Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über den Autor
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Widmung
  7. Zitat
  8. ERSTER TAG
    1. Kapitel 1
    2. Kapitel 2
    3. Kapitel 3
    4. Kapitel 4
    5. Kapitel 5
    6. Kapitel 6
    7. Kapitel 7
  9. ZWEITER TAG
    1. Kapitel 8
    2. Kapitel 9
    3. Kapitel 10
    4. Kapitel 11
    5. Kapitel 12
    6. Kapitel 13
    7. Kapitel 14
    8. Kapitel 15
    9. Kapitel 16
    10. Kapitel 17
    11. Kapitel 18
    12. Kapitel 19
    13. Kapitel 20
    14. Kapitel 21
  10. DRITTER TAG
    1. Kapitel 22
    2. Kapitel 23
    3. Kapitel 24
    4. Kapitel 25
  11. VIERTER TAG
    1. Kapitel 26
    2. Kapitel 27
  12. FÜNFTER TAG
    1. Kapitel 28
    2. Kapitel 29
    3. Kapitel 30
    4. Kapitel 31
    5. Kapitel 32
    6. Kapitel 33
    7. Kapitel 34
    8. Kapitel 35
    9. Kapitel 36
  13. SECHSTER TAG
    1. Kapitel 37
    2. Kapitel 38
    3. Kapitel 39
    4. Kapitel 40
    5. Kapitel 41
    6. Kapitel 42
    7. Kapitel 43
    8. Kapitel 44
    9. Kapitel 45
    10. Kapitel 46
    11. Kapitel 47
    12. Kapitel 48
    13. Kapitel 49
    14. Kapitel 50
    15. Kapitel 51
  14. SIEBTER TAG
    1. Kapitel 52
    2. Kapitel 53
    3. Kapitel 54
    4. Kapitel 55
    5. Kapitel 56
  15. ACHTER TAG
    1. Kapitel 57
    2. Kapitel 58
    3. Kapitel 59
    4. Kapitel 60
    5. Kapitel 61
    6. Kapitel 62
    7. Kapitel 63
    8. Kapitel 64
    9. Kapitel 65
    10. Kapitel 66
    11. Kapitel 67
  16. NEUNTER TAG
    1. Kapitel 68
    2. Kapitel 69
    3. Kapitel 70
    4. Kapitel 71
    5. Kapitel 72
    6. Kapitel 73
    7. Kapitel 74
    8. Kapitel 75
    9. Kapitel 76
    10. Kapitel 77
    11. Kapitel 78
  17. ZEHNTER TAG
    1. Kapitel 79
    2. Kapitel 80
    3. Kapitel 81
    4. Kapitel 82
    5. Kapitel 83
    6. Kapitel 84
    7. Kapitel 85
    8. Kapitel 86
    9. Kapitel 87
    10. Kapitel 88
    11. Kapitel 89
    12. Kapitel 90
    13. Kapitel 91
    14. Kapitel 92
  18. ELFTER TAG
    1. Kapitel 93
    2. Kapitel 94
    3. Kapitel 95
    4. Kapitel 96
    5. Kapitel 97
    6. Kapitel 98
    7. Kapitel 99
    8. Kapitel 100
    9. Kapitel 101
    10. Kapitel 102
    11. Kapitel 103
    12. Kapitel 104
    13. Kapitel 105
    14. Kapitel 106
    15. Kapitel 107
    16. Kapitel 108
    17. Kapitel 109
    18. Kapitel 110
  19. ZWÖLFTER TAG
    1. Kapitel 111
  20. Epilog
  21. Postskriptum
  22. Danksagung
  23. Zitierte Quellen

Über das Buch

Ihre Vergangenheit als Geheimagentin wollte die Archäologin Ava Curzon eigentlich hinter sich lassen. Doch dann behaupten Terroristen, dass sie die mythische Bundeslade in ihrer Gewalt haben! Kann das wirklich sein?

Für Ava beginnt eine irrwitzige Jagd durch die trügerische Welt der Geheimbünde, Okkultisten und Ritterorden. Eine uralte Spur führt die Agentin immer tiefer in die Geheimnisse dunkler, biblischer Magie, bis hin zu einem tödlichen Ritual …

Über den Autor

Dominic Selwood ist Autor und Historiker. Er war schon immer von der Zeit der Kreuzzüge fasziniert und studierte Mittelaltergeschichte in Oxford und an der Pariser Sorbonne. Nach seiner Promotion arbeitete er einige Jahre lang als Rechtsanwalt. Heute schreibt er neben seinen Thrillern immer noch Bücher und Artikel über Geschichte, oft über wenig bekannte Themen. Wenn er gerade nicht schreibt, spielt er Bass in einer Rockband. Dominic Selwood lebt in London.

Dominic Selwood

DAS GOTTESSIEGEL

Aus dem Englischen von
Gerold Hens

beTHRILLED

Für

Delia, Inigo, Arminel, Andreas

›Der HERR ist der rechte Kriegsmann; HERR ist sein Name.‹

Exodus 15,3

(aus einem kurzen und vermutlich ältesten Abschnitt der Bibel)

ERSTER TAG

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1

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Kirche St. Maria von Zion, Aksum, Region Tigray, Demokratische Republik Äthiopien, Afrika

Sie kamen vor Morgengrauen von Osten, aus der Danakil-Wüste. Die beiden weißen, klimatisierten Land Cruiser rasten durch die Altstadt von Aksum, einer alten Stadt von Krieger-Kaisern, heute nur noch eine vergessene Kuriosität – ein Relikt. Nur ein paar Hundert Meilen im Osten lag die weite Afar-Senke – die trocken-heiße Wiege der Menschheit. Die Stadt Aksum selbst jedoch war fruchtbar und grün, reich an Gras und ausladenden Bäumen.

Während blutrot das erste Licht am Horizont aufstieg, jagten sie vorbei am prachtvollen Badeteich der Königin von Saba – dessen einst mit Blüten bestreutes Wasser, seit langem verwahrlost, nun schlammig und faulig war. Dann weiter zu dem gespenstischen Stelenfeld mit seinen gewaltigen Reihen aus Obelisken, die sich höher reckten als die höchsten in Ägypten.

Und dann schließlich bis an ihr Ziel, die heilige historische Kirchenanlage von St. Maria von Zion – dem heiligsten Ort in Äthiopien, der Krönungsstätte des Neguse Negast, des Königs der Könige.

Er hatte ihnen den Weg gut beschrieben. Auf dem ledergepolsterten Beifahrersitz des vorderen Land Cruisers zog sich Aristide Kimbaba eine schwarze Skimütze übers Gesicht und legte den Sicherungshebel seiner AK-47, 7,62 mm, auf die halb automatische Position um. Bewundernd strich er über den kalten Stahl der Waffe. Es war ein echtes russisches Modell, keine billige Kopie aus dem Fernen Osten. Sie hatte sogar ein POSP-Militär-Zielfernrohr aufmontiert.

Er hatte ihn und seine Leute gut ausgerüstet. Der Milizionär lächelte in sich hinein. Für das hier war er von weit hergekommen, und in dem Moment, als er von dem Plan gehört hatte, hatte er gewusst, dass es ein guter Plan war.

Er schaute sich um und stellte befriedigt fest, dass in der heißen, verschlafenen Stadt niemand unterwegs war. Die engen, staubigen Straßen der Kirchenanlage waren völlig menschenleer.

Er warf einen Blick auf die eingeschweißte Karte auf seinen Knien.

»Halt hier an«, befahl er dem Fahrer mit einem tiefen Grollen und wies ihn an, vor einem reich verzierten Gebäude stehen zu bleiben, das sich in eine Lücke zwischen einer modernen Kirche nördlich und einer kleinen alten südlich schmiegte. Die abwechselnd grün und rosafarben getönten Steine waren in der Morgensonne kaum zu erkennen.

Wenn Kimbaba auf solche Dinge geachtet hätte, hätte er bemerkt, dass das bunte Gebäude numerologisch vollkommen war – ein Viereck mit einer Tür und drei Fenstern pro Wand. Eins, drei, vier und zwölf – alles heilige Zahlen. Aber solche Feinheiten entgingen ihm. Sein ungeschultes Auge nahm nur die Zwiebelkuppel wahr und das schmale metallene Kreuz, das auf eine religiöse Bestimmung hindeutete.

Der Milizionär sprang aus dem Fahrzeug. Mit eins neunundachtzig bot Kimbaba eine imponierende Erscheinung – der Eindruck natürlicher körperlicher Bedrohung wurde verstärkt durch eine offene Tarnjacke, die einen muskelbepackten Oberkörper enthüllte, eine olivgrüne Hose, die in schwarzen Springerstiefeln steckte, und einen kakifarbenen Baumwollgürtel, der vor Ersatzmagazinen starrte.

Mit schnellen Schritten näherte er sich dem eisernen Zaun, der die Kapelle umgab, und musterte ihn aufmerksam, um die Stärke der Stäbe zu beurteilen und abzuschätzen, wie tief sie in den Beton eingelassen waren.

Vom Motorengeräusch der Land Cruiser zu so früher Stunde aufgeweckt, erschien auf wackligen Beinen der Mönch, der die Kapelle bewachte, an den alten Eichentüren. Seine abgetragene gelbe Kutte und die runde grüne Kopfbedeckung waren die einzigen Farbtupfer im morgendlich grauen Dämmerlicht.

Beim Anblick der Schusswaffe und des vermummten Kopfs des Milizionärs erstarrte der Wächter und blieb wie angewurzelt oben an der Treppe stehen.

Kimbaba hatte gehört, wie die Kirchentür sich öffnete, und augenblicklich reagiert. Er hob die Waffe, stemmte ihren schweren Kolben gegen die gepolsterte rechte Schulter und zielte direkt über Kimme und Korn auf den reglosen Mönch.

»Ouvrez la grille!«, knurrte er und ging mit schnellen Schritten auf das Tor zu. Sein Französisch hatte einen schweren kongolesischen Akzent. »Ouvrez!«

Der alte Mönch schaute ihn ausdruckslos an.

Kimbaba blieb am Tor stehen. Er drückte die Klinke, aber jahrzehntealter Rost hatte sie fest verschweißt. Was ihn nicht überraschte. Er wusste, dass nur der Mönch auf dem Gelände lebte und das Tor nur geöffnet wurde, wenn er starb und ein Nachfolger seine Stelle einnahm.

Kimbaba stand keine zehn Meter von dem fassungslosen Wächter entfernt. Er richtete das Gewehr genau auf ihn und versuchte es auf Englisch. »Aufmachen!« Seine Stimme klang bedrohlich.

Der alte Mönch blickte weiterhin starr auf den bewaffneten Mann, der ihn da anschrie.

Kimbaba drehte sich zu Simplice Masolo um, seinem drahtigen Stellvertreter, der rasch hinter ihn getreten war und ebenfalls auf die greise Gestalt zielte.

»Hol das C-4«, knurrte Kimbaba.

Masolo ging zum Land Cruiser zurück und holte zwei Klumpen grauweißen Sprengstoffs aus einer Stahlkiste auf dem Rücksitz. Er hatte zuvor ein paar Claymore-Personenminen ausgeschlachtet, befestigte nun zwei der Ladungen am Zaun – eine knapp über dem Boden, die andere in Schulterhöhe – und schloss sie an zwei lange Drähte an, die er zu einem kleinen metallenen Hand-Detonator führte. Er gab allen Vermummten Zeichen, hinter einer zusammengefallenen Steinmauer in der Nähe in Deckung zu gehen. Als sie außer Sprengweite waren, drückte er den abgegriffenen Knopf des Detonators.

Die Ladungen explodierten mit einem tiefen, kurzen Knall, worauf verbogene Metallsplitter mit tödlicher Geschwindigkeit durch die Luft geschleudert wurden.

Als der Rauch sich legte, ging Kimbaba rasch durch das gezackte Loch im Zaun, wo kurz zuvor noch das Tor gehangen hatte. Er marschierte direkt zu dem alten Wächter hinauf, der, wunderbarerweise unversehrt, immer noch auf den Stufen stand.

Ohne innezuhalten, knallte Kimbaba ihm den braungelben, mit Tape umklebten Kolben direkt ins verblüffte Gesicht, wobei er ihm den Mundwinkel aufriss und ihn durch die Wucht des Schlags umgehend zu Boden schickte.

Zufrieden stand er über dem daliegenden Mönch und schaute zu, wie das Blut aus dem Mund auf die staubige Erde rann. Er bückte sich, drehte den Wächter auf den Bauch, packte ihn an den Armen und fesselte ihm grob mit einem Kabelbinder die Handgelenke auf den Rücken. Das Ganze geschah rasch und brutal. Es hatte keine fünf Sekunden gedauert.

Ohne weitere Umstände zerrte er den Wächter auf die Füße und rammte seinem Gefangenen den kalten Lauf der Waffe in die linke Niere. Dann stieß er ihn die glatten Stufen nach oben in Richtung der geöffneten Holztüren der Kapelle.

Der fassungslose Wächter leistete keine Gegenwehr. Benommen stolperte er vorwärts.

Vier von Kimbabas Männern folgten ihm auf den Fersen. Die beiden anderen blieben, die Gewehre angelegt, bei dem Loch im Zaun stehen und beobachteten den Vormarsch über ihre Visiere.

Als die schwer bewaffneten Männer das abgedunkelte Gebäude betraten, schwärmten sie aus, um kein festes Ziel zu bieten. Sie hätten sich jedoch keine Sorgen machen müssen.

Es war leer. Sie waren allein.

Als Kimbabas Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten, konnte er erkennen, dass die Fenster mit schweren, dunklen Vorhängen verhängt waren, die alles natürliche Licht draußen halten sollten. Die rau verputzten Steinmauern der Kapelle waren mit uralten Stickereien behängt, auf denen Heilige und religiöse Szenen abgebildet waren. Am anderen Ende des Raums befanden sich ein grob geschnitzter, rötlich-brauner Altar aus Eukalyptusholz und eine schmutzige Matratze mit einer verknautschten Decke in einer Ecke, in der der Mönch schlief. Ansonsten war der Raum leer.

Die Sache, derentwegen sie gekommen waren, war nicht da.

Kimbaba wandte sich an den Mönch. »Soll das ein Witz sein?« Seine Stimme war tief, der kongolesische Akzent unverkennbar.

Der Wächter, der immer noch aus dem Mund blutete, schaute ihn mit leerem, unstetem Blick an.

Der Söldner trat einen Schritt auf ihn zu. »Ich frage nicht noch mal.« Sein Ton war unangenehm. »Wo ist es?«

Dem Mönch schien gar nicht bewusst zu sein, was geschah.

Ohne Vorwarnung schlug Kimbaba ihn heftig mit dem Handrücken ins Gesicht, was zu einem weiteren Schwall roten Blutes aus dem gezackten Riss im Mundwinkel führte.

Der neuerliche blitzartige Schmerz schien den gelb gewandeten Mönch aus seiner Träumerei zu reißen. Als er sprach, war seine Stimme ruhig. »Was wollt ihr hier?«

»Wo ist er?« Der Söldner blickte ihn finster an, und auf seinem Stiernacken trat der Schweiß aus. »Der tabot

»Der tabot ist nicht für euch bestimmt.«

Unversehens rammte Kimbaba ihm die Faust in den Solarplexus. Der Mönch krümmte sich und sackte zu Boden.

Mit unveränderter Miene beugte Kimbaba sich über ihn. »Sofort.«

Es entstand eine Pause, als der Mönch zu dem massigen Mann hochblickte, der über ihm aufragte. Trotz der Schmerzen, die sein Gesicht verzerrten, verrieten seine Augen keinen Zorn.

Seine Stimme kam als entschlossenes Flüstern. »Nein.«

Kimbaba öffnete den Verschluss an der Kydex-Gürtelscheide seines Patriot-Kampfmessers, hielt es einen Moment hoch, sodass die schwarze Klinge vor dem Gesicht des Mönchs matt glänzte, bevor er die stählerne Spitze in die stoppelige dunkle Haut unter dem Kinn des Alten bohrte. Seine blitzenden Augen ließen keinen Zweifel an seinen Absichten.

Der alte Wächter blickte Kimbaba gelassen an. »Ich bin schon mein ganzes Leben lang bereit.« Seine Stimme war sanft und ruhig. »Meine Seele kannst du nicht töten.«

Kimbaba trat ihm so hart in die Seite, dass er herumgeschleudert wurde. »Du wirst deinem Gott heute nicht begegnen, tabot-Mann, so sehr du mich auch bald darum anbetteln wirst.«

Das Gesicht des Mönchs zuckte vor Schmerz, als er seinen Folterer anschaute, er sprach jedoch langsam und gelassen weiter. »Deine Drohungen sind wertlos – mein Leben ist ein heiliges lebendiges Opfer.«

Kimbaba erwiderte den Blick des Gefangenen einen Moment lang, während er den massigen Kopf wiegte und an den Zähnen saugte. »Bring es her.«

Masolo nickte dem Vermummten zu, der ihm am nächsten stand, und zusammen verschwanden sie durch die alte Eichentür.

Wenige Minuten später kamen sie zurück und legten einen eloxierten Dachgepäckträger, einen Benzinkanister und ein aufgewickeltes dünnes Seil neben dem Mönch auf den Boden.

Kimbaba rollte den Gefangenen mit dem Stiefel herum, bückte sich und schnitt den Kabelbinder durch, mit dem er die schmalen Handgelenke zusammengebunden hatte. Er packte den Mönch an den Schultern, drückte seinen schmächtigen Körper gewaltsam auf die kalten Metallstangen des Gepäckträgers und spreizte ihm Arme und Beine. »Als religiöser Mann wirst du das zu schätzen wissen. Die Spanische Inquisition hat das erfunden.« Grunzend schnitt er kurze Stücke des schmierigen Seils ab und band Hand- und Fußgelenke des Mönchs an den starren Metallrahmen.

Der Wächter musterte Kimbaba aufmerksam. »Ich fürchte die Hölle und die Verdammnis, nicht dich und den Schmerz.«

Kimbaba nickte. »Schmerzen wird es nicht geben.« Seine Augen glänzten voller Vorfreude. »Nur Schrecken.« Er setzte die rasiermesserscharfe Messerspitze erneut unten am Kinn an und drückte diesmal fester zu. »Letzte Chance.«

Der Mönch drehte kaum merklich den Kopf, als das Messer die Haut durchbohrte und erneut Blut hervortrat. »Ich habe meinen Weg schon vor langer Zeit gewählt«, murmelte er ruhig und unerschrocken.

Der Söldner zog das Messer scharf nach unten und zerfetzte das altersschwache gelbe Gewand. Er säbelte ein großes Stück Stoff ab, das er entzweiriss. Das kleinere Stück faltete er zu einem Streifen, mit dem er dem Mönch fest die Augen verband.

Leise singend fand der Mönch in seinem Innern einen ruhigen Ort, der ihm erlaubte, den Geist vom Körper zu trennen. »Abune zebesemayat, yitkedes simike, timsa mengistike weyikun …«

Kimbaba verstand die Sprache nicht. Hätte er sie verstanden, hätte er sie als Ge’ez erkannt, die rituelle Sprache der äthiopisch-orthodoxen Kirche – ein semitischer Dialekt, der eng mit dem Aramäischen verwandt war, das der Gott des Mönchs vor zweitausend Jahren in Galiläa gesprochen hatte.

Kimbaba machte Masolo Zeichen, ihm zu helfen, den Mönch zum Altar zu schleppen. Als sie das untere Ende des Gepäckträgers über die hölzerne Kante der Altarplatte hakten, traten von dem Blut, das rasch zum Gehirn strömte, die Adern auf der zerfurchten Stirn des Wächters hervor.

Der Söldner blickte hinab auf den wehrlosen Körper. »Deine Seele mag zum Sterben bereit sein, Priester, aber in deinem Geist gibt es einen Teil, der es nicht ist.«

Der Mönch schien ihn nicht zu hören und fuhr mit seiner Litanei fort. »… fekadeke, bekeme besemay kemahu bemedir …«

»Du wirst mir sagen, was ich wissen muss.« Kimbabas Stimme war tief und selbstsicher.

Der Mönch hörte ihm nicht zu. »… keme nihneni nihidig leze’abese lene …«

Über so viel Entschlossenheit erstaunt, packte Kimbaba das fünfundzwanzig Zentimeter hohe Kreuz auf dem Altar und riss es aus seinem hölzernen Fundament, sodass das zugespitzte Ende, mit dem das Metall ins Holz getrieben worden war, zum Vorschein kam. Er legte das Kreuz dem Mönch in die Hand und schloss die dünnen, faltigen Finger darum.

»Lass es fallen, wenn du bereit bist zu reden«, wies er ihn an und häufte die Reste des zerrissenen gelben Gewands dem Mönch aufs Gesicht.

Zufrieden nickte er Masolo zu, der den Verschluss des grünen Metallkanisters öffnete und ihm diesen reichte. Ohne weitere Ankündigung hielt Kimbaba den Kanister über das stoffbedeckte Gesicht des Mönchs und goss einen Schwall Wasser über Mund und Nase. Nach einer kurzen Pause wiederholte er den Vorgang in Sekundenabständen.

Die warme, mit Rost gemischte Flüssigkeit durchdrang die Lumpen sofort, tränkte sie und rann dem Mönch übers Gesicht.

Der Wächter kniff fest den Mund zu, konnte aber nicht verhindern, dass seine Nasenlöcher sich rasch füllten. Als sich das Wasser hinten in der Kehle staute, öffnete er den Mund, um auszuspucken, was aber nur dazu führte, dass er sich mit der strömenden Flüssigkeit füllte. Nach Luft ringend, geriet er in Panik, sodass er den Atemreflex nicht mehr unterdrücken konnte. Als er die Kehle öffnete, um die dringend benötigte Luft einzusaugen, geriet ihm das Wasser in die Lungen.

Kimbaba wusste, dass der Alte das nicht lange durchhalten würde. Niemand hielt das lange durch. Das war auch der Grund, weshalb die CIA diese »erweiterte Verhörtechnik« allen anderen vorzog. Der Umstand, dass sie keine sichtbaren Spuren hinterließ, war ein zusätzlicher Pluspunkt. Kimbaba wusste außerdem, dass ein Durchgang gewöhnlich reichte. Er hatte in den Augen von Opfern die panische Verzweiflung gesehen, wenn die ältesten und primitivsten Triebzentren ihrer Gehirne das Kommando übernahmen und ums nackte Überleben kämpften.

Sollte der Mönch sich allerdings als stark erweisen, war Kimbaba bereit, es immer wieder zu tun, solange es nötig war. Die Lunge würde zwar Schaden nehmen, aber der Vorgang konnte quasi endlos wiederholt werden. Er hatte von Häftlingen in Guantanamo gehört, die Waterboarding bis zu zweihundertmal durchlitten hatten.

Als ihm das Wasser übers Gesicht lief, fing der Mönch an, sich heftig zu winden, und wollte seinen hageren Körper von dem Gestell losreißen.

Kimbaba musste lächeln. Es war ja so einfach.

Amüsiert hatte er zugesehen, als ein junger CIA-Mann im Fernsehen mit neutraler Stimme erklärt hatte, Waterboarding sei keine Folter, nicht einmal gefährlich. Es sei rein psychologisch, sagte der Agent – simuliertes Ertränken.

Kimbaba wusste es besser. Waterboarding simulierte überhaupt nichts. Es war richtiges Ertränken – kontrolliert, qualvoll und entsetzlich.

Der Mönch zappelte und hustete inzwischen immer panischer. Kimbaba schaute auf die dürren Hände des Alten und wartete darauf, dass er sich ergab und das Kreuz fallen ließ. Er packte es jedoch fester denn je mit seinen weißen Fingern.

Der massige Milizionär hielt einen Moment inne und gestattete dem Mönch, das faulige Wasser auszuhusten. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und beugte sich tief über die verbundenen Augen des Wächters. »Wir können damit aufhören«, knurrte er. »Wo ist er?«

Der Mönch schüttelte den Kopf mit einer Entschlossenheit, die den Söldner erstaunte.

Kimbaba nahm den tropfnassen gelben Lumpen vom Gesicht des Wächters und rollte ihn zu einer nassen Kugel zusammen, die er ihm in den Mund stopfte, womit er das Atmen unmöglich machte.

Ohne weitere Warnung fuhr er fort, dem Mönch, wiederum in kurzen Schwallen, aber diesmal in schnellerer Folge, warmes Wasser übers Gesicht zu gießen.

Nach wenigen Sekunden begann der Mann sich zu winden. Zufrieden stellte Kimbaba fest, dass es diesmal echte Panik war, echte Verzweiflung. Der Mönch versuchte mit aller Kraft, sich loszureißen – das Geräusch des Gestells, das gegen den Boden schlug, hallte jetzt in dem steinernen Raum. Immer wilder kämpfte er gegen seine Fesseln an, und endlich sah Kimbaba, wie sich die faltige alte Hand für einen Sekundenbruchteil öffnete, bevor der Mönch seine gesamte verbliebene Kraft aufbot und das schwere silberne Kreuz neben sich auf die dunkelroten Bodenfliesen schleuderte. Der Laut donnerte durch den Raum, während der Mönch anfing, mit der Hand verzweifelt auf den Metallrahmen zu schlagen.

Mit einem Nicken hörte Kimbaba auf zu gießen und stellte den Kanister zu Boden. Er zog dem Mönch den getränkten gelben Lumpen aus dem Mund, bevor er ihm die Binde herunterriss, unter der die schreckgeweitet hervorquellenden Augen sichtbar wurden. Der Alte drehte den Kopf und erbrach Wasser, bevor er keuchend und nach Luft ringend zu seinem Folterer aufblickte.

Kimbaba legte ihm eine prankenartige Hand auf die bebende Schulter. »Du bist so weit.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

Langsam, kaum merklich nickte der Wächter.

Kimbaba und Masolo traten zurück, hakten das untere Ende des Gestells vom Altar los und legten den Mönch wieder flach auf die Erde. Kimbaba hielt den Alten am Boden, indem er ihm seinen schweren Stiefel auf den schweißnassen Bauch stellte. Gespannt blickte er auf ihn hinab.

Der Wächter hustete im Bemühen, seine Lungen zu befreien. Er drehte den Kopf zur Seite und spie eine Mischung aus Schleim und Wasser aus. Kimbaba glaubte die Worte »Vergib mir« zu hören, aber zu spät bemerkte er, dass die knochige Hand des Mönchs nicht mehr an den Rahmen gefesselt war. Er hatte sie aus den nassen Stricken befreit, und in einer Bewegung, die schneller war, als Kimbaba es für möglich gehalten hätte, packte er das silberne Kreuz, das neben ihm auf der Erde lag.

Blitzend beschrieb das Kreuz einen Bogen durch die Luft.

Verblüfft grunzend versuchte Kimbaba es ihm aus der Hand zu treten, doch der Alte war zu schnell. Kimbabas Fuß trat vorbei, und ehe er ihm einen weiteren Tritt versetzen konnte, hatte der Mönch es sich tief in die triefende, magere Brust gestoßen.

Der dürre Leib bäumte sich auf und erstarrte, als die scharfe Spitze die schwachen Brustmuskeln durchbohrte und tief ins Herz drang. Ehe Kimbaba reagieren konnte, war der Alte mit starrem, leblosem Blick wieder zurückgesunken, und auf seiner durchbohrten Brust und unter ihm auf den warmen Fliesen breitete sich eine Pfütze aus rotem Blut aus.

Mit einem Tritt schleuderte Kimbaba das Gestell mit dem immer noch daran gefesselten Mönch laut fluchend über den nassen Fußboden.

Im Alter von sechs Jahren hatte er in dem namenlosen Slum, in dem er aufwuchs, seinen ersten Ermordeten gesehen. Mit acht hatte er in den übel riechenden Gassen von Kinshasa seinen ersten Mann niedergeschossen. Seitdem hatte er so viel und so oft getötet, dass er nicht einmal mehr von den Gesichtern seiner Opfer träumte.

Der vorzeitige Tod des Mönchs scherte ihn nicht – aber dass der Alte nicht mehr reden konnte, war eine Komplikation, die er nicht eingeplant hatte.

»Sucht ihn!«, blaffte er wütend die schweißglänzenden Männer an, die um die Leiche herumstanden.

Sofort schwärmten sie aus und fingen an, den Raum fachmännisch auf den Kopf zu stellen. Masolo riss das Tuch vom Altar, ein anderer drehte die Matratze und die Laken des Mönchs um und verstreute seine wenigen schlichten Habseligkeiten.

Bald war klar, dass hier nichts zu finden war. Der Raum war weitgehend leer.

»Runterreißen«, rief Kimbaba. Seine Frustration kochte über, während er auf die schweren bestickten Behänge zeigte, die die Wände schmückten. »Er war hier.«

Während die Männer begannen, die schweren, staubigen Stoffe von den Wänden zu reißen, packte Masolo hinter dem Altar ein Seidentuch. Die einst leuchtenden Farben des Gewebes waren schon lange verblichen, und es starrte vor Staub und Schmutz, doch noch immer war es ein eindrucksvolles Stück Tuch, auf dem Reihen stilisierter Figuren in reichen äthiopischen Kirchengewändern abgebildet waren.

Der schwere Seidenstoff fiel zu Boden, und in der Wand dahinter wurde eine breite Nische sichtbar. Masolo untersuchte die Einbuchtung sorgfältig und entdeckte im Finstern einen kleinen Hebel. Als er die Hand danach ausstreckte und ihn drückte, öffnete sich eine kaum sichtbare, schmale Tür.

»Hier!«, rief er, stieß die Tür weit auf, und zum Vorschein kam eine schmale Treppe, die von Kerzen beleuchtet wurde.

Kimbaba drängte sich ungeduldig an ihm vorbei, sodass Masolo und die anderen ihm die ausgetretenen Stufen hinab folgen mussten.

Am Boden der Treppe bekam Kimbaba endlich das zu sehen, um dessentwillen sie gekommen waren.

Es stand mitten in der fensterlosen steinernen Krypta. Um es herum hatte der Wächter Hunderte von flackernden weißen Kerzen sowie Dutzende von verschiedenartigen Öllampen aufgestellt. Ihre tanzenden Lichter spiegelten sich tausendfach in seiner unregelmäßigen goldenen Oberfläche und warfen seltsame Muster auf die golddurchwirkten Behänge, die lückenlos die Wände bedeckten.

Während Kimbaba sich an dem Anblick weidete, fingen seine Augen an zu brennen. Die Luft war stickig, schwer vom bittersüßen Qualm von brennendem Weihrauch und Adlerholz aus vier verzierten Feuerschalen, eine auf jeder Seite des Objekts.

Kimbaba drehte sich um und nickte seinen Männern zu. Sie wussten, was zu tun war.

Ungeschickt machten sie sich daran, sich einen Weg zu dem Objekt zu bahnen. Planlos schoben sie die Kerzen und Lampen aus dem Weg und verschütteten heißes Wachs und warmes Öl auf dem Gewebe der fadenscheinigen Wandteppiche. Augenblicklich wurde die Luft noch schwerer und stechender, als die beißenden Dämpfe der fettigen Kerzendochte sich mit dem schweren Weihrauch mischten.

Als das Objekt freigelegt war, konnte Kimbaba sehen, dass unten an beiden Seiten Tragestangen angebracht waren.

Er gab den vier Männern ein Zeichen, je eine Stange zu nehmen und ihm zu folgen.

Er hatte keine Ahnung, wen die C-4-Explosionen alarmiert haben könnten. Nun, da er hatte, wofür er gekommen war, wollte er so schnell wie möglich von hier weg.

Den Gesichtern der Männer war die Anstrengung anzusehen, als sie das Objekt anhoben. Es war aus schwerem Holz gemacht, dessen gesamte Oberfläche mit gehämmertem Gold bedeckt war. Zwei goldene Statuetten an der Spitze machten es noch schwerer.

Mit großer Mühe trugen sie es über die Stufen hinauf ans anbrechende Tageslicht. Ihre Körper glänzten vor Schweiß.

Kimbaba verriegelte die schweren Holztüren des Gebäudes, während die Männer ihre Beute vorsichtig in den ersten Land Cruiser luden und sie mit einer schmutzigen Plane abdeckten, um sie vor Blicken zu schützen.

Kimbaba knallte die Hecktür zu, und die Männer bestiegen rasch die beiden Fahrzeuge. Nun, da ihr Auftrag erledigt war, fuhren sie schnell aus der Stadt zum Treffpunkt am Flugplatz.

Im Innern der Krypta schloss eine umgeworfene Kerze Kontakt mit einer Ölpfütze aus einer umgefallenen Lampe. Die Flammen griffen rasch über, tanzten über den Boden und fraßen sich durch ein Gemisch aus Öl und trockenem Teppichstoff.