Ein Buch von
Die Autorin hat den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch, Tier oder Sachen, die infolge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der hier gelieferten Informationen entstehen, wird jedoch keine Haftung übernommen. Bitte beachten Sie, dass dieser Ratgeber keine tierärztliche oder tierpsychologische Beratung ersetzt.
Katzen mit Geschichte, 2. Auflage 2018
© Bettina von Stockfleth, MENSCH & KATZE
ISBN: 978-3-739-275000
Titelgestaltung, Layout und Satz: Bettina von Stockfleth
Cover: Reproduktion eines Aquarells von Paul Lovering,
© Paul Lovering, Edinburgh, UK
Fotos im Innenteil: Bettina von Stockfleth, bis auf folgende: S. →: Trixie Heimtierbedarf GmbH & Co. KG; S. →, →: Vivien Venzke S. →: Frieder Kania; S. →: Wibke Berthold; S. →: Norbert Betz
Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, gleich in welcher Form, oder die Speicherung in elektronischen Medien bedürfen der vorherigen schriftlichen Genehmigung durch die Autorin.
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Für Raphael
Braucht die Welt noch ein weiteres Katzenbuch, und dann ausgerechnet eines über ein so unbequemes Thema wie Tierschutzkatzen? Ist Tierschutz nicht ein eher trauriges Thema?
Ich meine nein, denn traurig sind vielmehr die Schicksale all der vernachlässigten und verstoßenen Haustiere, die nicht das Glück haben, von Tierschutzorganisationen aufgenommen und vermittelt zu werden. Die krank, schutzlos und ungeliebt ein unwürdiges Dasein fristen und auf der Strecke bleiben, weil Menschen ihr Leid entweder nicht bemerken oder sogar bewusst wegsehen. Dagegen sind Tierheime Orte, an denen ich mich gerne aufhalte. Hier hatte und habe ich sehr viele bewegende Begegnungen mit Katzen und Menschen, durch die ich viel lernen durfte und die ich deshalb nicht missen möchte. Fakt ist, dass Tierschutz in der Regel unter hohem Zeitdruck stattfindet: Ehrenamtliche Mitarbeiter privater Organisationen opfern einen Großteil ihrer Freizeit. Tierheime nehmen Jahr für Jahr immer mehr Katzen auf, sodass die mit der Betreuung betrauten Menschen spätestens dann am Limit sind, wenn die Aufnahmekapazität der Einrichtung überschritten wurde oder kranke Tiere mehr Zeit benötigen als kalkulierbar ist.
Der seit einigen Jahren viel zitierte Platz der Katze als „Heimtier Nummer eins“ der Deutschen ist leider kein Garant für einen respektvollen Umgang mit dieser Spezies: Katzen gelten als pflegeleicht und anspruchslos – ein fragwürdiges Image, an dessen Aufrechterhaltung die Medien leider fleißig mitarbeiten. Oder würden Sie es als Kompliment empfinden, wenn jemand Sie als „anspruchslos“ bezeichnet? Suggeriert wird, dass die „anspruchslose“ Katze ja so gut zum heutigen Lifestyle passt. Auch die Geiz-ist-geil-Mentalität wird bedient, denn man erhält die Tiere nach wie vor teilweise kostenlos oder für lächerlich geringe Beträge. Damit sinkt die Hemmschwelle, das „wertlose“ Tier weiterzugeben oder sogar auszusetzen, falls es sich doch als unbequem erweisen sollte. Hinzu kommen gedankenlos vermehrte Katzen, sei es durch den Freigang unkastrierter Tiere oder durch „Pannen“ in den eigenen vier Wänden, weil den Haltern die Kastration zu teuer ist.
Erfreulich ist im Kontrast zu dieser Entwicklung die Tatsache, dass die Bedürfnisse von Katzen mittlerweile von immer mehr Menschen erkannt und ernst genommen werden. Das gilt in hohem Maße für diejenigen, die Katzen aus dem Tierschutz aufnehmen. In meiner Arbeit als Verhaltensberaterin und -therapeutin erlebe ich immer wieder, wie Katzen aus dem Tierschutz innerhalb verblüffend kurzer Zeit aufblühen, wenn sie in die richtigen Hände kommen. Liebe, Sachverstand und ein passendes Umfeld sind die Schlüssel zu einem glücklichen Miteinander. Dabei kann nicht oft genug betont werden, dass die meisten Tierschutzkatzen ein ganz normales Verhalten an den Tag legen und sich bei artgerechter Behandlung genauso problemlos ihren neuen Bezugspersonen anschließen wie Katzen ohne Tierschutzvergangenheit.
Viele Halter konsultieren mich, um sich über weitere Möglichkeiten zu informieren, wie sie die Lebensqualität ihrer Schützlinge im neuen Zuhause verbessern und die Beziehung zu ihnen weiter vertiefen können. Andere frisch gebackene „Katzeneltern“ sind in Bezug auf das Wohlbefinden der neuen Mitbewohnerin unsicher. Sie wünschen sich eine Rückmeldung, ob die Katze wieder „ganz in Ordnung“ ist oder ob es noch Baustellen gibt, die wir gemeinsam angehen können. Hier besteht ein großer Informationsbedarf, der im Tierschutzalltag nicht immer gedeckt werden kann.
So möchte ich mit diesem Ratgeber zum einen all die Menschen erreichen, die bisher aus Unsicherheit noch zögern, einer „Katze mit Geschichte“ ein neues Zuhause zu schenken, sowie diejenigen, die es bereits getan haben und ihre Katze noch besser verstehen möchten. Zum anderen hoffe ich, dass im Katzenschutz engagierte Menschen noch das eine oder andere Aha-Erlebnis beim Lesen haben und das gewonnene Wissen in der Praxis anwenden und weitergeben.
„Katzen mit Geschichte“ geht auf häufig gestellte Fragen zur Wahl des passenden Schützlings ein und gibt Ihnen einen Leitfaden an die Hand, damit Sie die richtige Tierschutzorganisation finden. Dieser Ratgeber bietet nicht nur Tipps rund um den Einzug der Katze sowie zur besonders wichtigen ersten Zeit des Zusammenlebens mit Ihrem vierbeinigen Familienzuwachs, sondern spricht ehrlich auch mögliche Probleme an, für die praxiserprobte Lösungen ohne Strafen vorgestellt werden. Er ist so aufgebaut, dass Sie die Kapitel unabhängig vom restlichen Inhalt oder in beliebiger Reihenfolge lesen können, je nachdem, welche Informationen Sie gerade benötigen. Im Übrigen gelten die hier gegebenen Empfehlungen rund um den Einzug ins neue Heim und dessen katzengerechte Gestaltung nicht nur für Katzen „mit Geschichte“, sondern für alle Samtpfoten.
Wenn dieses Buch Ihnen Mut zur Adoption einer „Katze mit Geschichte“ macht und das Zusammenleben mit Ihrer Samtpfote bereichert, habe ich mein Ziel erreicht.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Bettina von Stockfleth
Die Schicksale der Katzen, die in der Obhut von Tierschützern landen, sind so unterschiedlich wie die Leben und Schicksale der Menschen, zu denen sie in Beziehung stehen. Insbesondere wirtschaftliche Gründe führen immer häufiger dazu, dass Tiere ihr Zuhause verlieren, denn leider schafft unsere Leistungsgesellschaft zunehmend Umstände, die nicht gerade tierfreundlich sind: Flexibel sollen Arbeitnehmer sein, und schon steht ein spontaner Umzug an. Für eine längere Suche nach einer erschwinglichen Wohnung, in der Tierhaltung erlaubt ist, bleibt da keine Zeit. Ebenso wird Zeitmangel immer häufiger als Abgabegrund angegeben. Dahinter stehen oft längere Arbeitszeiten, neue berufliche Projekte und Herausforderungen in Verbindung mit Reisen, manchmal aber auch ein neuer Partner oder neue Freizeitinteressen, die die Katze plötzlich lästig werden lassen.
Manchmal zwingen familiäre Notlagen Katzenliebhaber, ihre Samtpfoten abzugeben, wie beispielsweise die Notwendigkeit, rund um die Uhr für einen hilfebedürftigen Angehörigen da zu sein, und auch kätzische Scheidungsopfer sind nicht selten: Plötzlich will keiner mehr die Mieze haben. Entweder passt sie nicht in das neue Leben oder sie erinnert an unschöne Zeiten mit dem Ex-Partner oder der Ex-Partnerin und ist deshalb unerwünscht. Ebenfalls Opfer – und zwar eines verkehrten Hygieneverständnisses – sind Katzen, die von ihrer schwangeren Halterin abgegeben werden. Leider prognostizieren immer noch viele Frauenärzte eine Ansteckung mit Toxoplasmose inklusive schlimmer Folgen für das Ungeborene1 und stellen die Abgabe der Katze als einzig akzeptable Lösung in den Raum. Aber auch wenn ein Baby gerade Einzug hielt, muss die Katze oft gehen, weil sie der Familie plötzlich „zu viel“ ist. Eine Katzenallergie – die allerdings auch oft und gerne als Abgabegrund vorgeschoben wird – kann sich tatsächlich spontan und in jedem Lebensalter entwickeln. Wieder eine Konstellation, deren Entstehen nicht der Katze anzulasten ist.
Eine Schwangerschaft ist kein Grund, sich von Ihrer Katze zu trennen. Im Übrigen kann man eine Katze systematisch auf die Ankunft eines Babys vorbereiten, sodass Stress und Eifersucht gar nicht erst entstehen. Im Babyzimmer sollte sie allerdings nicht schlafen dürfen, denn selbst die freundlichste Katze kann sich vor einem schreienden und strampelnden Säugling erschrecken und ihn kratzen. Dieses Risiko sollten Sie nicht eingehen. Halten Sie das künftige Babyzimmer schon zwei bis drei Monate vor der Geburt des Nachwuchses regelmäßig geschlossen. Dann lernt die Katze, dass dies völlig normal ist und wird den verbotenen Raum nicht negativ mit dem Baby in Verbindung bringen.
Besonders traurig sind Fälle, in denen Menschen die geliebte Katze zurücklassen müssen, da ein Krankenhausaufenthalt sich unerwartet verlängert, sie ins Seniorenwohnheim umziehen müssen oder sterben. Wenn Angehörige oder Freunde das zurückgebliebene Tier nicht aufnehmen, landen auch diese Katzen letztlich2 im Tierheim. Ebenso führen psychische Probleme und die Überforderung von Katzenhaltern dazu, dass immer mehr Katzen von den Veterinärämtern beschlagnahmt werden. So ist die Zahl verwahrloster oder beim Wegzug einfach zurückgelassener Tiere in den letzten Jahren stark gestiegen.
Das auffälligste Phänomen in diesem Zusammenhang sind jedoch die Animal-Hoarding-Fälle. Krankhaft Tiere sammelnde Menschen, die auch als „Tiermessies“ bezeichnet werden, begreifen nicht, dass ihre vermeintliche Tierliebe nichts mehr mit artgerechter Haltung ihrer Schützlinge zu tun hat. Katzen sind häufig Animal-Hoarding-Opfer, da sie – manchmal bis zum bitteren Ende – stumm leiden. Zu viele Katzen leben in solchen Haushalten auf zu engem Raum, werden nicht kastriert und vermehren sich unkontrolliert. Die zu hohe Zahl an Katzen und die daraus resultierende Konkurrenz um zu wenig und oft minderwertige Nahrung, Rückzugsorte und Katzentoiletten führt zu großem Stress, der wiederum die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt. Da die Halter meist sozial isoliert leben, wird das Elend der Tiere (und des Menschen) meist erst entdeckt, wenn Nachbarn sich durch unangenehme Gerüche belästigt fühlen und die Polizei benachrichtigen.
Situationen, die denen des Animal Hoarding ähneln, entstehen auch, wenn „Züchter“ (ich bezeichne sie lieber als Vermehrer) zu viele Katzen halten, die sich mehr oder weniger unkontrolliert fortpflanzen. Wenn solche „Züchter“ bemerken, dass ihre Katzenbabys sich nicht so gut verkaufen lassen wie geplant, werden die Tiere lästig. Die Katzen müssen weiterhin versorgt werden und kosten nun mehr Geld als sie einbringen. So kommt es, dass infolge von Zuchtauflösungen oder Beschlagnahmungen immer häufiger auch Rassekatzen in Tierheimen landen, wobei ehrlicherweise gesagt werden muss, dass Angehörige von gerade im Trend liegenden Rassen ein höheres Risiko haben, unter rassetypischen Erbkrankheiten zu leiden, denn Katzenvermehrer scheuen extreme Inzucht nicht und geben kein Geld für die verfügbaren, aber teuren Gentests aus.
Verantwortungsvolle Katzenzucht erfordert gute Sachkenntnis über Katzen im Allgemeinen und die Rasse insbesondere sowie ein gewisses Angebot an gut strukturiertem Platz für eine möglichst stressfreie Katzenhaltung. Überdies investieren echte Liebhaberzüchter nicht unerhebliche Mengen an Zeit und Geld in eine gute Versorgung der Elterntiere und ihrer Babys. Dazu zählen nicht nur Entwurmungen, Gesundheitschecks sowie Impfungen, sondern auch Gentests der Eltern und ihres Nachwuchses auf rassetypische Erbkrankheiten.
Keinesfalls unerwähnt bleiben dürfen die unzähligen Katzenbabys, die besonders zwischen April und September fast täglich von Tierheimen und Katzenschutzorganisationen aufgenommen werden. Die häufig von Infektionen geplagten Kätzchen, die mit oder ohne Mutter im Tierschutz landen, aber auch ihre trächtig ausgesetzten, oft nicht minder vernachlässigten Mütter, bringen Tierschützer regelmäßig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, sind sie doch die traurigsten Opfer menschlicher Gleichgültigkeit und Wissenslücken: Keine weibliche Katze muss einmal in ihrem Leben Junge geboren haben, um glücklich oder „erfüllt“ zu sein! Auch müssen Mütter ihren Kindern nicht ausgerechnet auf diese Weise „das Wunder des Lebens“ näherbringen und damit zur alljährlichen „Kittenschwemme“ beitragen.
Pädagogisch sinnvoller ist es, mit den Kindern ein Tierheim zu besuchen, ihnen dort die Kätzchen zu zeigen und ihnen zu erklären, dass die eigene Katze keine Babys haben soll, damit die Menschen erst mal all den vielen verwaisten Katzenkindern ein Zuhause geben.
Die Kastration erhöht nicht nur die Lebensqualität und -erwartung Ihrer eigenen Katze, sondern verhindert das Leid zahlloser ungewollter Kätzchen! Dieser Routineeingriff, bei dem Katern die Hoden und weiblichen Katzen die Eileiter entfernt werden, erfordert nur eine kurze Narkose. Komplikationen sind selten, und die Samtpfoten sind meist einen Tag später wieder völlig fit. (Übrigens spricht man auch beim weiblichen Tier von der Kastration und nicht Sterilisation, da die für die Hormonbildung zuständigen Keimdrüsen entfernt werden.)
Der Charakter einer Katze verändert sich durch die Kastration nicht – vielmehr überwiegen die Vorteile des Eingriffs für alle Beteiligten: Die Gefahr des Urinmarkierens wird bei beiden Geschlechtern verringert. Kater verhalten sich weniger aggressiv und werden oft häuslicher; die Rolligkeit der weiblichen Tiere entfällt. Auch sind kastrierte Katzen keine schlechteren Mäusefänger, wie auf dem Land immer mal wieder gerne behauptet wird. Ganz im Gegenteil: Katzen, die nicht mehr ihren Geschlechtstrieb ausleben müssen, verbringen mehr Zeit mit der Jagd. Sie sind weniger anfällig gegen Krankheiten als unkastrierte Artgenossen, weil sie nicht dem Stress der Partnersuche und Jungenaufzucht unterliegen. Überdies sind sie – von Ausnahmen abgesehen – seltener in Beißereien verwickelt und Paarungsbisse in den Nacken entfallen. Somit haben Kastraten ein geringeres Risiko, sich mit tödlichen Krankheiten wie Leukose (Katzenleukämie, FeLV) und Katzenaids (FIV) anzustecken, die hauptsächlich durch Bisse übertragen werden. Ebenso sinkt das Risiko, dass sie „blind vor Liebe“ dem Straßenverkehr zum Opfer fallen. Sogar erfahrene Freigänger machen nämlich nicht vor Autobahnen halt, wenn sie die heiße Spur eines potenziellen Paarungspartners verfolgen.
Noch unkastrierte Katzen dürfen auf keinen Fall Freigang erhalten – selbst dann nicht, wenn sie erst drei, vier oder fünf Monate jung sind. Selbst junge Tiere, denen man eine fruchtbare Paarung nicht zutraut, weil sie noch so kindlich wirken, können Sie bereits mit Nachwuchs überraschen oder erfolgreich decken. Sich auf andere zu verlassen („In unserer Nachbarschaft sind doch alle Katzen kastriert.“) oder ihnen gar die Konsequenzen zu überlassen („Mein Kater bekommt ja schließlich keine Babys!“) ist fahrlässig und rücksichtslos.