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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-740-9
Keith Donogan steigt ab und bindet sein Pferd an. Er ist im Hof der Drugan-Transport-Linie.
Er hört jetzt die Schritte im Flur des Hauses, seine Hand wischt einmal wie unabsichtlich über den Kolben des Revolvers. Der Kolben ist so staubig wie der Mann Keith, der den Weg von Laramie herauf in weniger als achteinhalb Stunden zurückgelegt hat. Sein Pferd schwitzt, es ist ein heißer Tag. Und wenn es auch bald Abend sein wird, die Hitze ist noch nicht abgeklungen.
Dann ist der Mann in der Tür, ein kräftiger und großer Mann mit einem Bart, der Keith an Nelson Story erinnert. Aber es ist nicht Nelson, es ist Jim Drugan, der schärfste Konkurrent von Story in diesem Land.
Keith hat Drugan noch nie gesehen. Der erste Eindruck, den er von Drugan gewinnt, ist für alle Zukunft entscheidend. Der Eindruck ist gut, das Gesicht Drugans offen und nicht unfreundlich. Er hat ein gerötetes, von der Hitze dieses Tages verschwitztes Gesicht mit einem dünnen dunklen Bart und hellen durchdringenden Augen.
»Hallo«, sagt Drugan freundlich. »Keith Donogan, wenn ich mich nicht irre?«
»Ja«, erwidert Keith ruhig. »Das bin ich, Mr Drugan.«
»Meine Leute nennen mich nur Jim, Keith.«
Das ist knapp, aber es sagt eine Menge.
Aus diesem einen Satz entnimmt Keith, dass Drugans Brief wohlüberlegt sein muss. Drugan hat sich in den anderthalb Jahren, in denen er zum Konkurrenten von Story geworden ist, einen Namen gemacht, den Namen eines klugen und charakterfesten Mannes.
»Ja, Jim«, sagt Keith langsam und geht los. Und er ist genau wie Drugan mit ein, zwei Worten schon dabei, mehr als eine ganze Geschichte zu sagen.
Irgendwie muss das Drugan gefallen, denn er zwinkert einmal und lächelt dann.
»Ich habe immer ein wenig Angst vor dir gehabt, Donogan«, sagt er dann fast heiter und sichtlich erleichtert. »Der Abschied schwer geworden?«
Keith zieht leicht seine linke Braue hoch. Der Staub, der sich mit Schweiß vermischt hat und festgetrocknet ist, platzt auf.
»Abschied von Gittern, einem mürrischen Sheriff und zwei Deputies, die den ganzen Tag von nichts als von Mädchen reden«, sagt Keith trocken. »Ich nenne das einen leichten Abschied.«
Er ist keine acht Schritte mehr von Drugan entfernt und hört im Flur jemanden tuscheln. Sicher sind dort mehrere Männer. Bisher zeigen sie sich noch nicht, aber sie werden ihn nicht nur später betrachten, sie werden ihn genau studieren wollen.
Drugans Gesicht ist gleichbleibend freundlich, aber die gewisse Vorsicht in seiner Stimme dringt doch durch, als er sagt:
»Ich meinte nicht den Abschied vom Gefängnis, ich meinte den von Story. Er hat doch sicher gewusst, dass du entlassen worden bist.«
»Er hat mich besucht.«
»Ah! Story macht keinen Weg, wenn es sich für ihn nicht lohnt«, meint Drugan nachdenklich. »Ich bin von Natur nicht neugierig, aber ich würde gern wissen, was er von dir gewollt hat, Keith.«
»Ich sollte für ihn arbeiten.«
»Das dachte ich schon.«
Er dreht sich um, um vorauszugehen, denn Keith kennt sich hier nicht aus. Dann sieht er das halbe Dutzend Männer im Gang stehen und furcht etwas die Brauen.
Die Männer sehen den schmalhüftigen, schlanken und nicht sehr großen Keith an. Sie blicken an Drugan vorbei auf Keith. Und das mit der Neugierde und Erwartung von Männern, die einen ganz bestimmten Mann zu sehen wünschen. In diesem Fall – und das weiß Keith nur zu gut – erwarten sie, einen Mörder zu sehen.
Es ist der Augenblick, vor dem Keith seit drei Wochen eine Art von Furcht in sich getragen hat. Neue Männer, kein bekanntes Gesicht und jene Zeichen von halber Ablehnung auf den Gesichtern der Männer.
»Delecour – Harding – Warren«, sagt Drugan da auch schon vor ihm. »Da hinten ist Mike Reynolds, der die Wagen unter sich hat. Und das ist Vic Parson.«
Keith kennt Parson, das einzig bekannte Gesicht. Er ist Parson mehr als dreimal begegnet. Aber sie haben sich nie gegrüßt, seitdem Keith einmal bei der ersten Begegnung die Peitsche gesenkt und Parson seinen Gruß nicht erwidert hat. In Parsons Gesicht ist die gleiche Ablehnung wie in allen anderen Gesichtern. Die Miene von Mike Reynolds aber ist verschlossen.
»Hallo«, sagt Keith ruhig, aber ihm antwortet ein kaum verständliches Gemurmel, keine laute Begrüßung.
»Macht jetzt eure Arbeit weiter«, bestimmt Drugan kurz. »Mike, Vic, ihr kommt mit hinein.«
Durch eine Welle Schweigen geht Keith hinter Drugan her auf die Tür linker Hand zu, die offen steht und den Blick in ein größeres Zimmer mit den üblichen Regalen, Aktenordnern und spärlichem Mobiliar freigibt. Die ganze Zeit hat er das bestimmte Gefühl, dass Reynolds, der nun hinter ihm geht, auf seinen Nacken starrt.
Der Mann mag ihn nicht, das ist offensichtlich.
Drugan geht um den großen Tisch herum, der mit Stößen von Papieren, einer Petroleumlampe mit grünem Schirm und einer Flasche beladen ist. Daneben steht eine Kiste mit Zigarren, Stogies aus Wheeling, die bevorzugte Zigarre aller Frachtwagenleute.
»Also, setzen wir uns«, sagt Drugan brummig. »Zigarre, Keith?«
»Vielleicht mag er lieber Whisky?«, fragt da Reynolds so seltsam, dass Keith die Anzüglichkeit spüren muss. »Der Weg und der Staub …«
Keith sieht sich kurz um und Reynolds an, aber der blickt aus dem Fenster auf die Straße.
»Er hat Recht«, sagt er trocken. »Der Staub kann eine Plage sein und die Kehle eines Mannes austrocknen.«
Schweigend, nur einen merkwürdigen Blick auf Reynolds werfend, der angestrengt auf die Straße sieht, auf der allerdings niemand zu erblicken ist, schenkt Drugan vier Gläser voll.
»Auf die Wagen«, sagt er langsam.
»Auf die Wagen.«
Sie sagen es alle, sogar Reynolds macht keine Ausnahme.
Keith trinkt. Und dann sagt er:
»Ich kann auf einem Bein schlecht stehen.«
Er erwartet eigentlich, dass Drugan jetzt etwas sagen wird, etwas, das mit zwei Flaschen Whisky, einigen Revolvern, einer Kugel und einem Toten zu tun hat, aber Drugan schweigt und gießt das Glas noch etwas voller als vorhin.
Keiner der anderen trinkt, sie beobachten alle Keith, der das Glas ansetzt und fort ist der Whisky.
Drugan fragt: »Genug, Keith?«
»Der Staub ist fort.«
Keith stellt das Glas hin und setzt sich. Drugan korkt die Flasche zu, schiebt ihm den offenen Zigarrenkasten hin und greift nach den Streichhölzern.
Das Streichholz brennt, die Zigarrenspitze flammt kurz auf, und Reynolds sagt heiser:
»Ich würde an deiner Stelle nicht mehr trinken, Keith.«
»Mike«, versucht es Drugan hastig. »Das ist seine Sache, glaube ich.«
»Er sollte etwas gelernt haben, aber es sieht aus, als wäre …«
Keith, der ganz ruhig seine Zigarre angeraucht hat, bläst den Rauch aus, wendet sich um und blickt Reynolds starr in die Augen. »Als wäre ich dem Whisky verfallen, wie?«, fragt er dann kühl. »Reynolds, ich brauche nichts mehr dazuzulernen. Alles, was ich zu lernen gehabt habe, ist gelernt worden. Was hast du gegen mich? Vielleicht sagst du es offen. Nun, was hast du?«
»Keith, Mike, seid beide friedlich«, murmelt Drugan betreten. »Jedem Mann kann einmal ein Fehler unterlaufen.«
»Es ist kein Fehler gewesen«, antwortet Keith kurz und hart. »Ihr solltet das wissen.«
»Da haben wir es, er hat nichts dazugelernt«, meint Reynolds. »Jim, ich habe dir gesagt, dass er ein Trinker ist, dass ein Mann wie er sich niemals ändern wird. Es gibt noch mehr Männer wie ihn. Mach den Fehler, du wirst es bedauern und eines Tages für ihn bezahlen, wie Story.«
»Mein Gott«, sagt Drugan scharf. »Mike, ich muss einen Mann erst sehen, ehe ich mich entscheide. Der eine verträgt eine halbe Gallone, der andere keine drei Glas Whisky. Und Keiths Fehler kann auch dir passieren.«
»Dieser Fehler niemals«, antwortet Reynolds schnappend. »Ich habe eine Aufgabe und mache deshalb keinen Fehler. Er hätte wissen müssen, dass seine Leute sich betrinken würden, sobald er weggeht.«
»Natürlich«, sagt Keith leise. »Ich hätte es wissen müssen, aber ich habe nicht ahnen können, dass an einem Wagen ein Rad bricht, ein Fass herunterfällt und eine Daube aufklafft, aus der dann der Whisky läuft. Ich habe nicht wissen können, dass sich sonst vernünftige Männer erst Mut antrinken, um dann in die nächste Stadt zu fahren und sich restlos zu besaufen. Das kann kein Mensch voraussehen.«
»Das sagst du. Aber der ganze Grund des Übels ist doch der gewesen«, erwidert Mike Reynolds heiser, »dass da irgendein Mädchen gewesen ist, zu dem du geritten bist. Ein Wagenboss hat bei seinen Wagen zu bleiben.«
»Bist du Richter, ist dies ein Verhör?«, fragt Keith hart. »Reynolds, ich beginne, mich zu ärgern.«
Wer ihn kennt, der weiß, dass es jetzt besser wäre, den Mund zu halten, aber Reynolds kennt ihn nicht.
»Wegen irgendeines billigen Mädchens verlässt kein Wagenboss seine Wagen«, sagt Reynolds bissig. »Seine Pflicht verletzen, nachdem man den Tag über zwei Flaschen Whisky getrunken hat.«
»Sag ihm, dass er still sein soll, Jim«, sagt Keith sehr ruhig. »Ich würde ihm das jetzt sagen. Er hat kein Recht, mich anzugreifen. Ich habe für das bezahlt, was ein Fehler gewesen sein soll, aber jetzt ist es genug. Er soll seinen Mund halten.«
Reynolds stampft leicht mit dem Fuß auf. Drugan hebt beschwörend die Hände und sagt heiser:
»Mike, sei jetzt still. Ich entscheide hier, du hast nur alle Wagen unter dir, aber du fährst nicht, diese Arbeit kannst du nicht tun.«
In Reynolds Gesicht zucken die Muskeln um den Mund.
»Ich kann das nicht?«, fragt er und hört die Männer im Flur plötzlich nicht mehr, die weder an die Arbeit noch aus dem Flur gegangen sind, sondern zuhören. »Vielleicht hast du recht, Jim, aber wenn du ihn einstellst, dann werde ich etwas können, nämlich gehen.«
Drugan steht ruckhaft auf, blickt Reynolds scharf an und sagt dann:
»Bist du des Teufels, Mann? Soll das eine Drohung sein, dann überlege sie dir noch einmal.«
»Es gibt nichts für mich zu überlegen, Jim. Ich mag keine Trinker und Weiberhelden, die wegen einer billigen …«
Keith steht langsam auf. Er ist nicht so groß wie Reynolds, der ihn kalt und herausfordernd ansieht und nie bereit sein wird, etwas von seinen Worten zurückzunehmen.
»Es ist kein billiges Mädchen gewesen«, sagt Keith mit mühsam gebändigtem Zorn. »Reynolds, jetzt hältst du den Mund, ich weiß immer, wie viel ich trinke.«
»Du kannst andere belügen, aber nicht mich, du Trinker. Für mich bist du ein …«
Er muss darauf eingestellt sein, denn kaum macht Keith eine Bewegung, als Reynolds einen heftigen, scharfen Schritt zur Seite macht, ausholt und zuschlägt. Es ist nicht sicher, ob Keith überhaupt einen Angriff beabsichtigt hat. Vielmehr hat Drugan den Eindruck gewonnen, als wolle Keith seinen Hut nehmen. Und da kommt die Rechte von Reynolds und trifft Keith links über dem Mund.
Keith nimmt blitzschnell die Hand hoch, sein Kopf ist zurückgezuckt und hat dem Schlag sicher die meiste Wucht genommen. Trotzdem ist Keiths Oberlippe knapp neben dem Mundwinkel aufgeplatzt. Die Lippe blutet.
»Mike«, sagt Parson verstört. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Zum Teufel«, brüllt Jim Drugan wütend. »Ich lade einen Mann in mein Haus ein, um ihn schlagen zu lassen? Jim, ich befehle dir …«
Er könnte genauso gut mit einem Taubstummen zu reden versuchen.
Mike Reynolds hat kaum die Rechte eingesetzt, als er auch schon die Linke hinterherschlägt.
»Well«, sagt Keith mit einem Ton, der irgendwie bitter klingt. »Nun dann.«
Er weicht aus.
Es ist Drugan, der die Schnelligkeit Keiths in einer halben Sekunde erkennt und Dinge ahnt, die nicht gut für Reynolds sind. Als Mann, der viele Kämpfe gesehen hat, macht Drugan nicht den Fehler, sich einzumischen, denn dafür ist es ohnehin zu spät.
Donogan duckt ab. Und der Schlag, den Reynolds mit aller Wucht führt, streicht knapp über seine linke Schulter hinweg. Drugan erkennt deutlich das, was Reynolds anscheinend nicht sieht: Keith duckt und dreht sich. Er schiebt etwas die linke Schulter vor. Diese Bewegung ist es, die Reynolds blockt und den ersten vernichtenden Angriff Keiths einleitet.
Reynolds, den die Wucht des fehlgehenden Schlages nach vorn reißt, versucht zu klammern, er streckt die Hand hastig aus. Sein linker Arm liegt über der Schulter von Keith. Reynolds will herum, um mit der Rechten Keith zu greifen, aber Keith wirbelt plötzlich weg.
Es ist die Linke, die herausfliegt und Reynolds erwischt. Der Hieb, so kurz er auch angesetzt ist, wirft Reynolds nach hinten. Er taumelt an die Tür. Dort versucht er den alten Beintrick, aber Keith ist darauf vorbereitet, denn er weicht aus. Stattdessen landet in dem Augenblick, als das rechte Bein von Reynolds hoch ist, Keiths Rechte an Reynolds Kinn.
Erst in diesem Augenblick begreift Drugan die Absicht Keiths und erschrickt heftig.
»Keith«, sagt er keuchend. »Keith, lass ihn ganz.«
Damit hat er nicht unrecht, denn Keiths Gegenaktion äußert sich nicht in wuchtigen, sondern pfeilgraden und schnellen Hieben.
Bereits der dritte Hieb befördert Reynolds, der wild schwankt, aus der Tür. Der vierte lässt Reynolds auf die Männer zutaumeln, die im Flur stehen und jetzt wegspringen, nach draußen.
Keith sieht das Ende des Flures vor sich, einen Mann, der auf die offene Tür zutorkelt und nach einem Gegner auskeilt, der nicht zu treffen ist. Sicher wiegt Reynolds über hundertachtzig Pfund, gewiss ist er einen Kopf größer als Keith, aber er ist zu langsam.
Es dauert keine zehn Sekunden, dann steht Reynolds an den beiden Stufen zum Hof. Und nach einer weiteren Sekunde liegt er im staubigen Hof und versucht, sich hochzustemmen.
Bei dieser Bewegung, die mit dem Fall Reynolds endet, sagt Keith scharf und durchdringend:
»Ich lüge niemals, ich verschweige höchstens einige Dinge. Nenne mich nie wieder einen Lügner, mein Freund, sonst erlebst du es noch besser. Ist das genug, Reynolds?«
Reynolds ist auf die Brust gefallen und liegt mit dem Gesicht im Staub. Er hört wohl gerade noch die Worte Keiths, dann setzt seine Fähigkeit zu denken aus.
Keith dreht sich um. Er sieht entschlossen aus, als er in den Gang zurückgeht, in dem hinten Parson neben Drugan steht.