Warum es dieses Buch gibt
Viele Menschen im Westen meditieren heute nach den alten Traditionen aus Asien. Meditation hat nicht nur entspannende Wirkung, sie fördert auch viele unserer Hirnfunktionen und führt dabei zwangsläufig und vorhersagbar zu Erfahrungen, die scheinbar unerklärlich sind. Diese Veränderungen und Erlebnisse können für den Meditierenden unvergesslich und bereichernd sein; sie können aber auch tiefe Krisen auslösen. In solchen Fällen sind die Texte der asiatischen Meister wenig hilfreich, da sie aus unserer westlichen Perspektive oft schwer zu verstehen sind.
Doch nun verschafft die Hirnforschung Einblicke in die Vorgänge und Veränderungen, die Meditierende erleben. Was seit alters her von den Meistern beschrieben, oft genug als okkult abgetan wurde, ist im Gehirn messbar und nachvollziehbar.
Dieses Buch soll ein »Handbuch für Meditierende« sein, das die östliche Weisheit auf dem Boden der Wissenschaft ins westliche Leben holt, bis hin zur Praxis im Alltag. Wir können Vermutungen durch Wissen ersetzen, Meditation zum Wohl der Menschen nutzen und damit dem Geist der alten Traditionen in bester Weise folgen.
Umschlagabbildung:
Eine Forschungsgruppe um Britta Hölzel vom Bender-Institut an der Universität Gießen (www.bion.de) hat durch Untersuchungen mit Kernspin-Tomographie eine Struktur im orbitofrontalen Kortex des Gehirns von Meditierenden entdeckt, die mit fortschreitender Praxis immer deutlicher wird (Hölzel et al. 2007b). An genau dieser Stelle liegt das »dritte Auge«, das seit 2 500 Jahren auch auf buddhistischen Darstellungen erscheint. Die alten Beschreibungen über das »Sehen mit dem dritten Auge« decken sich mit Ergebnissen der Forschung über die Funktionen des orbitofrontalen Kortex im menschlichen Gehirn.
MRT-Aufnahmen mit freundlicher Genehmigung der Autoren.
herausgegeben von Wulf Bertram
Meditation und Gehirn
Alte Weisheit und moderne Wissenschaft
Dr. Heinz Hilbrecht
Schweizerblick 12
79725 Laufenburg
scriptorium@fuhrmann-hilbrecht.de
www.fuhrmann-hilbrecht.de
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© 2010 by Schattauer GmbH, Hölderlinstraße 3, 70174 Stuttgart, Germany
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Printed in Germany
Lektorat: Ruth Becker M.A.
Umschlagabbildung: nach einer Idee von Dr. Heinz Hilbrecht; MRT-Aufnahmen aus Hölzel et al. 2007, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Satz: am-productions GmbH, Wiesloch
Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH,
Kempten/Allgäu
ISBN 978-3-7945-2795-3
Die Meister der Meditation erforschen seit Jahrtausenden den Menschen. Sie haben Gesetzmäßigkeiten entdeckt und tiefe Einsichten in die menschliche Psyche erlangt. Meditation sucht Wissen und Erfahrung, den Alltag, den realen Menschen und die reale Welt. Unwissen, Irrtum und Begierden sind dabei die Hindernisse, die auf Abwege in okkulte Vorstellungen und die Welt der Illusionen führen. Die Meister weisen andere Wege. Dschuang Dsi (365–290 v. Chr.) ist ein Stammvater des chinesischen Daoismus. Er überliefert dieses Gleichnis mit der typisch daoistischen Ironie:
„Es war einmal ein Mann, der lernte das Drachentöten und gab sein ganzes Vermögen dafür hin. Nach drei Jahren hatte er die Fertigkeit erlangt, aber er fand keine Gelegenheit, seine Kunst anzuwenden.“ (Dschuang Dsi, Buch XXVII.10)
Bisher waren Meditierende auf Erfahrung angewiesen. Doch gerade unsere Zeit erlebt einen Durchbruch der Wissenschaft vom menschlichen Gehirn, eine Revolution, die es niemals zuvor gab. Erstmals seit 2 500 Jahren beginnen wir die biologischen Hintergründe zu verstehen, die Praktiken der Meditation nutzen, trainieren und verändern. Das Gehirn wurde dramatisch unterschätzt, seine Anpassungsfähigkeit bis ins hohe Alter und die scheinbar übernatürlichen Leistungen, zu denen es in der Lage ist. Wir können heute sogar über „Gedankenlesen“, „Seelenwanderung“ oder „Lebensenergie“ des Menschen nachdenken und müssen dafür das Haus der Wissenschaft nicht mehr verlassen. Wir finden verblüffende Erklärungen im Menschen selbst. Damit können Meditierende ihre Kunst auch neu bewerten. Meditation ist ein Weg zur bewussten Umgestaltung des Gehirns. Die spirituelle Welt der Meditation wird mit der modernen Hirnforschung nicht kleiner oder „materialistisch“. Sie wird größer, aber das „Drachentöten“ ist nun leichter zu vermeiden. Deshalb gibt es dieses Buch. Meditation spielt im Gehirn. Meditierende müssen es genauer kennen.
Laufenburg, im April 2010
Heinz Hilbrecht
Einleitung
Woher Meditation kommt
Meditation im modernen Europa
Gute Wissenschaft erkennen
Das Gehirn verändert sich
Die Stufen der Meditation
1. Stufe der Versenkung
2. Stufe der Versenkung
3. Stufe der Versenkung
4. Stufe der Versenkung
Eine Zwischenbilanz
5. Stufe der Versenkung
6. Stufe der Versenkung
7. Stufe der Versenkung
8. Stufe der Versenkung
9. und 10. Stufe der Versenkung
Die Natur der Versenkungsstufen
Das unbewusste Denken
Verarbeitung von Gefühlen
Intuitives Denken
Die große Leere und das dritte Auge
Das sprachliche Denken
Gibt es einen freien Willen?
Das vernetzte Gehirn
Alte Weisheit – moderne Wissenschaft
Aufmerksamkeit und Achtsamkeit
Qi und Kundalini
Nahtod-Erlebnisse
Mögliche Gefahren für Meditierende
Lehrer und Schüler
Drogen: seit 2 500 Jahren überholt
Umgang mit dem Unbewussten
Geführte Meditation und Suggestion
Regeln für den Selbstschutz
Meditation und Gesundheit
Die Praxis der Meditation
Verwurzeln zwischen Himmel und Erde
Den Atem lenken
Gedanken beruhigen
Entspannung
„Leben in jedem Atemzug“
Die Versorgung des Gehirns
Intuitive Ernährung
Einkaufen als Meditation
Bestandteile der Nahrung
Asien und Europa
Schlusswort
Literatur
Adressen im Internet
Sachverzeichnis
Die von Wulf Bertram herausgegebene Reihe „Wissen & Leben“ vereint eine Kollektion ebenso unterhaltsamer wie anspruchsvoller Essays aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Naturwissenschaft und Naturphilosophie. Wissenschaftler von internationaler Reputation vermitteln mit Engagement (und offensichtlichem Vergnügen beim Schreiben!) die faszinierenden Ergebnisse moderner Forschung und Theoriebildung.
Die bisher erschienenen Bände der Reihe:
Valentin Braitenberg
Das Bild der Welt im Kopf – Eine Naturgeschichte des Geistes
Manfred Spitzer
Aufklärung 2.0 – Gehirnforschung als Selbsterkenntnis
Peter Fiedler
Verhaltenstherapie mon amour – Mythos, Fiktion, Wirklichkeit
Johann Caspar Rüegg
Mind & Body – Wie unser Gehirn die Gesundheit beeinflusst
Carsten Bresch
Evolution – Was bleibt von Gott?
Heinz Hilbrecht
Meditation und Gehirn – Alte Weisheit und moderne Wissenschaft
Unser Gehirn ist im Grunde nur ein Klumpen von 100 Milliarden Nervenzellen, die in einem Netzwerk mit rund 100 Billionen Verknüpfungen elektrische und chemische Signale austauschen. Dabei gibt es Zuständigkeiten verschiedener Teile des Gehirns für bestimmte Aufgaben, Ergebnisse der Datenverarbeitung werden ausgetauscht, bewertet und steuern schließlich alles, was zum Menschen gehört. Ich bin ärgerlich oder glücklich, wenn es mein Gehirn so will und die chemischen Botenstoffe dafür zur Verfügung stehen. Chemische, elektrische und biologische Prozesse drücken sich in Liebe, Hass, Glück, Schmerzen und Ideen aus. Trotzdem ist der Mensch keine biologische Maschine: Die Prozesse im Gehirn unterliegen nämlich ständiger Veränderung, die wir als „Lernen“ oder „Erfahrung“ bezeichnen. Diese Veränderungen sind das Ergebnis einer ständigen Anpassung an das Leben, somit bestimmt letztlich die eigene Lebensführung die Prozesse im Gehirn. Das ist der gewaltige Unterschied zu einer Maschine. Das Gehirn, also jeder einzelne Mensch, kann im Prinzip entscheiden, was es lernen will und wie es deshalb funktionieren will. Unser Gehirn steht in Wechselwirkung mit sich selbst und kann sich selbst verändern.
Doch ganz so einfach, wie es sich anhört, ist das nicht: Die meisten Prozesse im Gehirn dringen nämlich nicht ins Bewusstsein. Sie laufen automatisch ab, wir empfinden und handeln nach einem Schema und werden so zur „biologischen Maschine“. Besonders auffällig werden solche Abläufe, wenn sie krankhafte Ausmaße annehmen, als Zwangs- oder Angststörungen und mit vielen anderen Erscheinungsformen. Es wäre wunderbar, wenn wir Zugang zu den unbewussten Abläufen im Gehirn hätten. Wir wären „kritikfähig“ gegenüber uns selbst und könnten uns mit freiem Willen selbst gestalten.
Trotzdem erlebt sich jeder Mensch als bewusstes, denkendes und kreatives Wesen. Aber manche Neurobiologen sehen dafür keinen Raum mehr, Experimente zeigen nämlich, dass Entscheidungen im Gehirn schon lange vorbereitet und tatsächlich schon getroffen sind, bevor sie bewusst erlebt werden. Es begann mit einem einfachen Versuch. Benjamin Libet stellte 1978 fest, dass die bewusste Entscheidung zur Bewegung einer Hand schon eine Sekunde vorher in den elektrischen Signalen des Gehirns erkennbar war, also bevor sie bewusst getroffen wurde. Gaukelt sich das Bewusstsein einen freien Willen nur vor? Fallen unsere Entscheidungen irgendwo im Gehirn und die entscheidenden Instanzen bleiben unbewusst?
Benjamin Libets Experiment wurde 30 Jahre lang mit verschiedensten Methoden und der neuesten Technik kritisch wiederholt. Das Ergebnis blieb immer gleich: Libet hatte richtig gemessen. Inzwischen ist sogar bekannt, dass menschliches Bewusstsein eine Entscheidung nicht einmal widerrufen kann, sobald sie im Unbewussten gewisse Schranken überwunden hat. Der Mensch handelt dann im Grunde gegen den bewussten Willen, unter Zwang.
Die Erfahrung von Meditierenden geht in eine völlig andere Richtung: Der Mensch hat jede Freiheit, das Bewusstsein zu entwickeln und zu trainieren. Dabei trägt jeder Mensch sogar den Keim zur Erleuchtung in sich, er muss nur sein ganzes Denken entfalten und bewusst werden lassen. Doch welches Denken ist hier gemeint?
Jeder Mensch trifft Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“. Wir wissen einfach: So muss die Sache gehen. Woher wir das wissen, bleibt dabei meist im Dunkel. Oft sind solche Entscheidungen nicht einmal erklärbar, wenn jemand nach den Gründen fragt. Trotzdem sind sie meistens richtig, besonders wenn es um komplizierte Entscheidungen geht. Auch das haben Wissenschaftler untersucht und bestätigt. Das „bewusste Denken“ in den Experimenten von Benjamin Libet kann also nicht das ganze Denken sein. Es gibt tiefere Instanzen, die leise ins Bewusstsein dringen und außerhalb des sprachlichen Denkens liegen.
An diesem Punkt kommt Meditation ins Spiel. Wer sich zum Beispiel für japanische Kultur interessiert, begegnet rasch dem Zen-Buddhismus. Im Zen freuen sich Bogenschützen über einen gelungenen Schuss, obwohl der Pfeil meterweit am Ziel vorbei geflogen ist. Andere üben Jahrzehnte, um Blumen zu stecken oder eine Tasse Tee zu servieren. In Japan werden die Meister in diesen Fächern sogar mehr verehrt als die Erfinder der CD oder japanische Nobelpreisträger. Der Grund liegt im Gehirn dieser Menschen: Zen-Meister haben das „Denken aus dem Bauch heraus“ für ihr Bewusstsein erschlossen und können andere Menschen daran teilhaben lassen.
Wie ist das möglich? Die moderne Gehirnforschung liefert darauf Antworten mithilfe konkreter Messungen. Menschen verfügen über „Spiegelneuronen“, mit denen sie – stark vereinfacht ausgedrückt – andere Menschen verstehen, sogar regelrecht in die Haut der anderen Menschen schlüpfen. Das Gehirn erzeugt ständig eine Simulation der Welt und kann damit in die Zukunft schauen. Die Worte im sprachlichen Denken sind nur der Abglanz der eigentlichen Denk-Instanzen, in denen eine ungeheure Menge an Erinnerungen, Funktionen des Körpers und Gefühle in die Denkprozesse fließen. Mit Gefühlen geht das Gehirn eines Meditierenden völlig anders um, als die Gehirne anderer Menschen. Meditierende nutzen ihr Gehirn auf andere Weise, setzen damit Ressourcen frei, die sie schneller sehen und erleben lassen. Gleichzeitig entsteht damit eine stabilere Persönlichkeit, die sich bewusst mit ihrem Unbewussten auseinandersetzen kann. Die „biologische Maschine“ wird Schritt für Schritt durch Bewusstsein ersetzt.
Dabei verändert sich das Gehirn auf eine Weise, die Hirnforscher immer wieder überrascht. Benjamin Libet hat mit seinen Messungen nur die Oberfläche des menschlichen Denkens angekratzt. Meditierende dringen in das eigentliche Denken vor, ins Unbewusste, wo im Gehirn die Entscheidungen fallen. Sie haben deshalb einen freien Willen und sehen die Welt tatsächlich mit anderen Augen. Davon berichten die Meister seit mindestens 2 500 Jahren. Vieles davon wurde ungläubig belächelt oder als unmöglich abgetan. Doch die Nachricht aus den Laboren der Hirnforschung lautet heute kurz: Die alten Meister hatten Recht.
Wir wissen nicht, wie lange Menschen schon meditieren. Sicher ist, dass es schon vor dem Buddhismus und dem chinesischen Daoismus hoch entwickelte geistige Übungen gab. Der Begründer des Buddhismus, Siddhartha Gautama, lebte von 563 bis 483 vor Christus. Bereits vor 2 500 Jahren stand er vor einer gewaltigen Palette an Techniken und Formen der Meditation, die indische Meister entwickelt hatten. Es gab schon viele Schulen, die sich um den richtigen Weg zur Erleuchtung stritten. Eine große Leistung des Gautama Buddha war die Bewertung dieser Methoden. Extreme Techniken erwiesen sich als ungeeignet. Buddha fand und unterrichtete den mittleren Weg, der Extreme vermeidet und den Weg zur Erleuchtung ruhig und in überschaubaren Schritten geht. Dieser Ur-Buddhismus, der heute Theravada genannt wird, kannte keine Götter, keine Seele und deshalb auch keine Wiedergeburt der Seele nach dem Tod. Er wird heute nur noch in wenigen Ländern gepflegt, vor allem in Sri Lanka, Thailand oder Burma. Religiöse Konzepte übernahm der Buddhismus erst später im Mahayana-Buddhismus, zu dem auch der tibetische Buddhismus oder Zen gehören.
Der Begründer des Daoismus war Laozi, in der früher üblichen Umschrift Lao Tse. Er lebte im 6. Jahrhundert vor Christus und hinterließ ein einziges Buch, das Daodejing, in alter Umschrift Tao Te King. Wer dieses Buch liest und sich intensiver mit den Techniken der Meditation befasst, findet darin sogar Anspielungen auf „Hightech“ der Geistesübungen. China dürfte also vor 2 600 Jahren vergleichbar weit in der Erforschung der Meditation gewesen sein wie Indien. In Indien und China kannte man zu dieser Zeit auch schon das Konzept der psychischen Erkrankungen. Die Ärzte wussten, dass seelische Probleme sich in körperlichen Erkrankungen niederschlagen können, was sich bis heute zur „psychosomatischen Medizin“ entwickelt hat. Daoisten hatten schon immer größtes Interesse an einer wissenschaftlichen Weltsicht, im Rahmen der historischen Möglichkeiten. Die Traditionelle Chinesische Medizin hat darin ihre daoistischen Wurzeln.
Daoismus
Der Daoismus ist die „einheimische“ Religion Chinas; der Buddhismus wanderte erst Jahrhunderte später ein. Der philosophische Daoismus ist ein Erkenntnisweg zur Erleuchtung, die zur Unsterblichkeit führt. Der biologische Tod ist für Daoisten endgültig, deshalb waren Methoden für Langlebigkeit, Zeitgewinn auf dem Erleuchtungspfad, immer wichtig. So entwickelte der Daoismus die Traditionelle Chinesische Medizin, verband Gesundheitsvorsorge mit stiller Meditation und dem Qigong als meditative Gymnastik. Erstrebenswert ist eine Welt im Gleichgewicht von Yin und Yang. Nach dem Prinzip des „Handeln im Nichthandeln“ (chinesisch: Wu Wei) soll der Mensch nur bei Störungen natürlicher Abläufe eingreifen und ansonsten keine Spuren in der Welt hinterlassen. „Dao“ ist die Einheit aller Dinge der Welt, die der Mensch als Illusion getrennt voneinander erlebt. Der Zen-Buddhismus entstand aus einer Verschmelzung von Buddhismus und Daoismus im chinesischen Shaolin-Kloster (s. Robinet 1995).
Im Nahen Osten liefert die Religion des Zarathustra (griech.: Zoroaster) aus dem heutigen Iran deutliche Hinweise auf Meditation. Wann Zarathustra lebte, ist allerdings umstritten. Verschiedene Wissenschaftler setzen seine Zeit zwischen 1800 bis 600 vor Christus an.
Auch die antiken Griechen haben meditiert. Die klassische Philosophie entstand ungefähr um 600 vor Christus. Nach Sokrates (469–399 v. Chr.) entwickelte vor allem sein Schüler Platon (428–348 v. Chr.) Bilder und Dialoge, die auf Meditation schließen lassen. Vor allem sein berühmtes Höhlengleichnis erinnert daran: Platon beschreibt damit, wie eingeschränkt der Mensch die wahre Welt im Grunde sieht. Der Mensch sitzt lebenslang in einer Höhle, mit dem Rücken zum Eingang und dem Gesicht zur Höhlenwand. Das Einzige, was er sieht, sind die Schatten der wahren Dinge auf der Höhlenwand. Die Schulung des Geistes soll den Menschen befähigen, hinter diesen Schatten die wahre Natur der Dinge zu erkennen, wie sie draußen vor der Höhle sind.
Direkte Kontakte zwischen Griechenland und Indien wurden spätestens mit Alexander dem Großen (356–323 v. Chr.) fest etabliert. Den Feldzug nach Indien im Jahr 326 vor Christus begleiteten auch griechische Wissenschaftler. Besonders einflussreich war schließlich die Reise von Plotin (205–270 n. Chr.) nach Indien. Plotin griff die Lehren von Platon auf und befasste sich intensiv mit der menschlichen Seele. Für ihn gab es keine Trennung zwischen der Seele des Einzelnen und der Weltseele. Durch Versenkung (Meditation) sollte sich der Einzelne befreien, um die ursprüngliche Verbindung mit dem Ganzen wieder zu erreichen. Diese Verbindung ist ein wesentlicher Teil der Erleuchtung wie sie die asiatischen Weltanschauungen suchen.
Zur gleichen Zeit entwickelten sich auch in Griechenland Vorläufer der Psychologie und Psychotherapie. Berühmt geworden ist das Psychotherapie-Zentrum von Allianoi, etwa 20 Kilometer nordöstlich der antiken Stadt Pergamon in der heutigen Türkei. Allianoi entstand in der Regierungszeit des römischen Kaisers Hadrian (117– 138 n. Chr.). Der römische Dichter Juvenal (60–127 n. Chr.) schrieb: „Beten sollte man darum, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist sei.“ Dass nicht nur der Körper, sondern auch der Geist erkranken konnte, war eine entscheidende Erkenntnis. Man begann, in den Medizinzentren Methoden zu entwickeln, um solche Patienten zu behandeln. Dazu gehörten auch Techniken der Meditation.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Theorie der Meditation, der Medizin und Psychologie in der Antike von magischen Vorstellungen durchwoben war. Die Therapeuten halfen auch bei der Bekämpfung von „Dämonen“, wenn das wissenschaftliche Verständnis für die menschlichen Zustände fehlte. Viele Begriffe und Beschreibungen aus dieser Zeit dürfen deshalb nicht wörtlich genommen werden. Die Vorstellung von „Dämonen“, die sich eines Menschen bemächtigen, war notwendig, um damals noch unbekannte Krankheitsbilder wie Schizophrenie oder Depression zu erklären. Außerdem sind die alten Überlieferungen auch nicht frei von Fehlern. Die Gelehrten dieser Zeit verfügten über sehr viel begrenztere wissenschaftliche Methoden und technische Möglichkeiten als wir heute. Salopp gesagt: Ein mittelalterlicher Schmied konnte noch keinen Computer bauen. Entsprechend schwierig ist es auch für Meditierende, wenn sie die Überlieferungen der alten Meister interpretieren müssen und den Fortschritt selbst vorantreiben wollen.
In den Kulturen dieser Welt haben sich auf allen Kontinenten geistige Übungen bis heute erhalten. Die Frage ist deshalb, warum im heutigen Europa die Meditation keine ganz normale Praxis ist und häufig sogar im Ruf des Aberglaubens steht. Schon vor dem Christentum besaßen Kelten und Germanen eine spirituelle Tradition, zu der auch Meditation in Ruhe und Bewegung gehörte. Aus Skandinavien und Island ist überliefert, dass die Germanen meditierten. Allerdings drängten die christlichen Missionare des Mittelalters diese „heidnischen Praktiken“ in den Untergrund. Sie konnten das Leben kosten, denn den Missionaren folgte bald das Militär. Wer an den überlieferten Praktiken festhielt, dem wurde die frohe Botschaft mit dem Schwert verkündet. Einige wenige Familien in diesen Gebieten haben die Kunst der Meditation bis heute bewahrt. Die Tradition der norwegischen Familie Hafskjøld ist als „Stav“ breiter bekannt geworden und wird heute von vielen Anhängern praktiziert.
Tatsächlich meditierten auch manche Gruppen der frühen Christen. Selbst von Jesus wird berichtet, dass er sich für 40 Tage in die Wüste zurückzog und dort zu wichtigen Einsichten kam. Buddhisten nennen das ein „Retreat“, eine besonders intensive Zeit der Meditation. Man weiß, dass schon frühe Christen, in der Zeit unmittelbar nach Jesus, auch nach Indien und bis China wanderten. Sie hatten ihre Techniken aus dem Nahen Osten im Gepäck und so entstand ein reger Austausch mit Buddhisten und Daoisten.
Im Christentum wird zwischen Meditation und Kontemplation unterschieden. Im christlichen Gebrauch bedeutet Kontemplation die stille innere Betrachtung. Sie entspricht weitgehend dem, was in Asien und der deutschen Umgangssprache Meditation genannt wird. Eine christliche Meditation ist dagegen das konzentrierte Nachdenken über ein Thema. In diesem Buch wird „Meditation“ im Sinn der christlichen Kontemplation verstanden, weil die kirchlichen Begriffe keinen Einzug in die deutsche Umgangssprache und die Naturwissenschaften gefunden haben.
Kontemplation spielte in der christlichen Mystik eine große Rolle. Die Mystiker suchten die unmittelbare Gotteserfahrung, hinterließen Bücher und hatten ihre Schüler. Ignatius von Loyola (1491–1556), der Begründer des Jesuitenordens, hat mit seinen Exerzitien eine Anleitung hinterlassen. Mit der Reformation entstand auch eine evangelische Mystik mit ihren Geistesübungen. Allerdings gerieten solche Praktiken mit ihren Erkenntnissen immer wieder in den Vorwurf der Ketzerei. Die offizielle Glaubenslehre galt in der jeweils aktuellen Fassung, das persönliche Gotteserlebnis war verdächtig. Der Schlussstrich auf katholischer Seite kam im 15. und 16. Jahrhundert mit der Inquisition. Die Bücher der Mystiker wurden verboten, ihre Anhänger geächtet, hingerichtet oder eingesperrt. Auch die evangelischen Mystiker des 17. und 18. Jahrhunderts machten solche Erfahrungen. Ganze religiöse Gruppen verließen unter diesem Druck Europa, vor allem nach Nordamerika. Dazu gehörten zum Beispiel die Quäker, die für ihr soziales Engagement während des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1947 den Friedensnobelpreis erhielten.
Aber die mystischen Strömungen im Christentum konnten nicht ausgerottet werden, es entstanden immer wieder neue. Manche „Geheimloge“ war deshalb geheim, weil ihre Mitglieder meditierten und nach „höherer Erkenntnis“ strebten. So sind zum Beispiel Werke der evangelischen Rosenkreuzer aus dem 17. Jahrhundert überliefert, deren Inhalt verblüffend an die Praktiken in Asien erinnert, wenn auch mit christlichen Worten beschrieben. Aber schon der Besitz solcher Bücher konnte bis ins 18. Jahrhundert zum Vorwurf der Ketzerei, häufig auch zu Folter und Todesstrafe führen. Heute stehen solche Werke im Internet und sind auch gedruckt leicht zu beschaffen.
Im 19. Jahrhundert ging die Macht der Kirche nach vielen Kämpfen langsam zurück. Die Mystik erlebte eine Wiedergeburt. Der Kolonialismus brachte außerdem eine rege Reisetätigkeit. Europäer begegneten den spirituellen Techniken vor allem in Indien, Japan und China. Viele große Denker übten Yoga oder meditierten. Der Einfluss der Kirchen auf den Staat wurde beschnitten. Frankreich machte schließlich 1905 die Trennung von Religion und Staat zum Gesetz. In Deutschland waren Kaiserreich und Kirche eng verbunden. Doch der Erste Weltkrieg brachte das Ende des Kaiserreichs und wirkte wie ein Trommelfeuer auf die Werte, die bis dahin von den Kanzeln gepredigt wurden.
In diesen Zeiten des Umbruchs mussten die Menschen neue und glaubhafte Werte suchen. Eine neue Sicht des Christentums entstand. In Deutschland fand Rudolf Steiner mit der Anthroposophie zahlreiche Anhänger und befasste sich in seiner „esoterischen Schule“ auch ausführlich mit Meditation. Dabei verband er die Techniken aus Indien mit christlichen Elementen. Auch in der Literatur fand die Suche nach Spiritualität ihren Niederschlag. So befasste sich beispielsweise der Schriftsteller Hermann Hesse (1877– 1962) mit dem Buddhismus, dem Daoismus und der christlichen Mystik. 1911 unternahm er eine längere Reise durch Asien. Mit seinen Büchern hat Hesse eine ganze Generation beeinflusst und für die spirituellen Wege Asiens interessiert. 1946 bekam er den Nobelpreis für Literatur „für sein durch Versenkung getragenes Werk“, wie die Schwedische Akademie Stockholm ihre Entscheidung unter anderem begründete.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 brachen schwere Zeiten für viele Meditierende an. Anthroposophen, Freimaurer und Angehörige anderer Gruppen starben in den Konzentrationslagern. Freie und bewusste Menschen waren für die Diktatur gefährlich und wurden beseitigt. Dabei dürfte vielen Nazis die diesbezügliche Kraft der Meditation bekannt gewesen sein. Es heißt, Hitler selbst habe auch meditiert und es gab Nazi-Geheimgesellschaften, in denen ein „germanischer“ Okkultismus blühte. So kannten führende Nazis die Möglichkeiten der Meditation wohl aus eigener Erfahrung.
Es war ausgerechnet der Zweite Weltkrieg, der dem Westen ein großes Tor zu den spirituellen Traditionen Asiens öffnete. Die Besetzung Japans ab 1945 brachte viele Amerikaner in Kontakt mit den Traditionen dieses Landes, die sich über die USA weiter ausbreiteten. Auch viele chinesische spirituelle Techniken fanden in der Nachkriegszeit ihren Weg nach Westen. Mit der Ausrufung der kommunistischen Volksrepublik China 1949 galten viele der alten Traditionen nun als „feudalistisch“ und wurden blutig verfolgt. Zahlreiche Meister flohen in andere asiatische Länder, in die USA und nach Europa. Die Kulturrevolution (1966–1976) verstärkte den Druck in China weiter. Die chinesischen Flüchtlinge brachten ihr Wissen mit und mussten sich ernähren. Sie gaben Unterricht, schrieben Bücher und stießen damit auf ein gewaltiges Interesse.
Aber auch aus der katholischen Kirche brach sich eine kleine buddhistische Linie ihre Bahn. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990) hatte als junger Priester die christliche Mystik intensiv erforscht (Baatz 1998). Er war Angehöriger des Jesuitenordens, der sich mit den „verdächtigen“ Lehren des Glaubens befassen durfte. Hugo Lassalle kam schließlich 1929 mit der christlichen Mission nach Japan und begann sich für den Zen-Buddhismus zu interessieren. Ab 1943 nahm er Unterricht bei dem Zen-Meister Shimada Roshi. Lassalle überlebte den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und zog daraus Konsequenzen. Er wurde zum weltweit tätigen Streiter für das Miteinander der Völker und Religionen, für den Frieden. Unter dem Namen Makibi Enomiya nahm er die japanische Staatsbürgerschaft an und wurde 1973 als Zen-Meister anerkannt. Seitdem waren Zen und Christentum für ihn ein und derselbe Weg. Andere Priester und Mönche wurden seine Schüler oder folgten seinem Vorbild. Sie unterschieden nicht mehr zwischen christlicher Mystik und Zen-Buddhismus. Willigis Jäger ist heute ein bekannter Vertreter dieser Richtung. Allerdings reagierte auch die Glaubenskongregation, die Nachfolgeinstitution der Inquisition. Sie warf Lassalle und seinen Anhängern vor, sie würden subjektive Erfahrungen über „Glaubenswahrheiten“ stellen und versuchte den Einfluss der Bewegung einzudämmen. Es gibt bis heute Redeverbote und Verbote öffentlicher Tätigkeiten. Doch diese neuen Mystiker entwickelten ihre Wege weiter. Es entstand eine enge Verbindung und Zusammenarbeit mit Psychologen, Psychoanalytikern und Therapeuten. Heute gibt es auch aus dieser Linie Zentren, wo Menschen Meditation lernen und meditierend ihren Glauben und vor allem sich selbst erforschen.
Meditation ist ein interessantes Forschungsthema, weil Meditierende Dinge können, die manchmal „unmöglich“ scheinen. Entsprechend viel wurde darüber geschrieben. Leider ist die Mehrzahl dieser Arbeiten unbrauchbar. „Methodische Mängel“ kritisiert zum Beispiel der Psychologe Ulrich Ott (2000), andere Mängel liegen tiefer und sind für Außenstehende nicht immer leicht zu erkennen. Wie kann man also „gute“ und „schlechte“ Wissenschaft oder gar Pseudo-Wissenschaft voneinander unterscheiden?
Naturwissenschaft begründet sich durch Experimente, eine Idee bzw. Hypothese wird durch Versuche überprüft. Allerdings sind drastische Fehler möglich, wenn Wissenschaftler ihre Experimente unkritisch oder voreingenommen entwerfen. Versuche mit Menschen sind dabei besonders kompliziert, denn seelische Prozesse können ein Ergebnis völlig über den Haufen werfen. Zum Beispiel: Welche Wirkung hat ein Medikament? Mediziner wissen, dass schon der Glaube Wunder wirkt. Deshalb werden neue Medikamente gegen Placebos getestet. Das sind Mittel, die keine Wirkung haben sollten, aber vom wirksamen Medikament für die Versuchspersonen nicht zu unterscheiden sind. Die Forscher vergleichen zwei Gruppen, von denen eine das Medikament, die andere das Placebo verabreicht bekommt. Dabei stellt sich oft heraus, dass Placebos überraschend wirksam sein können.
Entsprechend schwierig ist die Forschung über Meditation. Im Prinzip müssten zwei Gruppen verglichen werden: Meditierende und Placebo-Meditierende. Zum Beispiel: Kann Meditation die Stressanfälligkeit von Menschen senken? Diese Möglichkeit wurde früh gesehen (z. B. von Goleman u. Schwarz 1976). Objektiv ist Stress einigermaßen messbar, denn der Körper reagiert darauf mit biochemischen Veränderungen. Aber auch die Persönlichkeit bestimmt den Umgang mit Stress und die körperliche „Stressantwort“. Menschen sind sehr unterschiedlich und eine Untersuchung müsste diese Unterschiede abdecken. Daraus folgt, dass eine Studie sich auf eine große Anzahl Menschen stützen muss, mit Blutentnahmen und Befragungen über die Persönlichkeit. Hunderte, besser tausende Menschen, müssten untersucht werden, damit die Studie auch vor den Gesetzen der Statistik besteht. Das ist teuer und aufwändig. Zeit und Geld sind aber auch für Forscher immer knapp.
Ideenreiche Wissenschaftler versuchen deshalb, ihre Experimente so zu entwerfen, dass mit begrenztem Einsatz aussagekräftige Ergebnisse entstehen. So hat der Versuch von Davidson et al. (2003) Aufsehen erregt. Sie teilten ihre Versuchspersonen in zwei Gruppen ein: eine ging durch ein Meditationsprogramm, die andere lernte Entspannungstechniken. Messungen der Hirnströme (EEG) zeigten den Fortschritt der Meditierenden auf. Dann wurde allen Versuchspersonen eine Grippe-Impfung verabreicht und mittels Blutuntersuchungen geprüft, wie schnell sich der Immunschutz aufbaut. Die meditierende Gruppe schnitt deutlich besser ab.
Davidson et al. (2003) haben mit dem Vergleich Meditation gegen Entspannungstechniken einen ganz wesentlichen Schritt gemacht. Das Immunsystem funktioniert nämlich bei allen Menschen besser, die seelisch ausgeglichen und stabil sind. Im Prinzip können Entspannungstechniken das erreichen und sind deshalb ein sinnvoller „Placebo“ für den Vergleich mit den Wirkungen der Meditation. Auf diese Weise wird die Studie seriös und glaubhaft.
Trotzdem sind weitere Studien nötig, denn zunächst elegant und klar erscheinende Ergebnisse müssen lange nicht der Wahrheit entsprechen. Ein Lehrstück dafür liefert die Akupunktur, deren Erfolge gegen Schmerz unbestreitbar schienen. Klaus Linde und Kollegen (2009) von der Technischen Universität München haben die Behandlung von Kopfschmerzen mit Akupunktur an tausenden Patienten untersucht. Es stellte sich heraus, dass die Kopfschmerzen auch vergehen, wenn die Nadeln absichtlich falsch gestochen werden. Auch Teleskopnadeln sind wirksam, die Nadel verschwindet dabei unbemerkt vom Patienten in einem Schaft und sticht überhaupt nicht in die Haut (Placebo- Akupunktur). Trotzdem wirkt Akupunktur gegen Kopfschmerzen besser als Medikamente. Ist für Kopfschmerz also der Placebo-Effekt sogar noch wirksamer als das Medikament? Madsen, Gøtzsche und Hróbjartsson (2009) legten eine ebenso große Studie vor, die der Akupunktur praktisch ihre Unwirksamkeit gegen Schmerz bescheinigt. Trotzdem wird vielen Patienten damit gegen Schmerz geholfen.
Noch wichtiger ist die Begutachtung von Artikeln durch unabhängige Wissenschaftler, bevor sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht werden. Seriöse Zeitschriften drucken nämlich nicht einfach alles ab, was sie zugeschickt bekommen. Die eingehenden Artikel werden von mindestens zwei unabhängigen Wissenschaftlern begutachtet (engl.: peer review). Diese Gutachter arbeiten ehrenamtlich, bleiben anonym und können deshalb ihre Meinung frei zum Ausdruck bringen. Sie machen Verbesserungsvorschläge und entscheiden im Prinzip, ob ein wissenschaftlicher Artikel veröffentlicht werden kann. Solche „referierten“ Zeitschriften haben in der Wissenschaft einen guten Ruf, während Zeitschriften, die auf die Begutachtung verzichten, als zweit- und drittklassig gelten und ihr Inhalt auch dementsprechend bewertet wird.
Manche Zeitschriften sind „ideologisch vorbelastet“. Hier können Forscher Ergebnisse veröffentlichen, die von der großen Mehrheit ihrer Fachkollegen im Grunde abgelehnt werden. Sie sind häufig mit entsprechenden Verbänden oder Organisationen verbunden. Andere Zeitschriften sind auf enge Bereiche ihrer Wissenschaft spezialisiert. Solche Zeitschriften stehen immer im Verdacht, sich und ihre Anhänger zu bestätigen. Häufig kommen auch die Gutachter für Artikel aus dem isolierten Fachgebiet und damit aus einem engen Kreis. Auch hier ist ein kritischer Verstand beim Lesen nötig.
Es kommt bedauerlicherweise auch vor, dass Forscher den Boden der Wissenschaft verlassen, selbst wenn sie für eine Universität oder ein seriöses Forschungsinstitut arbeiten. Die Ethik der Naturwissenschaften fordert, dass Forschungsergebnisse für jeden Menschen nachprüfbar sind. Naturwissenschaftler machen deshalb Messungen und Beobachtungen, bei denen sie im Grunde als Personen überflüssig sind. Jeder Mensch muss diese Messungen und Beobachtungen machen können, denn nur so sind sie nachprüfbar. Wenn ein Wissenschaftler sich auf das Wirken Gottes beruft, auf unmessbare Lebensenergien oder Signale aus dem Jenseits, dann ist die Trennlinie zur Naturwissenschaft eindeutig überschritten. Hier meldet sich ein Außenseiter oder sogar ein Ideologe zu Wort.
Nun glauben viele Außenstehende, die Meinung von Wissenschaftlern sei zwangsweise objektiv und deshalb glaubhaft. Das ist falsch. Eine Meinung ist nämlich kein wissenschaftliches Ergebnis. Auch seriöse Wissenschaftler spekulieren mit Leidenschaft und entwickeln ihre Gedanken. Auf diese Weise werden neue Stoßrichtungen der Forschung untersucht und neue Experimente entworfen. Die Spekulationen seriöser Wissenschaftler zielen auf Messungen und objektive Beobachtungen, sie werfen Fragen auf und sind damit der Treibstoff für den Fortschritt. Es ist wichtig, dass diese Spekulationen eindeutig als unbewiesene Ideen markiert sind, als Hypothesen, die eine wissenschaftliche Untersuchung anstoßen sollen. Trotzdem tauchen Hypothesen immer wieder als „Aussage der Wissenschaft“ in den Medien auf, als großes Missverständnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Ähnliche Regeln haben auch die Geisteswissenschaften, zum Beispiel die Philosophie. Sie unterwerfen sich den Regeln der Logik und müssen ihre Ergebnisse damit nachvollziehbar beweisen. In den Geisteswissenschaften gibt es manchmal Grundannahmen, die sich einer objektiven Prüfung entziehen. Theologen nehmen zum Beispiel an, dass Gott tatsächlich existiert. Sobald dieses Fundament beschrieben ist, können Theologen darauf aufbauen und seriöse Wissenschaft betreiben. Das Ergebnis muss aber aus der Grundannahme für jeden logisch nachvollziehbar sein.
Eine wissenschaftliche Betrachtung über Meditation gerät in ein gewisses Dilemma. Viele der während der Meditation ablaufenden Vorgänge sind nicht objektiv messbar. Manche Erkenntnisse beruhen auf Beobachtungen der Meditierenden selbst und sind abhängig von ihrem Fortschritt mit den Übungen. Damit sind sie nicht für jeden Menschen nachprüfbar. Allerdings gilt diese Einschränkung auf vielen Gebieten der Naturwissenschaft. Nicht jeder Mensch hat Zugang zu Labors und Messgeräten, kann die Geräte auch bedienen und Ergebnisse verstehen. Es gibt immer einen Punkt, an dem Vertrauen in die Arbeit von Fachleuten nötig ist. In diesem Sinn müssen auch die subjektiven Erfahrungen von Meditierenden bewertet werden. Dabei schafft Vertrauen, dass viele Menschen ähnliche Beobachtungen seit langer Zeit beschrieben haben. Sie müssen aber klar von Interpretationen getrennt werden, mit denen die Beobachtungen auf dem Kenntnisstand ihrer Zeit erklärt wurden. Viele Meister haben sich bewusst der Logik unterworfen. Die Prüfung durch andere Meditierende ist schon seit Jahrhunderten verpflichtend. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Raum für Aberglauben und übersinnliche Erklärungen.
In diesem Buch schildere ich auch eigene Erfahrungen und Erlebnisse. Sie sind in der Ich-Form geschrieben, damit der Leser sie als meine subjektive Erfahrung erkennt. Ähnliche Berichte gibt es auch von anderen Meditierenden und deshalb gebe ich meine Beobachtungen wieder. Trotzdem wäre es nicht wissenschaftlich korrekt, meine subjektive Erfahrung als Allgemeingut darzustellen. „Wissenschaft“ bedeutet auch, dass die Quelle von Informationen offenliegt, Fakten und Beobachtungen von der Interpretation getrennt werden. Nur so können Leser selbst entscheiden, ob sie den Interpretationen folgen wollen.