt er die Hände in die Hüften. »Ich weiß, das ist nicht der beste Zeitpunkt, aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich Martina das Handwerk legen will. Der Mann ist ein Monster, getarnt in einem Zweitausend-Dollar-Anzug.«

»In einem Zweitausend-Dollar-Anzug würde der sich nie blicken lassen. Das wäre unter seiner Würde, was mir wiederum zeigt, dass Sie nichts von ihm wissen. Sollten Sie aber, sonst legen Sie ihm nie das Handwerk.«

»Helfen Sie mir.«

»Nein«, lehne ich ab. »Meine Familie hatte schon eine Begegnung mit dem Mann, und Sie sehen ja, was dabei rausgekommen ist.«

Unsere Blicke treffen sich, und einen Moment lang starren wir einander nur an. »Ich nehme Ihnen keine Sekunde ab, dass Sie ihn damit durchkommen lassen.«

»Ramon ist dafür verantwortlich. Nicht Martina.«

»Das glauben Sie doch selbst nicht.«

»Nein, Agent Dennis. Das ist mein letztes Wort.«

»Ich werde Sie wieder fragen.«

»Sie meinen, Sie werden nach einer Möglichkeit suchen, mich zu zwingen. Aber ich kann Ihnen versprechen, die werden Sie nicht finden. Ich hab die Leitung der Firma aus gutem Grund übernommen. Wir halten uns an die Gesetze. Und das bedeutet, Sie haben bei uns nichts zu suchen.«

Einige bedeutungsschwere Sekunden lang sieht er mich an, bevor er »Alles Gute für Ihre Familie« antwortet und auf die Tür zugeht. Dann hält er jedoch inne und dreht sich noch einmal zu mir um. »Dass Sie immer noch in Ihren blutbefleckten Sachen stecken, ist, als würden Sie Ihre Selbstvorwürfe und Schuldgefühle vor sich hertragen. Vielleicht denken Sie sogar, Sie hätten es verdient. Aber so was kann gefährlich enden, wenn Sie das nicht unter Kontrolle haben. Nicht auszudenken, wohin Sie das führen könnte … und mich.«

Damit wendet er sich ab und verlässt den Raum mit dem Versprechen, mich im Auge zu behalten. Die Absicht dahinter ist offensichtlich: Er will mich dazu bringen, ihm zu helfen, aber seine Form von Gerechtigkeit will ich nicht. Ich will Rache. Süße, blutige Rache: an Martina für die Spielchen, die er mit meinem Bruder und meinem Unternehmen gespielt hat. An Mike Rogers, weil er meine Mutter gevögelt und versucht hat, unsere Firma zu übernehmen. Und an meinem verfluchten Vater, der uns alle gegeneinander ausgespielt und Martina damit eine Schwachstelle für seinen Angriff geliefert hat. Nur dass an meinem Vater bereits der Krebs Rache nimmt.

Mein Blick fällt auf die frische Kleidung, die Seth mir auf einen Stuhl gelegt hat. Ich schnappe mir den Haufen und betrete den Flur, wo Seth sich gerade auch noch mal mit Agent Dennis unterhält. Ohne die beiden zu beachten, betrete ich die Toilette gegenüber dem Empfangsbereich und schließe die Tür zu. Jetzt, da ich endlich allein bin und mich niemand mehr beobachten kann, gestatte ich mir das erste Mal, seit ich Derek und Emily in diesem Büro vorgefunden habe, richtig durchzuatmen. Erschöpft lehne ich mich gegen die Tür und presse die Augen zu. In meinen Schläfen pocht es, während der Moment, als ich Emily auf dem Boden liegen lassen musste, um mich um Derek zu kümmern, sich schmerzhaft durch meinen Kopf bohrt; gefolgt von der erneuten Erinnerung daran, wie ich sie allein im Rettungswagen zurücklassen musste, um Derek ins Krankenhaus zu begleiten. Was, wenn er überlebt und sie stirbt und ich nicht für sie da war?

Was, wenn sie beide sterben?

Abrupt stoße ich mich von der Tür ab und balle die Hände zu Fäusten. Der Drang, irgendetwas – oder irgendjemanden – zu schlagen, ist fast übermächtig. Wut und Schmerz überrollen mich. Dieses Problem kann ich nicht lösen. Ich bin hilflos. Ich hätte so vieles anders machen sollen. Unwillkürlich hebe ich den Blick zur Decke. »Bitte, lieber Gott, ich weiß, ich spreche nicht oft mit dir. Ich weiß, ich bin nicht sehr religiös, aber ich versuche, ein guter Mensch zu sein. Ich versuche, das Richtige zu tun. Bitte lass sie nicht sterben. Bitte mach sie wieder gesund.«

Mechanisch stütze ich die Hände aufs Waschbecken, und ich muss an das Blut denken, das heute vergossen wurde, und das Blut, das ich im Gegenzug fordere. »Wenn du sie leben lässt, werde ich ihn nicht töten«, schwöre ich und öffne die Augen, um in den Spiegel zu blicken. Über meine Wange ziehen sich Blutspuren, und während ich mit Blutvergießen nicht vertraut bin, ist es Adrian Martina dafür umso mehr. Wenn Derek oder Emily sterben, wird ihm mein Verlust egal sein. »Ich muss ihn töten«, sage ich und schaue erneut zur Decke. »Ich kann dir nicht versprechen, ihn nicht zu töten. Jemand muss ihn in die Hölle schicken, selbst wenn ich dafür mitkommen muss.«